Neue Szene Augsburg 2019-01
Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung
Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
6<br />
BRÜCKENDECKUNG<br />
KOLUMNE<br />
Wie war dein Tag, Schatz?<br />
DIE KOLUMNE VON UND MIT MARCUS ERTLE<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Im Puff war die Hölle los! Ähem, ja. Diesen leicht<br />
irritierten, Huch!-Blick habe ich erwartet. Nein, natürlich<br />
war ich nicht im Puff. Nicht heute und nicht<br />
gestern und noch nie, ehrlich. Ich zitiere nur einen<br />
Stadtrat der CSU. Hehe, nein, nein, nichts Falsches<br />
denken. Der Stadtrat, der sich so über die Hölle<br />
im Puff äußerte, war dort nicht als Gast, sondern<br />
beruflich, quasi. In einem Artikel plauderte Stadtrat<br />
Göttling, seines Zeichens ehemaliger Polizist, über<br />
die Zustände, die vor noch nicht allzu langer Zeit<br />
in <strong>Augsburg</strong> herrschten. Hätte ich das gewusst! Als<br />
in der Stadt noch US-Soldaten stationiert waren,<br />
schien sie ein Pulverfass aus Sex, Gewalt und Drogen<br />
gewesen zu sein. Und mittendrin der brave Polizist<br />
Göttling, der mitansehen musste, wie es im Puff hoch<br />
herging.<br />
Wobei ich beim ersten überfliegen des Zitats gar<br />
nicht begriffen habe, dass Göttling aus seinem Berufsleben<br />
berichtet. Ich dachte mir, in dieser Millisekunde<br />
des Irrtums: Dass der sich das als Stadtrat traut! Aber<br />
warum eigentlich nicht? Ich habe mir dann überlegt,<br />
ob es für einen Puff vielleicht sogar ein Kompliment<br />
ist, wenn man ihm attestiert, dass dort die Hölle los<br />
gewesen sei. Das wirkt jedenfalls attraktiver, als würde<br />
man sagen: Im Puff war es im Großen und Ganzen<br />
recht hübsch. In der zweiten Millisekunde des Irrtums<br />
dachte ich: Vielleicht ist Puff das Kosewort Göttlings<br />
für den Stadtrat und das führt immer wieder zu ulkigen<br />
Missverständnissen. Wenn etwa seine Frau ihn<br />
auf dem Supermarktparkplatz in Hörweite anderer<br />
Menschen fragt: Und, wie wars geschtern im Puff?<br />
Und er sagt: Ah, mei, die oine von die Grüne, die<br />
kriegts net hi, die isch eifach viel z jung ! Oh, oh, oh.<br />
Böse Sache. So was sollte man öffentlich nicht sagen.<br />
könnte, dass man zu blöd für Diplomatie ist, tja auf<br />
die kommen die Leute nicht. Oder sagen wir: kamen<br />
sie lange nicht.<br />
Im Puff war die<br />
Hölle los!<br />
Denn seit die AfD und Trump die herrschenden<br />
Sprechtabus gezielt brechen, ahnen wir doch, dass<br />
wir uns mit unserer wohlmeinenden Sprachhygiene<br />
ein demagogisches Kuckucksei ins Nest gelegt<br />
haben. Was ich damit sagen will? Dass das Leben<br />
ein ständiger Balanceakt ist. Das öffentliche Leben<br />
ebenso wie das private. Ist man zu ehrlich, sorgt man<br />
für geistige und gefühlsmäßige Verrohung, macht sich<br />
zum Narren, trägt Unfrieden und Gram ins traute<br />
Heim. Ist man zu korrekt, streicht zu viel rhetorischen<br />
Zuckerguss auf seine Worte, wird die Wahrheit<br />
totgeschwiegen und irgendwann kommt ein Vollidiot,<br />
der auf derbe Art irgendeine Halbwahrheit mit<br />
großer Geste ausspricht und sich den Anschein des<br />
ehrlichen Rebellen gibt. So, jetzt weißt du es, im Puff<br />
war die Hölle los, Amen!<br />
Ist gut, Schatz.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Ach, apropos, da fällt mir ein: Ist es eigentlich<br />
aus politisch korrekter Sicht noch vertretbar, seine<br />
schwarze Katze Mohrle zu nennen? Und wieso fließt<br />
durch den Siebentischwald ein Zigeunerbach, ohne<br />
dass sich dagegen endlich Unmut äußert? Herrlich<br />
diese tiefen Griffe in die Kiste des Unaussprechbaren,<br />
oder?<br />
Es zeigt einem, was die menschliche Gesellschaft<br />
zusammenhält. Ehrlichkeit, Authentizität? Ich bitte<br />
dich! Das genaue Gegenteil. Der Verzicht auf das<br />
Aussprechen unangenehmer und verletzender Sachverhalte<br />
und Meinungen scheint doch zivilisierend zu<br />
wirken. Das gefällt vielen nicht, ich weiß. Ehrlichkeit<br />
ist ja heute eine Art Fetisch. Sagen was man denkt,<br />
denken was man sagt. Los, immer frei heraus mit den<br />
ehrlichen Gedanken, husch, husch. Auf die Idee, dass<br />
ehrlich und direkt einfach nur ein Zeichen dafür sein