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Harald <strong>Kaup</strong><br />
2138 A.D.<br />
- PHOBOS -<br />
Roman<br />
NOEL-Verlag
Originalausgabe<br />
Mai 2018<br />
NOEL-VERLAG<br />
Hans-Stephan Link<br />
Achstraße 28<br />
D-82386 Oberhausen/Oberbayern<br />
www.noel-verlag.de<br />
info@noel-verlag.de<br />
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />
Nationalbibliografie, Frankfurt; ebenso in der Bayerischen Staatsbibliothek<br />
in München.<br />
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Der Autor übernimmt die Verantwortung für den Inhalt des Werkes.<br />
Sämtliche im Werk verwendete Namen sind frei erfunden.<br />
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.<br />
Autor:<br />
Umschlaggestaltung:<br />
Harald <strong>Kaup</strong><br />
Gabriele Benz<br />
1. Auflage<br />
Printed in Germany<br />
ISBN 978-3-95493-292-4
1. Einleitung<br />
17 Jahre!<br />
17 lange, verlustreiche und strapaziöse Jahre währte nun der Überlebenskampf<br />
der Neuen Menschheit in der Black-Eye-Galaxie – mit<br />
wechselhaftem Glück. Zumindest, was den zuletzt hinzugekommenen<br />
Teil dieser Restmenschheit anbetraf. Das Grüppchen um Jan Eggert<br />
hatte sich vor über einem Jahrhundert auf EDEN angesiedelt – 123<br />
Jahre, um genau zu sein. Das vorsichtige Taktieren von Jan Eggert<br />
hatte über mehrere Jahrzehnte dazu beigetragen, dass diese kleine<br />
Gruppe nicht von den richtig Mächtigen dieser Galaxis wahrgenommen<br />
oder gar als störend empfunden wurde. Erst Admiral Thomas Raven<br />
war es gelungen, diesen mal so richtig auf die Füße zu treten. Nun, es<br />
war auch ein Unterschied, ob man für eine Hand voll Menschen einen<br />
Unterschlupf suchte oder ob man gleich mit 50.000 Siedlern die Existenz<br />
der menschlichen Spezies sicherstellen wollte – auf Dauer. Dabei<br />
war das Glück oder die Fügung eine recht launische Braut. Wie sagte<br />
Jan Eggert in seiner unvergleichlich treffenden Art: „Manchmal bist du<br />
der Baum und manchmal bist du der Hund!“<br />
Zu den Nicht-Freunden der Menschen zählten die GENAR mit ihren<br />
Hilfsvölkern der TRAX und vielleicht auch der SEALORDS, wenn<br />
man Letztere als eigenständige Spezies werten will. Daneben war es<br />
nicht ganz von der Hand zu weisen, dass auch mit dem Schlangenvolk<br />
der ANGUIDEN keinesfalls das Kalumet von Chapawee Paco zum<br />
Zwecke der Freundschaft und des Friedens geraucht werden konnte.<br />
Jan Eggert bekam heute noch umgehend Plaque, wenn er an seine<br />
Kämpfchen mit einem gewissen FRAKTORTZ dachte.<br />
Das blaue Volk, also die VENDORA, sah die Neue Menschheit mit<br />
zwiespältigen Gefühlen. Manche hassten sie, weil sie an der 33er Invasion<br />
beteiligt gewesen waren und an der Seite der TRAX gegen<br />
AGUA gekämpft hatten. Andere sahen in ihnen Verführte, die ihr<br />
eigentliches Temperament nicht im Zaum halten konnten und nun<br />
litten. Zu diesem Wechselbad der Gefühle kam noch hinzu, dass man<br />
dem ehemaligen Präsidenten von VENDORA, einem gewissen Almat,<br />
Asyl auf AGUA gewährt hatte. Zusammen mit seiner Großfamilie,<br />
über 130 Individuen, bevölkerte er das so genannte BLUE VALLEY<br />
und störte nicht weiter – außer an Bord der SHOTAI.<br />
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Mit dem ausufernden Hang zum Überreagieren war er als Gunner eine<br />
beständige Gefahr – nicht nur für seine Feinde. Admiral Thomas Raven<br />
hatte schließlich ein Einsehen und den BLAUEN aufgefordert, sich<br />
wieder um seine Familie zu kümmern. Dabei – die familieneigenen<br />
>Fachleute
Die ACASPA: Die Echsenwesen waren nach den MAROON die<br />
zweite Spezies, die den Menschen freundlich entgegentrat.<br />
Nach Thomas Rettungsaktion 2122 auf ACASPA, man erinnert sich an<br />
die Rettung von Ewa und zwölf Kindern, und der Rettung der gesamten<br />
Spezies, waren diese sanften Wesen den Menschen in tiefer<br />
Freundschaft zugetan. Man sollte keine ACASPA der weiblich geführten<br />
Spezies unterschätzen: Entschloss sich eine Echse zum Kampf –<br />
wollte sie töten. Im direkten und körperlichen Vergleich waren sie die<br />
stärkste Spezies. Allerdings verfügten diese nur über ein paar größere<br />
Transportraumschiffe ohne Kampfkraft. Thomas hatte sich entschlossen,<br />
diese Wesen unter seine Fittiche zu nehmen und vor den TRAX zu<br />
schützen. Da sie zeitliche Begriffe wie: sofort, jetzt, nachher oder übermorgen<br />
kaum voneinander unterscheiden konnten, schieden sie auch<br />
an Bord der SHOTAI aus.<br />
Die MANCHAR: Die sich von Photosynthese ernährende grüne Spezies<br />
kam den Menschen noch am nächsten. Allerdings bewohnten diese<br />
ein System in der Milchstraße. Ein Umstand, der bei der Bergung von<br />
>X4HJ< an Gewicht zunahm. Hier basierte die Freundschaft auf zahlreichen<br />
persönlichen Kontakten zwischen Menschen und MANCHAR.<br />
Soweit zum Stand der Neuen Menschheit betreffend Freund und<br />
Feind. Der Berichtende geht davon aus, dass die Spezies der GENUI<br />
und der GENAR keiner weiteren Erläuterung bedarf.<br />
Zuletzt war es Thomas Raven gelungen, bei der Beerdigung seines<br />
Freundes Jonathan Baines auf dem MARS, das dringend gesuchte<br />
>X4HJ< zu finden, und zwar in ausreichender Menge. Mit Hilfe der so<br />
auf MANCHAR eilends hergestellten WL-Torpedos konnte die Blockadeflotte<br />
aus GENAR, TRAX und ANGUIDEN am Galaxiswurmloch<br />
auf der Milchstraßenseite außer Gefecht gesetzt werden. Der<br />
ULURU, sowie der GROSCHTAR II und der REVENGE glückte der<br />
Durchbruch und damit die Rückkehr nach AGUA. Bei einer >Betriebsversammlung<<br />
am 09.06.2137 auf GREEN COAST FARM gab der<br />
Admiral die Devise aus, dass man den MARS wegen seiner bisher<br />
einzigen >X4HJ
Admiral Thomas Raven gelang es, ein ganz klein wenig aufzuatmen.<br />
Schien es doch so, dass die WL-Torpedos in der Lage waren, die<br />
feindlichen GENAR und ihre Hilfsvölker zumindest auf Distanz zu<br />
halten. Damit wäre der Admiral schon glücklich gewesen.<br />
Dann hatte man noch eines GENAR habhaft werden können: Lokor-<br />
Wit. Der Gefangene konnte zwar keine Auskunft bezüglich seines<br />
Heimatplaneten geben, es waren biologische Sicherheiten in seinem<br />
Hirn implantiert, aber Ekaterina Granowski fasste gerade in einem<br />
epischen Bericht zusammen, was dieser GENAR ausgesagt hatte.<br />
Admiral Raven hatte sich vorgenommen, erst den Bericht zu lesen und<br />
dann mit diesem Typen zu sprechen – zumindest hatte er das so vor.<br />
Im Übrigen lief die Gemeinschaftsproduktion der Klasse D-Raumer<br />
auf GENUA 3 gut. Hank Morgan sorgte um diese Werft herum für<br />
eine gewisse Kurzweil und so konnten perfekt ausgerüstete D-Raumer<br />
kampfklar die dortige Werft verlassen. Die nötigen Einbauteile schaffte<br />
immer noch die KRAKAU unter Bozena Nowak heran.<br />
Soweit war alles in Ordnung – bei der Neuen Menschheit.<br />
06.05.2137, irgendwo in der Black-Eye-Galaxie:<br />
Tula-Ram war dem Wahnsinn nahe. Seit sechs Wochen hockte sie jetzt<br />
in diesem Rettungsgerät, starrte auf die glatten Wände in matter Metalloptik<br />
