Synagogen in Nordrhein-Westfalen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Synagogen in Nordrhein-Westfalen
Architektur und Erinnerung
Synagogen in Nordrhein-Westfalen
Architektur und Erinnerung
Synagogen in Nordrhein-Westfalen
Architektur und Erinnerung
Lektorat: Alexandra Klei, Annika Wienert
Gestaltung: Sebastian Sprenger
Herausgeber: werkraum bild und sinn e.V., Berlin 2019
werkraumbildundsinn.de
Diese Publikation wurde finanziell gefördert durch den Landesverband der Jüdischen
Gemeinden von Westfalen-Lippe, den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von
Nordrhein, die Synagogen-Gemeinde Köln sowie durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
werkraum bild und sinn e.V.
Außerdem unterstützten folgende Personen das Projekt mit einer Spende:
Alexandra Busch, Janine Fubel, Milan Gagnon, Cordula Gdaniec, Ruth Leiserowitz,
Carmen, Maike und Jascha Mügge, Ronny Noack, Dirk Paletta, Katrin Pierchalla,
Claudia Rinke, Denise Winter, Samira Yildirim sowie weitere Spender und Spenderinnen,
die ungenannt bleiben möchten.
ISBN 978-3-00-064071
Inhaltsverzeichnis
Annika Wienert: Vorwort
Alexandra Klei: Einleitung
Kai Guballa: Der zerrissene Faden. Synagogen in Deutschland 1800 bis 2017
04
07
13
Dortmund, Hagen, Essen, Köln: Synagogen vor 1933.
Geschichte und Erinnerung
Bochum, Duisburg, Bielefeld, Herford: Synagogen nach 1990.
Neue Sichtbarkeit
Dominik Olbrisch: Die Alte Synagoge in Dortmund
Judith Brinkmann: Wie erinnern? Die Alte Synagoge Hagen/Hohenlimburg als
Erinnerungsort
Julia Sommerfeld: Geschichte der Alten Synagoge Essen
Stella Giorgou: Die Kölner Synagoge in der Roonstraße
37
51
61
71
127
137
149
Regina Meleusencova: Die neue Synagoge der Jüdischen Gemeinde Bochum-
Herne-Hattingen
Anna-Lina Heimrath: Synagoge und Gemeindezentrum Duisburg/ „The Jewish
Cultural Centre“ von Zvi Hecker
Julia Murra: Die Siegesgeschichte einer Gemeinde: Die Synagoge Beit Tikwa in
Bielefeld
Düsseldorf, Dortmund, Paderborn, Essen: Synagogen nach
1945. Jüdisches Leben nach der Shoah
155
165
Tabea Schüler: Die Herforder Synagoge
Glossar
Christina Krinke: Die Neue Synagoge in Düsseldorf
85
169
Abbildungsverzeichnis
Joana Maibach: Die Synagoge an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße in Dortmund
95
Laura Krys: Die jüdische Gemeinde in Paderborn
105
Iliana Panagiotidou: Die Neue Synagoge mit Gemeindezentrum in Essen
115
Vorwort
Annika Wienert
Die vorliegende Publikation zu ausgewählten Synagogenbauten in Nordrhein-
Westfalen ist dem Engagement und der Ausdauer einiger Studierender des Fachs
Kunstgeschichte und ihrer Dozentin Alexandra Klei zu verdanken. Als Vorsitzende
des gemeinnützigen Kunstvereins werkraum bild und sinn e.V. freue ich mich, dass
wir dieses Buch gemeinsam realisieren konnten. Dies wäre nicht möglich gewesen
ohne die finanzielle Unterstützung der Landesverbände der jüdischen Gemeinden
in Nordrhein-Westfalen, denen wir zu großem Dank verpflichtet sind. Diese
Publikation wurde finanziell gefördert durch den Landesverband der Jüdischen
Gemeinden von Westfalen-Lippe, den Landesverband der Jüdischen Gemeinden
von Nordrhein, die Synagogen-Gemeinde Köln und die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Außerdem erhielten wir Spenden von einer Reihe von Menschen aus ganz
Deutschland. Für ihre Großzügigkeit sind wir überaus dankbar.
