LGBB_032018_korrektur_02
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Handlung der Lysistrate ein gutes Ziel hat. Als gut<br />
kann der Zuschauer dieses Ziel deshalb begreifen,<br />
weil er in dem puren Streben der Lysistrate –<br />
innerhalb der Dramenhandlung – nach Frieden<br />
nach zwei Jahrzehnten des Kriegs und Leids eine<br />
Ähnlichkeit zu seinem eigenen Streben erkennen<br />
kann. Damit wird das Lachen aber unwillkürlich<br />
gereinigt. Denn der Zuschauer vermag beim Mitverfolgen<br />
der Dramenhandlung zu lachen oder<br />
eine Freude zu empfi nden, die dem Gegenstand<br />
(im Menschen liegenden ,Streben nach Frieden‘)<br />
und der handelnden Person (einem couragierten<br />
Menschen wie der ,Lysistrate‘ mit ihrem raffi nierten<br />
Plan) gegenüber angemessen ist. Am Ende<br />
der Darstellung steht dieses gereinigte Lachen<br />
und die gereinigte Freude und nicht mehr z. B.<br />
ein Lachen über Obszönität oder ein hämisches<br />
Lachen über die Machtlosigkeit des Probulen.<br />
Auch unter Berücksichtigung von Platons Ausführungen<br />
scheint es m. E. plausibel zu sein, dass<br />
die höchst raffi nierte Handlungskonzeption des<br />
Aristophanes über das Potenzial verfügt, das<br />
Lachen des Zuschauers von einem hämischen<br />
Lachen und einer hämischen Freude zu einem<br />
gemäßigteren Lachen und einer der Situation<br />
6 S. dazu ausführlicher: M. Krewet (Anm. 1), 108–109 und<br />
121–124.<br />
7 S. dazu z. B. das Zeugnis aus Aristoteles’ Rhetorik<br />
1371b33ff. Dafür dass er behandelt hat, was in seinen<br />
Augen eine gute Komödie ausmacht, spricht der allgemeine<br />
und programmatische Einleitungssatz im uns erhaltenen<br />
Buch der Poetik, dem zufolge er darstellen will, wie<br />
die Handlungen, wenn es sich um gute Dichtung handelt,<br />
aussehen müssen (1447a2–3: καὶ πῶς δεῖ συνίστασθαι<br />
τοὺς μύθους, εἰ μέλλει καλῶς ἕξειν ἡ ποίησις). Unter<br />
einem Mythos versteht Aristoteles in der Poetik spezifi sch<br />
die Handlungskomposition (σύστασις (oder auch:<br />
σύνθεσις) τῶν πραγμάτων; s. v. a. 1450a3–5).<br />
8 S. zu diesen Zeugnissen umfassend dem Beitrag von:<br />
A. Schmitt (wie Anm. 15). Das Folgende möchte dabei<br />
diese Zeugnisse den interpretatorischen Wert dieser Zeugnisse<br />
für ein Verständnis dessen, was das Komische und<br />
die komische Handlung bei Aristophanes ausmacht, näher<br />
im Kontext der Komödienhandlung der Lysistrate analysieren.<br />
9 S. zu den poetologischen Ausführungen: M. Krewet (wie<br />
Anm. 1), 99–101.<br />
angemessenen Freude zu leiten. Es ist dabei zu<br />
betonen, dass erst die Differenz zwischen der poetischen<br />
Wirklichkeit, in der die Protagonistin ihr<br />
gutes und von vielen wohl erstrebtes Ziel in einer<br />
unkonventionellen und so noch nicht gekannten<br />
Weise erreicht, und der historischen Realität,<br />
in der aufgrund ihrer Konventionen ein solches<br />
Handeln keinen Erfolg haben könnte, überhaupt<br />
das Potenzial des Lachens und der Freude in sich<br />
birgt. 6 Die komische Handlungskonzeption berücksichtigt<br />
durch diese Art der Darstellung für<br />
das Erzielen dieser Reinigung damit ganz präzise<br />
die Perspektive und erwartbaren Bestrebungen<br />
der Zuschauer.<br />
(2) Aristoteles<br />
Von Aristoteles sind uns zumindest über sein<br />
Werk zerstreute und bruchstückhafte Zeugnisse<br />
eines Urteils über die Komödie – auch die des<br />
Aristophanes – überliefert. Aristophanes starb<br />
vermutlich um 380 v. Chr., Aristoteles wurde 384<br />
v. Chr. geboren. Er ist also fast ein Zeitgenosse<br />
des Aristophanes. In jedem Fall ist aber anzunehmen,<br />
dass er poetologische Diskurse seiner Zeit<br />
auch über die Komödie des Aristophanes kannte.<br />
Im Rahmen seiner Poetik hat er ein eigenes<br />
Buch über die Komödie – vermutlich darüber, wie<br />
eine gute Komödienhandlung ausgesehen hat –<br />
verfasst, das uns aber nicht überliefert ist. 7 Nun<br />
haben wir trotz dessen, dass dieses Buch verloren<br />
ist, das Glück, dass er in einigen wenigen Kontexten,<br />
in denen er die Tragödie behandelt, diese von<br />
der Komödie abgrenzt, wodurch uns einige Inhalte<br />
seines Urteils über das, was die Komödie oder<br />
auch eine gute Komödienhandlung ausmacht,<br />
erhalten sind, ferner haben wir das Glück, dass er<br />
z. B. in seinen ethischen Behandlungen Seitenblicke<br />
auf sein Urteil über die Komödie gibt. 8<br />
Aufgrund der bereits erfolgten Betrachtung der<br />
Lysistrate und der angeführten poetologischen<br />
Auffassungen des Aristophanes selbst, 9 kann,<br />
