Floitenschlagstaude, 7. Auflage_2018_web
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nem steilen, nur spärlich mit Weide bedeckten Hang am Eingang zum<br />
gleichnamigen Hochtal, dem kommt im hinteren Zillertal heute noch<br />
die „Floitenschlag-Staude“ in den Sinn. Und allemal wundert man sich,<br />
dass in solcher Armut und Wildnis noch ein „Hoamatl“ zu finden war.<br />
Der Witz von den Hennen mit den Steigeisen hört dort droben auf, ein<br />
Witz zu sein, und es ist ein eigener, wendiger Rinderschlag, der dort seine<br />
Kletter- und Überlebenskünste vollführt.<br />
Die „Staude“, die Mutter der vielköpfigen „Lackner-Familie“, verstand<br />
nicht nur – wie das Sprichwort sagt – auf einer Steinplatte zu hausen, sie<br />
galt als Tirols berüchtigste Wilddiebin. Als solche geriet sie öfter mit dem<br />
Gesetz in Konflikt, schoss die Gämsen mitunter gar vom Hüttenfenster<br />
aus. Sie musste es tun. Nach dem frühen Tod des Mannes war sie in der Versorgung<br />
der vielköpfigen Familie ganz auf sich allein gestellt. Wenn Missernten<br />
oder Unglücksfälle das Leben schwermachten, wusste die „Staude“<br />
oft genug kaum mehr ein und aus bei dem nackten Elend, das ihr<br />
Leben bestimmte. Dazu kamen schwere Schicksalsschläge: Drei Kinder<br />
starben an Diphtherie, eines wurde von der Ferkelsau gefressen, ein<br />
Jüngling stürzte beim Heueinbringen ab, ein weiterer wurde von einer<br />
unbekannten Seuche hinweggerafft, nachdem er ein vom leutseligen Fügener<br />
Doktor geschenktes Gewand erstmalig zum Kirchgang übergezogen<br />
hatte. Ob das Kleid tatsächlich von einem Verseuchten stammte, wie<br />
es die „Staude“ starr und steif behauptete, oder ob der Bursche nicht doch<br />
den früher häufigen „gachen Trunk“ getan – wer könnte das heute sagen?<br />
Zwei ihrer wenigen übrig gebliebenen Söhne kamen durch. Viel, zu viel<br />
an Leid und Kummer, was die Frau ertragen musste.<br />
Die „Floitenschlag-Staude“ ging durch ihre „Taten“ in die Annalen der<br />
Tiroler Jagdgeschichte ein. Gewildert hatte sie – nach eigenen Angaben –<br />
schon als junge Dirn. Der Vater selbst brachte ihr das illegale Waidwerk bei<br />
– und das nicht schlecht. Einen der Revierjäger, der es besonders auf sie abgesehen<br />
hatte, führte sie elegant aufs Glatteis. Die Wette, vor seinen Augen<br />
unbemerkt eine Gams in die Ginzlinger Metzgerei zu tragen, ist ein Gustostück<br />
und Meisterstück Zillertaler Lebenskunst.<br />
Ein anderes Mal holten zwei Gendarmen die „<strong>Floitenschlagstaude</strong>“<br />
vom Hof weg – das heißt, sie wollten sie holen. Die „Staude“ gab nämlich<br />
vor, für den heiklen Gang ein besseres Gewand anziehen zu wollen. Weil<br />
sie nicht mehr auf der Bildfläche erschien, hielten die Hüter des Gesetzes<br />
wohl oder übel Nachschau und fanden sie nackt im Bett. In dem Aufzug<br />
war an einen Abtransport nicht zu denken, und ratlos verließen die Beamten<br />
den Floitenschlag. Bei einem anderen Anlass soll sich die Wilddiebin<br />
während der Eskorte ihres Gewandes entledigt haben, sodass die<br />
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