Die Projektinitiative werkraum bild und sinn besteht seit 2011 und nutzte
zwischen 2013 und 2015 einen eigenen Ausstellungsraum in Berlin-Kreuzberg.
Im März 2014 wurde werkraum bild und sinn als Verein zur Förderung von Kunst
und Kultur gegründet. Mittlerweile ohne festen Ort, widmen wir uns diesem
Ziel auch in Publikationen wie dem vorliegenden Sammelband. Den inhaltlichen
Schwerpunkt der Vereinstätigkeit bildeten von Anfang an Fragen von Gedächtnis,
Erinnerungspolitik und -zeichen historischer wie gegenwärtiger Ereignisse sowie
politische Konflikte in Deutschland, Europa und weltweit. Ein besonderes Anliegen
ist es dabei, Vergessenem, an den Rand Gedrängtem oder unsichtbar Gemachtem
den Raum für eine bildliche Erzählung zu geben.
Viele dieser Themen berühren die Geschichte der jüdischen Gemeinden und ihrer
Mitglieder in Deutschland. Synagogen und andere jüdische Gemeindebauten
stellten und stellen eine sichtbare, dauerhafte Präsenz des Judentums im
öffentlichen Raum deutscher Städte dar. Vor dem Hintergrund der Shoah und der
vorausgegangenen Entrechtung und Enteignung muss nach den Veränderung
dieser Präsenz und Sichtbarkeit gefragt werden, nach den Verschiebungen in der
Topografie der Stadt und nach dem neuen Beitrag zum Stadtbild. Für die Publikation
sind Studierende diesen Fragen anhand konkreter Bauten nachgegangen. Die
Texte konzentrieren sich daher auf die Objekte selbst, ihren stadträumlichen
04 05
Kontext, ihre Materialien und architektonische Formensprache, ihr Raum- und
Nutzungsprogramm sowie ihre Ausstattung.
Die Beschäftigung mit der Geschichte der Gemeinden zwischen 1933 und 1945 zeigte
auf, dass es noch viele unerforschte Aspekte der nationalsozialistischen Verfolgung
von Juden und Jüdinnen auf lokaler Ebene gibt, und dass einige zentrale Themen der
NS-Geschichte weiterhin diskutiert werden müssen. So besteht beispielsweise kein
Konsens darüber, ob die organisierte und inszenierte Zerstörung und Plünderung
von Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen und Privaträumen am 9./10.
November 1938 mit dem Quellenbegriff „Reichskristallnacht“ bezeichnet werden
soll, oder ob die Formulierung Reichspogromnacht bzw. Novemberpogrome
angemessen sind. Der letztgenannte Begriff trägt dem Umstand Rechnung, dass
es bereits am 7. November zu Übergriffen kam und die Ausschreitungen noch
einige Tage anhielten. Jedoch verunklart die Benennung als Pogrom die staatliche
Organisation und Lenkung, somit den systemischen Charakter der Verbrechen.
Im Bewusstsein dieser Problematik haben wir es jeweils der Autorin oder dem
Autor überlassen, sich für eine Formulierung zu entscheiden.
Die hier versammelten Beiträge sind das vorläufige Ergebnis einer kunst-, kulturund
geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ich verwende hier das
Wort „vorläufig“ in der Hoffnung, dass diese Texte Anstoß geben könnten für
eine weitere Erforschung der Synagogen in Nordrhein-Westfalen. Diese ist bislang
ein Desideratum. Wie die Auflistung der verwendeten Literatur am Ende jedes
Beitrages zeigt, kann für eine Beschäftigung mit den Bauten bislang in erster
Linie auf allgemeine Überblickswerke, Berichte der Lokalpresse und verschiedene
nicht-wissenschaftliche Websites zurückgegriffen werden.
