Im Gespräch mit den Gefühlen Kommunikation mit den Emotionen Kolummne Sahra-Latifa A. Warrelmann schreibt in der ersten Kolumne von CrazyLife über den Alltag mit Gefühlen. Sahra-Latifa Warrelmann im Gespräch Ludwigsburg – Der Alltag mit Gefühlen scheint wie ein ganz normaler Alltag, da sie ständiger Begleiter des eignen Ichs sind. Die meisten Menschen, leben mit ihren Emotionen und schenken ihnen erst dann Beachtung, wenn sie überhand nehmen und das eigene Verhalten so sehr steuern, dass man glaubt n<strong>ich</strong>t mehr „normal“ zu sein. Vor zwei Jahren, also im Jahr 2016 habe <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> auf eine aufregende Reise begeben. Eine Reise mit dem Ziel, meine Emotionen genauer kennenzulernen und ihren Einfluss auf mein Verhalten zu verstehen. Seitdem ist kein Tag wie der andere, kein Tag an dem <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> mit mindestens zwei starken Emotionen auseinandersetzen darf, die mehr Einfluss auf mein Leben besitzen als <strong>ich</strong> dachte. Die Reise verlangt schon am Morgen meine vollste Aufmerksamkeit, denn je nach Stimmung und wie <strong>ich</strong> mit dieser umgehe wird mein Tag zu einem Trauerspiel, einem Wutrausch oder zu 24 Stunden voller Glückseligkeit. Nachdem die Nacht ihr Ende nimmt und <strong>ich</strong> aus dem Traumland erwache, braucht es einige Minuten, bis <strong>ich</strong> in der Wachrealität angekommen <strong>bin</strong>. Diese Minuten sind besonders wertvoll, da <strong>ich</strong> in dieser Zeit n<strong>ich</strong>t denke, sondern ausschließl<strong>ich</strong> fühle. Ich spüre meinen Körper, wie er versucht die Umweltgeräusche einzuordnen und den Raum scannt. Manchmal passiert es, dass <strong>ich</strong> von der Sonne geweckt werde und m<strong>ich</strong> beflügelt fühle. Ja, ganz und gar glückl<strong>ich</strong>, bevor mein Gehirn beginnt meine Gedanken zu einem Plan zu formen. „Aufstehen, ins Bad, Tee trinken und an den Schreibtisch“, denkt mein Verstand noch zaghaft. Bis <strong>ich</strong> unter der Dusche stehe, habe <strong>ich</strong> meist noch keine Ahnung, welche Gewalt den Emotionen innewohnt. Doch wenn die ersten Wassertropfen meine Haut umhüllen, beginnt das Rad s<strong>ich</strong> zu drehen. Es dauert n<strong>ich</strong>t lange und unzählige Gedanken dringen plötzl<strong>ich</strong> in meinen Verstand ein, die von Gefühlen begleitet werden. Szenen aus vergangen Zeiten spielen in meinem Kopfkino, sodass <strong>ich</strong> auf einmal Traurigkeit, Melancholie aber auch Freude spüren kann. Sofort habe <strong>ich</strong> das Verlangen gegen die Traurigkeit zu agieren. Denn sie behindert nach meinem Empfinden meinen Tagesablauf. Schließl<strong>ich</strong> gibt es noch viel zu tun und mit einer traurigen Stimmung lässt s<strong>ich</strong> beim besten Willen n<strong>ich</strong>t arbeiten. Traurigkeit ist lähmend, sie schreit nach Ruhe, melodischer sanfter Musik und einer kuscheligen Atmosphäre. Das ist mit dem Arbeitsalltag n<strong>ich</strong>t zu vereinen, denn in diesem Modus sind Hoffnung, Motivation, Zielstrebigkeit und Zufriedenheit gefordert. Wie lässt s<strong>ich</strong> Traurigkeit in Hoffnung oder gar Zufriedenheit verwandeln und das unter der Dusche? Das ist gar n<strong>ich</strong>t mal so einfach, da das warme Wasser dazu verleitet noch ein paar Minuten länger unter dem umhüllenden Nass zu stehen. „Kontraproduktiv!“, schreit es in solchen Momenten aus einer tiefen Ecke meines Bewusstseins. „Jetzt hast du andere Prioritäten, als d<strong>ich</strong> diesem Gefühl hinzugeben“, sage <strong>ich</strong> mir innerl<strong>ich</strong> und versuche damit meiner Traurigkeit zu sagen: „Hey <strong>ich</strong> verstehe, dass <strong>ich</strong> X und Y vermisse. Ja es wäre schön, wenn er oder sie da wären, doch das ist n<strong>ich</strong>t so. In Traurigkeit zu versinken und deshalb die Arbeit schleifen zu lassen, hilft mir auch n<strong>ich</strong>t weiter. Also fokussiere d<strong>ich</strong> auf die Dinge, die d<strong>ich</strong> gerade bere<strong>ich</strong>ern.“ Natürl<strong>ich</strong> wehrt s<strong>ich</strong> die Traurigkeit, denn sie fühlt s<strong>ich</strong> berechtigt, jetzt an diesem Morgen in Erscheinung zu treten und denkt gar n<strong>ich</strong>t daran, zu verschwinden. Daher sehe <strong>ich</strong> Gefühle, wie unzählige kleine Kinder in mir, die manchmal eine strenge Hand aber auch einfühlsame Worte brauchen. Wieder gehe <strong>ich</strong> in den inneren Dialog: „Hör zu liebe Traurigkeit, wir können heute Abend ganz viel Eis essen, uns melancholische Musik reinziehen und im Bett liegen und weinen, doch jetzt brauche <strong>ich</strong> Energie, <strong>ich</strong> brauche Motivation und Inspiration. Also gedulde d<strong>ich</strong> bitte, geh in einen anderen Raum und lasse Platz für die anderen Gefühle.“ Es funktioniert! Noch ehe <strong>ich</strong> aus der Dusche ausgestiegen <strong>bin</strong>, kann <strong>ich</strong> die aufsteigende Motivation spüren und das Lächeln auf meinen Lippen. 14 Monate zuvor, wäre die Szene in der Dusche ganz anders abgelaufen. Hätte m<strong>ich</strong> die Traurigkeit eingeholt, wäre <strong>ich</strong> in ihr versunken und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hätte anstatt ein paar Minuten gerne auch 36 | CrazyLife
Foto: S.-L.A. Warrelmann