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Prozesse reflexiven Entwerfens – Entwerfen und Forschen in Architektur und Landschaft

ISBN 978-3-86859-558-1 https://www.jovis.de/de/buecher/product/prozesse-reflexiven-entwerfens.html

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Kontam<strong>in</strong>ationen betreffen“, könnte Jean-François Lyotards Denken e<strong>in</strong>en weiteren Schritt<br />

nach vorn darstellen. 17 In e<strong>in</strong>er Ausgabe von Casabella von 1985, die sich auf das Freudsche<br />

Pr<strong>in</strong>zip des ‚Durcharbeitens‘ <strong>–</strong> oder auch ‚Perlaboration‘ <strong>–</strong> bezieht, schlägt Lyotard vor,<br />

‚Post-‘ durch ‚Ana-‘ zu ersetzen <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>en argumentativen Bezug zur Anamnese<br />

herzustellen. 18 Im Otto-Wagner-Spital bedeutet die Umkehrung der zeitlichen Logik des<br />

Präfixes ‚post-‘ <strong>–</strong> das „die Errungenschaften der Aufklärung h<strong>in</strong>ter sich zu lassen droht“<br />

<strong>–</strong> über die Idee e<strong>in</strong>er ‚letzten‘ Konfiguration h<strong>in</strong>auszugehen. 19 Als Relikt aus der Zeit des<br />

Untergangs, e<strong>in</strong> dystopisches Simulakrum, das den ursprünglich vorgesehenen Gebrauch<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl von Missbräuchen überlebt hat, kann der Ste<strong>in</strong>hof so an se<strong>in</strong> „anfängliches<br />

Vergessen“ er<strong>in</strong>nern <strong>und</strong> die Wiederholung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e „radikale Anamnese“ verwandeln,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Prozess ewigen Verlusts <strong>und</strong> ewiger Wiederkehr. 20<br />

SUBTRAKTION ALS ‹KREATIVES INKREMENT›? E<strong>in</strong>e solche Anamnese,<br />

<strong>in</strong> Bezug auf ihre Implikationen für die architektonische Gestaltung, erfordert nicht nur die<br />

Ausgrabung von Archivalien <strong>und</strong> die Er<strong>in</strong>nerung an Traumata, sondern auch jener Zerstörungshandlungen,<br />

die <strong>in</strong> dem Versuch e<strong>in</strong>geschrieben s<strong>in</strong>d, dem Trauma, wie es sich <strong>in</strong> der<br />

Gegenwart abspielt, e<strong>in</strong>e bestimmende Bedeutung aufzuerlegen. Indem die Forschung diese<br />

b<strong>in</strong>äre Opposition der Erschaffung von <strong>Architektur</strong> unterläuft <strong>und</strong> sie verschw<strong>in</strong>den lässt,<br />

kann sie Diskrepanzen befragen zwischen dem, was von den verschiedenen beteiligten<br />

<strong>Prozesse</strong>n verlangt wird, um neue Territorien der Gestaltung zu erschließen.<br />

E<strong>in</strong>er der wiederkehrenden Träume <strong>in</strong> den Theorien <strong>und</strong> Praktiken der <strong>Architektur</strong> ist<br />

die Verräumlichung der paradoxen Verflechtung von <strong>Prozesse</strong>n der Identitätsbildung <strong>und</strong><br />

-zerstörung. In e<strong>in</strong>igen Fällen wird diese Absicht dadurch entwickelt, dass die subtraktive<br />

Dimension explizit zum Ausdruck gebracht wird, wie <strong>in</strong> Dillers <strong>und</strong> Scofidios architektonischer<br />

Konkretisierung des Verfalls von Synapsen <strong>in</strong> der Re<strong>in</strong>szenierung des „The<br />

Memory Theatre of Giulio Camillo“. In dieser nehmen die Folgen des Vergessens die Form<br />

e<strong>in</strong>er Hängebrücke an, welche aus zwei e<strong>in</strong>zelnen Strukture<strong>in</strong>heiten besteht, die e<strong>in</strong>ander<br />

entgegengesetzt s<strong>in</strong>d, sich aber nie treffen. 21 In anderen Fällen können zerstörerische<br />

Ereignisse e<strong>in</strong>e Umkehrung erfahren <strong>und</strong> <strong>in</strong> überbetonte Präsenzen übersetzt werden, wie<br />

es <strong>in</strong> Lebbeus Woods’ Vergegenständlichung des Traumas geschieht. In diesem verwandeln<br />

sich die ‚Narben‘ des Krieges <strong>in</strong> veredelte Entitäten auf dem verw<strong>und</strong>eten städtischen<br />

Körper als Mittel zur Auslösung e<strong>in</strong>es kreativen Heilungsprozesses. 22 So oder so, trotz<br />

des offensichtlich subtraktiven oder paradox additiven Charakters des Entwurfs, steht im<br />

Mittelpunkt der Interventionen der Architekten e<strong>in</strong>e Abwesenheit: sei es die Abwesenheit<br />

e<strong>in</strong>es Brückenteils, das damit den eigentlichen Zweck als Verb<strong>in</strong>dungselement bedroht,<br />

oder die Abwesenheit von Materie e<strong>in</strong>es bombardierten Gebäudes.<br />

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