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Synagogen in Nordrhein-Westfalen

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Synagogen in Nordrhein-Westfalen

Architektur und Erinnerung


Synagogen in Nordrhein-Westfalen

Architektur und Erinnerung

Synagogen in Nordrhein-Westfalen

Architektur und Erinnerung

Lektorat: Alexandra Klei, Annika Wienert

Gestaltung: Sebastian Sprenger

Herausgeber: werkraum bild und sinn e.V., Berlin 2019

werkraumbildundsinn.de

Diese Publikation wurde finanziell gefördert durch den Landesverband der Jüdischen

Gemeinden von Westfalen-Lippe, den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von

Nordrhein, die Synagogen-Gemeinde Köln sowie durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

werkraum bild und sinn e.V.

Außerdem unterstützten folgende Personen das Projekt mit einer Spende:

Alexandra Busch, Janine Fubel, Milan Gagnon, Cordula Gdaniec, Ruth Leiserowitz,

Carmen, Maike und Jascha Mügge, Ronny Noack, Dirk Paletta, Katrin Pierchalla,

Claudia Rinke, Denise Winter, Samira Yildirim sowie weitere Spender und Spenderinnen,

die ungenannt bleiben möchten.

ISBN 978-3-00-064071



Inhaltsverzeichnis

Annika Wienert: Vorwort

Alexandra Klei: Einleitung

Kai Guballa: Der zerrissene Faden. Synagogen in Deutschland 1800 bis 2017

04

07

13

Dortmund, Hagen, Essen, Köln: Synagogen vor 1933.

Geschichte und Erinnerung

Bochum, Duisburg, Bielefeld, Herford: Synagogen nach 1990.

Neue Sichtbarkeit

Dominik Olbrisch: Die Alte Synagoge in Dortmund

Judith Brinkmann: Wie erinnern? Die Alte Synagoge Hagen/Hohenlimburg als

Erinnerungsort

Julia Sommerfeld: Geschichte der Alten Synagoge Essen

Stella Giorgou: Die Kölner Synagoge in der Roonstraße

37

51

61

71

127

137

149

Regina Meleusencova: Die neue Synagoge der Jüdischen Gemeinde Bochum-

Herne-Hattingen

Anna-Lina Heimrath: Synagoge und Gemeindezentrum Duisburg/ „The Jewish

Cultural Centre“ von Zvi Hecker

Julia Murra: Die Siegesgeschichte einer Gemeinde: Die Synagoge Beit Tikwa in

Bielefeld

Düsseldorf, Dortmund, Paderborn, Essen: Synagogen nach

1945. Jüdisches Leben nach der Shoah

155

165

Tabea Schüler: Die Herforder Synagoge

Glossar

Christina Krinke: Die Neue Synagoge in Düsseldorf

85

169

Abbildungsverzeichnis

Joana Maibach: Die Synagoge an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße in Dortmund

95

Laura Krys: Die jüdische Gemeinde in Paderborn

105

Iliana Panagiotidou: Die Neue Synagoge mit Gemeindezentrum in Essen

115



Vorwort

Annika Wienert

Die vorliegende Publikation zu ausgewählten Synagogenbauten in Nordrhein-

Westfalen ist dem Engagement und der Ausdauer einiger Studierender des Fachs

Kunstgeschichte und ihrer Dozentin Alexandra Klei zu verdanken. Als Vorsitzende

des gemeinnützigen Kunstvereins werkraum bild und sinn e.V. freue ich mich, dass

wir dieses Buch gemeinsam realisieren konnten. Dies wäre nicht möglich gewesen

ohne die finanzielle Unterstützung der Landesverbände der jüdischen Gemeinden

in Nordrhein-Westfalen, denen wir zu großem Dank verpflichtet sind. Diese

Publikation wurde finanziell gefördert durch den Landesverband der Jüdischen

Gemeinden von Westfalen-Lippe, den Landesverband der Jüdischen Gemeinden

von Nordrhein, die Synagogen-Gemeinde Köln und die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Außerdem erhielten wir Spenden von einer Reihe von Menschen aus ganz

Deutschland. Für ihre Großzügigkeit sind wir überaus dankbar.

Die Projektinitiative werkraum bild und sinn besteht seit 2011 und nutzte

zwischen 2013 und 2015 einen eigenen Ausstellungsraum in Berlin-Kreuzberg.

Im März 2014 wurde werkraum bild und sinn als Verein zur Förderung von Kunst

und Kultur gegründet. Mittlerweile ohne festen Ort, widmen wir uns diesem

Ziel auch in Publikationen wie dem vorliegenden Sammelband. Den inhaltlichen

Schwerpunkt der Vereinstätigkeit bildeten von Anfang an Fragen von Gedächtnis,

Erinnerungspolitik und -zeichen historischer wie gegenwärtiger Ereignisse sowie

politische Konflikte in Deutschland, Europa und weltweit. Ein besonderes Anliegen

ist es dabei, Vergessenem, an den Rand Gedrängtem oder unsichtbar Gemachtem

den Raum für eine bildliche Erzählung zu geben.

Viele dieser Themen berühren die Geschichte der jüdischen Gemeinden und ihrer

Mitglieder in Deutschland. Synagogen und andere jüdische Gemeindebauten

stellten und stellen eine sichtbare, dauerhafte Präsenz des Judentums im

öffentlichen Raum deutscher Städte dar. Vor dem Hintergrund der Shoah und der

vorausgegangenen Entrechtung und Enteignung muss nach den Veränderung

dieser Präsenz und Sichtbarkeit gefragt werden, nach den Verschiebungen in der

Topografie der Stadt und nach dem neuen Beitrag zum Stadtbild. Für die Publikation

sind Studierende diesen Fragen anhand konkreter Bauten nachgegangen. Die

Texte konzentrieren sich daher auf die Objekte selbst, ihren stadträumlichen

04 05

Kontext, ihre Materialien und architektonische Formensprache, ihr Raum- und

Nutzungsprogramm sowie ihre Ausstattung.

Die Beschäftigung mit der Geschichte der Gemeinden zwischen 1933 und 1945 zeigte

auf, dass es noch viele unerforschte Aspekte der nationalsozialistischen Verfolgung

von Juden und Jüdinnen auf lokaler Ebene gibt, und dass einige zentrale Themen der

NS-Geschichte weiterhin diskutiert werden müssen. So besteht beispielsweise kein

Konsens darüber, ob die organisierte und inszenierte Zerstörung und Plünderung

von Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen und Privaträumen am 9./10.

November 1938 mit dem Quellenbegriff „Reichskristallnacht“ bezeichnet werden

soll, oder ob die Formulierung Reichspogromnacht bzw. Novemberpogrome

angemessen sind. Der letztgenannte Begriff trägt dem Umstand Rechnung, dass

es bereits am 7. November zu Übergriffen kam und die Ausschreitungen noch

einige Tage anhielten. Jedoch verunklart die Benennung als Pogrom die staatliche

Organisation und Lenkung, somit den systemischen Charakter der Verbrechen.

Im Bewusstsein dieser Problematik haben wir es jeweils der Autorin oder dem

Autor überlassen, sich für eine Formulierung zu entscheiden.

Die hier versammelten Beiträge sind das vorläufige Ergebnis einer kunst-, kulturund

geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ich verwende hier das

Wort „vorläufig“ in der Hoffnung, dass diese Texte Anstoß geben könnten für

eine weitere Erforschung der Synagogen in Nordrhein-Westfalen. Diese ist bislang

ein Desideratum. Wie die Auflistung der verwendeten Literatur am Ende jedes

Beitrages zeigt, kann für eine Beschäftigung mit den Bauten bislang in erster

Linie auf allgemeine Überblickswerke, Berichte der Lokalpresse und verschiedene

nicht-wissenschaftliche Websites zurückgegriffen werden.

Die Frage nach der Fotografie, nach ihrem Potential für eine gesellschaftliche

Vermittlung, danach, welche Rolle sie in öffentlichen Diskussionen spielen

kann, tritt in der vorliegenden Publikation zurück. Trotzdem laden die Texte

und die (wenigen) beigefügten Abbildungen dazu ein, nachzudenken über die

wechselseitige Bedingtheit von Abbilden und Erzählen, Sehen und Wissen,

Imaginieren und Dokumentieren.



Abb. 1

Alexandra Klei

Synagogen in Nordrhein-Westfalen.

Geschichte, Erinnerung und Architektur.

Eine Einleitung

Synagogenbauten in Deutschland werden heute nicht allein als Orte jüdischer

Religionsausübung wahrgenommen, sondern immer auch vor dem Hintergrund,

dass sie auf die Zerstörung der Gemeinden und die Vertreibung und Ermordung

ihrer Mitglieder zwischen 1933 und 1945 sowie auf das Wiederentstehen

jüdischen Lebens nach der Shoah verweisen. Gleichzeitig verdeutlichen sie die

Möglichkeiten und Bedingungen, die den Gemeinden von einer nichtjüdischen

Gesellschaft und Politik zugestanden wurden und werden. Die Bedeutung dieser

Gebäude lässt sich daher nicht auf ihre Funktion als Sakralbau und/oder auf

gestalterische Aspekte ihrer Architektur beschränken. Vielmehr stellen sich

Fragen nach den Prozessen und Diskussionen im Zuge ihrer Herstellung, aber

auch nach der Umgebung, in der sie errichtet wurden, nach Sichtbar- ebenso wie

Unsichtbarkeiten im öffentlichen Raum, nach einem Umgang mit den erhaltenen

Bauten ebenso wie nach der Erinnerung an die zerstörten.

07



Die hier veröffentlichten Texte gehen zurück auf Beiträge aus dem Seminar

Synagogen. Geschichte, Architektur und Erinnerung am Kunstgeschichtlichen

Institut der Ruhr-Universität Bochum im Wintersemester 2017/18. Die

Studierenden stellten im Rahmen von Exkursionen zu verschiedenen

Synagogenbauten in Nordrhein-Westfalen jeweils ein Gebäude vor. Dabei wurden

seine Architektur, Nutzungen und Geschichte ebenso erläutert wie Überlegungen

zu seiner Bedeutung und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum diskutiert und/oder

der Erinnerung an heute nicht mehr erhaltene Synagogenbauten nachgegangen.

Die folgende Zusammenstellung ist zwar eine regionale Auswahl, lässt aber die

Bandbreite von gestalterischen Lösungen dieser Bauaufgabe erkennen und zeigt

historische und politische Aspekte auf, die sich auf die Situation in den anderen

westdeutschen Bundesländern übertragen lassen.

Vorgestellt werden erstens Synagogenbauten des 19. Jahrhunderts, die im

November 1938 in der sogenannten Reichsprogromnacht geplündert und/oder

angezündet wurden. Einige wurden dabei zerstört und anschließend abgetragen

(wie die Alte Synagoge in Dortmund). Andere konnten aufgrund ihrer engen

Nachbarschaft zur umliegenden Bebauung nicht abgerissen werden. Sie blieben

erhalten und wurden in neue Nutzungen überführt (wie die Synagoge Hagen und

die Alte Synagoge in Essen). In einigen Fällen konnten die Gotteshäuser nach

1945 auch wieder als Synagogen genutzt werden (so die Synagoge Roonstraße in

Köln). Dabei thematisieren wir mit der Alten Synagoge in Dortmund Fragen nach

einer Sichtbarkeit von Erinnerung im städtischen Raum und mit dem heutigen

Erinnerungsort der Alten Synagoge in Hagen einen Aspekt der Geschichte vor

1933, der nach 1945 kaum noch Relevanz besitzt: das sogenannte Landjudentum,

das unter anderem im 19. Jahrhundert Synagogen in zahlreichen Dörfern und

Kleinstädten errichtete. Während die Juden/Jüdinnen von den Nationalsozialist/

innen vertrieben und vernichtet wurden und die Überlebenden in der Regel

nicht in ländliche Regionen zurückkehrten, sind ihre vormaligen Bauten heute

oft noch erhalten und werfen nach wie vor Fragen nach ihrem Erhaltungswert

und möglichen Umnutzungen auf.

Zum Zweiten besuchten wir Synagogen, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten

entstanden. Hier stellen wir Bauten von drei Architekten vor, die den

Synagogenbau dieser Zeit maßgeblich prägten: Hermann Zvi Guttmann (1917-

1977), der die Synagoge mit Gemeindezentrum in Düsseldorf plante, konnte

als jüdischer Architekt insgesamt sechs derartige Projekte in Westdeutschland

realisieren. Von Helmut Goldschmidt (1918-2005), der die Konzentrationslager

08 09

Auschwitz und Buchenwald überlebte, ist der Umbau der bereits genannten

Synagoge in Köln ebenso einbezogen wie ein Neubau in Dortmund. Karl Gerle

(1903-1962) kann als dritter bedeutender Synagogenarchitekt dieser Zeit gelten.

Von seinen vier Projekten stellen wir den 1958 eingeweihten Bau in Paderborn

vor. Gerle repräsentiert als nichtjüdischer Architekt die überwiegende Mehrheit

der Entwerfer, die zwischen 1952 (erster Synagogenneubau nach 1945 in

Stuttgart von Ernst Guggenheimer) und 1989 Synagogen realisieren konnten.

Anders als Gerle widmeten sich die meisten von ihnen dieser Bauaufgabe nur

einmal, wie zum Beispiel Dieter Knoblauch und Heinz Heise. Sie setzten sich in

einem Mitte der 1950er Jahre ausgeschrieben Wettbewerb durch, um die Neue

Synagoge in Essen zu bauen, bevor sie anschließend in Berlin mit dem 1959

eingeweihten Jüdischen Gemeindezentrum in der Fasanenstraße eine ähnliche

Bauaufgabe umsetzten.

Schließlich thematisieren wir mit der Veröffentlichung die teilweise spektakulären

Neubauten, die nach 1990 in Deutschland entstanden: Solitäre, die aufgrund

ihrer Architektur Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. So handelt es sich

bei den Neubauten in Bochum und Duisburg um auffällige und gestalterisch

außergewöhnliche Projekte, die allerdings auch die Frage nach einer Aneignung

für die Gemeindemitglieder aufkommen lassen. Die neue Synagoge in Bielefeld

verweist daneben auf die Möglichkeit, nicht mehr benötigte Kirchenbauten

umzunutzen. Mit dem Neubau in Herford wird schließlich eine architektonische

Lösung präsentiert, die für eine vergleichsweise kleine Gemeinde gefunden

werden musste und dabei den historischen Standort des 1938 zerstörten

Baus besetzt. Insgesamt hat sich also eine selbstbewusste Architektursprache

durchgesetzt, die markante Bauten im städtischen Raum etablierte und den

Gemeinden zu einer neuen Präsenz verhalf. Diese steht allerdings gleichzeitig

in einem Widerspruch zu tatsächlichem jüdischen Leben, das weitgehend

unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfindet oder von dessen Sichtbarkeit – in

Form von Davidsternen oder Kippot – zuletzt wiederholt abgeraten wurde.

In der Zusammenschau machen die unterschiedlichen Beispiele übergeordnete

Aspekte deutlich, die jüdisches Leben in Deutschland kennzeichnen. So gehört es

heute häufig zum Raumprogramm dieser Komplexe, Nutzungen einzubeziehen,

die sich auch an eine nichtjüdische Öffentlichkeit richten. Besonders prominent

zeigt sich dies in der Synagoge/dem Gemeindezentrum in Bochum, wo ein

koscheres Restaurant integriert ist. Zudem wird sichtbar, dass

Sicherheitsvorkehrungen zum Standard gehören, die von Beginn an in die



Planungen einbezogen und damit zum integralen Bestandteil der Neubauten

werden müssen. Entwurf und Nutzung müssen also zwischen den gegensätzlichen

Bedürfnissen nach (erwünschter) Öffnung und (notwendiger) Abgrenzung und

Absicherung einen Ausgleich finden.

Die seit den 1950er Jahren genutzten Synagogen lassen außerdem erkennen,

dass sich jüdisches Leben in Deutschland nach der Shoah auf einen Punkt im

städtischen Raum beschränkt. War es vor 1933 in den deutschen Großstädten

üblich, dass sich die Vielfalt des Judentums nicht zuletzt darin zeigte, dass es

zahlreiche Vereinigungen, Initiativen, Stiftungen sowie verschiedene religiöse

Ausrichtungen gab, die jeweils eigene Bauten oft in verschiedenen Vierteln

errichteten, mussten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges alle Funktionen

und Ansprüche in einem Komplex konzentriert werden. Den Gemeindezentren

mit ihren sozialen Einrichtungen kam daher eine ausgesprochen hohe Bedeutung

für den Alltag der Juden/Jüdinnen zu.

Erst langsam wird eine Ausdifferenzierung wieder anhand einer Vielfalt jüdischer

Einrichtungen sichtbar. Jüdische Kindergärten und Schulen können sich

zunehmend etablieren, so zum Beispiel in Düsseldorf, wo 1993 die Yitzhak-Rabin-

Grundschule eröffnete. Ein weiteres prominentes Beispiel findet sich außerhalb

Nordrhein-Westfalens, in Hannover. Hier existiert neben der 1963 eingeweihten

Synagoge (Architekt Hermann Zvi Guttmann) für orthodoxe Gottesdienste seit

2009 ein Kultur- und Gemeindezentrum für eine liberale Gemeinde und seit 2013

in einer umgebauten ehemaligen Kirche ein Zentrum der jüdisch-bucharischen

Gemeinschaft. Gleichzeitig gibt es an anderen Orten kleinere Gemeinden, deren

Angehörige befürchten, dass sie aufgrund erneut sinkender Mitgliederzahlen

keine Zukunft haben werden.

Publikationsprojekt auf den Weg gebracht werden konnte. Zuletzt danken wir

dem Berliner werkraum bild und sinn e.V., der diese Publikation umsetzte und

den Vorstandsmitgliedern Sebastian Sprenger und Annika Wienert für ihre Arbeit

am Layout und Lektorat.

Wir sind den Mitarbeiter/innen der besuchten Gemeinden zu einem

ausgesprochen großen Dank verpflichtet. Sie haben sich nicht nur die Zeit

genommen, uns die Gebäude vorzustellen, sondern uns auch einen Einblick in

die Vielfalt und Komplexität jüdischen Lebens in Deutschland heute zu geben.

Ein ganz besonderer Dank gilt Petra Labahn, die das Geschäftszimmer des

Kunstgeschichtlichen Instituts der Ruhr-Universität Bochum leitet und ohne

deren gleichbleibend geduldige Unterstützung es nicht möglich gewesen wäre,

das ambitionierte Besichtigungsprogramm umzusetzen. Bei Alexander Sperling

vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe möchte

ich mich ganz außerordentlich für sein Engagement danken, durch das dieses

10 11



Kai Guballa

Der zerrissene Faden – Synagogen in

Deutschland 1800 bis 2017

13

I. Einführung

1831 schrieb der Hamburger Rechtsanwalt Gabriel Riesser, der später der erste

jüdische Richter in Deutschland werden sollte: „Aber wo ist denn der andere

Staat (neben dem deutschen), gegen den wir Pflichten zu erfüllen haben? Wo

ist das andere Vaterland, das uns zur Verteidigung ruft? Uns vorzuhalten, daß

unsere Väter vor Jahrhunderten oder vor Jahrtausenden eingewandert sind,

ist so unmenschlich als es unsinnig ist. Wir sind nicht eingewandert, wir sind

eingeboren, und weil wir es sind, haben wir keinen Anspruch anderswo auf eine

Heimat; wir sind entweder Deutsche oder wir sind heimatlos.“ („Verteidigung

der bürgerlichen Gleichstellung der Juden gegen die Einwürfe des Herrn Doktor

Paulus“, zit. nach: Hammer-Schenk 1981, S. 233).

1931 hieß es mit noch mehr Emphase, nur wenige Jahre vor der Vernichtung,

im Vorwort des in Berlin erscheinenden Jüdischen Adreßbuchs: „[...] Aber wie

wir gute Juden sind, sind wir auch ebenso gute Deutsche. Wir Juden leben



nicht nur in Deutschland, wir sind deutsch, weil es unsere Vorfahren waren,

sind in deutschen Orten geboren und wurzeln mit unserer ganzen Kraft und

unserem ganzen Gefühle im deutschen Volkskörper. Wie sehr Judenfeinde unser

Deutschtum auch leugnen mögen, es ist da, wir leben es jeden Tag, und keine

Macht der Welt wird unsere innere Verbundenheit mit dem deutschen Volke

zerreißen können.“ (Hermann Simon, zit. nach: Schlögel 2003, S. 338).

Diese fast wortgleichen Aussagen, die ein Jahrhundert der bürgerlichen

Gleichstellung umspannen, aber auch des unterschwelligen und offenen

Antisemitismus, der bis zur Entrechtung, Vertreibung und Ermordung führen

würde, machen das Dilemma deutlich, in dem sich die Jüdinnen und Juden

in Deutschland befanden: Die sogenannte deutsch-jüdische Symbiose fand

hauptsächlich aufseiten der Minderheit statt; das Verhältnis der Jüdinnen und

Juden zu ihrem Heimatland war und blieb eine „einseitige Liebe“ (Gershom

Scholem). Wenn im folgenden Text nun vom Synagogenbau in Deutschland

die Rede sein soll, betritt man doppelt heiklen Boden: In den Blick wird eine

Gebäudegattung genommen, die zu einer seit 2000 Jahren ansässigen

Minderheit gehört, welche die meiste Zeit exponiert und drangsaliert und deren

Verfolgung von den Deutschen bis zur physischen Vernichtung getriebenen

wurde. Daher kann es auch nicht verwundern, dass die Baugattung Synagoge

wie wohl keine andere in Europa direkt vom politisch-gesellschaftlichen Status

der Bauträger abhängt: Den ersten, als „Großscheunen“ getarnten Bauten des

Mittelalters folgten ab der ersten, schrittweisen – zumindest staatsrechtlichen

– Gleichstellung zu Beginn des 19. Jahrhunderts vereinzelt Großprojekte, bevor

in Zusammenhang mit Stadterweiterungen und wirtschaftlichem Aufschwung

der erste jüdische Bauboom einsetzte, der um 1900 seinen Höhepunkt erreichte.

Nach der Zerstörung des deutschen und des europäischen Judentums ab 1933/39

bis 1945 entwickelte sich zaghaft eine auf wenige Großstädte beschränkte

Gemeindetätigkeit in Deutschland. Der politische Umbruch in der ehemaligen

UdSSR 1990/91 bescherte dann den in Deutschland ansässigen Gemeinden

eine Verzehnfachung ihrer Mitgliederzahlen und das in Funk, Fernsehen und

Printmedien vielbeschworene neue Aufblühen jüdischen Lebens. An dieser Stelle

wird die Frage, auch und besonders in architektonischer Hinsicht, zum zweiten

Mal heikel: Kann und darf nach der Shoah an eine historisch kaum belegbare

Tradition des deutschen Synagogenbaus angeknüpft werden?

14 15

II. Der Aufschwung: Synagogenbau in Deutschland bis 1933

Das eingangs angeführte Zitat Riessers zeigt nicht nur den Willen zu einem

verbindlichen Selbstverständnis „als Deutsche“ an, sondern betont im

Besonderen die doppelte Identität als deutsch und jüdisch. Der

Synagogenbau stand „im Vordergrund der politischen Bemühungen der

Emanzipationsbewegung“ (Hammer-Schenk 1981, S. 113) und kann daher als

symptomatisch für diese Prozesse gelten. Bis zur Gleichstellung 1813 – zumindest

in Preußen und den Rheinlanden – fand der Gottesdienst in Privathäusern oder

halböffentlichen, von außen nicht gekennzeichneten Bauten statt (Abb. 1; Abb.

2), sodass keine Tradition in der Bewältigung der Bauaufgabe vorhanden war. Es

wurde daher – analog zu Kleidung, Sprache und Lebensform – auf den Baustil

der christlichen Umgebung zurückgegriffen. Dabei wurde für über die Hälfte

der etwa 170 Synagogenneubauten, die bis etwa 1880, also der Hochzeit der

historistischen Architektur, errichtet wurden, zumindest für den Außenbau der

„romanische Stil“ gewählt. Gleichzeitig begann der von bunten Mosaiken,

Hufeisenbögen, kleinen Kuppeln und verschiedenfarbigen, horizontalen

Bänderungen gekennzeichnete „maurische Stil“ zunächst im Inneren der

Synagogen Anwendung zu finden, bevor sich – so etwa in Kassel 1836 (Abb.

3) – mit der Mischung verschiedener Tendenzen „eine eigene Bauform hatte

durchsetzen können, eine Bauform, die integrieren und nicht […] verstecken

oder […] absondern sollte“ (Hammer-Schenk 1981, S. 113).

Ein Zeichen für das gestiegene Selbstbewusstsein der Gemeinden – und,

verkürzt gesagt, als Reaktion auf den durch Heinrich von Treitschke initiierten

„Antisemitismusstreit“ ab 1879 – war im März 1893 die Gründung des Central-

Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Parallel zum rasanten

Wachsen der Städte, zum industriellen Aufschwung und den damit verbundenen

Verlagerungen der Oberschichts-Wohngegenden vom Stadtzentrum in die

Peripherie entstanden bis etwa 1900 die meisten Neubauten in Deutschland

in veränderter Form. Die in der wilhelminischen Bürokratie gewissermaßen

staatlich verordnete Monumentalität ermöglichte dabei die Überwindung der

Stiltreue, die in den vorhergehenden Jahrzehnten möglichst akribisch einer

jeweiligen Zeitschicht – Romanik, Gotik, Byzantinismus – abzuschauen gewesen

war.

Die Architekten bedienten sich fortan des gesamten Vokabulars der historisch

überlieferten Formen und kombinierten diese im „freien, eben reflektierten

Umgang“ (Ebd., S. 348). Dabei entstanden Bauten wie die Kölner Synagoge



Abb. 1

Abb. 2



Abb. 3

19

(1895 eingeweiht, Abb. 4) [ S. 71 ] anhand romanisierender Bauform auf

modifiziertem Grundriss – ein „Derivat protestantischen Kirchenbaus“ (Ebd.) mit

eigenständigen Merkmalen wie Kuppel und ornamentalem Davidstern. Eklektisch

erweitert wurde das Formenrepertoire dabei durch Übernahme damals in den USA

beliebter, neoromanischer Formen des sogenannten Richardsonian Romanesque

Style. Besonders in den liberalen bis ultraprogressiven Reformgemeinden

wurde die größtmögliche Nähe zum protestantischen – also staatstragenden

– Gottesdienst nicht nur ersehnt, sondern auch praktiziert. Viktor Klemperer

erinnerte sich folgendermaßen an seine Jugend:

„Der Gottesdienst findet bis auf wenige Worte in deutscher Sprache, er findet am

Sonntag, nicht am Sonnabend statt, die Gebete sind alle deutsch, die Orgel spielt

zum deutschen Chorgesang. Die Betenden sitzen ohne Kopfbedeckung, Männer

und Frauen beisammen. Der Knabe wird nicht mit dreizehn Jahren unter die

Männer der Gemeinde aufgenommen, sondern Mädchen und Knaben werden

als Fünfzehn-, Sechzehnjährige gemeinsam am Ostersonntag eingesegnet. Das

Fahr- und Schreibverbot der Sabbatheiligung und alle Speisegesetze fallen fort.

In nichts, wirklich gar nichts will man von deutscher Sitte abweichen.“ (zit. nach

Mertens 2006, S. 15).

Der Anpassung an „deutsche Sitte“ und dem Fortschrittsglauben des

wilhelminischen Zeitalters entsprechend, fand ab 1900 auch im Synagogenbau

eine allgemeine Reduktion der Formen unter dem „Banner der Sachlichkeit“

statt (Hans Poelzig anlässlich der dritten deutschen Kunstgewerbe-Ausstellung

1906, die unter anderem eine Holzsynagoge vorstellte; zit. nach Hammer-

Schenk 1981, S. 448f.) Ein Beispiel dafür ist der Neubau einer Synagoge in

Plauen (Abb. 5). Exemplarisch für diese sich über den Ersten Weltkrieg mit

all seinen zerstörten Hoffnungen aufseiten der deutschen Jüdinnen und

Juden hinziehende Entwicklung kann auch die Alte Synagoge in Bochum

[ S. 127 ] betrachtet werden: 1863 eingeweiht, wurde sie 1896 erheblich

erweitert und mit „Ecktürmchen, Zinnenkränzen und weiteren Verziehrungen

(sic) und Ornamenten“ (Wilbertz 1988, S. 80) dem maurischen Stil zugeführt.

Diese äußeren Baumaßnahmen wurden 1925 wieder entfernt, der Bau

gewissermaßen „versachlicht“.

