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Neue Szene Augsburg 2018-06

Stadtmagazin für Augsburg

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Ach, ist das schön hier! Nur der alte Mann auf der anderen Straßenseite<br />

macht mir langsam Sorgen. Anfangs schien er mir ein ganz<br />

normaler, nein mehr noch, ein ausgesprochen gut gekleideter Herr<br />

in sommerlich beigen Leinenjacket und gepflegten Lederschuhen<br />

zu sein, der einen putzigen, wenn auch wachsamen Hund à la Lassie<br />

ausführte. Aber je weiter wir uns den Römerweg entlang bewegen, desto<br />

mehr fällt mir auf, dass mit ihm irgendwas nicht zu stimmen scheint.<br />

Ach, ja, der Römerweg, ihn habe ich mir diesmal als Ziel meines Erkundungsspaziergangs<br />

ausgesucht. Er schien mir eine gute Ergänzung zur Hasengasse<br />

(siehe Ausgabe 05/<strong>2018</strong>). Hier verruchter Abgrund. Dort die stilvolle<br />

Villenstrasse, wo Göggingen am schönsten ist. Es gibt auf den ersten Blick<br />

eigentlich nur eine Sache, die Hasengasse und Römerweg gemeinsam haben:<br />

Die Scheu, einzutreten. So leicht erkennt man sich selbst. Wer die Frage: „Wer<br />

bin ich?“ zügig und ohne philosophische Verrenkungen beantworten will, muss<br />

eigentlich nur beobachten, wovor er zurückschreckt. Zu bürgerlich, um nonchalant<br />

in eine Bordellstraße zu flanieren und zu proletarisch, um unbefangen<br />

in ein Villenviertel zu schlendern. Wieso eigentlich? Gut, bei der Hasengasse<br />

konnte ich die Antwort leicht finden – es gibt einfach keine halbwegs würdige<br />

Art, dort hinzugehen, dafür ist der Zweck zu erniedrigend. Aber was schreckt<br />

mich an einer Straße, in der die mutmaßlichen Leistungsträger der Gesellschaft<br />

wohnen, in der ich vor Kriminalität, zumindest vor Straßenkriminalität, ganz<br />

gewiss keine Angst haben muss? Darüber muss ich nachdenken, während ich<br />

die Namensschilder an den Häusern studiere. Sehr schön. Sehr viele Doktoren<br />

wohnen hier. Sehr hübsch poliert. Hier ist nichts verlottert. Den ein oder<br />

anderen Namen kennt man aus der Lokalpresse, andere beschränken sich auf<br />

den Anfangsbuchstaben oder eine Kombination. Dr. H., M.A., S.Sch., Fam. v. H.<br />

Diskretion ist ein Merkmal stilvollen Lebenswandels, denke ich mir und werde<br />

von dem alten Herren mit Hund aus meinen Gedanken gerissen.<br />

Der arme Mann, was hat er nur? Als ich ihn am Anfang des Weges sah,<br />

wirkte er gesund, jetzt scheint er sich in einem Zustand der Verwirrung zu<br />

befinden. Traurig, was das Alter mit einem macht. Eben ist man noch ein<br />

sportlicher Architekt oder Rechtsanwalt oder Medienmogul und im nächsten<br />

Moment verwechselt man seinen Hund mit dem Kühlschrank. Er steht ein<br />

Dutzend Meter von mir entfernt und schaut irritiert um sich. Die Straße hoch,<br />

die Straße runter, auf seine Schuhe, fragend zu Lassie, fragend zu mir, wieder<br />

zu Lassie, wieder zu mir. Was mag ihm nur durch den Kopf gehen? Ich scheue<br />

mich, ihn anzusprechen. Ich bin hier ja fremd.<br />

Das ist das Gefühl, das mich von Anfang an beschlichen hat und immer<br />

deutlicher wird. Ich bin hier fremd. Aber das ist natürlich unsinnig, ich weiß<br />

es! Denn ich bin ja in jeder Straße, in der ich noch nicht war, zunächst einmal<br />

fremd. Was ist denn an fremden Straßen schlimm? Gar nichts. Es ist nicht nur<br />

Fremdheit... nein... nicht nur Scheu... nein, nein... es ist ... ein schlechtes Gewissen!<br />

Ja! Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich in dieser Straße bin, in der ich<br />

nicht wohne und in der ich im strengen, im gesetzlichen Sinn des Wortes auch<br />

kein berechtigtes Anliegen habe. Ich liefere ja nichts, ich repariere ja nichts, ich<br />

schaue ja nur. Und was sehe ich? Ach, also ich möchte es diplomatisch formulieren.<br />

Es ist ganz offensichtlich nicht so, dass man mit Reichtum (ich behaupte<br />

einfach mal frech, dass jeder, der hier ein Haus besitzt reich ist) zugleich guten<br />

oder gar außergewöhnlich guten Geschmack erwirbt.<br />

Ich denke da zum Beispiel an die Villa XY in Eierschalengelb, hinter deren<br />

Mauer ein stolzer Adler aus Stein über das Anwesen wacht, während vor der<br />

Mauer eine Igelmama mit Kind und eine Hasenmama mit Kind aus Keramik<br />

den Betrachter freudig anstrahlen. Zur Bekräftigung der idyllischen <strong>Szene</strong>rie<br />

prangen Herzen aus Metall über dem tierischen Trio. Aber verrät die Erwartung,<br />

dass reiche Menschen automatisch mehr Stil als die armen Teufel in der<br />

Hasengasse (wo übrigens auch Herzen angebracht sind) haben müssen, verrät<br />

diese Erwartung nicht in erster Linie, dass ich naiv bin und kein Herz für hübschen<br />

