Wirtschaftszeitung_28052018
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MACHER &MÄRKTE 3<br />
Der ganz besondere Reiz<br />
Unternehmen lassen ihre tristen Firmenfassaden künstlerisch gestalten und machen damit gute<br />
Erfahrungen. Wichtig ist es, die Balance zwischen Verschönerung und Außendarstellung zu finden.<br />
Vom Untergrund ins Rampenlicht:<br />
Mit knallbunten Graffiti auf sonst<br />
tristgrauen oder verrabsackt geziegelten<br />
Gewerbewänden geben sich<br />
immer mehr Unternehmen ein modernes<br />
neues Gesicht. Manchmal gezwungenermaßen,<br />
um Fassadenschmierereien<br />
vorzubeugen. Und sie<br />
helfen so der Szene, aus Kunst einen<br />
Brotjob zu machen –geballt anzutreffen<br />
im weiteren Dunstkreis des<br />
münsterischen Kreativ-Kais und des<br />
Skaters Palace: Bennet Grüttner<br />
sprühte für Agravis und die Westfalen-AG,<br />
Philipp Scharbert malte für<br />
Dermasence. Und als Pionierwerk<br />
hängt auf 1400 Quadratmetern Plane<br />
der Pellegrino-Ritter-Stier an den<br />
Agravis-Silotürmen.<br />
„Bei einer Gewerbeimmobilie<br />
haben die Architekten meist keine<br />
Einwände.“<br />
Philipp Scharbert<br />
Modern, spannend und<br />
vielfältig –auch diese<br />
Botschaft geht vondem<br />
Ritter-Kunstwerk aus<br />
und beschreibt Eigenschaften,<br />
die für die heutige Landwirtschaft<br />
und für die Industrie in Münster<br />
ebenso gelten wie für die Agravis selbst“,<br />
interpretiert Andreas Rickmers, Vorstandsvorsitzender<br />
der Agravis Raiffeisen<br />
AG, das Motiv.<br />
Denn ein Stück weit eintauchen in die Firmenphilosophie<br />
müssen die Künstler<br />
schon, wenn sie sich zu kommerzieller<br />
Auftragsarbeit entschließen. „Wir hatten<br />
einen Entwurf mit Schweinen für die<br />
Agravis-Silotürme erstellt –aber die Farbe<br />
direktauf die riesigeFläche aufzubringen,<br />
wäre um einVielfaches teurer gewesen<br />
als die Variante<br />
mit der Plane<br />
von Pellegrino<br />
Ritter“, berichtet<br />
Philipp Scharbert,<br />
Chef der<br />
„Lackaffen“.<br />
Und auch Designer<br />
Bennet Grüttner<br />
wurde zunächst<br />
in die Agravis-Vorstandsetage<br />
gebeten, bevorerimZugeder Akzeptanzoffensive„In|du|strie<br />
–Gemeinsam. Zukunft.<br />
Leben.“, koordiniert von der IHK<br />
Nord Westfalen, die Wand neben der<br />
Raiffeisen-Tankstelle am Industrieweg<br />
gestaltet hat.<br />
Heraus kam Kunst in Kunst: „Agravis<br />
selbst wollte als Unternehmen nicht im<br />
Fokus der Gestaltung, sondern ausdrücklich<br />
nur als ein Element der Industrie<br />
Münsters dargestellt werden, in diesem<br />
Fall hier rechts in der Ecke mit den Silotürmenund<br />
demPellegrino-Ritter-Stier“,<br />
erklärt Grüttner den Werdegang des<br />
Graffitis, bei dem ihm Kollege Björn<br />
Schulz mit der Sprühdose zur Seite gestanden<br />
hat.<br />
Das Industrie-Kampagne-Motiv liegt<br />
Industriekletterer befestigen die runderneuerte Folie mit dem Stier von Pellegrino Ritter, dessen Motiv seit 2003 den Ort prägt, anden Agravis-Silotürmen.<br />
vis-à-vis von Grüttners Werken bei der<br />
Westfalen-AG. Denn bei dem Technologieunternehmen<br />
aus der Region konnte<br />
der münsterische Sprüher mit eigenem<br />
Grafik-Designbüroander münsterischen<br />
Schillerstraße im Zuge der IHK-Imagekampagne<br />
gleich weiterarbeiten: Die<br />
Westfalen-AG hat ihre drei Standbeine<br />
Gase, Energieversorgung und Tankstellen<br />