Die Hinwendung im Synagogenbau zu den „Tendenzen des Neuen Bauens“

kann über das sich zunehmend verdüsternde Klima nicht hinwegtäuschen, denn

„dieses Bemühen [nach Modernität auch im architektonischen Ausdruck] geht

völlig fehl, denn obwohl kirchliche Formen jetzt vermieden werden, fallen die



Abb. 4



Abb. 5

23

Bauten erneut auf, und in einer weitgehend konservativen Umwelt bleiben die

Juden Außenseiter“ (Hammer-Schenk 1981, S. 544). Trotz des Selbstbilds, trotz

bisweilen übertriebenem Patriotismus, trotz unzähliger öffentlicher Bekenntnisse

der deutschen Jüdinnen und Juden gewann der radikale, zunehmend rassistisch

argumentierende Antisemitismus in allen gesellschaftlichen Schichten des

Deutschen Reiches weiter Zuwachs. Dabei stand der angeblichen „Verjudung“

des Landes im Jahr 1925 ein Bevölkerungsanteil von nur 0,8 Prozent gegenüber,

etwa 680.000 Menschen. Dagegen lebten 1930 in Polen etwa 3.500.000

Menschen jüdischer Herkunft, von denen ab 1939 unter der deutschen Besatzung

über drei Millionen umgebracht wurden.

III. Fun letstn khurbn – Der deutsche NS-Staat vernichtet die

Jüdinnen und Juden Europas

Am 9. November 1938 – teilweise durch „private Initiative“ schon vorher –

zerstörten auf Anweisung der NS-Behörden ein pöbelnder SA-Mob sowie

willfährige Teile der jeweils ortsansässigen Bevölkerung reichsweit etwa 1.400

Synagogen nebst ca. 7.500 privaten und öffentlichen Bauten. Die Feuerwehr griff

in der Regel nur ein, wenn die Synagogen nicht isoliert standen, sondern in eine

Häuserzeile integriert waren und die gelegten Brände die anliegenden Gebäude

hätten beschädigen können. Die ausgebrannten und demolierten Ruinen

mussten in den folgenden Wochen und Monaten von den jüdischen Gemeinden

selbst und kostenpflichtig abgetragen werden. Etwa 30.000 Gemeindemitglieder

wurden verhaftet und misshandelt oder in Konzentrationslager verschleppt.

Für das bittere Ende des, wie gesehen, sich zum Großteil unbedingt als

Deutsche identifizierenden Judentums, „eine Geschichte großer Tragik und

großen Scheiterns“ (Waldmann 2010, S. 13), ein Beispiel: Von den 3.174

zwischen März 1942 und Februar 1943 aus Mainz Deportierten konnten im Juni

1945 auf Anweisung der amerikanischen Besatzung mit einem Bus unter der

Aufschrift „Goldenes Mainz“ nur 24 Menschen aus dem Ghetto Theresienstadt

in ihre Heimatstadt zurückgeholt werden. Der Großteil der Überlebenden, die

es in die besetzten West-Zonen Deutschlands verschlug, stammte nicht aus

den Gemeinden oder aus dem ehemaligen Reichsgebiet selbst. Davon gibt

die erste jüdische Zeitung der Nachkriegszeit, das 1947 in der amerikanischen

Zone erscheinende Magazin Fun letstn khurbn (dt. Von der letzten Katastrophe,

Fleckenstein 2011, S. 25), ein beredtes Zeugnis. Dabei kündigte es in seinem fast

minimalistischen Titel zweierlei an: Das jüdische Publikum der Nachkriegszeit



sprach Jiddisch, und die Shoah bedeutet für diejenigen, die überlebt hatten, den

letzten Churban: die zwar mit Abstand verheerendste, aber doch in einer Reihe

mit anderen Vertreibungen, Pogromen und Deportationen stehende Zerstörung.

IV. Nach der Shoah, vor dem Nichts, bis zur Wende –

Synagogenbau in Deutschland 1945 bis 1991

Im Sommer 1945 stand zunächst und vor allem der überlebende Rest der vom

NS-Staat Verfolgten buchstäblich vor dem Nichts. Die jüdischen Gemeinschaften,

Friedhöfe, Synagogen, Städte, ja ganze Landschaften waren zerstört; Eltern,

Kinder, Verwandte geflohen, verschollen und größtenteils ermordet. So

konstatierte der Rabbiner Leo Baeck nach seiner Befreiung aus Theresienstadt

angesichts des erst langsam bekanntwerdenden Ausmaßes der Shoah, dass „die

Epoche der Juden in Deutschland für allemal vorbei“ wäre (zit. nach Mertens 2006,

S. 38f.). Neben denen, die im Untergrund überlebt hatten – allein in Berlin etwa

5.000 Menschen – strömten aus den befreiten Konzentrations- und Arbeitslagern

ehemalige Gefangene, vornehmlich aus allen Ländern Osteuropas, in die alliiertbesetzten

Zonen Süd- und Westdeutschlands. So lebten zum Beispiel Anfang

1946 in der amerikanischen Zone 40.000 jüdische Displaced Persons (DP), ihre

Zahl wuchs bis Dezember nach verschiedenen Einwanderungswellen, bei denen

Überlebende aus Ungarn, der ČTschechoslowakei oder Rumänien kamen, auf

über 145.000 Personen an (Fleckenstein u.a. 2011, S. 14). Deutschland bildete

für sie nur einen unwillkommenen, zwangsweisen Zwischenaufenthalt vor der

Auswanderung vornehmlich in die USA, nach Australien und, ab 1948, nach

Israel.

Sharit ha-Platah – „der gerettete Rest“ nannten sich die Überlebenden nach

der ersten gedruckten Namensliste der Befreiten des US-Armeerabbiners

Abraham Klausner. Diejenigen von ihnen, die in Deutschland bleiben wollten,

wurden zunehmend kritisch beurteilt. So schrieb 1946 der jüdische Publizist und

Journalist Robert Weltsch (1891-1982), es sei nicht hinnehmbar, „daß es Juden

gibt, die sich nach Deutschland hingezogen fühlen. Hier riecht es nach Leichen,

nach Gaskammern und nach Folterzellen. […] Dieser Rest jüdischer Siedlung

soll so schnell wie möglich liquidiert werden (sic!). Deutschland ist kein Boden

für Juden.“ (zit. nach: Maor 1961, S. 12).

Von den meist hölzernen und temporär eingerichteten Beträumen und jüdischen

Zentren der DP-Lager gibt es heutzutage so gut wie keine Spur mehr. Die

Auswanderungswünsche der meisten in Deutschland gestrandeten Jüdinnen

24 25

und Juden erfüllten sich spätestens Ende der 1940er Jahre. Die im Lande

Gebliebenen fühlten sich „magisch angezogen“ (Brenner 2010, S. 67) von

den westalliiert besetzten Metropolen mit ehemals größeren Gemeinden: von

München, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg. Hauptsächlich hier entstanden in

den Jahrzehnten nach 1945 neue Synagogen- und Gemeindebauten, so von

Hermann Zvi Guttmann Guttmann (1917-1977) in Düsseldorf [ S. 85 ] (1958

eingeweiht, Abb. 6) und Offenbach bei Frankfurt/Main (1956 eingeweiht). Die

neuen Zentren unterschieden sich fundamental von den jüdischen Institutionen

der Vorkriegszeit. Waren diese vor 1933/38 mit diversen Einrichtungen wie

Sportvereinen, Krankenhäusern, Jugendclubs, Beträumen und anderen über die

jeweiligen Stadtgebiete verteilt gewesen und hatten meist eine repräsentative

Synagoge in relativ zentraler Lage besessen, befand – und befinden sich –

die ab den 1950er Jahren errichteten jüdischen Einrichtungen konzentriert

in einem meist von der Innenstadt abgelegenen Bereich. Oft sind sie dabei

von außen kaum in ihrer jüdischen Nutzung erkennbar und beherbergen in

der hermetischen Abriegelung diverse Institutionen an einem Ort: Betraum,

Gemeindezentrum, Mikwe, zumindest eine Wohnung für den Rabbiner sowie in

direkter Nachkriegszeit in einigen Fällen noch ein Altersheim für die gebrechlichen

Überlebenden. Seit der Zuwanderung der 1990er Jahre (siehe unten) schließen

sich nun oftmals Kindergärten und/oder Schulen an den Gebäudekomplex an.

Die im Land Gebliebenen saßen auf den sprichwörtlich gewordenen gepackten

Koffern, waren also tatsächlich oder zumindest vom Selbstverständnis her in

ständiger Bereitschaft zur Auswanderung. Diese „paradoxe Ideologie des

Übergangs in Permanenz“ (Waldmann 2010, S. 15) wurde insbesondere von

der nächstgeborenen Generation nach 1968 in Frage gestellt. Ein großer Teil

der Nach-Shoah-Kinder wanderte tatsächlich aus, im Zuge der Verbreitung

sozialistischer Ideale ab den 1960er Jahren in Westdeutschland besonders nach

Israel. Ein anderer Teil der sogenannten Zweiten Generation fand sich dabei

jedoch mit dem postzionistischen Programm ab, „dass Israel nicht für alle Juden,

die in der Diaspora leben, die Lösung ihrer Existenz sein kann“ (Ebd.). Hauptziele

waren und sind dabei die klassischen Einwanderungsländer: Großbritannien,

Frankreich, die USA und Kanada, also Staaten, in denen große jüdische Gemeinden

existieren, die Fortführung der Glaubenspraxis folglich ohne Probleme möglich

ist. So schrumpften die Gemeinden bis zum politischen Zusammenbruch 1990

in Osteuropa durch Überalterung, Austritte und Emigration auf etwa 30.000

Mitglieder in West- und nur 300 in Ostdeutschland.



Abb. 6

27

V. Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion – Ausblick

auf ein „Deutsches Judentum“

Nach dem Beginn der Perestroika 1985 in der UdSSR unter Michail Gorbatschow

wurden die Auswanderungsbedingungen für die sowjetischen Jüdinnen und

Juden zunehmend gelockert. Nach den politischen Um- und Zusammenbrüchen

im gesamten ehemaligen Ostblock wanderten seit 1990 etwa 250.000 Menschen

jüdischer Abstammung zunächst in die BRD, später ins wiedervereinigte

Gesamtdeutschland ein. Eine Stimme aus der Ukraine bringt die Motivation

dieser Gruppe Auswanderer/innen auf den Punkt: „Weil wir nicht in die USA

können und nicht nach Israel wollen, gehen wir nach Deutschland“ (zit. nach

Mertens 2006. S. 86). Etwa die Hälfte der Migrant/innen schloss sich einer

jüdischen Gemeinde in dem jeweils neuen Wohnort an. Dadurch veränderten

sie diese völlig. Die zumeist russischsprachigen neuen Mitglieder machten

nun mindestens 80 Prozent, in manchen Gemeinden (so etwa in Bochum)

über 95 Prozent aus. Die Anforderungen an die neuen Mitglieder, aber auch

an die Gemeinden, waren und sind enorm. So wurde teilweise vonseiten der

Alteingesessenen der Vorwurf erhoben, nur aus materiellen Gründen nach

Deutschland gekommen zu sein. In erster Linie aber stehen die Zugewanderten

vor sprachlichen und sozialen Problemen. Während sie in ihren Herkunftsländern

oft dem intellektuellen und gehobenen Mittelstand angehörten, waren sie in

Deutschland zumeist Sozialhilfeempfänger, so Anfang der 2000er Jahre noch zu

85 Prozent (Mertens 2006, S. 87).

Aus einem erhöhten logistischen und interkulturellen Aufwand für die Gemeinden

resultierte auch ein baulicher: Neue, größere Gemeindezentren und Synagogen

waren (und sind) vonnöten. Seit dem Ende der 1990er Jahre, besonders aber seit

etwa 2000 ist daher eine starke Zunahme von neu errichteten jüdischen Kult- und

Gemeindebauten zu beobachten. 2010 konnten allein 30 jüngst eröffnete oder

sich in Planung befindliche Gebäude in einem Sammelband vorgestellt werden

(Stiftung Baukultur 2010). Bei den Neubauten der letzten zwei Jahrzehnte

lassen sich drei Haupttendenzen feststellen. Zum einen wurden Betraum sowie

Gemeindezentrum als unterschiedlich gestaltete, blockhafte Kuben mit dezenter

Ornamentik in Beziehung zueinander gesetzt oder direkt ineinander gebaut, wie

in Dresden (Abb. 7) oder Bochum [ S. 127 ] (Abb. 8). Eine zweite Tendenz

geht zu expressiven Baukörpern, die einer jüdischen Symbolik verhaftet sind, zu

finden zum Beispiel mit dem Verweis auf die fünf Bücher Mose in der Synagoge

Duisburg oder auf den Schofar in der Synagoge in Mainz. Zum dritten zielten



Abb. 7

Abb. 8



Umbauten ungenutzter christlicher Gotteshäuser in eine städtebaulich und

finanziell pragmatische Richtung, so etwa in Cottbus, Bielefeld [ S. 149 ] oder

Speyer. Letztgenannte Stadt, ein Zentrum der Aschkenazim des Mittelalters, kann

als Paradebeispiel für die aktuelle Stellung des Judentums in der kollektiven,

deutschen Wahrnehmung angesehen werden. Das frühmittelalterliche Gelände

am Rande der Innenstadt mit den Überresten der Synagoge und der ältesten

Mikwe Europas ist vorbildlich renoviert und erforscht. Nur wenige Meter weiter

erinnert eine unscheinbare Plakette auf der Rückseite eines Neubaus neben

einem Parkplatz an die um 1900 errichtete und 1938 zerstörte große Synagoge.

Die aus einem Umbau der leerstehenden St. Guido-Kirche entstandene und 2011

eingeweihte Synagoge befindet sich zwar leicht erhöht über einem Altstadt-

Zubringer in Bahnhofsnähe, jedoch von diesem durch einen 100 Meter breiten

Grünstreifen getrennt und nur bei genauem Hinsehen als jüdisches Gotteshaus

erkennbar.

Die mit der Eröffnung des ersten Jüdischen Museums in Frankfurt 1988

eingeleitete „Musealisierung der Geschichte der Juden in Deutschland“

(Diner 2011, S. 119) findet ihren konkreten Ausdruck jedoch nicht nur in der

Konservierung und Exponierung historischen und gleichzeitigem Verstecktsein

aktuellen jüdischen Lebens, wie am Beispiel Speyers zu beobachten ist. Trotz

einer Vielzahl teils aufsehenerregender Neubauten stellt sich knapp 30 Jahre

nach der Wende erneut die Frage, ob das Judentum in Deutschland – bei einem

Bevölkerungsanteil von ca. 0,2 Prozent – bestehen bleiben wird. Wie bereits

erwähnt ist nur die Hälfte der Eingewanderten Mitglied einer Gemeinde (von

den hier Geborenen ganz zu schweigen), der Gottesdienst wird zu großen

Teilen von einer eher kleinen Gruppe besucht. Der zunehmende, offen gezeigte

Antisemitismus heutiger Prägung – neben dem stets vorhandenen latenten in

großen Kreisen der Bevölkerung – nötigt sehr viele Jüdinnen und Juden, ihre

Glaubenszugehörigkeit nicht mehr offen zu zeigen. So beschloss die Jüdische

Gemeinde Bochum 2017 gemeinschaftlich, in der Öffentlichkeit keine Kippot,

Davidstern-Anhänger oder ähnliche religiöse Zeichen zu tragen. Der auf

Youtube verbreitete Angriff auf einen (nichtjüdischen) Kippa-Träger in Berlin im

darauffolgenden Sommer scheint der Bochumer Gemeinde Recht zu geben. 2019

wurde das Thema erneut öffentlich diskutiert, nachdem der Antisemitismus-

Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, aus Gründen der Sicherheit

davon abgeraten hatte, „jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen“

(Berliner Morgenpost 2019). Demgegenüber steht ein immer noch wachsendes

30 31

Interesse an jüdischer Musik, Literatur, Geschichte und Kultur. Alldies sind

gesamteuropäische Phänomene. Neben einer generellen Renationalisierung,

wovon der europaweite Erfolg rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien

zeugt, sei als Beispiel für eine dezidiert antisemitische Stimmungsmache die

Schließung der vom US-ungarischen Mäzen Georges Soros gegründeten Central

European University durch die nationalkonservative Regierung 2018 in Budapest

genannt. Vorbereitet wurde diese Maßnahme durch eine fast unverhohlen

antisemitisch motivierte Kampagne gegen Soros, der auch in anderen Ländern

als antisemitisches Feindbild benutzt wird.

Vor diesem Hintergrund scheint die Frage nach der Selbsteinschätzung des

modernen Judentums, welche Rolle es in Deutschland spielen könne, nahezu

naiv. Zwar gibt es in vielen Städten ein reges Sozial- und Gemeindeleben

und fordert etwa der konservative Historiker Michael Wolffsohn (*1947) die

Reanimierung eines deutsch-jüdischen Patriotismus. Der 2006 innerhalb

der Bundeswehr wiedergegründet „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“,

ursprünglich 1919 ins Leben gerufen, mag dafür ein Symbol sein. Andererseits

ist die Lebensrealität vieler junger Jüdinnen und Juden in Deutschland weniger

von einer nationalen Identität, sondern vor allem von ihrem internationalen

und mehrsprachigen, das heißt globalisierten Hintergrund geprägt. Die

Komplexität der (Familien-)Biografien der aus der ehemaligen UdSSR, anderen

osteuropäischen Staaten, aber auch Israel oder den USA seit Gründung der

Bundesrepublik eingewanderten Jüdinnen und Juden in Deutschland steht der

der nicht-jüdischen Migrationsgesellschaft in nichts nach.

Eine Gesellschaft besteht immer aus der Summe ihrer Teile. Diese Teile sind

in Deutschland – ich möchte sagen: zum Glück – von wachsender Vielfalt.

Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen oder (leider immer stärker) offen

bekämpfen: Die deutsche Gesellschaft ist eine multiethnische, multireligiöse,

multilinguale Einwanderungsgesellschaft. Daher steht nicht in den Sternen,

ob sich das Judentum in Deutschland wieder etablieren und als „normale“

Religion betrachtet werden kann, sondern hängt maßgeblich vom Umgang

der Gesellschaft, Politik und anderen Konfessionen mit den angesprochenen

Problemen ab. Eine Antwort, inwiefern das Judentum „zu Deutschland gehört“,

wird wohl erst in der nächsten Generation zu beantworten sein. Die Bedeutung

der Architektur, der Umgang mit ihr und die Reaktion auf sie sind für diese

Antwort maßgeblich. Aus einer wie auch immer gearteten Zukunft betrachtet,

bezeugen die teils visionär und mutig konzipierten, teils verschüchtert und



eklektisch zusammengewürfelt erscheinenden Synagogenbauten der letzten

70 Jahre vor Allem eines: dass auch nach der Shoah, nach den Katastrophen

und Verwerfungen des 20. Jahrhunderts jüdisches Leben in Deutschland nicht

nur möglich ist, sondern dass dieses jüdische Leben sich auch für alle sichtbar

entfalten will und einen mutigen Ausdruck finden kann.

Verwendete Literatur

Birkmann, Günter: Bedenke vor wem du stehst. 300 Synagogen und ihre Geschichte in

Westfalen und Lippe. Essen 1998.

Brenner, Michael: Ein amerikanischer Armeerabbiner unter den Displaced Persons. In:

Fleckenstein u.a. 2011, S. 66-69.

Brocke, Michael (Hg.): Feuer an dein Heiligtum gelegt. Zerstörte Synagogen 1938

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Cohen-Mushlin, Aliza (Hg.): Synagogenarchitektur in Deutschland. Dokumentation zur

Ausstellung „... und ich wurde ihnen zu einem kleinen Heiligtum... – Synagogen in

Deutschland“. Petersberg 2008.

Diner, Dan: Erinnerungsort München (Rede zur Eröffnung des Jüdischen Museums

München am 22. März 2007). In: Fleckenstein u.a. 2011, S. 117-120.

Fleckenstein, Jutta u.a. (Hg.): Juden 45/90. Von da und dort – Überlebende aus Osteuropa

(Ausstellungskatalog Jüdisches Museum München 2011/12). Berlin 2011.

Gay, Peter: Freud, Juden und andere Deutsche. Herren und Opfer in der modernen

Kultur. Hamburg 1986.

Hammer-Schenk, Harold: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung

1780-1933. Berlin 1981.

Krinsky, Carol Herselle: Europas Synagogen. Architektur, Geschichte und Bedeutung.

Wiesbaden 1997.

Maor, Harry: Über den Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinden in Deutschland seit

1945. Mainz 1961.

Mertens, Lothar: Religion und Politik. Die wechselvolle 130jährige Geschichte der

jüdischen Gemeinde Adass Jisroel zu Berlin. Berlin 2006.

O.A.: „EKD-Ratsvorsitzender zur Kippa-Debatte: ‚Ich schäme mich‘“. In: Berliner

Morgenpost vom 26.05.2019. Online: https://www.morgenpost.de/politik/

article225188259/Michel-Friedman-kritisiert-Kippa-Warnung-als-Armutszeugnis.html

[17.06.2019].

Schoeps, Julius H. u.a. (Hg.): Russische Juden in Deutschland. Integration und

Selbstbehauptung in einem fremden Land. Weinheim 1996.

Schlör, Joachim: Das Ich der Stadt. Debatten über Judentum und Urbanität, 1822-1938.

Göttingen 2005.

32 33

Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik.

München/Wien 2003.

Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in

Deutschland. Regensburg 2010.

Waldmann, Peter: Die Geschichte der Juden nach 1945 in Rheinland-Pfalz. Rede

anlässlich der Ausstellungseröffnung in Mainz am 19. März 2009, in: Stiftung Baukultur

2010, S. 9-17.

Wilbertz, Gisela: Synagogen und jüdische Volksschulen in Bochum und Wattenscheid.

In: Stiftung Baukultur 2010, S. 80.



Dortmund, Hagen, Essen, Köln:

Synagogen vor 1933.

Geschichte und Erinnerung



Dominik Olbrisch

Die alte Synagoge in Dortmund

37

Mit dem industriellen Aufschwung im Ruhrgebiet des 19. Jahrhunderts ließen

sich immer mehr Juden und Jüdinnen auch in Dortmund nieder. In Folge dessen

war es nötig, einen Ort zu schaffen, an dem Gottesdienste und Feste abgehalten

werden konnten. In den 1890er Jahren war es der jüdischen Gemeinde möglich

mehrere Grundstücke am Hiltropwall zu erwerben, womit die Voraussetzungen

für den Bau eines eigenen Gotteshauses geschaffen wurden. Ein Architektur-

Wettbewerb 1895 sollte dazu dienen, ein Konzept für den Neubau zu entwickeln.

Zu den Grundbedingungen der Ausschreibung gehörten das Unterbringen

von insgesamt 1.270 Plätzen (750 für die Männer im Erdgeschoss, 450 für

die Frauen auf den Emporen und weitere 70 für einen Chor), Platz für eine

Orgel über dem Thoraschrein (Aron ha-Kodesch) und eine Ausrichtung des

Gebäudes nach Osten. Bezüglich der inneren und äußeren Formensprache

waren keine Einschränkungen gegeben. Sowohl der Stil als auch das Material

durften frei gewählt werden. Allerdings wurde im Ausschreibungstext auf die



benachbarte Oberpostdirektion verwiesen, welche 1895 mit Sandstein in einem

neogotischen Stil erbaut worden war und als Inspiration und Orientierung

genutzt werden konnte. Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Wettbewerbs

für den Synagogenneubau trat das Preisgericht zusammen, welches sowohl aus

Regierungs- und Bauräten als auch aus Vorstehern der Synagogengemeinde

bestand. Insgesamt waren 59 Entwürfe eingereicht worden, von denen elf in die

engere Auswahl kamen.

Der Architekt

Eduard Fürstenau hatte zwei Versionen eingereicht und gewann mit beiden den

ersten Preis, wobei der „Variante B“ genannte Entwurf bevorzugt wurde. Der

1862 in Marburg geborene Fürstenau absolvierte ab 1879 ein Architekturstudium

in Berlin. Dort war er mit den Debatten um die angemessene Verwendung

historischer Baustile im zeitgenössischen Baugeschehen konfrontiert und

konnte ihre Auswirkungen auf die Architektur unter den preußischen Monarchen

unmittelbar rezipieren. Sowohl national geprägte Bauelemente, als auch

traditionelle Formen des frühen 16. Jahrhunderts – die Zeit der Reformation und

des Humanismus – zeichneten in der Folge seine Bauten aus. Er bediente sich

aus einem umfangreichen historischen Formenrepertoire und schuf dadurch

eine neuartige Symbiose aus verschiedenen Stilen. Seine Herangehensweise

verstand er als eine Bewahrung von Tradition, weshalb er die zu Beginn des 20.

Jahrhunderts aufkommenden modernen Stile ablehnte und weiterhin historistisch

baute. Die Synagoge in Dortmund war sein erster sakraler Bau. Danach führte er

auch in Siegen (1903) und Bielefeld (1905) [ S. 149 ] Synagogen aus, für die

Dortmund oft als Vorbild gesehen wird. Fürstenau starb im Mai 1938, den Abriss

seiner Synagogen ab Oktober musste er nicht mehr miterleben.

Die Entwürfe

Die beiden von Fürstenau eingereichten Entwürfe waren, abgesehen von

einem Aspekt, sehr ähnlich. Er hatte sich in beiden Fällen für einen Zentralbau

entschieden, welcher die Form eines gestreckten Achtecks besaß. Plan A

entsprach in allen Punkten dem ausgeschriebenen Wettbewerbsregeln. Die klare

West-Ost Achse wurde eingehalten, wodurch eine mit der Straße abschließende

Front zum Hiltropwall nicht möglich war. Fürstenau hatte den Haupteingang

daher so konzipiert, dass man über eine diagonal angelegte Eingangsfront in das

Gebäude eintrat. Variante B war stärker auf die vorhandene städtische Struktur

38 39

ausgelegt und verzichtete auf die Ausrichtung nach Osten. Der Bau war in sich

klarer gestaltet und die Hauptfassade parallel zur Straße ausgerichtet. Durch

eine derartige Gebäudedisposition konnten auch die Aufteilung und Nutzung

der Räumlichkeiten begünstigt werden.

Zwar ist eine Ostung von Synagogenbauten üblich, jedoch handelt es sich nicht

um eine strikte Vorschrift, weshalb sich die Jury und die Gemeinde berieten, ob

auf diese Tradition verzichtet werden kann. Aufgrund der Praktikabilität bestanden

die Beteiligten nicht länger auf diese ursprüngliche Bedingung des Wettbewerbs

und entschieden sich für die Einfachheit und Klarheit des Bauwerks im zweiten

Entwurf. Im Vergleich zu den anderen eingereichten Beiträgen punktete Fürstenau

mit seiner Kombination aus idealer Nutzung des vorhandenen Raumes und der

Verwendung der bevorzugten Bauformen. Andere Vorschläge wurden entweder

auf Grund einer unpraktischen Darstellung innerhalb des Stadtgefüges, oder

wegen zu gegensätzlicher und auffälliger Bauformen abgelehnt.

Die Architektur

1898 wurde mit dem Bau der Synagoge begonnen. Auch während der Bauphase

nahm die jüdische Gemeinde Einfluss auf das Projekt und beteiligte sich an der

weiteren Entwicklung des Gebäudes, so konnten sowohl die Verkleidung der

Außenfassade mit rotem Sandstein als auch die Innenausstattung durch diese

Unterstützung aufgewertet werden. Nach einer relativ kurzen Bauzeit war das

neue Gotteshaus zwei Jahre später vollendet.

Das fertige Gebäude besaß eine Raumhöhe von ca. 22 Metern mit einer

Grundfläche von 28,5 Metern x 47,5 Metern (Abb. 1). Nach Änderungen des

ursprünglichen Entwurfs wurde statt des geplanten Oktogons ein Quadrat mit

abgerundeten Ecken als Grundriss gewählt. Zudem war die Synagoge entgegen

den ersten Planungen nun circa 13 Meter von der Straße zurück versetzt

worden. Dadurch entstand vor dem Haupteingang eine kleine Platzsituation, die

gleichzeitig zu einer Entrückung von der Straße und damit vom Alltagsleben

führte. Dem Hauptraum war ein rechteckiges Vestibül vorgelagert, das

Garderoben und Treppen aufnahm. Das Zentrum der Synagoge war mit einer

Kuppel, die sich über einen Tambour erstreckte, überdacht. Bekrönt wurde diese

Dachkonstruktion von einer Laterne mit Kugel und Davidstern.

Der Hauptraum war von zweigeschossigen Seitenschiffen flankiert, welche sich

durch Säulen zum Mittelschiff öffneten. Sowohl im Erdgeschoss als auch oberhalb

der Emporen war die Deckengestaltung mit einem Kreuzgewölbe versehen



Abb. 1

worden. Die Emporen waren mit reich ornamentierten Rundbogenfenstern

hinterfangen und boten Platz für die Frauen an. Die hohen Bögen, den die

Hängezwickel der Kuppelkonstruktion aufspannten, öffneten die Emporen weit

zum Hauptraum. Im Nordosten befand sich die Chorempore mit Orgel, vor der

im Erdgeschoss der Thoraschrein und die Bima positioniert waren (Abb. 2).

Fürstenau hatte einen atypischen Baustil für die Synagoge gewählt, was jedoch

bei der Jury positiv berücksichtigt wurde. Synagogen um 1900 waren oft in

einem an die Romanik angelehnten Stil gebaut worden, um eine Nähe zu

zeitgenössischen Kirchenbauten zu suggerieren. Die Dortmunder Synagoge wich

von dieser Tendenz ab und besaß stattdessen eine Mischform aus Elementen

der Spätgotik und deutscher Renaissancebauten, was als Anspielung auf die

wilhelminische Architektur Ende des 19. Jahrhunderts verstanden werden kann.