und nichts wies darauf hin, dass sie irgendwann ihr Ziel erreichen<br />
würde. Lebensmittelversorgung und Lebenserhaltung funktionierten –<br />
leidlich. Bei ihrer Bewerbung zur Raumflotte war sie ausreichend auf<br />
Klaustrophobie getestet worden. Nun schien es ihr, dass die Rettungskapsel<br />
jeden Tag ein Stück kleiner wurde. Sie schalt sich einen Narren –<br />
das Gefühl blieb trotzdem. Mindestens fünfmal pro Stunde war sie der<br />
Meinung, die Filteranlagen der Atemluft würden versagen. Nun, stinken<br />
tat es schon in der engen Kabine. Schuld daran war die mangelhafte<br />
Wartung und Konstruktion der Rettungskapseln. Seit ein paar tausend<br />
Jahren waren diese Dinger nicht mehr benutzt worden. Sie hatten daher<br />
in der Entwicklung nicht mit dem modernen Schiffsbau mithalten können.<br />
Es gab sie, weil irgendeine veraltete Vorschrift es eben bestimmte.<br />
Eine Notwendigkeit sah niemand – bisher.<br />
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Mangels Gebrauch waren sie daher die Stiefkinder der Entwickler. Das<br />
führte jetzt dazu, dass der Verschluss des Behälters für die zwangsweise<br />
von Tula-Ram anfallenden Exkremente defekt war. Und bei einem<br />
derartigen Mangel versagte die Energiegewinnung daraus. Mit anderen<br />
Worten: unhygienisch und wurde immer mehr. Dasselbe traf auf die<br />
Ultraschalldusche zu. Die GENAR hatte gleich nach dem hektischen<br />
Start einen heftigen Ruck und einen ohrenbetäubenden Knall wahrgenommen.<br />
Ihre Kapsel war mit irgendwas, wahrscheinlich ein Trümmerteil<br />
ihres ehemaligen Flaggschiffes, zusammengeprallt. Einige rot blinkende<br />
Warnlämpchen wiesen mehr oder weniger darauf hin. Tula-Rams<br />
Versuch, so etwas wie eine Reparatur vorzunehmen, war kläglich gescheitert.<br />
Sie hatte einige der Verkleidungsplatten abgenommen und<br />
dann auf die Technik geschaut wie ein Sandfrettchen von HASTRA 4<br />
in einen Molekularmodulator. Ursache war ihre weitgehende Abstinenz<br />
in technischer Ausbildung. An der Flottenakademie hatte sie stattdessen<br />
reichlich Bettübungen mit dem Kursleiter veranstaltet. Völlig ermattet<br />
hatte ihr der ältere GENAR außergewöhnliches technisches Verständnis<br />
bescheinigt. Die übrigen Absolventen hatten sich immer gewundert,<br />
warum dieser immer so müde war, so leise sprach, dass ihn kaum<br />
jemand verstehen konnte und Tula-Ram als Klassenbeste jegliche technische<br />
Diskussion mit ihnen verweigerte. Nun funktionierte die Dusche<br />
nur noch sehr unzuverlässig bis gar nicht. Bei allen Fehlern hatte Tula-<br />
Ram immer Wert auf einen sehr gepflegten Körper gelegt. Schließlich<br />
war sie auf dessen Attraktivität mehr angewiesen als andere. Umso<br />
mehr litt sie nun unter mangelnder Körperpflege und dieser stinkende<br />
Haufen dort hinten ...<br />
Das Gleiche traf auf die Navigationsinstrumente zu. Tula-Ram flog<br />
blind – wenn sie denn überhaupt flog. Sie wusste es nicht einmal.<br />
Vielleicht stand diese Kapsel auch seit mehreren Wochen auf der Stelle<br />
und bewegte sich gar nicht – oder war dabei in eine Sonne zu stürzen.<br />
Ihr wurde regelmäßig übel.<br />
Hin und wieder dachte sie an Lokor-Wit und gönnte sich die Erinnerung<br />
an sein völlig überraschtes und dann entsetztes Gesicht, als sie ihn<br />
gewaltsam von der Rettung ausschloss. Sie lachte dann immer hysterisch<br />
und freute sich. Anders gestaltete sich das Wiedersehen mit dem<br />
GENAR, wenn sie mal schlief. Das letzte Mal war er ihr im Traum<br />
erschienen. Ganz nah war er an ihrem Gesicht und sagte mit Grabesstimme:<br />
„Und du stirbst auch!“ Sie war hochgeschreckt und hatte wie<br />
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eine Irre mit den Fäusten auf die Wände und Instrumente eingeschlagen<br />
– keine Reaktion. Sie hatte zwei Stunden gebraucht, um sich<br />
einigermaßen zu beruhigen.<br />
Tula-Ram hatte schon einige Möglichkeiten durchdacht, ihrem Leben<br />
ein Ende zu setzen. Der erste Versuch, nach etwa vier – es können<br />
auch fünf gewesen sein – Wochen, war kläglich gescheitert. Sie hatte<br />
versucht, die Schleuse zu öffnen. Ein relativ schneller Tod im eiskalten<br />
Vakuum erschien ihr besser als das langsame Vergammeln an Bord<br />
dieses stählernen Sarges. Hätte sie damals am Tisch des Instruktors<br />
gesessen und nicht darauf für diverse Spiele gelegen, wäre ihr bekannt<br />
gewesen, dass man das Schott einer Rettungskapsel nicht aufbekommt,<br />
wenn draußen keine Atmosphäre herrscht. Um die Sicherheitsvorkehrung<br />
zu umgehen, war sie zu – siehe oben ...<br />
Zwei Wochen hatte sie über diesen Schritt nachgedacht und als sie ihn<br />
dann nicht gehen konnte, war sie völlig ernüchtert. Nicht mal der<br />
Ausweg über den Tod aus diesem Ding heraus war ihr vergönnt. Sie<br />
kam sich vor, wie lebendig begraben. Der Stress, so kurz vor dem Tod<br />
zu sein und dann dieser Frust – Tula-Ram drohte dem Wahnsinn zu<br />
verfallen. Nach zwei Tagen war sie wieder soweit klar, dass sie sich<br />
nach einer neuen Art Suizid umsehen konnte. Es gab nicht einen<br />
scharfen Gegenstand in der gesamten Kapsel!<br />
In ihrem mittlerweile kranken Hirn war die Selbsttötung nun zur fixen<br />
Idee geworden. Sie würde das Schicksal überlisten und ihrem unwürdigen<br />
Dasein selbst ein Ende setzen! Sie hatte sich vorgenommen,<br />
Körperteile >abzubindenschlechte< Blut sie vergiften. Sie hatte sich gerade irgendein Band<br />
genommen und wollte zur Tat schreiten, als sich die Notdurft meldete.<br />
In typisch menschlicher Manier sackten ihr die Schultern nach unten.<br />
Das jetzt auch noch! Sie würde es bis zu ihrem Tod nicht aushalten,<br />
ohne größere Geschäfte. Warum noch leiden, so kurz vor dem Tod,<br />
dachte sie und ihr wurde bald übel, als sie den Deckel ...<br />
Als sie dort hockte und über ihr allzu kurzes Leben nachdachte, begann<br />
es zu knistern. Aufmerksam schaute sie sich um. Ihr Hörsinn schien<br />
seine Möglichkeiten bis ins Unendliche vergrößert zu haben. So scharfe<br />
Sinne haben nur Individuen, die unter unglaublichem Stress stehen.<br />
Dann dröhnte es laut aus einem verdeckten Lautsprecher und die Frau<br />
zuckte erschrocken zusammen: „RK 3243! Identifizier dich!“<br />
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Im Nu war Tula-Ram wieder voll Lebensmut. Ein Blick auf die Wand,<br />
dort stand >RK 3243
geprägten Verfolgungswahn gehalten. Nun war sie bereit, diese These<br />
mit eigenen Aussagen zu mehr Gewicht zu verhelfen.<br />
So würde sie es machen!<br />
Mit etwas Glück und entsprechendem >Einsatz< käme sie eventuell<br />
mit heiler Haut davon. Es kam darauf an, wer den Chefankläger<br />
machte.<br />
Das Poltern draußen nahm zu. Die Einstiegsluke klemmte wohl und<br />
man ging mit brachialen Mitteln vor. Mit chemischen Mitteln fräste<br />
man sich durch das Schott. Schließlich schepperte es und grelles Licht<br />
drang in die Rettungskapsel. Draußen hörte man ein ersticktes Stöhnen.<br />
„Hallo, ist da jemand?“<br />
„Ich bin Tula-Ram ...“, weiter kam die GENAR nicht.<br />
„Aussteigen!“<br />
„Ich bin Captain der HACH-TAR und ...“<br />
„AUSSTEIGEN!“<br />
