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Eine<br />
»politisch unkorrekte« 1<br />
Fabel des Phaedrus?<br />
Zu Phaedr. 1,19<br />
– Von Andreas Fritsch –<br />
James-Simon-Galerie eröffnet<br />
(Siehe Seite 176)<br />
Einleitung<br />
Zunächst ist Ursula Gärtner herzlich zu danken,<br />
dass sie diesen Workshop 2 organisiert und damit<br />
erneut eine Gelegenheit zu gründlicher Diskussion<br />
über Geschichte und Aktualität antiker Fabeln<br />
geschaffen hat. Sie hat, wie Johannes Park in<br />
seinem vor Kurzem erschienenen Buch über „Interfiguralität<br />
bei Phaedrus“ schreibt, „wesentlich<br />
zum Verständnis des phaedrianischen Dichtungsprogramms<br />
beigetragen“ und „die Phaedrusforschung<br />
signifikant vorangebracht“. 3 Die Fabel,<br />
die ich für diesen Beitrag ausgewählt habe, findet<br />
sich nur selten in den lateinischen Schultextausgaben,<br />
die ich kenne. Warum das so ist, darüber<br />
kann man diskutieren.<br />
Man muss die Fabel – wie in der Antike weithin<br />
üblich – laut lesen. 4 Nur dann werden wir spüren,<br />
dass wir es hier tatsächlich mit „einem kleinen<br />
sprachlichen Meisterwerk“ zu tun haben; dass<br />
Phaedrus diese Fabel „bis an die Grenze verdichtet“<br />
hat und dass sie „ein weites Interpretati-<br />
1 Soweit ich sehe, gilt heute ein Verhalten als „politisch unkorrekt“,<br />
das die Gleichberechtigung und Menschenwürde<br />
eines bestimmten Teils der Gesellschaft bewusst<br />
oder auch unbewusst in Frage stellt. Das kann den sexuellen,<br />
den rassischen, ethnischen, religiösen oder den zivilrechtlichen<br />
Status von Personen betreffen. Die hier behandelte<br />
Fabel kann (muss aber nicht!) auch auf Einwanderer<br />
bezogen werden, die zunächst gastfreundlich aufgenommen<br />
wurden, dann aber (zu Unrecht oder möglicherweise<br />
auch zu Recht) böser Absichten oder Taten verdächtigt<br />
werden.<br />
2 Der hier vorgelegte Text geht auf ein Referat zurück, das<br />
ich im Rahmen eines von Prof. Dr. Ursula Gärtner im November<br />
2018 im Institut für Klassische Philologie der Karl-<br />
Franzens-Universität Graz veranstalteten Workshops zur<br />
Antiken Fabel gehalten habe.<br />
3 Johannes Park: Interfiguralität bei Phaedrus. Ein fabelhafter<br />
Fall von Selbstinszenierung.<br />
Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2017, S. 5.<br />
4 Zur Praxis des Lesens vgl. den profunden Artikel von Stephan<br />
Busch: Lautes und leises Lesen in der Antike. In:<br />
Rheinisches Museum 145 (2002), S. 1–45; auch im Internet:<br />
http://www.rhm.uni-koeln.de/145/Busch.pdf.<br />
LGBB <strong>03</strong> / <strong>2019</strong> · JAHRGANG LXIII<br />
Abb. 1 Grabrelief des Phaedrus (?)<br />
Die Klassische Archäologin Helga von Heintze (1919–1996)<br />
interpretierte diese Darstellung als „Das Grabrelief des Phaedrus“<br />
(in: Gymnasium 1989, Heft 1, S. 1–12). Einzelne Schulausgaben<br />
haben das Foto übernommen. Neuere Deutungen<br />
sind erheblich kritischer. Niklas Holzberg bezeichnete diese<br />
Identifikation als „reine Spekulation“ (Die antike Fabel 1993,<br />
S. 56). Auch Ursula Gärtner beurteilte die Deutung als „reichlich<br />
spekulativ“ (Interpretationskommentar zum ersten Buch<br />
der Fabeln 2015, S. 21).<br />
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