LGBB_032018_korrektur_02
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tik‘ unseres Epochenverständnisses zu verbinden,<br />
wodurch sich auch für die zahllosen Islamdebatten<br />
neue Wege bestreiten lassen. Können wir den<br />
Begriff des Mittelalters also mit gutem Gewissen<br />
selbst Geschichte werden lassen? Ganz so einfach<br />
ist es nicht.<br />
1 Behrwald, Ralf (2018): „In den Weiten zwischen<br />
Atlantik und Hindukusch“, FAZ Feuilleton,<br />
Zugriff am 16.09.2018.<br />
In seiner Replik auf Bauers Thesen hat Ralf Behrwald<br />
1 darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagene<br />
Neuziehung der Epochengrenzen für das<br />
Selbstverständis unseres heutigen Europas durchaus<br />
weniger aufschlussreich und nützlich sei als<br />
umgekehrt für den Islam, für den die griechische<br />
Antike einen klareren Bezugspunkt darstellt als<br />
umgekehrt der Islam für uns. Zugleich kritisert<br />
er, dass Bauer zu stark von gegebenen geographischen<br />
Räumen ausgehe, da diese in letzter<br />
Konsequenz erst durch historische Prozesse –<br />
etwa die Ausbreitung des Islamischen Kalifats –<br />
geschaffen werden: „Den Raum der islamischen<br />
Hochkultur, von Marokko bis Samarkand kann<br />
man“ – so Behrwald – „für die Zeit vor dem Islam<br />
nicht sinnvoll beschreiben“. Zugleich sei „das<br />
Auseinanderfallen von westlicher und östlicher<br />
Hälfte des Mittelmeerraumes“ doch ein nicht zu<br />
vernachlässigender und bis heute folgenreicher<br />
Einschnitt gewesen.<br />
Auch wenn sowohl Bauers methodisches Vorgehen<br />
als auch seine Schlüsse trotz der angeführten<br />
Kritikpunkte in ihrer Summe durchaus überzeugend<br />
sind, bleibt noch abschließend die Ausgangsfrage,<br />
ob sich denn tatsächlich unser Bild<br />
vom Islam so leicht ändern lässt, wenn wir das<br />
Mittelalter als Kategorie chirurgisch aus unserem<br />
Geschichtsverständnis entfernen.<br />
Ist unser gesamtes Verständnis von ‚Modernität‘<br />
nicht bereits zu stark auf der Ablehnung der Axiome<br />
eines bestimmten Zeitalters begründet, ob<br />
wir es nun ‚Mittelalter‘ nennen oder nicht? So<br />
waren sich Denker der Renaissance und des Humanismus<br />
wie Petrarca oder Juan Louis Vives gewiss<br />
im Klaren darüber, dass mit dem ausgehenden<br />
Mittelalter ein gewisses Paradigma – nämlich<br />
das des scholastischen Aristotelismus – sowohl<br />
in den Arbeiten eines Avicenna als auch eines<br />
Thomas von Aquin zu einer gewissen Blüte gekommen<br />
war. Betrachtet man den Umfang der in<br />
lateinischer Übersetzung zugänglichen philosophischen<br />
wie auch wissenschaftlichen Schriften<br />
und das in jener Zeit herrschende Reflexionsniveau<br />
ihrer Kommentare, ist es geradezu naiv, der<br />
Renaissance eine Wiederentdeckung der gesamten<br />
Antike zuzusprechen.<br />
Vielmehr war die Renaissance die Wiederentdeckung<br />
einer bestimmten Antike und zwar der<br />
tatsächlich marginalisierten Traditionen des griechischen<br />
und lateinischen Hellenismus, etwa der<br />
Rhetorik, der Skepsis sowie der in ihrer Konsequenz<br />
monistischen Philosophien des Epikuräismus<br />
und der Stoa. Wenn nach Bauer folglich die<br />
„Bewahrung und Fortentwicklung der antiken<br />
Kultur“ im besonderen Maße „den Osten kennzeichnet“<br />
(75), so stimmt das beispielsweise im<br />
Bereich der Philosophie nur für einen bestimmten<br />
Teil der Antike, nämlich allein für die spätantike<br />
‚Aristotelische Tradition‘. Da die Mittelalterkritik<br />
der Renaissance aber eben dieses Paradigma des<br />
scholastischen Aristotelismus angriff, schließt sie<br />
nunmal – unabhängig von seinem zivilisatorischen<br />
Fortschritt – auch den islamischen Kulturkreis<br />
ein.<br />
So sind Bauers Vorschläge für die Geschichtswissenschaft<br />
durchaus plausibel und bedenkenswert.<br />
Ob sich durch die Aufgabe der Kategorie<br />
des Mittelalters jedoch die bis heute wirkenden<br />
ideologischen Gräben zwischen einem ‚modernen<br />
Abendland‘ und einem wie auch immer genannten<br />
‚vormodernen Islam‘ auch jenseits der<br />
Fachwelt schließen lassen, muss sich noch zeigen.<br />
Alexander Lamprakis, M.A.<br />
Munich School of Ancient Philosophy (MUSAΦ)<br />
Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
3. Umschlagseite<br />
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<strong>LGBB</strong> 03 / 2018 · JAHRGANG LXII<br />
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