Verbotene und erlaubte Musik in der NS-Zeit
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<strong>Verbotene</strong> <strong>und</strong> <strong>erlaubte</strong> <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />
Carel ter Haar<br />
Bei den Vorbereitungen für diesen Vortrag stellte sich heraus, das <strong>der</strong> Begriff ‚erlaubt‘, <strong>der</strong> im<br />
Arbeitstitel enthalten ist, nur e<strong>in</strong>e fast untergeordnete Rolle spielt. Erlaubt war im Bereich <strong>der</strong><br />
<strong>Musik</strong>, im Dritten Reich eigentlich alles, was konventionell, rückwärtsgewandt <strong>und</strong> nicht jüdisch war.<br />
Verboten war um so mehr. Ich konzentriere mich auf die Düsseldorfer Reichsmusiktage von 1938<br />
<strong>und</strong> zwar beson<strong>der</strong>s auf die damit verb<strong>und</strong>ene Ausstellung Entartete <strong>Musik</strong>, weil diese als<br />
Bestandsaufnahme <strong>in</strong>direkt das damals Erreichte dokumentierte <strong>und</strong> gleichzeitig den Blick nach vorn<br />
<strong>und</strong> den zurück ermöglicht. Die Wurzeln für die Entwicklungen nach 1933 liegen <strong>in</strong> den zwanziger<br />
Jahren o<strong>der</strong> gar noch davor. Als Beispiel nenne ich Ihnen Franz Schreker. E<strong>in</strong>en weiteren Aspekt<br />
bilden <strong>der</strong> alles beherrschende Antisemitismus <strong>und</strong> dessen Folgen nach 1933. Anschließend wende<br />
ich mich <strong>der</strong> eigentlichen Ausstellung zu, gehe kurz auf <strong>der</strong>en Inhalt e<strong>in</strong> <strong>und</strong> konzentriere mich dann<br />
auf e<strong>in</strong>zelne Gestalten <strong>und</strong> zwar vor allem auf Paul H<strong>in</strong>demith. Außerdem werde ich kurz auf Ernst<br />
Krenek e<strong>in</strong>gehen. Krenek vor allem war durch se<strong>in</strong>e angebliche Jazzoper Jonny spielt auf zur<br />
Negativfigur geworden. Se<strong>in</strong> Jonny schmückte als Karikatur das Begleitheft zur Ausstellung. Zum<br />
Schluss möchte ich kurz auf die wenigen Äußerungen von Zivilcourage e<strong>in</strong>gehen.<br />
Die Reichsmusiktage 1938<br />
Am 24. Mai 1938 eröffnete <strong>der</strong> Weimarer Staatsrat, e<strong>in</strong> Verehrer <strong>und</strong> Schüler des berüchtigten<br />
antisemitischen <strong>und</strong> völkischen Literaturhistorikers Adolf Bartels, Dr. Hans Severus Ziegler mit<br />
e<strong>in</strong>em Gr<strong>und</strong>satzreferat <strong>in</strong> Düsseldorf die Ausstellung Entartete <strong>Musik</strong>. Der Titel des Referats lautete<br />
– wie konnte es auch an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong> – Entartete <strong>Musik</strong> – E<strong>in</strong>e Abrechnung. Parallel zur Ausstellung<br />
fanden die sogenannten Reichsmusiktage statt, die sich dem Thema Rasse <strong>und</strong> <strong>Musik</strong> widmeten. E<strong>in</strong><br />
ganzes Aufgebot von damals prom<strong>in</strong>enten Wissenschaftlern versuchten weniger, konstruktive<br />
Zusammenhänge herzustellen, son<strong>der</strong>n erschöpften sich vielmehr <strong>in</strong> primitivstem Antisemitismus<br />
<strong>und</strong> den dazugehörigen rassentheoretischen Überlegungen. Wenn man die Texte jetzt liest, ist es<br />
1
unverständlich, dass <strong>der</strong>artige Inhalte als Wissenschaft verkauft werden konnten. Johannes Brahms<br />
etwa, wird als ‚fälischer, bäuerlich-wuchtiger Verharrungsmenschen mit nordischen Charakter- <strong>und</strong><br />
Wesenszügen beschrieben. Lediglich <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>wissenschaftler Friedrich Blume aus Kiel stellte auf<br />
vorsichtige Art <strong>und</strong> Weise <strong>und</strong> <strong>in</strong>direkt die angeblich e<strong>in</strong>deutigen Zusammenhänge zwischen Rasse<br />
<strong>und</strong> <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> Frage, was er auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em im selben Jahr erschienenen Buch Das Rassenproblem <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Musik</strong> wie<strong>der</strong>holte. Blume ist e<strong>in</strong> sehr schönes Beispiel für passiven Wi<strong>der</strong>stand, denn <strong>in</strong>dem er<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag <strong>und</strong> im Buch die Bedeutung <strong>der</strong> rassischen Gr<strong>und</strong>lagen für die Entwicklung <strong>der</strong><br />
<strong>Musik</strong> relativierte, brachte er <strong>der</strong>en Wirkung sehr zum Ärger ihrer Befürworter um ihre Bedeutung.<br />
Es muss e<strong>in</strong> Strich durch die Rechnung <strong>der</strong> Veranstalter gewesen se<strong>in</strong>.<br />
Fünf Jahre nach <strong>der</strong> Bücherverbrennung sollte jetzt auch das <strong>Musik</strong>leben endgültig dem<br />
Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Regimes unterworfen werden. Das war <strong>der</strong> eigentliche<br />
S<strong>in</strong>n dieser Reichsmusiktage. Wie viel Bedeutung man diesem Sachverhalt beimaß, zeigt sich daraus,<br />
dass Josef Goebbels persönlich am 28. Mai 1938 nach Düsseldorf gekommen war um die Gr<strong>und</strong>sätze<br />
für das deutsche <strong>Musik</strong>schaffen zu verkünden <strong>und</strong> dass <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternational angesehene Komponist<br />
<strong>und</strong> Dirigent Richard Strauss, <strong>der</strong> 1934 halbwegs <strong>in</strong> Ungnade gefallen war, weil er nicht auf den<br />
jüdischen Schriftsteller Stefan Zweig als Librettisten verzichten wollte, als <strong>in</strong>ternational bekanntes<br />
Renommierobjekt bei <strong>der</strong> Eröffnung se<strong>in</strong> Festliches Präludium <strong>in</strong> <strong>der</strong> Düsseldorfer Tonhalle dirigieren<br />
durfte <strong>und</strong> sich diese Chance auch nicht nehmen ließ.<br />
Diese Ausstellung, die natürlich als Ergänzung <strong>und</strong> Fortsetzung <strong>der</strong> großen Kunstausstellung über<br />
entartete Kunst <strong>in</strong> München im Jahr zuvor gedacht war, hatte wohl nur mäßigen Erfolg. E<strong>in</strong>erseits<br />
wurden alle Ereignisse <strong>in</strong> jenen Tagen durch den Anschluss Österreichs <strong>und</strong> die damit<br />
e<strong>in</strong>hergehenden Feierlichkeiten verdrängt, an<strong>der</strong>erseits war die Ausstellung bei weitem nicht so<br />
spektakulär als jene über die mo<strong>der</strong>ne Kunst im Jahr davor <strong>und</strong> wird die <strong>Musik</strong> für das Publikum<br />
auch nicht den selben Bedeutungsgehalt gehabt <strong>und</strong> über dieselbe Attraktivität verfügt haben. Zwar<br />
berichteten die <strong>Zeit</strong>ungen von e<strong>in</strong>em großen Publikumsandrang. Fakt war, dass die Ausstellung am<br />
18. Juni 1938 vorzeitig geschlossen wurde. Sie wan<strong>der</strong>te von Düsseldorf noch nach Wien, München<br />
2
<strong>und</strong> Weimar 1 . Der Rekonstruktion <strong>der</strong> Ausstellung 50 Jahre später war mehr Erfolg beschieden. Sie<br />
wurde <strong>in</strong> 40 Städten im In- <strong>und</strong> Ausland gezeigt, unter an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> Münchener Philharmonie im<br />
Dezember 1988. An<strong>der</strong>s als bei <strong>der</strong> Ausstellung über entartete Kunst, die zum Inbegriff<br />
nationalsozialistischer Kulturbarbarei wurde, hatte <strong>und</strong> hat diese Ausstellung über die <strong>Musik</strong> <strong>und</strong> das<br />
<strong>Musik</strong>leben <strong>der</strong> Nazizeit kaum Spuren h<strong>in</strong>terlassen. Im Vorwort zum Ausstellungskatalog von 1988<br />
heißt es sogar, dass bei <strong>der</strong> Suche die „Spuren im Sande zu verlaufen drohten“ 2 . Dies ist<br />
charakteristisch für die Verdrängungsmechanismen, die nach 1945 die öffentliche Me<strong>in</strong>ung<br />
beherrschten, nicht nur im Bereich <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>wissenschaft o<strong>der</strong> des musikalischen Lebens, son<strong>der</strong>n<br />
auch etwa im Bereich <strong>der</strong> Exilliteratur. Im letzteren Fall f<strong>in</strong>g die ernsthafte Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung auch<br />
erst nach etwa 1960 an, im Bereich <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> dauerte es noch länger. Die <strong>Zeit</strong> des Dritten Reiches<br />
wurde kaum h<strong>in</strong>terfragt. Die mo<strong>der</strong>ne <strong>Musik</strong> war sowieso e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Gebiet, das seit jeher nur mit<br />
beschränktem Publikums<strong>in</strong>teresse rechnen konnte <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Akzeptanz ja immer zwiespältig<br />
gewesen war. Für den gesamten <strong>Musik</strong>betrieb bedeutete dies, dass die Komponisten- <strong>und</strong><br />
Künstlerkarrieren nach 1945 ungeh<strong>in</strong><strong>der</strong>t fortgesetzt werden konnten. Dabei muss gerechterweise<br />
angemerkt werden, dass es nur ganz wenige <strong>und</strong> dann eher unbedeutende ausgeprägte<br />
Nationalsozialisten, die sich als solche auch profilierten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen <strong>Musik</strong>welt gegeben hat.<br />
Ängstlichkeit <strong>und</strong> Opportunismus dom<strong>in</strong>ierten wohl <strong>und</strong> zwar nicht zuletzt, um die eigene Karriere<br />
nicht aufs Spiel zu setzen <strong>und</strong> damit die eigene Existenz zu gefährden. Das galt allerd<strong>in</strong>gs nicht für die<br />
jüdischen Beteiligten <strong>in</strong> diesem Bereich. Sie waren wie die Schriftsteller o<strong>der</strong> die Kollegen <strong>in</strong> den<br />
bildenden Künstlern von vornehere<strong>in</strong> chancenlos. Um zu überleben mussten sie emigrieren, das galt<br />
auch für ihre nichtjüdischen Kollegen, die politisch <strong>in</strong> Ungnade gefallen waren. Aber das stellte sich<br />
erst später heraus. In <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>wissenschaft war es wenig an<strong>der</strong>s, die kompromittierenden Aufsätze<br />
<strong>und</strong> Bücher <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> verschwanden aus den Schriftenverzeichnissen. Man könnte sagen: Der<br />