Durch die Anlehnung an den wilhelminischen Baustil demonstrierte die jüdische

Gemeinde ihre Verbundenheit zum Kaiserreich und integrierte sich gleichzeitig

in das allgemeine Stadtbild. Im Zusammenspiel mit der umgebenden Architektur

entstand der Neubau als ein gelungener harmonischer Gesamteindruck.

Sowohl die Oberpostdirektion, als auch die Synagoge und das 1904 errichtete

Stadttheater standen im direkten räumlichen und formalen Bezug zueinander

und prägten so um die Jahrhundertwende das Dortmunder Stadtbild an einem

zentralen Ort.

41

Die Zerstörung

Am 8. Juni 1900 konnte die Synagoge feierlich eingeweiht werden. Die

Wahrnehmung des Gebäudes war eminent. Es wurde als „Zierde der Stadt für

ewige Zeiten“ (Kerstin 1990, S. 13) betitelt. Postkarten und Artikel verdeutlichten

zudem die Zugehörigkeit und den Stolz, den dieses Gebäude bei einem Teil

der Bevölkerung auslöste. Doch mit dem NS-Regime änderte sich der Blick

auf das Gotteshaus. Wie auch in anderen Städten wurden zahlreiche Gründe

erdacht, um die Synagoge aus dem Stadtbild zu tilgen, beispielsweise der Bau

eines Luftschutzbunkers oder Parkplatzes. Des Weiteren war geplant, auf der

gegenüberliegenden Seite des Hiltropwall einen Parteibau zu errichten, weshalb

der damalige Leiter des Kreisverbandes der NSDAP Friedrich Hesseldick die

jüdische Gemeinde mit Einschüchterungsversuchen zu einem Verkauf zwingen

wollte.

Im Oktober wurden die Synagoge und das Grundstück für 170.000 Mark an die

Stadt Dortmund verkauft. Dieses Geld wurde der Gemeinde wieder genommen:



Abb. 2

Abb. 3



Aufgrund des Besitzes von „angeblich staatsfeindlichen Schriften“ (Ebd., S. 15)

wurde es anschließend beschlagnahmt. Bereits Mitte Oktober begannen die

Abrissarbeiten und zogen sich bis zum 30. Dezember 1938 hin. Die zuvor gelobte

Synagoge wurde nun als „Schandfleck für Dortmund“ (Ebd., S. 13) bezeichnet.

Zahlreiche Fotografien dokumentieren den Abbruch und verweisen bereits auf

die kommende Pogromnacht (Abb. 3). Mit der Zerstörung der Synagoge verlor

Dortmund eines seiner eindrucksvollsten Gebäude; daran anschließend auch

nahezu seine gesamte jüdische Bevölkerung. Während 1933 noch über 4.000

Jüdinnen und Juden in der Stadt lebten, lag die Zahl Mitte 1945 gerade einmal

bei 50. Die Mehrheit war ermordet worden, nur wenige hatten noch rechtzeitig

vor der Verfolgung fliehen können.

Die Erinnerung

Da Bombardierungen der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs sämtliche

Gebäude am Hiltropwall zerstört hatten, fing man nach Kriegsende schnell mit

der Neugestaltung des Areals an. Zuerst wurde das Stadttheater (Entwurf und

Ausführung: Städtische Bauverwaltung Dortmund, eröffnet 1950) errichtet und

wenige Jahre später folgte der Bau der Oper (Architekt: Heinrich Rosskotten,

eröffnet 1966). Der Bereich der ehemaligen Synagoge wurde dabei mit einer

Brunnenarchitektur und dreieckigen Bodenplatten als Vorplatz gestaltet.

Gleichzeitig wurde mit der Fertigstellung der Oper die erste Gedenktafel aus

Bronze auf dem Platz eingeweiht. Diese befindet sich noch heute an der zum

Platz ausgerichteten Seite, außen am Eingang zum Foyer des Gebäudes. Sie

markiert damit auch die Stelle des ursprünglichen Eingangs in die Synagoge

und erinnert durch Relief und Text an die Zerstörung des Gebäudes (Abb. 4).

Anlässlich des 50. Jahrestags des Novemberpogroms im Jahr 1988 wurde der Ort

in „Platz der Alten Synagoge“ umbenannt. Gleichzeitig fand eine Umgestaltung

statt, da der Brunnen zu Problemen im unterirdischen Parkhaus geführt hatte. Die

Dreieckkomposition, welche möglicherweise in Verbindung mit dem Davidstern

gesehen werden kann, wurde beibehalten. Zwei Jahre später wurde die Tafel

durch einen Gedenkstein erweitert. Er ist auf zwei Seiten beschriftet und befindet

sich auf der Treppenlage zwischen Straße und Platz. (Abb. 5 und Abb. 6). Die

Erweiterung um ein zweites Gedenkmotiv erfolgte nach kritischen Anmerkungen

der jüdischen Gemeinde. Diese empfand sowohl die unscheinbare Positionierung

am Rande des Platzes als auch die verwendete Wortwahl, in der die Zerstörung

der Synagoge als „politische Willkür“ bezeichnet wird, als unpassend. Im Jahr

44

Abb. 4



Abb. 5

Abb. 6



Abb. 7

2000, anlässlich des 100. Jahrestages der Einweihung der Synagoge, wurde die

Erinnerungssymbolik schließlich im Opernhaus fortgesetzt: Im Foyer wurden

mehrere Tafeln mit historischen Informationen zum zerstörten Gotteshaus

eingeweiht (Abb. 7).

Insgesamt findet die Erinnerung an die Zerstörung und Auslöschung des

jüdischen Lebens auf dem Alten Platz der Synagoge nur partiell und kaum

sichtbar statt. Die Positionierung und Darstellung der Motive führen dazu, dass

die Erinnerungszeichen erst bei näherer Betrachtung erkennbar sind. Durch die

Integration von Informationstafeln in das Innere der Oper sind diese lediglich bei

deren Besuch zugänglich. Die Erinnerungszeichen innerhalb der Platzsituation

bleiben unscheinbar. Nur schwer lassen sich Elemente, die auf die Zerstörung

der ehemaligen Synagoge hinweisen, finden. Durch das niedrige Bodenniveau

sind die vorhandenen Gedenkmotive kaum zu erkennen und wirken zudem von

der Straße isoliert. Eine Betrachtung aus nächster Nähe ist erforderlich, um

überhaupt einen Bezug zur Auslöschung und Zerstörung der jüdischen Gemeinde

und der Synagoge zu bekommen. Auch die übrige Platzgestaltung ist sehr

zurückhaltend und von Drei- und Sechseck-Formen auf dem Boden bestimmt.

Dabei ist unklar, ob diese symbolisch in Verbindung mit dem jüdischen Glauben

stehen sollen. Jedoch wurde dieses Formvokabular mit der Umgestaltung 1988

weitergeführt. Als freier Platz inmitten des Stadtzentrums stellt gerade die

bauliche und gestalterische Leerstelle die Erinnerung an vergangene Zeiten dar.

Verwendete Literatur

Bitzel, Uwe: Damit kein Gras drüber wächst. Ereignisse um die Pogromnacht 1938 in

Dortmund. Dortmund 1988.

Fürstenau, Eduard: Die neue Synagoge in Dortmund. In: Zentralblatt der Bauverwaltung

Berlin vom 15.10.1905.

Fürstenau, Gesche: Die Synagoge Dortmund. In: Beiträge zur Geschichte Dortmunds

und der Grafschaft Mark 80 (1989), S. 65-98.

Ders.: Eduard Fürstenau – Architekt der Dortmunder Synagoge. In: Heimat Dortmund

(2000), Heft 2, S. 10-11.

Hammer-Schenk, Harold: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im

19. und 20. Jahrhundert (1780-1933), Bd. 1. Hamburg 1982, S. 415-421.

Kersting, Bernd: Die Dortmunder Synagoge 1900-1938. Dortmund 1990.

49



Kohlpoth, Thomas: Die Synagoge am Hiltropwall. Von der Betstube zur Einweihung

der Synagoge am 8./9. Juni 1900. Der lange Weg zur Gleichberechtigung. In: Heimat

Dortmund (2000), Heft 2, S. 12-27.

O.A.: Eine Zierde der Stadt: Heute vor 100 Jahren wurde die Synagoge eingeweiht. Ein

Symbol der Liebe zum Vaterland. In: WAZ vom 08.06.2000.

O.A.: Erinnerung wacher denn je. In: WAZ vom 21.06.2000.

Technische Universität Darmstadt, Fachgebiert CAD in der Architektur Kunst- und

Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Synagogen in Deutschland.

Eine virtuelle Rekonstruktion. Basel 2004.

Judith Brinkmann

Wie erinnern? Die Alte Synagoge Hagen/

Hohenlimburg als Erinnerungsort

Dank an:

Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dortmund e.V.

Stadtarchiv Dortmund

Theater Dortmund

50 51

Mahn- und Gedenkstätten – Zeichen der Erinnerung

„[…] einfach und vieldeutig, natürlich und künstlich, der sinnlichsten Erfahrung

unmittelbar gegeben und gleichzeitig Produkt höchst abstrakten Gedankenwerks“

(Nora 1990, S. 26) – mit diesen Worten beschreibt der französische Historiker

Pierre Nora die komplexen Zusammenhänge von Erinnerungsorten. Diese, so

Nora weiter, entstehen immer dann, wenn eine bestimmte Gruppe den Willen

hat, sich an etwas zu erinnern und etwas, das dem Wandel der Zeit sowie den

Veränderungen der Geschichte unterliegt, im Gedächtnis festzuhalten. Ein

Erinnerungsort ist demnach ein Ort oder ein Ereignis, welcher/welches für eine

Gruppe von Bedeutung ist oder war, und dabei „über einen langen Zeitraum als

sinnstiftender Bezugspunkt […] Bedeutung hatte.“ (Zwierlein 2011, S. 101f).

Beschäftigt man sich mit Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätten wie der

Alten Synagoge Hagen/Hohenlimburg, so ist es zunächst wichtig sich zu

vergegenwärtigen, von welch großer Relevanz diese für die Erinnerungsarbeit



sind. Es liegt auf der Hand, dass individuelle Erinnerungen an eigene Erfahrungen

in diesem Kontext in den Hintergrund und im Gegenzug das kollektive

Gedächtnis, sprich geteilte Erinnerungen an die Erfahrungen anderer, dabei auch

unbekannter Personen, in den Vordergrund treten. Damit steht das kollektive

Gedächtnis für einen „als zentral bewerteten Ausschnitt aus der Vergangenheit

und ist repräsentativ für Einzelschicksale“ (Assmann 2016, S. 17).

So kann durch Erinnerungsorte wie Gedenkstätten teilweise über Jahrzehnte

oder Jahrhunderte hinweg ein Bezug zur Vergangenheit aufrechterhalten werden.

Gedenkstätten wie der ehemaligen Synagoge in Hohenlimburg kommt also eine

besondere Bedeutung zu, denn (ehemalige) Synagogenbauten in Deutschland

stehen vor allem in Bezug zur Geschichte der jüdischen Gemeinden und ihrer

Zerstörung sowie zur Vertreibung und Ermordung ihrer Mitglieder, unter anderem

in den Konzentrations- und Vernichtungslagern.

Jüdisches Leben in (Hohen-)Limburg

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Hohenlimburg reicht noch vor den

Bau der ersten Synagoge im Jahre 1782 zurück. Die früheste Urkunde, die die

Anwesenheit von Juden und Jüdinnen in dem Ort belegt, ist ein Schutzbrief

Dietrichs IV., der in Limburg als Graf regierte, von 1350. Jüdisches Leben im

Machtbereich eines Grafen von Limburg gab es somit spätestens seit dem 14.

Jahrhundert.

1907 lebten in Hohenlimburg 150 Juden und Jüdinnen bei einer

Gesamtbevölkerung von rund 12.000 Menschen. Schon vor Beginn der

Verfolgungen 1933 war die Zahl auf 70 Juden und Jüdinnen bei insgesamt

15.519 Einwohner/innen gesunken. In den folgenden Jahren Beginn verkleinerte

sich die Gemeinde weiter, auf 55 Mitgliedern im Jahr 1934 und auf 33 im

Mai 1938. Die letzten jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner wurden im

April 1942 vom Vorplatz der Synagoge aus deportiert und in verschiedenen

Konzentrationslagern, unter anderem in Auschwitz, ermordet.

Der Synagogenbau und die Nachkriegsnutzung

Die Alte Synagoge Hagen/Hohenlimburg, deren Gebäude noch heute erhalten

ist, wurde 1870 am Standort der vorherigen Synagoge, die aufgrund von

Baufälligkeit abgerissen worden war, errichtet (Abb. 1). Das Grundstück lag

günstig; zwar weder an einer Hauptstraße noch im Stadtzentrum, befand es sich

doch in der Nähe des bürgerlichen Wohnbezirks und zudem auf einer Terrasse

52

Abb. 1



Abb. 2

55

am Berghang. So war das Gebäude auch aus weiterer Entfernung gut zu sehen

(Abb. 2). Warum es ausgerechnet hier erbaut wurde, ist nicht bekannt, allerdings

ist anzunehmen, dass die erhöhte Lage an den Tempel in Jerusalem erinnern

sollte.

Verantwortlich für die Baupläne der Synagoge von 1870 war ein Baumeister aus

dem 40 Kilometer entfernten Oestrich, der Bau selbst wurde ausgeführt von

dem Maurermeister Wilhelm Knapp. Beide waren nicht jüdisch. Finanziert wurde

das Gebäude von den damals in der Grafschaft Limburg lebenden insgesamt

24 jüdischen Familien, die die Synagoge nach ihrer Erbauung als Gotteshaus

nutzten, sowie durch Spenden der christlichen Gemeinde.

Der Bau der Synagoge dauerte zwei Jahre. 1870 eingeweiht (aufgrund

des Deutsch-Französischen Krieges ohne Feierlichkeiten), wurde der

Gebäudekomplex 1906 um ein Schulgebäude erweitert, welches heute ebenfalls

noch erhalten ist. Der Grundriss der Synagoge ist annähernd quadratisch, sie

entspricht so im Gesamten der Form eines Kubus. Das Dach ist pyramidenförmig.

An der nach Osten zeigenden Seite findet sich die auch von außen zu erkennende

Thoranische, die als Apsis angebaut wurde. Sie wird zusätzlich durch ein

Rundfenster mit dem Davidsstern betont.

Rundbogenfenster prägen die gesamte Fassade, allerdings wurde die heutige

Füllung der Scheiben, die, außer bei den Fenstern an den Seiten der ehemaligen

Thoranische, sehr kleinteilig ist, erst in den 1980er Jahren im Rahmen der

Restaurierungen angebracht. Die Fenster, die an der Apsis zu finden sind,

zeigen noch die originale Gestaltung: Sie sind hier in der Mitte zweigeteilt. Der

Mittelsteg knickt im oberen Fensterteil nach links und nach rechts ab und geht

so in zwei Rundbögen über.

Der Synagogenbau weist Außen an den Ecken Lisenen auf (Abb. 1). Unter

dem Dachgesims findet sich zudem ein Bogenfries. Das Rundbogenportal an

der Nordseite hat eine Doppelflügeltür, die mit einem Oberlicht ausgestattet

ist. Dieses wird von zwei kannelierten Pilastern mit Sockeln flankiert. Darüber

befindet sich ein Inschriftenfeld, welches oben und unten von Gesimsleisten

gerahmt und in der Mitte von einem Muscheltympanon überspannt wird. An

der Westseite befindet sich in der Nähe der Südwestecke eine kleine rundbogige

Nebentür, die als Frauenzugang diente. Hier befand sich früher der Aufstieg zur

Empore.

Das Gebäude der Synagoge wurde während der sogenannten

Reichsprogromnacht zwar nicht gänzlich, aber doch in großen Teilen zerstört. Das



heutige Aussehen des inzwischen restaurierten Baus entspricht aber in etwa dem

originalen Zustand. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er, ebenso wie die jüdische

Schule, von einem ortsansässigen Fabrikanten aufgekauft worden. Er baute die

Synagoge zur Nutzung als Fabrik um. 1950 musste er eine Ausgleichszahlung an

die Jüdische Kultusgemeinde Hagen, die als Rechtsnachfolgerin der Jüdischen

Gemeinde Hohenlimburg fungierte, entrichten. Von 1941 bis 1975 wurde die

Synagoge durch verschiedene Firmen als Fabrikgebäude, vor allem aber als

Lagerhalle, genutzt. Die jüdische Schule fungierte inzwischen als Wohnhaus.

Nachdem das Synagogengebäude im Mai 1982 unter vorläufigen Denkmalschutz

gestellt wurde, begannen die Sanierungsarbeiten: Das Dach, Fenster und Türen

sowie der Innenraum wurden erneuert beziehungsweise restauriert. Zudem

erklärte sich die Stadt Hagen 1984 dazu bereit, die Synagoge aufzukaufen,

sodass sie im September 1986 in Anwesenheit von ehemaligen Mitgliedern

der Jüdischen Gemeinde Hohenlimburg als Gedenk- und Begegnungsstätte

eingeweiht werden konnte.

Zurückzuführen ist all dies auf die Initiative der im Jahr 1980 gegründeten

Bürgeraktion Synagoge Hohenlimburg, der es so, unterstützt durch das Land

Nordrhein-Westfalen sowie durch die Stadt Hagen, gelang, das Gebäude vor

dem endgültigen Zerfall zu bewahren.

Die Alte Synagoge heute: Mahn-? Gedenk-? Begegnungsstätte?

In der Mahn- und Gedenkstätte in der Alten Synagoge Hohenlimburg hängt im

Gebäudeinneren in der Thoranische eine Gedenktafel, die aus einer Steinfliese

des alten Synagogenfußbodens gearbeitet wurde. Auf ihr sind der siebenarmige

Leuchter und der Davidsstern abgebildet. Sie trägt die Inschrift:

„Im Gedenken liegt das Geheimnis der Erlösung. Zur Erinnerung an die ehemalige

jüdische Gemeinde Hohenlimburg.“

Neben der Funktion als Mahn- und Gedenkstätte wird die ehemalige Synagoge

heute vor allem von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit als

Veranstaltungs- und Ausstellungsraum genutzt. 2016 richtete sie die Ausstellung

Lebendiges Judentum ein (Abb. 3). Anlass war das dreißigjährige Jubiläum

der Übergabe der Begegnungsstätte an die Öffentlichkeit. Vorrangiges Ziel der

Arbeit der Organisation ist es, so wird es auf der Internetseite formuliert, einen

kulturellen Ausstauch zwischen Juden- und Christentum zu ermöglichen.

Dementsprechend wird in der Ausstellung vor allem über das jüdische Leben, die

jüdische Religion sowie jüdische Feste informiert. Der Aspekt einer Mahnstätte

56

Abb. 3



tritt in diesem Zusammenhang in den Hintergrund. Es fehlt an detaillierten

Informationen über die Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen

Bewohnerinnen und Bewohner Hohenlimburgs, das Teil des heutigen Hagens

ist. Die Inschrift auf der Gedenktafel verweist so einzig darauf, dass es in

Hohenlimburg einst jüdisches Leben gegeben hat und dass dieses jüdischen

Lebens gedacht werden soll. Die Gründe dafür, warum es seit mehr als 75

Jahren keine Juden und Jüdinnen im Ort gibt, werden an dieser Stelle nicht

benannt. Auch über das Schicksal der letzten Gemeindemitglieder erfahren die

Besucherinnen und Besucher nichts. Damit fokussiert sich die Ausstellung auf

ein Informieren über die jüdische Kultur und wird so vor allem einer Funktion als

Begegnungsstätte gerecht.

Verwendete Literatur

Assmann, Aleida: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention.

München ²2016.

Gase, Barbara: Geschichte der Juden in Hagen. Hagen 1986.

Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hagen und Umgebung (Hg.):

Kirchen und Synagoge in Hohenlimburg. Hagen 1990.

Dies.: Übersicht „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Hohenlimburg“. Hagen o.J.

(sie wurde der Verfasserin freundlicherweise zur Verfügung gestellt).

Dies. Online: https://www.hagen-online.de/alte-synagoge-hohenlimburg.html

[19.06.2019].

Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Berlin 1990.

O.A.: Alte Synagoge Hohenlimburg. Mahn- und Gedenkstätte der Stadt Hagen. Online:

https://www.hagen-online.de/alte-synagoge-hohenlimburg.html [19.06.2019].

Purvogel, Ulrike; Stanowski, Martin: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.

Eine Dokumentation. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Bonn 1995.

Zabel, Hermann: Mit Schimpf und Schande aus der Stadt, die ihnen Heimat war. Beiträge

zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Hagen. Hagen 1994.

Zifonun, Dariuš: Gedenken und Identität. Der deutsche Erinnerungsdiskurs. Frankfurt am

Main/New York 2014.

Zwierlein, Cornel: Die Genese eines europäischen Erinnerungsortes.

Die Bartholomäusnacht im Geschichtsgebrauch des konfessionellen Zeitalters und

der Aufklärung. In: Bezner, Frank; Mahlke, Kirsten (Hg.): Zwischen Wissen und Politik.

Archäologie und Genealogie frühneuzeitlicher Vergangenheitskonstruktionen. Heidelberg

2011, S. 91-129.

58



Abb. 1

Julia Sommerfeld

Geschichte der Alten Synagoge Essen

61

Der erste Standort einer Synagoge in Essen befand sich in der heutigen

Gerswidastraße. Sie war der Vorgängerbau der heutigen Alten Synagoge. Das

Gebäude befand sich damals etwas abseits der Innenstadt und wurde 1808

eingeweiht. Über seine Architektur ist nichts mehr bekannt, überliefert ist

nur, dass es zu einem späteren Zeitpunkt abgerissen und im Jahre 1870 neu

erbaut wurde. 1911 entschied sich die jüdische Gemeinde unter anderem aus

Platzmangel dazu, einen repräsentativeren und selbstbewussteren Neubau zu

errichten (Abb. 1). Die Idee war es, einen Ort zu schaffen, in dem die Religion des

Judentums versinnbildlicht und gelehrt werden sollte. Dabei sollten vor allem

ornamentaler Schmuck, Mosaiken und viele Glasmalereien zur Überlieferung

der Geschichte des Glaubens beitragen. Beauftragter Architekt war Edmund

Körner. Er wurde 1874 in Leschwitz geboren und starb im Jahre 1940 in seiner

Wahlheimat Essen. Bekannt wurde er hier, weil er eine Vielzahl von Bauten,

darunter den Neubau des Folkwang Museums (1925-1929) sowie die Pfarrkirche



Hl. Schutzengel (1923/24) im Stadtteil Frillendorf, errichtete. Bereits im September

1913 konnte die damals „neue Synagoge“ eingeweiht werden. 25 Jahre lang

war dieser Ort kulturelles und soziales Zentrum mit Konzerten, einer Bibliothek,

einer Lehrstätte und weiteren Funktionen (Alte Synagoge Essen 2016, S. 14).

Während der sogenannten Novemberpogrome beschädigten die Nationalsozialist/innen

im November 1938 die Synagoge im Innenraum sehr stark.

Ihr Äußeres blieb allerdings nahezu unversehrt erhalten und überstand auch die

folgenden Jahre. Nach 1945 gab es zunächst keine Aktivitäten für eine Nutzung

als Gedenkstätte oder Ähnliches: „Demnach wurde für mehr als vier Jahrzehnte

nach dem Zweiten Weltkrieg die außergewöhnliche architektonische Qualität

des Baues nicht beachtet.“ (Ebd., S. 9).

Neue Nutzung

Nach dem Krieg blieb die vormalige Synagoge, nunmehr mitten in der Innenstadt

gelegen, zunächst ein ungenutztes, in seinem Inneren ruiniertes Gebäude, bis

die Stadt Essen, in deren Besitz sie 1959 zu einem niedrigen Preis übergegangen

war, sich im selben Jahr dazu entschied, das Gebäude wieder zu nutzen. Ein

Jahr später weihte sie im Inneren ein Museum, das Haus der Industrieform, ein.

Zwar sollte die Alte Synagoge gleichzeitig als Gedenkort dienen, doch durch

den Umbau gelang dieser Schritt in keinem – sowohl für die jüdische Gemeinde

als auch andere Beteiligte – zufriedenstellenden Maße. Zwischen der Stadt

Essen und der sich nach dem Zweiten Weltkrieg langsam wieder aufbauenden

jüdischen Gemeinde gab es aufgrund der langen Zeit, in der die Alte Synagoge

nicht genutzt wurde, Spannungen. Diese entstanden, weil die Stadt nicht in

der Lage war „das Erbe aus der Zerstörung und Schändung des Hauses anund

die Auseinandersetzung mit diesem Ort in Form einer Selbstbefragung

aufzunehmen“ (Ebd., S. 31). Hieraus ging auch eine Kritik an dem Haus

der Industrieform hervor, in dem man sich nicht mit dem eigentlichen Ort

auseinandersetzte. Erst als die Alte Synagoge im Jahr 2008 zur offenen

Begegnungsstätte und zum politischen Dokumentationsforum eingeweiht

wurde, schien eine neue, angemessene Aufgabe gefunden zu sein. (Abb. 2-4).

Architektur

Betrachtet man die Bilder, die im heutigen Ausstellungsbereich hängen, wird

deutlich, dass von der früheren Gestaltung nicht viel erhalten geblieben ist. Die

vormalige Synagoge ist im Inneren nur noch wenig ausgeschmückt. Dies ist Teil

62

Abb. 2



Abb. 3



Abb. 4

des Konzepts, an dem neben der Stadt Essen auch die jüdische Gemeinde beteiligt

war, aus dem Ort eine Gedenkstätte zu machen, ohne sie im Inneren wie eine

Synagoge aussehen zu lassen. Daher wurde die alte Innenraumgestaltung nicht

wiederhergestellt, aber durch Formen und Farben dennoch sichtbar gemacht.

Das Gebäude besaß und besitzt viele Besonderheiten. Hierzu gehört zunächst

seine äußere Erscheinung: Es handelt sich um einen freistehenden Bau mit

imposanter kupferner Kuppel, die noch heute weithin sichtbar ist. Sie besitzt

einen Durchmesser von 30 Metern. Das Dach über dem Windfang des Portals

nimmt das Kuppelmotiv auf. „Die Außenarchitektur ist so angelegt, dass die

einzelnen Baukörper nach hinten in der Höhe gestaffelt sind.“ (Ebd., S. 10). Das

Gebäude „zählte [...] mit Platz für ca. 1.400 Besuchern sogar zu den größten

freistehenden Synagogen nördlich der Alpen“ (Ebd., S. 9).

Wie der Innenraum ursprünglich gestaltet war, wird wiederholt in der Literatur

aufgeführt: „Die Idee des Zentralbaus ist in ihrer Umsetzung umso interessanter,

als in Essen nie eine Bima in der Mitte des Hauptraumes gestanden hat. Mit dem

kreisrunden Grundriss legte Körner zwar einen Zentralbau an, doch öffnete er

die Kreisform an zwei Seiten, indem er im Westen und Osten Tonnengewölbe

anfügte. Das westliche formt den Eingang zum Hauptraum, dass der Ostseite

überspannt den Toraschrein und ist bewusst deutlich tiefer angelegt als das

Gewölbe im Westen. Die so erzielte Tiefenwirkung lässt einen Richtungsbau

entstehen, der stringent auf den Toraschrein zuführt.“ (Ebd., S. 10).

Der damit verbundene Blick nach oben macht den Hauptraum zu dem zentralen

Punkt im gesamten Gebäude. „Allein die Größe der Alten Synagoge und ihre

Monumentalität lassen noch heute erahnen, welch große, einflussreiche

Gemeinde hinter dem Bau gestanden haben muss.“ (Ebd., S. 44).

67

Die jüdische Gemeinde

Hinsichtlich der Zahl ihrer Mitglieder hatte die jüdische Gemeinde ihre Hochzeit

im Juli 1933, damals zählte sie rund 5.000 Angehörige. Im Juni 1939 waren

es nur noch etwa 1.650. Die Nationalsozialist/innen brachten insgesamt rund

2.500 Essener Jüdinnen und Juden um. Etwa 1.200 von ihnen wurden in „der

Zeit vom 27. Oktober 1941 bis zum 9. September 1943 [...] vom Hauptbahnhof,

oder vom Güterbahnhof Segeroth mit neun Transporten in die Ghettos und

Vernichtungslager […] deportiert.“ (Alte Synagoge 1994, S. 11). Andere, denen

zunächst eine Flucht nach Frankreich oder in die Niederlande gelungen war,

wurden nach der Besatzung dieser Länder durch die Deutschen von dort in die



verschiedenen Lager deportiert und ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg

entstand erneut eine jüdische Gemeinde in Essen, die allerdings deutlich kleiner

war als ihre Vorgängerin und die zum größten Teil aus osteuropäischen Jüdinnen

und Juden bestand.

