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LEBE_95

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Geburtenrückgang in Industrienationen durch<br />

kulturellen Wandel? Musterbeispiel Kanada<br />

Der in den letzten Jahrzehnten in vielen<br />

Ländern zu beobachtende drastische Rück -<br />

gang der Geburtenraten ist eng mit Prozessen<br />

der wirtschaftlichen Modernisierung verbunden.<br />

Exemplarisch hierfür sind die<br />

wegen ihrer rasanten wirtschaftlichen Entwicklungssprünge<br />

auch als „Tigerstaaten“<br />

bezeichneten neuen Industrieländer in Ostasien.<br />

So fiel in Südkorea parallel zum wirtschaftlichen<br />

Aufstieg des Landes zu einer<br />

der führenden Industrienationen (G-20) der<br />

Welt die Geburtenrate (TFR) von durchschnittlich<br />

6,3 (1<strong>95</strong>5-60) auf etwa 1,2 (2007:<br />

1,13) Kinder pro Frau. Im Stadtstaat Singapur<br />

ist die Geburtenrate ähnlich steil abgestürzt:<br />

Von durchschnittlich etwa 6,4 (1<strong>95</strong>0-<br />

55) auf knapp 1,4 Kinder pro Frau in den<br />

Jahren 2000 bis 2005. Noch niedriger als in<br />

Korea und Singapur ist die Geburtenneigung<br />

in Hong-Kong und Macao: Mit einer<br />

TFR von 0,98 bzw. 0,86 (2000-2005) weisen<br />

diese Handels- und Finanzzentren die<br />

niedrigsten Geburtenraten weltweit auf.<br />

Innerhalb von nicht einmal 50 Jahren haben<br />

die neuen Industriestaaten in Ostasien<br />

damit einen stärkeren Rückgang der Geburten<br />

erlebt als alte Industrienationen, wie z.<br />

B. Deutschland, seit Mitte des 19. Jahrhunderts.<br />

In den alten Industrieländern sind die<br />

Geburtenraten im Gegensatz zu Ostasien<br />

nicht abrupt in einem Zug, sondern in zwei<br />

zeitlich versetzten Phasen von vorindustriellen<br />

Geburtenziffern auf das heutige<br />

Niveau gesunken. Der erste Geburtenrück -<br />

gang zwischen 1870 und 1930 wurde zum<br />

Teil noch durch eine gesunkene Kindersterblichkeit<br />

kompensiert. Im Zuge des<br />

zweiten Geburtenrückgangs seit 1965 sind<br />

die Geburtenraten dagegen in fast allen<br />

Industrieländern deutlich unter den Generationenersatz<br />

(2,1 Kinder pro Frau) gesunken.<br />

Die Folge ist eine fortschreitende<br />

Unterjüngung dieser Gesellschaften. Zwischen<br />

diesen beiden Phasen des Geburtenrückgangs<br />

kam es vor allem in Nordamerika<br />

in den 50er Jahren zu einem Nachkriegsbabyboom:<br />

In den USA lag die Geburtenrate<br />

zwischen 1<strong>95</strong>5-60 im Mittel bei 3,7<br />

und in Kanada sogar bei 3,9 Kindern pro<br />

Frau.<br />

In keinem anderen alten Industrieland ist die<br />

Geburtenrate seit den 60er Jahren so stark<br />

zurückgegangen wie in Kanada: Sie erreicht<br />

heute nicht einmal mehr die Hälfte des früheren<br />

Niveaus. Sie ist fast genauso niedrig<br />

wie in Deutschland oder Japan und liegt<br />

damit deutlich unter dem Geburtenniveau in<br />

Frankreich und den Vereinigten Staaten.<br />

Innerhalb Kanadas war der Einbruch in der<br />

frankophonen Provinz Québec besonders<br />

ausgeprägt: Früher war diese Provinz für<br />

ihren Kinderreichtum bekannt heute liegen<br />

die Geburtenraten hier sogar noch unter<br />

dem ohnehin niedrigen kanadischen Durchschnitt.<br />

Dabei ist Québec die einzige kanadische<br />

Provinz, die zugunsten berufstätiger<br />

Eltern ein relativ gut ausgebautes System<br />

öffentlicher (Vorschul-)Kinderbetreuung<br />

anbietet. In den englischsprachigen Provinzen<br />

Kanadas ist die institutionelle Kinderbetreuung<br />

im Vergleich wesentlich schlechter<br />

ausgebaut. Die Betreuung von Vorschulkindern<br />

muss hier ähnlich wie in den USA stärker<br />

privat organisiert werden. Québec hat<br />

dagegen nach dem Vorbild der schwedischen<br />

Sozialpolitik seit den 90er Jahren die<br />

öffentliche Kinderbetreuung forciert. Für<br />

berufstätige Eltern hat dies sicher viele Vorteile.<br />

Eine Wende hin zu einer wieder höheren<br />

Geburtenneigung in Quebec ist allerdings<br />

bisher ausgeblieben.<br />

Das Beispiel Kanadas verdeutlicht: Der<br />

säkulare Geburtenrückgang in modernen<br />

Industrieländern hat Gründe, die wesentlich<br />

tiefer reichen als die vieldiskutierte Problematik<br />

der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit<br />

und Familie. Er ist Symptom wie Folge<br />

eines tiefgreifenden sozialen und kulturellen<br />

Wandels in modernen Marktgesellschaften.<br />

In den alten Industrienationen hat sich dieser<br />

Wandel über einen längeren Zeitraum<br />

vollzogen in den neuen Industrieländern in<br />

Ostasien wurden die Lebensverhältnisse<br />

und damit das Geburtenverhalten innerhalb<br />

weniger Jahrzehnte revolutioniert.<br />

Quelle: iDAF-Instituts für Demographie,<br />

Allgemeinwohl und Familie e.V.<br />

<strong>LEBE</strong> <strong>95</strong>/2009<br />

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