Nationalsozialismus hatte nicht o<strong>der</strong> kaum stattgef<strong>und</strong>en. Die kritische Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit<br />
dieser <strong>Zeit</strong> hat lange auf sich warten müssen. Den Anfang machte wohl Joseph Wulf mit se<strong>in</strong>er<br />
1 Vgl. Albrecht Düml<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Peter Girth, Entartete <strong>Musik</strong>. Zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938. Düsseldorf<br />
²1989.<br />
2 Ebenda, S. 5.<br />
3
fünfbändigen Dokumentation Kultur im dritten Reich Anfang <strong>der</strong> sechziger Jahre, <strong>in</strong> <strong>der</strong> auch e<strong>in</strong><br />
Band <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> gewidmet ist, 1982 nannte Fred K. Prieberg , <strong>der</strong> sich um diese Thematik sehr<br />
verdient gemacht hat, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Dokumentation <strong>Musik</strong> im <strong>NS</strong>-Staat nicht nur die Namen <strong>der</strong><br />
Beteiligten, son<strong>der</strong>n g<strong>in</strong>g auch auf ihre meistens erfolgreiche Nachkriegskarrieren e<strong>in</strong>. Diese Bücher<br />
erzielten, ebenso wie die e<strong>in</strong>gangs erwähnte Ausstellung jedenfalls e<strong>in</strong>e gewisse Breitenwirkung.<br />
Auch im Bereich <strong>der</strong> Fachwissenschaft hat sich <strong>in</strong>zwischen E<strong>in</strong>iges getan.<br />
Für das ‚Totschweigen‘ möchte ich Ihnen zwei Beispiele geben: In <strong>der</strong> ersten Auflage des<br />
angesehenen Lexikons Die <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart , das von 1949 bis 1986 erschienen<br />
ist, kommt <strong>der</strong> Begriff Entartete <strong>Musik</strong> nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal vor <strong>und</strong> zwar nicht im Zusammenhang<br />
mit dem Dritten Reich, son<strong>der</strong>n im Artikel über evangelische Kirchenmusik, wo es von Mart<strong>in</strong> Luther<br />
heißt, dass es für ihn „ke<strong>in</strong>e »weltl.« <strong>Musik</strong> im strengen S<strong>in</strong>ne“ gebe, „son<strong>der</strong>n allenfalls e<strong>in</strong>e durch<br />
schlüpfrige Texte (gegen ihre eigentliche Natur) entartete <strong>Musik</strong>“ 3 . Ähnlich verhält es sich mit dem<br />
Wort Nationalsozialismus, das <strong>in</strong> den über 9000 Seiten dieser Auflage nur 16 Mal vorkommt. Es wird<br />
eigentlich nur <strong>in</strong> ganz neutralem S<strong>in</strong>n als Epochenbezeichnung verwendet, von e<strong>in</strong>er kritischen<br />
Stellungnahme o<strong>der</strong> gar Verurteilung <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>poloitik kann nicht die Rede se<strong>in</strong>. Die zweite Auflage<br />
ist zum Glück deutlich differenzierter. Es s<strong>in</strong>d nur zwei Beispiele aus vielen, die meisten <strong>Musik</strong>bücher<br />
wie etwa Konzert- o<strong>der</strong> Opernführer konnten mit kle<strong>in</strong>en Retuschen neu aufgelegt werden <strong>und</strong><br />
fanden ihre Verbreitung nicht nur im Buchhandel, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> den für die Rezeption wichtige<br />
Buchklubs <strong>und</strong> Buchgeme<strong>in</strong>schaften. Es dürfte auch wohl die bequemste Lösung gewesen se<strong>in</strong>, die<br />
übrigens auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Nachkriegsauflage des Großen Brockhaus praktiziert wurde <strong>und</strong> wohl<br />
nicht nur dort. Für die Bewusstse<strong>in</strong>sbildung hatte das verheerende Folgen. Auch hier e<strong>in</strong> Beispiel: Im<br />
<strong>in</strong> den fünfziger <strong>und</strong> sechziger Jahren weitverbreiteten Opern- <strong>und</strong> Operettenführer von Hans<br />
Schnoor heißt es zu den Opern von Franz Schreker (1878-1934), die <strong>in</strong> den zwanziger Jahren sowohl<br />
sehr erfolgreich als auch skandalträchtig waren <strong>und</strong> <strong>der</strong> als Kompositionslehrer maßgeblichen<br />
3 [Die <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart: Kirchenmusik. <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart, S. 41354.Digitale<br />
Bibliothek<br />
(vgl. MGG Bd. 16, S. 953) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]<br />
4
E<strong>in</strong>fluss auf die damalige junge Generation ausübte: - ich zitiere – Schreker beutete die Psychoanalyse<br />
aus, um se<strong>in</strong>e kolportagehaften, schwül-erotischen Textbücher, <strong>der</strong>en Verfasser er selbst war,<br />
mo<strong>der</strong>nistisch <strong>in</strong>teressant zu gestalten. 4<br />
Franz Schreker<br />
Franz Schreker starb am 21. März 1934 an den Folgen e<strong>in</strong>es Herzanfalls im Dezember 1933 <strong>und</strong> hat<br />
das Dritte Reich nicht mit erleben müssen, aber man kann ihn durchaus als e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> ersten Opfer<br />
betrachten. Bei Schreker steht <strong>der</strong> Klang im Mittelpunkt, weniger die Melodik o<strong>der</strong> die thematische<br />
Arbeit, wobei es ihm gelang e<strong>in</strong>e große Suggestivität zu erreichen, die auch bei den <strong>Zeit</strong>genossen gut<br />
ankam, gleichzeitig aber wütende Reaktionen auslöste. Durch den Erfolg se<strong>in</strong>er Opern Der ferne<br />
Klang, die 1912 <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong> uraufgeführt wurde, Die Gezeichneten (Uraufführung 1918)<br />
<strong>und</strong> Der Schatzgräber (Uraufführung 1920) gehörte Schreker zu Beg<strong>in</strong>n des Jahrh<strong>und</strong>erts zusammen<br />
mit Richard Strauß zu den wichtigsten deutschsprachigen <strong>Musik</strong>dramatikern 5 . Danach ließ <strong>der</strong> Erfolg<br />
nach, nicht zuletzt auch deswegen, weil Schreker nach se<strong>in</strong>er Berufung als Direktor <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er<br />
<strong>Musik</strong>hochschule 1920 immer stärker antisemitischen Angriffen ausgesetzt war, die sich lähmend auf<br />
se<strong>in</strong> kompositorisches Schaffen 6 auswirkten. 1932 musste er unter politischem Druck se<strong>in</strong>e an <strong>und</strong> für<br />
sich unkündbare Direktorenstelle an <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>hochschule <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> aufgeben. Er übernahm dann<br />
e<strong>in</strong>e Kompositionsklasse an <strong>der</strong> Preußischen Akademie <strong>der</strong> Künste, aus <strong>der</strong> er 1933 nach <strong>der</strong><br />
nationalsozialistischen Machtergreifung entfernt wurde. Schrekers Versuche, noch zu retten, was zu<br />
retten war, nachdem er durch die Kündigungen <strong>und</strong> das Wegfallen <strong>der</strong> Tantiemen für se<strong>in</strong>e Werke,<br />
die nicht mehr aufgeführt werden durften, nicht nur vor dem beruflichen, son<strong>der</strong>n auch vor dem<br />
wirtschaftlichen Ru<strong>in</strong> stand, s<strong>in</strong>d auch jetzt noch erschütternde Dokumente, welche die<br />
zerstörerischen Wirkungen <strong>der</strong> damaligen politischen Verhältnisse zeigen 7 . In se<strong>in</strong>em Brief an den<br />
Präsidenten <strong>der</strong> Preußischen Akademie <strong>der</strong> Künste, den durch die Oper Mona Lisa bekannt<br />
gewordenen Komponisten Max von Schill<strong>in</strong>gs (1868-1933), <strong>der</strong> ihm wohlgesonnen war, schreibt<br />
4<br />
Zitiert nach dem Begleitheft zur CD-Ausgab <strong>der</strong> Oper Die Gezeichneten, S. 42 (1995).<br />
5<br />
Mart<strong>in</strong> Demmler, Komponisten des zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts. Stuttgart 1999, S. 423.<br />
6<br />
Ebenda, S. 425.<br />
7<br />
Vgl. Begleitheft zur CD-Ausgabe, S. 21ff <strong>und</strong> Joseph Wulf, Kultur im Dritten Reich. <strong>Musik</strong>. Berl<strong>in</strong> 1989, S. 46ff.<br />
5
Schreker im H<strong>in</strong>blick auf se<strong>in</strong>e Abstammung, dass die Mutter aus e<strong>in</strong>em aristokratischen Geschlecht<br />
stammte <strong>und</strong> dass <strong>der</strong> Vater wahrsche<strong>in</strong>lich … jüdischer Abstammung 8 war. Damit erledigte er sich<br />
selber. Schreker blieb auch nach se<strong>in</strong>em Tod für die nationalsozialistische <strong>Musik</strong>publizistik e<strong>in</strong> rotes<br />
Tuch. Se<strong>in</strong> Name taucht ständig auf. 1938 heißt es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rückblick Aufbau <strong>und</strong> Kultur seit 1933 im<br />
Maiheft <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>schrift Die <strong>Musik</strong>: Nicht m<strong>in</strong><strong>der</strong> wirkten sich <strong>der</strong> jüdisch-destruktive Geist <strong>und</strong> die<br />
rassische Überfremdung <strong>und</strong> Verbastadierung im <strong>Musik</strong>leben des deutschen Volkes aus. Im<br />
Preußischen M<strong>in</strong>isterium saß <strong>der</strong> jüdische Kantorensohn Leo Kestenberg <strong>und</strong> leitete von da aus<br />
gleichzeitig das Zentral<strong>in</strong>stitut für Erziehung <strong>und</strong> Unterricht. Daß er e<strong>in</strong>seitig <strong>und</strong> bewusst<br />
Rassengenossen <strong>und</strong> Parteigänger beson<strong>der</strong>s för<strong>der</strong>te, ist für den, <strong>der</strong> die Mentalität <strong>der</strong> jüdischen<br />
Rasse kennt, nicht verw<strong>und</strong>erlich. Die Leitung <strong>der</strong> Staatlichen Hochschule für <strong>Musik</strong> lag <strong>in</strong> den Händen<br />
des Rassemischl<strong>in</strong>gs Franz Schreker, <strong>der</strong> mit se<strong>in</strong>en überspannten <strong>und</strong> perversen Opern die Volksseele<br />
vergiftete. An dem von ihm geleiteten Institut unterrichtete <strong>der</strong> vom Kaufmann zur <strong>Musik</strong><br />
h<strong>in</strong>übergewechselte Jude Arnold Schönberg, <strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Musik</strong> alle Gesetze funktionsharmonischer<br />
Logik sowie alle Gestaltungspr<strong>in</strong>zipien leugnete. 9 Bis soweit dieses Beispiel für das Niveau, wie <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er ursprünglich seriösen <strong>Zeit</strong>schrift wie Die <strong>Musik</strong> die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung geführt wurde. Das<br />
Blatt war 1922 als <strong>Musik</strong>zeitschrift gegründet worden, wurde dann von den Nationalsozialisten<br />