Vorsichtig kroch die Frau aus der Sphäre und richtete sich draußen im<br />
grellen Licht eines Landedecks auf. Es standen sechs schwer bewaffnete<br />
Kämpfer um sie herum, die allesamt gleich mehrere Meter zurückwichen.<br />
Das hatte sie als attraktive Frau noch nicht erlebt.<br />
Einer von ihnen trat etwas vor und verzog das Gesicht: „Warst du<br />
allein in der Sphäre?“<br />
„Ja, ich ...“<br />
Der Sprecher trat vor, zog eine kleine Thermalgranate aus seiner<br />
Hosentasche, stellte an dem Gerät herum und warf es in die geöffnete<br />
Schleuse: „KRAFTFELD UM DIE RK UND ANSCHLIESSEND<br />
IN DEN RAUM DAMIT!“<br />
Tula-Ram sah zu, wie die Rettungskapsel von unsichtbaren Kräften<br />
erfasst und durch das Kraftfeld am Ende des Landedecks in den Raum<br />
gestoßen wurde. Dann begann sie weiß zu strahlen und verglühte.<br />
Der Anführer der Kämpfer sprach in sein Funkgerät und nutzte offensichtlich<br />
ein Schallfeld, denn Tula-Ram konnte seine Worte nicht verstehen.<br />
Danach nickte er zweien seiner Leute zu: „Zum Oberkommando!“<br />
Die beiden kamen auf Tula-Ram zu.<br />
„Ich will zunächst eine Hygiene-Zelle“, forderte sie.<br />
„Abgelehnt. Der Oberkommandierende will dich sofort sprechen!“<br />
„Ich kann so niemandem unter die Augen treten“, bekräftigte Tula-<br />
Ram.<br />
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„Das ist nicht mein Problem. Notfalls wenden wir Gewalt an!“<br />
„Ihr werdet es nicht wagen ...“, begann die GENAR, aber als die<br />
beiden Angesprochenen sich ihr drohend näherten, verstummte sie.<br />
Wenig später war sie in netter Gesellschaft innerhalb einer fensterlosen<br />
Sphäre unterwegs. Auffallend war, dass ihre Begleiter den größtmöglichen<br />
Abstand zu ihr einhielten.<br />
Tula-Ram fühlte sich unbehaglich: „Wer ist zurzeit der Oberkommandierende?“<br />
Ihre Bewacher, davon musste sie mittlerweile ausgehen, nahmen weder<br />
von ihr noch von der Frage Notiz. Es war weit gekommen, dass eine<br />
Captain keine Antwort von einem Mitglied der Bodentruppen bekam.<br />
Was ging im System der GENAR vor? Hatte sie irgendwas in den<br />
letzten Wochen verpasst?<br />
Tula-Ram zog es vor, zu schweigen.<br />
Der Flug dauerte mehr als zwei Stunden und der GENAR fiel es nicht<br />
leicht, nach so langer Einsamkeit nicht kommunizieren zu können.<br />
Dennoch hielt sie das Schweigen eisern durch. Schließlich standen ihre<br />
Begleiter auf. Offensichtlich war man gelandet. Mit dem Wink einer<br />
Waffe wurde sie aufgefordert, sich zu erheben. Einer ging vor und sie<br />
hatte zu folgen.<br />
Draußen war es dunkel. Sie waren im Innenhof des Gebäudes vom<br />
Oberkommando gelandet. Tula-Ram kannte das Gebäude recht gut.<br />
Wortlos brachten die Bewaffneten die Captain der HACH-TAR ins<br />
Innere des Gebäudes und dort in einen Aufzug. Der Aufzug fuhr mit<br />
beachtenswerter Schnelligkeit 344 Stockwerke hoch. Es ging also in die<br />
höchste Etage – es gab keine weiteren Stockwerke.<br />
Oben angekommen gab es keinen Flur. Tula-Ram wusste das. Wenn<br />
sich die Tür öffnete, stand sie dem Oberkommandierenden gegenüber.<br />
Dann tat sie es und ihr Begleiter blieben einfach stehen. Tula-Ram sah<br />
wegen Dunkelheit nicht viel und als sie zögerte, stellte sie den Lauf<br />
einer Waffe in ihrem Rücken fest. Sie wurde höchst unhöflich mehr<br />
oder weniger aus der Kabine gestoßen. Hinter ihr schloss sich die Tür<br />
und über ihr ging ein Licht an. Sie blinzelte und konnte nur einzelne<br />
Lichter erkennen, die von außerhalb durch die Glasbegrenzung des<br />
riesenhaften Büros hineinschienen. Sie erkannte auch einen großen<br />
Schreibtisch mit entsprechender Nachrichtentechnik und einer altertümlich<br />
anmutenden Lampe darauf. Diese tauchte den Tisch in einen<br />
geradezu mystischen Schein.<br />
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Sie spürte, dass noch mindestens eine weitere Person im Raum war,<br />
aber so sehr sie auch blinzelte und versuchte, ihre Augen an die Dunkelheit<br />
zu gewöhnen – es gelang ihr nicht. Nach fünf Minuten räusperte<br />
sie sich.<br />
„Du stinkst!“ Eine männliche Stimme schien aus dem Nichts zu<br />
kommen. Tula-Ram konnte nicht einmal die Richtung bestimmen, wo<br />
dieser Mann stand.<br />
„Man hat mir die Hygiene verweigert“, brachte sie mühsam hervor.<br />
„Meine Rettungskapsel war defekt und ...“<br />
Der Unbekannte ließ sie nicht aussprechen: „Wir hatten nicht mehr mit<br />
dir gerechnet, Tula-Ram!“<br />
„Ich weiß, mein XO ...“, die GENAR wollte ihre schnell zusammengestrickte<br />
Geschichte hervorbringen, als sie wieder unterbrochen wurde.<br />
„Schweig!“<br />
Tula-Ram klappte ihren Mund zu. Sollte sie sich nicht einmal verteidigen<br />
dürfen, überlegte sie, dann sprach der Unbekannte weiter: „Du hast<br />
den zweiten Einsatz hintereinander an die Wand gefahren, Tula-Ram.<br />
Normalerweise lassen wir das Niemandem durchgehen und eigentlich<br />
wärest du schon längst auf dem Weg zu einer Kalt-Welt.“<br />
Tula-Ram kam die Stimme bekannt vor. Sicher, mit dem hatte sie doch<br />
auch schon ...<br />
„Hoch-Lat, bist du das?“<br />
„Ah, du erinnerst dich an unsere Bettgeschichte“, kam es leicht süffisant<br />
aus dem Dunkeln.<br />
„Ich genoss es“, bestätigte Tula-Ram sehr schnell und überlegte, welche<br />
Vorlieben dieser Vorgesetzte hatte.<br />
„Sicher, sicher“, kam es wenig begeistert zurück.<br />
„Was habt ihr mit mir vor?“, fragte Tula-Ram jetzt etwas mutiger, denn<br />
der Begriff >eigentlich< schloss eine Deportation aus.<br />
„Es ist viel passiert, nachdem die HACH-TAR untergegangen ist“,<br />
seufzte der Oberkommandierende. „Unter deiner Besatzung war mindestens<br />
ein Angehöriger des Widerstandes. Die Nachricht vom Untergang<br />
des Flaggschiffes machte hier auf GENAR schneller die Runde,<br />
als wir es verhindern konnten. Der Widerstand ist erheblich größer, als<br />
es unser Geheimdienst angenommen hatte. Sie fühlten sich jetzt stark<br />
genug, sich gegen uns zu erheben. Innerhalb weniger Minuten wurden<br />
auf ein geheimes Signal fast 50% unserer Führungskräfte von den Verrätern<br />
umgebracht. Ich entging nur sehr knapp einem Attentat.“<br />
12
„Das ist ungeheuerlich“, antwortete Tula-Ram atemlos. Die Welt auf<br />
GENAR schien Kopf zu stehen.<br />
„Ist es das?“, fragte Hoch-Lat provokant, wartete jedoch keine Antwort<br />
ab und redete sofort weiter: „Wir haben einen akuten Mangel an Führungskräften.<br />
Diese Tatsache und meine Neigungen für ganz bestimmte<br />
Dinge sind für dich eine dritte Chance. Du wirst, bis ein Schiff für dich<br />
frei wird, hier auf GENAR eine Terror-Bekämpfungstruppe anführen!<br />
Der Widerstand ist noch lange nicht besiegt!“<br />
„Ich habe verstanden!“, sagte Tula-Ram und überlegte, welche ganz<br />
bestimmten Neigungen dieser Hoch-Lat hatte. Es fiel ihr beim besten<br />
Willen nicht ein. Dann flammte Licht auf und der GENAR stand gar<br />
nicht mal so weit von ihr entfernt. Als sie in seine Augen sah, wusste sie<br />
es sofort und ihr wurde leicht übel. Selbst für sie war das eine heftige<br />
Überwindung. Der Mann hatte, was bei den GENAR recht selten war,<br />