Kitsch habe? Dabei liegt die wahre Schönheit des Römerwegs ja gerade in<br />

dem, was nicht menschengemacht ist, nämlich in den vielen schönen Bäumen,<br />

die die Straße säumen. Grün ist in gewisser Weise ja die Farbe des Reichtums.<br />

Es gibt außerhalb der innersten Innenstadt keine Straßen mit Villen, die nicht<br />

mehr oder weniger großzügig begrünt sind. Das ist kein Vorwurf. Ich sage ja<br />

nicht, dass die Reichen den Armen die Bäume wegnehmen, das nicht. Aber so<br />

sehr es den Reichen da und dort auch mal an Geschmack fehlen mag, immer<br />

verstehen sie, dass eine begrünte, naturnahe Umgebung eine Wohltat für die<br />

Seele ist. Ich weiß gar nicht, ob die Viertel des Prekariats immer grau und trist<br />

sind, ich bin ja selbst kein Bewohner eines solchen Viertels, aber wenn ich wetten<br />

müsste...<br />

Oh, der alte Herr überquert jetzt die Straße. Er flüstert seinem Hund etwas<br />

zu, der schaut interessiert. Die beiden stehen jetzt vor der Einfahrt einer Villa<br />

im Bauhausstil und der alte Herr redet, seine Aufgeregtheit mühsam verbergend,<br />

auf einen Mann mittleren Alters im rosafarbenen Polo-Shirt ein. Dabei<br />

versucht er, ich merke es, unbefangen zu wirken und schaut besorgt die Straße<br />

hinab, aber es gelingt ihm nicht. Was mag nur in seinem Kopf vor sich gehen?<br />

Der Mann im Polo-Shirt hört ihm stirnrunzelnd zu, er wirkt jetzt wie ein Arzt,<br />

dem ein überzeugter Hypochonder eine verwegene Selbstdiagnose vorträgt, der<br />

er lediglich mit professioneller Aufmerksamkeit, nicht aber mit einem Therapievorschlag<br />

begegnen kann. Vielleicht ist er ja wirklich Arzt. Über den Köpfen<br />

der<br />

„<br />

beiden, an der Hauswand, hängt eine sehr moderne Überwachungskamera,<br />

eines dieser Modelle, die wie ein rundes Auge auf die Straße blicken.<br />

Das ist auch so eine Sache. Die Sorge um das Eigentum, welche die Besitzer<br />

wertvollerer Immobilien natürlich in einem weit höherem Maß umtreiben<br />

muss als einen beliebigen Siedlerhausbesitzer im Bärenkeller. Denke ich<br />

mir. Ich kenne die genauen Zahlen nicht. Womöglich ziehen Einbrecher die<br />

einfacheren Gegenden vor, weil sie wissen, dass dort zwar weniger Beute, aber<br />

auch weniger Sicherheitsmaßnahmen zu erwarten sind. Aber weiß man, wie<br />

Einbrecher ticken? Es wäre ja höchst riskant, darauf zu zählen, dass Kriminelle<br />

nüchtern abwägen. Allein schon deswegen, weil intelligente Kriminelle genau<br />

auf diese scheinbar sichere Risikokalkulation der reichen und sorgenvollen<br />

Hausbesitzer setzen und dort angreifen, wo man es nicht erwartet. Viele Zeugen<br />

hätten sie hier jedenfalls nicht zu befürchten. Die Straße ist geradezu post<br />

apokalyptisch leer. Wo sind nur all die Menschen, die hier wohnen? Klar, viele<br />

noble Autos, dazwischen Kleinwagen diverser Alten- und Gartenpflegedienste.<br />

Aber keine spielenden Kinder, keine Frauen/Männer mit Einkaufstaschen, kein<br />

Lärm. Erholen sich die Bewohner in ihren Häusern und meiden die Welt da<br />

draußen? Arbeiten sie gerade alle, um sich das Leben hier leisten zu können?<br />

Man weiß es nicht. Es wirkt aber genau besehen alles etwas... ja ... trist. Ich freue<br />

mich gerade darüber, dass mir das Bonmot irgendeines Philosophen einfällt,<br />

der meinte, die Rache Gottes an den Reichen wäre die Langeweile, da merke<br />

ich Bewegung in der Straße.<br />

Der alte Herr, Lassie und der Mann im rosa Polo-Shirt haben sich in Bewegung<br />

gesetzt und gehen auf mich zu. Tatsächlich auf mich. Ich schaue mich um.<br />

Niemand sonst ist zu sehen. Sie gehen sehr selbstbewusst, der alte Herr wirkt<br />

jetzt gar nicht mehr so verwirrt und der Arzt im rosa Polo-Shirt scheint auch<br />

recht zielstrebig zu sein. Sie kommen näher, bleiben vor mir stehen, der Polo-<br />

Shirt-Mann mustert mich ein ganz klein wenig abschätzig.<br />

„Junger Mann, Sie laufen jetzt schon fast eine halbe Stunde hier in der Straße<br />

rum, suchen Sie vielleicht was, oder wohnen Sie hier?“<br />

„Nein, nicht direkt“, murmle ich.<br />

„So, nicht direkt, dann würde ich vorschlagen, dass Sie diese Straße verlassen,<br />

ja?“<br />

Ich nicke. Eine sehr gute Idee.<br />

Junger Mann, suchen Sie vielleicht<br />

was, oder wohnen Sie hier?“<br />

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