übernommen <strong>und</strong> war dann seit 1933/34 offizielles Mitteilungsblatt <strong>der</strong> Reichsjugendführung, Abt.<br />
Schulung <strong>und</strong> seit 1937/38 Organ <strong>der</strong> Hauptstelle <strong>Musik</strong> beim Beauftragten des Führers für die<br />
Überwachung <strong>der</strong> gesamten geistigen <strong>und</strong> weltanschaulichen Schulung <strong>und</strong> Erziehung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP 10 .<br />
Was Sie eben gehört haben, war also die offizielle Parteil<strong>in</strong>ie.<br />
Antisemitismus <strong>und</strong> Kulturbolschewismus<br />
Zwei Aspekte, denke ich, fallen auf: Erstens die Vehemenz <strong>und</strong> die Kompromisslosigkeit, mit denen<br />
schon seit den frühen Zwanziger Jahren <strong>der</strong> Kampf von rechts, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> völkischen Bewegung<br />
8 Wulf, <strong>Musik</strong>, S.48.<br />
9 Wulf, <strong>Musik</strong>, S. 414.<br />
10 Vgl. [Die <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart: <strong>Zeit</strong>schriften. <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart, (vgl. MGG<br />
Bd. 14, S. 1079) (c) Bärenreiter-Verlag 1986] . Das Blatt bestand bis 1943 <strong>und</strong> wurde dann unter dem Titel<br />
<strong>Musik</strong> im Kriege mit drei an<strong>der</strong>en <strong>Musik</strong>zeitschriften zusammengelegt (vgl. ebenda).<br />
6
gegen die mo<strong>der</strong>ne Kunst geführt wurde, so dass es den Nationalsozialisten relativ leicht fiel, ihre<br />
kunstpolitischen Ziele zu realisieren <strong>und</strong> zweitens <strong>der</strong> alles beherrschende Antisemitismus, <strong>der</strong> zur<br />
schnellen Ausgrenzung des jüdischen Bevölkerungsteils aus dem kulturellen <strong>und</strong> damit auch<br />
musikalischen Leben führte. Aber es gab noch mehr ‚zersetzende‘ Elemente, um die Begrifflichkeit<br />
jener <strong>Zeit</strong> aufzugreifen. Der Antisemitismus deckte nicht alles ab. E<strong>in</strong> zweites Schlagwort, auch schon<br />
während <strong>der</strong> Zwanziger Jahre, war Kulturbolschewismus, womit vor allem die Zerstörung <strong>der</strong><br />
bürgerlich konservativen Kultur durch die L<strong>in</strong>ke geme<strong>in</strong>t war <strong>und</strong> die nach <strong>der</strong> Etablierung <strong>der</strong><br />
Sowjetunion wohl als ernsthafte Bedrohung dieser etablierten bürgerlichen ‚Kultur‘ erfahren wurde.<br />
Im Gegensatz zur E<strong>in</strong>deutigkeit des Antisemitismus handelte es sich eher um e<strong>in</strong>en schillernden<br />
Begriff, unter dem alles was mo<strong>der</strong>n war o<strong>der</strong> sich progressiv nannte, <strong>und</strong> damit <strong>in</strong> den Augen vieler<br />
l<strong>in</strong>ks war, zusammengefasst wurde. Der durch die Internationalität <strong>der</strong> Arbeiterbewegung – auch die<br />
Anhänger <strong>der</strong> SPD galten <strong>in</strong> breiten Kreisen als ‚vaterlandslose Gesellen‘ - bedrohlich ersche<strong>in</strong>ende<br />
Bolschewismus ließ sich dann als Grenzen überschreitende Bewegung leicht mit den angeblich vom<br />
Weltjudentum ausgehenden Gefahren verb<strong>in</strong>den <strong>und</strong> so waren die vom <strong>NS</strong>-Regime Verfolgten<br />
meistens beides.<br />
Letztlich g<strong>in</strong>g es nach dem Schock über den verlorenen Weltkrieg von 1914 bis 1918 <strong>und</strong> den sich<br />
anschließenden Folgen um die sicherlich auch auf e<strong>in</strong>er Verunsicherung beruhende Verweigerung<br />
des Neuen, die sich von radikalen Kräften nur all zu leicht ausnutzen ließ. Selbstverständlich wurden<br />
den Vertretern <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne nur zu gerne beide Etiketten aufgeklebt. Der Dirigent Otto Klemperer,<br />
<strong>der</strong> zwischen 1924 <strong>und</strong> 1929 mit großem Erfolg <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sowjetunion dirigiert hatte 11 ist e<strong>in</strong> Beispiel<br />
dafür. Schon die Auftritte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sowjetunion reichten aus, ihn zum Kulturbolschewisten zu machen.<br />
Ob das dann auch zutraf, war ziemlich gleichgültig, die Behauptung alle<strong>in</strong> reichte schon. Sie<br />
verselbständigte sich, f<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> Eigenleben an <strong>und</strong> konnte dann entsprechend weiter verwendet<br />
werden. Die Zwanziger Jahre waren reich an meistens vorbereiteten, man könnte sagen vor allem<br />
von <strong>der</strong> Rechten <strong>in</strong>szenierten, Theater- also auch Opernskandalen, die überall ihre giftigen Spuren<br />
11 Vgl. Peter Heyworth, Otto Klemperer. His Life and Times. Volume I, 1885-1933. Cambridge u.a. 1983, S. 213ff.<br />
7
h<strong>in</strong>terließen. Die Nationalsozialisten konnten nur zu leicht auf die Ressentiments von Teilen des<br />
Bürgertums zurückgreifen <strong>und</strong> nutzten dies auch aus.<br />
Die Elim<strong>in</strong>ierung unerwünschter Elemente wurde nach <strong>der</strong> Machtergreifung <strong>in</strong> allen Bereichen <strong>der</strong><br />
Literatur, Kunst <strong>und</strong> <strong>Musik</strong> mit großer Energie durchgeführt. Nicht nur wurden jüdischen o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en missliebigen Künstlern durch Störaktionen o<strong>der</strong> örtlichen Verbote das Auftreten unmöglich<br />
gemacht, viel schwerwiegen<strong>der</strong> war die Erfassung <strong>der</strong> Kunstschaffenden <strong>in</strong> den sogenannten<br />
Kulturkammern, <strong>in</strong> die dann die bestehenden Berufsverbände e<strong>in</strong>geglie<strong>der</strong>t, man kann besser sagen,<br />
gleichgeschaltet wurden. Die Nationalsozialisten verstanden sich nicht als politische, son<strong>der</strong>n auch<br />
kulturelle Bewegung, die das gesamte Volkswesen, also auch die Kultur umfassen sollte. Wichtige<br />
Vorarbeit zu <strong>der</strong> damit e<strong>in</strong>hergehenden <strong>und</strong> praktizierten‚ rückwärts gewandten<br />
Kunstabwehrges<strong>in</strong>nung, die unter den Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es demokratisch verfassten Staates ihre<br />
Erfolge hatte, aber ke<strong>in</strong>e durchschlagende Wirkung erzielen konnte 12 hatte <strong>der</strong> von Alfred Rosenberg<br />
<strong>in</strong>itiierte, am 19. Dezember 1928 gegründete Kampfb<strong>und</strong> für deutsche Kultur 13 geleistet. Aus diesem<br />
B<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d viele Funktionäre hervorgegangen, die sich nach 1933 für Säuberung <strong>und</strong> Gleichschaltung<br />
e<strong>in</strong>gesetzt haben. Freilich war es nicht nur Alfred Rosenberg, <strong>der</strong> mit se<strong>in</strong>em Amt für<br />
Weltanschauungsfragen die Kunst- <strong>und</strong> Kulturpolitik <strong>der</strong> Nationalsozialisten bestimmte. Josef<br />
Goebbels, <strong>der</strong> durchaus um die repräsentative Funktion <strong>der</strong> Kunst wusste <strong>und</strong> ihre Bedeutung als<br />
Propagandamittel hoch e<strong>in</strong>schätzte, sicherte sich auch se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>flussbereiche: Die Berl<strong>in</strong>er<br />
Opernhäuser, die Berl<strong>in</strong>er Philharmoniker <strong>und</strong> Bayreuth waren ihm ebenso unterstellt wie die ganze<br />
Regulierung des Kunst- <strong>und</strong> Kulturbetriebs. Wenn ihm etwas nicht passte, griff er sofort e<strong>in</strong>, wie die<br />
Beispiele Richard Strauß <strong>und</strong> Wilhelm Furtwängler zeigen sollten. Aber auch das<br />
Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 stand unter <strong>der</strong> Ägide des von Goebbels<br />
geleiteten M<strong>in</strong>isteriums für Volksaufklärung <strong>und</strong> Propaganda.<br />
Die Gleichschaltung <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> erfolgte durch die Gründung <strong>der</strong> Reichsmusikkammer, die e<strong>in</strong>erseits<br />
Interessenvertretung <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>er <strong>und</strong> Komponisten se<strong>in</strong> sollte, an<strong>der</strong>erseits sich durch die<br />
12 Ernst Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005, S. 274<br />
13 Vgl. ebenda, S. 259ff.<br />
8
verpflichtete Erfassung aller <strong>Musik</strong>schaffenden – für die an<strong>der</strong>en Kunstdiszipl<strong>in</strong>en war das übrigens<br />
genau so - zu e<strong>in</strong>em effektiven Kontrollorgan wurde. Die Mitgliedschaft war Pflicht, sonst gab es<br />
Berufsverbot. Um Mitglied werden zu können, war <strong>der</strong> Ariernachweis erfor<strong>der</strong>lich <strong>und</strong> damit waren<br />
die jüdischen Künstler ausgegrenzt, sie durften nicht mehr auftreten, aber auch ke<strong>in</strong>en Unterricht an<br />
Nichtjuden geben. Die Frage stellt sich, woh<strong>in</strong> mit all diesen Menschen, denen ihre<br />
Existenzgr<strong>und</strong>lagen genommen wurden. Nur die wenigsten <strong>und</strong> dann vor allem die bekannten <strong>und</strong><br />
berühmten waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, zu emigrieren. Zunächst g<strong>in</strong>g man von jüdischer Seite zur Selbsthilfe<br />
über. Im Juli 1933 wurde von Kurt Baumann <strong>und</strong> Kurt S<strong>in</strong>ger, dem ehemaligen Intendanten <strong>der</strong><br />
Charlottenburger Oper <strong>der</strong> Kulturb<strong>und</strong> Deutscher Juden gegründet. Das Wort ‚Deutsch‘ musste schon<br />
bald entfernt werden. Jüdisch <strong>und</strong> Deutsch passten <strong>in</strong> den Augen <strong>der</strong> Machthaber nicht zusammen.<br />
Es war, zwar unfreiwillig, e<strong>in</strong> weiterer Schritt auf dem Weg zur Ghettoisierung, weshalb die Gründung<br />
auch wohl von den Nationalsozialisten geduldet wurde. Dieser Kulturb<strong>und</strong> fand großen Zuspruch.<br />
Sie f<strong>in</strong>anzierte sich mit Mitgliedsbeiträgen, von denen dann Inszenierungen o<strong>der</strong> Konzerte f<strong>in</strong>anziert<br />
werden konnten. Alle Aufführungen waren <strong>der</strong> Zensur des Propagandam<strong>in</strong>isteriums unterworfen, die<br />
Veranstaltungen wurden von <strong>der</strong> Gestapo überwacht. Es lag im Interesse des<br />