schwarze Augen – matt.<br />
„Du kennst dich in diesem Gebäude aus, Tula-Ram. Säubere dich. Ich<br />
erwarte dich in einer Stunde vorzeigbar zurück!“<br />
„Ja“, würgte sie hervor und ging durch die sich öffnende Tür in die<br />
Aufzugkabine.<br />
13.06.2137, 13:00 Uhr, AGUA, Penthouse:<br />
Dr. Anna Svenska nahm die Treppe zum obersten Stockwerk des SCA-<br />
Gebäudes. Ein paar Droiden waren dabei, den Antigrav-Aufzug auszubauen<br />
und gegen einen Turbolift auszutauschen. Die Akademieleitung<br />
hatte sich dazu ausgesprochen, weil die weiblichen Absolventen auch<br />
mal Röcke ... und wenn die Jungs – es war besser so. Der Admiral hatte<br />
das abgesegnet und nun musste man für mehrere Tage eben die Treppe<br />
benutzen.<br />
Die junge Schwedin fand die Möglichkeit zur Bewegung recht gut und<br />
im vierten Monat konnte von einer Belastung durch das Ungeborene<br />
noch nicht die Rede sein. Sie kam oben an und die Tür zum Admirals-<br />
Trakt öffnete sich vor ihr. In Erwartung, gleich Lea gegenüber zu<br />
stehen, ging Anna weiter. Dann sah sie hinter Leas Schreibtisch zwei<br />
junge Mädchen sitzen. Sie glichen sich bis aufs Haar – es waren eineiige<br />
Zwillinge. Als nahezu ständiger Gast auf GREEN COAST FARM<br />
kannte Anna die beiden knapp 13-Jährigen: Es waren Elara und Hana,<br />
die Töchter von Lutz Heinken und Shelly Buckley.<br />
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Irgendwie kamen die Mädchen nach dem Vater, denn das kräftige Rot<br />
im Haar fehlte völlig. Dafür gab es runde Gesichter und ein paar anständige<br />
Pausbäckchen – noch ein wenig Babyspeck eben. Trotzdem<br />
waren die beiden recht munter und ständig zu irgendwelchen Streichen<br />
aufgelegt. Sie hatten auch ständig die gleiche Kleidung an, was die<br />
Unterscheidung auch nicht einfacher machte.<br />
„Hallo“, grüßte Anna freundlich. „Was macht ihr denn hier?“<br />
„Wir vertreten Lea“, kam es selbstbewusst aus einem der Münder.<br />
„So? Einfach so?“ Anna wunderte sich.<br />
„Wir machen ein vierwöchiges Schulpraktikum“, kam dann die Information<br />
an Anna.<br />
„Okay“, sagte Anna und sah sich nach Lea um.<br />
„Lea besorgt das Mittagessen für den Admiral aus der Kantine“, sagte<br />
eines der Mädchen.<br />
Nun stand Anna da und sah die Kinder fragend an: „Und nun?“<br />
„Was denn?“<br />
„Ich denke, ihr vertretet Lea. Dann macht mal!“ Anna machte es Spaß,<br />
die beiden Möchtegern-Assistentinnen mal etwas auf den Zahn zu<br />
fühlen.<br />
„Du willst zum Admiral?“, fragte eine der beiden und Anna nickte.<br />
„Wen dürfen wir melden?“, fragte die andere keck, um gleich darauf<br />
einen Ellenbogenstoß von ihrer Schwester zu bekommen: „Mensch,<br />
wir kennen die doch!“<br />
Die Gerügte fasste sich schnell: „Hast du einen Termin, Anna?“<br />
„Nein, habe ich nicht.“<br />
„Oh“, man sah die Enttäuschung in den Gesichtern der Mädchen.<br />
„Der Admiral ist schwer beschäftigt.“<br />
„Das ist er immer“, antwortete Anna schmunzelnd. „Was haltet ihr<br />
davon, wenn ihr ihm einfach Bescheid sagt, dass ich ihn zu sprechen<br />
wünsche?“<br />
Elara und Hana sahen sich an. „Ich bin dran“, sagte eine, sprang auf<br />
und hüpfte in Richtung des Arbeitsplatzes von Thomas Raven weg.<br />
Man hört dann dünn ihr Stimmchen: „Thomas, Anna möchte dich<br />
sprechen!“<br />
„Ist gut! Schick sie zu mir, Elara!“<br />
„Ich bin Hana!“<br />
Anna hörte ein leises Knurren: „Wo ist dein Namensschildchen oder<br />
das >H
„Ups, vergessen“, kam es fröhlich zurück.<br />
„Also gut, Hana. Schick mir bitte Anna und sag deiner Schwester, sie<br />
soll uns zwei Kaffee bringen.“<br />
Anna drehte sich zu Elara: „Für mich bitte einen Tee, Elara.“<br />
Elara nickte, und kurz darauf wurde Anna von der Anmelderin abgeholt<br />
und zum Admiral gebracht. Sie hätte auch gleich durchgehen können,<br />
aber sie wollte keine Spielverderberin sein.<br />
Mit einem ‚Hier ist sie‘ wurde sie beim Admiral abgeliefert.<br />
Thomas begrüßte die kupferblonde Schwedin sehr freundlich. Man<br />
setzte sich an den runden Tisch und der Admiral erkundigte sich nach<br />
dem Wohlbefinden: „Wie geht es dir, Anna. Wie verträgst du deine<br />
Schwangerschaft?“<br />
„Nun“, unbewusst legte sie eine Hand auf ihren noch nicht wirklich<br />
vorhandenen Bauch. „Manchmal ist mir schon etwas übel – morgens.“<br />
Thomas lächelte: „Ewa hat beim ersten Kind in den ersten drei Monaten<br />
abgenommen. Ihr ging es fast jeden Morgen schlecht.“<br />
In diesem Moment wurde der Kaffee gebracht – zwei Tassen, keinen<br />
Tee.<br />
„Danke, Elara“, sagte der Admiral.<br />
„Ich bin Hana“, sagte das Mädchen.<br />
„Aber ich hatte doch ...“, begann der Admiral.<br />
„Ich war dran“, sagte Hana und verschwand mit dem leeren Tablett.<br />
Thomas fasste sich an den Kopf, schloss die Augen und flüsterte: „Die<br />
beiden machen mich wahnsinnig!“<br />
Anna lachte leise: „Aber sie sind so bemüht und niedlich dabei.“<br />
Thomas schaute seine Gesprächspartnerin mit unendlicher Leidensmiene<br />
an: „Das ist es ja. Meinst du, ich würde mir das sonst gefallen<br />
lassen?“<br />
In diesem Moment hörte man die Bürotür und Lea schleppte das<br />
Mittagessen für Thomas heran.<br />
„Oh, hallo Anna.“<br />
„Hallo Lea, du hast heute Verstärkung?“, erkundigte sich die Schwedin.<br />
Lea nickte mit schmerzlichem Gesicht.<br />
„Stell das Tablett bitte in die Küche“, wurde die Assistentin von Thomas<br />
gebeten. „Apropos Verstärkung!“ Thomas winkte Lea mit einem<br />
Zeigefinger zu sich heran und flüsterte ihr dann zu: „Es wird Zeit, dass<br />
wir die Zügel ein wenig anziehen. Erstens will ich ab sofort, dass beide<br />
ein Namensschildchen tragen.“<br />
15
„Geht klar, Thomas“, bestätigte Lea.<br />
„Zweitens: Wenn ich an eine von beiden einen Auftrag gebe, dann will<br />
ich auch, dass diese ihn durchführt. Mir ist es völlig egal, wer gerade<br />
dran ist, klar?“<br />
„Klar, Chef. Ich kümmere mich drum“, versicherte Lea und enteilte mit<br />
dem Tablett.<br />
Mit einem entsagungsvollen Seufzer wandte sich Thomas seiner Besucherin<br />
zu: „Ich nehme heute nur noch gute Nachrichten an, Anna.<br />
Was verschafft mir die Freude deines Besuches?“<br />
Anna machte ein bedenkliches Gesicht: „Wie man es nimmt. Es geht<br />
um die WL-Torpedos!“<br />
„Also ganz oben auf unserer Wichtigkeitsskala“, stellte Thomas beunruhigt<br />
fest.<br />
„Ja. Wir haben jetzt Folgendes festgestellt: Bei der Ganymed-Version<br />
überschreiten wir die kritische Masse des >X4HJX4HJfrische< Torpedos an Bord<br />
der Schiffe zu halten.<br />
„Ihr habt in eurer Ideenschmiede doch bestimmt schon den Ansatz<br />
einer Lösung“, hoffte Thomas.<br />
Anna nickte selbstbewusst: „Haben wir! Die WL-Phantom-2! Willst du<br />
sie sehen? Sollen wir einen Termin machen?“<br />
„Hm“, Thomas Gesicht zeigte Sorgenfalten. „Das Thema ist überaus<br />
wichtig.“ Laut rief er in Richtung Leas Schreibtisch: „Habe ich heute<br />
noch Termine?“<br />
16
Kurz darauf tauchte eine der beiden Zwillinge auf. Anna musste sich<br />
das Lachen verkneifen. Auf der Brust des Mädchens prangte ein sicher<br />
DIN A4-großer Zettel mit der Aufschrift >Ich bin ElaraX4HJ
