Lankwitz Journal Feb/Mrz 2019
Journal für Lankwitz und Umgebung
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aus Protest gegen das erteilte<br />
Schreibverbot seine Lagerarbeit<br />
einstellte, war es der russische<br />
Lagerkommandant, der ihm riet,<br />
einfach unter anderem Namen zu<br />
schreiben – und schon bald erhielt<br />
seine Mutter die erste Post<br />
aus der Gefangenschaft, aus deren<br />
Wortlaut sie klar ihren Sohn<br />
erkannte. Über das Rote Kreuz<br />
ließ sie nun ein Paket an sein<br />
„Pseudonym“ ins ferne Russland<br />
schicken. Schmalzfleisch und<br />
Kokosnuss trafen im Lager ein,<br />
letzteres hatten die russischen<br />
Aufseher noch nie gesehen. Als<br />
Lothar ihnen erklärte, dass Affen<br />
Kokosnüsse fressen, meinte der<br />
Aufseher: „Gut, dann kannst du<br />
das auch fressen.“<br />
Seine innere Heiterkeit mag Lothar<br />
Scholz mit dazu verholfen<br />
haben, über all das Erlebte und<br />
Schwere hinwegzukommen.<br />
Nicht alle waren so stark: Seine<br />
spätere erste Frau kam ebenfalls<br />
aus russischer Kriegsgefangenschaft,<br />
als Lothar sie bei seiner<br />
Heimkehr 1955 kennenlernte. Sie<br />
fand nicht über das Schreckliche<br />
hinweg, suchte schließlich Vergessen<br />
im Alkohol und starb früh.<br />
Spätheimkehrer Lothar zog zuerst<br />
zu seiner Mutter nach Berlin,<br />
die – aus Fürstenwalde geflüchtet<br />
– inzwischen in Lichterfelde-<br />
Ost in der Baseler Straße untergekommen<br />
war. „Ich sprach perfekt<br />
Russisch, werde heute noch oft<br />
für einen echten Russen gehalten,<br />
– besonders beim Fluchen“,<br />
lacht Lothar, der bis heute Kontakt<br />
nach Russland gehalten hat.<br />
„Ich bin durch die Lebensschule<br />
Russlands gegangen, habe da<br />
Wichtiges für´s ganze Leben gelernt“,<br />
erinnert sich Lothar, der<br />
mit der deutschen Sprache nach<br />
langen Jahren fern der Heimat<br />
„auf Kriegsfuß“ stand.<br />
Spätheimkehrer<br />
Seine Sprache wieder besser zu<br />
lernen, auch dazu ging er 27-jährig<br />
noch einmal zur Schule, auf<br />
die Berufsschule für Kaufleute.<br />
„Dass ich dort der Einzige war,<br />
der rauchte, missfiel meinem<br />
Lehrer“, erzählt er schmunzelnd.<br />
Als ein Geschäftsführer für ein<br />
Nestle-Lebensmittel-Testgeschäft<br />
am Tempelhofer Damm<br />
gesucht wird, übernimmt er die<br />
Stelle. Sein Stellvertreter macht<br />
ihm den Bau eines eigenen Häuschens<br />
schmackhaft. 1963 lernt<br />
Lothar seine zweite Frau kennen<br />
und heiratet sie bereits sieben<br />
Wochen später („Sie war so<br />
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schön frech, das hat mir gefallen.<br />
Kochen tut sie wie eine Göttin.“).<br />
Den Rat des Kollegen setzt er mit<br />
Hilfe der Wohnungsbaukreditanstalt<br />
nun in die Tat um: „Am Tag<br />
war ich im Geschäft, nachts bei<br />
Vollmond hab ich am Haus in<br />
Lichterfelde gebaut.“ Hier wohnt<br />
er mit seiner Frau noch heute,<br />
zwei Töchter haben ihm inzwischen<br />
vier Enkelinnen und einen<br />
Enkel beschert.<br />
Auch auf der Karriereleiter stieg<br />
Lothar Scholz kontinuierlich<br />
aufwärts, wurde schließlich Verkaufsleiter<br />
bei „Kümmerling“.<br />
Nach Renteneintritt führte er erfolgreich<br />
einen Sekthandel, statt<br />
sich zur Ruhe zu setzen.<br />
Sein Buch „Der verratene Idealismus“,<br />
das nicht nur er gerne<br />
als Pflichtlektüre in den Schulen<br />
sähe, schrieb er, der bereits in der<br />
Gefangenschaft jede Gelegenheit<br />
zum Lesen wahrgenommen<br />
hatte, u. a. für die, …die mit jugendlichem<br />
Eifer und im Glauben<br />
an die gute Sache ihr Leben für<br />
Führer, Volk und Vaterland gegeben<br />
haben, ohne zu wissen, dass<br />
sie missbraucht wurden…<br />
Für mehr Verständnis spricht dieses<br />
in klarer Sprache geschriebene<br />
Geschichtsbuch, das – gerade<br />
in heutiger Zeit – auch als ernst<br />
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