Propagandam<strong>in</strong>isteriums, dass <strong>der</strong> jüdische Charakter des Programms hervorgehoben wurde,<br />
weshalb bestimmte als sehr deutsch betrachtete Werke nicht aufgeführt werden durften. Nichtjuden<br />
war <strong>der</strong> Zutritt zu den Veranstaltungen untersagt. Die Initiative war beson<strong>der</strong>s auch <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> sehr<br />
erfolgreich, 1935 verfügte man über 70000 Mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> 36 Städten o<strong>der</strong> regionalen Verbänden, bis<br />
zum August 1935 wurden diese gezwungen, sich zum Reichsverband jüdischer Kulturb<strong>und</strong>e <strong>in</strong><br />
Deutschland zusammen zu schließen, <strong>der</strong> dem Propagandam<strong>in</strong>isterium unterstand <strong>und</strong> wobei <strong>der</strong><br />
aus dem Kampfb<strong>und</strong> hervorgegangene Hans H<strong>in</strong>kel (1900-1960) fe<strong>der</strong>führend war. Nach den<br />
Pogromen im November 1938 wurden <strong>der</strong> B<strong>und</strong> aufgehoben, nur <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> veranlasste Goebbels aus<br />
propagandistischen Gründen e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>eröffnung. 1941 wurden die Reste des Kulturb<strong>und</strong>es von<br />
<strong>der</strong> Gestapo aufgelöst. Es gab, es kl<strong>in</strong>gt makaber, aber ist die e<strong>in</strong>fache Wahrheit, es gab auch gar ke<strong>in</strong><br />
Publikum mehr… Der Mitbegrün<strong>der</strong> Kurt S<strong>in</strong>ger kehrte nach e<strong>in</strong>er USA-Reise, wo er um Mittel für<br />
se<strong>in</strong>en Kulturb<strong>und</strong> geworben hatte, 1938 nicht mehr nach Deutschland zurück, son<strong>der</strong>n blieb <strong>in</strong><br />
9
Amsterdam. Im April 1943 wurde er von dort aus deportiert <strong>und</strong> starb 1944 an Entkraftung <strong>und</strong><br />
Lungenentzündung <strong>in</strong> Theresienstadt 14 .<br />
E<strong>in</strong> weiterer Beitrag zur geistigen Gleichschaltung schließlich lieferte das von Goebbels verhängte<br />
Verbot <strong>der</strong> Kunst- <strong>und</strong> damit auch <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>kritik im November 1936. Kunstkritik galt u.a. als<br />
Ausdruck jüdischer Kunstüberfremdung <strong>und</strong> verstieß gegen die weltanschauliche Vere<strong>in</strong>heitlichung,<br />
die jeden Ausdruck von Individualität unmöglich machen sollte. 15 An ihre Stelle sollte die<br />
Kunstbetrachtung treten. Auch hier g<strong>in</strong>g es darum, jede oppositionelle o<strong>der</strong> nichtl<strong>in</strong>ientreue Stimme<br />
zum Schweigen zu br<strong>in</strong>gen. Unabhängige Me<strong>in</strong>ungsäußerungen waren nicht erwünscht. Der e<strong>in</strong>zige,<br />
<strong>der</strong> Kunstkritik üben durfte, war Adolf Hitler.<br />
Bis so weit e<strong>in</strong>ige Bemerkungen zu Gründen <strong>und</strong> Auswirkungen <strong>der</strong> Entwicklungen, die für das<br />
heutige Thema relevant s<strong>in</strong>d. Kehren wir jetzt wie<strong>der</strong> zur e<strong>in</strong>gangs erwähnten Ausstellung zurück.<br />
Die Ausstellung entartete <strong>Musik</strong><br />
Die Ausstellung war im wesentlichen die Arbeit von Hans Severus Ziegler, damals General<strong>in</strong>tendant<br />
des Deutschen Nationaltheaters <strong>in</strong> Weimar, <strong>der</strong> schon seit 1930, als die Nationalsozialisten sich an<br />
<strong>der</strong> Thür<strong>in</strong>ger Landesregierung beteiligten, Erfahrungen mit nationalsozialistischer Kulturpolitik<br />
hatte machen können. Auch er entstammt dem schon öfters genannten Kampfb<strong>und</strong> für deutsche<br />
Kultur . Als kurzer H<strong>in</strong>weis nur dies: Das Bauhaus war als Gestaltungs- <strong>und</strong> Architekturhochschule<br />
ursprünglich 1919 <strong>in</strong> Weimar gegründet worden, 1924 erhielt Thür<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e Rechtsregierung,<br />
welche die Mittel für die E<strong>in</strong>richtung um 50% kürzte. Man sah sich nach e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Standort um<br />
<strong>und</strong> wählte Dessau, wo politisch günstigere Verhältnisse herrschten. Als 1931 die <strong>NS</strong>DAP die<br />
Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>atswahlen <strong>in</strong> Dessau gewonnen hatte, war e<strong>in</strong> weiterer Umzug notwendig, jetzt nach<br />
Berl<strong>in</strong> 1932. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> aufsehenerregendsten Taten <strong>der</strong> damaligen Thür<strong>in</strong>gischen Landesregierung war<br />
die Übertünchung von Oskar Schlemmers Wandmalereien im Bauhaus Gebäude 1932. Das war das<br />
14 Zu Kurt S<strong>in</strong>ger vgl. <strong>Musik</strong>wissenschaftliches Institut <strong>der</strong> Universität Hamburg, Lexikon verfolgter <strong>Musik</strong>er <strong>und</strong><br />
<strong>Musik</strong>er<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>. Stichwort Kurt S<strong>in</strong>ger von Sophie Fetthauer (2006 bzw. 2008). Zum Kulturb<strong>und</strong>:<br />
Herbert Freeden, Jüdisches Theater <strong>in</strong> Nazideutschland. Tüb<strong>in</strong>gen sowie den Abschnitt ‚Kulturelles Leben‘ <strong>in</strong>:<br />
Brita Eckert u.a., Die jüdische Emigration aus Deutschland. Die Geschichte e<strong>in</strong>er Austreibung. Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />
1985, S. 107ff.<br />
15 Vgl. Joseph Wulf, <strong>Musik</strong>, S. 181ff.<br />
10
geistige Klima, dem Herr Ziegler entstammte. Er verfasste auch den Text des Begleitheftes, das unter<br />
dem gleichen Titel erschien . Ziegler lässt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Darstellung , die gleichzeitig e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong><br />
die Ausstellung se<strong>in</strong> soll, eigentlich alles Revue passieren, was <strong>in</strong> den zwanziger Jahren im Bereich <strong>der</strong><br />
Kunst mo<strong>der</strong>n war o<strong>der</strong> als mo<strong>der</strong>n galt <strong>und</strong> was <strong>in</strong> den Augen <strong>der</strong> Rechten Auswüchse darstellte.<br />
Man kann den Gesamttenor des ganzen Textes im Klischee ‚Die Juden s<strong>in</strong>d an allem Schuld‘<br />
zusammenfassen, denn Zieglers Ausführungen s<strong>in</strong>d vor allem e<strong>in</strong>e antisemitische Hetzschrift<br />
übelster Art 16 .<br />
Was zeigte die Ausstellung? Sie war vom Umfang her eher bescheiden. Unter <strong>der</strong> Überschrift<br />
Jüdisches Theater von e<strong>in</strong>st wurde die Aufmerksamkeit auf die Unterhaltungsmusik, beson<strong>der</strong>s den<br />
Jazz <strong>und</strong> die Operette gelenkt . Es wird auf die bekanntesten, jüdischen Operettenkomponisten wie<br />
Paul Abraham, Leo Fall, Oscar Strauß <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e h<strong>in</strong>gewiesen. Bil<strong>der</strong> von u.a. dem Tenor Richard<br />
Tauber <strong>und</strong> dem Komponisten Ernst Krenek werden gezeigt. Es wird mit den Gemälden Jazzband von<br />
Carl Hofer <strong>und</strong> <strong>Musik</strong>alische Komödie von Paul Klee e<strong>in</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> ‚entarteten Kunst‘<br />
hergestellt. E<strong>in</strong> Zitat vom Komponisten Hans Pfitzner r<strong>und</strong>et das Ganze ab: „Jazz ist Geme<strong>in</strong>heit,<br />
Atonalität ist Irrs<strong>in</strong>n“. Dann wird ausführlich auf die musikalische Erziehung im weitesten S<strong>in</strong>ne<br />
e<strong>in</strong>gegangen. Die Polemik o<strong>der</strong> besser gesagt die Verunglimpfungen konzentrieren sich auf<br />
<strong>Musik</strong>betrieb, Erziehung, Theaterwissenschaft <strong>und</strong> Presse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ära Kestenberg . Der Sozialdemokrat<br />
Leo Kestenberg (1882-1962) hatte als Angehöriger des Preußischen Kultusm<strong>in</strong>isteriums wichtige<br />
Neuerungen im Bereich <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>erziehung e<strong>in</strong>geleitet o<strong>der</strong> wie es im 7. Band vom MGG heißt:<br />
„Alle gegenwärtigen Reformbestrebungen auf dem Gebiet <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>erziehung gründen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Werk.“ 17 Für die Nationalsozialisten freilich war Kestenberg e<strong>in</strong> rotes Tuch, ihm wurde „liberalistische<br />
<strong>Musik</strong>erziehung“ <strong>und</strong> damit Ver<strong>der</strong>bnis <strong>der</strong> deutschen Jugend vorgeworfen. E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Name, <strong>der</strong><br />
hier begegnet ist Paul H<strong>in</strong>demith (1895-1963). Dieser hatte sich als Komponist auch für die<br />
Kestenbergschen Reformen engagiert , abgebildet ist die Partitur se<strong>in</strong>er auch jetzt noch sehr<br />
16 Der Text ist <strong>in</strong>tegral enthalten <strong>in</strong>: Katalog, S. 128ff.<br />
17 [Die <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart: Kestenberg (Familie). <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart, (vgl.<br />
MGG Bd. 07, S. 865) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]<br />
11
hörenswerten K<strong>in</strong><strong>der</strong>oper Wir bauen e<strong>in</strong>e Stadt von 1930. Über <strong>der</strong> Unterschrift Auflösung nicht nur<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>, son<strong>der</strong>n auch im Bühnenbild f<strong>in</strong>det sich neben Fotos von durch Expressionismus <strong>und</strong><br />
Neue Sachlichkeit geprägten Bühnenbil<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Foto von Otto Klemperer mit folgendem<br />
Kommentar: Der Jude Otto Klemperer führte als ‚Generalmusikdirektor‘ <strong>der</strong> Kroll-Oper <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> die<br />
Generalattacken gegen Richard Wagner. Se<strong>in</strong>e Inszenierung des ‚Fliegenden Hollän<strong>der</strong>‘ wurde zu<br />
e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> größten Theaterskandale <strong>der</strong> Systemzeit. Als er am ‚Platz <strong>der</strong> Republik‘ abgewirtschaftet<br />
