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Synagogen in Nordrhein-Westfalen

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Die hier veröffentlichten Texte gehen zurück auf Beiträge aus dem Seminar

Synagogen. Geschichte, Architektur und Erinnerung am Kunstgeschichtlichen

Institut der Ruhr-Universität Bochum im Wintersemester 2017/18. Die

Studierenden stellten im Rahmen von Exkursionen zu verschiedenen

Synagogenbauten in Nordrhein-Westfalen jeweils ein Gebäude vor. Dabei wurden

seine Architektur, Nutzungen und Geschichte ebenso erläutert wie Überlegungen

zu seiner Bedeutung und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum diskutiert und/oder

der Erinnerung an heute nicht mehr erhaltene Synagogenbauten nachgegangen.

Die folgende Zusammenstellung ist zwar eine regionale Auswahl, lässt aber die

Bandbreite von gestalterischen Lösungen dieser Bauaufgabe erkennen und zeigt

historische und politische Aspekte auf, die sich auf die Situation in den anderen

westdeutschen Bundesländern übertragen lassen.

Vorgestellt werden erstens Synagogenbauten des 19. Jahrhunderts, die im

November 1938 in der sogenannten Reichsprogromnacht geplündert und/oder

angezündet wurden. Einige wurden dabei zerstört und anschließend abgetragen

(wie die Alte Synagoge in Dortmund). Andere konnten aufgrund ihrer engen

Nachbarschaft zur umliegenden Bebauung nicht abgerissen werden. Sie blieben

erhalten und wurden in neue Nutzungen überführt (wie die Synagoge Hagen und

die Alte Synagoge in Essen). In einigen Fällen konnten die Gotteshäuser nach

1945 auch wieder als Synagogen genutzt werden (so die Synagoge Roonstraße in

Köln). Dabei thematisieren wir mit der Alten Synagoge in Dortmund Fragen nach

einer Sichtbarkeit von Erinnerung im städtischen Raum und mit dem heutigen

Erinnerungsort der Alten Synagoge in Hagen einen Aspekt der Geschichte vor

1933, der nach 1945 kaum noch Relevanz besitzt: das sogenannte Landjudentum,

das unter anderem im 19. Jahrhundert Synagogen in zahlreichen Dörfern und

Kleinstädten errichtete. Während die Juden/Jüdinnen von den Nationalsozialist/

innen vertrieben und vernichtet wurden und die Überlebenden in der Regel

nicht in ländliche Regionen zurückkehrten, sind ihre vormaligen Bauten heute

oft noch erhalten und werfen nach wie vor Fragen nach ihrem Erhaltungswert

und möglichen Umnutzungen auf.

Zum Zweiten besuchten wir Synagogen, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten

entstanden. Hier stellen wir Bauten von drei Architekten vor, die den

Synagogenbau dieser Zeit maßgeblich prägten: Hermann Zvi Guttmann (1917-

1977), der die Synagoge mit Gemeindezentrum in Düsseldorf plante, konnte

als jüdischer Architekt insgesamt sechs derartige Projekte in Westdeutschland

realisieren. Von Helmut Goldschmidt (1918-2005), der die Konzentrationslager

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Auschwitz und Buchenwald überlebte, ist der Umbau der bereits genannten

Synagoge in Köln ebenso einbezogen wie ein Neubau in Dortmund. Karl Gerle

(1903-1962) kann als dritter bedeutender Synagogenarchitekt dieser Zeit gelten.

Von seinen vier Projekten stellen wir den 1958 eingeweihten Bau in Paderborn

vor. Gerle repräsentiert als nichtjüdischer Architekt die überwiegende Mehrheit

der Entwerfer, die zwischen 1952 (erster Synagogenneubau nach 1945 in

Stuttgart von Ernst Guggenheimer) und 1989 Synagogen realisieren konnten.

Anders als Gerle widmeten sich die meisten von ihnen dieser Bauaufgabe nur

einmal, wie zum Beispiel Dieter Knoblauch und Heinz Heise. Sie setzten sich in

einem Mitte der 1950er Jahre ausgeschrieben Wettbewerb durch, um die Neue

Synagoge in Essen zu bauen, bevor sie anschließend in Berlin mit dem 1959

eingeweihten Jüdischen Gemeindezentrum in der Fasanenstraße eine ähnliche

Bauaufgabe umsetzten.

Schließlich thematisieren wir mit der Veröffentlichung die teilweise spektakulären

Neubauten, die nach 1990 in Deutschland entstanden: Solitäre, die aufgrund

ihrer Architektur Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. So handelt es sich

bei den Neubauten in Bochum und Duisburg um auffällige und gestalterisch

außergewöhnliche Projekte, die allerdings auch die Frage nach einer Aneignung

für die Gemeindemitglieder aufkommen lassen. Die neue Synagoge in Bielefeld

verweist daneben auf die Möglichkeit, nicht mehr benötigte Kirchenbauten

umzunutzen. Mit dem Neubau in Herford wird schließlich eine architektonische

Lösung präsentiert, die für eine vergleichsweise kleine Gemeinde gefunden

werden musste und dabei den historischen Standort des 1938 zerstörten

Baus besetzt. Insgesamt hat sich also eine selbstbewusste Architektursprache

durchgesetzt, die markante Bauten im städtischen Raum etablierte und den

Gemeinden zu einer neuen Präsenz verhalf. Diese steht allerdings gleichzeitig

in einem Widerspruch zu tatsächlichem jüdischen Leben, das weitgehend

unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfindet oder von dessen Sichtbarkeit – in

Form von Davidsternen oder Kippot – zuletzt wiederholt abgeraten wurde.

In der Zusammenschau machen die unterschiedlichen Beispiele übergeordnete

Aspekte deutlich, die jüdisches Leben in Deutschland kennzeichnen. So gehört es

heute häufig zum Raumprogramm dieser Komplexe, Nutzungen einzubeziehen,

die sich auch an eine nichtjüdische Öffentlichkeit richten. Besonders prominent

zeigt sich dies in der Synagoge/dem Gemeindezentrum in Bochum, wo ein

koscheres Restaurant integriert ist. Zudem wird sichtbar, dass

Sicherheitsvorkehrungen zum Standard gehören, die von Beginn an in die

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