GIG Oktober 2018
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FILM<br />
29<br />
seine über alles geliebte Tante Elisabeth May<br />
(Saskia Rosendahl) wegen ihrer sehr unkonventionellen<br />
Art in der Psychiatrie landet, sterilisiert<br />
und später innerhalb des Euthanasie-Programms<br />
der Nazis ermordet wird. Verantwortlich<br />
für diese monströse Tat: Professor Carl<br />
Seeband (Sebastian Koch), ein überzeugter<br />
Nazi, mit dem Kurt fortan eine schicksalhafte<br />
Beziehung verbindet - ist es doch ausgerechnet<br />
Seebands wunderschöne Tochter Ellie (Paula<br />
Beer), in die sich Kurt unsterblich verliebt.<br />
All dies ist sorgfältig inszeniert, toll gespielt -<br />
und doch beschleicht einen bald ein merkwürdiges<br />
Unbehagen beim Sehen. Das Problem: Henckel<br />
von Donnersmarck möchte beides: großes<br />
Arthouse und großen Mainstream. Also entwirft<br />
er ein Szenario mit ganz viel Platz zur Deutung,<br />
doch diesen Platz stopft er mit seiner Inszenierung,<br />
die keinerlei Freiräume zum Selberdenken<br />
lässt, wieder zu. Man droht vor lauter<br />
gediegen in Szene gesetzter „Message“ zu ersticken.<br />
Martin Schwarz<br />
D <strong>2018</strong>; Regie: Florian Henckel von Donnersmarck;<br />
mit Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer<br />
u.a.; Bundesstart: 03.10.; www.disney.de<br />
FILM DES MONATS<br />
IM FALSCHEN KÖRPER<br />
Girl<br />
Lara (Victor Polster) steht vor den wohl folgenreichsten<br />
Schritten ihres noch jungen Lebens.<br />
Zum einen ist da die Ballettakademie<br />
in Brüssel, an der sie alles geben muss, um<br />
weiterzukommen. Zum anderen will die 15-<br />
Jährige, die im Körper eines Jungen geboren<br />
wurde, sich nach längerer Hormonbehandlung<br />
endlich einer geschlechtsumwandelnden Operation<br />
unterziehen. Ihre Familie, allen voran<br />
ihr fürsorglicher Vater Mathias (Arieh Worthalter),<br />
unterstützt sie nach Kräften, vereinzelte<br />
Probleme bekommt sie lediglich mit<br />
Gleichaltrigen, doch selbst die liegen eigentlich<br />
im normalen pubertären Rahmen.<br />
Tatsächlich steht Lara sich mit Selbstzweifeln,<br />
Wünschen, Ehrgeiz und Ungeduld vor allem<br />
selbst im Weg, was fatale Konsequenzen nach<br />
sich zieht. Victor Polster gibt in der Rolle der<br />
von ihrem Körper und ihrem Herzen getriebenen<br />
Jugendlichen einen umwerfenden, an<br />
die Nieren gehenden Einstand als Schauspieler.<br />
Lukas Dhont nimmt sich mit seiner Hilfe<br />
Zerrissen: Lara<br />
(Victor Polster)<br />
© Universum / Kris Dewitte<br />
Fallen auf, angelt im Eis und streift auf der Jagd<br />
durch die endlosen Eiswüsten Jakutiens. Die<br />
Abende verbringt er in völliger Abgeschiedenheit<br />
von der Zivilisation, es gibt keine Handys,<br />
nicht mal ein Radio in der kleinen Jurte aus Rentierfellen,<br />
die Nanouk zusammen mit seiner geliebten<br />
Frau Sedna (Feodosia Ivanova) bewohnt.<br />
Die Tochter ist vor Jahren in die Stadt gegangen,<br />
um in einer Diamantenmine zu arbeiten,<br />
was Nanouk ihr immer noch übel nimmt. Das<br />
eingespielte Leben im ewigen Eis gerät aus den<br />
Fugen, als Nanouk immer mehr Tiere entdeckt,<br />
die an einer unbekannten Krankheit verenden.<br />
Dem bulgarischen Regisseur Milko Lazarov gelingt<br />
eine sensible Poetisierung der Problematik<br />
des Aussterbens einer traditionellen Lebensdes<br />
Themas jugendlicher Geschlechts- und<br />
Identitätsfindung ebenso sensibel wie erschütternd<br />
an.<br />
In Cannes erhielt der talentierte Nachwuchsregisseur<br />
dafür die Goldene Kamera für das<br />
beste Regiedebüt sowie die „Queer Palm“ für<br />
den besten LGBT-Film. Sein Drama ist außerdem<br />
Belgiens Bewerber für den besten nichtenglischsprachigen<br />
Film bei der nächsten Oscar-Verleihung.<br />
Peter Hoch<br />
B <strong>2018</strong>; Regie: Lukas Dhont; mit Victor<br />
Polster, Arieh Worthalter, Oliver Bodart u.a.;<br />
Bundesstart: 18.10.; www.universumfilm.de<br />
Rentierhirte Nanouk (Mikhail Aprosimov),<br />
immer begleitet von seinem treuen<br />
Schlittenhund<br />
FERNAB DER ZIVILISATION<br />
Nanouk<br />
Der Titelheld ist ein schweigsamer Zeitgenosse.<br />
Tagsüber stellt Nanouk (Mikhail Aprosimov)<br />
© Neue Visionen Filmverleih<br />
form. Seine intensive Kraft bezieht sein Film<br />
daraus, dass er ausschweifend vom Gegenteil<br />
erzählt. Vom einfachen, aber zufriedenen Leben,<br />
von der Liebe und der Sehnsucht - nicht<br />
nach der Zivilisation, aber nach denen, die ihrem<br />
Ruf gefolgt sind. Das dem Rhythmus eines<br />
solchen Lebens angepasste Erzähltempo<br />
muss man für diesen Genuss zwar goutieren,<br />
allerdings sind allein die atemberaubenden<br />
Panoramabilder der tundrischen Schneelandschaften<br />
die Kinokarte wert.<br />
Karin Jirsak<br />
BUL / D / F <strong>2018</strong>; Regie: Milko Lazarov;<br />
mit Mikhail Aprosimov, Feodosia Ivanova,<br />
Galina Tikhonova u.a.; Bundesstart: 18.10.;<br />
www.neuevisionen.de<br />
17,0mm<br />
17,0mm