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EVENT JOURNAL HERBST 2018

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event journal<br />

waghalsig präsentieren sich<br />

die anderen Spielarten des<br />

Kitings, echte Warmduscher<br />

können diesem nun sogar in<br />

Hallen frönen und sind nicht<br />

mehr gezwungen, sich dem<br />

Spiel der Elemente in Form<br />

von unangenehm kalten<br />

Herbstwinden auszusetzen.<br />

Diese relativ neue Art des Drachensteigens<br />

hat es mittlerweile<br />

aber sogar schon zur Meisterklasse<br />

gebracht und es<br />

werden in Turnhallen oder anderen<br />

größeren Hallen bereits<br />

Wettkämpfe ausgetragen. Von<br />

ihren wilden Freilandkollegen<br />

unterscheiden sich diese durch<br />

ihre besonders filigrane Bauweise.<br />

Sie sind die Leichtgewichte<br />

unter den Drachen im<br />

wahrsten Sinne des Wortes,<br />

da sie niemals echten Wind<br />

unter ihren Flügeln spüren<br />

werden und ihre Zartheit dem<br />

Leben draußen nicht angemessen<br />

wäre; dafür laufen sie<br />

an der Hand ihrer Meister und<br />

Meisterinnen zu ästhetischen<br />

Höchstleistungen auf und bieten<br />

dem Zuschauer fast schon<br />

meditative Einblicke in den<br />

Drachensport.<br />

Zurück zum Normalfall, zur<br />

bodenständigen und weit verbreiteten<br />

Variante. Bodenständig<br />

ist in diesem Zusammenhang<br />

übrigens ein wichtiges<br />

Wort. Der/diejenige, die ihren<br />

Drachen sich in die Luft erheben<br />

lässt, muss mit beiden<br />

Beinen fest am Boden stehen.<br />

Natürlich rennt man auch mal,<br />

vor allem der weniger Geübte,<br />

um den Aufwind zu erhöhen,<br />

aber trotzdem ist das Reizvolle<br />

an der Sache die Verbindung<br />

zwischen Himmel und Erde.<br />

Der Mensch steht auf dem Boden<br />

und hält die Schnur, die<br />

ihn mit dem Himmel verbindet.<br />

Ohne Drachen kein Himmel,<br />

benötigt doch das Ende, wel-<br />

ches nicht mit der Rolle oder<br />

dem Winder verbunden ist, ein<br />

Transportmittel nach oben, in<br />

die Lüfte, in die andere Sphäre<br />

und ermöglicht es dem Drachenlenker<br />

zumindest ein<br />

bisschen mental einzutauchen<br />

in dieses andere Fluidum. Es<br />

entsteht die Illusion, wir könnten<br />

mithilfe des Drachens die<br />

Schwerkraft, unsere Erdgebundenheit<br />

überwinden und<br />

die Sorgen und Nöte des Alltags<br />

unserer materiellen Welt<br />

hinter uns lassen. Das ist der<br />

wichtige, der spielerische Aspekt,<br />

der uns schon seit Kindertagen<br />

beschäftigt, der romantische,<br />

sensible und wohl<br />

kaum einer von uns käme bei<br />

diesem Hochgenuss auf die<br />

Idee, so ein Fluggefährt für<br />

kriegerische Zwecke einzusetzen.<br />

Das ist aber irgendwann<br />

einmal passiert und so blickt<br />

die Menschheit auch auf eine<br />

jahrtausendealte Kriegstradition<br />

mittels Drachen zurück. Im<br />

alten Japan, bei den Römern<br />

und anderen frühen Kulturen<br />

setzte man sie ein, um Gegner<br />

zu demoralisieren, Entfernungen<br />

zu messen, Soldaten oder<br />

Material zu transportieren oder<br />

zu spionieren. Der Nachfolger<br />

des Spionagedrachens ist übrigens<br />

die heutige Drohne.<br />

Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten<br />

hat dieses universelle<br />

Fluggerät einiges zu<br />

bieten und so setzt man heute<br />

Skysails ein, computergesteuerte<br />

Luftsegel, um den Treibstoffverbrauch<br />

von großen<br />

Schiffen zu senken. Während<br />

die ökologisch sinnvolle Antriebsvariante<br />

durch Skysails<br />

eine riesige Segelfläche voraussetzt,<br />

können wir schon an<br />