Die Frage nach der Fotografie, nach ihrem Potential für eine gesellschaftliche
Vermittlung, danach, welche Rolle sie in öffentlichen Diskussionen spielen
kann, tritt in der vorliegenden Publikation zurück. Trotzdem laden die Texte
und die (wenigen) beigefügten Abbildungen dazu ein, nachzudenken über die
wechselseitige Bedingtheit von Abbilden und Erzählen, Sehen und Wissen,
Imaginieren und Dokumentieren.
Abb. 1
Alexandra Klei
Synagogen in Nordrhein-Westfalen.
Geschichte, Erinnerung und Architektur.
Eine Einleitung
Synagogenbauten in Deutschland werden heute nicht allein als Orte jüdischer
Religionsausübung wahrgenommen, sondern immer auch vor dem Hintergrund,
dass sie auf die Zerstörung der Gemeinden und die Vertreibung und Ermordung
ihrer Mitglieder zwischen 1933 und 1945 sowie auf das Wiederentstehen
jüdischen Lebens nach der Shoah verweisen. Gleichzeitig verdeutlichen sie die
Möglichkeiten und Bedingungen, die den Gemeinden von einer nichtjüdischen
Gesellschaft und Politik zugestanden wurden und werden. Die Bedeutung dieser
Gebäude lässt sich daher nicht auf ihre Funktion als Sakralbau und/oder auf
gestalterische Aspekte ihrer Architektur beschränken. Vielmehr stellen sich
Fragen nach den Prozessen und Diskussionen im Zuge ihrer Herstellung, aber
auch nach der Umgebung, in der sie errichtet wurden, nach Sichtbar- ebenso wie
Unsichtbarkeiten im öffentlichen Raum, nach einem Umgang mit den erhaltenen
Bauten ebenso wie nach der Erinnerung an die zerstörten.
07
Die hier veröffentlichten Texte gehen zurück auf Beiträge aus dem Seminar
Synagogen. Geschichte, Architektur und Erinnerung am Kunstgeschichtlichen
Institut der Ruhr-Universität Bochum im Wintersemester 2017/18. Die
Studierenden stellten im Rahmen von Exkursionen zu verschiedenen
Synagogenbauten in Nordrhein-Westfalen jeweils ein Gebäude vor. Dabei wurden
seine Architektur, Nutzungen und Geschichte ebenso erläutert wie Überlegungen
zu seiner Bedeutung und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum diskutiert und/oder
der Erinnerung an heute nicht mehr erhaltene Synagogenbauten nachgegangen.
Die folgende Zusammenstellung ist zwar eine regionale Auswahl, lässt aber die
Bandbreite von gestalterischen Lösungen dieser Bauaufgabe erkennen und zeigt
historische und politische Aspekte auf, die sich auf die Situation in den anderen
westdeutschen Bundesländern übertragen lassen.
Vorgestellt werden erstens Synagogenbauten des 19. Jahrhunderts, die im
November 1938 in der sogenannten Reichsprogromnacht geplündert und/oder
angezündet wurden. Einige wurden dabei zerstört und anschließend abgetragen
(wie die Alte Synagoge in Dortmund). Andere konnten aufgrund ihrer engen
Nachbarschaft zur umliegenden Bebauung nicht abgerissen werden. Sie blieben
erhalten und wurden in neue Nutzungen überführt (wie die Synagoge Hagen und
die Alte Synagoge in Essen). In einigen Fällen konnten die Gotteshäuser nach
1945 auch wieder als Synagogen genutzt werden (so die Synagoge Roonstraße in
Köln). Dabei thematisieren wir mit der Alten Synagoge in Dortmund Fragen nach
einer Sichtbarkeit von Erinnerung im städtischen Raum und mit dem heutigen
Erinnerungsort der Alten Synagoge in Hagen einen Aspekt der Geschichte vor
1933, der nach 1945 kaum noch Relevanz besitzt: das sogenannte Landjudentum,
das unter anderem im 19. Jahrhundert Synagogen in zahlreichen Dörfern und
Kleinstädten errichtete. Während die Juden/Jüdinnen von den Nationalsozialist/
innen vertrieben und vernichtet wurden und die Überlebenden in der Regel
nicht in ländliche Regionen zurückkehrten, sind ihre vormaligen Bauten heute
oft noch erhalten und werfen nach wie vor Fragen nach ihrem Erhaltungswert
und möglichen Umnutzungen auf.