Thomas sah nachdenklich auf die Waffe: „Unsere Zukunft ist ein<br />
Vernichtungsinstrument. Nicht, dass ich mich dabei wohlfühle. Aber<br />
dennoch: Meinen Respekt vor eurer Leistung. Ich bin stolz auf euch.<br />
Habt vielen Dank dafür. Ja, nehmt Kontakt mit Phil auf. Ich will diese<br />
Dinger auf jedem Schiff. Das soll unsere hauptsächliche Waffe werden.<br />
Ich werde Phil bitten, bei jedem Aufenthalt eines Schiffes in der Werft,<br />
zusätzliche Launcher für diese Waffe einzubauen.“<br />
Thomas wandte sich an Anna: „Bitte Scott, seine STEPHEN HAW-<br />
KING nach Phil zu überstellen. Die Full-Force soll als Erste diese<br />
Torpedos erhalten und auch zusätzliche Abschusslafetten. Er soll sich<br />
einen Termin in der Werft holen.“<br />
Anna nickte: „Mach ich. Das wird ihn freuen!“<br />
Thomas verbeugte sich ein klein wenig: „Meinen Dank. Die Herren,<br />
meine Dame, ich darf mich verabschieden. Auf mich warten drei engagierte<br />
junge Nachwuchsführungskräfte.“<br />
17:00 Uhr, AGUA, LORADO-Farm:<br />
General Ron Dekker und Lewis Duncan hatten festgestellt, dass sie so<br />
etwas wie >Brüder im Geiste< waren. Das Abbild eines texanischen<br />
Rinderbarons und der Marine-Chef pflegten eine gute Freundschaft.<br />
Lewis lud den General dazu hin und wieder auf die Farm ein. Während<br />
Cindy Duncan und Suzan Bookley im Farmgebäude weilten und die<br />
Hausherrin der Besucherin zeigte, wie man zum Beispiel selbst Kuchen<br />
backte, weilten die beiden Ehegatten an der frischen Luft und gingen<br />
einfach spazieren. Der Weg führte die beiden Männer zwischen den<br />
großzügigen Koppeln mit den weiß gestrichenen Zäunen hindurch.<br />
„Mensch, Lewis. Ich wollte dich immer schon mal fragen: Warum diese<br />
Einzäunung? Es ist doch kein Tier drin.“ Die beiden Männer hatten<br />
eine Anhöhe erreicht und Ron war stehengeblieben. Er sah sich um.<br />
Lewis winkte: „Komm her. Hier steht eine Bank. Ich erzähle es dir<br />
gerne.“<br />
Tatsächlich entdeckte Ron eine ebenfalls weiß gestrichene Bank, die<br />
von einigen Büschen umrahmt war. Beide Männer setzten sich und<br />
Ron bewunderte den Ausblick. Man sah mehrere dieser Felder und<br />
irgendwo dahinten auch das große Farmgebäude im typischen Westernstil.<br />
Aus einem Kamin qualmte es etwas.<br />
„Gleich gibt es sicherlich wieder Kuchen“, vermutete Lewis.<br />
18
„Deine Frau macht den leckersten Obstkuchen überhaupt“, versicherte<br />
Ron. „Aber lenk nicht ab! Du hast Maschinen zum Rasenmähen, aber<br />
trotzdem – warum? Warum die ganze Arbeit?“<br />
Lewis druckste ein wenig herum und entnahm seinem mitgeführten<br />
Rucksack zwei Flaschen Bier. Er öffnete sie und gab eine Ron: „Prost!“<br />
„Prost!“<br />
„Du willst mir doch nicht sagen, dass du hier Longhorns rumlaufen<br />
haben willst“, sagte Ron, nachdem er die Flasche halbleer wieder abgesetzt<br />
hatte.<br />
„Wer spricht denn von Rindern?“, tat Lewis erstaunt. „Ich war damals<br />
in Texas einer der wenigen Leute, die Pferde besaßen. Es hat mir außergewöhnlich<br />
wehgetan, meine Lieblinge zurückzulassen, als wir in die<br />
Stasekisten stiegen. Das war, neben der Auswahl der Ehefrau, eine der<br />
härtesten Entscheidungen.“<br />
„Bereut?“<br />
Lewis schüttelte den Kopf: „Beides nicht. Cindy ist meine große Liebe.<br />
Sie kann mit mir Polterkopp gut umgehen. Bei ihr komme ich zur Ruhe<br />
– sie ist ein Engel. Und hier ist auch mein Sohn erwachsen geworden.<br />
Ich hatte nicht gedacht, dass dieser Tunichtgut irgendwann die Kurve<br />
kriegt. Jetzt ist er was, schleppt ein tolles Mädchen nach Hause und<br />
macht mich zum Opa. Ich bin glücklich.“<br />
„Prost!“<br />
„Prost!“<br />
Die Männer leerten ihre Flaschen und machten sich anschließend auf<br />
den Heimweg. Auf den letzten 100 Metern wurden sie unbewusst immer<br />
schneller, denn es roch verführerisch aus dem Haus. Frischer<br />
Obstkuchen mit Sahne!<br />
14.06.2137 (einen Tag später) 07:00 Uhr,<br />
AGUA, in der Nähe von GRACELAND-City:<br />
Er war seit über einer halben Stunde unterwegs und das recht zügig.<br />
Der Schweiß lief ihm am Kopf herunter und sein T-Shirt war klatschnass.<br />
Das Herz pochte laut in der gewohnten Schlagzahl und seine<br />
Lungen füllten sich mit sauberer Waldluft. Admiral Thomas Raven<br />
hetzte durch die unberührte Natur AGUAs und wurde nur begleitet<br />
von Laika, dem mittlerweile einjährigen Alaskan-Malamute. Die Hündin<br />
lief etwa zehn Meter voraus und suchte für ihr Herrchen einen<br />
19
lauffähigen Weg. Thomas hatte es sich angewöhnt, mit seiner persönlichen<br />
Sphäre in die Natur zu fliegen, sich dort absetzen zu lassen und<br />
einfach loszulaufen. Wenn er genug hatte, funkte er die Kapsel an und<br />
wurde innerhalb von wenigen Minuten abgeholt. Dann brachte ihn die<br />
Kugel zum Penthouse, wo er ausgiebig duschte. Alle zwei bis drei Tage<br />
gönnte er sich diese Veranstaltung und fühlte sich gut dabei. Der anstrengende<br />
Lauf machte den Geist frei und ließ ihn die Probleme viel<br />
klarer erkennen. Im Moment dachte er über seine Entscheidung der<br />
Flottenverteilung nach. Es war nicht einfach, drei menschlich besiedelte<br />
Systeme dauerhaft zu sichern. Trixie Baines hatte sich redlich Mühe<br />
gegeben, die Systeme um AQUARIUS und EDEN durch automatische<br />
Abwehrforts zu sichern. AGUA traute er zu, dass dort ein Durchkommen<br />
von feindlichen Kräften nicht möglich war. Die beiden 8.000er<br />
Beuteschiffe der TRAX waren gigantische Festungen. An der CASTLE<br />
und der FORTRESS kam so schnell niemand vorbei. Auch das Raketenschiff<br />
MERLIN war eine recht wirkungsvolle Defensiv-Waffe. Von<br />
den Klasse-D-Raumern aus der GENUI-Produktion hatte er zehn nach<br />
EDEN gegeben, nachdem ihm Jan Eggert versichert hatte, dass er<br />
entsprechendes Bedienungs-Personal bereitstellen konnte. (Thomas war<br />
sehr überrascht gewesen und hatte sich vorgenommen, die Geschichte<br />
EDENs und seiner Bewohner mal etwas näher zu betrachten oder<br />
betrachten zu lassen. Jurij könnte dabei mal wieder eine tragende Rolle<br />
spielen.) Daneben sicherten dieses PARADISE-System, wie es manchmal<br />
scherzhaft und ein wenig neidisch tituliert wurde, die kleine<br />
EDEN-Flotte, bestehend aus der 2.000 Meter durchmessenden ODIN<br />
und ihrer beiden kleineren Schwesternschiffe (1.600 Meter) ATROX<br />
und SHIRTAN. In wenigen Tagen würden die ersten WL-Phantom-2<br />
auf EDEN eintreffen.<br />
AQUARIUS und damit Chapawee Paco hatte ebenfalls zehn der Kugelraumer<br />
erhalten. Dazu kamen die TWO MOON unter dem Obmann<br />
von AQUARIUS und das Terra-Schiff COCHISE unter John<br />
Flannigan.<br />
Thomas hoffte damit, dem Sicherheitsbedürfnis der Welten gerecht zu<br />
werden. Sicher, AGUA hielt immer noch die meisten Schiffe im Raum.<br />
Dafür lebten dort aber auch die meisten Siedler. Insgesamt war Thomas<br />
mit der Situation zufrieden und so beruhigt, hetzte er weiter hinter<br />
seiner Hündin her.<br />
20
Plötzlich verschwand das Tier hinter einer Hecke und Thomas hatte<br />
zuvor noch gesehen, dass sie aus dem gemäßigten Lauf in den schnellsten<br />