Die Dauerausstellung

Heute wird in dem Gebäude die Dauerausstellung „Die Alte Synagoge – Haus

jüdischer Kultur“ gezeigt. Sie wurde im Jahre 2010 eingeweiht (Abb. 3-4) und ist

auf drei Geschosse verteilt: Erd-, Ober- und Mezzaningeschoss. Die Ausstellung

behandelt neben der Geschichte des Hauses die Grundlagen der jüdischen

Religion, widmet sich unter der Überschrift „Jüdischer Way of Life“ einem

erweiterten, kulturellen Verständnis des Judentums und stellt die Geschichte

der Juden und Jüdinnen in Essen vor. Bevor die eigentliche Ausstellung beginnt,

wird im Eingangsbereich erläutert, was eine Synagoge ausmacht und welche

Bedeutung sie hatte und hat. Dabei wird mit Hilfe eines Audioguides unter

anderem erklärt, wie der Raum historisch aufgebaut und gegliedert war, dann

folgen seine Funktionen. Hier fallen Begriffe wie „Thoraschrein“, „Bima“ und

„Frauenempore“.

Als weitere Erläuterung zur Baugeschichte gibt es zum einen zehn Fotografien

von Synagogen an verschiedenen Orten in der Welt, die alle ganz unterschiedliche

Baustile haben. Damit wird gezeigt, wie sehr sich Synagogen architektonisch

unterscheiden können. Hierbei wird deutlich, dass es sich bei der Alten Synagoge

nicht um eine traditionelle Baugestaltung handelt. Zwei Holzmodelle vertiefen

diese Beobachtung: Die Synagoge in Halberstadt, die 1712 eingeweiht wurde,

wird als „traditionell“ vorgestellt, während die Alte Synagoge als „liberal“

vermittelt wird: „Was erstgenannte als traditionell markiert, verdeutlicht der

mögliche Blick in den Innenraum des Modells: Das Vorlesepult ist zentral im

Raum aufgestellt, der Frauenbereich stark abgeschirmt.“ (Alte Synagoge Essen

2016, S. 14).

Angrenzend werden in der Ausstellung an den Stützwänden der ehemaligen

Frauenempore Fotografien aus unterschiedlichen Zeiten und Nutzungen der

Alten Synagoge gezeigt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Aufnahmen aus dem

alten Innenraum. Anschließend führt der Weg dann in die „Ecke des Gedenkens“,

in der sich vier Gedenkbücher befinden. Sie sind im Rahmen eines Projektes

entstanden, in dem Schüler/innen und Erwachsene aus Essen nach jüdischen

Mitgliedern der Gemeinde geforscht und ihre Geschichte niedergeschrieben

68 69

haben. Anschließend werden Besucher/innen in einen Raum zu den „Quellen der

jüdischen Tradition“ geführt. Hier werden beispielsweise religiöse Gegenstände

und kulturelle Praxen neben Riten des Lebenszyklus wie Hochzeit oder Tod

erläutert.

Auf dem Weg zur ehemaligen Frauenempore werden Exponate zur Durchführung

jüdischer Feste vorgestellt. Die Orgelempore präsentiert dann die Geschichte des

Hauses auf ausgefallene Art und Weise. Hier gibt es zum einen die Möglichkeit,

Liegen zu nutzen, um sich durch Videoprojektionen verschiedene Zeitabschnitte,

die mit der Veränderung der Synagoge zu tun haben, anzusehen und ihre

Geschichte bildlich nachzuvollziehen. Zum anderen ist es mit Hilfe mehrerer

Touchscreens möglich, sich über prägende Ereignisse wie beispielsweise über

die sogenannte Reichskristallnacht zu informieren. Am Ende des Rundgangs

begegnen Besucher/innen dem „jüdischen Way of Life“, einem Bereich, in dem

Themen wie Kultur, Vielfalt und Unterschiedlichkeit diskutiert werden. Es gibt hier

beispielsweise Gegenüberstellungen mit den Feiertagen und Esskulturen anderer

Religionen. Die Ausstellung schließt mit der Geschichte Juden und Jüdinnen in

Essen ab. Hier kommen in erster Linie ehemalige jüdische Einwohner/innen der

Stadt zu Wort. Sie erzählen ihre Lebensgeschichte und wie sie vor allem die

Zerstörung der Synagoge während des Novemberprogroms erlebt haben. Sie

berichten außerdem darüber, was sich in der Stadt für sie verändert hat und wie

die nationalsozialistische Verfolgung ihre Familien auseinandergerissen hat.

Verwendete Literatur

Alte Synagoge Essen (Hg.): Alte Synagoge Essen – Haus jüdischer Kultur. Die

Dauerausstellung. Essen 2016.

Alte Synagoge (Hg.): Ein Haus, das bleibt. Aus Anlass 20 Jahre ALTE SYNAGOGE Essen.

Essen 2000.

Alte Synagoge (Hg.): Entrechtung und Selbsthilfe: Zur Geschichte der Juden in Essen

unter dem Nationalsozialismus. Essen 1994.



Abb. 1

Stella Giorgou

Die Kölner Synagoge in der Roonstraße

71

In einem zentral gelegenem Viertel im Südwesten der erweiterten Neustadt Kölns

befindet sich das religiöse und kulturelle Zentrum der jüdischen Gemeinde: die

Synagoge in der Roonstraße 50 (Abb. 1). Bereits im Jahr 321 n.d.Z. in einem Dekret

des Kaisers Konstantin (um 270/288-337) erwähnt, zählt die Gemeinde heute zu

einer der ältesten in Deutschland. Eine Existenz sowohl in mittelalterlicher als

auch in frühneuzeitlicher Zeit ist ebenfalls durch mehrere schriftliche Quellen

bekundet. Nach dem Beschluss des Kölner Rates am 1. Oktober 1424, jüdische

Bürger und Bürgerinnen aus der Stadt auszuweisen, fand die erste erneute

Niederlassung nach der 1798 erfolgten Eroberung der Stadt durch französische

Revolutionstruppen statt. Drei Jahre später, 1801, gründeten dann 18 Familien

die erste jüdische Gemeinde der Neuzeit, welche sich bis zum Ende des 19.

Jahrhunderts so weit entwickeln sollte, dass ihre sechs Gotteshäuser nicht mehr

ausreichten und sie einer neuen, größeren Synagoge bedurfte. Diese wurde an

der Roonstraße errichtet.



Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges lebten circa 19.500 jüdische Bürger/

innen in Köln, von denen etwa 11.000 während der NS-Zeit umkamen. Der Großteil

von ihnen, circa 8.000 Juden und Jüdinnen, wurde zwischen Oktober 1941 und

Oktober 1944 im Zuge deutscher Verfolgungs- und Vernichtungsmaßnahmen

deportiert und getötet.

Heute gehören rund 4.000 Personen zur Gemeinde. Besonders in den 1990er

Jahren hatte es durch den Zuzug russischsprachiger Jüdinnen und Juden aus

den Staaten der ehemaligen Sowjetunion einen enormen Zuwachs gegeben.

Aufgrund dieser zahlreichen neuen Mitglieder stiegen auch die Bedürfnisse,

sodass neben dem Gemeindehaus in der Roonstraße im November 2003

ein Wohlfahrtszentrum in der Ottostraße sowie zwischen 2004 und 2009

Begegnungszentren in Chorweiler und in Porz errichtet wurden.

Baugeschichte

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es zwei entscheidende Faktoren, die zum

Bau einer neuen Synagoge in der Roonstraße führten. Zum einen veränderte

sich die räumliche Verteilung der jüdischen Bevölkerung in Köln. Viele

Gemeindemitglieder zogen in die Neustadt, welche sich somit zunehmend zu

einem Siedlungsschwerpunkt entwickelte. Zum anderen reichten, wie bereits

gesagt, die Kapazitäten der zuvor bestehenden Synagogen nicht mehr aus. 1893

wurde daher ein öffentlicher Wettbewerb für einen Neubau ausgeschrieben,

welcher Platz für insgesamt 1.400 Mitglieder bieten sollte. Das Grundstück,

welches noch im selben Jahr von der Gemeinde erworben wurde, war 2.681

Quadratmeter groß und kostete 210.000 Mark. 15 Entwürfe wurden eingereicht,

von denen sich der Entwurf mit dem Kennwort „Empor“ der Kölner Architekten

Emil Schreiterer (1852-1923) und Bernhard Below (1854-1931) durchsetzen

konnte. Sie entwickelten einen Zentralbau auf quadratischem Grundriss, an dem

sich zu beiden Seiten Flügelbauten anschlossen.

Gelobt wurden die beiden Architekten vor allem für den Umgang mit der

schwierigen Grundstückssituation. Die Synagoge sollte traditionellerweise

nämlich nach Osten ausgerichtet werden, was der Orientierung der Straßenflucht

jedoch entgegenstand. Die zu ihr ausgerichtete Hauptfront lag auf südwestlicher

Seite in Richtung des Rathenauplatzes, der zu dem Zeitpunkt noch Königsplatz

hieß, und war in eine Reihe von umliegenden Mietshäusern eingebunden,

die nicht abgerissen werden sollten. Um den Widerspruch der inneren und

äußeren Achsenbeziehung aufzulösen, konzipierten Schreiterer und Below

72 73

einen Grundriss, der das zentrale, überkuppelte Gebetshaus Richtung Osten

verschob. Im westlichen Flügelbau legten sie einen querrechteckigen Vorraum

als Eingangsbereich an. Der Ausgang erfolgte ebenfalls zur Roonstraße durch

ein Portal im mittleren Gebäudeteil. Diese Lösung diente einerseits einem

geregelten Ein- und Austritt der Besucher/innen und ermöglichte andererseits,

dass der Blick beim Eintreten in den Gebetsraum auf den heiligsten Ort, den

Thoraschrein, fiel.

Im Zuge der Novemberpogrome im Jahr 1938 wurde die Synagoge von den

Nationalsozialist/innen schwer beschädigt. Nur Teile der Umfassungsmauer

sowie des zentralen Kuppelbaus blieben als Ruine bestehen und dienten 1959

als Grundlage für den Wiederaufbau. Unter Leitung von Helmut Goldschmidt

(1918-2005), einem der erfolgreichsten Synagogenarchitekten jener Zeit, wurde

die Fassade zur Roonstraße mit nur wenigen Änderungen rekonstruiert. Der

Innenraum dagegen erforderte aufgrund der notwendigen Einbindung eines

Gemeindezentrums einen Umbau. In Höhe der früheren Emporen wurde eine

Decke eingezogen, die den ehemals eingeschossigen Bau in zwei Stockwerke

teilte. Dadurch wurde genügend Platz für die Räumlichkeiten der Gemeinde

geschaffen. Unterstützung für das Projekt erhielt sie von Konrad Adenauer

(1876-1967, CDU), dem damaligen Oberbürgermeister der Stadt. Er bezeichnete

die Synagoge als „Merkmal Kölns“, das „in alter Form wiederaufgebaut [werden

solle]“ (zit. n. Pracht 1997, S. 255). Als Bundeskanzler setzte er sich dann für die

Finanzierung des Wiederaufbaus ein.

Baubeschreibung

In den Wettbewerbsunterlagen von 1893 wurden strenge Anforderungen an

den Neubau gestellt; sie betrafen unter anderem die Ausrichtung der Synagoge,

die Anzahl der Plätze sowie die Einbindung von weiteren Anräumen wie dem

Versammlungsort, Schulsälen oder der Zimmer für Kantor und Rabbiner.

Bezüglich des Stils war den teilnehmenden Architekten dagegen die vollständige

Freiheit garantiert. Schreiterer und Below sollen sich dem Kunsthistoriker

Wolfram Hagspiel zufolge an der damals modernsten Architektur in den USA

orientiert haben, dem sogenannten Richardsonian Romanesque Style. Er war

nach dem Architekten Henry Hobson Richardson (1838-1886) benannt worden

und wurde durch Elemente der romanischen Architektur Südeuropas bestimmt

(vgl. Hagspiel 2010, S. 295). Als direktes Vorbild für die Synagoge soll die First

Presbyterian Church in Detroit (Michigan, USA) gedient haben.



Charakterisiert wird die komplett mit Tuffstein verkleidete Fassade der

Synagoge in Köln durch eine komplexe räumliche Staffelung der Gebäudeteile.

Die vierstöckigen Flügelbauten schließen links und rechts an die umgebende

Wohnbebauung an. Sie rahmen den stark zurücktretenden Mittelbau, mit dem

sie über schmale, nochmals zurückversetzte Gebäudeteile verbunden sind

(Abb. 2). Zusammengefasst wird die so rhythmisierte Straßenfassade durch

einen gemeinsamen Sockel. Zur Zeit der Errichtung wurde dieser mittig von einer

großen Freitreppe durchbrochen, über die der Ausgang erfolgte. Da die Treppe

heute nicht mehr besteht, sind auch die drei Rundbögen der Pfeilerarkaden

nicht mehr geöffnet, sondern verglast. Darüber gibt eine hebräische Inschrift

einen Ausschnitt aus dem Buch Sacharjas wieder, welcher übersetzt lautet:

„Nicht durch Macht und nicht durch Stärke, sondern durch meinen Geist,

spricht der Herr der Heerscharen.“ (Sacharja 4, 6). Zusammen mit einem den

Bau bekrönenden Davidstern gibt diese Inschrift den einzigen Hinweis auf die

Nutzung als ein jüdisches Gotteshaus.

Über dem ehemaligen Ausgangsportal erstreckt sich leicht nach hinten versetzt

eine hoch aufragende Giebelwand, welche durch eine große und farbenreiche

Fensterrosette betont wird. Strebepfeiler stützen und rahmen diese stark

durchbrochene Mauerfläche und das darunter liegende Arkadengeschoss. Sie

verbinden so die beiden Zonen optisch miteinander. Hinter dem Giebel ragt

der Kubus des Zentralraumes hervor, welcher mit einem Zeltdach abschließt

und seitlich von zwei äußerst schlanken, runden Türmchen flankiert wird.

Die schmalen Gebäudeteile, die zwischen den Flügelbauten und dem Portal

vermitteln, wiederholen die Geschossabstufungen des letzteren. Wie der

Zentralraum werden auch sie mit einem pyramidenförmigen Dach bekrönt. Die

Seitenflügel sind in den Geschossen durch unterschiedliche Fensteröffnungen

gestaltet: Neben rundbogigen und kleinen rechteckigen Fenstern dekorieren

Dreipassfenster die Wand. Der Westflügel wird außerdem im Erdgeschoss

durch zwei Rundportale geöffnet, über den heute wie damals der Zutritt in die

Synagoge erfolgt.

Seit dem Umbau der 1950er Jahre sind im Erdgeschoss der große Gemeindesaal,

die Räumlichkeiten der Verwaltung, ein Jugendzentrum, Kindergarten, eine

Küche sowie das einzige koschere Restaurant Kölns untergebracht. Zudem gibt

es hier einen kleinen musealen Bereich, welcher jüdische Kultgegenstände zeigt

und damit auch der historischen Gemeinde gedenkt. Der Eingangsbereich ist im

Innern mit Kreuzgewölben gestaltet, ein Motiv, welches sich im Obergeschoss

74

Abb. 2



Abb. 3

77

wiederholt. Zudem ist eine Inschriftentafel an der vom Eingang aus linken Wand

angebracht, welche an den Wiederaufbau durch Helmut Goldschmidt erinnert.

Im zweiten Geschoss befindet sich der Synagogenraum, welcher aufgrund der

Umbauten an Höhe einbüßen musste. Die heutige Raumwirkung dürfte sich

damit vermutlich von der originalen stark unterscheiden. Weitere Änderungen

des Innenraums wie die Verlegung der Frauenemporen nach Westen tragen

ebenfalls zu einem veränderten Eindruck bei.

Seit der Neuordnung der Innenräume gelangt man von der Eingangshalle

über eine breite Treppe zum Synagogenraum. Ihm vorgelagert ist eine

Gedenkhalle eingerichtet, welche mit hebräischen und deutschen Texten auf

schieferverkleideten Wänden an die 11.000 Jüdinnen und Juden erinnert, die von

den deutschen Nationalsozialist/innen ermordet wurden (Abb. 3). Steinbänke

vor den Tafeln sollen zum Verweilen und stillen Gedenken einladen. Auf der

gegenüberliegenden Seite befindet sich ein Bronzebrunnen zur symbolischen

Waschung der Hände vor dem Gottesdienst – ein Kunstwerk des Kölner

Bildhauers Olaf Höhnen (1933-2009). Der Wasserhahn in Form von fünf Fingern

versinnbildlicht dabei die segnende Hand des Hohepriesters. Die verglaste

Wand zur linken Seite gibt den Blick in einen weiteren Vorraum frei. Durch zwei

mächtige Bronzetüren, welche die Embleme der jüdischen Stämme zeigen,

betritt man schließlich den Gebetssaal.

Der Innenraum des überkuppelten Zentralbaus wird durch einen kreuzförmigen

Grundriss bestimmt. Die Form entsteht durch vier massive, freistehende Pfeiler,

die den Raum gliedern. Durch große Längstonnen, welche die Pfeiler miteinander

verbinden, entstehen einzelne Raumteile, was die kreuzförmige Struktur

nochmals akzentuiert. Betont wird dies darüber hinaus durch die mit niedrigen

Kreuzgewölben ausgestatteten Eckräume. Über rundbogige Öffnungen, welche

die Tonnengewölbe durchbrechen, sind diese zugänglich. Oberhalb der Tonnen

ruht die zentrale Kuppel. Früher noch mit einem Sternenhimmel geschmückt,

der symbolisch für die Nachkommen stand, die so zahlreich wie die Sterne am

Himmel sein sollen, erscheint die Kuppel heute nur noch in Blau, womit sie sich

von den ganz in Weiß gehaltenen Wänden absetzt.

Im Innenraum wiederholt sich mehrmals das Motiv des Rundbogens, womit

unter anderem Bezug zur Außenansicht mit dem dreiteiligen ehemaligen

Ausgangsportal genommen wird. Insbesondere der Thoraschrein als heiligster

Ort der Synagoge wird durch diese Form bestimmt. Mehrere übereinander

gestaffelte Bögen rahmen ihn auf südöstlicher Seite und stellen ihn damit als



Abb. 4



den wichtigsten Ort des Gotteshauses heraus (Abb. 4). Zudem sind über ihm die

Gesetztafeln und das ewige Licht angebracht. Wie in jeder Synagoge befinden

sich auf dieser Seite des Raumes daneben die Prinzipalstücke, zu denen zwei

siebenarmige Leuchter und die Bima gehören. Zur besonderen Betonung liegt

der Bereich erhöht. Er ist über mehrere Treppenstufen zu erreichen, wobei

Bima und Thoraschrein aufgrund von Zwischenpodesten auf unterschiedlichen

Ebenen liegen. Der Schrein befindet sich entsprechend seiner Bedeutung an

höchster Stelle. Die Wand um die Gesetztafeln herum ist durch sich überlappende

Dreiecke gestaltet, wodurch mehrfach das Motiv des Davidsterns entsteht.

Die zwei Löwen im Vorhang, hinter dem die Thorarollen aufbewahrt werden,

symbolisieren die Wächter der Thora.

Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich die Empore, welche Platz für 300

Frauen bietet. Obwohl die Synagoge ursprünglich von einer liberalen Gemeinde

genutzt wurde, wird dort seit dem ersten Gottesdienst nach ihrer Zerstörung,

welcher am 19. April 1945 stattfand, der orthodoxe Ritus befolgt. So gibt es nun

eine strikte Trennung von Frauen und Männern. Entgegen orthodoxer Tradition

ist allerdings die Bima nicht im Zentrum, sondern im Osten des Raumes platziert.

Dies sollte eine bessere Akustik ermöglichen. Auch das Gestühl ist nicht

regelkonform angeordnet: Die Bankreihen werden von Durchgängen getrennt.

Hierbei stand der praktische Zweck im Vordergrund, dass die Gemeinde während

des Gottesdienstes nicht von Mitgliedern gestört wird, die zu spät kommen oder

früher gehen.

Der Raum wird durch zwei große Fensterrosen beleuchtet, die aufgrund der

bunten Gläser jedoch nur diffuses Licht in den Raum hineinlassen. Gestaltet

wurden diese vom Kölner Glasmaler Egbert Lammers (1908-1996), dessen

Signatur in einem der Fenster zu lesen ist. Während in der südlichen Rose eine

Taube mit Ölzweig den Neubeginn der jüdischen Gemeinde nach der Shoah

symbolisiert, erkennt man auf der gegenüberliegenden Seite den Berg Sinai

mit den beiden Tafeln der Zehn Gebote. Die kleinen Fenster in den Ecken der

Synagoge stellen neben freien Kompositionen Cherubime und Seraphime dar,

welche wie die Löwen am Thoravorhang Wächter der heiligen Schrift sind.

Fassade, an der bis auf die zwei genannten Elemente nichts weiter auf ein

jüdisches Gebetshaus hindeutet, könnte als „Symbol des Anspruchs auf

gesellschaftliche wie rechtliche Gleichheit“ (Knufinke 2015) gegenüber der

Kölner Kirchen gedeutet werden. Im Zusammenhang mit dem musealen Bereich

im Innenraum und dem nahezu unveränderten Escheinungsbild der Fassade

erhält die Synagoge zudem einen Denkmalcharakter, welcher an die historische

jüdische Gemeinde erinnert.

Verwendete Literatur

Becker-Jakli, Barbara: Das jüdische Köln. Geschichte und Gegenwart: Ein Stadtführer.

Köln 2012.

Eck, Werner: Spurensuche: Juden im römischen Köln. In: Beiträge zur rheinischjüdischen

Geschichte 1 (2011), S. 3-26.

Hagspiel, Wolfram: Köln und seine jüdischen Architekten. Köln 2010.

Knufinke, Ulrich: Helmut Goldschmidt. In: moderneREGIONAL 2 (2015), Heft 1. Online:

https://www.moderne-regional.de/fachbeitrag-helmut-goldschmidt/ [10.05.2018].

Pracht, Elfi: Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Teil I: Regierungsbezirk Köln.

In: Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland 34 (1997), Heft 1, S. 242-

291.

Sarrazin, Otto; Hofsfeld, Oskar: Wettbewerb um Entwürfe zu einer Synagoge in Köln. In:

Centralblatt der Bauverwaltung 16 (1894), Heft 19, S. 193-196.

Sarrazin, Otto; Hofsfeld, Oskar: Die neue Synagoge in Köln a. Rh. In: Centralblatt der

Bauverwaltung 19 (1899), Heft 51, S. 306-310.

Simon, Sabine: Schreiterer & Below. Ein Kölner Architekturbüro zwischen Historismus und

Moderne. Aachen 1999.

Der bauliche Anspruch der Kölner Synagoge

Allgemein fallen bezüglich der Gestaltung der Synagoge sowohl im erneuerten

Innenraum als auch im Außenraum die Übernahme von bekannten kirchlichen

Strukturen auf. Insbesondere die Inszenierung nach Außen mit der imposanten

80

81



Düsseldorf, Dortmund, Paderborn, Essen:

Synagogen nach 1945.

Jüdisches Leben nach der Shoah



Christina Krinke

Die Neue Synagoge in Düsseldorf

85

Synagogen in Düsseldorf

Aus einem Schutzbrief aus dem Jahr 1677 geht hervor, dass zunächst nur zwei der

vermögendsten jüdischen Familien in Düsseldorf wohnen durften, darunter die

Familie des Obervorgängers der Juden der Herzogtümer Jülich und Berg, Juspa

van Geldern (1653-1727). Dieser wurde 1679 unter dem jungen Landesherren

Johann Wilhelm (1658-1716) zum kurfürstlichen Hoffaktor ernannt. In ebendieser

Zeit entwickelte sich in der Stadt erstmals auch eine kleine, jüdische Gemeinde,

da sich immer mehr jüdische Familien niederließen. 1712 erwarb Juspa van

Geldern ein Grundstück für ein Wohnhaus an der heutigen Neusser Straße und

damit die Genehmigung, dort eine „Juden-Schull“ einzurichten, die als die erste

Synagoge in Düsseldorf gilt. Aufgrund eines allgemeinen Wirtschaftsabschwungs

nach dem Tod von Johann Wilhelm im Jahr 1716 und durch den Tod von Juspa

van Geldern im Jahr 1727 geriet das Gebäude jedoch 1758 in den Besitz des

Militärfiskus. 1772 wurde es zum Hubertushospital umgenutzt.



1787 entstand der Stadtteil Carlstadt, benannt nach dem Kurfürsten Carl

Theodor (1724-1799), in welchem die jüdische Gemeinde ein Grundstück an der

Kasernenstraße erwarb und eine Synagoge durch den Architekten Peter Köhler

auf Grundlage der Pläne von Peter Joseph Krahe (1758-1840) gestalten ließ.

Vermutlich war sie im Stil des Klassizismus erbaut und verband schon damals

die Funktionen eines Gemeinde- und eines Gebetshauses. Am 24. März 1792

wurde sie geweiht.

Da die jüdische Gemeinde bis 1850 aber auf bis zu 500 Mitglieder angewachsen

war und die Synagoge zu klein wurde, entschied man sich 1851 für einen

Umbau, der allerdings nicht realisiert wurde. Stattdessen erfolgten 1873 ein

gänzlicher Abriss und anschließender Neubau auf dem Areal. Dieser wurde von

den Architekten Deckers & Kühn geplant, 1875 vollendet und am 10. September

desselben Jahres eingeweiht. Über den Stil dieses Gebäudes ist nichts erhalten,

aus einem Bericht des Düsseldorfer Anzeigers geht jedoch hervor, dass ihm eine

„Schönheit und Eleganz“ bescheinigt wurde, während die Düsseldorfer Zeitung

den Bau als einen „im gothischen Stile erbauten Tempel“ beschrieb (Suchy;

Knufinke 2013, S. 23). Die Historikerin Barbara Suchy bezieht sich auf eine

Zeichnung der Architekten, wenn sie angibt, dass der Bau maurische Elemente

aufgewiesen haben muss (Ebd.).

Nur wenige Jahre später erwies sich auch diese Synagoge als zu klein, sodass die

Gemeinde bereits 1899 ein neues Grundstück an der Kasernenstraße erwarb und

einen öffentlichen Wettbewerb für die Gestaltung ausschrieb. Zu dieser Zeit war

die Gemeinde auf 2000 Mitglieder angewachsen. Der Architekt Joseph Kleesattel

erhielt den Zuschlag und plante die Große Synagoge in dem für Synagogenbauten

in dieser Zeit typischen romanischen Stil. Das Gebäude wurde am 6. September

1904 eingeweiht. Es fungierte als Zeichen des Integrationswillens der jüdischen

Bevölkerung und war gegenüber dem Schauspielhaus errichtet deutlich im

Stadtbild sichtbar. Da diese Synagoge für einen liberalen Gottesdienst ausgelegt

war und daher eine Orgel besaß, entstand nahezu zeitgleich in der Bilker Straße

eine Synagoge für orthodoxe Gläubige. Nachdem diese erst in die Poststraße

verlegt wurde und dort dann nach 1933 geschlossen wurde, entschloss sich die

Gemeinde der Synagoge in der Kasernenstraße in ihrer Wochentagssynagoge

auch einen orthodox-polnischen Gottesdienst anzubieten.

Im Zuge der Novemberpogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November

1938 wurde die Synagoge durch staatliche Anweisung in Brand gesetzt und

nur wenige Tage später wurden ihre baulichen Reste auf Kosten der jüdischen

86 87

Gemeinde abgetragen. Ende 1939 entstand auf dem Areal ein Hochbunker.

Heute befindet sich dort das Gebäude der Verlagsgruppe Handelsblatt.

Neue Synagoge

Nach Mai 1945 lebten zunächst 57 Juden und Jüdinnen in Düsseldorf. Hier

gründeten sie eine Einheitsgemeinde, als deren erstes großes Ereignis die

Einweihung einer Gedenktafel an der Kasernenstraße am 9. November 1946 gilt.

Trotz des immer noch vorherrschenden Antisemitismus wuchs die Gemeinde

um das Jahr 1948 an und begann in den kommenden Jahren, eine Synagoge zu

planen. Sie wurde schließlich am 7. September 1958 eingeweiht und entstand

nach den Entwürfen des Architekten Hermann Zvi Guttmann (1917-1977).

Der Komplex enthält neben der Synagoge mit 250 Sitzplätzen für Männer und

weiteren 150 auf der Empore für Frauen auch ein Gemeindezentrum. Zudem

gibt es einen kleinen Betsaal, der bereits am 28. März 1958 eingeweiht werden

konnte. Zu diesem Zeitpunkt zählte die Gemeinde 850 Mitglieder. Im Jahr

1997 gehörten ihr 4.600 Mitglieder an, was etwa dem Stand von 1923/1924

entsprochen haben dürfte. Heute sind es etwa 7.500 Personen.

Für ihren Neubau hatte die Gemeinde im Dezember 1953 ein 2.400 Quadratmeter

großes Grundstück an der Ecke Zieten- und Mauerstraße erworben, vermutlich

unter anderem, weil es eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr bot.

Interessant ist die Wahl dieses Ortes aber besonders, weil die Gemeinde damit

das unmittelbare Stadtzentrum verließ und keinen historischen Standort wählte

bzw. wählen konnte. Ihr war seitens der Stadt verdeutlicht worden, dass sie

auf ihr zentral gelegenes Grundstück in der Kasernenstraße nicht zurückgreifen

könne; es war schon 1949 anderweitig in die Stadtplanung einbezogen worden.