Zum Zweiten besuchten wir Synagogen, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten
entstanden. Hier stellen wir Bauten von drei Architekten vor, die den
Synagogenbau dieser Zeit maßgeblich prägten: Hermann Zvi Guttmann (1917-
1977), der die Synagoge mit Gemeindezentrum in Düsseldorf plante, konnte
als jüdischer Architekt insgesamt sechs derartige Projekte in Westdeutschland
realisieren. Von Helmut Goldschmidt (1918-2005), der die Konzentrationslager
08 09
Auschwitz und Buchenwald überlebte, ist der Umbau der bereits genannten
Synagoge in Köln ebenso einbezogen wie ein Neubau in Dortmund. Karl Gerle
(1903-1962) kann als dritter bedeutender Synagogenarchitekt dieser Zeit gelten.
Von seinen vier Projekten stellen wir den 1958 eingeweihten Bau in Paderborn
vor. Gerle repräsentiert als nichtjüdischer Architekt die überwiegende Mehrheit
der Entwerfer, die zwischen 1952 (erster Synagogenneubau nach 1945 in
Stuttgart von Ernst Guggenheimer) und 1989 Synagogen realisieren konnten.
Anders als Gerle widmeten sich die meisten von ihnen dieser Bauaufgabe nur
einmal, wie zum Beispiel Dieter Knoblauch und Heinz Heise. Sie setzten sich in
einem Mitte der 1950er Jahre ausgeschrieben Wettbewerb durch, um die Neue
Synagoge in Essen zu bauen, bevor sie anschließend in Berlin mit dem 1959
eingeweihten Jüdischen Gemeindezentrum in der Fasanenstraße eine ähnliche
Bauaufgabe umsetzten.
Schließlich thematisieren wir mit der Veröffentlichung die teilweise spektakulären
Neubauten, die nach 1990 in Deutschland entstanden: Solitäre, die aufgrund
ihrer Architektur Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. So handelt es sich
bei den Neubauten in Bochum und Duisburg um auffällige und gestalterisch
außergewöhnliche Projekte, die allerdings auch die Frage nach einer Aneignung
für die Gemeindemitglieder aufkommen lassen. Die neue Synagoge in Bielefeld
verweist daneben auf die Möglichkeit, nicht mehr benötigte Kirchenbauten
umzunutzen. Mit dem Neubau in Herford wird schließlich eine architektonische
Lösung präsentiert, die für eine vergleichsweise kleine Gemeinde gefunden
werden musste und dabei den historischen Standort des 1938 zerstörten
Baus besetzt. Insgesamt hat sich also eine selbstbewusste Architektursprache
durchgesetzt, die markante Bauten im städtischen Raum etablierte und den
Gemeinden zu einer neuen Präsenz verhalf. Diese steht allerdings gleichzeitig
in einem Widerspruch zu tatsächlichem jüdischen Leben, das weitgehend
unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfindet oder von dessen Sichtbarkeit – in
Form von Davidsternen oder Kippot – zuletzt wiederholt abgeraten wurde.
In der Zusammenschau machen die unterschiedlichen Beispiele übergeordnete
Aspekte deutlich, die jüdisches Leben in Deutschland kennzeichnen. So gehört es
heute häufig zum Raumprogramm dieser Komplexe, Nutzungen einzubeziehen,
die sich auch an eine nichtjüdische Öffentlichkeit richten. Besonders prominent
zeigt sich dies in der Synagoge/dem Gemeindezentrum in Bochum, wo ein
koscheres Restaurant integriert ist. Zudem wird sichtbar, dass
Sicherheitsvorkehrungen zum Standard gehören, die von Beginn an in die
Planungen einbezogen und damit zum integralen Bestandteil der Neubauten
werden müssen. Entwurf und Nutzung müssen also zwischen den gegensätzlichen
Bedürfnissen nach (erwünschter) Öffnung und (notwendiger) Abgrenzung und
Absicherung einen Ausgleich finden.