den kleinsten Alternativen<br />

Freude haben. Die Wahl des<br />

richtigen Drachens hängt also<br />

vom Geschmack der Lenkerin<br />

ab, nicht vom Effizienzaspekt.<br />

Unter Umständen spielen ökonomische<br />

Erwägungen noch<br />

eine Rolle, denn auf der Klaviatur<br />

der Preise wird quasi jeder<br />

Ton angespielt, der für die rudimentär<br />

selbstgebastelten<br />

Gaukler aus billigsten Materialien,<br />

der für die höherwertigen,<br />

für die raffinierteren, für die<br />

größten und höchstraffinierten<br />

und jede Möglichkeit einer Materialschlacht<br />

kann am oberen<br />

Ende voll ausgereizt werden.<br />

Bei manchem Zierdrachen,<br />

sogenanntem Leinenschmuck,<br />

erreicht auch das Preisniveau<br />

schwindelerregende Höhen,<br />

bis zu 10 000 €. Die Teilnehmer<br />

an den zahlreichen Wettbewerben<br />

wie z. B. den<br />

Rencontres Internationales de<br />

Cerfs-Volants, der Mannschafts-Weltmeisterschaft,<br />

die<br />

alle zwei Jahre im nordfranzösischen<br />

Berck stattfindet, bauen<br />

ihre Himmelsstürmer überwiegend<br />

selbst und greifen dafür<br />

auch gerne in die Tasche<br />

und verwenden dabei nur<br />

edelste Ingredienzien wie Kohlefaser<br />

und Spinnakernylon eines<br />

bestimmten Gewichts, je<br />

nach Verwendungszweck.<br />

Weltweit gibt es unzählige<br />

Veranstaltungen und Festivals,<br />

die zur Freude des Publikums<br />

einen schönen Rahmen für die<br />

bunten Höhenspektakel liefern,<br />

das Drachenfest auf der nordfriesischen<br />

Insel Römö beispielweise<br />

oder das Drachenfest<br />

Riemer Park München,<br />

das Internationales Drachenfestival<br />

Berlin, das Fuldaer<br />

Drachenspektakel oder das<br />

Rodgauer Familiendrachenfest,<br />

um in der Region zu bleiben.<br />

Es ist übrigens gar nicht<br />

mal der Herbstwind, der die<br />

Menschen mit dem Drachen in<br />

die Natur lockt, sondern die<br />

traditionell agrarökonomisch<br />

geprägte Landschaft; wohl<br />

kaum ein Bauer hätte es von<br />

jeher zugelassen, dass sich<br />

auf seinen bestellten Feldern<br />

Horden von Spielkindern<br />

mit zugehörigen<br />

Eltern im Schlepptau<br />

tummeln, nein<br />

danke. Und so ist<br />

in der Zeit der abgeernteten,<br />

der Stoppelfelder<br />

also, Hochsaison. Trotzdem<br />

gibt es auch in vielen<br />

Großstädten Areale für dieses<br />

fröhliche und harmlose Hobby<br />

und so lohnt sich zum Beispiel<br />

ein Ausflug nach Frankfurt in<br />

den Ostpark, auf die Schwanheimer<br />

Wiesen und zahlreiche<br />

andere Grünanlagen, die sich<br />

gerne durch die Lust am Drachensteigen<br />

beleben lassen.<br />

Die Beschäftigung mit einem<br />

Drachen deckt also ganz viele<br />

interessante und wichtige Bereiche<br />

unseres Lebens ab, die<br />

Begeisterung an Farben, das<br />

oft wirre - oder total kalkulierte<br />

- Spiel in der Luft, Geschicklichkeit,<br />

Kontakt mit anderen,<br />

Party, Bewegung im Freien,<br />

Freude an Technik und noch<br />

vieles mehr, was sich nicht<br />

aufzählen lässt und was der<br />

einzelne damit Wunderbares<br />

verbindet und sich inspirieren<br />

lässt. Dies gilt für alle Altersklassen,<br />

Geschlechter, Weltanschauungen,<br />

Autofahrer,<br />

Vegetarier oder Fleischesser<br />

und überhaupt für alle. Die<br />

Drachen sind gemeinsam in<br />

der Luft und gemeinsam befinden<br />

sich ihre Herren und Herrinnen<br />

doch leider am Boden.<br />

Wo sie auch bleiben werden,<br />

aber ein Teil von ihnen geht<br />

eben doch auf die Reise.<br />

Sonya Hochrein<br />

Foto: Wikipedia | Reederei Wessels<br />

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