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Feb/Mar MODERNE REFORM EXPERIMENT Bremen nach der Revolution von 1918

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MODERNE REFORM EXPERIMENT
Bremen nach der Revolution von 1918

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MA<br />

6<br />

GUDRUN GOLDMANN<br />

DER BREMER WOLL-ADEL<br />

Man könnte es kurz und knapp den Aufstieg<br />

und Fall der Familie Lahusen nennen, doch das<br />

würde außen vorlassen, dass es um die Unternehmen<br />

dieser Familie ging und damit zu Hochzeiten<br />

um 28.000 Angestellte, die durch den<br />

Konkurs der Norddeutschen Wollkämmerei und<br />

Kammgarnspinnerei vor dem Nichts standen.<br />

Außerdem löste die Zahlungsunfähigkeit der<br />

Nordwolle die bis dahin größte Bankenkrise<br />

Deutschlands aus und ging als einer der größten<br />

Wirtschaftsskandale in die Geschichte ein. Ein<br />

Drama, das sich über vier Generationen hinzog.<br />

abei fing es ganz harmlos an. Christoph Friedrich Lahusen,<br />

geboren 1781, zog kurz nach der Hochzeit 1813 nach Bremen und<br />

begann hier seine Kaufmannskarriere. Durch eine geschickte<br />

Heiratspolitik und engagiertes Netzwerken verlief der soziale Aufstieg der<br />

Lahusens recht schnell. Da neun Kinder in der Familie eher die Regel als die<br />

Ausnahme waren, mangelte es auch nicht an Verkupplungsmöglichkeiten.<br />

Die Familien Deetjen, Meier und Noltenius tauchen hier als Ehepartner*innen<br />

der zweiten Generation auf, Namen, die man heute noch in Bremen kennt.<br />

Dieses Netz privater Beziehungen erfüllte wichtige soziale und ökonomische<br />

Funktionen. So ging Johanne Lahusen, die einen Deetjen-Sohn<br />

geheiratet hatte, nach Argentinien, wo er das Wollgeschäft der Lahusens<br />

aufbaute. Und der als Firmennachfolger auserkorene Christian Lahusen<br />

heiratete in die Meier-Familie ein, was quasi der Bremer Adel war, der ihm<br />

alle Türen öffnete. Auch die anderen Geschwister heirateten innerhalb der<br />

Bremer Kaufmannsfamilien, so dass es zu einem fast geschlossenen<br />

Heiratskreis von fünf, sechs Familien kam. Es ist jedoch nichts darüber zu<br />

lesen, dass es reine Vernunftehen waren, man war wohl einfach vernünftig<br />

genug, sich in die ›Richtigen‹ zu verlieben.<br />

Mit welchem Ethos der Gründer an seine Arbeit gegangen ist und wie<br />

weit sich die nächste Generation bereits davon entfernt hatte, zeigt ein<br />

Erlebnis, das Christoph Lahusen im Hause eines seiner Kinder hatte. ›Es<br />

bleibt mir noch ein Punkt, der zentnerschwer auf meinem Herzen ruhte. Er<br />

betrifft den Luxus und den Übermut. Wir waren vor geraumer Zeit einmal<br />

bei einem unserer Kinder. (…) Da stand ein silb(ernes) Kaffeegeschirr auf<br />

dem Tisch; so dass ich erschrak und dachte: Wie ist das möglich! – In einem<br />

solchen Hause, in einer solchen Familie kann nimmer mehr Religion<br />

herrschen. Wer an solchen irdischen Tand sein Herz hängt, kann nicht Gott<br />

lieben. – Da nehme der Herr die Kinder in seinen gnädigen Schutz. Hier ist<br />

Not!‹ Vom Silberservice zur Sommerresidenz mit über 100 Zimmern sind es<br />

dann noch zwei Generationen, aber man ahnt die Richtung.<br />

Das ursprüngliche Geschäft der Firma C.F. Lahusen war der Häutehandel<br />

und die Reederei, das Wollgeschäft begann erst 1869, als die erste eigene<br />

Wolle aus Südamerika nach Bremen verschifft wurde. 1873 kaufte der nun<br />

verantwortliche Christian Lahusen im böhmischen Neudek eine Wollwäscherei<br />

und Kämmerei. Das ging nicht reibungslos vonstatten, da man auf dem<br />

Feld keine Expertise hatte. Erst die Einstellung eines fachkundigen Direktors,<br />

der nicht zur Familie gehörte, brachte den Betrieb zum Laufen. Kurz danach<br />

wurden in Delmenhorst 13 Hektar Land gekauft und 1884 die Norddeutsche<br />

Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei, genannt Nordwolle, gegründet.<br />

Der Wechsel vom Handel zur Industrie war schwierig. Die Lahusens<br />

hielten daran fest, möglichst alle wichtigen Positionen mit Familienmitgliedern<br />

oder Freunden zu besetzen. 1888 war dann Carl in dritter Generation<br />

›Herrscher‹ in der Nordwolle. Die Firma entwickelte sich rasch positiv,<br />

Produktionsanlagen mussten vergrößert werden, so dass bis 1908 ein<br />

D<br />

Quelle: Focke-Museum Bremen<br />

Industriekomplex von 82 Hektar entstand. Dazu kamen<br />

Firmenkäufe in Südamerika, was die Nordwolle zu einem der<br />

größten wollverarbeitenden Konzerne Europas machte.<br />

Das lässt sich auch in Zahlen darlegen: Von 1.000 Tonnen<br />

Rohwolle, die 1885 verarbeitet wurden, steigerte man sich<br />

auf 22.000 Tonnen im Jahr 1928. Und die Bilanzsumme stieg<br />

im gleichen Zeitraum von 7,3 auf 237 Mill. Mark. Ein veritabler<br />

Erfolg also. Doch inzwischen war G. Carl in die Fußstapfen<br />

seines Vaters getreten und der legte alle Bescheidenheit an<br />

die Seite und ließ 1928 den neuen Sommersitz der Familie<br />

bauen: Gut Hohehorst. Das Anwesen hatte über 100 Zimmer<br />

und dazu einen großen Park, der von 80 Arbeitern gepflegt<br />

wurde. Im ›Schloss‹ mangelte es an nichts, edelste Materialien<br />

waren verwendet worden und es gab Telefonanschlüsse in<br />

allen Räumen, sogar in den Kinderzimmern. Parallel dazu<br />

wurde in Bremen die neue Firmenzentrale gebaut – ebenfalls<br />

in mehr als großzügigen Ausmaßen. Die 34.000 Quadratmeter<br />

Bürofläche wurde Anfang 1931 fertiggestellt und sollen circa<br />

zwölf Millionen Reichsmark gekostet haben.<br />

Dumm nur, dass der Wollpreis seit 1925 am Sinken war, da<br />

halfen auch keine kreative Buchführung oder Scheinfirmen in<br />

Holland mehr, das Kartenhaus brach im Sommer 1931 zusammen<br />

und riss die Danatbank gleich mit, was zur bis dahin<br />

größten Bankenkrise in der Geschichte Deutschlands führte.<br />

G. Carl und sein Bruder Heinz wurden wegen Untreue, Bilanzverschleierung,<br />

Betrug und Konkursverbrechen vor Gericht<br />

gestellt und zu fünf beziehungsweise zwei Jahren und neun<br />

Monaten Haft verurteilt, zuzüglich 50.000 und 20.000 Reichsmark<br />

Strafe.<br />

Gesellschaftlich war das das Ende der Familie Lahusen,<br />

aber ein gewisser Mythos umgibt diesen Namen bis heute.

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