hatte, setzte er noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Staatsoper ‚Unter den L<strong>in</strong>den‘ se<strong>in</strong> zersetzendes Treiben mit e<strong>in</strong>er ebenso<br />
berüchtigten ‚Tannhäuser‘-Inszenierung fort. Der Schlusssatz dieses Kommentars enthält e<strong>in</strong>e<br />
unfreiwillige, weil ironisch geme<strong>in</strong>te Wahrheit. Sie lautet: Klemperer ist nach <strong>der</strong> Machtübernahme<br />
<strong>in</strong> die Vere<strong>in</strong>igten Staaten emigriert. Dort lässt er sich als ‚Märtyrer‘ <strong>und</strong> ‚Opfer <strong>der</strong> deutschen<br />
Barbarei‘ feiern 18 . Klemperer war von 1927 bis 1931 Leiter <strong>der</strong> Krolloper <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> erregte großen<br />
Ärger mit zahlreichen Premieren zeitgenössischer Opern <strong>und</strong> bahnbrechenden Inszenierungen von<br />
u.a. Beethovens Fidelio o<strong>der</strong> Wagners Tannhäuser bei den damaligen Rechten, die nichts von<br />
diesem Kulturbolschewismus wissen wollten. Es gelang ihm im April 1933, rechtzeitig Deutschland<br />
zu verlassen <strong>und</strong> <strong>in</strong> die USA zu emigrieren, wo er von 1934 bis 1938 das Los Angeles Philharmonic<br />
Orchestra dirigierte. Auch an Klemperer kann man sehen, wie schwer es nach 1945 für e<strong>in</strong>en<br />
Emigranten war, <strong>in</strong> Deutschland Fuß zu fassen. Er hat hier beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> den fünfziger Jahren oft<br />
dirigiert, e<strong>in</strong>e feste Dirigentenstelle gab es für ihn nicht.<br />
Weiter f<strong>in</strong>det man unter dem Titel Entartung im <strong>Musik</strong>schaffen die Namen von Arnold Schönberg,<br />
Franz Schreker, <strong>der</strong> hier als Magnus Hirschfeld unter den Opernkomponisten bezeichnet wird,<br />
wie<strong>der</strong> Paul H<strong>in</strong>demith, Kurt Weill, Anton Webern, Igor Straw<strong>in</strong>ski <strong>und</strong> Alban Berg, geschmückt mit<br />
<strong>der</strong> Überschrift Wer von den Juden ißt, stirbt daran. Weiter begegnen die Namen von Ernst Toch<br />
(1887-1964), vom <strong>Musik</strong>schriftsteller <strong>und</strong> -kritiker Adolf Weißmann, von den <strong>Zeit</strong>schriften Melos <strong>und</strong><br />
Anbruch, die sich für die Mo<strong>der</strong>ne engagiert hatten. Am Schluss <strong>der</strong> ‚Abrechnung‘ ersche<strong>in</strong>t noch<br />
e<strong>in</strong>mal Paul H<strong>in</strong>demith, diesmal im Zusammenhang mit se<strong>in</strong>er Zusammenarbeit mit Bert Brecht 1929.<br />
18 Vgl. Katalog, S. XI<br />
12
Es fällt auf, wie schmal die Basis dieser Ausstellung ist, zumal e<strong>in</strong>ige Namen wie <strong>der</strong> von Paul<br />
H<strong>in</strong>demith o<strong>der</strong> Arnold Schönberg öfters genannt werden. Im Gr<strong>und</strong>e wurde direkt auf die<br />
avantgardistische Prom<strong>in</strong>enz <strong>der</strong> als ‚Systemzeit‘ bezeichneten Zwanziger Jahre zurückgegriffen <strong>und</strong><br />
wurden die damals schon von rechts angezettelten Skandale neu aufgefrischt. Sie wurde als jüdisch<br />
<strong>und</strong> kulturbolschewistisch diffamiert. Über nicht mehr lebende jüdische Komponisten wie Felix<br />
Mendelssohn, Gustav Mahler o<strong>der</strong> Jaques Offenbach wurde ke<strong>in</strong> Wort verloren. Die gab es wohl<br />
e<strong>in</strong>fach nicht mehr. Zieglers Beschimpfungen, denn an<strong>der</strong>s kann man se<strong>in</strong>e Ausführungen nicht<br />
bezeichnen, suggerieren e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit , die es <strong>in</strong> Wirklichkeit nicht <strong>und</strong> nie gegeben hat <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />
damaligen Avantgarde. Aber auf die Wahrheit kam es auch nicht an. Es g<strong>in</strong>g vor allem darum, die<br />
Bedrohung <strong>und</strong> die Unterwan<strong>der</strong>ung des Deutschen durch e<strong>in</strong>en jüdisch-bolschewistischen Block zu<br />
suggerieren. Paul H<strong>in</strong>demith etwa, war ke<strong>in</strong> Jude, aber Ziegler lässt sich am Ende se<strong>in</strong>er Abrechnung<br />
die Chance nicht nehmen, auf dessen jüdische Frau h<strong>in</strong>zuweisen. Arnold Schönberg war durch <strong>und</strong><br />
durch bürgerlich <strong>und</strong> wollte von den politischen Experimenten se<strong>in</strong>er Schüler Kurt Weil o<strong>der</strong> Paul<br />
Dessau nichts wissen. Es war Adolf Weißmann, <strong>der</strong> Schönbergs Variationen für Orchester Opus 31<br />
nach <strong>der</strong> Uraufführung durch das Berl<strong>in</strong>er Philharmonische Orchester unter Wilhelm Furtwängler am<br />
2.Dezember 1928 als Unmusik bezeichnete 19 . Das alles spielte für Herrn Ziegler ke<strong>in</strong>e Rolle, ihm g<strong>in</strong>g<br />
es vor allem darum, se<strong>in</strong>en Lesern die Verschwörung des Weltjudentums gegen das Deutschtum<br />
plausibel zu machen. Für Differenzierungen gab es da ke<strong>in</strong>en Platz, da war er voll im E<strong>in</strong>klang mit<br />
se<strong>in</strong>em Lehrer Adolf Bartels.<br />
Paul H<strong>in</strong>demith<br />
Paul H<strong>in</strong>demith konnte man ke<strong>in</strong>e jüdische Herkunft vorwerfen, aber H<strong>in</strong>demith hatte sich <strong>in</strong> den<br />
zwanziger Jahren aktiv für die von Leo Kestenberg angeregten Neuerungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>erziehung<br />
e<strong>in</strong>gesetzt <strong>und</strong> sie durch eigene Kompositionen, wie die bereits genannte K<strong>in</strong><strong>der</strong>oper Wir bauen e<strong>in</strong>e<br />
Stadt o<strong>der</strong> auch pfiffige K<strong>in</strong><strong>der</strong>lie<strong>der</strong> unterstützt. Spielbarkeit stand für ihn im Mittelpunkt. Daneben<br />
war er offen für die neuen musikalischen Anregungen, die mit dem Jazz nach Europa gekommen<br />
19 Vgl. Constant<strong>in</strong> Floros im Programmheft <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Philharmoniker, Nr. 7, September 2005.<br />
13
waren. Schon <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er 1922 komponierten Suite für Klavier, Opus 26 hatte sich H<strong>in</strong>demith <strong>der</strong> neuen<br />
Anregungen bedient. Drei <strong>der</strong> fünf Teile s<strong>in</strong>d mit amerikanischen Namen bezeichnet: Shimmy,<br />
Boston <strong>und</strong> Ragtime, die ebenso wie <strong>der</strong> als Marsch bezeichnete erste Teil parodistische Züge<br />
aufweisen, die sich durch die Gesamtbezeichnung Suite, die ihrerseits dem Barock entstammt,<br />
bestätigen. In e<strong>in</strong>em Kommentar zur Aufführungspraxis des Ragtime schrieb <strong>der</strong> damals 27 Jahre alte<br />
Komponist zur Bestätigung des provokativen Charakters: Nimm ke<strong>in</strong>e Rücksichten auf das, was Du <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Klavierst<strong>und</strong>e gelernt hast ... Spiele dieses Stück sehr wild, aber stets sehr stramm im Rhythmus,<br />
wie e<strong>in</strong>e Masch<strong>in</strong>e. Betrachte das Klavier als e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Art Schlagzeug… 20 Diese Bemerkung<br />
sollte <strong>in</strong> den darauffolgenden Jahren öfters gegen ihn verwendet werden. Paul H<strong>in</strong>demith gehörte zu<br />
den exponiertesten Gestalten <strong>der</strong> musikalischen Mo<strong>der</strong>ne <strong>in</strong> den zwanziger Jahren. Nicht nur war er<br />
als Komponist produktiv, son<strong>der</strong>n er engagierte sich auch für die Donauesch<strong>in</strong>ger <strong>Musik</strong>tage, <strong>in</strong><br />
denen die mo<strong>der</strong>ne <strong>Musik</strong> im Mittelpunkt stand, an <strong>der</strong>en Programmgestaltung er sich aktiv<br />
beteiligte. Se<strong>in</strong> Liedschaffen weist e<strong>in</strong>e große Vertrautheit mit <strong>der</strong> expressionistischen Dichtung auf<br />
<strong>und</strong> er setzte sich kritisch-ironisch mit <strong>der</strong> damaligen traditionellen <strong>Musik</strong>praxis ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, wie <strong>in</strong><br />
M<strong>in</strong>imax. ‚Repertorium für Militärmusik‘ für Streichquartett o<strong>der</strong> die Ouvertüre zum fliegenden<br />
Hollän<strong>der</strong>, wie sie e<strong>in</strong>e schlechte Kurkappelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt. 21 Er machte<br />
also auch nicht vor Wagner Halt <strong>und</strong> wurde se<strong>in</strong>em Ruf als Bürgerschreck 22 auf mancherlei Art<br />
gerecht. 1926 wurde se<strong>in</strong>e erste große Oper Cardillac uraufgeführt. 1927 wurde er als<br />
Kompositionslehrer an <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Hochschule für <strong>Musik</strong> berufen. Im Lauf <strong>der</strong> zwanziger Jahre hatte<br />
sich H<strong>in</strong>demith als Mitglied des Amar-Quartetts zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> führenden Bratschisten se<strong>in</strong>er <strong>Zeit</strong><br />
entwickelt. Se<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit Simon Goldberg <strong>und</strong> Emanuel Feuerbach, aus <strong>der</strong> e<strong>in</strong>ige<br />
Ikonen <strong>der</strong> Schallplattengeschichte hervorgegangen s<strong>in</strong>d, brachte ihm den Vorwurf e<strong>in</strong><br />
judenfre<strong>und</strong>lich zu se<strong>in</strong>. Im April 1933 wurde die Hälfte se<strong>in</strong>er Werke als kulturbolschewistisch<br />
verboten, 1936 folgte <strong>der</strong> Rest. Die Ausstellung von 1938 war nur e<strong>in</strong>e Bestätigung. Seit etwa 1933<br />
arbeitete H<strong>in</strong>demith an e<strong>in</strong>er neuen Oper, Mathis <strong>der</strong> Maler, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er weitgehend auf die bisherigen<br />
20 Zitiert nach Beiheft CD, Ivo Jansen, S.11.(Globe)<br />
21 Demmler, H<strong>in</strong>demith, S. 177.<br />
22 Demmler, H<strong>in</strong>demith, S. 177.<br />
14
provozierenden o<strong>der</strong> befremdlichen Elemente verzichtet. Teile des Werkes fügte H<strong>in</strong>demith zur<br />
dreiteiligen Mathis-S<strong>in</strong>fonie zusammen. Wilhelm Furtwängler, <strong>der</strong> schon im April 1933 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Brief an Goebbels gegen die wahllose Verfolgung <strong>und</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierung jüdischer <strong>und</strong> missliebiger<br />
