27.12.2018 Aufrufe

2019-01 Pfarrblatt

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

zäme stah – vorwärts gah<br />

Der zweite Bereich ergibt sich aus<br />

der Situation des relativ engen Zusammenlebens<br />

im Seminar und bezieht<br />

sich auf die “gelebte Kultur”.<br />

Das konstante Miteinander im Alltag<br />

lässt z. B. Unbehagen und/oder<br />

evasives Verhalten eines Kandidaten<br />

leichter erkennen, evaluieren und<br />

adressieren. Wenn man realisiert,<br />

dass jemand z. B. lügt, sich regelmässig<br />

vor Aufgaben oder Verantwortung<br />

drückt, aggressiv verhält,<br />

nachlässig oder immer unpünktlich<br />

ist, Karrieredenken vorneansetzt,<br />

etc., so handelt es sich dabei zwar<br />

nicht um gravierende Einzelheiten,<br />

aber es gibt doch einen Einblick in<br />

den Charakter einer Person, vor allem,<br />

wenn man sieht, wie diese Person<br />

beim Konfrontiert-werden mit<br />

diesen Tatsachen reagiert und damit<br />

umgeht. Hier geht es um das Erkennen<br />

einer Einstellung oder Haltung<br />

im menschlichen und zwischenmenschlichen<br />

Bereich und der Frage,<br />

welche Haltung einer priesterlichen<br />

Berufung entspricht. Hiermit<br />

will nicht ausgesagt werden, dass es<br />

hierbei um Missbrauchsprobleme<br />

gehen muss, sondern ganz einfach,<br />

dass das Zusammenleben im Seminar<br />

den Verantwortlichen zusätzlich<br />

erlaubt, die Person wahrzunehmen<br />

und auf gewisse Sachen und Eigenheiten<br />

aufmerksam zu werden.<br />

Ebenfalls wird dem opportunistischen<br />

Anwärtertourismus (ein Kandidat<br />

wird in einem Seminar abgelehnt<br />

und meldet sich dann einfach<br />

in einem anderen Seminar an) heute<br />

durch verschiedene Massnahmen,<br />

z. B. das Einholen von Referenzen,<br />

Nach- und Anfragen, engere Zusammenarbeit<br />

etc., nach Möglichkeit<br />

der Riegel vorgeschoben, oder mindestens<br />

sehr kritisch beurteilt und<br />

hinterfragt.<br />

Kath. Pfarreiseelsorge Freiburg Stadt und Umgebung | Januar <strong>2<strong>01</strong>9</strong><br />

Fotos: zVg<br />

Es ist interessant zu sehen, dass<br />

heute, im Unterschied zu noch vor<br />

zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren,<br />

viel mehr Bewerber fürs Seminar<br />

aus einer Situation der “Verletzung”<br />

kommen, seien dies Schei dung<br />

der Eltern, eigene negative oder<br />

schmerzende Lebenserfahrungen<br />

etc. Hier zeigt sich dann bereits ein<br />

erstes Evaluationskriterium, nämlich<br />

ob die Person auf Grund dieser Verletzungssituation<br />

an Reife gewonnen<br />

hat und diese entsprechend<br />

auch verarbeiten konnte oder sich<br />

nicht aus dieser Situation befreien<br />

kann. Es ist daher verständlich, dass<br />

die Anforderungen an Ausbildung<br />

und Befähigung der Verantwortlichen<br />

eines Seminars über die letzten<br />

Jahre stetig gestiegen sind, denn<br />

die Begleitung der Anwärter ist heute<br />

komplexer und anspruchsvoller<br />

geworden und ein wichtiger Bestandteil<br />

auf dem Weg des Seminaristen.<br />

Um die bestehenden Hürden,<br />

wie auch die stattfindende Selektion<br />

in einem Seminar zu verdeutlichen,<br />

so werden heute, obgleich die Gesamtzahl<br />

der Anwärter natürlich<br />

stark zurückgegangen ist, lediglich<br />

rund 1/4 bis 1/3 aller Bewerber überhaupt<br />

erst ins Einführungsjahr aufgenommen<br />

und letztendlich werden<br />

dem Bischof im Schnitt nur einer<br />

von zwei ins Seminar aufgenommenen<br />

Kandidaten zur Priesterweihe<br />

vorgeschlagen. Heute ist ganz klar,<br />

wer sich im ‘normalen’ Leben (Schule,<br />

Familie, Kollegen, Beruf, Beziehungen,<br />

etc.) nicht zurechtfindet<br />

und behaupten kann, der ist im Seminar<br />

erst recht am falschen Ort.<br />

Ich danke Abbé Nicolas Glasson für<br />

seine Ausführungen und den uns<br />

gewährten Einblick und bin mir natürlich<br />

sehr wohl bewusst, dass wir<br />

in diesem (zu)kurzen Artikel nicht<br />

alle relevanten Punkte berücksichtigen<br />

konnten.<br />

Josef Güntensperger<br />

13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!