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10 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 191 · D onnerstag, 17. August 2017<br />
Berlin<br />
·························································································································································································································································································<br />
400 Jahre <strong>Zeitung</strong>sstadt Berlin<br />
Montag: Frischmanns Avisen –die erste <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />
Dienstag: Neue Blüte –Spaziergang durch ein auflebendes Quartier<br />
Mittwoch: Rennen und Schreien –Gründerjahre für die Massenpresse<br />
Donnerstag: Geballte Kreativität –das historische <strong>Zeitung</strong>sviertel<br />
Freitag: Ost gegen West –Kampf der Kulturen im Kalten Krieg<br />
Sonnabend: Wieder ein Aufbruch –Blick in die Medienzukunft<br />
GETTY IMAGES<br />
Hier wurde Geschichte<br />
geschrieben<br />
Im historischen <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>sviertel war zwischen 1900 und 1930<br />
der größte Presseplatz der Welt. Hier versammelten sich Kapital, Geist und<br />
enorme technische sowie intellektuelle Innovationskraft<br />
V ON MARITTA TKALEC<br />
ULLSTEIN<br />
VorUllstein in der Kochstraße<br />
1 U LLSTEIN<br />
Innovativ und<br />
auflagenstark<br />
Wo heute in der Rudi-<br />
Dutschke-Straße 17 das<br />
Hochhaus der <strong>Berliner</strong> Wohnungsbaugesellschaft<br />
steht (bis 2008<br />
Kochstraße 23), befand sich einst<br />
der Ullstein-Komplex, Europas<br />
größter <strong>Zeitung</strong>sverlag. 1877 gab<br />
Leopold Ullstein mit der <strong>Berliner</strong><br />
<strong>Zeitung</strong> sein erstes Blatt heraus.<br />
Schon bald folgt mit der <strong>Berliner</strong><br />
Morgenpost die auflagenstärkste<br />
<strong>Zeitung</strong> im Deutschen Reich. 1891<br />
schuf der deutsch-jüdische Verleger<br />
eine für Deutschland neue Presse-<br />
Spezies: die <strong>Berliner</strong> Illustrierte <strong>Zeitung</strong><br />
mit vielen Zeichnungen und<br />
Fotos. Leopolds fünf Söhne bauten<br />
den Verlag aus. Ullsteins „B.Z. am<br />
Mittag“ war das erste Boulevardblatt<br />
Deutschlands und galt als schnellste<br />
<strong>Zeitung</strong> der Welt.<br />
6<br />
Wilhelmstr.<br />
Anhalter Str.<br />
5<br />
7<br />
18<br />
11<br />
Hedemannstr.<br />
Stresemannstr.<br />
Hallesches Ufer<br />
24<br />
23<br />
Tempelhofer Ufer<br />
Mauerstr.<br />
Mohrenstr.<br />
19<br />
15<br />
20<br />
13<br />
12 XX<br />
14<br />
21<br />
1<br />
22<br />
27<br />
17<br />
Kochstr. Rudi-Dutschke-Str.<br />
Friedrichstr.<br />
Puttkammerstr.<br />
Kronenstr.<br />
Schützenstr.<br />
Charlottenstr.<br />
4<br />
Besselstr.<br />
Franz-Klühs-Str.<br />
Mehringplatz<br />
Leipziger Str.<br />
Krausenstr.<br />
Zimmerstr.<br />
Markgrafenstr.<br />
26<br />
2<br />
3<br />
Jerusalemer Str.<br />
8<br />
25<br />
16<br />
10<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>/<br />
<strong>Berliner</strong> Kurier<br />
MITTE<br />
Lindenstr. Axel-Springer-Str.<br />
Kommandantenstr.<br />
Ritterstr.<br />
Beuthstr.<br />
Franz-Künstler-Str.<br />
Seydelstr.<br />
9<br />
Alte Jakobstr.<br />
Alexandrinenstr.<br />
Gitschiner Str.<br />
KREUZBERG<br />
Oranienstr.<br />
50 m<br />
BLZ/HECHER; QUELLE: INITIATIVE BERLINER ZEITUNGSVIERTEL<br />
5 Willi Münzenberg,früher<br />
Wilhelmstraße 48, kommunistischer Verlag,<br />
u.a. Arbeiter-Illustrierte-<strong>Zeitung</strong><br />
6 Kaiserliches Postzeitungsamt,<br />
nahe Anhalter Bahnhof<br />
7 Großbuchbinderei Lüderitz&Bauer,<br />
