Industrieanzeiger 21.18
Themenheft Technischer Einkauf, Zulieferung
Themenheft Technischer Einkauf, Zulieferung
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Blockchain ist bei allen Beteiligten präsent.<br />
Die aktuelle Blockchain der Kryptowährung<br />
Bitcoin ist beispielsweise 156 GB groß –<br />
kein Wunder bei der Vielzahl der Transaktionen.<br />
Beschaffungs-Blockchains sind dagegen<br />
deutlich kompakter.<br />
Eine für alles<br />
Momentan löst sich die Blockchain von<br />
ihrem ursprünglichen Anwendungsfall<br />
Kryptowährung und entwickelt sich zu<br />
einer technischen Lösung für transaktionsbasierende<br />
Prozesse. Der Vorteil: Mit einer<br />
Blockchain lässt sich zu jedem Zeitpunkt<br />
ein nachvollziehbarer, überprüfter und<br />
ganzheitlicher Systemzustand belegen. Es<br />
kann lückenlos festgehalten werden, welches<br />
Dokument zu welchem Zeitpunkt mit<br />
welchem Inhalt wem vorlag. Damit werden<br />
eine Vielzahl neuer Einsatzgebiete denkbar:<br />
vom Monitoring einer Kühlkette über die<br />
Fälschungssicherheit von Ersatzteilen bis<br />
hin zum Supply Chain Management.<br />
Eine Blockchain kann aber mehr, als<br />
„nur“ einen Systemzustand fälschungs -<br />
sicher zu belegen. Es können Bedingungen<br />
in die Chain geschrieben werden. Zum Beispiel:<br />
Hat der Lieferant just-in-time über -<br />
geben, erfolgt automatisiert eine Zahlung.<br />
Oder andersherum: Bei Verzug unterbleibt<br />
die Zahlung, beziehungsweise werden automatisch<br />
vorher vereinbarte Rabatte abgezogen.<br />
Bei Mängeln kann die Chain sofort<br />
eine Ersatzlieferung beantragen. In diesem<br />
Fall spricht man von Smart Contracts. Auch<br />
das Rollen- und Rechtemanagement in der<br />
realen wie auch in der digitalen Welt lässt<br />
sich mit dem Verfahren in Echtzeit managen.<br />
Wird ein Recht entzogen, wird dies in<br />
der aktuellen Chain vermerkt und ab sofort<br />
nicht mehr berücksichtigt. So lassen sich<br />
auch unternehmensübergreifend Rechte managen.<br />
Es gibt bereits realisierte Einsatzbeispiele<br />
für solche Smart Contracts. So kann<br />
die Blockchain bei ausbleibenden Zahlungen<br />
zuerst die Motorleistung eines geleasten<br />
Lkws reduzieren. Bleiben die Raten weiterhin<br />
aus, kann sogar der elektronische Autoschlüssel<br />
vollautomatisch gesperrt werden.<br />
Jeder weiß alles. Sofort.<br />
Die überwiegende Anzahl der unternehmensübergreifenden<br />
Prozesse sind bisher<br />
nicht standardisiert digitalisiert. Eine Ausnahme<br />
bilden die marktbeherrschenden<br />
Logistik-Unternehmen wie DHL oder UPS.<br />
Anders sieht die Lage bei den kleinen und<br />
mittleren Unternehmen aus: Der IT-Verband<br />
Bitkom schätzt, dass über 95 % aller unternehmensübergreifenden<br />
Prozesse nicht oder<br />
nur punktuell digitalisiert sind. Mit anderen<br />
Worten: Auftragsvergabe, Vertragsverein -<br />
barungen und Statusüberwachungen werden<br />
über kostenintensive und fehleranfällige<br />
Kommunikationsmedien wie Fax, Telefon<br />
oder E-Mail abgewickelt. Um trotzdem<br />
immer kürzere Lieferzeiten zu garantieren,<br />
werden höhere Lagerkapazitäten vorgehalten.<br />
Mittelständische Einzel- und Kleinserienfertiger<br />
lagern mittlerweile durchschnittlich<br />
20 % ihres Umsatzes in Warenbeständen<br />
als Reserve.<br />
Rund 60 % der Transaktionen<br />
im B2B-Bereich<br />
werden heute noch auf<br />
Papier abgerechnet. Bild:<br />
rogerphoto/Fotolia<br />
Vor allem aber sind die meisten bisherigen<br />
Stationen eines Beschaffungsprozesses<br />
nicht automatisiert, sondern werden manuell<br />
von Menschen angestoßen. Das bietet<br />
Raum für Flexibilität, kostet aber Ressourcen<br />
und Zeit. Darüber hinaus sind die<br />
Finanzprozesse in der Supply Chain meist<br />
vom eigentlichen Workflow entkoppelt.<br />
Heute werden immer noch mehr als 60 %<br />
der B2B-Transaktionen auf Papierrechnungen<br />
abgewickelt. Der Einsatz von Blockchains<br />
könnte dies ändern und zudem die<br />
verschiedenen Supply-Chain-Partner wie etwa<br />
Lieferanten, Hersteller, Händler, Logistik-<br />
und Finanzdienstleister integrieren.<br />
Der Mehrwert liegt neben der Sicherheit<br />
auch in der Automatisierung. Dezentrale<br />
Steuereinheiten können via Blockchain<br />
autonome Dispositionsentscheidungen im<br />
Supply-Chain-Netzwerk treffen. Das bietet<br />
ein großes Potenzial zur Effizienzsteigerung<br />
vor allem im operativen und strategischen<br />
Einkauf. Auf diese Weise können im Lieferantennetzwerk<br />
Wertschöpfungsstammbäume<br />
über mehrere Stufen angelegt werden.<br />
Der Transparenzgewinn wäre für alle Beteiligten<br />
enorm.<br />
Die Widerstände<br />
Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter<br />
Weg. Nach einer weiteren Bitkom-Umfrage<br />
aus dem Herbst 2017 hat bis zu diesem<br />
Zeitpunkt gerade einmal ein Drittel der<br />
Automobilhersteller und -zulieferer (34 %)<br />
von der Blockchain als Technologie für den<br />
Unternehmenseinsatz gehört. Das ist das<br />
Ergebnis einer Umfrage unter 177 Vorständen<br />
und Geschäftsführern aus der Automobilindustrie<br />
mit 20 und mehr Mitarbeitern<br />
in Deutschland. Größter Hinderungsgrund<br />
für eine Einführung im eigenen Unternehmen<br />
sind die Kosten (60 %), die unklare<br />
rechtliche Situation (43 %) sowie das fehlende<br />
Know-how im Unternehmen (29 %).<br />
Gut jedes vierte Unternehmen (27 %) sieht<br />
bislang auch keine Notwendigkeit, die Technik<br />
zu nutzen. Das wird sich in absehbarer<br />
Zeit ändern. Vor allem dann, wenn die<br />
Global Player von ihren kleineren Lieferanten<br />
die Einführung unternehmensübergreifender<br />
digitaler Prozesse fordern. •<br />
Michael Grupp<br />
Freier Journalist in Remshalden<br />
<strong>Industrieanzeiger</strong> <strong>21.18</strong> 27