04.07.2018 Aufrufe

Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur – Stuttgart in Bewegung – Berichte von unterwegs

ISBN 978-3-86859-509-3 https://www.jovis.de/de/buecher/vorschau/product/reallabor_fuer_nachhaltige_mobilitaetskultur.html

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GEMEINSAM<br />

EXPERIMEN TIEREN<br />

Gesellschaftlichen Wandel gestalten und verstehen<br />

Ra<strong>in</strong>er Kuhn, Sophia Alcántara, Doris L<strong>in</strong>dner, Eric Puttrowait und Marco Sonnberger<br />

<strong>Reallabor</strong>e als e<strong>in</strong> Beteiligungsformat haben<br />

das Potenzial, die Veränderung der Alltagskultur<br />

<strong>in</strong> Richtung Nachhaltigkeit aktiv<br />

voranzubr<strong>in</strong>gen. Indem sie unterschiedliche<br />

Akteure zusammenbr<strong>in</strong>gen, können durch e<strong>in</strong>e<br />

lösungsorientierte Zusammenarbeit vorhandene Barrieren,<br />

wie beispielsweise zwischen Zivilgesellschaft<br />

und Verwaltung, aufgebrochen werden. Der Anspruch,<br />

bestehende Lebenswelten im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er <strong>nachhaltige</strong>n<br />

Entwicklung zu verändern, kann mit dem Partizipationsverständnis<br />

e<strong>in</strong>es emanzipatorischen, demokratietheoretischen<br />

Konzeptes verknüpft werden, welches<br />

darauf abzielt, machtferne Gruppen zu befähigen<br />

und zu beteiligen (vgl. Alcántara et al. 2018). Übertragen<br />

auf die Arbeit <strong>in</strong> <strong>Reallabor</strong>en kann dies die aktive<br />

Förderung und Vernetzung <strong>von</strong> so genannten „Pionieren<br />

des Wandels“ bedeuten. Damit s<strong>in</strong>d Individuen<br />

oder zivilgesellschaftliche Initiativen geme<strong>in</strong>t, die<br />

e<strong>in</strong>en Beitrag zur Entwicklung und Etablierung neuartiger<br />

Verhaltensweisen <strong>in</strong> verschiedenen Bereichen<br />

der Nachhaltigkeit leisten (vgl. Kristof 2010) und dabei<br />

häufig Nischen besetzen. Als Initiatoren und Initiator<strong>in</strong>nen<br />

wirken die Pioniere oftmals <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>erem Maßstab<br />

(vgl. WBGU 2011: 9). Für die Verbreitung ihrer<br />

Ideen s<strong>in</strong>d sie allerd<strong>in</strong>gs auf Multiplikatoren und<br />

Multiplikator<strong>in</strong>nen angewiesen. <strong>Reallabor</strong>e wirken<br />

sich durch entsprechende Vernetzungsaktivitäten und<br />

e<strong>in</strong>e aktive Unterstützung dieser zivilgesellschaftlichen<br />

Akteure unmittelbar auf deren alltägliches<br />

Lebensumfeld und das der Multiplikatoren und Multiplikator<strong>in</strong>nen<br />

aus (vgl. Grießhammer, Brohmann 2015).<br />

Auf diese Weise wird gesellschaftlicher Wandel im<br />

Rahmen <strong>von</strong> <strong>Reallabor</strong>en nicht nur beobachtet und<br />

analysiert, sondern immer auch aktiv vorangetrieben<br />

und gestaltet (vgl. Wagner, Grunwald 2015).<br />

Realexperimente als Forschungsmethode<br />

Um Veränderungen anstoßen und beobachten zu können,<br />

werden <strong>in</strong> <strong>Reallabor</strong>en häufig Realexperimente<br />

durchgeführt. Realexperimente gehören damit zu den<br />

wesentlichen methodischen Elementen e<strong>in</strong>es <strong>Reallabor</strong>s<br />

und gelten als e<strong>in</strong>e hybride Form des Experimentierens.<br />

Im Vergleich mit anderen Formen des<br />

Experimentierens (beispielsweise Feldbeobachtung,<br />

Laborexperiment oder ökologische Implementierung)<br />

lassen sich Realexperimente zwischen den Polen der<br />

Wissensanwendung und der Wissenserzeugung sowie<br />

zwischen der Rekonstruierbarkeit <strong>von</strong> Randbed<strong>in</strong>gungen<br />

und e<strong>in</strong>er situationsspezifischen Ausprägung <strong>von</strong><br />

Randbed<strong>in</strong>gungen verorten (vgl. Groß et al. 2005: 19).<br />

So f<strong>in</strong>den sie nicht wie Laborexperimente <strong>in</strong> geschlossenen<br />

Systemen unter kontrollierten Bed<strong>in</strong>gungen<br />

statt, sondern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em realweltlichen Kontext, <strong>in</strong> dem<br />

sich verschiedene, nicht oder nur teilweise kontrollierbare<br />

E<strong>in</strong>flüsse auf den Verlauf e<strong>in</strong>es Realexperimentes<br />

auswirken können. Daraus ergeben sich oftmals unvorhergesehene<br />

Wendungen und Ereignisse (im S<strong>in</strong>ne<br />

un<strong>in</strong>tendierter Handlungsfolgen, vgl. Giddens 1984),<br />

die auf bisher nicht bedachte Möglichkeiten und Herausforderungen<br />

verweisen. Realexperimente bieten<br />

somit die Möglichkeit, Innovationen zu erproben und<br />

ihre realweltlichen Auswirkungen zu erfassen und zu<br />

analysieren. Solche Innovationen können neuartige<br />

soziale Praktiken (z. B. Urban Garden<strong>in</strong>g), aber auch<br />

neue Technologien, Produkte und Prozesse (z. B. Apps,<br />

E-Rikschas oder Partizipationsformate) se<strong>in</strong>, die sich<br />

auf die Alltagskultur auswirken. Insgesamt stellt das <strong>in</strong><br />

Realexperimenten erworbene Erfahrungswissen e<strong>in</strong>en<br />

Innovationsvorrat dar, der die Alltagskultur bereichern<br />

und strukturelle Veränderungen anstoßen kann.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf Ausgestaltung, Verlauf und <strong>in</strong>haltliche<br />

Schwerpunkte können Realexperimente sehr<br />

vielfältig se<strong>in</strong>. Bisher existiert allerd<strong>in</strong>gs noch ke<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong> anerkannte Typologie, die Realexperimente<br />

anhand bestimmter Charakteristika systematisch unterscheidet.<br />

Ebenso wenig existiert e<strong>in</strong>e umfassende<br />

Def<strong>in</strong>ition <strong>von</strong> Realexperimenten, welche alle Aspekte<br />

abdeckt. In der Literatur werden stattdessen Bed<strong>in</strong>gungen,<br />

Wirkungsweisen und Herausforderungen bei<br />

der Durchführung <strong>von</strong> Realexperimenten beschrieben,<br />

WISSEN<br />

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