Synagogen in Nordrhein-Westfalen
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nicht nur in Deutschland, wir sind deutsch, weil es unsere Vorfahren waren,
sind in deutschen Orten geboren und wurzeln mit unserer ganzen Kraft und
unserem ganzen Gefühle im deutschen Volkskörper. Wie sehr Judenfeinde unser
Deutschtum auch leugnen mögen, es ist da, wir leben es jeden Tag, und keine
Macht der Welt wird unsere innere Verbundenheit mit dem deutschen Volke
zerreißen können.“ (Hermann Simon, zit. nach: Schlögel 2003, S. 338).
Diese fast wortgleichen Aussagen, die ein Jahrhundert der bürgerlichen
Gleichstellung umspannen, aber auch des unterschwelligen und offenen
Antisemitismus, der bis zur Entrechtung, Vertreibung und Ermordung führen
würde, machen das Dilemma deutlich, in dem sich die Jüdinnen und Juden
in Deutschland befanden: Die sogenannte deutsch-jüdische Symbiose fand
hauptsächlich aufseiten der Minderheit statt; das Verhältnis der Jüdinnen und
Juden zu ihrem Heimatland war und blieb eine „einseitige Liebe“ (Gershom
Scholem). Wenn im folgenden Text nun vom Synagogenbau in Deutschland
die Rede sein soll, betritt man doppelt heiklen Boden: In den Blick wird eine
Gebäudegattung genommen, die zu einer seit 2000 Jahren ansässigen
Minderheit gehört, welche die meiste Zeit exponiert und drangsaliert und deren
Verfolgung von den Deutschen bis zur physischen Vernichtung getriebenen
wurde. Daher kann es auch nicht verwundern, dass die Baugattung Synagoge
wie wohl keine andere in Europa direkt vom politisch-gesellschaftlichen Status
der Bauträger abhängt: Den ersten, als „Großscheunen“ getarnten Bauten des
Mittelalters folgten ab der ersten, schrittweisen – zumindest staatsrechtlichen
– Gleichstellung zu Beginn des 19. Jahrhunderts vereinzelt Großprojekte, bevor
in Zusammenhang mit Stadterweiterungen und wirtschaftlichem Aufschwung
der erste jüdische Bauboom einsetzte, der um 1900 seinen Höhepunkt erreichte.
Nach der Zerstörung des deutschen und des europäischen Judentums ab 1933/39
bis 1945 entwickelte sich zaghaft eine auf wenige Großstädte beschränkte
Gemeindetätigkeit in Deutschland. Der politische Umbruch in der ehemaligen
UdSSR 1990/91 bescherte dann den in Deutschland ansässigen Gemeinden
eine Verzehnfachung ihrer Mitgliederzahlen und das in Funk, Fernsehen und
Printmedien vielbeschworene neue Aufblühen jüdischen Lebens. An dieser Stelle
wird die Frage, auch und besonders in architektonischer Hinsicht, zum zweiten
Mal heikel: Kann und darf nach der Shoah an eine historisch kaum belegbare
Tradition des deutschen Synagogenbaus angeknüpft werden?
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II. Der Aufschwung: Synagogenbau in Deutschland bis 1933
Das eingangs angeführte Zitat Riessers zeigt nicht nur den Willen zu einem
verbindlichen Selbstverständnis „als Deutsche“ an, sondern betont im
Besonderen die doppelte Identität als deutsch und jüdisch. Der
Synagogenbau stand „im Vordergrund der politischen Bemühungen der
Emanzipationsbewegung“ (Hammer-Schenk 1981, S. 113) und kann daher als
symptomatisch für diese Prozesse gelten. Bis zur Gleichstellung 1813 – zumindest
in Preußen und den Rheinlanden – fand der Gottesdienst in Privathäusern oder
halböffentlichen, von außen nicht gekennzeichneten Bauten statt (Abb. 1; Abb.
2), sodass keine Tradition in der Bewältigung der Bauaufgabe vorhanden war. Es
wurde daher – analog zu Kleidung, Sprache und Lebensform – auf den Baustil
der christlichen Umgebung zurückgegriffen. Dabei wurde für über die Hälfte
der etwa 170 Synagogenneubauten, die bis etwa 1880, also der Hochzeit der
historistischen Architektur, errichtet wurden, zumindest für den Außenbau der
„romanische Stil“ gewählt. Gleichzeitig begann der von bunten Mosaiken,
Hufeisenbögen, kleinen Kuppeln und verschiedenfarbigen, horizontalen
Bänderungen gekennzeichnete „maurische Stil“ zunächst im Inneren der
Synagogen Anwendung zu finden, bevor sich – so etwa in Kassel 1836 (Abb.
3) – mit der Mischung verschiedener Tendenzen „eine eigene Bauform hatte
durchsetzen können, eine Bauform, die integrieren und nicht […] verstecken
oder […] absondern sollte“ (Hammer-Schenk 1981, S. 113).
Ein Zeichen für das gestiegene Selbstbewusstsein der Gemeinden – und,
verkürzt gesagt, als Reaktion auf den durch Heinrich von Treitschke initiierten
„Antisemitismusstreit“ ab 1879 – war im März 1893 die Gründung des Central-
Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Parallel zum rasanten
Wachsen der Städte, zum industriellen Aufschwung und den damit verbundenen
Verlagerungen der Oberschichts-Wohngegenden vom Stadtzentrum in die
Peripherie entstanden bis etwa 1900 die meisten Neubauten in Deutschland
in veränderter Form. Die in der wilhelminischen Bürokratie gewissermaßen
staatlich verordnete Monumentalität ermöglichte dabei die Überwindung der
Stiltreue, die in den vorhergehenden Jahrzehnten möglichst akribisch einer
jeweiligen Zeitschicht – Romanik, Gotik, Byzantinismus – abzuschauen gewesen
war.
Die Architekten bedienten sich fortan des gesamten Vokabulars der historisch
überlieferten Formen und kombinierten diese im „freien, eben reflektierten
Umgang“ (Ebd., S. 348). Dabei entstanden Bauten wie die Kölner Synagoge