gewechselt war. Er sah nur noch ihre Hinterläufe irgendwo verschwinden.<br />
„Laika!“<br />
„Laika!“<br />
„LAIKA!“<br />
Thomas rief seinen Hund, aber es erfolgte keine Reaktion. Nachdem<br />
das Tier gut trainiert war und auch normalerweise sofort auf Befehle<br />
reagierte, war dies eine böse Überraschung für das Herrchen.<br />
Was mochte den Hund aus dem Gehorsam gebracht haben? Thomas<br />
beschleunigte seinen Lauf und versuchte vorherzusehen, wo das Tier<br />
hingelaufen sein könnte. Es ging über Stock und Stein. In weiten Sätzen<br />
übersprang er kleine Bachläufe. Hin und wieder hörte er Laika bellen –<br />
entfernt. Er orientierte sich danach und lief leise fluchend weiter. Das<br />
Bellen entfernte sich immer weiter und Thomas atmete mittlerweile<br />
keuchend, war aber immer noch auf der Spur des Tieres. Die Hatz ging<br />
eine weitere Viertelstunde und Thomas überlegte schon, ob er die<br />
Sphäre rufen sollte, um von da die Suche aufzunehmen, als er das<br />
Bellen direkt vor sich hörte. Er stoppte den schnellen Lauf und schritt<br />
vorsichtig weiter. Der Wald lichtete sich und er kam zu einer Lichtung.<br />
Dort sah er Laika. Und nicht nur den Hund. Aus den Beschreibungen<br />
von Sack Carter wusste er seit 2120, dass es eine violette Primatenart<br />
auf AGUA gab – etwa in der Größe eines Schimpansen. Ein solches<br />
Tier stand neben Laika und streichelte (?) den Hund. Der Malamute<br />
ließ es sich gefallen und winselte leise. Thomas war nicht fähig, weiterzugehen.<br />
Er beobachtete die Szene. Liebevoll, einen anderen Ausdruck<br />
gab es nicht dafür, streichelte ein lila Schimpanse seine Hündin. Dann<br />
sah der Primat Thomas. Rückwärts gehend streckte er seinen Arm aus<br />
und Thomas sah, es war vorher von Laika verdeckt, ein Jungtier. Der<br />
Primat fasste das Jungtier an der Hand. Dann, mit einem letzten Blick<br />
beider Wesen zum Admiral, drehten sie sich um und verschwanden im<br />
nahen Dickicht. Laika hatte sich abgelegt und schaute zurück zu ihrem<br />
Herrchen. Thomas ging sehr langsam und nachdenklich zu seinem<br />
Hund. Der Primat hatte ganz klar Anzeichen von Intelligenz gezeigt.<br />
Diese Wesen waren sehr scheu und nach der Beschreibung von Sack<br />
Carter anno 2120 nicht mehr gesichtet worden. Viele hielten das sogar<br />
für ein Hirngespinst des verstorbenen Marines. Eine Überreizung<br />
21
seiner Nerven wäre beim damaligen Showdown nicht verwunderlich<br />
gewesen. Nun wusste es Thomas besser. Die Violetten gab es tatsächlich.<br />
Die Menschen waren neben den MAROON nicht die einzigen<br />
Wesen mit Intelligenz auf diesem Planeten. AGUA beherbergte noch<br />
das eine oder andere Geheimnis. Sie waren noch weit davon entfernt,<br />
alles über diesen Planeten zu wissen. Er würde Jan Eggert bitten, seinen<br />
Biologen darauf anzusetzen. Wenn diese Individuen intelligent waren,<br />
mussten sie das wissen und in ihre Planungen mit einbeziehen. Thomas<br />
hatte seinen Hund erreicht, hockte sich neben ihn und streichelte das<br />
Tier. Dann rief er die Sphäre.<br />
15.06.2137 (einen Tag später), 11:30 Uhr, AGUA, BLUE VALLEY:<br />
Admiral Thomas Raven hatte beschlossen, sich nicht vorher anzumelden.<br />
Schließlich braucht man das nicht – bei guten Freunden. So flog er<br />
mit einer Sphäre und seiner treuen Fellnase in Richtung der vendorianischen<br />
Niederlassung auf AGUA – BLUE VALLEY. Wie der Name<br />
es schon sagt, bestand das Territorium der VENDORA aus einem Tal<br />
– aus einem sehr trockenen. Vor Jahrtausenden war da wohl mal ein<br />
Fluss, der die tiefe Rinne in die Oberfläche des Planeten gegraben hatte<br />
– nun war er verschwunden. Ansonsten wäre die Gegend auch nicht<br />
geeignet gewesen, denn die Blauen liebten die Trockenheit. Die Menschen<br />
hatten dort nach den Vorstellungen der Gäste Gebäude errichtet<br />
und seit mehreren Jahren hauste dort nun die Familie des ehemaligen<br />
Präsidenten von VENDORA – Almat. Der menschliche Siedler sah die<br />
VENDORA höchst selten. Gelegentlich tauchten sie mal in GC auf<br />
und Almat schickte regelmäßig einen Vertreter ins Haus der Völker.<br />
Leider konnte man diesen nicht so richtig einbinden, denn er galt nicht<br />
als gewählter Abgesandte seines Volkes.<br />
Vom Bund der Völker waren die VENDORA seit dem Verrat 2133<br />
ausgeschlossen. Tatsächlich herrschte, wenn man es genau nahm, Krieg<br />
zwischen den Blauen und der von den Menschen geschmiedeten<br />
Allianz. Allein die Wucht, mit der Thomas damals direkt nach der gescheiterten<br />
Invasion zugeschlagen hatte, machte die Blauen ungefährlich,<br />
bzw. hatte sie aller militärischen Möglichkeiten beraubt. Ja,<br />
verschiedentlich hatte man Mitleid mit ihnen. Thomas gedachte den<br />
unwürdigen Zustand der VENDORA auf VENDORA zu ändern und<br />
zu diesem Zweck war er hier.<br />
22
Sanft setzte die Sphäre auf und Thomas gab das mündliche Kommando<br />
zum Öffnen der Ausstiegsluke. Laika sprang sofort heraus. Es<br />
hatte einige Zeit gedauert, bis der Hund sich an die Fliegerei gewöhnt<br />
hatte. Nun nahm Laika das Ganze als Selbstverständlichkeit hin.<br />
Thomas war aus Gründen der Rücksicht am Beginn des Tales gelandet.<br />
Er und der Hund mussten noch fast einen Kilometer den Weg hinuntergehen.<br />
Nun, Thomas tat die Bewegung gut und der Hund musste<br />
sicherlich noch ... und das sollte er nicht direkt in der Siedlung tun.<br />
Laika lief schnüffelnd herum und Thomas wunderte sich nach ein paar<br />
Minuten, dass ihm niemand entgegenkam. Seine Sphäre war sonst immer<br />
bemerkt worden und es hatte nie lange gedauert, bis ihn jemand<br />
begrüßte. Schließlich hatte er die Häuser in der typischen Leichtbauweise<br />
erreicht und nur aus dem Versammlungshaus kamen Geräusche.<br />
In diese Halle, einem Schützenhaus längst vergangener Tage nicht<br />
unähnlich, passten gut und gerne 300 Individuen. Thomas ging auf<br />
eines der Fenster zu und schaute vorsichtig ins Innere. Dort saßen die<br />
Blauen an langen Tischen und tranken – Bier!<br />
Thomas zog sich etwas zurück und tippte eine Nummer aufs Holo-Pad.<br />
Kurz darauf erschienen darüber das Gesicht und die Schulterpartie<br />
seines Freundes Lutz Heinken.<br />
„Thomas“, Lutz war überrascht, denn der Admiral sprach über diesen<br />
Weg selten, eigentlich nie, mit ihm. „Was kann ich für dich tun?“<br />
„Ich bin hier gerade in BLUE VALLEY. Wie viel Bier lieferst du den<br />
Blauen?“<br />
Lutz kratzte sich hinter dem Ohr: „Ich habe mich auch schon gewundert.<br />
In letzter Zeit hat sich die Menge verdrei- oder sogar vervierfacht.<br />
Ich glaube, die trinken dort nichts anderes. Ich wollte dich noch darüber<br />
informieren.“<br />
„Nun“, schloss Thoma sarkastisch. „Jetzt weiß ich es ja. Danke für die<br />
Info und bis dann, Lutz!“<br />
Der Bierbrauer winkte kurz in die Optik, dann war die Verbindung<br />
gekappt.<br />
Thomas legte den Hund seitlich der Halle ab, dann ging er zur doppelflügeligen<br />
Eingangstür. Er griff mit beiden Händen zu, öffnete beide<br />
Hälften mit einem Ruck weit und blieb selbst im Eingang stehen. Im<br />
Nu war Stille und Thomas kam moderige und sehr heiße Luft entgegen.<br />