Künstler protestiert hatte, 23 nahm sich dieses Werkes an <strong>und</strong> dirigierte die Berl<strong>in</strong>er Uraufführung im<br />
März 1934, die sich zu e<strong>in</strong>em demonstrativen Triumph für H<strong>in</strong>demith gestaltete. Auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Orten wurde die S<strong>in</strong>fonie aufgeführt. Obwohl von e<strong>in</strong>em Skandal nicht die Rede se<strong>in</strong> konnte, f<strong>in</strong>g die<br />
Nazipresse an, sich auf H<strong>in</strong>demith e<strong>in</strong>zuschießen. Dies veranlasste Furtwängler zu e<strong>in</strong>er<br />
Stellungnahme <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Allgeme<strong>in</strong>en <strong>Zeit</strong>ung vom 25. November 1934, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er für<br />
H<strong>in</strong>demith Partei ergriff 24 . Jetzt war <strong>der</strong> Skandal da. Die <strong>Zeit</strong>ung musste nachgedruckt werden <strong>und</strong><br />
Furtwängler wurde am selben Tag bei e<strong>in</strong>er Generalprobe mit e<strong>in</strong>em zwanzig M<strong>in</strong>uten dauernden<br />
Applaus empfangen. Abends, als er Tristan <strong>und</strong> Isolde dirigierte, wie<strong>der</strong>holte sich dies, obwohl<br />
Goebbels <strong>und</strong> Goer<strong>in</strong>g sich <strong>in</strong> ihren Logen befanden. Da war für Goebbels deutlich, dass e<strong>in</strong>gegriffen<br />
werden musste. Bei e<strong>in</strong>er großen K<strong>und</strong>gebung im Sportpalast wenige Tage später g<strong>in</strong>g er ausführlich<br />
auf den Fall H<strong>in</strong>demith e<strong>in</strong> <strong>und</strong> erteilte jedem Entgegenkommen e<strong>in</strong>e Absage: Wir verwahren uns auf<br />
das energischste dagegen, diesen Künstlertypus als deutsch angesprochen zu sehen, <strong>und</strong> buchen die<br />
Tatsache se<strong>in</strong>es blutsmäßig re<strong>in</strong> germanischen Ursprungs nur als drastischsten Beweis dafür, wie tief<br />
sich die jüdisch-<strong>in</strong>tellektualistische Infizierung bereits <strong>in</strong> unserem eigenen Volkskörper festgefressen<br />
hatte 25 Wenige Tage davor hatte Wilhelm Furtwängler se<strong>in</strong>e Ämter als Vizepräsidenten <strong>der</strong><br />
Reichsmusikkammer, als Leiter des Berl<strong>in</strong>er Philharmonischen Orchesters <strong>und</strong> als Direktor <strong>der</strong><br />
Berl<strong>in</strong>er Staatsoper nie<strong>der</strong>gelegt. Knapp drei Monate später, erklärte Furtwängler nach e<strong>in</strong>er<br />
Unterredung mit Goebbels, dass er mit se<strong>in</strong>er Stellungnahme für H<strong>in</strong>demith re<strong>in</strong> musikalisch<br />
gehandelt habe <strong>und</strong> es nicht <strong>in</strong> ihm aufgekommen sei, damit die Reichskunstpolitik <strong>in</strong> Frage zu<br />
stellen. Mir sche<strong>in</strong>t, dass es sich hier um e<strong>in</strong>e charakteristische Konstellation handelt: Unbeugsam <strong>in</strong><br />
Sachen <strong>Musik</strong> o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den musikalischen Wertvorstellungen, schwankend <strong>und</strong> unsicher wenn es sich<br />
um die politischen Realitäten handelt. Da galt es sich zu arrangieren. Furtwängler war e<strong>in</strong><br />
23 Vgl. Wulf, S. 86f.<br />
24 Wulf, <strong>Musik</strong>, S. 373ff.<br />
25 Wulf, <strong>Musik</strong>, S. 378.<br />
15
weltberühmter Dirigent, auf dessen Renommee das Regime nicht verzichten konnte <strong>und</strong> wollte. Der<br />
Verlust se<strong>in</strong>er Ämter <strong>und</strong> Ehrenämter war aber e<strong>in</strong> Warnschuss, <strong>der</strong> nicht überhört werden konnte.<br />
Ähnlich erg<strong>in</strong>g es Richard Strauß, <strong>der</strong> 1933 zum Präsidenten <strong>der</strong> Reichsmusikkammer ernannt wurde<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> we<strong>der</strong> auf se<strong>in</strong>en (jüdischen) Librettisten Stefan Zweig verzichten noch ihn verleugnen<br />
wollte. Die Oper Die schweigsame Frau, für die Zweig das Libretto geschrieben hatte, war 1933<br />
weitgehend fertig. Die Uraufführung fand 1935 trotz <strong>in</strong>terner nationalsozialistischer Proteste durch<br />
Son<strong>der</strong>genehmigung von Hitler <strong>und</strong> Goebbels <strong>in</strong> Dresden statt <strong>und</strong> war e<strong>in</strong> Erfolg. Dennoch wurde<br />
sie nach <strong>der</strong> zweiten Aufführung verboten, weil die Gestapo Briefe von Strauß an Stefan Zweig<br />
abgefangen hatte, aus denen hervorg<strong>in</strong>g, dass Strauß überhaupt nicht daran dachte, künftig auf<br />
Zweig als Librettisten zu verzichten. Damit war es mit <strong>der</strong> Geduld <strong>und</strong> Rücksichtnahme <strong>der</strong><br />
Machthaber zu Ende. Strauß, <strong>der</strong> durch se<strong>in</strong>e jüdische Schwiegertochter nicht ungefährdet war,<br />
wurde nahegelegt, als Präsidenten <strong>der</strong> Reichsmusikkammer zurückzutreten, was er auch machte.<br />
Strauß war von dann für das Regime nur noch Repräsentationsfigur, er bekam Kompositionsaufträge<br />
für festliche Anlässe, wie die Olympiade 1936 <strong>und</strong> durfte dirigieren. Strauß war wohl e<strong>in</strong> geschickter<br />
Taktiker, <strong>der</strong> wusste, dass er sich für die Erreichung se<strong>in</strong>er künstlerischer Absichten gut mit den<br />
Machthabern zu stellen hatte, auch wenn er das Regime o<strong>der</strong> System verachtete. Er hatte aber<br />
letztlich nur se<strong>in</strong> Werk im Auge o<strong>der</strong> wie ihn Stefan Zweig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Er<strong>in</strong>nerungen Die Welt von<br />
gestern charakterisiert: In Wirklichkeit bekümmerte ihn im sacro egoismo des Künstlers nur e<strong>in</strong>es:<br />
se<strong>in</strong> Werk <strong>in</strong> lebendiger Wirksamkeit zu erhalten <strong>und</strong> vor allem die neue Oper aufgeführt zu sehen, die<br />
se<strong>in</strong>em Herzen beson<strong>der</strong>s nahestand. 26<br />
Spätestens zwei Jahre nach <strong>der</strong> Machtergreifung war auch für die <strong>Musik</strong> deutlich geworden, dass<br />
von politischer E<strong>in</strong>flussnahme von Seiten <strong>der</strong> Künstler nicht die Rede se<strong>in</strong> Konnte. Und das Regime<br />
brauchte schon damals die repräsentativen Gallionsfiguren wohl nicht mehr. Die verwaisten<br />
Ehrenämter wurden dann auch gleich mit Handlangern wie Peter Raabe (1872-1945) o<strong>der</strong> Paul<br />
Graener (1872-1944) besetzt.<br />
26 Welt von Gestern, Tb. 269<br />
16
Paul H<strong>in</strong>demith übrigens nahm nach diesen Ereignissen e<strong>in</strong>en Auftrag <strong>der</strong> türkischen Regierung an,<br />
das <strong>Musik</strong>leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei neu zu gestalten. Als er 1937 zurückkehrte <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Berl<strong>in</strong>er Stelle<br />
wie<strong>der</strong> aufnehmen wollte, sah er bald die Unmöglichkeit e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> weiterzuarbeiten <strong>und</strong><br />
wan<strong>der</strong>te <strong>in</strong> die Schweiz aus, wo 1938 <strong>in</strong> Zürich auch mit großen Erfolg se<strong>in</strong>e Oper Mathis <strong>der</strong> Maler<br />
uraufgeführt wurde. 1940 emigrierte er <strong>in</strong> die Vere<strong>in</strong>igten Staaten.<br />
Ernst Krenek<br />
Das Interessanteste an dem Begleitheft zur Ausstellung ist jedoch <strong>der</strong> Umschlag. Nicht nur, weil<br />
dar<strong>in</strong> die ganze Primitivität <strong>der</strong> Nazipropaganda zum Ausdruck kommt, son<strong>der</strong>n auch weil <strong>in</strong> ihm die<br />
ganze Ablehnung des Neuartigen erkennbar wird. Vor e<strong>in</strong>em grellroten H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ragt e<strong>in</strong>e<br />
überlebensgroße Negergestalt hervor, sie trägt e<strong>in</strong>en Smok<strong>in</strong>g, auf dem Kopf e<strong>in</strong>en Zyl<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />
darunter ist das Kraushaar zusehen.. Die schwulstigen Lippen ragen weit hervor. Auf dem rechten<br />
Revers <strong>der</strong> Jacke bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> Judenstern. Er spielt Saxophon. Dazu die Unterschrift Entartete<br />
<strong>Musik</strong>. Es ist die Karikatur e<strong>in</strong>es farbigen Jazzmusikers, wie sie <strong>in</strong> den zwanziger Jahren nach Europa<br />
kamen <strong>und</strong> die sich großer Beliebtheit erfreuten. Die neuartigen Rhythmen bestimmten nicht nur<br />
die Unterhaltungs- <strong>und</strong> Tanzmusik, son<strong>der</strong>n auch die Komponisten ernster <strong>Musik</strong> blieben nicht davon<br />
unbee<strong>in</strong>flusst, wie schon das Beispiel H<strong>in</strong>demith zeigte.<br />
Ernst Krenek (1900-1991), <strong>der</strong> bei Franz Schreker Komposition studiert hatte, war se<strong>in</strong>em Lehrer<br />
nach Berl<strong>in</strong> gefolgt <strong>und</strong> machte dort Bekanntschaft mit den neuen Formen <strong>der</strong> Unterhaltungsmusik,<br />
17
die er auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Kompositionen verwertete. Am Augenfälligsten ist dies <strong>der</strong> Fall <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Oper<br />
Jonny spielt auf, <strong>der</strong>en Komposition er im Herbst 1925 angefangen hatte <strong>und</strong> die am 11. Februar<br />
1927 <strong>in</strong> Leipzig uraufgeführt wurde. Das Werk besteht eigentlich aus zwei Bestandteilen. E<strong>in</strong>erseits<br />
ist es die eher, musikalisch entsprechend untermalte, romantische Geschichte des<br />
mitteleuropäischen Komponisten Max, <strong>der</strong> sich am liebsten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Gebirgs- <strong>und</strong> Gletscherwelt<br />
zurückzieht <strong>und</strong> nach se<strong>in</strong>er enttäuschten Liebe zur Sänger<strong>in</strong> Anita <strong>in</strong> ihr aufgehen möchte, aber<br />
vom Gletscher verstoßen wird. An<strong>der</strong>erseits geht es um den Jazzgeiger Jonny, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e ungebändigte<br />