Für die Gestaltung der Neuen Synagoge schrieb die Gemeinde im Oktober 1956

einen kleinen Wettbewerb unter fünf von ihr ausgewählten Architekten aus.

Anfragen mit der Bitte um Skizzen und Kostenvoranschläge gingen dabei neben

Guttmann an Gerhard Rehder, Hanns Schwippert, Jakob Walter und Emanuel

Lindner. Guttmann war der einzige jüdische Architekt unter ihnen. Ihn zeichnete

zudem aus, dass er zur gleichen Zeit seine erste Synagoge in Offenbach baute

und daher Expertise und Sachverstand mitbrachte. In Düsseldorf realisiert er

dann sein zweites, aber gleichzeitig erstes großes Synagogenprojekt. In der

Stadt entwarf er zudem ein Mehrfamilienwohnhaus für die Bauherrin Hellen

Israel und einen Neu- oder Umbau für das Modegeschäft ihres Mannes.



Abb. 1

89

Guttmann veranschaulichte in der Neuen Synagoge auf bemerkenswerte Weise

die Geschichte, Tradition und Kultur des Judentums und betonte darüber hinaus

durch moderne Elemente den Neubeginn des jüdischen Lebens. Anhand ihrer

Form als eigenständiger, auf ovalem Grundriss angelegter Baukörper ist die

Synagoge deutlich im gesamten multifunktionalen Komplex erkennbar und

wird durch den vorgelagerten Paul-Spiegel-Platz zusätzlich betont. An dem

Platz befindet sich die Westseite des Baus, an der die Eingangssituation mit der

großen Freitreppe angeordnet ist. (Abb. 1) Von diesem Standpunkt aus zeigt

sich auch das Kupferdach, das besonders in seiner Farbigkeit mit dem hellen

Travertin der Fassade kontrastiert. Der Eingang wird mehrfach betont, so durch

eine mittig platzierte Menora in einem Rundfenster. Über dem Eingang steht

zudem in schwarz-schwedischem Granit der Psalm 26,8 in hebräischen Lettern,

zu deutsch: „Ewiger, ich liebe die Stätte deines Hauses, den Ort, wo deine

Ehre thront“. Links und rechts befinden sich zwei große schmale Fenster mit

Darstellungen der zwölf Stämme Israels in Blattgold. Die Westfassade verweist

somit deutlich auf die Funktion des Gebäudes als Synagoge.

An der Nord- und Südseite des ovalen Baus werden die schmalen Fenster

fortgeführt. Die Eingangssituation wird heute nur noch zu den hohen Feiertagen

und für Hochzeiten genutzt. Im Alltag dient ein Zwischenbau an der Südseite,

der die Synagoge und das Gemeindehaus verbindet, als Eingang. Ihm schließt

sich ein großes Foyer an. Im Keller des Gemeindezentrums befindet sich eine

Mikwe mit Ruheraum und im Erdgeschoss der Betsaal für 70 Personen, der als

Wochentagssynagoge genutzt wird. Daneben gibt es Büros und Unterrichtsräume

sowie einen Festsaal, der seit einem Umbau im Jahr 2009 400 Personen Platz

bietet.

Im Erdgeschoss der Synagoge befinden sich die Plätze für Männer. In den

Sitzreihen führte Guttmann erstmals eine besondere Form der Pulte ein, die es den

Betenden gestatten, das Gebetsbuch im Stehen oder im Sitzen aufgeschlagen

vor sich liegen zu haben. Die letzten Reihen lassen sich durch einen kleinen

Vorhang abtrennen, wenn Frauen am Gottesdienst teilnehmen, die nicht mehr

die Treppe zur Empore benutzen können. Seit Juli 1991 ist die Gemeinde

gezwungen, Sitzplatzreservierungen für die hohen Feiertage zu vergeben. Plätze

können erworben werden; der finanzielle Erlös kommt der Gemeinde zu Gute.

Der Thoraschrein befindet sich an der Ostwand und ist vor einem bunten

Rundbogenfenster in Parabelform angeordnet. Der Schrein zeigt die in Marmor

ausgeführten Gesetzestafeln sowie abstrakte Darstellungen des brennenden



Abb. 2



Dornenbusches. Die Farben des reflektierenden Fensters akzentuieren den

gesamten Bereich um den Thoraschrein. Von der Frauenempore aus ist die

Gestaltung des Innenraumes hinter dem Thoraschrein besonders gut zu

erkennen. Die geschwungene Wand zeigt Öffnungen zu beiden Seiten, in denen

Treppen nach unten führen. Diese gewundene Form und die weiße, ebenmäßige

Erscheinung der Wand rufen Assoziationen zu einer Thorarolle hervor, bei der

sich der Text in der Mitte zwischen den beiden wellenartigen Teilen befände,

also dort, wo tatsächlich der Thoraschrein und damit die Thorarollen platziert

sind. An der Westseite, unterhalb der Frauenempore, ist eine Gedenktafel für die

Opfer des Nationalsozialismus an der Wand angebracht.

Im Innenraum der Synagoge fällt zudem besonders seine Helligkeit auf.

Er wird durch die großen Lichtfelder an der Nord- und Südseite illuminiert

(Abb. 2). Guttmann veröffentlichte in dem Band „Die neue Synagoge in Düsseldorf.

Zur Einweihung am 7. September 1958“ den Aufsatz „Das Düsseldorfer

Gemeindezentrum“. Hier beschreibt der Architekt, dass es ihm darum gegangen

sei, durch die helle Gestaltung des Innenraums „eine düstere Stimmung zu

vermeiden“ (Guttmann 1958, S. 30). Acht Jahre später ergänzt er, dass es sein

Ziel sei, „das Element der Furcht vom Gotteshaus fernzuhalten und dafür die

Naturverbundenheit und damit die große Hoffnung hineinzutragen.“ (zit. nach

Suchy; Knufinke 2013, S. 51). Auch betont Guttmann in seinen Schriften die

Bedeutung eines an die Synagogen gekoppelten Gemeindezentrums als Basis

für ein neues, jüdisches Leben (Ebd.).

Heute gibt es in Düsseldorf zudem einen jüdischen Kindergarten und eine

jüdische Schule, letztgenannte benannt nach dem ehemaligen israelischen

Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin (1922-1995).

Verwendete Literatur

Suchy, Barbara; Knufinke, Ulrich: Synagogen in Düsseldorf. Von 1712 bis zur Gegenwart.

Düsseldorf 2013.

Suchy, Barbara: Synagogen in Düsseldorf. In: Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf (Hg.):

Aspekte jüdischen Lebens in Düsseldorf und am Niederrhein. Düsseldorf 1997, S. 60-75.

Klei, Alexandra: Jüdisches Bauen in Nachkriegsdeutschland. Der Architekt Hermann Zvi

Guttmann. Berlin 2017.

Guttmann, Hermann Zvi: Das Düsseldorfer Gemeindezentrum. In: Synagogengemeinde

Düsseldorf (Hg.): Die neue Synagoge in Düsseldorf. Zur Einweihung am 7. September 1958.

Düsseldorf 1958.

92



Abb. 1

Joana Maibach

Die Synagoge an der Prinz-Friedrich-Karl-

Straße in Dortmund

95

Die jüdische Gemeinde Dortmund nach 1945

Im Sommer 1945 kamen die ersten Juden und Jüdinnen, die den

nationalsozialistischen Terror überlebt hatten, nach Dortmund zurück. Ihre Zahl

stieg stetig an und die Gemeinde wurde wiedergegründet. Der erste Gottesdienst

wurde 1945 zu Rosch ha-Schana, dem jüdischen Neujahr, in einer Privatwohnung

am Westfalendamm abgehalten, da die alte Synagoge am zentral gelegenen

Hiltropwall in der Innenstadt von den Nationalsozialist/innen 1938 zerstört

worden war [ S. 37]. Im Dezember 1955 wurde dann am Schwanenwall in

der Innenstadt auf einem provisorisch hergerichteten Trümmergrundstück ein

Gemeindehaus eingeweiht, in dem in den nächsten Jahren die Gottesdienste

gefeiert wurden. Dieses Gebäude reichte bald nicht mehr aus, da Mitte der

1950er Jahre eine Welle der Remigration einsetzte und die Mitgliederzahlen

anstiegen. Zudem sollte es aus städtebaulichen Gründen abgerissen werden.

Die Gemeinde erwarb daraufhin schließlich das etwa 600 Quadratmeter große



Grundstück an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße in der östlichen Innenstadt für

den Bau einer neuen Synagoge (Abb. 1). Am 2. September 1956, ebenfalls

zum jüdischen Neujahrsfest, fand die feierliche Einweihung statt. Es handelte

sich um die erste nach dem Krieg erbaute Synagoge Westfalens. Seit dem

Anfang der 1990er Jahre erfolgte in der Gemeinde, wie auch in anderen in

ganz Deutschland, eine große Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der

ehemaligen Sowjetunion. Heute zählt die jüdische Gemeinde in Dortmund rund

3.000 Mitglieder aller Altersgruppen. Sie ist die größte in Westfalen und die

sechstgrößte in Deutschland.

Der Architekt

Der Architekt Helmut Goldschmidt (1918-2005) zählt neben Hermann Zvi

Guttmann (1917-1977) und Karl Gerle (1903-1962) zu den bekanntesten und

produktivsten deutschen Synagogenarchitekten seiner Zeit. Sein bekanntestes

Werk ist dabei vermutlich der Wiederauf- und Umbau der Synagoge Roonstraße

in Köln [ S. 71]. Die von ihm geplanten Neubauten in Dortmund, Bonn

(eröffnet 1959), Münster (eröffnet 1962) und Mönchengladbach (eröffnet

1967) folgen einem Grundschema, variieren aber von Ort zu Ort. So sind hier

alle von ihm gestalteten Synagogensäle rechteckig und gestreckt und in ein

Gemeindezentrum eingebunden. Seine Bauten entsprechen mit dem erhöhten

Bereich an der Ostseite für Thoraschrein und Bima den Reformsynagogen, wie

sie seit dem frühen 19. Jahrhundert errichtet wurden.

Goldschmidt wurde 1918 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns und einer

Nichtjüdin in Magdeburg geboren. Er wuchs in Köln auf und begann dort seine

rund zweijährige Lehre in dem Büro des jüdischen Architekten H. Hans Krebs.

Goldschmidt wurde 1943 zunächst in das Konzentrations- und Vernichtungslager

Ausschwitz und anschließend im selben Jahr in das KZ Buchenwald deportiert.

Nach der Befreiung 1945 arbeitete er unter anderem als Architekt in Mayen und

eröffnete 1948 ein eigenes Büro in Köln, wo er beim Wiederaufbau der Stadt

mitwirkte. Der Entwurf für die Dortmunder Synagoge aus den Jahren 1955/56

war der erste eigenständige Synagogenbau des Architekten.

Der Gebäudekomplex an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße

Die Synagoge ist in ein Gemeindezentrum mit Verwaltungsgebäude und großem

Gemeindesaal integriert. Ein nach hinten angeschlossener Gebäudeteil, in dem

sich heute Unterrichtsräume befinden, beherbergte bis 1978 ein Altenheim.

96

Abb. 2



Der Komplex besteht aus einem sichtbaren, weiß gehaltenen Beton-Skelett mit

roter Klinker-Ausmauerung. Dabei ist die Synagoge nicht der Gebäudeteil, der

in der Fassade gestalterisch besonders betont wird. Vielmehr tritt sie, von der

Straße aus links angeordnet, im Gesamtbild deutlich zurück und besitzt zudem

keinen eigenen, direkten Zugang (Abb. 1). Man erreicht sie vielmehr durch ein

großzügiges, über zwei Etagen verglastes Vestibül, welches man von der Straße

aus durch den Haupteingang betritt. Die Fenster sind hier aus Sicherheitsgründen

mit Milchglas ausgestattet. Zum rückwärtig liegenden Gartenbereich ist das

Vestibül ebenfalls über die gesamte Fassadenhöhe verglast.

Durch diese Eingangshalle ist der Betsaal mit dem Gemeinde- und

Verwaltungstrakt verbunden, wobei dessen erstes Geschoss in der Fassade

sowohl zur Straße als auch zum rückwärtigen Garten hin weit hervorragt. Es

ist über die gesamte Vorderfassade ebenfalls mit hohen Fenstern großzügig

verglast. In diesem Trakt befinden sich im Keller die Küche und ein zum Garten

orientierter Tagesraum (Abb. 2). Im ersten Obergeschoss liegt der Gemeindesaal

und darüber sind Räumlichkeiten mit einer Dachterrasse, die sich zur Straße

hin befindet, angeordnet. Im Garten schließt an den Gemeindetrakt ein in den

späten 1990er Jahren gebauter Mehrzwecksaal an, der an den hohen Feiertagen

auch als Synagoge genutzt werden kann.

Die Synagoge

Der Synagogenbau nimmt in der Höhe drei Geschosse ein und besitzt ein flaches

Satteldach. Im Inneren ist die Decke hellblau gestaltet und die Längsseiten sind

wie die Außenfassaden rot geklinkert. Insgesamt sind bei der Gestaltung der

Synagoge Holz, ein heller Wandputz und die Farbe Blau vorherrschend. Der Bau

wird durch eine giebelförmige Apsis mit einem kupferfarbenen Thoraschrein an

der Ostwand geprägt, was an das biblische Stiftszelt erinnern soll. Auffällig ist,

dass sich die jüdische Symbolik und die Raumaufteilung auf den Schrein hin

konzentrieren. Der Raum wird perspektivisch auf ihn ausgerichtet. So befinden

sich der Thoraschrein, die Bima und das Pult für den Vorbeter auf einem erhöhten

Podest (Abb. 3).

Der Schrein ist mit einem bestickten dunkelblauen Vorhang, genannt Parochet,

bedeckt; dahinter sind die Thorarollen untergebracht. Auch hier zeigt sich ein

typisches Gestaltungsmerkmal des Architekten, der in all seinen Entwürfen den

Almemor nicht in der Raummitte, sondern, wie es in jüdischen Sakralräumen

mit liberalen Ritus üblich ist, unmittelbar vor der Heiligen Lade positioniert hat.

98

99

Die Wand hinter dem Thoraschrein wird durch ein überhöhtes, einem stilisierten

Zelt gleichendes Portal aus Holz gestaltet. Der Schrein wird zudem von hinten

indirekt beleuchtet. In der Mitte, über den Tafeln mit den zehn Geboten und dem

Ewigen Licht, wurde ein vertikaler Streifen in der Holzverkleidung ausgespart.

Dadurch wird die Silhouette eines Obelisken gebildet. Diese Form verlängert die

Dekalogtafeln optisch nach oben, die fast weiße Farbe des hier verwendeten

Wandputz hebt sie zusätzlich hervor.

Zu beiden Seiten des Schreins befinden sich über fast die gesamte Höhe

der Wandfläche hebräische Inschriften auf den Wänden (Abb. 4). Daneben

sind Buntglasfenster mit Davidstern eingebracht, die kurz unterhalb der

einsetzenden Dachschräge abschließen (Abb. 5). Die Fenster sind hauptsächlich

in Blautönen gehalten, nur der Davidstern ist Orange-Rot gestaltet. Die auf der

gegenüberliegenden Seite angeordnete U-förmige Frauenempore ist schlicht

ausgearbeitet. Hier finden sich keine weiteren jüdischen Symbole. Unterhalb der

Empore sind abermals bunte Oberlichter angebracht. Sie schließt zur Ostwand

hin auf der Höhe der Gebetsbänke im unteren Teil ab.

Architekturhistorische und städtebauliche Einordnung

Die Dortmunder Synagoge ist kein isolierter Bau, sondern in einen Komplex

mit Gemeindezentrum integriert. So wurden alle Funktionen und Bedürfnisse

der Gemeinde in einem Bau vereint. Dadurch wurde die Synagoge als

Versammlungsstätte in das alltägliche Gemeindeleben eingebunden. Dies

war typisch für die Lösung dieser Bauaufgabe in den 1950er Jahren: „Die

gemeinschaftsbildende und Identität ermöglichende Funktion, die in den

ersten Nachkriegsjahren für die jüdischen Gemeinden ebenso wichtig war wie

die religiöse, sollte die Bauwerke prägen.“ (Knufinke 2010, S. 38). Auch der

Dortmunder Bau diente und dient nicht ausschließlich einem religiösen Zweck.

Er kann zudem dem unterschiedlichen Platzbedarf an Werk- und Feiertagen

angepasst werden.

Die Funktion als Synagoge ist dabei dem Bau nicht abzulesen: Von außen deutet

nichts auf ein jüdisches Gemeindezentrum hin. Zwar unterscheidet sich die

markante Gestalt der Architektur von der umgebenden Bebauung; im Gesamtbild

der Prinz-Friedrich-Karl-Straße, das von Wohnhäusern geprägt ist, fügt sie sich

dennoch eher ein als hervorzustechen. Städtebaulich handelt es sich mit der Lage

in einem Wohngebiet in der östlichen Innenstadt Dortmunds nicht unbedingt um

eine bedeutsame Stelle und die Neue Synagoge tritt damit erheblich gegenüber



Abb. 3

08

102

Abb. 4



der 1938 zerstörten Synagoge zurück, welche eine bedeutende und zentrale

Position im Stadtbild einnahm.

Verwendete Literatur

Birkmann, Günter; Stratmann, Hartmut (Hg.): Bedenke vor wem du stehst. 300

Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe. Essen 1998.

Hagspiel, Wolfram: Köln und seine jüdischen Architekten. Köln 2010.

Knufinke, Ulrich: Helmut Goldschmidt. In: moderneREGIONAL 2 (2015), Heft 1. Online:

http://www.moderne-regional.de/fachbeitrag-helmut-goldschmidt/ [14.11.2017].

Ders.: Zur Geschichte der Synagogen in Deutschland. In: Stiftung Baukultur Rheinland-

Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in Deutschland. Regensburg

2010, S. 19-52.

Lehrstuhl für Denkmalpflege und Bauforschung der Universität Dortmund; Bund

Deutscher Architekten (Hg.): Das neue Dortmund nach 50 Jahren. 25 Architekturbeispiele.

Dortmund 1999.

Netzer, Katinka: Zweiter September 1956 – Einweihung der Dortmunder Synagoge. In:

Internet-Portal Westfälische Geschichte: Ereignis des Monats September. Online: http://

www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID

=608&url_tabelle=tab_websegmente [14.11.2017].

08

07

103



Laura Krys

Die jüdische Gemeinde in Paderborn und ihre

Bauten

Abb. 1

105

Alte Synagoge

Die Alte Synagoge in Paderborn war prägnant im Stadtbild verankert. Der

oktogonale Zentralbau mit auffälliger zweifarbig gestreifter Fassade mit

helleren und dunkleren Ziegeln und integrierten Rundfenstern überragte mit

seinem zweistufigen oktogonalen Dachabschluss und den quadratischen

Ecktürmchen mit Zwiebeldach die umliegenden Gebäude und befand sich nahe

der Busdorfkirche und des St. Vinzenz Krankenhauses im Zentrum der Stadt

(Abb. 1). Geweiht wurde das Gebäude am 15. August 1882. Es bot Platz für

190 Männer und 103 Frauen. Wie in vielen anderen Städten Deutschlands fiel

auch diese Synagoge den Angriffen und Zerstörungen der Nationalsozialist/

innen im November 1938 im Rahmen der sogenannten Reichspogromnacht

zum Opfer. Sie wurde am 10. November niedergebrannt und die Ruinen wurden

anschließend abgetragen. Heute befindet sich auf dem Platz ein Mahnmal, das

in seiner Gestaltung an den Baustil des Zentralbaus angelehnt ist. Es wurde



1993 vom dänischen Künstler Per Kirkeby (1938-2018) errichtet. Es bildet drei

Rundbögen aus und enthält Bronzetafeln mit den Namen der ermordeten

Paderborner Jüdinnen und Juden (Abb. 2).

Neue Synagoge

Die Neue Synagoge befindet sich nicht auf dem Areal ihres Vorgängerbaus,

sondern unweit des Hauptbahnhofs, an einer breiten Ausfallstraße des Stadtrings,

der Pipinstraße. Dadurch ist sie von unterschiedlichen Standpunkten aus schnell

zu erblicken. Ursprünglich war für den Neubau zunächst ein Eckgrundstück

bei der Krummen Grube / An der Burg angedacht gewesen, jedoch entschied

man sich nach einiger Zeit für das größere Grundstück an der Pipinstraße. Der

Neubau wurde am 29. November 1959 geweiht.

Der Erbauer der Neuen Synagoge ist der Recklinghäuser Karl Gerle (1903-1962).

Der nichtjüdische Architekt zählt zu den erfolgreichsten für Synagogenbauten

der Nachkriegszeit. Er entwarf zudem die Synagogen in Minden (eingeweiht

1958), Hagen (eingeweiht 1960) und Bremen (eingeweiht 1961). Daneben

gestaltete er Betsäle, unter anderem in Recklinghausen und Mühlheim an der

Ruhr. Die Synagoge in Paderborn sticht durch ihre ausgesprochen moderne

Architektur heraus und bildet so eine Besonderheit in seinem Schaffen. Weder

seine Biografie noch die Bau- und Entstehungsgeschichte der Paderborner

Synagoge sind bisher umfassender erforscht worden.

Bei ihr handelt es sich um ein dreistöckiges Gebäude, dessen Grundriss die Form

einer gestelzten Apsis aufweist. Das Baugrundstück war keilförmig an zwei

kreuzenden Straßen angelegt, die zu ihnen ausgerichtete Ecke des Neubaus

wurde rund gestaltet. Hier wurde zudem der Zugangsbereich eingelassen. Der

Eingang liegt erhöht über der Straßenebene und ist über einen Treppenaufgang

zu erreichen. Über der Tür erstrecken sich drei senkrechte Fensterbänder, die

das dahinterliegende Treppenhaus beleuchten und nach Außen betonen. Die

schlichte weiße Fassade wird an der südlichen Seite durch zwei Reihen hoher,

schmaler Fenster gegliedert (Abb. 3). Hinter der unteren Fensterreihe ist ein

großer Gemeindesaal mit angrenzender Küche ausgebildet, hinter der oberen

der Synagogenraum, der zwei Geschosshöhen überfängt.

Im Erdgeschoss befinden sich außerdem ein Büro und geschlechtergetrennte

Toiletten. Der Keller verfügt über einen weiteren Gemeindesaal mit einem

Billardtisch, der von den Mitgliedern auch heute noch fast täglich genutzt wird. Die

nördliche Seite des Baus verfügt über drei Geschosse, was an den Fensterreihen

106

Abb. 2



Abb. 3

Abb. 4



von außen ablesbar ist. Im ersten und zweiten Obergeschoss befinden sich hier

zwei Wohnungen. Die Fenster der nördlichen Fassade sind deutlich kleiner als

die der Südseite. Damit wirken die hier angeordneten Nutzungen dem Bet- und

dem Gemeindesaal auf der gegenüberliegenden Seite nachgeordnet (Abb. 4).

Insgesamt lässt der Bau von außen zunächst nicht auf eine Synagoge schließen.

Lediglich die im Geländer sehr schlicht eingearbeiteten Davidsterne können

einen Hinweis geben. Allerdings hat die Synagoge eine prägnante Ausrichtung

zum Innenstadtring, ist von weitem gut zu sehen und fällt durch ihre moderne,

schlichte Gestaltung auf.

Im Inneren ist der Betsaal ist ähnlich aufgebaut wie eine Kirche, mit festen

Sitzbänken, die sich zum Thoraschrein ausrichten (Abb. 5). Der Longitudinalraum

ist nach Osten ausgerichtet. Seine Innenraumgestaltung hebt ihn von anderen

dieser Jahre ab, die größer angelegt und betont hell gestaltet wurden. Der Betsaal

in Paderborn ist dagegen eher klein und durch die Bestuhlung etwas dunkel. Er

zeichnet sich allerdings durch seine farbige Wandgestaltung, viele Leuchter und

Buntglasfenster aus. Man betritt ihn von Westen durch einen kleinen Vorraum,

in dem die Gebetbücher in verschiedenen Transkriptionen aufbewahrt werden.

Oberhalb des Zugangs befindet sich eine Empore, auf der die Frauen während

des Gottesdienstes Platz finden.

Der Thoraschrein ist in die Wand eingelassen und wird von einem roten

Samtvorhang mit aufgestickten goldenen Löwen geschlossen. Dahinter werden

die Thorarollen aufbewahrt. Oberhalb des Vorhangs ist eine Wandverkleidung

angebracht, die aus einem metallischen Gitter besteht und in der Mitte einen

Davidstern ausbildet, in dem sich eine Doppelform befindet, welche die

Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten symbolisiert. Begrenzt wird der Bereich

des Thoraschreins mit einem dunkelgrünen Rahmen, der sich von der restlichen

pastellgrünen Ostwand absetzt. Auf ihr sind weitere Symbole des Judentums

zu finden: links ein neunarmiger Leuchter, die sogenannte Chanukkia; rechts

ein weiterer Davidstern, der das Ewige Licht beinhaltet. Vor dem Thoraschrein

steht die Bima, die ebenfalls mit einem Überwurf aus rotem Samt bestückt ist.

So ergibt sich eine Einheit mit dem Thoraschrein.

Die Seitenwände und die Decke heben sich durch ihre Gestaltung deutlich von

der Rückwand mit ihrer pastellgrünen Farbe ab. Die Decke ist unterteilt: Ein

abgesenkter Rahmen, der mit circa einem Meter Breite von den Wänden in den

Innenraum ragt, ist mit pastellgelber Farbe abgesetzt. Die mittige Fläche ist in

Weiß gehalten. Einziges Schmuckelement ist eine strahlenförmige Hängung

110

Abb. 5



von zehn Lampen. Licht spielt auch bei der Gestaltung der Seitenwände eine

große Rolle. Die linke Wand ist in Joche unterteilt, wobei der untere, mit Holz

verkleidete Bereich die Heizkörper kaschiert. Die einzelnen Joche werden durch

Lisenen getrennt, die in verschiedenen abgestuften Grüntönen gestaltet sind

und jeweils ein Lampengestell besitzen. Die dazwischen liegenden Flächen sind

dagegen in Rosa gehalten.

Eine Besonderheit sind die Buntglasfenster der rechten Wand, die ebenfalls in

Joche unterteilt werden. Unterhalb der Fenster befinden sich auch an dieser

Wand Heizkörper hinter einer Holzverkleidung. Die Fenster zeigen rötliche Äste

mit grünen Blättern. Gemäß der Farbsprache kann man assoziieren, dass aus

dem roten Stamm und Geäst, welches für das Leid in der Vergangenheit des

Judentums stehen könnte, trotzdem grüne Blätter der Hoffnung entspringen

können. Die farbige Gestaltung des Innenraums, der rund 70 Personen

aufnehmen kann, stammt ebenfalls vom Architekten Karl Gerle. Sie ist bis heute

im Originalzustand von 1959 erhalten.

Verwendete Literatur

Birkmann, Günther; Stratmann, Hartmut: Bedenke vor wem du stehst. 300 Synagogen

und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe. Essen 1998.

Drewniok, Michael: Paderborn Früher und Heute: An der alten Synagoge. Online:

https://www.zeitreise-paderborn.de/detail/2009;jsessionid=1qfi8azy3vxr21nvxkysjbj1

ge?69 [13.05.2018].

Eberhardt, Jonas: Neue Synagoge für Paderborn. Die Planung zum Bau einer Synagoge

an der Ecke Krumme Grube / An der Burg 1956. In: Die Warte 76 (2015), Heft 167, S.

38-39.

Kogan, Alexander: Seit 1945 wieder jüdisches Leben in Paderborn. Online: http://jgpaderborn.de/chronik/

[13.05.2018].

Krinsky, Carol Herselle: Europas Synagogen. Architektur, Geschichte und Bedeutung.

Stuttgart 1988.

Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in

Deutschland. Regensburg 2010.

Die jüdische Gemeinde

In Urkunden der Stadt wird jüdisches Leben bereits im Jahre 1342 erwähnt.

Immer wieder kam es im Mittelalter zu Verfolgungen. 1764 wird in Schriftquellen

dann erstmals eine Synagoge genannt. Trotz der Ausgrenzung, Vertreibung und

Ermordung durch die Nationalsozialist/innen gründete sich die Gemeinde 1945

neu. Seit 1953 ist sie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Vor der Machtergreifung der Nationalsozialist/innen gab es in Paderborn 80

Familien mit circa 350 Angehörigen. Im Juli 1942 wurden die letzten 34 Juden

und Jüdinnen des Stadtgebietes deportiert. Heute ist die Gemeinde mit etwa

60 Mitgliedern die kleinste in Nordrhein-Westfalen. Nur wenige von ihnen

besuchen die Gottesdienste regelmäßig. So fungiert die Synagoge nicht nur als

Gotteshaus, sondern vielmehr und vor allem als Gemeindetreff und Anlaufstelle.

Die Gemeindearbeit äußert sich hier besonders durch gemeinsame Festivitäten

sowie eine Mittagsbetreuung für alleinstehende, ältere Menschen. Aber auch

Studierdende aus der ganzen Welt sind willkommen. Die Gemeinde gehört zum

Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe.