Die seit den 1950er Jahren genutzten Synagogen lassen außerdem erkennen,
dass sich jüdisches Leben in Deutschland nach der Shoah auf einen Punkt im
städtischen Raum beschränkt. War es vor 1933 in den deutschen Großstädten
üblich, dass sich die Vielfalt des Judentums nicht zuletzt darin zeigte, dass es
zahlreiche Vereinigungen, Initiativen, Stiftungen sowie verschiedene religiöse
Ausrichtungen gab, die jeweils eigene Bauten oft in verschiedenen Vierteln
errichteten, mussten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges alle Funktionen
und Ansprüche in einem Komplex konzentriert werden. Den Gemeindezentren
mit ihren sozialen Einrichtungen kam daher eine ausgesprochen hohe Bedeutung
für den Alltag der Juden/Jüdinnen zu.
Erst langsam wird eine Ausdifferenzierung wieder anhand einer Vielfalt jüdischer
Einrichtungen sichtbar. Jüdische Kindergärten und Schulen können sich
zunehmend etablieren, so zum Beispiel in Düsseldorf, wo 1993 die Yitzhak-Rabin-
Grundschule eröffnete. Ein weiteres prominentes Beispiel findet sich außerhalb
Nordrhein-Westfalens, in Hannover. Hier existiert neben der 1963 eingeweihten
Synagoge (Architekt Hermann Zvi Guttmann) für orthodoxe Gottesdienste seit
2009 ein Kultur- und Gemeindezentrum für eine liberale Gemeinde und seit 2013
in einer umgebauten ehemaligen Kirche ein Zentrum der jüdisch-bucharischen
Gemeinschaft. Gleichzeitig gibt es an anderen Orten kleinere Gemeinden, deren
Angehörige befürchten, dass sie aufgrund erneut sinkender Mitgliederzahlen
keine Zukunft haben werden.
Publikationsprojekt auf den Weg gebracht werden konnte. Zuletzt danken wir
dem Berliner werkraum bild und sinn e.V., der diese Publikation umsetzte und
den Vorstandsmitgliedern Sebastian Sprenger und Annika Wienert für ihre Arbeit
am Layout und Lektorat.
Wir sind den Mitarbeiter/innen der besuchten Gemeinden zu einem
ausgesprochen großen Dank verpflichtet. Sie haben sich nicht nur die Zeit
genommen, uns die Gebäude vorzustellen, sondern uns auch einen Einblick in
die Vielfalt und Komplexität jüdischen Lebens in Deutschland heute zu geben.
Ein ganz besonderer Dank gilt Petra Labahn, die das Geschäftszimmer des
Kunstgeschichtlichen Instituts der Ruhr-Universität Bochum leitet und ohne
deren gleichbleibend geduldige Unterstützung es nicht möglich gewesen wäre,
das ambitionierte Besichtigungsprogramm umzusetzen. Bei Alexander Sperling
vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe möchte
ich mich ganz außerordentlich für sein Engagement danken, durch das dieses
10 11
Kai Guballa
Der zerrissene Faden – Synagogen in
Deutschland 1800 bis 2017
13
I. Einführung
1831 schrieb der Hamburger Rechtsanwalt Gabriel Riesser, der später der erste
jüdische Richter in Deutschland werden sollte: „Aber wo ist denn der andere
Staat (neben dem deutschen), gegen den wir Pflichten zu erfüllen haben? Wo
ist das andere Vaterland, das uns zur Verteidigung ruft? Uns vorzuhalten, daß
unsere Väter vor Jahrhunderten oder vor Jahrtausenden eingewandert sind,
ist so unmenschlich als es unsinnig ist. Wir sind nicht eingewandert, wir sind
eingeboren, und weil wir es sind, haben wir keinen Anspruch anderswo auf eine
Heimat; wir sind entweder Deutsche oder wir sind heimatlos.“ („Verteidigung
der bürgerlichen Gleichstellung der Juden gegen die Einwürfe des Herrn Doktor
Paulus“, zit. nach: Hammer-Schenk 1981, S. 233).