Wilhelmstraße 118<br />
8 SPD-Partei-Zentrale und Verlag Vorwärts<br />
(Beginn 20. Jahrhundert), zuvor Staatsbürger-<br />
<strong>Zeitung</strong> (deutsch-national, antisemitisch)<br />
Lindenstraße 69<br />
9 Vorwärts, 1. Sitz, Beuthstraße 2/3<br />
10 Deutsche Demokratische Partei und<br />
Demokratische Rundschau, (Ende 19. Jahrhundert),<br />
Beuthstraße 14,<br />
11 Völkischer Beobachter,Zimmerstraße 86–91<br />
12 NSDAP Reichspressestelle,<br />
Charlottenstraße 82<br />
13 AlfandaryHaus, Zimmerstraße 79/80, nach<br />
1945 Neue Zeit (Union-Verlag der Ost-CDU<br />
14 Diverse Filmfirmen, heute taz, Kochstraße 18<br />
15 Zentrum von Film und Presse, Hedemannstraße,<br />
NS-Kampfblatt Der Angriff (in Nr.10)<br />
16 Medienfirmen, Krausenstr.38/39<br />
17 Liberale, kleine Druckereien und<br />
Verlage, heute Wohn- und Geschäftsquartier<br />
Markgrafenpark<br />
18 Zeitschriften Verlag E.S. Mittler&Sohn,<br />
Nordseite Kochstraße<br />
19 Filmfirmen, Friedrichstraße 224<br />
20 Filmfirmen und -verleihe, Friedrichstraße 235<br />
21 Atelier Filmpionier Oskar Meßter<br />
22 SPD-Parteizentrale und Vorwärts bis 1933,<br />
Lindenstraße 3<br />
23 Willy-Brandt-Haus, seit 1996 SPD-Parteizentrale<br />
und Vorwärts<br />
24 Kreuzzeitung,Stresemannstr.15<br />
25 grafisches Gewerbes, zwischen Lindenstraße<br />
23 und Alte Jakobstraße 129<br />
26 National-<strong>Zeitung</strong>,Lindenstraße 81<br />
27 Axel Springer AG und Passage<br />
(eine kleine, unvollständige Auswahl)<br />
IMAGO/GÜNTER SCHNEIDER<br />
Das Mossehaus überstand den Krieg<br />
2 M OSSE<br />
Gewinne zahlen<br />
Qualitätsblätter<br />
Der Mosse-Verlag, ansässig in der<br />
Jerusalemer Straße 48, 1870 vom<br />
deutsch-jüdischen Verleger gab Rudolf<br />
Mosse (1843–1920) gegründet,<br />
gab mehr als 100 Blätter heraus. Besonders<br />
erfolgreich war Mosse im Anzeigengeschäft.<br />
Mit den Erlösen finanzierte<br />
er prestigeträchtige <strong>Zeitung</strong>en.<br />
Dasauflagenstarke „<strong>Berliner</strong> Tageblatt“<br />
erlangte sogar einen<br />
internationalen Ruf–vor allem in den<br />
Jahren 1906 bis 1933, als Theodor<br />
Wolff als dessen Chefredakteur<br />
wirkte. Andere Titel waren die <strong>Berliner</strong><br />
Morgen-<strong>Zeitung</strong> sowie die <strong>Berliner</strong><br />
Volks-<strong>Zeitung</strong>, Ulk, Sonntagsblatt,<br />
Deutsche Lesehalle, Handelszeitung<br />
(1886), Zeitgeist. Ab 1926 geriet<br />
derVerlag in ernsthafte finanzielle<br />
Schwierigkeiten und musste im<br />
Herbst 1932 Konkurs anmelden.<br />
ZEITUNGSVIERTEL.DE<br />
Hochbetrieb am Scherlhaus um 1895 .<br />
3 S CHERL<br />
Mit Anzeigen<br />
zum Erfolg<br />
August Scherl gründete seinen<br />
Verlag 1883, von1900 trug dieser<br />
Scherls Namen. Seinen Sitz hatte er<br />
in der Zimmerstraße 40/41, (heute<br />
Springer-Areal). Sein gleich zu Beginn<br />
gegründetes, wichtigstes Blatt<br />
war der <strong>Berliner</strong> Lokal-Anzeiger,<br />
später kam die illustrierte Zeitschrift<br />
„Die Woche“ hinzu. Er wird<br />
als Erfinder der sogenannten General-Anzeiger-Presse<br />
genannt –also<br />
von politisch und konfessionell unabhängigen<br />
Titeln mit einem Anzeigenteil.<br />
So wurden enorme Auflagen<br />
erzielt. Nachrichten wurden Kommentaren<br />
bevorzugt. Scherl galt als<br />
menschenscheu und misstrauisch,<br />
seine Söhne ließ er nicht ins Unternehmen.<br />
1914 war er wegen diverser<br />
<strong>Zeitung</strong>s-Projekte wirtschaftlich<br />
gescheitertund musste verkaufen.<br />
DAS ENDE DES ALTEN ZEITUNGSVIERTELS<br />
Hugenberg, Propagandist der Nationalsozialisten<br />
Der Aufstieg des Juristen und erfolglosen<br />
