EWa 19-18
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30. April 20<strong>19</strong> Europa<br />
11<br />
Der lange Weg zum Brexit<br />
Und welche Auswirkungen er auf EU-Ausländer hat<br />
Sehen optimistisch in die Zukunft: David Young und Astrid Willeke<br />
<br />
Foto: Urban Vibe<br />
EUROPA tw · „Es ist ein trauriges<br />
Lied, denn es geht um<br />
das Unerreichbare. Die Tür, die<br />
du niemals ganz erreichst. Die<br />
Straße, an deren Ende du nie<br />
ankommst.“ Sätze, die Beatle<br />
Paul McCartney über sein Lied<br />
„The long and winding road“<br />
geschrieben hat. Ein Lied, mit<br />
einer Erklärung, die perfekt<br />
auch auf die heutige Situation<br />
in Großbritannien passt.<br />
Denn auch der Weg zum Brexit<br />
ist ein trauriger, eine lange,<br />
gewundene Straße, deren<br />
Ende nicht abzusehen ist.<br />
Eigentlich sollte am 29. März<br />
alles vorbei sein. Doch die<br />
britische Regierung und das<br />
Parlament konnten sich nicht<br />
auf das „Wie“ einigen. Und so<br />
folgte einer ersten Verlängerung<br />
die zweite. Bis zum 31.<br />
Oktober haben Premierministerin<br />
Theresa May und ihre<br />
regierenden Tories sowie die<br />
ihnen gegenüberstehende Labourpartei<br />
Zeit, eine Lösung<br />
zu finden. Die Entscheidung<br />
zur Verlängerung sei nicht<br />
leichtgefallen, so der Vorsitzende<br />
des Ausschusses für<br />
auswärtige Angelegenheiten<br />
im EU-Parlament, David<br />
McAllister (CDU). Aber die<br />
Alternative wäre ein ungeordneter<br />
Brexit gewesen und den<br />
wollten alle Seiten unter allen<br />
Umständen vermeiden. Wenn<br />
es darum geht, was er persönlich<br />
vom Brexit hält, redet er<br />
nicht lange um den heißen<br />
Brei. „Ich halte den Brexit für<br />
einen verheerenden Fehler.“ Er<br />
sei der schwerste Rückschlag<br />
in der Geschichte der europäischen<br />
Integration. Doch nicht<br />
nur für die verbleibenden<br />
27 EU-Länder, sondern auch<br />
für das englische Königreich<br />
selbst. McAllister sieht ein tief<br />
gespaltenes Land. „Der Riss<br />
geht quer durch die vier britischen<br />
Nationen, durch Stadt<br />
und Land, durch Familien.<br />
Und das ist das Werk bösartiger<br />
Agitatoren, die mit halben<br />
Wahrheiten und ganzen<br />
Lügen die Menschen aufgehetzt<br />
haben.“<br />
Agitatoren wie Nigel Farage,<br />
Schlüsselfigur für den Abstimmungserfolg<br />
der Brexit-Befürworter<br />
beim EU-Referendum<br />
im Juni 2016, deren Worte auf<br />
fruchtbaren Boden gefallen<br />
sind. „Ich dachte, dass Großbritannien<br />
ein tolerantes, vorurteilsfreies<br />
Land ist und jetzt<br />
ist mir klar geworden, dass ein<br />
Großteil der Gesellschaft eine<br />
sehr simple nationalistische<br />
und populistische Ideologie<br />
unterstützt, die auf Wut, Verbitterung<br />
und intoleranten<br />
Meinungen basiert anstelle<br />
von rationalen Gründen. Auf<br />
der einen Seite sagen sie, dass<br />
das Land ‚offen für die ganze<br />
Welt‘ ist, aber auf der anderen<br />
Seite akzeptieren sie nicht<br />
die ‚Welt‘ die gerade in ihrem<br />
Land lebt. Es ist Paradox“, findet<br />
Eduardo Souto. Der spanische<br />
Architekt lebt seit über<br />
zehn Jahren mit seiner italienischen<br />
Frau und dem gemeinsamen<br />
Sohn in London.<br />
Auch meine Schwester Astrid,<br />
Kollegin von Eduardo, hat in<br />
den ersten Monaten nach dem<br />
Brexit-Referendum manchmal<br />
seltsame Kommentare zu hören<br />
bekommen, wenn sie etwa<br />
besorgt war, dass der Brexit<br />
hauptsächlich darauf beruhe,<br />
keine europäischen Ausländer<br />
mehr ins Land zu lassen. „Ich<br />
habe mich da schon persönlich<br />
angegriffen gefühlt, was<br />
viele nicht verstanden haben<br />
und meinten dass ich damit<br />
doch gar nicht gemeint bin.<br />
Na ja, daran kann man schon<br />
sehen, wie verkorkst die ganze<br />
Angelegenheit ist.“ Generell<br />