1931 hieß es mit noch mehr Emphase, nur wenige Jahre vor der Vernichtung,
im Vorwort des in Berlin erscheinenden Jüdischen Adreßbuchs: „[...] Aber wie
wir gute Juden sind, sind wir auch ebenso gute Deutsche. Wir Juden leben
nicht nur in Deutschland, wir sind deutsch, weil es unsere Vorfahren waren,
sind in deutschen Orten geboren und wurzeln mit unserer ganzen Kraft und
unserem ganzen Gefühle im deutschen Volkskörper. Wie sehr Judenfeinde unser
Deutschtum auch leugnen mögen, es ist da, wir leben es jeden Tag, und keine
Macht der Welt wird unsere innere Verbundenheit mit dem deutschen Volke
zerreißen können.“ (Hermann Simon, zit. nach: Schlögel 2003, S. 338).
Diese fast wortgleichen Aussagen, die ein Jahrhundert der bürgerlichen
Gleichstellung umspannen, aber auch des unterschwelligen und offenen
Antisemitismus, der bis zur Entrechtung, Vertreibung und Ermordung führen
würde, machen das Dilemma deutlich, in dem sich die Jüdinnen und Juden
in Deutschland befanden: Die sogenannte deutsch-jüdische Symbiose fand
hauptsächlich aufseiten der Minderheit statt; das Verhältnis der Jüdinnen und
Juden zu ihrem Heimatland war und blieb eine „einseitige Liebe“ (Gershom
Scholem). Wenn im folgenden Text nun vom Synagogenbau in Deutschland
die Rede sein soll, betritt man doppelt heiklen Boden: In den Blick wird eine
Gebäudegattung genommen, die zu einer seit 2000 Jahren ansässigen
Minderheit gehört, welche die meiste Zeit exponiert und drangsaliert und deren
Verfolgung von den Deutschen bis zur physischen Vernichtung getriebenen
wurde. Daher kann es auch nicht verwundern, dass die Baugattung Synagoge
wie wohl keine andere in Europa direkt vom politisch-gesellschaftlichen Status
der Bauträger abhängt: Den ersten, als „Großscheunen“ getarnten Bauten des
Mittelalters folgten ab der ersten, schrittweisen – zumindest staatsrechtlichen
– Gleichstellung zu Beginn des 19. Jahrhunderts vereinzelt Großprojekte, bevor
in Zusammenhang mit Stadterweiterungen und wirtschaftlichem Aufschwung
der erste jüdische Bauboom einsetzte, der um 1900 seinen Höhepunkt erreichte.
Nach der Zerstörung des deutschen und des europäischen Judentums ab 1933/39
bis 1945 entwickelte sich zaghaft eine auf wenige Großstädte beschränkte
Gemeindetätigkeit in Deutschland. Der politische Umbruch in der ehemaligen
UdSSR 1990/91 bescherte dann den in Deutschland ansässigen Gemeinden
eine Verzehnfachung ihrer Mitgliederzahlen und das in Funk, Fernsehen und
Printmedien vielbeschworene neue Aufblühen jüdischen Lebens. An dieser Stelle
wird die Frage, auch und besonders in architektonischer Hinsicht, zum zweiten
Mal heikel: Kann und darf nach der Shoah an eine historisch kaum belegbare
Tradition des deutschen Synagogenbaus angeknüpft werden?
14 15
II. Der Aufschwung: Synagogenbau in Deutschland bis 1933
Das eingangs angeführte Zitat Riessers zeigt nicht nur den Willen zu einem
verbindlichen Selbstverständnis „als Deutsche“ an, sondern betont im
Besonderen die doppelte Identität als deutsch und jüdisch. Der
Synagogenbau stand „im Vordergrund der politischen Bemühungen der
Emanzipationsbewegung“ (Hammer-Schenk 1981, S. 113) und kann daher als
symptomatisch für diese Prozesse gelten. Bis zur Gleichstellung 1813 – zumindest
in Preußen und den Rheinlanden – fand der Gottesdienst in Privathäusern oder
halböffentlichen, von außen nicht gekennzeichneten Bauten statt (Abb. 1; Abb.