112 113



Iliana Panagiotidou

Die Neue Synagoge mit Gemeindezentrum in

Essen

Die jüdische Kultusgemeinde in Essen befindet sich in einem Wohngebiet im

südöstlich des Zentrums gelegenen Moltkeviertel. Die Synagoge und das

Gemeindezentrum sind auf einem keilförmigen Grundstück angeordnet. Dabei

bildet die Synagoge mit ihrer Form einer Halbkugel den niedrigsten Teil des

Gebäudekomplexes aus (Abb. 1). Sie ragt direkt aus dem Boden hervor und ist

durch zwei Gänge an das Gemeindezentrum angebunden. Dieses besteht aus

drei Stockwerken und bildet den höchsten Gebäudeteil auf dem Grundstück aus.

Am 21. Oktober 1959 wurde der Komplex an der Sedanstraße 46 eingeweiht.

Seit 1999 steht die Neue Synagoge unter Denkmalschutz.

115

Die Synagoge an der Sedanstraße als neuer gemeinsamer Ort

Der neue Komplex zentralisierte das jüdische Leben an einen Ort, sowohl durch

den Bau der Synagoge, als auch durch das direkt daran anliegende

Gemeindezentrum. Dessen Architektur erfüllt mit den gegebenen Räumlichkeiten



Abb. 1

alle Bedürfnisse der Gemeinde. Vor diesem Neubau existierten bis 1938 drei

Synagogen parallel. Die Synagoge in Werden bestand bis 1938 und wurde nach

dem Krieg im Zuge von Sanierungen im Ort abgerissen. Die Synagoge im Stadtteil

Kettwig wurde in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 von Nationalsozialist/

innen in Brand gesetzt, komplett zerstört und anschließend ebenfalls abgerissen.

Die Synagoge an der Steeler Straße [ S. 59] wurde gleicherweise angezündet

und dabei erheblich im Innenraum beschädigt, so dass er in der Folge nicht

mehr benutzt werden konnte. Ein Wiederaufbau war während der NS-Zeit nicht

realisierbar. Zum einen fehlten finanzielle Mittel und zum anderen wurden nahezu

alle Juden und Jüdinnen, die nicht mehr emigrieren konnten, in den kommenden

Jahren deportiert und ermordet. 1944 gab es in Essen offiziell keine Juden und

Jüdinnen mehr, nur wenige konnten im Versteck leben.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrten einige wenige Überlebenden

in die Stadt zurück, so dass es 1945 eine kleine Gemeinde mit etwa 194

Mitgliedern gab. Sie hatte aufgrund der Zerstörungen keinen richtigen Ort

mehr, um Gottesdienste abzuhalten. So entstand in den kommenden Jahren

zunehmend der Wunsch, eine neue Synagoge zu bauen. Diese sollte auch über

ein Gemeindehaus verfügen und auf dem Grundstück des ehemaligen jüdischen

Jugendheims errichtet werden. Dieses 2.115 Quadratmeter große Areal

befindet sich am Dreieck Ruhrallee, Sedanstraße und Saarbrücker Straße. Das

Jugendheim war zwischen 1930 und 1933 von Erich Mendelsohn (1887-1953)

geplant worden, einem prominenten und erfolgreichen Vertreter der als „Neues

Bauen“ bezeichneten Strömung der modernen Architektur in der Weimarer

Republik. Als Jude sah er sich 1933 gezwungen, Deutschland zu verlassen. Sein

Bau wurde ebenfalls in der Pogromnacht 1938 in Brand gesetzt und zerstört.

Die Essener Architekten, welche die neue Synagoge bauten, waren Heinz Heise

und Dieter Knoblauch. Die beiden nicht-jüdischen Architekten waren anhand

eines Wettbewerbs im Jahr 1957 ermittelt worden. Parallel entwarfen und

realisierten sie das neue jüdische Gemeindehaus an der Fasanenstraße in Berlin.

Es steht auf dem Grundstück einer ehemaligen Synagoge und wurde ebenfalls

1959 eingeweiht.

Nach der Eröffnung der Neuen Synagoge in Essen wuchs die Gemeinde nur

sehr langsam. Dies änderte sich erst mit der Immigration aus der ehemaligen

Sowjetunion ab 1990. Besonders die hohe Zuwanderung im Jahr 2003 stellte

die Gemeinde vor neue Aufgaben, die unter anderem die Integration der neuen

Mitglieder betrafen. Heute gehören ihr rund 1.400 Personen an.

117



Die Halbkugel und ihr Vorbild

Der Synagogenbau ist in seiner Ausführung einzigartig in Deutschland. Die

Architekten orientierten sich bei der Gestaltung des Gebäudekomplexes nicht

nur an den Gegebenheiten des Grundstücks, sondern kannten auch die Park

Synagogue in Cleveland (USA), die Erich Mendelsohn gestaltet hatte und die

1950 eingeweiht worden war. Sie befindet sich ebenfalls auf einem keilförmigen

Grundstück, welches einen halbkugelförmigen Synagogenbau in der Spitze

beherbergt. Der Essener Komplex folgt bei der Anordnung der Gebäudeteile dem

Vorbild in Cleveland. Heinz Heise und Dieter Knoblauch erachteten zudem den

runden Grundriss ihrer Synagoge als Symbol für den monotheistischen Glauben

der Gemeinde. Die mit Kupfer bedeckte und mit Kork isolierte Halbkugel besitzt

keine Fenster, sondern lediglich rechteckige Öffnungen, die mit bunten runden

Glasbausteinen gefüllt sind. Diese lassen nur gedimmtes Licht in das Innere

der Synagoge (Abb. 2). Der Thoraschrein liegt direkt auf der Grundstücksachse,

durch die flankierenden Gangbauten befindet sich der Schrein im Inneren des

Areals. Außerdem wurde die unzugänglich wirkende Halbkugel von den beiden

Architekten gewählt, um durch die Abgeschlossenheit nach außen die

Konzentration auf das Innere zu steigern und einen Raum religiöser Kontemplation

zu schaffen. Doch nicht nur der Synagogenbau erscheint undurchdringlich,

sondern der gesamte Komplex. Er wirkt zwischen den umliegenden Wohnhäusern

wie eine Insel, die für Außenstehende nur schwer zugänglich ist.

Im Inneren des Gebäudekomplexes, gerahmt durch die Architektur, liegt ein

kleiner Garten (Abb. 3). Er ist mit einem Brunnen und einer steinernen Skulptur

von Dieter Kerchner (1933-1994) ausgestattet, die an die vielen Opfer des

Nationalsozialismus erinnern soll (Abb. 4). Am Eingang des Gartens, der durch

das Foyer betreten werden kann, wurde eine eiserne Tür aus der Alten Synagoge

verwendet. Die Architektur ist eng verknüpft mit den Symbolen des jüdischen

Glaubens, die an verschiedenen Orten in und an der Synagoge angebracht sind.

Als Beispiel zu nennen ist der Davidstern aus Glasbausteinen im Scheitel der

Kuppel, der gleichzeitig als Lichtquelle dient. Der Bau wird sowohl von außen als

auch von innen durch Gedenk- und Bildtafeln sowie durch Buntglasfenster im

Treppenhaus des Gemeindezentrums, die je eine Geschichte erzählen und auf die

Vergangenheit verweisen, unterstützt.

Der Wandel der Architektur nach dem Krieg ist in der Gestaltung der Synagoge

erkennbar. Ihre Erscheinungsform bezieht sich auf Mendelsohns Synagoge in

Cleveland und verweist zudem auch auf den lokalen Kontext jüdischen Bauens,

118

Abb. 2



Abb. 3



da der Architekt Anfang der 1930er Jahre an ihrem Standort ein Jugendheim

errichtet hatte. Der Typus der Halbkugel ist aber auch im regionalen Kontext

der Nachkriegsmoderne zu verorten. Er findet sich nicht nur im Synagogenbau

wieder, sondern zeigt sich ebenfalls in anderen Bauaufgaben dieser Epoche.

Das Zeiss-Planetarium in Bochum (Karl-Heinz Schwarze, 1964 eröffnet) oder das

Opernhaus in Dortmund (Heinrich Roskotten und Edgar Tritthart, 1965 eröffnet)

sind nur zwei Beispiele für ihre Verwendung in diesen Jahren. Diese Form

der Architektur zeigt sich somit so variabel wie die Erscheinungsformen von

Synagogen selbst, die keiner einheitlichen Vorgabe folgen. Die Architektur des

Kuppelbaus dient als Hülle, die durch unterschiedliche Funktionen gefüllt werden

kann und den Ansprüchen der jeweiligen Aufgabe gerecht wird. Die Kuppel zeigt

sich als geschlossenes System, das die jeweiligen Nutzungen in sich zentralisiert.

Verwendete Literatur

Bergmann, Berger; Brdenk, Peter (Hg.): Architektur in Essen 1900-1960. Essen 2012.

Hammer-Schenk, Harold: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im

19. und 20. Jahrhundert (1780-1933). Hamburg 1981.

Morgenthaler, Hans R.: Es wird schwierig, eine Wohnung für uns zu finden. In: Stephan,

Regina (Hg.): Erich Mendelsohn. Architekt 1887-1953. Gebaute Welten: Arbeiten für

Europa, Palästina und Amerika. Ostfildern-Ruit 1998, S. 288-315.

Pracht-Jörns, Elfie: Die neue Synagoge Essen (= Rheinische Kunststätten, Nr. 549). Köln

2013.

Schütze, Ursula: 50 Jahre Jüdische Kultus-Gemeinde Essen in der Sedanstraße. Essen

2009.

122 08

Abb. 4



Bochum, Duisburg, Bielefeld, Herford:

Synagogen nach 1990. Neue Sichtbarkeit



Regina Meleusencova

Die neue Synagoge der Jüdischen Gemeinde

Bochum-Herne-Hattingen

Seit 2007 existiert ein neues architektonisches Highlight in Bochum: die Neue

Synagoge der jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen.

127

Geschichte

Die erste Synagoge Bochums wurde im 18. Jahrhundert errichtet. Sie stand in

der Innenstadt, auf der Schützenbahn der heutigen Hausnummer 1 im Hinterhof.

Aufgrund des Anstiegs der jüdischen Bevölkerung wurde sie 1863 durch einen

größeren Bau von Theodor Haarmann ersetzt. Diese Synagoge befand sich nun in

der damaligen Wilhelmstraße 18, heute Huestraße / Dr.-Ruer-Platz. Vier weitere

Synagogen existierten in der unmittelbaren Umgebung Bochums: Eine in der

Oststraße in Wattenscheid, eine zweite in der Bahnhofstraße in Hattingen, die

dritte in der Schäferstraße, Ecke Hermann-Löns-Straße in Herne und schließlich

eine vierte in der Langenkampstraße 48 in Wanne. Sie alle wurden in der

Pogromnacht im November 1938 oder kurze Zeit später zerstört.



Lage

Der Neubau der Synagoge liegt auf einer Anhöhe neben dem Zeiss-Planetarium

(Karl-Heinz Schwarze, 1964 eröffnet). Das Grundstück war eine Schenkung der

Stadt Bochum an die jüdische Gemeinde. Das zuvor unbebaute Grundstück

wählte man auch aufgrund seiner Lage an der Castroper Straße, einer der

Einfahrtsstraße in die Innenstadt. In unmittelbarer Nähe befinden sich außer

dem Planetarium das beliebte und repräsentative Stadtparkviertel und das

denkmalgeschütze Gymnasium Hildegardis Schule. Benannt wurde der Platz,

der durch den Neubau entstand, nach Erich Mendel (1902-1988), der bis 1939

Kantor in der jüdischen Gemeinde Bochum war.

Aufgrund der Größe des Areals war es möglich, dass der Bau freistehend

errichtet werden konnte und die Ansicht von der Castroper Straße auf den hellen

kubischen Baukörper unverbaut blieb (Abb. 1). Das Plateau, auf dem sich der

Komplex befindet, funktioniert wie ein Podest, auf dem der Bau präsentiert wird.

Es soll so auch an den Zweiten Tempel in Jerusalem erinnern, der den aktuellen

Forschungen nach aufgesockelt war und sich nach biblischer Überlieferung auf

dem Berg Moria befand.

Über eine Rampe gelangt man von der Castroper Straße zu einem Vorplatz,

der den Synagogenkomplex mit dem Planetarium verbindet. Optisch geschieht

dies durch den Einsatz einheitlicher Pflasterung und die Aufstellung von fünf

Sitzbänken, die zwischen den Bauten vermitteln. Diese Sitzgelegenheiten

sollen die Gemeindemitglieder und BesucherInnen zum Verweilen einladen

und damit die Offenheit der Anlage steigern. Über den Platz erreicht man die

breit angelegte Treppe zum Plateau, die von zwei alten Linden flankiert wird.

Am Aufgang erinnert eine Steele an Erich Mendel. Von dem Plateau führen

zwei Zugänge in das Gebäude. Einer führt in das Gemeindehaus, das auch die

Synagoge beherbergt, der zweite in das Restaurant, das sich im westlichen Teil

des Komplexes befindet.

Architektur und Nutzung

Der neue Komplex aus Synagoge, Gemeindezentrum und Platzanlage

wurde von dem Architektenbüro Peter Schmitz GmbH aus Köln und der

Landschaftsarchitektin Ulrike Beuter sowie der Planergruppe Oberhausen

entworfen und umgesetzt. Den Auftrag erhielt Schmitz als Gewinner einer

Ausschreibung. In der anschließenden engen Zusammenarbeit mit der Gemeinde

entschied man sich für einen hellen Kubus. Die angrenzenden Gebäudeteile sind

128

Abb. 1



formal abgestimmt und ordnen sich in ihrer Höhe dem Gebetsraum unter. Sie

dienen als Gemeindesaal, Bibliothek, Büroräume und Kindertagesstätte sowie

als Restaurant.

Die genannten Funktionen sind in rechteckigen Baukörpern untergebracht, die

den Gebetsraum umrahmen (Abb. 2). Dieser hat mit 17 Metern eine enorme

Höhe und dominiert das Ensemble. Der Bau besteht aus hellem Kalksandstein

aus Israel. Im unteren Gebäudeteil wird die Synagoge im Osten durch fünf große

Fenster durchbrochen. Oberhalb davon wird die Fassade von einem Ornament

aus zahlreichen ineinander geschobenen Davidsternen strukturiert, das durch

vor- und zurückspringende Steine entsteht (Abb. 3). Diese Technik erinnert

an den regionalen Backsteinexpressionismus, der in den 1920er Jahren im

Industriegebiet des Rheinlands und Westfalens rege Verwendung fand. Oberhalb

der Fenster gliedert ein umlaufender Fries von kleinen dreieckigen Öffnungen,

die sich aus der Form der Ornamentierung ergeben, den Bau horizontal. Diese

kleinen Durchbrüche ermöglichen eine zusätzliche Belichtung des Innenraums

und wirken am Abend, wenn der Innenraum künstlich beleuchtet wird, als

gelungenes Lichtspiel nach außen.

Nicht zwangsläufig lässt sich der Bau aus der Fernsicht als Synagoge identifizieren.

Erst auf kürzerer Distanz verweist das Ornament auf die Bauaufgabe.

Der Architekt der Synagoge orientierte sich bei der Gestaltung des Gebäudes in

der äußeren Form an der Thora. Der Kubus bildete nach biblischer Überlieferung

den baulichen Höhepunkt des salomonischen Tempels. König Salomo (circa 990-

931 v.d.Z.) ließ diesen circa 957 v.d.Z. in Jerusalem errichten. Es soll sich um

einen dreiteiligen Komplex bestehend aus Vorhalle, durchfensterten Hauptraum

und fensterlosen und mit Gold ausgekleidetem Gebetsraum gehandelt haben.

Bewusst entschied man sich in Bochum dazu, den Baukörper nicht mit einer

Kuppel zu bekrönen, die ein Charakteristikum der meisten Synagogen des

19. Jahrhunderts war. Peter Schmitz wollte mit dem Verzicht einen Kontrast

zur kuppelförmigen Nurdachkonstruktion des nebenliegenden Planetariums

schaffen.

Gemeindesaal, Gemeindehaus und Synagoge sind zentral über einen Eingang

mit Sicherheitsschleuse zu betreten. Im sich anschließenden Foyer befindet

sich eine Rotunde, deren äußere Hülle mit Erinnerungsbildern und kurzen

Textpassagen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde, zum Bau der Synagoge

sowie zur Einweihungsfeier verkleidet ist. Im Inneren der Rotunde werden museal

aufbereitete Gegenstände der jüdischen Liturgie ausgestellt. Darunter sind zum

130 131

Beispiel eine große Thorarolle, Kronen zur Schmückung von Thorarollen und

Beschneidungsbesteck. An der linken Wand des Foyers ist eine Gedenktafel für

die Opfer der Verfolgung während des Nationalsozialismus angebracht.

Im hinteren Bereich des Foyers wurde eine Mahntafel in die Wand eingelassen,

bei der es sich um die Nachbildung eines Reliefs aus der alten Synagoge an der

Wilhelmstraße handelt. Es zeigt den Löwen von Juda. Das Original war nach

der Zerstörung der Synagoge von einem Gemeindemitglied gerettet und einer

anderen jüdischen Familie übergeben worden, die es in die USA schmuggeln

konnte. Vor einigen Jahren besuchte deren Tochter Bochum und schenkte der

Stadt den Abguss.

Die Ostwand des Foyers hebt sich deutlich von den anderen Wänden ab. Sie

ist wie die Fassade des Gebetsraums gestaltet. Im Gegensatz dazu sind die

anderen Wände glatt verputzt. Auf diese Weise und mit Hilfe einer schweren

bronzefarbenen doppelflügeligen Tür mit dem Symbol einer Menora ist

unmissverständlich gekennzeichnet, dass sich hinter dieser Wand der

Gebetsraum befindet. Links von dem Eingang bietet ein Waschbecken die

Möglichkeit zur symbolischen Handwaschung vor dem Gottesdienst. Der

Gebetsraum selbst ist innenarchitektonisch hell und großzügig gestaltet. Die

hohen Wände sind weiß verputzt. Die dreieckförmigen Lichtöffnungen gliedern

sie und bieten zusätzlich zu den fünf großen Fenstern der Ostwand eine natürliche

Beleuchtung. Die Folierung der Fenster nennt die zwölf Stämme Israels.

Vor dem mittleren Fenster steht der Thoraschrein, der ebenso wie die Fassade

eine Ornamentierung mit Davidsternen besitzt. Er wird flankiert von einem

großen Chanukkaleuchter und einer Menora. Vor dem Schrank befindet sich

die Bima. Sie ist ins Zentrum des Raumes gerückt. Auch diese architektonische

Lösung hat ihren Ursprung in der Thora. Dort heißt es „Du sollst meine Lehre

unter das Volk tragen“ (5. Mose 31, 11). Die Bima wird in konzentrischen

Kreisen von Sitzreihen eingefasst. Sie bilden einen Kontrast zum rechtwinkligen

Raum und zentrieren den Blick. Emporen mit weiteren Sitzplätzen ermöglichen

eine Geschlechtertrennung. Überfangen wird der Raum von einem goldgelben

Baldachin mit Opaion. Dieser soll an das Stiftszelt erinnern, das als Aufbewahrung

der Bundeslade während der Wüstenwanderung circa 1300 v.d.Z. diente. Dabei

handelte es sich nach biblischer Überlieferung um den Auszug der Israelit/innen

aus Ägypten und damit der Befreiung aus der Leibeigenschaft des Pharaos.

Der Gebäudekomplex in Bochum bietet daneben weitere Räume an, die dem

Gemeindeleben dienen. Ein Saal bietet Platz für das gemeinsame Essen nach der



Abb. 2

Abb. 3



Liturgie, aber auch für Feierlichkeiten wie Beschneidungen oder Geburtstage.

Der Raum ist in seiner Größe variabel und kann so der Anzahl der Gäste

angepasst werden. Der Gebäudekomplex in Bochum stellt weitere Räume für

das Gemeindeleben zur Verfügung: Südlich grenzt eine Kindertagesstätte an, die

jüdische und nichtjüdische Kinder aufnimmt. Eine Küche ermöglicht die koschere

Zubereitung von Speisen für das Gemeindezentrum und für das Restaurant. Im

Erdgeschoss gibt es außerdem eine Bibliothek. Im ersten Obergeschoss befinden

sich Büros, Räume für soziale Beratung, für die Hausaufgabenbetreuung.

Architektonische Bereicherung für Bochum

Die Neue Synagoge ist eine ästhetische Bereicherung des Stadtbildes. Der Bau

schafft es, sich von seiner Umgebung abzuheben, ohne dabei als Fremdkörper

wahrgenommen zu werden. Sowohl Form als auch Material und Gestaltung

sind aufeinander und auf die Umgebung abgestimmt. Der helle Stein weckt

Assoziationen zur Natur und passt sich damit in das grüne Stadtparkviertel

ein. Der Bau harmoniert zudem farblich mit der weiß-silbernen Kuppel des

Planetariums.

Bochum im Kontext der Synagogenbauten nach 2000

Betrachtet man Synagogen, die in Deutschland ab dem Jahr 2000 errichtet

wurden, lassen sich einige Parallelen feststellen. So hat die Bochumer Synagoge

die kubische und in sich geschlossene Bauweise mit den Gebäuden in Dresden

(2001 eröffnet, Büro Wandel, Hoefer, Lorch + Hirsch), Gelsenkirchen (2007

eröffnet, Benedikta Mishler und Reinhard Christfreund), Kassel (2000 eröffnet,

Alfred Jacoby) und München (2006 eröffnet, Büro Wandel, Hoefer und Lorch)

gemein. Der Synagogenkomplex in Dresden war dabei ein unmittelbares Vorbild

für den Bau in Bochum. Beide Synagogen wurden aus hellem Sandstein errichtet

und sind als freie Baukörper konzipiert. Das Gebäude in Dresden ist allerdings

weniger durchfenstert. Hier ermöglichen lediglich Lichtöffnungen von der

Größe einzelner Mauersteine eine Innen-Außen-Beziehung. Den Davidstern als

Ornament in der Fassade setzten auch die Architekten der Synagogen in Lörrach

(2008 eröffnet, Wilhelm-Hovenbitzer und Partner) und München ein.

In der Summe könnte man daraus schlussfolgern, dass sich ein Formenkanon

für den neuen Synagogenbau entwickelt hat. Einige Bauten wie Duisburg

(1999 eröffnet, Zvi Hecker; S. 139) oder Mainz (2010 eröffnet, Manuel Herz)

durchbrechen dieses Muster jedoch. So handelt es sich in Mainz um einen relativ

134 135

niedrigen und dabei sehr breit gelagerten Bau. Die Form der Architektur bildet

hier hebräische Buchstaben nach, die das Wort Keduscha (dt. Heilung) ergeben.

Alle diese Bauten haben gemeinsam, dass sie im städtischen Raum

auffallen. Zumeist versuchen die Architekt/innen mit Hilfe der offensiven

Integration von jüdischen Symbolen, Bezügen zur Thora und zur Liturgie

Unterscheidungen zu anderen modernen Bauaufgaben zu ermöglichen.

Offensichtlich ist, dass die lange Geschichte des Judentums immer eine

Rolle bei der Gestaltung spielt. Dabei sind Synagogen heute infolge von

Anschlägen und Anfeindungen in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger

hermetisch abgeschlossene Komplexe. Die Bochumer Lösung zeigt auf, wie

man diesem Eindruck mit architektonischen Mitteln und Funktionsmischungen

entgegenwirken kann. Die Einrichtung von Restaurants und Kindertagesstätten

wie in Bochum oder eines Museums wie in München unterstützen die Öffnung

der Synagoge und der jüdischen Gemeinde.

Verwendete Literatur

Liedtke, Gerd (Hg.): Die neue Bochumer Synagoge. Bilder und Texte. Berlin 2011.

Sachs, Angeli; Voolen, Edward van (Hg.): Jewish Identity in Contemporary Architecture

/ Jüdische Identität in der zeitgenössischen Architektur. München 2004.

Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in

Deutschland. Regensburg 2010.



Anna-Lina Heimrath

Synagoge und Gemeindezentrum Duisburg /

„The Jewish Cultural Centre“ von Zvi Hecker

Städtebauliche Situation

Mitten im ehemaligen Duisburger Innenhafen befindet sich seit 1999 das neue

Zentrum der jüdischen Gemeinden Duisburg, Mühlheim und Oberhausen.

Umgeben von dem Altstadtpark und in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt kragt

am Springwall zwischen einer Grünfläche und inmitten von Wohngebäuden der

moderne Betonbau des Architekten Zvi Hecker hervor (Abb. 1). Das dreistöckige

Gebäude ist in fünf Achsen strukturiert, die ihn mit dem angrenzenden Park

verbinden. An die Synagoge grenzt zudem das Kunstwerk Garten der Erinnerung

des israelischen Künstlers Dani Karavan (*1930), welches ebenfalls 1999

angelegt wurde, mit der Synagoge jedoch nicht in semantischer Verbindung

steht, sondern sich auf den ehemaligen industriellen Standort des Innenhafens

bezieht.

137



Abb. 1



Der Architekt und Maler Zvi Hecker

Der 1931 geborene Zvi Hecker studierte von 1949 bis 1950 am Polytechnikum

in Krakau (Polen) Architektur und von 1950 bis 1954 am Israeli Institute of

Technology (Technion) in Haifa (Israel). Anschließend schloss er ein Studium

der Malerei an der Avni Akademie in Tel Aviv (Israel) ab. Hecker ist vor allem

durch eine dekonstruktivistische und symbolträchtige Formensprache bekannt.

Ein Ziel seiner Architektur ist es, die Gebäude mit ihrer Umgebung zu verbinden

und diese beiden Komponenten in eine Beziehung zueinander zu setzen. Seine

Intention für den von ihm als Jewish Cultural Centre bezeichneten Gemeindebau

in Duisburg war es zudem, einen Ort der Zusammenkunft und Feierlichkeit zu

schaffen.

Die jüdische Gemeinde Duisburg im 19. Jahrhundert

Die Gemeinde besaß bereits seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine

Synagoge. Sie war in den Räumlichkeiten des ehemaligen Anatomiegebäudes

der 1818 aufgelösten Universität untergebracht. Da dieses Gebäude baufällig

und zu klein war, errichtete die Gemeinde im Jahr 1875 einen Neubau nach

dem Entwurf von dem Stadtbaumeister Landmann an der Junkernstraße, der

damit nur zwei Straßen von dem jetzigen Gemeindezentrum entfernt lag. Bei

der Synagoge handelte es sich um einen zweigeschossigen Ziegelbau auf

quadratischem Grundriss mit einer Kuppel. Durch die verwendeten Materialien

sowie durch die schlichte Fassadengestaltung fügte sich das Gebäude in das

damalige Stadtbild ein. Formal passte sich die Synagoge zudem zeitgenössischen

Kirchenbauten an. Der Innenraum teilt sich in ein unteres Geschoss und in ein

Emporengeschoss auf. Die Empore war dabei den Frauen vorbehalten. Im Osten

schloss das Gebäude mit einer Apsis ab, in der im Innenraum der Thoraschrein

und die Bima standen. Über die Ausstattung ist nicht viel bekannt, es gab jedoch

ein Gestühl, eine Orgel, später auch eine Chuppa und Bronzetafeln.

Mit der Machtübernahme der NSDAP war die jüdische Gemeinde seit 1933

dem brutalen Terror der SA ausgesetzt. Am 9. November 1938 setzten

Nationalsozialist/innen die Duisburger Synagoge, wie auch die Synagogen

in den Stadtteilen Ruhrort und Hamborn, in Brand. Da das Gebäude an der

Junkernstraße nicht vollständig abbrannte, war die Gemeinde gezwungen, die

Reste in den folgenden Wochen auf eigene Kosten abreißen zu lassen. 1939

lebten noch 841 Juden und Jüdinnen in der Stadt. Zwei Jahre später begannen

die Deportationen in den deutsch besetzten Osten, unter anderem nachŁ Łódźź,

140 141

Izbica/bei Lublin (beides Polen), Riga (Lettland) und Theresienstadt (Tschechien),

wo die Menschen mehrheitlich ermordet wurden.

Die jüdische Gemeinde von der frühen Nachkriegszeit bis in die

1990er Jahren

Nach der Shoah teilte sich die Duisburger Gemeinde in kleine Gruppierungen

in unterschiedlichen Stadtteilen auf. 1947 wurde in Mühlheim eine Gemeinde

gebildet, in Duisburg war die Zahl der Jüdinnen und Juden so gering, dass

es zunächst zu keiner Neugründung kam. 1955 schlossen sie sich daher

der Mühlheimer Gemeinde an. Die neue Doppelgemeinde traf sich in einer

Privatwohnung auf der Kampstraße in Mühlheim. Im Erdgeschoss befand sich

die Synagoge, die insgesamt 70 Personen Platz bot. Im Obergeschoss waren die

Verwaltungsräume untergebracht. Insgesamt gab es 83 Mitglieder, viele davon

waren Frauen. Doch auch nach einem Zusammenschluss mit der Oberhausener

Gemeinde im Jahr 1968 war nicht immer ein Gottesdienst möglich – ein Minjan

konnte nur selten gebildet werden.