im großfl<br />
ächigen Graffiti auf den<br />
Mauern eines Trafohäuschens verewigen<br />
lassen. Besonderer Clou: Grüttner hat<br />
den über 100000 gelagerten Gasfl<br />
aschen<br />
auf der Begrenzungsmauer ein individuelles,<br />
lustiges Gesicht gegeben, und auf<br />
der dem Firmengebäude gegenüberliegenden<br />
Seite wird das Thema an der<br />
Mauer zum Bahndamm wieder aufgegriffen,<br />
aufdie der31-Jährige, der unter dem<br />
Künstlernamen Auckz agiert, chemische<br />
Formeln von Energiekomponenten wie<br />
Acetylen gesprüht hat.<br />
Die Balance zu wahren zwischen Unternehmensdarstellung<br />
und wirklicher Fassadenverschönerung<br />
im Sinne der Künstler,ist<br />
nichtimmer ganz einfach: „Natürlich<br />
gibt das Unternehmen bei Auftragsarbeiten<br />
die Thematik vor, aber die<br />
künstlerische Freiheit wird mir nicht genommen.<br />
Nur Abmalen hätte für mich<br />
auch gar keinen Reiz“, resümiert Grüttner.<br />
Ganz besonderen Reiz dagegen hattefür<br />
den Designer allerdings die Gestaltung<br />
der Trampolinhalle an Münsters Robert-<br />
Bosch-Straße. In einem Mammutprojekt<br />
hat er wiederum zusammen mit Björn<br />
Schulz monatelang gesprüht und aus<br />
einer ehemaligen Möbelhalle innen und<br />
außen eine urbane Welt der 50er, 60er<br />
Jahre inSchwarz, Weiß und Grautönen<br />
mit einigen orangefarbenen Akzenten erschaffen.<br />
Gesprühte Metro-Trassen, die reale Geländer<br />
in fünf Metern Wandhöhe aufnehmen;<br />
Ladenlokale, deren heruntergelassene<br />
Jalousien wiederum, als Bild im<br />
Bild, mit ungezähmten Graffiti gestaltet<br />
wurden; Häuserfassaden, die vorhandene<br />
Fenster und Durchgänge aufnehmen.<br />
„Mein Lieblingsprojekt in den letzten beiden<br />
Jahren –hier waren Job und Hobby<br />
eins“, erklärt der Designer.<br />
Trotzdem ist es laut Bennet Grüttner geboten,<br />
vorder Fassadenumgestaltung alle<br />
Beteiligten in die Entwürfe miteinzubeziehen<br />
–nicht nur den Auftraggeber,<br />
sondern gegebenenfalls auch Bauamt<br />
und Architekt.<br />
„Bei einer Gewerbeimmobilie haben die<br />
Architekten meist keine Einwände“,<br />
schildert Philipp Scharbert von den<br />
„Lackaffen“ seine jahrelangen Erfahrungen.<br />
„Ganz anders sieht es bei Prestigebauten<br />
aus, bei denen wir direkt in die<br />
Wettbewerbsverfahren der Architekten<br />
miteinbezogen werden.“<br />
So lieferten die „Lackaffen“ jüngst Entwürfe<br />
für einen Studentenwohnheimkomplex<br />
in Berlin, der von außen –obschon<br />
aus Stein gemauert –nur durch<br />
Graffiti in seinerGesamterscheinung wie<br />
ein Holzgebäude wirken soll. Und die<br />
Unternehmen hegen Ambitionen für die<br />
Außenwirkung ihrer Fassaden: „Industrie<br />
und Kunst sind kein Widerspruch,<br />
sondern bilden eine harmonische Symbiose,<br />
einen Verbund vonWirtschaft und<br />
Kultur“, stellt Andreas Rickmers von<br />
Agravis klar. Sohat sein Unternehmen<br />
die SprayerPhilipp Hörsterund Günther<br />
Obermeier in Straubig mit einem 629<br />
Quadratmeter großen Graffiti beauftragt:<br />
Analog zum Agravis-Stier in Münstersprühten<br />
die Künstler das Kraftsymbol<br />
an den Siloturm des Futtermittelwerkes<br />
der Agravis-Konzerngesellschaft DoFu<br />
Donaufutter –und verbrauchten 250 Liter<br />
Farbe in 240 Arbeitsstunden.<br />
►Fortsetzung auf Seite 4<br />
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