habe sich in ihrer näheren<br />
Umgebung nicht viel geändert,<br />
„da ich überwiegend von<br />
‚Remainern‘ umgeben bin“.<br />
Seit über 20 Jahren in England<br />
wohnend, will sie auf jeden<br />
Fall in ihrer zweiten Heimat<br />
bleiben, will sich jetzt für den<br />
„Settled Status“ anmelden,<br />
was ihr ein permanentes Aufenthaltsrecht<br />
gäbe, auch im<br />
Falle eines ‚No Deal‘. „Ich bin<br />
jetzt hier zu Hause, mein Leben,<br />
mein Partner, mein Hund<br />
und meine Arbeit sind hier. Ich<br />
würde mich in Deutschland<br />
gar nicht mehr so zurechtfinden,<br />
auch wenn ich immer<br />
wieder gerne ‚nach Hause‘<br />
zu Besuch komme“. Und sieht<br />
das Ganze fast lockerer als ihr<br />
Partner David Young.<br />
Denn nicht nur für EU-Ausländer,<br />
auch für die Briten<br />
selbst würde sich nach einem<br />
David McAllister hält den Brexit „für einen verheerenden Fehler“Foto: tw<br />
Brexit einiges ändern. „Wenn<br />
ich die europäische Staatsbürgerschaft<br />
verliere, habe ich<br />
weniger Rechte als Astrid“, befürchtet<br />
er. Als Musiker plant<br />
er eigentlich mit seiner Band<br />
im nächsten Jahr auf Europa-<br />
Tournee zu gehen. „Sollte es<br />
zu einem harten Brexit kommen,<br />
wird das nicht mehr so<br />
einfach sein und womöglich<br />
sehr teuer mit Visa und Arbeitsgenehmigung.“<br />
Beide<br />
haben das Gefühl, dass viele<br />
Leute in Großbritannien und<br />
vor allem in England gar nicht<br />
mehr wissen was die EU eigentlich<br />
ist und bedeutet. „Die<br />
EU war entscheidend für den<br />
Friedensvertrag zwischen Irland<br />
und Großbritannien und<br />
keiner kann sich hier erinnern<br />
wie schlimm es vor zwei, drei<br />
Jahrzehnten noch war. Jeder<br />
hat sich auch daran gewöhnt,<br />
dass man überall hinreisen<br />
kann und sicher ist und ich<br />
glaube keiner kann sich richtig<br />
vorstellen, wenn das wieder<br />
eingeschränkt wird.“<br />
Das sieht auch Eduardo Souto<br />
so. „Viele in Großbritannien<br />
verstehen nicht, wie das europäische<br />
‚Projekt‘ funktioniert.<br />
Einer der Hauptwerte der Europäischen<br />
Gemeinschaft ist es,<br />
die Länder friedlich zusammenzubringen,<br />
um schlimme<br />
Fehler der Vergangenheit zu<br />
vermeiden. Sie scheinen nicht<br />
zu verstehen, was für ein Balanceakt<br />
es ist, zwischen den<br />
verschiedenen Ländern Einigung<br />
zu finden, erreicht durch<br />
kontinuierlichem Respekt,<br />
Kompromissbereitschaft, behutsamen<br />
Abwägungen und<br />
Dialogen, um eine harmonische<br />
Beziehung mit unseren<br />
Nachbarn aufzubauen anstatt<br />
mit Konfrontation.“ Er und<br />
seine Frau wissen noch nicht<br />
so genau, was sie tun werden.<br />
„Es ist schwierig sich auf etwas<br />
Ungewisses vorzubereiten,<br />
also habe wir uns entschieden<br />
uns keine Sorgen über etwas<br />
zu machen, was wir nicht<br />
kontrollieren können, und<br />
einfach nur eine offene und<br />
flexible Haltung zu haben in<br />
Bezug auf potenzielle Auswirkungen<br />
und Entscheidungen,<br />
die einen betreffen können.“<br />
McAllister würde sich wünschen,<br />
dass der „Brexit-Irrsinn“<br />
beendet wird. „Das<br />
setzt aber eine veränderte<br />
politische Lage voraus.“ Die<br />
er zurzeit nicht sieht. Deshalb<br />
hofft er, dass wenn sich der<br />
Brexit schon nicht vermeiden<br />
lasse, dieser geordnet über<br />
die Bühne geht. „Sonst gibt es<br />
auch keine Übergangszeit und<br />
die brauchen wir“. Doch wer<br />
weiß, Wunder gibt es immer<br />
wieder. Wie heißt es so schön<br />
am Ende von „The long and<br />
winding road“: „Don‘t keep<br />
me waiting here. Lead me to<br />
your door.“ (Lass mich hier<br />
nicht warten. Führe mich zu<br />
deiner Tür.) Bleibt zu hoffen,<br />
dass die Tür nicht von einer<br />
oder gar beiden Seiten für immer<br />
verschlossen wird.<br />
Ich richtete mich in meiner<br />