Literaten Alfred Hugenbergzum Mediengroßunternehmer<br />
begann, als er die Chance<br />
bekam, 1916 den Scherl-Verlag zu übernehmen<br />
und damit den Gebäudekomplex an der<br />
Zimmerstraße. Systematisch baute er durch<br />
weitere Übernahmen und Beteiligungen den<br />
Hugenberg-Konzern mit enormer Machtkonzentration<br />
auf. Seine Produkte verbreiteten<br />
extrem nationalistische und antidemokratische<br />
Propaganda in weiten Teilen der Bevölkerung.<br />
Daher gilt das Hugenberg-Imperium<br />
als bedeutender Faktor beim Aufstieg der Nationalsozialisten.<br />
In den 30er-Jahre kaufte die<br />
NSDAP Unternehmensteile des Hugenberg-<br />
Konzerns. 1943 wurde der Scherl-Verlag in<br />
Parteiverlage überführt.<br />
Auch auf die anderen Verlage und Nachrichtenlieferanten<br />
griffen die Nationalsozialisten<br />
zu. Am 1. Januar 1934 verstaatlichte das<br />
nationalsozialistische Regime unter Federführung<br />
des Goebbels-vertrauten Alfred-Ingemar<br />
Berndt das Wolffsche Telegraphenbureau<br />
(W.T.B.) und die zum Hugenberg-Konzern<br />
gehörende Telegraphen-Union (T.U.)<br />
Der Mosse-Verlag hatte in den Inflationsjahren<br />
1922/23 einen Großteil des Vermögens<br />
verloren, die Auflagen seiner wichtigsten Blät-<br />
IMAGO STOCK&PEOPLE<br />
Alfred Hugenberg:<br />
Sein Medienkonzernkontrollierte<br />
schließlich die Hälfte der deutschen<br />
Presse und die UFA<br />
ter gingen zurück. Leser,Schreiber und Anzeigenkunden<br />
wechselten in großer Zahl zu Ullstein.<br />
DieWeltwirtschaftskrise gab dem Haus<br />
den Rest, sein ökonomischer Zusammenbruch<br />
vollzog sich 1932. Die Verlagsleitung<br />
entschied sich für eine Linie des vorauseilenden<br />
Gehorsams gegenüber den Nazis, auch<br />
das Tageblatt wurde „ganz zahm“, wie Victor<br />
Klemperer schrieb. Die Nationalsozialisten<br />
übernahmen schließlich den schwer angeschlagenen<br />
Verlag und gliederten ihn in ihr<br />
Propagandasystem ein.<br />
Wirtschaftlich stärker ging der Ullstein-<br />
Verlag in die Konfrontation mit den Nationalsozialisten.<br />
Eine Chance hatte er nicht, das<br />
Unternehmen wurde 1934 arisiert, die Familie<br />
enteignet. Drei Ullstein-Brüder retteten sich<br />
ins Exil, schlugen sich weitgehend mittellos<br />
durch. Der Verlag wurde in Deutscher Verlag<br />
umbenannt. Ende April 1945 erschienen die<br />
letzten Publikationen. 1952 erhielt die Familie<br />
ihr Unternehmen nach langwierigen Verhandlungen<br />
zurück. Das Haus an der Kochstraße<br />
war weitgehend zerstört. Axel Springer<br />
erwarb Stück für Stück die Aktienmehrheit<br />
und legte 1959 den Grundstein für das neue<br />
Druck- und Verlagshaus mitten im ehemaligen<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>sviertels.<br />
IMAGO STOCK&PEOPLE<br />
Arbeit um 1888 in einem Telegraphenamt<br />
4 W OLFF<br />
Per Telegraf<br />
aus aller Welt<br />
Als der jüdische Verlags- und<br />
Nachrichtenunternehmer<br />
Bernhard Wolff 1849 gemeinsam<br />
mit anderen Verlegern Wolffs Telegraphisches<br />
Bureau (W.T.B), gründete,<br />
umKosten für den Bezug internationaler<br />
Börsennachrichten zu<br />
teilen, war eine Keimzelle für das<br />
Entstehen des <strong>Zeitung</strong>sviertels gelegt.<br />
Diese Nachrichtenzentrale residierte<br />
in der Charlottenstraße 15<br />
(heute Victoria-Versicherung). Das<br />
internationale Nachrichtenbürogeriet<br />
bald in den Besitz monarchistischer<br />
Banken und unter Bismarcks<br />
Einfluss. Amtliche Depeschen wurden<br />
bevorzugt. Das Büro hatte<br />
Agenturen und Einzelvertreter in allen<br />
Teilen der Erde. Neben wirtschaftlichen<br />
Nachrichten vertrieb<br />
es auch politische.