Die Gemeinde zählte im Jahr 1988 117 Mitglieder. Gleichzeitig überschritt die

Zahl der Sterbefälle die Zahl der Geburten und viele junge Jüdinnen und Juden

übten ihren Glauben zunehmend in angrenzenden Gemeinden aus, so unter

anderem in Düsseldorf. Erst die Zuwanderung aus den Staaten der ehemaligen

Sowjetunion seit dem Anfang der 1990er Jahre veränderte die Entwicklung auch

in Duisburg und damit ebenfalls das Leben der jüdischen Gemeinde. So wurde

etwa ein Sprach- und Glaubensunterricht eingerichtet. Bereits 1991 gab es erste

Überlegungen zu einem Neubau, denn die Synagoge in Mühlheim bot längst

nicht mehr allen Angehörigen der Dreiergemeinde Platz.

Neubau der Synagoge

Im Frühjahr 1996 lobte die Jüdische Kultusgemeinde Mühlheim-Duisburg-

Oberhausen in Abstimmung mit der Internationalen Bauausstellung Emscherpark

und der Innenhafen Duisburg Entwicklungsgesellschaft einen Wettbewerb

aus. Sieben internationale Architekten wurden als Teilnehmer eingeladen. Das

Preisgericht entschied sich im Juli 1996 für den Entwurf von Zvi Hecker, die

Bauarbeiten begannen im darauffolgenden Jahr. Der Bau wurde durch die

drei Gemeinden sowie durch das Land Nordrhein-Westfalen finanziert. Das

Grundstück im Innenhafen schenkte die Stadt Duisburg der Gemeinde. Während



der Innenhafen heute zu einem der neuen Hotspots zählt, war der Platz in den

1990er Jahren unbeliebt: Das Gebiet war zur Zeit des Synagogen-Neubaus

noch in großen Teilen unbewohnt und der 1994 eingereichte Masterplan des

Londoner Architektenbüros Sir Norman Foster noch bis 2013 nicht vollständig

umgesetzt. Mittlerweile ist das Areal jedoch zu großen Teilen bebaut und

verbindet Gastronomie, Wohnen und Grünanlagen miteinander. Die jüdische

Kultusgemeinde hat sich den Standortbedingungen und -anforderungen

angepasst und vermietet das Gemeindehaus für externe Veranstaltungen.

Sie setzt zudem auf eine aktive Gemeindearbeit, betreut einen Kindergarten,

führt eine Sonntagsschule und ein Jugendzentrum. Es handelt sich um eine

Einheitsgemeinde; sowohl orthodoxe als auch liberale Gläubige besuchen den

Gottesdienst, der in orthodox-traditioneller Ausrichtung praktiziert wird.

Der Grundriss

Der Grundriss beruht auf fünf fächerförmig angeordneten, dreigeschossigen

Riegeln, die das Bauwerk horizontal strecken (Abb. 2). Insgesamt hat das Gebäude

eine Nutzfläche von 16.000 Quadratmetern. Es unterteilt sich in zwei Haupttrakte,

die durch zwei Treppenanlagen im Innen- sowie im Außenraum miteinander

verbunden sind. Bei der Gestaltung stand vor allem die Multifunktionalität

im Vordergrund. Zvi Hecker vereinte Gebetsräume, Gemeindezentrum und

Außenraum in einem Bauwerk. Der Grundriss spielt zudem auf zwei symbolische

Formen an: ein offenes Buch, aber auch eine ausgestreckte Hand, die mit

ihren Fingern auf die ehemaligen Standorte jüdischen Lebens, wie etwa die

Gemeindezentren in Ruhrort und Hamborn, verweisen will. Hecker legte mehrere

Ein- und Ausgänge an, die das Gebäude mit seiner Umgebung zu verbinden

versuchen, darunter eine lange Treppe an der Parkseite. Diese ist jedoch

mittlerweile ungenutzt. Ein weiteres Merkmal sind die vielen Zwischenräume,

die im Außenraum entstehen, wie etwa der Vorhof, der den Pförtnerbereich mit

dem Eingangsbereich der Synagoge unterteilt.

Das Gebäude

Die fünf großen Blöcke strukturieren das Gebäude nach außen und geben ihm

seine Form. Der verwendete, unverputzte Beton dominiert dabei die Gestalt

der Fassade. Daneben verbaute Hecker auf der Park-Fassadenseite Glas,

Metalltreppen sowie eine schwarze Schieferwand. Der westliche Gebäudetrakt

nimmt im Inneren einen großen Saal mit einer koscheren Küche auf. Er bietet

Abb. 2



Platz für Feierlichkeiten der Gemeinde, aber auch für externe Veranstaltungen.

In der östlichen Gebäudehälfte befinden sich die Synagoge und eine Bibliothek

sowie Arbeits- und Verwaltungsräume.

Der Haupteingang zeichnet sich durch eine hohe Glasfassade aus und liegt an

der Springwall-Straße in der Flucht der angrenzenden Wohnbebauung. Dadurch,

dass auch an dieser Synagoge Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden

mussten, sind ihm allerdings ein Pförtnerbereich und eine Sicherheitszone

vorgelagert (Abb. 3). Einem kleinen Innenhof schließt sich eine Eingangshalle

an, die in den Synagogenraum und das Gemeindezentrum führt. Sie ist hell

gestaltet und besitzt eine großzügige Glasfassade. Eine offene Treppe verbindet

die Frauenempore und das zweite Geschoss miteinander.

Der Synagogenraum

Der Synagogenraum bildet eine dreieckige Nische aus, in der der aus

Jerusalemer Marmor hergestellte Thoraschrein eingebracht ist (Abb. 4). Hier

befindet sich zudem das Ewige Licht. Dem Thoraschrein gegenüber steht die

Bima, zu deren Seiten die ebenfalls mit Marmor verkleidete Frauenempore

angeordnet ist. Ursprünglich war der Boden des Raumes auch mit Marmor

bedeckt, dieser wurde jedoch später wieder entfernt. Zur rechten Seite des

Thoraschreins befindet sich ein Buntglasfenster und in der Decke ist ein weiteres

Fenster eingelassen. Dieses gilt neben einer Deckenbeleuchtung als primäre

Lichtquelle.

Die Jüdische Kultusgemeinde Mühlheim-Duisburg-Oberhausen hat mit

Zvi Heckers Jewish Cultural Centre einen Neubau erhalten, der mit seiner

Materialität und Gebäudehöhe einen direkten Bezug auf die Umgebung nimmt

und sich in ihr durch die monumentale Fassade gleichzeitig offensiv behaupten

kann. Hecker gelingt es dabei, eine enge Verbindung zwischen dem Innenund

dem Außenraum zu erschaffen. Durch die komplizierte Aufteilung der

Räumlichkeiten wird die Nutzung der Architektur jedoch erschwert, was sich

insbesondere im verhältnismäßig kleinen Synagogenraum zeigt. Dennoch

gelingt es dem Architekten durch die symbolträchtige Formensprache, die vor

allem im Grundriss zum Tragen kommt, ein auffälliges und selbstbewusstes

architektonisches Zeichen nach außen zu schaffen.

144

Abb. 3



Abb. 4

Verwendete Literatur

Duisburger Forschungen. Schriftenreihe für Geschichte und Heimatkunde Duisburgs

58 (2012) und 34 (1989).

Barbian, Jan-Pieter; Heid, Ludger: Zwischen Gestern und Morgen. Kriegsende und

Wiederaufbau im Ruhrgebiet. Essen 1995.

Heid, Ludger J.: Ostjuden. Bürger, Kleinbürger, Proletarier. Geschichte einer jüdischen

Minderheit im Ruhrgebiet. Essen 2011.

Hruby, Kurt: Die Synagoge. Geschichtliche Entwicklung einer Institution. Zürich 1971.

Keller, Manfred: „So viel Aufbruch war nie…“. Neue Synagogen und jüdischen

Gemeinden im Ruhrgebiet. Chancen für Integration und Dialog. Berlin 2011.

O.A.: The Jewish Cultural Centre. Online: http://www.zvihecker.com/projects/project_

titel-31-1.html [10.04.2018].

Yegudin, Dmitri: Geschichte der Jüdischen Gemeinde. Online: http://www.jgduisburg.

de/geschichte.html [10.04.2018].

147



Abb. 1

Julia Murra

Die Siegesgeschichte einer Gemeinde: Die

Synagoge Beit Tikwa in Bielefeld

149

Die Synagoge, die in Bielefeld an der Detmolder Straße zu finden ist, bezieht

ihren Namen aus dem Hebräischen. Sie nennt sich Beit Tikwa, was übersetzt

„Haus der Hoffnung“ (Kley 2008, S. 1) bedeutet – ein Name, der zur Geschichte

der Synagoge gut passt (Abb. 1). Sie wurde am 21. September 2008 eingeweiht,

rund 70 Jahre nach der Zerstörung der vorherigen Synagoge an der Turnerstraße

im Zentrum der Stadt. Im jüdischen Kalender lag die Einweihung am 21. Elul

5769. Indra Kley zitiert in ihrem Artikel Yevgenij Minkovich, ein Mitglied der

jüdischen Gemeinde, der sagte, dass er noch nie so glücklich gewesen sei wie

bei der Eröffnung der neuen Synagoge (Ebd.).

Die 1905 eingeweihte Synagoge war während der sogenannten

Reichspogromnacht 1938 von den Nationalsozialist/innen zerstört worden, der

Großteil der Gemeindemitglieder wurde vertrieben, deportiert und ermordet.

Nach der Kapitulation des Dritten Reichs konnte die neugegründete jüdische

Kultusgemeinde ab 1945 ihr zurück erhaltenes Eigentum an der Stapenhorststraße



nutzen. Ab 1951 befanden sich hier sowohl eine kleine Synagoge als auch ein

Gemeinderaum. Zeitweise bestand die Gemeinde in den kommenden Jahren nur

aus zehn bis 20 Personen und so war es lange unklar, ob sich der Bau einer neuen

Synagoge überhaupt lohnen würde. Erst mit dem Zuzug von Juden und Jüdinnen

aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland änderte sich die

Situation. Heutzutage sind rund 300 Menschen Gemeindemitglied.

Für sie wurde kein neues Gebäude errichtet, sondern ab Ende 2007 die ehemalige

evangelische Paul-Gerhardt-Kirche zu einer Synagoge umgebaut. Beit Tikwa ist

damit die erste Synagoge Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, die aus

der Umgestaltung einer Kirche entstand. Die Planung oblag dem Bielefelder

Architekten Klaus Beck. Die Erscheinung des Gebäudes wird vorrangig durch

den Einsatz von Licht und hellen Materialien bestimmt. Die Fassade ist strahlend

in einem weißen Ton gehalten und wird von einem runden Dach abgeschlossen.

In den bunten Fenstern lassen sich hebräische Schriftzeichen finden. Kley

vergleicht die Farbe der hellen Gehwegplatten direkt vor der Synagoge mit der des

Jerusalem-Steins. Damit stellt die Farbigkeit des Materials eine Verbindung zum

Zweiten Tempel in Jerusalem her. Einige Farbakzente wurden vom Bielefelder

Maler und Designer Matthias Hauke gesetzt. Unter anderem gestaltete er die

sieben Rundfenster, die im Hauptraum um den Toraschrein herum zu sehen

sind. Sie symbolisieren die Schöpfungsgeschichte, wobei die Darstellung des

Menschen so weit stilisiert ist, dass erst auf einen zweiten Blick zu erkennen ist,

um was es sich handelt.

Der Umbau der Kirche kostete 2,5 Millionen Euro und dauerte knapp ein Jahr.

Allerdings war der Prozess der Übertragung nicht konfliktfrei, denn bevor mit

den Arbeiten begonnen werden konnte, wurde die Kirche von einer Bielefelder

Bürgerinitiative besetzt. Unter anderem protestierte sie dagegen, dass sie das

Kirchengebäude nach der Auflösung der Paul-Gerhardt-Gemeinde nicht mehr als

solches nutzen konnte. Laut ihren Aussagen war ihnen vermittelt worden, dass

die Kirche als Gebäude unverändert erhalten bleiben würde. Daneben sprachen

sich aber auch einige Mitglieder der jüdischen Gemeinde gegen die Entscheidung

aus. Kley zufolge blieb die Gemeinde auch während des Umbaus noch gespalten,

weshalb die Einweihung dazu beitragen sollte, dass die entfremdeten und

zerstrittenen Gruppierungen wieder zueinander finden. Trotz der vorherigen

Hausbesetzung blieb eine Demonstration am Tag der Einweihung aus. An ihr

nahmen nicht nur jüdische Bürgerinnen und Bürger, sondern auch Mitglieder der

katholischen, evangelischen, syrisch-orthodoxen Kirchen und des islamischen

Zentrums in Bielefeld teil.

150 151

Die Geschichte der Bielefelder Juden und Jüdinnen

Der früheste dokumentierte Nachweis über eine jüdische Gemeinde in Bielefeld

stammt aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, auch wenn Jüdinnen und Juden

vermutlich bereits vorher in der Stadt gewohnt hatten. Von 1807 bis 1813

war Bielefeld Teil des Königreichs Westfalen unter französischer Herrschaft.

Ein Dekret, das ein Resultat der Aufnahme der Stadt in das Königreich war,

änderte die Situation der jüdischen Einwohner/innen auf fundamentale Weise:

Ihnen wurde die Gleichberechtigung gewährt. Viele der Familien, die während

dieser Periode nach Bielefeld kamen, sollten hier bis zur NS-Zeit wohnen. Die

Gleichberechtigung hielt allerdings nicht lange und wurde mit der Besetzung

durch Preußen 1813 fast umgehend wieder rückgängig gemacht.

Während die Gemeinde 1825 nur 134 Personen zählte, wuchs sie in den

folgenden Jahrzehnten deutlich an. Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann der

Neubau einer Synagoge notwendig, weil in dem zuvor genutzten Gebäude am

Klosterplatz nicht mehr genug Platz war, um die Gemeinde während des Gebets

zu beherbergen. Inmitten Bielefelds, in der Turnerstraße, entstand daher ein

Kuppelbau mit einem weithin sichtbaren vergoldeten Davidstern in 41 Meter

Höhe. Das Gebäude wurde am 20. September 1905 eingeweiht und war damals

das höchste in der Stadt. Die Fassade zeigte geschwungene Renaissancegiebel

unter einem mit Schiefer gedeckten Dach. Architektonische Merkmale dieser

Art lassen sich noch heute an den Bauten des Landesgerichtes und des

Rathauses erkennen. Auf der roten Mamorestrade im Inneren befanden sich vor

dem Thoraschrein sowohl das Vorbetpult als auch eine Kanzel. Eine Orgel und

350 Sitzplätze für Frauen waren auf der darüberliegenden Empore angeordnet.

Allerdings wurde sie nur an hohen Feiertagen genutzt; sonst saß die Gemeinde

im Erdgeschoss, in dem sich 450 Sitzplätze befanden, gemischt.

Trotz aller Opposition: Eine Kirche wird zu einer Synagoge

2005 schloss sich die evangelische Paul-Gerhardt-Gemeinde mit der Neustädter

Mariengemeinde zusammen, weshalb die ehemalige Paul-Gerhardt-Kirche nicht

mehr benötigt wurde. Kurz nach dem Beschluss der Fusion verkündete die

Kirche daher, dass sie das Gebäude verkaufen wolle. Sofort bemühte sich die

jüdische Gemeinde darum und wurde sich relativ schnell mit dem Kirchenkreis

einig. Besonders die Gemeindevorsitzende Irith Michelsohn setze sich für den

Erwerb ein.



Wie bereits eingangs erwähnt, sprachen sich einige Christ/innen gegen den Kauf

aus. Unter anderem gründete sich die Bürgerinitiative Paul-Gerhardt-Kirche,

der ungefähr 80 Mitglieder angehörten. Die Protestaktionen kulminierten auf

evangelischer Seite mit einer Besetzung des ehemaligen Gotteshauses Ende März

2007. Erst nachdem entschieden war, dass die evangelische Gemeinde die Kirche

noch bis zum 12. September 2007 nutzen durfte, wurde die Besetzung beendet

und die jüdische Kultusgemeinde entschied sich, den Kauf durchzuführen.

Die Arbeiten an der Synagoge wurden im September 2008 nach ungefähr

zehnmonatiger Bauzeit fertiggestellt. Finanziert wurde der Umbau aus Mitteln

der Gemeinde, des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stadt. Das Aussehen

des ehemaligen Kirchengebäudes änderte sich durch die Umbauten stark. Es

war 1962 als braunroter Backsteinbau errichtet worden und nahm Bezug auf die

Türme der Neustädter Marienkirche, weshalb dem schlicht gestalteten Baukörper

der Paul-Gerhardt-Kirche ein unproportional hoher Kirchturm hinzugefügt worden

war. Nach der Errichtung hatte es keine wesentlichen baulichen Veränderungen

mehr gegeben.

Von spitz zu flach: Details des Umbaus

Als Klaus Beck sich dem Projekt zu widmen begann, war ihm zuerst nicht klar,

worauf er sich beziehen sollte, denn er ist selbst kein Jude und verfügte über keine

Erfahrungen im Synagogenbau. Im Gegensatz zum europäischen Kirchenbau

gibt es keine tradierte Bautypologie für Synagogen, die unmissverständlich

auf die Nutzung des Bauwerkes aufmerksam macht. Besonders wichtig für

die Entwurfsarbeit in Bielefeld war dann die grundlegende Veränderung der

Symbolik des Kirchturms, denn die Synagoge sollte sich bereits in der äußeren

Gestalt von einem typischen christlichen Bau unterscheiden. Daher wurde

die Spitze des Turms abgerissen und durch ein rundes, wesentlich flacheres

Dach ersetzt. Allerdings war nicht nur der Kirchturm spitz, sondern auch die

Gestaltung der Fenster im Eingangsbereich sowie im Hauptraum. Bei seiner

Beschäftigung mit Synagogenarchitektur entdeckte der Architekt jedoch als

ein gemeinsames architektonisches Motiv die Betonung runder Formelemente,

sowohl in Fenstern und Portalen, als auch in Kuppeln und Gewölben. So wurde

die Umwandlung des betont spitzen Baus in eine gerundete Formensprache

bestimmend für Becks Entwurf.

Da das Gebäude auch das jüdische Gemeindeleben in Bielefeld beherbergen

sollte, entstanden eine Bibliothek, Unterrichtsräume, Büros, ein Raum für

152 153

Kinder, eine Küche und ein Speiseraum. Danaben gibt es nicht nur einen großen

Thoraschrein im Hauptraum, sondern zudem einen zweiten, kleineren in einem

weiteren Gebetraum, der als Werktagssynagoge genutzt wird. Um weit sichtbar

zu sein, steht ein drei Meter hoher Leuchter aus Metall und Glas im Garten

vor der Synagoge, der zum Chanukkafest entzündet wird. Die Entwürfe der

Chanukkia im Außenbereich und einer Menora in der Synagoge haben dieselbe

Formsprache, um ein einheitliches Gesamtkonzept auszustrahlen.

Der christliche Altar wurde durch einen Thoraschrein ersetzt, der wie der

ehemalige Kirchturm oben abgerundet ist. Auf dem Schrein ist ein Baum

abgebildet und die Thorarollen werden von einem samtenen Vorhang geschützt.

Oben auf sitzt das Ewige Licht, eine grüne Glaskugel aus geschichteten Scheiben.

Der Schrein wurde von evangelischen, katholischen und freikirchlichen Christ/

innen gespendet und enthält die reich verzierten Thorarollen. Über ihm steht der

Vers „Ein Baum des Lebens ist sie denen, die an ihr festhalten“ auf Hebräisch

aus dem Buch Sprüche 3,18. Der Baum, der hier angesprochen wird, verweist

unter anderem auf das Holz, auf dem die Thorarolle aufgerollt ist. Insgesamt

ist der Schrein 4,30 Meter hoch und 1,90 Meter breit. Er ist direkt in die sieben

Glasfenster integriert, die die Schöpfungsgeschichte nacherzählen. Da Hebräisch

von rechts nach links gelesen und geschrieben wird, erfolgt die Anordnung der

Schöpfungsgeschichte entgegen dem Uhrzeigersinn, angefangen am ersten Tag

unten rechts. Diese Fenster sind bei Dunkelheit hinterleuchtet.

Die Bielefelder Gemeinde ist dem Reformgedanken verpflichtet, weshalb

unter anderem auf eine Trennung der Geschlechter verzichtet wird. Die

Empore dient also nicht dem Aufenthalt allein für Frauen, sondern gliedert den

Synagogenraum und erhöht die Zahl der Sitzplätze. Die Orgel- und die ehemalige

Posaunenempore wurden durch eine Erweiterung miteinander verbunden, um

so mehr Platz zu schaffen. Die Orgel der ehemaligen Kirchengemeinde wurde

angekauft und damit in die neue Nutzung übernommen. Obwohl bereits 1869

die erste Rabbinerversammlung in Leipzig den Beschluss gefasst hatte, dass

dem Spiel der Orgel am Schabbat und an den Festtagen keine religiösen

Bedenken entgegenstünden, besitzen heute nur wenige jüdische Gemeinden in

Deutschland eine solche.

An den Wänden sind ausgewählt Psalmen angebracht, um auf die Gesamtheit

aller 150 existierenden zu verweisen. Die Bima, auf der die Thorarollen während

der Lesung liegen, und auch das Rednerpult sind aus Pinienholz, eine in Israel

weitverbreitete Holzart. Die Stühle der Synagoge, der Rabbinerstuhl und



die fahrbaren Bücherregale sind hingegen aus hellem Birkenholz, um eine

gewisse Leichtigkeit im Raum zu erzeugen. Dasselbe soll durch die Wandfarbe

geschehen, die kein reines Weiß zeigt, sondern eines, in das Türkis

eingemischt worden ist. Der Davidstern, der im kleineren Gebetsraum, der als

Werktagssynagoge dient, oberhalb des Thoraschreins in einem imposanten

runden Fenster angelegt wurde, symbolisiert in seiner Farbgebung die vier

Elemente und in seiner Formsprache die Vereinigung des Menschen mit Gott.

Die seitlich liegenden Fenster wurden mit einer verzierten Folie versehen. Diese

besitzt die gleiche Form wie eines der Fenster in der ersten Synagoge am

Klosterplatz, wodurch sie an dieses Gebäude und die Geschichte der Gemeinde

erinnern soll. Gleichzeitig fungiert die Folie als Sichtschutz und schirmt so den

Gebetsraum vor den Blicken Außenstehender ab. Eine ähnliche Folie findet

sich im Fenster der Bibliothek, nur wurden hier die Fenster der Synagoge in der

Turnerstraße als Inspiration genommen.

Verwendete Literatur

Fritzsche, Lara: Die Gotteshaus-Besetzer von Bielefeld. In: Kölner Stadt-Anzeiger

vom 21.06.2007. Online: https://www.ksta.de/die-gotteshaus-besetzer-vonbielefeld-13716416

[12.02.2018].

Hauke, Matthias (Hg.): Beit Tikwa – Aus einer Kirche wird eine Synagoge. Berlin 2015.

Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld K.d.ö.R.: Geschichte der Juden in Bielefeld vor

der nationalsozialistischen Machtergreifung (1933). Online: http://www.juedischegemeinde-bielefeld.de/geschichte.html

[12.02.2018].

Kley, Indra: Die Bielefelder Gemeinde eröffnet ihre neue Synagoge – in einer ehemaligen

Kirche. In: Jüdische Allgemeine vom 25.09.2008. Online: https://www.juedischeallgemeine.de/article/view/id/2102

[12.02.2018].

Matheisen, Manfred: Irith Michelsohn abgewählt / Opposition setzt sich durch: Jüdische

Kultusgemeinde hat neuen Vorstand. In: Bielefelder Zeitung. Westfalen-Blatt vom

19.02.2008. Online: http://www.hiergeblieben.de/pages/textanzeige.php?id=17982An

[12.02.2018].

O. A.: Neue Synagoge in Bielefeld wird am Sonntag eingeweiht. Online: https://archive.

is/20120910021350/http://www.nealine.de/news/Politik/neue-synagoge-in-bielefeldwird-am-sonntag-eingeweiht-1937778944.html

[10.09.2012].

Sobotka, Heide: Heilige Blockade – Bielefelder halten weiterhin Kirche besetzt. In:

Jüdische Allgemeine vom 24.05.2007. Online: https://www.juedische-allgemeine.de/

article/view/id/3866 [12.02.2018].

Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in

Deutschland. Regensburg 2010.

154 155

Tabea Schüler

Die Herforder Synagoge

Am 14. März 2010 feierte die jüdische Kultusgemeinde Herford-Detmold die

Einweihung der neuen Synagoge in der Komturstraße 23 in Herford und setzte

damit nicht nur ein Zeichen des Neuanfangs, sondern auch des Gedenkens. 72

Jahre nach der Zerstörung wurde der Neubau am gleichen Standort sowie im

nahezu gleichen Baustil des im November 1938 abgebrannten Vorgängerbaus

errichtet. Die Geschichte der Juden und Jüdinnen in der Stadt manifestiert sich

so in dem Neubau und mit ihm wurden gleichermaßen die Weichen für die

folgenden Generationen gestellt.

Bei der Untersuchung der Geschichte und Architektur ist zunächst ein Rückblick

auf die erweiterte Synagoge von 1892/93 erforderlich, um die Entscheidungen

bei der Gestaltung und für den Standort nachvollziehen zu können. Die Synagoge

von 1893 kann als Sinnbild für die besten Zeiten der Gemeinde gelten, die

Zerstörung des Gebäudes 1938 war einer von vielen Tiefpunkten in den Jahren

der Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der Gemeindemitglieder. Die in



gleichem äußeren Gewand erscheinende und in der inneren Struktur moderne

neue Synagoge nimmt Bezug auf diese beiden Aspekte der Geschichte. Mit dem

Neubau soll gleichzeitig eine Rückbesinnung auf die gesamte, über 700-jährige

jüdische Tradition in Herford stattfinden.

Geschichtlicher Hintergrund: Die Anfänge der jüdischen

Gemeinde in Herford

Bereits für das Jahr 1306 ist die Ansiedlung von Juden und Jüdinnen in Herford

nachweisbar. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ist von einer kontinuierlichen

Anwesenheit von etwa drei bis fünf Familien auszugehen. Nach dem 30-jährigen

Krieg siedelten sich durch ein Edikt des Brandenburger Kurfürsten Friedrich

Wilhelm (1620-1688) weitere Juden und Jüdinnen in der Stadt an. Im April 1826

beantragten sie erstmals die Einrichtung einer eigenen Synagoge und eines

Ritualbades. Im Jahr 1829 wies die preußische Regierung zunächst darauf hin,

dass eine Synagoge wegen möglicher Störungen der christlichen Gottesdienste

nicht zu nah an einer christlichen Kirche gebaut werden dürfte. 1830 teilte die

Stadt der Gemeinde dann mit, dass ein Grundstückskauf nicht vor der endgültigen

Genehmigung für einen Bau erfolgen dürfe. Bis zu dessen Errichtung sollten

noch 22 Jahre vergehen. Das Badehaus mit einer großen und einer kleinen

Wanne und Umkleideräumen konnte bereits 1839 gebaut werden. Es stand auf

einem Grundstück an der Petersilienstraße 4, das an die kleine Werre grenzte.

Die Mikwe, die ebenfalls auf dem Grundstück errichtet wurde, hatte so direkten

Zugang zu fließenden Wasser. Das Badehaus existierte mindestens bis Ende der

1840er Jahre, da es in den ersten Statuten der Gemeinde 1849 erwähnt wurde.

Der Synagogenbau in der Komturtstraße

Am 13. August 1852 konnte die jüdische Gemeinde die neue Synagoge an

der Komturstraße 23 – gegenüber der katholischen Kirche – einweihen. Den

schlichten, völlig schmucklosen quadratischen Bau im Hinterhof, der zunächst

auch als Schule genutzt wurde, errichtete der ortsansässige Maurermeister

Gottlieb Meyer. Von diesem Gebäude existieren heute keine Pläne mehr, es ist

lediglich auf einem Foto aus dem Jahre 1893 zu erkennen. Allerdings war bereits

wenige Jahre nach der Errichtung klargeworden, dass die Synagoge für die

Bedürfnisse der auf fast 300 Mitglieder angewachsenen Gemeinde nicht mehr

ausreichte. So erweiterte die Baufirma Althoff und Lakemeier das Gotteshaus in

156

Abb. 1



den Jahren 1892/93 grundlegend. Auf dem östlich angrenzenden Grundstück

entstand zudem ein neues Schul- und Gemeindehaus (Abb. 1).

Beide Gebäude wurden in einer neogotischen Backsteinarchitektur errichtet,

eine Entscheidung, mit der die jüdische Gemeinde ihren Synagogenneubau der

zeittypischen Gestaltung im Kirchenbau annäherte. Für den Gesamtentwurf war

möglicherweise der bekannte Herforder Architekt Carl Schubert verantwortlich.

Der 172 Quadratmeter große, eingeschossige, traufständige Originalbau aus

Backstein erhielt ein Satteldach. Die Erweiterung des Synagogengebäudes

bestand im Wesentlichen aus einem Anbau an die straßenseitige Südfassade,

der das Treppenhaus aufnahm. Er wurde durch einen mit einem Konsolfries

geschmückten Giebel, den der Davidstern bekrönte, abgeschlossen.