Hängematte auf. Meine<br />
Lampe hatte ich brennen<br />
lassen. Ganz deutlich hörte<br />
ich etwas an meiner Tür poltern.<br />
»What do you want?«<br />
rief ich, der erhaltenen Anweisung<br />
eingedenk, während<br />
ich mein langes Messer<br />
aus dem Kokosballen<br />
zog. – Keine Antwort, aber<br />
das Geräusch dauerte fort.<br />
»What do you want?« fragte<br />
ich zum zweiten und dann<br />
zum dritten Male, aber niemand<br />
antwortete,<br />
und das<br />
unheimliche<br />
R u m o r e n<br />
wurde nicht<br />
unterbrochen.<br />
Es klang, als<br />
ob jemand<br />
mit einem Instrument<br />
sich<br />
an meiner Tür<br />
zu schaffen<br />
machte. Mein<br />
Messer bereit<br />
haltend, wartete ich nun<br />
ab, was weiter geschehen<br />
würde. Ein Mahagonistock,<br />
den mir ein Negerjunge geschenkt<br />
hatte und den ich<br />
gegen die Tür gelehnt hatte,<br />
fiel plötzlich polternd zu<br />
Boden, und dann zeigte sich<br />
die Ursache der nächtlichen<br />
Störung.<br />
In der Tür befand sich unten<br />
über der Schwelle ein<br />
etwa eigroßes Loch. Durch<br />
diese Öffnung arbeitete<br />
sich auf fast unerklärliche,<br />
aber höchst geräuschvolle<br />
Weise ein riesiger Taschenkrebs<br />
durch, der mit ausgestreckten<br />
Beinen von tellergroßem<br />
Umfang war. Das<br />
Mein Leben bis zum Kriege<br />
Fortsetzungsroman von Joachim Ringelnatz Folge 63<br />
Tier krabbelte langsam an<br />
den Wänden entlang einmal<br />
im Kreis durch mein<br />
Zimmer und verschwand<br />
dann wieder durch dasselbe<br />
Loch. Ich aber streckte mich<br />
beruhigt wieder in meinem<br />
Schaukelbette aus.<br />
Ich hatte dem alten Klark<br />
mitgeteilt, daß ich gern irgendeine<br />
Stellung annehmen<br />
würde, einesteils, weil<br />
ich nicht ganz müßig bleiben,<br />
und andernteils, weil<br />
ich meinem gütigen Wirt<br />
doch eine Entschädigung<br />
zahlen wollte. Die Frau hatte<br />
mir gesagt, Herr Klark würde<br />
sich nach einer Beschäftigung<br />
für mich umsehen,<br />
und wenn ich dann wolle,<br />
könne ich ihnen einen Penny<br />
von meinem Verdienst<br />
abgeben. Im übrigen, hatte<br />
sie hinzugefügt, solle ich sie<br />
wie eine Mutter betrachten.<br />
Eines Morgens nach dem<br />
Tee forderte mich der Kreole<br />
auf, mit ihm zu gehen. Sehr<br />
erfreut machte ich mich<br />
auf den Weg, erschrak aber<br />
sehr, als mein Führer seine<br />
Schritte nach dem Laden von<br />
Winzerling lenkte. Er dachte<br />
in seiner Gutmütigkeit<br />
Auf jede Art besonders.<br />
Der neue T-Cross.<br />
natürlich, daß mich mein<br />
Landsmann am ehesten annehmen<br />
würde. Ich schämte<br />
mich, ihm zu sagen, wie widerlich<br />
mir dieser deutsche<br />
Jude erschien. Klark stellte<br />
mich also Herrn Winzerling<br />
vor und fragte, ob er mich<br />
nicht anstellen könne. Der<br />
Jude zuckte mit scheinheiligem<br />
Bedauern die Achseln<br />
und sagte: »Ich kann Ihnen<br />
keine Arbeit geben. Meine<br />
Leute wissen selbst nicht,<br />
was sie tun sollen. Es ist<br />
schwer, jetzt<br />
in Belize<br />
Arbeit zu<br />
finden.«<br />
Wir vers<br />
u c h t e n<br />
nun in verschiedenen<br />
a n d e r e n ,<br />
englischen<br />
Läden unser<br />
27474 Cuxhaven Heil, aber<br />
überall wies<br />
man mich<br />
ab, hauptsächlich deswegen,<br />
weil ich die englische<br />
Sprache und die englischen<br />
Gewichtsmaße nicht beherrschte.<br />
Zuletzt traten<br />
wir in ein großes Warenhaus<br />
ein, an dem der Name<br />
»James Brody« stand.<br />
Im Kontor standen eine<br />
Menge Schreiber an hohen<br />
Pulten. Während Mr. Klark<br />
mit dem ihm befreundeten<br />
Brody unterhandelte,<br />
hatte ich Muße, das Treiben<br />
in dem Geschäft zu<br />
betrachten.<br />
Ein alter Neger forderte mit<br />
weinerlicher Stimme Geld<br />
für irgend etwas.<br />
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