Vitalität ausstrahlt, aber es vor allem auf die teure Geige des Virtuosen Daniello abgesehen hat. Im<br />
Pariser Hotel, wo Anita <strong>und</strong> Daniello wohnen, versucht Jonny, <strong>der</strong> die Geige stehlen will, Anita, die<br />
offensichtlich ke<strong>in</strong>e Probleme mit e<strong>in</strong>em Seitensprung hat, für die Nacht zu erobern. Er wird aber von<br />
Daniello ausgebootet, <strong>der</strong> mit Anita im Zimmer verschw<strong>in</strong>det. Jonny stiehlt während dieser <strong>Zeit</strong> die<br />
Geige. Am Ende treffen sich alle im Ort des Berghotels, wo die Oper angefangen hat, <strong>und</strong> es gibt e<strong>in</strong>e<br />
Reihe von weiteren Verwicklungen <strong>und</strong> Missverständnissen. Anita <strong>und</strong> Max versöhnen sich, Jonny<br />
behält se<strong>in</strong>e gestohlene Geige, Daniello wird vom Zug überrollt. Max, Anita, Jonny steigen <strong>in</strong> den<br />
bereitstehenden Zug e<strong>in</strong> <strong>und</strong> machen sich auf den Weg nach Amerika. Für Jonnys Aktionismus<br />
verwendet Krenek e<strong>in</strong>e Reihe von jazzähnlichen Elementen, die se<strong>in</strong>e Vitalität unterstreichen sollen.<br />
Dennoch spielt das Jazzelement <strong>in</strong> <strong>der</strong> Oper nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle. Die <strong>Musik</strong> ist <strong>in</strong>sgesamt<br />
sehr e<strong>in</strong>gängig <strong>und</strong> nähert sich an manchen Stellen eher <strong>der</strong> Operette an. Es handelt sich um e<strong>in</strong>e<br />
typische <strong>Zeit</strong>oper, Krenek setzt alle Mittel <strong>der</strong> damals mo<strong>der</strong>nen Technik e<strong>in</strong>. Max erkennt die<br />
Stimme Anitas durch die Lautsprecheranlage des Hotels wie<strong>der</strong>, die Schlussszene spielt sich am<br />
Bahnhof mit Lokomotive ab. Das Werk wurde begeistert empfangen, löste aber auch heftige<br />
Gegenreaktionen aus.. Bis 1930 fanden mehr als 450 Aufführungen an gut 100 Opernhäusern statt<br />
<strong>und</strong> das Werk wurde <strong>in</strong> 18 Sprachen übersetzt. Mit diesem Werk hatte er die Lebensstimmung jener<br />
Jahre e<strong>in</strong>gefangen <strong>und</strong> <strong>in</strong>tuitiv den <strong>Zeit</strong>geist getroffen 27 . Offensichtlich sehr zum Ärger <strong>der</strong> Rechten,<br />
die schon bald gegen das Werk mobil machten. In Wien etwa wurde auf e<strong>in</strong>em<br />
hakenkreuzgeschmückten Flugblatt für den 13. Januar 1928 zu e<strong>in</strong>er Riesenprotestk<strong>und</strong>gebung<br />
27 Demmler, Krenek, S. 241.<br />
18
aufgerufen unter <strong>der</strong> Schlagzeile Unsere Staatsoper ist e<strong>in</strong>er frechen jüdisch- negerischen Besudelung<br />
zum Opfer gefallen 28 . Selbstverständlich fehlt auch das Wort Kulturbolschewismus auf diesem<br />
Flugblatt nicht. Aber Wien war nicht <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Ort. Jazzmusik war damals beim konservativ<br />
orientierten Bevölkerungsteil als ‚Negermusik‘ verpönt. Dieses Wort hat sich übrigens bis <strong>in</strong> die<br />
fünfziger Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umgangssprache gehalten. Auch moralische Probleme s<strong>in</strong>d auf <strong>der</strong><br />
Opernbühne mit Vorsicht zu beurteilen. Richard Strauß‘ Rosenkavalier fängt auch nicht gerade<br />
puritanisch an. Es kommt noch h<strong>in</strong>zu, dass <strong>der</strong> Jonny aus Kreneks Oper ke<strong>in</strong> typischer Jazzmusiker ist,<br />
er spielt ke<strong>in</strong> Saxophon, son<strong>der</strong>n Geige. Man könnte me<strong>in</strong>en, dass Krenek hier e<strong>in</strong> ironisches Spiel<br />
mit dem gängigen Motiv treibt, denn auch sonst gibt es im Libretto ironische Anspielungen. Wenn die<br />
Hotelgäste, zum Beispiel, Anita durch den Lautsprecher s<strong>in</strong>gen hören, lautet ihr Kommentar: Hören<br />
Sie die Stimme an! /Sie kl<strong>in</strong>gt so göttlich schön/ Schade, dass sie so gern / mo<strong>der</strong>ne <strong>Musik</strong> s<strong>in</strong>gt! /<br />
Und doch, wie sie’s s<strong>in</strong>gt, me<strong>in</strong>t man fast, / es wäre <strong>Musik</strong>. 29 Zusammen mit an<strong>der</strong>en fast<br />
slapstickartig wirkenden Elementen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Oper selber <strong>und</strong> weiteren ironischen Bemerkungen im<br />
Libretto wirkt die Oper eher als Parodie auf die Gattung. Es gibt me<strong>in</strong>es Wissens nur e<strong>in</strong> Bühnenwerk,<br />
<strong>in</strong> dem e<strong>in</strong> Jonny <strong>in</strong> Re<strong>in</strong>form auftritt. In Paul Abrahams (1892-1960) auch jetzt noch immer wie<strong>der</strong><br />
aufgeführte Erfolgsoperette Blume von Hawaii, die 1931 ebenfalls <strong>in</strong> Leipzig uraufgeführt wurde,<br />
tritt e<strong>in</strong> richtiger Jonny mit Saxophon auf, dessen Song auch über die Operette h<strong>in</strong>aus bekannt<br />
wurde: B<strong>in</strong> nur e<strong>in</strong> Jonny… Von Paul Abraham ist bis auf die Nennung se<strong>in</strong>es Namens als jüdischen<br />
Operettenkomponisten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausstellung nirgendwo die Rede.<br />
Für die Bekämpfer von Jazz <strong>und</strong> mo<strong>der</strong>ner <strong>Musik</strong> wurde die Oper unbesehen zum Inbegriff <strong>der</strong><br />
Vewerflichkeit. Hans Severus Ziegler, <strong>in</strong> dessen Abrechnung das Bild von Krenek mit <strong>der</strong> Unterschrift<br />
versehen ist, dieser propagiere <strong>in</strong> Jonny spielt auf die Rassenschande als die Freiheit <strong>der</strong> ‚Neuen<br />
Welt‘ 30 zieht aber auch die Deutschen zur Verantwortung: E<strong>in</strong> Volk, das dem ‚Jonny‘, <strong>der</strong> ihm schon<br />
lang aufspielte, nahezu hysterisch zujubelt, m<strong>in</strong>destens aber <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktlos zuschaut, ist seelisch <strong>und</strong><br />
geistig so krank geworden <strong>und</strong> <strong>in</strong>nerlich so wirr <strong>und</strong> unsauber, daß es für die unendliche <strong>und</strong> uns<br />
28<br />
Vgl. Faksimile im Beiheft, CD, S. 49.<br />
29<br />
Beiheft, CD, S. 206.<br />
30<br />
Vgl. Katalog, Ziegler, S. 17.<br />
19
immer wie<strong>der</strong> erschütternde Re<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> Schlichtheit <strong>und</strong> Gemütstiefe <strong>der</strong> ersten Takte <strong>der</strong><br />
‚Freischütz‘-Ouvertüre nichts mehr übrig haben k a n n. 31<br />
Für Hans Severus Ziegler <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Mitarbeiter Paul Sixt (1908-1964) hatte die Ausstellung übrigens<br />
nach 1945 ke<strong>in</strong>e Folgen, Sixt brachte es zum Generalmusikdirektor <strong>in</strong> Detmold, Ziegler war u.a. als<br />
Gymnasiallehrer tätig <strong>und</strong> zeigte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Veröffentlichungen, <strong>in</strong> denen er Hitlers Kulturpolitik<br />
nachträglich verherrlichte, als unbelehrbar.<br />
Die Ausstellung, aber auch die Reichsmusiktage bildeten damals im Mai 1938 weniger e<strong>in</strong>en Appell<br />
als vielmehr die Bestätigung e<strong>in</strong>er <strong>Musik</strong>politik, die von nationalsozialistischer Seite <strong>in</strong> den<br />
vergangenen fünf Jahren erfolgreich betrieben worden war. Man konnte jetzt die Hüllen fallen<br />
lassen, was dann sechs Monate später bei den Novemberpogromen auch prompt geschah.<br />
Zu den vom 22. Bis 29.Mai 1938 abgehaltenen Reichsmusiktagen gehörte ebenfalls e<strong>in</strong> ausführliches<br />
musikalisches Begleitprogramm, mit dem <strong>in</strong>direkt gezeigt wurde, was erlaubt war. Es gab alle<strong>in</strong> schon<br />
drei S<strong>in</strong>foniekonzerte <strong>und</strong> zwei , eigentlich drei Opernaufführungen. Daneben gab es Werkskonzerte,<br />
<strong>der</strong> Nationalsozialistische Studentenb<strong>und</strong> <strong>und</strong> die Hitlerjungend präsentierten sich musikalisch.<br />
Kammerkonzerte, Männerchöre <strong>und</strong> Militärmusik fehlten ebenfalls nicht. Richard Strauß persönlich<br />
dirigierte se<strong>in</strong>e Oper Arabella. Die zweite Opernaufführung war Paul Graeners Oper Don Juan letztes<br />
Abenteuer vorbehalten. Paul Graener, <strong>der</strong> übrigens zu den öfters aufgeführten Opernkomponisten<br />
<strong>der</strong> zwanziger Jahre gehörte <strong>und</strong> die Nachfolge Furtwänglers als Vizepräsidenten <strong>der</strong><br />
Reichsmusikkammer angetreten hatte, hatte sich <strong>in</strong> diesem musikalischen Begleitprogramm gut<br />
bedienen lassen. Er ist dort alle<strong>in</strong> schon mit drei Kompositionen vertreten. Leitmotivisch waren die<br />
Aufführungen von Hans Pfitzners Eichendorffkantate Von deutscher Seele <strong>und</strong> Beethovens Neunte<br />
S<strong>in</strong>fonie, die damals fast zu jedem feierlichen Anlass, e<strong>in</strong>schließlich Hitlers Geburtstag gespielt wurde.<br />
Wie die damaligen Machthaber dieses Werk mit ihrem System <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen wussten, wird<br />
wohl e<strong>in</strong> Rätsel bleiben. Der klassische Teil des Rahmenprogramms bot neben traditionellen Werken<br />
<strong>und</strong> Namen sehr viel Neues <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>nes. Man stößt etwa auf die Namen von Werner Egk (1901-<br />
31 Ebenda, S. 12.<br />
20
1983), <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Er<strong>in</strong>nerungen vielleicht etwas zu leichtfüßig über diese <strong>Musik</strong>tage äußert 32 ,<br />
<strong>und</strong> Boris Blacher (1903-1975). Dazu zahlreiche Erstaufführungen von unbekannten Komponisten,<br />
die übrigens auch alle unbekannt geblieben s<strong>in</strong>d. Lediglich die Geigenmusik <strong>in</strong> drei Sätzen von Boris<br />
Blacher löste beim Publikum Beunruhigung auf, wohl weil er zu sehr an se<strong>in</strong>em Vorbild Straw<strong>in</strong>sky<br />
er<strong>in</strong>nerte. Sonst ist von e<strong>in</strong>em Presseecho zu den neuen Kompositionen kaum die Rede. Sie hatten<br />
wohl nur Alibifunktion <strong>und</strong> sollten die Offenheit für das Neue demonstrieren. Von politischer<br />