Es stank nach abgestandenem Bier und dem Geruch, den die Blauen<br />
eben verströmten, nur viel intensiver.<br />
23
„Wird kalt!“, rief jemand. Offensichtlich hatten die VENDORA die<br />
Heizung voll aufgedreht, um ihrem Wärmeempfinden Genüge zu tun.<br />
Nun zog es ihnen.<br />
„Sei ruhig!“, rief eine befehlsgewohnte Stimme. „Das ist unser Freund<br />
und Gastgeber, Thomas!“ Irgendwo im Dunkeln stand ein Individuum<br />
auf und kam Richtung Tür. Es dauerte eine ganze Weile, bis klar wurde,<br />
dass es sich um Almat handelte. Schließlich stand er vor Thomas.<br />
„Störe ich?“ Thomas war klar, dass er seinen Sarkasmus hier umsonst<br />
einsetzte. Die Blauen verstanden sowas nicht.<br />
„Nein, gar nicht“, war dann auch die Antwort. „Setz dich zu uns und<br />
feier mit“, forderte Almat ihn auf. Almat, das muss man wissen, war<br />
bekennender Bierliebhaber. Die Gefahr war dabei, dass man ihm den<br />
Genuss nicht anmerkte, bis ein gewisser Pegel überschritten war. Dann<br />
wusste der Blaue nicht mehr, was er tat.<br />
„Es gibt etwas zu feiern?“, fragte Thomas arglos.<br />
„Ja, meine Rückkehr von der SHOTAI“, erklärte Almat.<br />
„Das ist über eine Woche her. Feiert ihr seit diesem Zeitpunkt?“<br />
Almat breitete alle vier Arme aus: „Dem Anlass angemessen! Komm –<br />
trink mit!“<br />
Thomas schüttelte den Kopf: „Wir feiern sicherlich auch gerne, aber<br />
nicht tagelang und dann den ganzen Tag über. Es gibt viel zu tun und<br />
ich muss dich sprechen, Almat!“<br />
Der Blaue schien noch einigermaßen bei Verstand, daher kam er auf<br />
Thomas zu: „Lass uns die Tür zumachen. Wir reden draußen. Meine<br />
Familie friert.“<br />
Thomas war einverstanden und so standen sie schließlich unter freiem<br />
Himmel, während drinnen wieder die Gläser gehoben wurden.<br />
„Es hätte mich gefreut, wenn deine Familie beim Spy-Programm genau<br />
so effektiv gewesen wäre, wie jetzt beim Feiern, Almat!“ Thomas war<br />
erkennbar sauer, auch für Almat ersichtlich.<br />
Dieses Mal hob er entschuldigend nur zwei Arme: „Familie, Thomas.<br />
Es sind nicht immer die besten Leute darunter.“<br />
„Es geht nicht nur um die Qualität, Almat. Es geht um das Wollen, die<br />
Motivation. Es hat sich bei uns rumgesprochen, dass deine Familie<br />
offenbar so überhaupt kein Interesse an eurem Heimatplaneten zeigt.<br />
Du bist mal Präsident dort gewesen, Almat! Dein Volk hungert! Interessiert<br />
dich das nicht?“<br />
24
Der Blaue zögerte einen Moment zu lange und Thomas zog seine<br />
Schlüsse daraus. Trotzdem wollte er ihn nicht aus der Verantwortung<br />
entlassen.<br />
„Doch, sicher“, sagte Almat halbherzig.<br />
„Ich verlange von dir Mitarbeit! Ich will, dass du dir die Situation vor<br />
Ort ansiehst“, sagte Thomas eindringlich.<br />
„Ich soll nach VENDORA?“, fragte der Blaue erstaunt.<br />
„Ist der Übersetzungschip kaputt?“, entgegnete Thomas ärgerlich. „Du<br />
sollst wieder Verantwortung übernehmen.“<br />
„Ja, äh, wann?“ Thomas sah dem VENDORA an, dass er überhaupt<br />
keine Lust dazu hatte. Hier war dringend ein ‚Plan B‘ fällig. Offensichtlich<br />
tat Almat das Nichtstun nicht gut.<br />
„Halte dich bereit. Du kannst bis zu zwei Personen mitnehmen. Ein<br />
Schiff fliegt dich nach VENDORA. Walter Steinbach wird dich dort<br />
briefen. Du bekommst eine Info, wann das nächste Schiff fliegt. So,<br />
und nun übertreibt es nicht mit der Feierei!“<br />
Thomas ließ den Blauen dort stehen, winkte Laika und gemeinsam<br />
strebten sie dem Talausgang zu. Laika sah nur einmal an ihrem Herrchen<br />
hoch. Oh ha, der war sauer!<br />
Tags drauf, 16.06.2137, 10:00 Uhr, AGUA, GCF:<br />
„Da sitzen die da rum und saufen Bier! Und das seit über einer<br />
Woche!“ Thomas regte sich so auf, dass das Boot zu schaukeln begann.<br />
Ron Dekker räusperte sich. Normalerweise war er es ja, der<br />
regelmäßig durch die Decke ging. Heute war das anders. Heute hatte er<br />
den >Beruhiger< zu machen, denn der Admiral war auf der Palme –<br />
ganz oben in der Spitze.<br />
„Ich denke, wir bräuchten dann heute auch keinen Köder ...“, begann<br />
Ron vorsichtig.<br />
„Nein – ohne!“<br />
Ron brachte es tatsächlich fertig, zusammenzuzucken: „Was hast du<br />
jetzt vor – mit Almat? Bierrationen kürzen?“<br />
„Ron! Ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt!“<br />
„Äh, natürlich nicht – entschuldige.“<br />
Die Männer saßen etwas schräg versetzt mit den Rücken zueinander.<br />
Mittlerweile fanden sie es albern, eine Angelrute ohne Köder ins Wasser<br />
zu halten. Daher saßen sie einfach nur da und schauten aufs Wasser.<br />
25
„Ein Bier, Thomas?“<br />
„RON!“<br />
„Entschuldige ...“<br />
Die nächsten 30 Minuten vergingen in schweigsamer Eintönigkeit,<br />
dann unterbrach der Marine-Chef die Stille: „Ich habe eine Lösung,<br />
wenn du willst, Thomas.“<br />
Offenbar hatte Ron sich in der Tonwahl so vorsichtig verhalten, dass<br />
Thomas ein schlechtes Gewissen bekam: „Sorry, aber das belastet mich<br />
... entschuldige, wenn ich unfair dir gegenüber war.“<br />
„Alles gut“, behauptete Ron. „Dafür sind Freunde schließlich auch mal<br />
da. Ich weiß, dass du nicht mich meinst. Also, willst du meine Lösung<br />
wissen?“<br />
„Ja klar, schieß los!“<br />
„Was hältst du von Walter Steinbach?“<br />
Thomas war überrascht: „Was hat das ...“<br />
„Beantworte meine Frage! Was hältst du von ihm?“ Ron blieb beharrlich.<br />
„Ein guter Offizier. Ein Vorzeigeoffizier ohne Fehl und Tadel. Nicht<br />
umsonst habe ich ihm die Sicherheit meiner Frau ans Herz gelegt. Aber<br />
was ...“<br />
„Das wollte ich nur hören“, erwiderte Ron und unterbrach seinen<br />
Freund erneut. „Du schickst Almat mit einer Videobotschaft nach<br />
VENDORA. Die Botschaft ist für Walter, die er sich bitte allein ansieht.<br />
Du äußerst darin deine Zweifel, ob Almat noch als Präsident in<br />
Frage kommt. Dann erteilst du Walter weitgehend freie Hand!“<br />
„Das ist alles?“ Thomas drehte sich halb herum und wieder begann<br />
das Boot zu schaukeln.<br />
„Walter hat mittlerweile einen besseren Einblick in die Gegebenheiten<br />
von VENDORA als du, Thomas.“<br />
„Das stimmt sicherlich“, gab Thomas zu.<br />
„Siehst du! Und deswegen lässt du das jetzt mal den Walter machen!<br />
Wir haben andere Probleme!“<br />
Thomas dachte einen Augenblick nach: „Okay. Dein Vorschlag hat<br />
was. Das Risiko ist auch nicht besonders hoch. Soll Walter zusehen,<br />
dass er was draus macht! Ich bin einverstanden!“<br />
Wieder kehrte für eine halbe Stunde Ruhe ein, dann unterbrach Thomas<br />
das Schweigen: „Du hast gerade etwas von anderen Problemen<br />
erzählt. Meinst du etwas Bestimmtes?“<br />
26
Ron räusperte sich: „Der Herr Admiral ist heute Morgen mal nicht von<br />
der schnellsten Truppe, was?“<br />
„Das liegt daran, dass ich etwas vergessen habe“, entschuldigte sich<br />
Thomas und öffnete einen Rucksack, der auf den Planken vor seinen<br />
Füßen lag. Er zog eine Thermoskanne hervor und zwei Trinkbecher.<br />
Etwas umständlich schüttete er einen Becher mit Kaffee ein und reichte<br />
ihn über die Schulter in Richtung Ron. Das Boot wackelte bedenklich<br />