2), sodass keine Tradition in der Bewältigung der Bauaufgabe vorhanden war. Es
wurde daher – analog zu Kleidung, Sprache und Lebensform – auf den Baustil
der christlichen Umgebung zurückgegriffen. Dabei wurde für über die Hälfte
der etwa 170 Synagogenneubauten, die bis etwa 1880, also der Hochzeit der
historistischen Architektur, errichtet wurden, zumindest für den Außenbau der
„romanische Stil“ gewählt. Gleichzeitig begann der von bunten Mosaiken,
Hufeisenbögen, kleinen Kuppeln und verschiedenfarbigen, horizontalen
Bänderungen gekennzeichnete „maurische Stil“ zunächst im Inneren der
Synagogen Anwendung zu finden, bevor sich – so etwa in Kassel 1836 (Abb.
3) – mit der Mischung verschiedener Tendenzen „eine eigene Bauform hatte
durchsetzen können, eine Bauform, die integrieren und nicht […] verstecken
oder […] absondern sollte“ (Hammer-Schenk 1981, S. 113).
Ein Zeichen für das gestiegene Selbstbewusstsein der Gemeinden – und,
verkürzt gesagt, als Reaktion auf den durch Heinrich von Treitschke initiierten
„Antisemitismusstreit“ ab 1879 – war im März 1893 die Gründung des Central-
Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Parallel zum rasanten
Wachsen der Städte, zum industriellen Aufschwung und den damit verbundenen
Verlagerungen der Oberschichts-Wohngegenden vom Stadtzentrum in die
Peripherie entstanden bis etwa 1900 die meisten Neubauten in Deutschland
in veränderter Form. Die in der wilhelminischen Bürokratie gewissermaßen
staatlich verordnete Monumentalität ermöglichte dabei die Überwindung der
Stiltreue, die in den vorhergehenden Jahrzehnten möglichst akribisch einer
jeweiligen Zeitschicht – Romanik, Gotik, Byzantinismus – abzuschauen gewesen
war.
Die Architekten bedienten sich fortan des gesamten Vokabulars der historisch
überlieferten Formen und kombinierten diese im „freien, eben reflektierten
Umgang“ (Ebd., S. 348). Dabei entstanden Bauten wie die Kölner Synagoge
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
19
(1895 eingeweiht, Abb. 4) [ S. 71 ] anhand romanisierender Bauform auf
modifiziertem Grundriss – ein „Derivat protestantischen Kirchenbaus“ (Ebd.) mit
eigenständigen Merkmalen wie Kuppel und ornamentalem Davidstern. Eklektisch
erweitert wurde das Formenrepertoire dabei durch Übernahme damals in den USA
beliebter, neoromanischer Formen des sogenannten Richardsonian Romanesque
Style. Besonders in den liberalen bis ultraprogressiven Reformgemeinden
wurde die größtmögliche Nähe zum protestantischen – also staatstragenden
– Gottesdienst nicht nur ersehnt, sondern auch praktiziert. Viktor Klemperer
erinnerte sich folgendermaßen an seine Jugend:
„Der Gottesdienst findet bis auf wenige Worte in deutscher Sprache, er findet am
Sonntag, nicht am Sonnabend statt, die Gebete sind alle deutsch, die Orgel spielt
zum deutschen Chorgesang. Die Betenden sitzen ohne Kopfbedeckung, Männer
und Frauen beisammen. Der Knabe wird nicht mit dreizehn Jahren unter die
Männer der Gemeinde aufgenommen, sondern Mädchen und Knaben werden
als Fünfzehn-, Sechzehnjährige gemeinsam am Ostersonntag eingesegnet. Das
Fahr- und Schreibverbot der Sabbatheiligung und alle Speisegesetze fallen fort.