Daneben gab es mehrere Umbauten im Inneren und Äußeren. Hohe

Spitzbogenfenster mit Maßwerkfüllung erhellten Treppenhaus und Betraum. Alle

Schmuckelemente – Fries, Strebepfeiler, Sohlbänke, Gesimse, Fensterrahmen

und die Inschriften-Kartusche – waren aus hellem Werkstein gearbeitet, der sich

von dem rötlichen Mauerwerk absetzte. Im Osten befand sich ein halbrunder

Anbau für den Thoraschrein, darüber ein großes halbrundes Fenster und ein

kleineres Rundfenster. Mit dieser Architektur zeigte die jüdische Minderheit

ihr gestiegenes Selbstbewusstsein, passte sich aber auch der christlichen

Umgebung an: „Die Fenster, die Friese und die über Eck gestellten Strebepfeiler

verleihen nun der ehemals schlichten Synagoge das Aussehen einer gotischen

Kapelle, bei der nur noch der Stern und das Inschriftband auf den jüdischen

Kultbau hinweisen.“ (Hammer-Schenk 1981, S. 443). Die Neuweihe der

Synagoge fand am 3. September, die Einweihung des Schul- und

Gemeindehauses am 7. Oktober 1893 statt. Die Schule wurde allerdings nur bis

1902 geführt.

Zerstörung der Synagoge

Am 12. April 1934 musste gegen 1 Uhr nachts ein Brand im Gotteshaus

gelöscht werden. Im ersten Bericht zur Klärung seiner Ursache durch die

Landeskriminalpolizeistelle Hannover konnte ein vorsätzlich gelegtes Feuer

nicht ausgeschlossen werden. Ein zweites Mal wurde in den Abendstunden des

9. November 1938 Feuer in der Synagoge gelegt. Die herbeigerufene Feuerwehr

griff zuerst nicht ein. Die Inneneinrichtung und die wertvolle Orgel wurden

in der Folge völlig zerstört. Auch das Archiv der Gemeinde verbrannte, die

Fensterscheiben wurden zertrümmert. Die Feuerwehr begann erst zu löschen,

158 159

als das Feuer auf ein Nachbargebäude überzugreifen drohte, in dem explosive

Materialien einer Färberei gelagert waren.

Trotz der Verzögerung der Löscharbeiten blieben der Boden und das

Dachgestühl der Synagoge zunächst erhalten. Die Zerstörung wurde daher

am 10. November 1938 unter der Anwesenheit schaulustiger Bürger/innen

fortgesetzt. Der Innenraum wurde weiter demoliert und die Einrichtung

geplündert. Nur eine durch Feuer und Wasser geschädigte Thorarolle konnte

gerettet und nach 1945 der jüdischen Gemeinde zurückgegeben werden. An

der Giebelseite zur Komturstraße schlug ein Herforder Bürger den Davidstern

herunter. Er war der einzige Täter, der nach 1945 für diesen Angriff verurteilt

wurde. Die Synagogenruine durften nicht wiederhergestellt werden (Abb. 2).

Die Gemeinde wurde zudem gezwungen, das Grundstück zu verkaufen. Die

Stadt erwarb es für 4.732 Reichsmark, ließ die Ruine abreißen und errichtete

an der Stelle einen Parkplatz. Das Gemeindehaus hingegen blieb erhalten und

zunächst im Besitz der jüdischen Gemeinde. Hier wurden die jüdischen Kinder,

die nach der Pogromnacht ihre Schulen verlassen mussten, vom Prediger Lewin

unterrichtet.

Zu der Zeit lebten noch etwa 120 Bürger/innen jüdischer Konfession in der Stadt.

33 von ihnen mussten sich am 9. Dezember 1941 auf dem Marktplatz einfinden.

Sie wurden anschließend zum Gasthof „Kyffhäuser“ nach Bielefeld gebracht, der

Sammelstelle für die Deportation aus dem Regierungsbezirk Minden. Etwa 400

Menschen wurden hier unter unzulänglichen Bedingungen zusammen getrieben.

Angehörige der Gestapo und anderer deutscher Institutionen deportierten sie

am folgenden Schabbat, dem 13. Dezember 1941, nach Riga, wo sie vermutlich

mehrheitlich erschossen wurden. Auch in den Jahren darauf fanden weitere

Vertreibungen und Deportationen statt.

Wiederaufbau der Synagoge

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen

Herrschaft in Deutschland kamen die nach Herford zurückgekehrten Jüdinnen

und Juden in eine Stadt, in der von ihrer Jahrhunderte währenden Anwesenheit

nur noch der Friedhof und das Gemeindehaus zeugten. Nach 1945 musste die

Stadt das Grundstück, das vormalige Gemeindehaus und den jüdischen Friedhof

mit einer Kapelle an die Jewish Trust Corporation for Germany restituieren.

Die wenigen Überlebenden, zu denen auch neu zugewanderte Jüdinnen und

Juden vor allem aus der Sowjetunion gehörten, gründeten die Gemeinde neu.



Abb. 3

Abb. 4

Abb. 2



Diese übernahm das Gemeindehaus und richtete hier einen kleinen Betsaal

ein. Er wurde anschließend mehrfach umgestaltet und diente bis 2010 für den

Gottesdienst.

Ein Synagogenneubau wurde zwar schon kurz nach Kriegsende erwogen, kam

aber aufgrund der kleinen Gemeinde und mangelnder öffentlicher Unterstützung

nicht zustande. 1970 schlossen sich die Herforder und die Detmolder Gemeinde

zusammen, unter anderem um einen gemeinsamen Synagogenbau am Standort

des alten Gotteshauses zu realisieren. Erst mit dem Beginn der 1990er Jahre

wurden diese Pläne konkreter. Es dauerte dann trotzdem noch einmal mehr als

15 Jahre, bis am 29. Mai 2008 der erste Spatenstich gesetzt wurde. Noch im

gleichen Jahr fand das Richtfest statt und am 14. März 2010 feierte die Gemeinde

Herford-Detmold die Einweihung ihrer Synagoge (Abb. 3).

Der Neubau steht aufgrund der ungünstigen Bodenverhältnisse auf

Betonpfeilern. Seine äußere Gestaltung ist dem 1938 fast unversehrt gebliebenen

Gemeindehaus von 1892/93 angepasst und besitzt deutlich die neogotische

Architektur. Das Maßwerk am Südgiebel der Synagoge zeigt ein Relief aus

Sandstein mit den sechs Schöpfungstagen und dem Ruhetag. Der Türsturz

über dem Eingangsportal gibt den Spruch aus Jesaja 56, 7 auf hebräisch sowie

deutsch wieder, der auch an der alten Synagoge angebracht war: „Denn mein

Haus soll ein Bethaus sein für alle Völker“.

Im Erdgeschoss befindet sich der Gemeinschaftsraum, der modern und schlicht

eingerichtet wurde und für Feierlichkeiten genutzt wird. Im Untergeschoss ist

die gesamte Versorgung für das Haus inklusive zweier Küchen, von denen eine

koscher ist, und die Sanitäranlagen untergebracht. Außerdem hängen hier alte

Entwürfe und Architekturpläne der umgebauten Synagoge von 1892/93 an den

Wänden. Die Verglasung des quadratischen Fensters im Treppenhaus stellt

einen zerrissenen Davidstern dar, der zeigen soll, wie stark das jüdische Volk auf

der Erde verstreut ist.

Das Tonnengewölbe des Betraumes, welcher sich im Obergeschoss befindet,

ist mit 248 Lichtern versehen (Abb. 4). Es zeigt den Himmel mit den Sternen

über Jerusalem zu Rosch ha-Schana im jüdischen Jahr 5770. Die Berechnungen

hierfür hat Bernhard Brauner von der Sternwarte des Friedrich-Gymnasiums

Herford gemacht. Die Anzahl der Sterne wurde gewählt, weil 248 Gebote das

jüdische Leben begleiten. Die Bleiverglasung der Fenster im Betraum soll die

vielen Tränen der Freude, aber auch der Trauer wiedergeben. Da es sich um eine

reformierte jüdische Gemeinde handelt, gibt es keine Frauenempore.

162 163

Das Gemeinde- und Schulhaus in der Komturtraße 21

Das ebenfalls 1892/93 errichtete und heute noch erhaltene Gemeinde- und

Schulhaus entstand an der Stelle eines alten, baufälligen Fachwerkhauses.

Neben dem Schullokal wurde im Erdgeschoss ein Versammlungssaal für den

Gemeindevorstand und in den beiden oberen Geschossen Wohnungen für den

Lehrer und den Prediger geschaffen. Bei dem Gebäude handelt es sich um

ein zweigeschossiges massives Bauwerk, das etwas aus der Fluchtlinie der

Bebauung in dieser Straße hervorragt. Das steile Satteldach sitzt auf einem

Drempel auf, der mit einem farblich abgesetzten Fries geschmückt ist (Abb. 3).

Wie bereits erwähnt lieferte für diesen Bau wohl ebenfalls der Architekt Schubert

den Entwurf, wie bei der parallel errichteten Synagoge lag die Bauausführung

in den Händen von Althoff und Lakemeier. Die neogotische Formensprache

erscheint lediglich an der südlichen Straßenfront und an der Westfassade.

Die heute freiliegende Ostfassade wurde früher durch ein angrenzendes

Fachwerkhaus verdeckt. Die rückwärtige Giebelfront ist schlicht und

schmucklos. Die beiden Schaufassaden sind durch waagerecht verlaufende,

glasierte Ziegelreihen, Stockwerk- und Sohlbankgesimse gegliedert. Die

Fenster im Erdgeschoss mit Bleisprossen und farbiger Verglasung blieben im

Originalzustand erhalten. Im Rahmen eines Umbaus im Jahr 1919 wurde der

Zugang von der Traufseite an die rückwärtige Giebelseite verlegt.

Der Friedhof an der Friedhofsstraße

Der jüdische Friedhof ist einer der wenigen in Nordrhein-Westfalen,

der einen relativ großen, gut erhaltenen Bestand an Grabsteinen des

17. Jahrhundert aufweist. Das Areal ist mehrfach erweitert worden, zuletzt

vermutlich im Jahr 1908. Die Halle, die unmittelbar hinter dem eisernen

Eingangstor auf dem jüngeren Friedhofsteil steht, wurde 1909 errichtet. Das

mit einem Satteldach versehene Backsteingebäude auf rechteckigem Grundriss

gehört zu den wenigen historischen jüdischen Friedhofshallen in Nordrhein-

Westfalen, die die nationalsozialistische Gewaltherrschaft überstanden haben.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden in dem Gebäude Zwangsarbeiter/

innen zeitweise einquartiert, die die Grabsteine vom älteren Teil abräumen

mussten. Auf der freien Fläche sollten Gemüse und Kartoffeln angebaut werden.

Die Steine blieben erhalten und konnten in den 1960er Jahren wieder aufgestellt

werden, wobei allerdings die ursprüngliche Reihenfolge nicht beachtet wurde.



Verwendete Literatur

Alicke, Klaus-Dieter: Herford (Nordrhein-Westfalen). In: Ders.: Aus der Geschichte

der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Online: http://www.jüdischegemeinden.de/index.php/gemeinden/h-j/883-herford-nordrhein-westfalen

[11.04.2018].

Brade, Christine; Brade, Lutz; Heckmanns, Jutta; Heckmanns, Jürgen (Hg.): 700 Jahre

jüdische Geschichte und Kultur in Herford. Bielefeld 1990.

Dahlmeier, Paul-Gerhard: Rede zur Eröffnung der Synagoge am 14. März 2010. In:

Nieder u.a. 2010, Supplement ohne Seitenzahlen.

Pracht, Elfi: Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Teil III: Regierungsbezirk

Detmold. Köln 1998.

Hammer-Schenk, Harold: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im

19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1. Berlin 1981.

Nieder, Sven; Escher, Jürgen; Helm, Michael; Laue, Christoph (Hg.): Wir freuen uns und

wir weinen…Wiederaufbau der Herforder Synagoge. Bielefeld 2010.

Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold. Online: http://jg-hf-dt.de [11.04.2018].

Glossar

Aron ha-Kodesch

Heiliger Schrein zur Aufbewahrung der Thorarollen.

Er befindet sich an der nach Jerusalem ausgerichteten Ostseite der Synagoge/

des Betraumes und ist erhöht, über mehrere Stufen erreichbar. Der oft reich

verzierte Vorhang, der den Schrein verdeckt, heißt Parochet.

Aschkenazim

Bezeichnung für ost- und mitteleuropäische Juden/Jüdinnen, deren Sprache

und Traditionen sich von den Sephardim, den Juden/Jüdinnen mit spanischer

Herkunft unterscheiden. Diese hatten sich nach ihrer Vertreibung im Jahr 1492

vor allem in Nordafrika und dem Nahen Osten niedergelassen. In Israel gibt es

zudem die Bezeichnung Mizrachim für Juden/Jüdinnen, die aus arabischen und/

oder muslimischen Ländern Asiens und Afrikas stammen.

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Almemor oder Bima

Podium, auf dem ein Pult oder ein Tisch für die Lesung der Thora steht.

Almemor und Aron ha-Kodesch beziehen sich aufeinander, sie bilden die

liturgisch-funktionalen Zentren während des Gottesdiensts. Der Almemor ist

über mehrere Stufen erhöht, es gibt eine Treppe für den Auf- und eine für den

Abgang. Zusätzlich wird er von einem (Zier-) Gitter umgeben. Sein Standort gibt

zudem Hinweise über eine Ausrichtung der Gemeinde: Steht er im Zentrum

des Raumes, ist sie orthodox, ist er näher an den Thoraschrein gerückt, ist sie

wahrscheinlich liberal.

Chanukkia

Achtarmiger Leuchter mit einem Schamasch (Dienerlicht).

Chanukka ist ein achttägiges Lichterfest zur Erinnerung an die Wiedereinweihung

des Zweiten Tempels im Jahr 164 v.d.Z. Im Jahr 168 v.d.Z. hatte der syrische

König Antiochus IV. verschiedene Gesetze erlassen, um die Juden/Jüdinnen im

Land Israel zum griechischen Polytheismus zu zwingen. Die Gesetzte richteten

sich unter anderem gegen Beschneidungen und gegen die Einhaltung des

Schabbat. Zudem ließ er seine Truppen in Jerusalem einmarschieren, den Tempel

entweihen und die Juden/Jüdinnen aus den Häusern vertreiben. Mattathias,

Oberhaupt einer Priesterfamilie, führte gemeinsam mit seinen Söhnen, vor allem

mit Juda Makkabäus, über mehrere Jahre einen Aufstand gegen das Regime.

Die Makkabäer gewannen, obwohl sie zahlenmäßig weit unterlegen waren, und

konnten den Tempel wieder in Besitz nehmen. Die Invasoren hatten nahezu

alles zerstört. Lediglich ein Krug mit geweihtem Öl war noch da, der nur noch

ausgereicht hätte, um den Leuchter einen Tag lang brennen zu lassen. Wie

durch ein Wunder reichte dieser kleine Rest Öl acht Tage lang. Zur Erinnerung

daran wird während des Chanukka-Festes an jeden Abend ein weiteres Licht

angezündet, sodass am achten Tag alle acht Flammen brennen.

Chuppa

Baldachin, unter dem jüdische Trauungen vollzogen werden.

Chuppa bedeutet „Dach über dem Kopf“, „Schutz“, „Abdeckung“, was darauf

verweist, dass mit der Hochzeit ein Haus gegründet wird. Für die Konstruktion

wird ein Stück weißer Stoff oder ein Tallit (Gebetsmantel) an vier Stangen

befestigt.

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Ewiges Licht (Ner Tamid)

Dient als Symbol zur Erinnerung an den siebenarmigen Leuchter im Tempel, der

immer Licht gespendet hat.

Es ist in einem Behälter untergebracht, der an der Decke hängend vor dem Aron

ha-Kodesch angebracht ist. Heute handelt es sich oft um ein elektrisch erzeugtes

Licht.

Kippa, Mehrzahl: Kippot

Für Männer erforderliche Kopfbedeckung.

Sie muss beim Gebet sowie beim Besuch von Gebetsorten und Friedhöfen

getragen werden. Viele orthodoxe Juden tragen sie auch im Alltag. Eine Kippa

signalisiert Gottesfurcht und Bescheidenheit vor Gott. Ihre Form und Farbe

können Auskunft über die religiöse Ausrichtung oder den Hintergrund des

Trägers geben.

Menora

Siebenarmiger Leuchter nach Vorbild des Leuchters im Zweiten Tempel.

Die Menora ist eines der wichtigsten religiösen Symbole des Judentums. Sie

gehörte bereits zum Inventar des Stiftszelt und des Ersten Tempels, mit dessen

Zerstörung 586 v.d.Z. sie gemeinsam mit der gesamten Inneneinrichtung

verloren ging. Mit der Errichtung des Zweiten Tempels 515 v.d.Z. wurde der

Leuchter ebenso wie andere Tempelgegenstände neu angefertigt. Als die

römischen Truppen 70 n.d.Z. Jerusalem erreichten, zerstörten sie den Tempel

durch Brandstiftung, stahlen den Leuchter wie auch die anderen Tempelgeräte

und führten alles nach Rom. Die Beute wurde auf dem Triumphzug des Feldherrn

und späteren Kaiser Titus durch die Stadt präsentiert; ein Ereignis, das auf dem

Titusbogen in Rom als Relief dargestellt wurde.

Mikwe, Mehrzahl: Mikwaot

Rituelles Tauchbad.

Es dient im orthodoxen und konservativen Judentum zur rituellen Reinigung.

So ist ein Besuch für Frauen vor der Hochzeit, nach der Menstruation oder nach

einer Geburt vorgeschrieben, für Männer und für Frauen nach der Konversion

zum Judentum, hier auch in der liberalen Richtung. Dabei muss der gesamte

Körper, an dem sich nichts Fremdes befinden darf, vollständig eingetaucht

werden.



Eine Mikwe hat sieben Stufen, verwendet werden darf nur „lebendiges Wasser“,

häufig handelt es sich heute um Regenwasser. Während Mikwaot ursprünglich

zu jeder Gemeinde gehörten und sich zum Beispiel ebenso in Privathäusern

befinden konnten, sind sie heute weitaus seltener Bestandteil von Synagogenund

Gemeindezentren.

Abbildungsverzeichnis

Minjan

Quorum von zehn oder mehr religions-mündigen Juden (gegebenenfalls

auch Jüdinnen), das notwendig ist, um bestimmte Gebete sagen und einen

vollständigen Gottesdienst abhalten zu können.

Im Reform- ebenso wie im konservativen Judentum werden auch Frauen zum

Minjan gezählt.

Parochet

Reich verzierter Vorhang, der den Thoraschrein verdeckt.

Rosch ha-Schana

Neujahrstag und Fest des Jahresbeginns.

Nach dem gregorianischen Kalender findet Rosch ha-Schana im September oder

Anfang Oktober statt. Es ist gleichzeitig der Beginn der Zehn Tage der Umkehr,

die mit Yom Kippur (Versöhnungstag) enden.

Alexandra Klei: Einleitung

Abb. 1: Modell der alten Synagoge Dortmund auf dem heutigen Platz der Alten

Synagoge, angefertigt von Dominik Olbrisch im Zuge des Seminars. Es stammt

aus: Bernd Kersting: Die Dortmunder Synagoge 1900-1938. Ein Modell zum

Nachbauen im Maßstab 1:100 mit ausführlichem Begleittext. Dortmund 1990.

Foto: Alexandra Klei.

Kai Guballa: Der zerrissene Faden. Synagogen in Deutschland 1800 bis 2017

Abb. 1: Außenansicht der um 1740 in Celle als Hinterhaus errichteten Synagoge.

2002. Foto: Katrin Keßler / Bet Tfila - Forschungsstelle, TU Braunschweig.

Abb. 2: Außenansicht der zwischen 1956/57 und 1961 rekonstruierten Synagoge

in Worms. 2012. Foto: Mirko Przystawik / Bet Tfila - Forschungsstelle, TU

Braunschweig.

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Abb. 3: Außenansicht der zwischen 1839 in Kassel eingeweihten Synagoge.

Architekt: Albrecht Rosengarten. Quelle: Hammer-Schenk, Harold: Synagogen

in Deutschland. Hamburg 1981, Abb. 84.

Abb. 4: Außenansicht der 1899 in Köln (Roonstraße) eingeweihten Synagoge.

Architekten: Emil Schreiterer und Bernhard Below. Quelle: Pracht, Elfi: Jüdisches

Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Teil I: Regierungsbezirk Köln. In: Beiträge zu

den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland 34 (1997), Heft 1, S. 242-291,

Abb. S. 296.

Abb. 5: Außenansicht der zwischen 1928 und 1930 errichteten Synagoge in

Plauen. Architekt: Fritz Landauer. Quelle: Hammer-Schenk, Harold: Synagogen

in Deutschland. Hamburg 1981, Abb. 493.

Abb. 6: Außenaufnahme der 1958 eingeweihten Synagoge in Düsseldorf.

Architekt: Hermann Zvi Guttmann. Mai 2016. Foto: Alexandra Klei.

Abb. 7: Außenansicht der Neuen Synagoge Dresden. Architekten: Wandel Hoefer

Lorch und Hirsch. Undatiert. Fotograf: Norbert Miguletz, Frankfurt. Copyright:

Wandel Lorch Architekten, Saarbrücken/ Frankfurt am Main.

Abb. 8: Außenansicht der Neuen Synagoge Bochum. Schmitz Architekten.

Undatiert. Foto: Thomas Riehle. Copyright: Schmitz Architekten, Köln.

Abb. 9: Außenansicht der Synagoge und Gemeindezentrum / „The Jewish

Cultural Centre” Duisburg. Architekt: Zvi Hecker. 2018. Foto: Anna-Lina Heimrath.

Dominik Olbrisch: Die Alte Synagoge in Dortmund

Abb. 1: Außenansicht der alten Synagoge. Foto: Eduard Fürstenau, Copyright:

Stadtarchiv Dortmund.

Abb. 2: Innenraum der alten Synagoge, grafische Darstellung. Copyright:

Stadtarchiv Dortmund.

Abb. 3: Außenansicht der alten Synagoge während ihres Abrisses zwischen

Oktober und Dezember 1938. Copyright: Stadtarchiv Dortmund.

Abb. 4: Erinnerungstafel aus dem Jahr 1966. Zustand 2018. Foto: Dominik

Olbrisch.

Abb. 5: Ansicht von der Straße auf den Gedenkstein von 1990. Zustand 2018.

Foto: Dominik Olbrisch.

Abb. 6: Ansicht vom Platz der Alten Synagoge auf den Gedenkstein von 1990.

Zustand 2018. Foto: Dominik Olbrisch.

Abb. 7: Platz der Alten Synagoge im Jahr 2018. Foto: Dominik Olbrisch.

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Judith Brinkmann: Wie erinnern? Die Alte Synagoge Hagen/Hohenlimburg als

Erinnerungsort

Abb. 1: Außenansicht der Alten Synagoge Hagen/Hohenlimburg. Copyright:

Michael Kaub/Stadt Hagen.

Abb. 2: Blick vom unteren Hang hinauf zur Alte Synagoge Hagen/Hohenlimburg.

Copyright: Michael Kaub/Stadt Hagen.

Abb. 3: Blick in die Ausstellung „Lebendiges Judentum“ in der Alten Synagoge

Hagen/Hohenlimburg. Copyright: Michael Kaub/Stadt Hagen.

Julia Sommerfeld: Geschichte der Alten Synagoge Essen

Abb. 1: Ansicht der Alten Synagoge. 1914. Copyright: Ruhr Museum Essen.

Abb. 2: Ansicht der Alten Synagoge. 2018. Foto: Julia Sommerfeld.

Abb. 3: Innenraum der ehemaligen Synagoge. 2018. Foto: Julia Sommerfeld.

Abb. 4: Ehemaliger Thoraschrein. 2018. Fotografin: Julia Sommerfeld.

Stella Giorgou: Die Kölner Synagoge in der Roonstraße

Abb. 1: Blick auf die Hauptfassade der Synagoge Roonstraße. 2018. Foto:

Stella Giorgou.

Abb. 2: Detail der Hauptfassade. 2018. Foto: Anna-Lina Heimrath.

Abb. 3: Blick auf die Gedenktafeln vor dem Synagogenraum. 2018. Foto:

Stella Giorgou.

Abb. 4: Innenraum der Synagoge, Blick in Richtung Thoraschrein. Foto:

Stella Giorgou.

Christina Krinke: Die Neue Synagoge in Düsseldorf

Abb. 1: Eingang in die Synagoge, Ansicht vom Paul-Spiegel-Platz. 2018. Foto:

Christina Krinke.

Abb. 2: Innenraum Synagoge, Fensterfläche an der Nordseite und Frauenempore.

2018. Foto: Christina Krinke.

Joana Maibach: Die Synagoge an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße in Dortmund

Abb. 1: Ansicht der Synagoge mit Gemeindezentrum von der Prinz-Friedrich-

Karl-Straße. 2018. Foto: Alexandra Klei.

Abb. 2: Ansicht des Gemeindezentrums mit Vestibül vom Garten. 2018. Foto:

Joana Maibach.

Abb. 3: Thoraschrein. 2018. Foto: Joana Maibach.



Abb. 4: Innenraum der Synagoge, Blick in Richtung Thoraschrein. 2018. Foto:

Joana Maibach.

Abb. 5: Innenraum der Synagoge, Wandgestaltung mit hebräischen Inschriften

neben dem Thoraschrein. 2018. Foto: Joana Maibach.

Abb. 6: Innenraum der Synagoge, Buntglasfenster. 2018. Foto: Joana Maibach.

Laura Krys: Die jüdische Gemeinde in Paderborn

Abb. 1: Blick in die Straße Am Busdorf, links befindet sich die alte Synagoge.

Um 1900. Copyright: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn, AK-Nr. 888.

Abb. 2: Das Mahnmal am Standort der alten Synagoge. Copyright: Stadt- und

Kreisarchiv Paderborn/ Peter Semler.

Abb. 3: Ansicht der neuen Synagoge von Norden. 2018. Foto: Alexandra Klei.

Abb. 4: Ansicht der neuen Synagoge von Süden. 2018. Foto: Anna-Lina Heimrath.

Abb. 5: Innenansicht des Synagogenraumes, Blick zum Thoraschrein. Foto:

Alexandra Klei.

Iliana Panagiotidou: Die Neue Synagoge mit Gemeindezentrum in Essen

Abb. 1: Außenansicht der Synagoge mit Eingangsbereich, Blick von der Ruhrallee.

2018. Foto: Katrin Pierchalla.

Abb. 2: Innenraum der Synagoge, Blick zum Thoraschrein. 2018. Foto: Katrin

Pierchalla.

Abb. 3: Garten im Inneren des Gemeindekomplexes, Blick zur Synagoge. 2018.

Foto: Katrin Pierchalla.

Abb. 4: Denkmal von Dieter Kerchner im Garten des Gemeindekomplexes. 2018.

Foto: Katrin Pierchalla.

Anna-Lina Heimrath: Synagoge und Gemeindezentrum Duisburg/ „The Jewish

Cultural Centre” von Zvi Hecker

Abb. 1: Ansicht des Komplexes vom Altstadtpark. 2018. Foto: Anna-Lina

Heimrath.

Abb. 2: Grundriss des Erdgeschosses. Copyright: Architekturbüro Zvi Hecker.

Abb. 3: Eingangssituation an der Springwall-Straße. 2018. Foto: Anna-Lina

Heimrath.

Abb. 4: Innenraum der Synagoge, Blick Richtung Thoraschrein. 2018. Foto:

Anna-Lina Heimrath.

Julia Murra: Die Siegesgeschichte einer Gemeinde: Die Synagoge Beit Tikwa in

Bielefeld

Abb. 1: Synagoge Beit Tikwa, Ansicht von der Detmolder Straße. 2018. Foto:

Julia Murra.

Tabea Schüler: Die Herforder Synagoge

Abb. 1: Synagoge und Gemeindehaus in Herford um 1910. Foto: Kommunalarchiv

Herford, Stadtarchiv Herford, Fotosammlung.

Abb. 2: Die zerstörte Synagoge um 1938. Foto: Kommunalarchiv Herford,

Stadtarchiv Herford, Sammlung Georg Heese.

Abb. 3: Links: Neubau der Synagoge, rechts: Gemeindehaus. Foto: Jürgen

Escher /Jüdische Gemeinde Herford.

Abb. 4: Erster Gottesdienst in der neugebauten Synagoge. Innenraum. Foto:

Jürgen Escher /Jüdische Gemeinde Herford.

Regina Meleusencova: Die neue Synagoge der Jüdischen Gemeinde Bochum-

Herne-Hattingen

Abb. 1: Ansicht der Synagoge von Osten. 2018. Fotografin: Regina Meleusencova.

Abb. 2: Vorplatz mit Treppenaufgang zur Eingangszone des Synagogenkomplexes.

2018. Foto: Regina Meleusencova.

Abb. 3: Blick auf den Bereich des Gemeindezentrums. Im Hintergrund der Kubus

der Synagoge. 2018. Foto: Regina Meleusencova.

Abb. 4: Kubus der Synagoge, Blick von Osten. 2018. Foto: Regina Meleusencova.

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werkraum bild und sinn e.V.

ISBN 978-3-00-064071-1

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