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Ottakringer Flaneur Ausgabe 1/2019

Das neue Bezirksmagazin für Wien 16.

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22 Sounds of Suburbia<br />

© Rosa Danner<br />

Als EsRap am 28. Juni auf dem <strong>Ottakringer</strong><br />

Yppenplatz ihr durch Crowdfunding<br />

finanziertes Debutalbum „Tschuschistan“<br />

präsentierten, hat man einen<br />

kleinen Trick angewendet. Das Open-<br />

Air-Konzert wurde offiziell als Demonstration<br />

abgehalten. Natürlich<br />

hätte man auch in einen der umliegenden<br />

Clubs gehen können, aber<br />

man hätte nicht die erreicht, für die<br />

EsRap angetreten sind, ihre Stimme<br />

zu erheben: Die Kids auf der Straße,<br />

in den Parks, diejenigen, für die ein<br />

Clubbesuch unmöglich ist, weil sie<br />

das Geld nicht haben oder ihr Gesicht<br />

dem Türsteher nicht passt.<br />

Eine Demonstration war es nicht nur<br />

von EsRaps eigener Idee von Rap, die<br />

sich wie maßgeschneidert um die kulturelle<br />

Vielfalt von Ottakring schmiegt:<br />

Orientalisch anmutende Refrains, dargeboten<br />

von Sänger Enes, der osmanische<br />

Volksmusik und europäischen<br />

Pop mit arabisch beeinflussten Melodielinien<br />

versieht, dazu der aggressiv<br />

fordernde Rapstil seiner Schwester<br />

Esra – unterlegt mit Beats aus der<br />

Werkstatt von Freshmaker, einem der<br />

gefragtesten heimischen Produzenten.<br />

Eine Demonstration war es auch in<br />

Sachen Selbstermächtigung. Das heißt,<br />

einen Ort für sich zu schaffen, in dem<br />

die Marginalisierten nicht nur einen<br />

Platz haben, sondern selbstbestimmt<br />

leben können. Ein Utopia, das im spielerischen<br />

Ausruf des Staates „Tschuschistan“<br />

an Konzepte, wie George<br />

Clintons P-Funk und den kosmischen<br />

Jazz Sun Ras erinnert, die in comichafter<br />

Überzeichnung, den Weltraum<br />

als erträumten Zufluchtsort vor Rassismus<br />

und Ausgrenzung für sich deklamierten.<br />

Die Bühne gehörte nach dem Konzert<br />

für wenige Minuten den Unsichtbaren.<br />

Sie tanzten ausgelassen, bis der Strom<br />

abgedreht wurde, weil sie sich endlich<br />

trauten, sich zu zeigten. Sie wussten:<br />

Das hier ist unsere Party. EsRap hatte<br />

ihnen eine Stimme gegeben.<br />

Rapperin Esra wirkte dabei wie eine<br />

Mischung aus Sozialarbeiterin und Patin.<br />

Es ist ihre Stärke, in eigener Sprache<br />

Ross und Reiter zu benennen. Mit der<br />

Energie eines Kraftwerks rappte sie zu<br />

rasend schnellen Balkan-Offbeats, die<br />

die Band Gasmac Gilmore zum Konzert<br />

beisteuerte: „Du hast Privileg, ich hab’<br />

Freunde dabei. Du hast Polizei, ich<br />

hab‘ Brüder dabei, ich hab‘ Schwestern<br />

dabei, ich hab‘ Tschuschen dabei, ich<br />

hab‘ Ottakring dabei!“ Und das alles<br />

trägt sie in einer Intensität und Dringlichkeit<br />

vor, die im sonst so coolen<br />

Wien einzigartig ist. Der <strong>Ottakringer</strong><br />

<strong>Flaneur</strong> traf Esra und und Enes zu einem<br />

Interview.<br />

„Du fühlst<br />

dich als Apfel,<br />

sollst aber eine<br />

Orange sein.“<br />

<strong>Ottakringer</strong> <strong>Flaneur</strong>: Ihr beide seid<br />

in Ottakring aufgewachsen, oder?<br />

Enes: Ja. Ich bin auch hier zur Schule<br />

gegangen, hinter der Manner-Fabrik<br />

Esra: Meine Mutter dachte, dass sie<br />

mich besser in eine andere Schule<br />

schickt, wo nicht so viele Türken sind.<br />

Dann bin ich im 8. Bezirk bei der<br />

Josefstädter Straße in die Schule gegangen.<br />

Später haben wir in Sandleiten<br />

gewohnt.<br />

<strong>Ottakringer</strong> <strong>Flaneur</strong>: Hat man hier<br />

eher Freunde aus der türkischen<br />

Community oder ist das durchmischt?<br />

Esra: Bevor wir nach Sandleiten übersiedelt<br />

sind, haben wir in einem typischen<br />

Haus voller Gastarbeiterfamilien<br />

gewohnt. In der Volksschule waren wir<br />

sehr durchmischt. Dort war ich in einer<br />

Klasse mit vielen ausländischen Kindern.<br />

Es gab viele Türken, ein paar<br />

Serben und Kroaten und ja: Das war‘s<br />

eigentlich.<br />

<strong>Ottakringer</strong> <strong>Flaneur</strong>: Andere<br />

Freunde hast du erst auf der Uni<br />

getroffen?<br />

Esra: Nein, meine Eltern haben gesagt,<br />

ich solle die Matura machen. Sie schickten<br />

mich ans Sportgymnasium, weil<br />

ich Basketball gespielt habe. Da war<br />

ich die einzige Türkin in der ganzen<br />

Klasse. Und das war wirklich schrecklich,<br />

das hat nicht funktioniert. Ich<br />

habe dort viel Rassismus erlebt, aber<br />

nicht so einen direkten, sondern eher<br />

indirekten – ich habe gemerkt wie sie<br />

meine Sprache nachmachen. Irgendwann<br />

war ich an dem Punkt, wo ich<br />

mit niemanden mehr geredet habe.<br />

<strong>Ottakringer</strong> <strong>Flaneur</strong>: Hat sich da<br />

heute etwas verändert?<br />

Esra: Von den Workshops her – mein<br />

Bruder und ich unterrichten in der<br />

Schule Hip Hop – glaube ich, dass es<br />

insgesamt noch so ist. Im Gymnasium<br />

bist du, wenn du als Türke in eine<br />

österreichische Klasse kommst, immer<br />

noch ein Opfer. An den Hauptschulen<br />

ist es anders. Musik wirkt dort sehr<br />

verbindend und die Mädels sind ein<br />

bisschen frech und sehr selbstbewusst.<br />

<strong>Ottakringer</strong> <strong>Flaneur</strong>: Das Selbstbewusstsein<br />

der Kinder in der Hauptschule<br />

haben die Schüler im Gymnasium<br />

nicht?<br />

Esra: Was mich bewusst runtergezogen<br />

hat, war das Gymnasium. Du bist einfach<br />

nicht du selbst dort. Du fühlst<br />

dich als Apfel, sollst aber eine Orange<br />

sein. Ich hatte im Gymnasium das Gefühl,<br />

ich muss etwas sein, was ich einfach<br />

nicht bin und das macht unglücklich<br />

und innerlich leer.

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