Bedeutung waren sie nicht. Die Bestätigung <strong>der</strong> momentanen Situation war viel wichtiger <strong>und</strong><br />
relevanter. Aus den hochgestochenen Plänen für e<strong>in</strong>e weitere Institutionalisierung <strong>der</strong><br />
Reichsmusiktage wurde schon durch den baldigen Kriegsausbruch nichts mehr, aber als<br />
propagandistische Momentaufnahme waren sie durchaus gelungen.<br />
Druck <strong>und</strong> Zivilcourage<br />
Der nationalsozialistische <strong>Musik</strong>betrieb funktionierte auch ohne jüdische Beteiligte o<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne<br />
Komponisten, die ke<strong>in</strong>e Angst vor dem Experiment hatten. Man beugte sich o<strong>der</strong> versteckte sich<br />
h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>. Das galt natürlich sehr stark für die <strong>Musik</strong>er selber. Offene Bekenntnisse s<strong>in</strong>d<br />
relativ selten. Lediglich Karl Böhm (1894-1981) tat sich durch Ergebenheitsadressen an Hitler 1933<br />
<strong>und</strong> 1938 nach dem Anschluss hervor <strong>und</strong> för<strong>der</strong>te se<strong>in</strong>e Karriere unter dem Regime nach Kräften,<br />
obwohl er übrigens ke<strong>in</strong> Parteimitglied war. Aber auch Wi<strong>der</strong>stand war selten. Der Druck muss<br />
ungeheuer gewesen se<strong>in</strong>. Bruno Walter (1876-1962) beschreibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en von<br />
Versöhnungsbereitschaft getragenen Er<strong>in</strong>nerungen Thema <strong>und</strong> Variationen (1947) wie er sich 1933<br />
nach se<strong>in</strong>er Rückkehr aus New York auf den Weg nach Leipzig machte, wo er das<br />
Gewandhausorchester dirigieren sollte. Der Leipziger Polizeipräsident hatte allerd<strong>in</strong>gs vor, das<br />
Konzert auf Wunsch <strong>der</strong> Nationalsozialisten zu verbieten. Trotz <strong>in</strong>tensiver Bemühungen des<br />
Gewandhausvorstandes gelang es nicht, das Konzert stattf<strong>in</strong>den zulassen. Es wurde verboten <strong>und</strong><br />
Bruno Walter reiste weiter nach Berl<strong>in</strong>, wo er <strong>in</strong> de Philharmonie dirigieren sollte. Auch hier liefen<br />
Bemühungen, se<strong>in</strong> Auftreten zu vereiteln. Als Walters Konzertdirektion beim<br />
32 Vgl. Werner Egk, Die <strong>Zeit</strong> wartet nicht. Künstlerisches <strong>Zeit</strong>geschichtliches Privates aus me<strong>in</strong>em Leben.<br />
München 1981, S. 284ff. (urspr. 1973 erschienen)<br />
21
Propagandam<strong>in</strong>isterium nach den Gründen fragte <strong>und</strong> ob man dann nicht wenigstens e<strong>in</strong> Verbot<br />
aussprechen könnte, lautete die Antwort des dort amtierenden Walter Funk (1890-1960), <strong>der</strong><br />
wegen se<strong>in</strong>er Tätigkeiten für das Regime bei den Nürnberger Prozessen zu lebenslänglicher Haft<br />
verurteilt werden sollte, dass man das Konzert nicht verbieten wolle, weil das<br />
Propagandam<strong>in</strong>isterium ke<strong>in</strong> Interesse daran habe, <strong>der</strong> Konzertdirektion aus <strong>der</strong> Verlegenheit zu<br />
helfen: Wenn Sie aber das Konzert abhalten, dann können Sie sicher se<strong>in</strong>, daß alles im Saal kurz <strong>und</strong><br />
kle<strong>in</strong> geschlagen werden wird. 33 Das Konzert fand statt ohne Bruno Walter, es wurde dirigiert von<br />
Richard Strauß. Bruno Walter bemerkt lakonisch <strong>und</strong> nicht ohne Ironie dazu: Der Komponist des<br />
‚Heldenleben‘ erklärte sich tastsächlich bereit, anstatt des gewaltsam entfernten Kollegen zu<br />
dirigieren <strong>und</strong> erwarb sich damit e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Beliebtheit <strong>in</strong> den oberen Rängen des Nazitums. 34<br />
Bruno Walter machte sich schleunigst auf den Weg <strong>in</strong> das damals noch halbwegs freie Österreich.<br />
Es gab zum Glück aber auch Zeichen von Zivilcourage. Die weltberühmte Sopranist<strong>in</strong> Erna Berger<br />
(1900-1990), die damals noch am Anfang ihrer Karriere stand, weigerte sich mit wenigen an<strong>der</strong>en<br />
1933 e<strong>in</strong>e Unfähigkeitserklärung gegen Fritz Busch, <strong>der</strong> von den Nationalsozialisten aus se<strong>in</strong>em<br />
Dresdner Dirigentenamt vertrieben worden war, zu unterschreiben. Folgen für ihre Karriere hat dies<br />
nicht gehabt. Überhaupt zeigt sich Erna Berger <strong>in</strong> ihren Er<strong>in</strong>nerungen Auf Flügeln des Gesanges.<br />
Er<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>er Sänger<strong>in</strong> wie wenige selbstkritisch, beschönigt kaum <strong>und</strong> spricht auch aus, dass<br />
sie, was die Politik betraf, mit Scheuklappen 35 durch die Welt g<strong>in</strong>g: Daß die Staatsoper während des<br />
Krieges mit dem ganzen Ensemble <strong>in</strong>s besetzte Paris fuhr … hat mich nur gefreut. Dass es gleichzeitig<br />
e<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>dselige Machtdemonstration gegenüber dem unterlegenen Gegner bedeutete, machte ich<br />
mir nicht klar. Man hatte mich vor dem Krieg <strong>in</strong> Paris als Künstler<strong>in</strong>, nicht als Deutsche gefeiert,<br />
warum sollte das jetzt an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong>? 36 Solche ehrlichen Stimmen sche<strong>in</strong>en mir selten zu se<strong>in</strong>.<br />
Es war schwer vor allem <strong>in</strong> dem auf Öffentlichkeit angewiesenen Berufsbereich e<strong>in</strong>es Komponisten<br />
o<strong>der</strong> <strong>Musik</strong>ers, sich den E<strong>in</strong>flüssen <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> zu entziehen <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>erlei Weise korrumpieren zu<br />
33<br />
Zitiert nach: Bruno Walter, Thema <strong>und</strong> Variationen. Er<strong>in</strong>nerungen <strong>und</strong> Gedanken. Stockholm 1947, S. 442.<br />
34<br />
Ebenda, S. 443.<br />
35<br />
Erna Berger, Auf flügeln des Gesanges. Er<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>er Sänger<strong>in</strong>. Berl<strong>in</strong> 1990, S. 65.<br />
36 Ebenda, S. 67.<br />
22
lassen. Wenn man sich dazu entschied, blieb nur das Schweigen, die <strong>in</strong>nere Emigration, wie Karl<br />
Amadeus Hartmann (1905-1963) dies praktiziert <strong>und</strong> durchgehalten hat. Hartmann stand 1933 am<br />
Anfang se<strong>in</strong>er Komponistenkarriere. In Deutschland war ke<strong>in</strong> Platz für ihn, er wollte ihn auch gar<br />
nicht. E<strong>in</strong>zelne Werke wurden nicht ohne Erfolg im Ausland aufgeführt. Se<strong>in</strong>e 1934/1935<br />
entstandene Oper Des Simplicius Simplicissimus Jugend, die den Schrecken des Dreißigjährigen<br />
Krieges thematisierte, blieb <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schublade ebenso wie das weitere Werk, das zwischen 1933 <strong>und</strong><br />
1945 entstand. Man hört den Kompositionen dieser Jahre auch jetzt noch an, wie schwer ihm die<br />
Jahre <strong>der</strong> Isolation gefallen se<strong>in</strong> müssen <strong>und</strong> wie groß se<strong>in</strong>e Trauer, die ihn freilich nicht zur Passivität<br />
erlahmen ließ, gewesen se<strong>in</strong> muss. Ulrich Dibelius umschreibt dies sehr zutreffend, wenn er<br />
bemerkt: Der Ton <strong>der</strong> Klage schw<strong>in</strong>gt sich auf zur Anklage, die Gebärde des Leidens weitet sich zum<br />
Mitleiden mit allen, die Schmerzen, Verfolgung, Knechtschaft <strong>und</strong> Ungerechtigkeit ertragen müssen,<br />
auch mit denen, die vergeblich ausharren <strong>und</strong> hoffen. 37 1945 meldete Hartmann sich dann wie<strong>der</strong><br />
zurück, nicht nur als Komponist, son<strong>der</strong>n vor allem auch als Initiator <strong>und</strong> treibende Kraft <strong>der</strong> Musica<br />
Nova. Es blieben ihm freilich nur 18 Jahre.<br />
Leseh<strong>in</strong>weise (so weit nicht <strong>in</strong> den Anmerkungen enthalten):<br />
Michael Gielen, Unbed<strong>in</strong>gt <strong>Musik</strong>. Er<strong>in</strong>nerungen. Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 2005<br />
Andreas Novak, Salzburg hört Hitler atmen. Die Salzburger Festspiele 1933-1944. München 2005.<br />
Die <strong>Zeit</strong> Klassik-Edition Nr. 10: Wilhelm Furtwängler. Hamburg o. J.<br />
Die <strong>Zeit</strong> Klassik-Edition Nr. 20: Otto Klemperer. Hamburg o.J.<br />
(Beide kurz, aber sehr <strong>in</strong>formativ)<br />
Wolfgang Wagner, Lebens- Akte. Autobiographie. München 1994.<br />
Gottfried Wagner, Wer nicht mit dem Wolf heult. Autobiographische Aufzeichnungen e<strong>in</strong>es Wagner-<br />
Urenkels. Mit e<strong>in</strong>em Vorwort von Ralph Giordano. Köln 1997.<br />
37 Ulrich Dibelius, Mo<strong>der</strong>ne <strong>Musik</strong> I., 1945-1965. München 1984, S. 69.<br />
23
Kar<strong>in</strong> Wagner (Hg.), Es grüßt Dich Erich Israel. Briefe von <strong>und</strong> an Erich Zeisl. Wien 2008.<br />
(Emigrantenleben zwischen Wien, Kalifornien <strong>und</strong> an<strong>der</strong>swo nach 1945)<br />
DVD:<br />
Enrique Sánchez Lansch, ‚Das Reichsorchester‘ die Berl<strong>in</strong>er Philharmoniker <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Nationalsozialismus. Arthaus <strong>Musik</strong> NTSC 101452.<br />
<strong>Musik</strong>:<br />
Ernst Krenek, Jonny spielt auf. Decca 436631-2 (Reihe entartete <strong>Musik</strong>)<br />
Franz Schreker, Der ferne Klang. Naxos.<br />
Franz Schreker, Die Gezeichneten. Decca 444 442-2 (Reihe entartete <strong>Musik</strong>)<br />
Paul H<strong>in</strong>demith, Cardillac. Wergo 5131606. Auch auf DVD: DGG 6168980<br />
Paul H<strong>in</strong>demith, Mathis <strong>der</strong> Maler. Oehms 9414039<br />
Dokumentation:<br />
Verstummte Stimmen. Die Vertreibung <strong>der</strong> ‚Juden‘ aus <strong>der</strong> Oper 1933-1945.<br />
(4 CD mit ausführlichem Begleitheft, Ausstellung Hamburg 2006) Membran. Hamburg 2006.<br />
KZ <strong>Musik</strong>. Encyclopedia of Music Composed <strong>in</strong> Concentration Camps (1933-1945). (Geplant auf 15 CD,<br />
die ersten 5 s<strong>in</strong>d m Herbst 2008 erschienen. Membran. Hamburg 2008).<br />
Carel.terhaar@lrz.uni-muenchen.de<br />
©Carel ter Haar, München<br />
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