und er musste warten, bis er sich selbst etwas eingießen konnte.<br />
Nachdem beide den ersten Schluck genommen hatten, fragte Thomas<br />
nochmal nach den Problemen.<br />
„Du erinnerst dich an unseren ersten Besuch auf dem MARS“, begann<br />
Ron seine Erklärung.<br />
„Wer könnte das vergessen. Wir haben Jonathan retten können!“<br />
„Ja“, bestätigte Ron. „Das war die gute Sache.“<br />
„Daran erinnere ich mich gerne“, schmunzelte Thomas.<br />
„Auch daran, dass wir abgeschossen worden sind?“<br />
„Äh, nicht so gerne“, widersprach der Admiral.<br />
„Die Raketen kamen aus Richtung <strong>Phobos</strong> – nicht wahr?“, fuhr Ron<br />
fort. „Und wir hatten wegen diverser TRAX-Problemchen hinterher<br />
keine Zeit, dort nach dem Rechten zu sehen. Stimmts?“<br />
„Scheiße!“<br />
„Ah, ich vermute, dem Admiral geht ein Lichtlein auf“, vermutete Ron<br />
süffisant.<br />
„Warum hast du nichts gesagt, als wir Jonathan dort beerdigten?“,<br />
fragte Thomas mit Schrecken im Gesicht.<br />
„So viel schlauer als du bin ich auch nicht“, gab Ron zurück. „Das ist<br />
mir heute Nacht mittels eines Albtraums wieder eingefallen. Ich bin<br />
heute Nacht nämlich nochmal auf den MARS geknallt!“<br />
„Ach!“<br />
„Ja, ach! Und als wir zwei Hübschen dann nach draußen gekrabbelt<br />
kamen, waren wir schon von TRAX umringt. Ziemlich chancenlos. Als<br />
sie das Feuer eröffneten, fragte mich Suzan, ob ich auch was trinken<br />
möchte.“<br />
„Was, wie?“ Thomas konnte nicht folgen.<br />
„Ich meine die, die nachts neben mir liegt. Sie konnte nicht schlafen,<br />
wollte in die Küche sich etwas zu trinken holen und hat mich mit ihrer<br />
Frage aus diesem Albtraum geholt.“<br />
27
„Hmm“, Thomas grummelte vor sich hin. Die Schilderung von Ron<br />
ging über Stock und Stein. Tatsache blieb aber, dass sie sich nie um<br />
diesen Scheiß-Marsmond gekümmert hatten. Das galt es nachzuholen.<br />
„Wir müssen in die SCA“, drängte Thomas.<br />
„Das glaube ich auch“, bestätigte Ron. Thomas drückte auf die Anforderungstaste<br />
für seine Sphäre und griff schon mal zum Ruder.<br />
Nicht ganz fünf Minuten später waren sie in leichter Freizeitkleidung<br />
zur SACK-CARTER-AKADEMIE unterwegs. Heute war unterrichtsfrei<br />
– sie würden niemanden stören.<br />
„Was weißt du eigentlich von <strong>Phobos</strong>?“, sprach Thomas seinen Freund<br />
an.<br />
Ron überlegte kurz: „Es gibt zwei Monde. PHOBOS und DEIMOS –<br />
übersetzt: Angst und Schrecken. PHOBOS ist benannt nach dem Sohn<br />
des griechischen Kriegsgottes ARES. Er ist der größere der beiden<br />
Monde. Als dreiachsiges Ellipsoid mit Achsen von 27, 22 und 19 Kilometern<br />
zeigt immer die längste Achse genau in Richtung MARS – also<br />
ein Einseitendreher. Er fliegt knapp 6.000 Kilometer über den MARS<br />
hinweg und benötigt für eine Umrundung knapp sieben Stunden und<br />
vierzig Minuten. Der größte Krater wird Stickney genannt und genau<br />
darin liegt wahrscheinlich unser Problem.“<br />
Thomas hatte staunend zugehört: „Und das hast du alles so drauf?“<br />
„Natürlich nicht“, erwiderte Ron todernst. „Ich hab mir gedacht, dass<br />
du fragst und es heute Morgen erst nachgelesen und mir bis jetzt mühevoll<br />
gemerkt.“<br />
Wenige Augenblicke später landete die Sphäre auf dem Gelände der<br />
Akademie. Thomas eilte, dicht gefolgt von Ron, in das Audimax. Ihr<br />
Vorteil war die gesamte Vernetzung aller Rechnersysteme.<br />
„KI, Holotank starten!“<br />
„Bitte warten!“<br />
Thomas und Ron standen dort, wo für gewöhnlich der Vortragende<br />
seinen Platz hatte. Also erschien das Holo zwischen ihnen und den<br />
leeren Zuschauerplätzen.<br />
„Holotank bereit, bitte nähere Angaben!“<br />
„KI, letzter Flug zum MARS, Kartographierung im Auftrag von Jan<br />
Eggert. Ziel PHOBOS!“<br />
„Verstanden, bitte warten!“<br />
Wenige Augenblicke später entstand ein etwa drei Meter durchmessendes<br />
Holobild des Marsmondes vor den beiden Männern.<br />
28
„KI! Anzeichen für eine nicht natürliche Gegebenheit auf PHOBOS?“,<br />
fragte Ron.<br />
„Im Krater Stickney sind Metalllegierungen gescannt worden, die nicht<br />
natürlichen Ursprungs sind“, antwortete die Akademie-KI.<br />
„Scheiße“, urteilte Ron. „Sowas darf uns nicht passieren. Festgestellt<br />
und nicht darauf reagiert!“<br />
„Da können wir uns jetzt mal an die eigene Nase fassen“, wiegelte<br />
Thomas ab. „Jan hatte eine Kartographierung veranlasst, keine Analyse<br />
der eingehenden Daten. Wir müssen die KI´s anpassen. Solche Meldungen<br />
müssen automatisch kommen.“<br />
Ron brummte dazu bloß.<br />
„KI! Zeig uns Stickney!“<br />
Den Männern erschien es, als würden sie auf PHOBOS zufallen. Die<br />
KI zoomte die Gegend einfach heran. Gleichzeitig drehte sie den<br />
Mond. Kurz darauf war der Krater von etwa neun Kilometern Durchmesser<br />
zu sehen.<br />
„KI! Zeig uns diese nicht natürlichen Legierungen!“<br />
Und wieder stürzten sie auf PHOBOS herab.<br />
„Scheiße!“<br />
„Durch häufigen Gebrauch wird das Wort auch nicht salonfähiger“,<br />
reagierte Thomas.<br />
„Das ist aber doch auch – äh ... Mist!“<br />
Thomas nickte: „KI! Gitternetz mit Maßangaben über die Projektion<br />
legen.“<br />
„Wir haben Prügel verdient“, ätzte der Marine-Chef. Sie sahen ein<br />
quadratisches Gebäude mit einer Grundfläche von etwa 300 mal 300<br />
Metern und etwa 20 Metern Höhe. Ein einfacher Quader. Einer inneren<br />
Eingebung folgend fragte Thomas: „KI! Gibt es Ähnliches auf Deimos?“<br />
„Ein deckungsgleiches Gebäude“, war die Antwort der Maschine.<br />
Ron stöhnte: „Und jetzt? Warum wurden wir oder Jan nicht angegriffen?“<br />
Thomas zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung – wir müssen uns<br />
aber beeilen. Ich sehe den Zugang zu >X4HJ< gefährdet. Wir müssen<br />
die Gebäude untersuchen. Vielleicht können sie auch nützlich für uns<br />
sein.“<br />
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„Ich rieche geradezu einen Einsatz für die heldenhaften Marines und<br />
deren höchsten Chef“, Ron schaute seinen Freund mit hochgezogenen<br />
Brauen fragend an.<br />
Thomas nickte langsam: „Ich muss schauen, wen ich damit beauftragen<br />
kann. Such dir ein oder zwei Teams zusammen und halte dich bereit!“<br />
„Mit dem allergrößten Vergnügen, mein Freund.“<br />
„Wir müssen noch etwas tun“, stellte Thomas fest.<br />
„Was denn?“ Ron wurde hellhörig.<br />
„Wir müssen in irgendeiner Weise das Galaxiswurmloch für unsere<br />
Passagen sichern“, stellte Thomas fest. „Wir können nicht immer ins<br />
Ungewisse fliegen. Sicher, die MANCHAR haben dort einen Beobachtungsposten,<br />
aber jede Nachricht von ihnen ist 33 Stunden alt, wenn sie<br />
bei uns ankommt. Aber, wofür habe ich Fachleute? Du hast ganz recht.<br />
Vielleicht sollte ich ein klein wenig mehr delegieren.“<br />
Ron schaute seinen Freund interessiert an.<br />
„Schluss für heute, Ron. Morgen ist um 13:00 Uhr Krisensitzung. Hast<br />
du schon etwas vor, heute Abend?“<br />
„Ich müsste Suzan fragen, aber ich glaube nicht“, Ron war wegen des<br />
abrupten Themenwechsels etwas verdutzt.<br />
„Dann seid ihr zum Grillen eingeladen!“<br />
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