Synagogen in Nordrhein-Westfalen
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Umbauten ungenutzter christlicher Gotteshäuser in eine städtebaulich und
finanziell pragmatische Richtung, so etwa in Cottbus, Bielefeld [ S. 149 ] oder
Speyer. Letztgenannte Stadt, ein Zentrum der Aschkenazim des Mittelalters, kann
als Paradebeispiel für die aktuelle Stellung des Judentums in der kollektiven,
deutschen Wahrnehmung angesehen werden. Das frühmittelalterliche Gelände
am Rande der Innenstadt mit den Überresten der Synagoge und der ältesten
Mikwe Europas ist vorbildlich renoviert und erforscht. Nur wenige Meter weiter
erinnert eine unscheinbare Plakette auf der Rückseite eines Neubaus neben
einem Parkplatz an die um 1900 errichtete und 1938 zerstörte große Synagoge.
Die aus einem Umbau der leerstehenden St. Guido-Kirche entstandene und 2011
eingeweihte Synagoge befindet sich zwar leicht erhöht über einem Altstadt-
Zubringer in Bahnhofsnähe, jedoch von diesem durch einen 100 Meter breiten
Grünstreifen getrennt und nur bei genauem Hinsehen als jüdisches Gotteshaus
erkennbar.
Die mit der Eröffnung des ersten Jüdischen Museums in Frankfurt 1988
eingeleitete „Musealisierung der Geschichte der Juden in Deutschland“
(Diner 2011, S. 119) findet ihren konkreten Ausdruck jedoch nicht nur in der
Konservierung und Exponierung historischen und gleichzeitigem Verstecktsein
aktuellen jüdischen Lebens, wie am Beispiel Speyers zu beobachten ist. Trotz
einer Vielzahl teils aufsehenerregender Neubauten stellt sich knapp 30 Jahre
nach der Wende erneut die Frage, ob das Judentum in Deutschland – bei einem
Bevölkerungsanteil von ca. 0,2 Prozent – bestehen bleiben wird. Wie bereits
erwähnt ist nur die Hälfte der Eingewanderten Mitglied einer Gemeinde (von
den hier Geborenen ganz zu schweigen), der Gottesdienst wird zu großen
Teilen von einer eher kleinen Gruppe besucht. Der zunehmende, offen gezeigte
Antisemitismus heutiger Prägung – neben dem stets vorhandenen latenten in
großen Kreisen der Bevölkerung – nötigt sehr viele Jüdinnen und Juden, ihre
Glaubenszugehörigkeit nicht mehr offen zu zeigen. So beschloss die Jüdische
Gemeinde Bochum 2017 gemeinschaftlich, in der Öffentlichkeit keine Kippot,
Davidstern-Anhänger oder ähnliche religiöse Zeichen zu tragen. Der auf
Youtube verbreitete Angriff auf einen (nichtjüdischen) Kippa-Träger in Berlin im
darauffolgenden Sommer scheint der Bochumer Gemeinde Recht zu geben. 2019
wurde das Thema erneut öffentlich diskutiert, nachdem der Antisemitismus-
Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, aus Gründen der Sicherheit
davon abgeraten hatte, „jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen“
(Berliner Morgenpost 2019). Demgegenüber steht ein immer noch wachsendes
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Interesse an jüdischer Musik, Literatur, Geschichte und Kultur. Alldies sind
gesamteuropäische Phänomene. Neben einer generellen Renationalisierung,
wovon der europaweite Erfolg rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien
zeugt, sei als Beispiel für eine dezidiert antisemitische Stimmungsmache die
Schließung der vom US-ungarischen Mäzen Georges Soros gegründeten Central
European University durch die nationalkonservative Regierung 2018 in Budapest
genannt. Vorbereitet wurde diese Maßnahme durch eine fast unverhohlen
antisemitisch motivierte Kampagne gegen Soros, der auch in anderen Ländern
als antisemitisches Feindbild benutzt wird.
Vor diesem Hintergrund scheint die Frage nach der Selbsteinschätzung des
modernen Judentums, welche Rolle es in Deutschland spielen könne, nahezu
naiv. Zwar gibt es in vielen Städten ein reges Sozial- und Gemeindeleben
und fordert etwa der konservative Historiker Michael Wolffsohn (*1947) die
Reanimierung eines deutsch-jüdischen Patriotismus. Der 2006 innerhalb
der Bundeswehr wiedergegründet „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“,
ursprünglich 1919 ins Leben gerufen, mag dafür ein Symbol sein. Andererseits
ist die Lebensrealität vieler junger Jüdinnen und Juden in Deutschland weniger
von einer nationalen Identität, sondern vor allem von ihrem internationalen
und mehrsprachigen, das heißt globalisierten Hintergrund geprägt. Die
Komplexität der (Familien-)Biografien der aus der ehemaligen UdSSR, anderen
osteuropäischen Staaten, aber auch Israel oder den USA seit Gründung der
Bundesrepublik eingewanderten Jüdinnen und Juden in Deutschland steht der
der nicht-jüdischen Migrationsgesellschaft in nichts nach.
Eine Gesellschaft besteht immer aus der Summe ihrer Teile. Diese Teile sind
in Deutschland – ich möchte sagen: zum Glück – von wachsender Vielfalt.
Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen oder (leider immer stärker) offen
bekämpfen: Die deutsche Gesellschaft ist eine multiethnische, multireligiöse,
multilinguale Einwanderungsgesellschaft. Daher steht nicht in den Sternen,
ob sich das Judentum in Deutschland wieder etablieren und als „normale“
Religion betrachtet werden kann, sondern hängt maßgeblich vom Umgang
der Gesellschaft, Politik und anderen Konfessionen mit den angesprochenen
Problemen ab. Eine Antwort, inwiefern das Judentum „zu Deutschland gehört“,
wird wohl erst in der nächsten Generation zu beantworten sein. Die Bedeutung
der Architektur, der Umgang mit ihr und die Reaktion auf sie sind für diese
Antwort maßgeblich. Aus einer wie auch immer gearteten Zukunft betrachtet,
bezeugen die teils visionär und mutig konzipierten, teils verschüchtert und