wie im Folgenden gezeigt werden soll, der Wert<br />
dieser Ausführungen des Aristoteles auch für ein<br />
Begreifen einiger zentraler Charakteristika der<br />
Stücke Alten Komödie – auch der des Aristophanes<br />
– kaum zu gering geschätzt werden.<br />
(a) Der Gegenstand der Komödie<br />
Im zweiten Kapitel der Poetik bestimmt Aristoteles<br />
als einen Unterschied zwischen Tragödie und<br />
Komödie ihren jeweiligen Gegenstand: Die Tragödie<br />
wolle bessere, die Komödie schlechtere Menschen<br />
im Vergleich zu den jetzt lebenden Menschen<br />
nachahmen (1448a17–18). Mit Blick auf die<br />
Komödienhandlung der Lysistrate scheint dieses<br />
Merkmal der Komödie eine gattungsspezifi sche<br />
Notwendigkeit auch für die Aristophanische Komödie<br />
darzustellen, damit beim Mitverfolgen der<br />
Handlung(en) überhaupt Lachen und Freude an<br />
der Komödienhandlung entstehen können. Denn<br />
es ist die überzeichnete Darstellung von schlechteren<br />
Strebetendenzen des Menschen, also eine<br />
Form der Parodie, die diese Strebetendenzen als<br />
unzuträglich für das Erreichen eines persönlichen<br />
Ziels – wie etwa im Falle des Probulen – oder<br />
für das Erreichen des Wohls der Polis deutlich<br />
macht. Gerade im Kontrast zu diesen Fehltendenzen<br />
kann im Falle der Lysistrate die Darstellung<br />
eines gutes inneren Strebens ein solches auch als<br />
vorteilhaft erweisen und als ein solches in einer<br />
literarischen Darstellung für den Rezipienten erkennbar<br />
machen.<br />
(b) Aristophanes als Vorbild für die<br />
literarische Gattung<br />
Im dritten Kapitel führt er Homer und Sophokles<br />
als Vertreter der tragischen Gattung an, die<br />
gute Menschen nachahmen, Aristophanes als<br />
Vertreter für die komische Gattung. Die Vertreter<br />
beider Gattungen würden nun aber Handelnde<br />
(πράττοντας) nachahmen (1448a25–28). Homer<br />
und Sophokles dienen Aristoteles in seiner Behandlung<br />
des Tragischen immer wieder als Ideale,<br />
an deren Dichtungen und Kunst er aufzeigt, was<br />
eine gute Dichtung im Allgemeinen und eine gute<br />
tragische Dichtung im Besonderen auszeichnet.<br />
Damit kann als argumentum e silentio angeführt<br />
werden, dass Aristoteles auch in den Dramen des<br />
Aristophanes die komische Kunst als in einer besonders<br />
guten Weise entfaltet gesehen hat. Eine<br />
zentrale Gemeinsamkeit, die offenbar diese gute<br />
Kunst ausmacht, ist, dass sie handelnde Menschen<br />
nachahmen. Unter ,handeln‘ (πράττειν)<br />
versteht Aristoteles im Unterschied zu ,machen‘<br />
(ποιεῖν), wie in Analysen des Aristotelischen<br />
Handlungskonzeptes bereits festgehalten worden<br />
ist, das Verfolgen eines inneren Ziels. Es misst<br />
sich nicht primär daran, ob ein äußeres Ziel erreicht<br />
wird. Das innere Ziel gründet dabei in dem,<br />
was dem Menschen aufgrund seines eigenen und<br />
ihm spezifi schen und individuellen Charakters als<br />
gut erscheint (s. Metaphysik 1<strong>02</strong>5b19 –1<strong>02</strong>6a23,<br />
1064a17–b5, ferner auch: Nikomachische Ethik<br />
1140a1-23, 1140b4–7). 10 Dieses Ziel wählt er für<br />
sich. Die Worte, die eine handelnde Figur auf der<br />
Bühne spricht, und die Handlungen dieser Figur<br />
sind in der guten Dramenhandlung nach Aristoteles<br />
damit der sicht- und hörbare Ausdruck eines<br />
in einem ganz bestimmten Charakter gründenden<br />
Strebens. Mit diesen Ausführungen scheint Aristoteles<br />
tatsächlich eine Charakteristik der Aristophanischen<br />
Kunst erkannt zu haben. Denn z. B.<br />
Lysistrates Worte, Entscheidungen und Handlungen<br />
können, wie gezeigt worden ist, alle als<br />
Ausfl uss eines ganz bestimmten Charakters und<br />
eines in diesem gründenden individuellen Strebens<br />
nach Frieden und dem Wohle Griechenlands<br />
gedeutet werden. 11<br />
(c) Gute Komödien sind Nachahmungen<br />
von Handlungen<br />
Im vierten Kapitel führt Aristoteles nun Homer<br />
als Archegeten in der Komposition sowohl von<br />
bedeutenden Handlungen (Tragödien) als auch<br />
von der Form der Komödie an. Dabei deutet Aristoteles<br />
Entwicklungen an, die auch eine Vorform<br />
der Komödie bildeten, die Aristoteles offenkundig<br />
noch nicht als gute Dichtung und ebenso wenig<br />
10 S. zum Handeln als Gegenstand der Dichtung nach Aristoteles<br />
ausführlich: A. Schmitt (wie Anm. 2), 248–258.<br />
11 S. nur exemplarische: M. Krewet (wie Anm. 1), 104ff.<br />
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<strong>LGBB</strong> 03 / 2018 · JAHRGANG LXII<br />
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