In nichts, wirklich gar nichts will man von deutscher Sitte abweichen.“ (zit. nach
Mertens 2006, S. 15).
Der Anpassung an „deutsche Sitte“ und dem Fortschrittsglauben des
wilhelminischen Zeitalters entsprechend, fand ab 1900 auch im Synagogenbau
eine allgemeine Reduktion der Formen unter dem „Banner der Sachlichkeit“
statt (Hans Poelzig anlässlich der dritten deutschen Kunstgewerbe-Ausstellung
1906, die unter anderem eine Holzsynagoge vorstellte; zit. nach Hammer-
Schenk 1981, S. 448f.) Ein Beispiel dafür ist der Neubau einer Synagoge in
Plauen (Abb. 5). Exemplarisch für diese sich über den Ersten Weltkrieg mit
all seinen zerstörten Hoffnungen aufseiten der deutschen Jüdinnen und
Juden hinziehende Entwicklung kann auch die Alte Synagoge in Bochum
[ S. 127 ] betrachtet werden: 1863 eingeweiht, wurde sie 1896 erheblich
erweitert und mit „Ecktürmchen, Zinnenkränzen und weiteren Verziehrungen
(sic) und Ornamenten“ (Wilbertz 1988, S. 80) dem maurischen Stil zugeführt.
Diese äußeren Baumaßnahmen wurden 1925 wieder entfernt, der Bau
gewissermaßen „versachlicht“.
Die Hinwendung im Synagogenbau zu den „Tendenzen des Neuen Bauens“
kann über das sich zunehmend verdüsternde Klima nicht hinwegtäuschen, denn
„dieses Bemühen [nach Modernität auch im architektonischen Ausdruck] geht
völlig fehl, denn obwohl kirchliche Formen jetzt vermieden werden, fallen die
Abb. 4
Abb. 5
23
Bauten erneut auf, und in einer weitgehend konservativen Umwelt bleiben die
Juden Außenseiter“ (Hammer-Schenk 1981, S. 544). Trotz des Selbstbilds, trotz
bisweilen übertriebenem Patriotismus, trotz unzähliger öffentlicher Bekenntnisse
der deutschen Jüdinnen und Juden gewann der radikale, zunehmend rassistisch
argumentierende Antisemitismus in allen gesellschaftlichen Schichten des
Deutschen Reiches weiter Zuwachs. Dabei stand der angeblichen „Verjudung“
des Landes im Jahr 1925 ein Bevölkerungsanteil von nur 0,8 Prozent gegenüber,
etwa 680.000 Menschen. Dagegen lebten 1930 in Polen etwa 3.500.000
Menschen jüdischer Herkunft, von denen ab 1939 unter der deutschen Besatzung
über drei Millionen umgebracht wurden.
III. Fun letstn khurbn – Der deutsche NS-Staat vernichtet die
Jüdinnen und Juden Europas
Am 9. November 1938 – teilweise durch „private Initiative“ schon vorher –
zerstörten auf Anweisung der NS-Behörden ein pöbelnder SA-Mob sowie
willfährige Teile der jeweils ortsansässigen Bevölkerung reichsweit etwa 1.400
Synagogen nebst ca. 7.500 privaten und öffentlichen Bauten. Die Feuerwehr griff
in der Regel nur ein, wenn die Synagogen nicht isoliert standen, sondern in eine
Häuserzeile integriert waren und die gelegten Brände die anliegenden Gebäude
hätten beschädigen können. Die ausgebrannten und demolierten Ruinen
mussten in den folgenden Wochen und Monaten von den jüdischen Gemeinden
selbst und kostenpflichtig abgetragen werden. Etwa 30.000 Gemeindemitglieder
wurden verhaftet und misshandelt oder in Konzentrationslager verschleppt.
Für das bittere Ende des, wie gesehen, sich zum Großteil unbedingt als
Deutsche identifizierenden Judentums, „eine Geschichte großer Tragik und
großen Scheiterns“ (Waldmann 2010, S. 13), ein Beispiel: Von den 3.174
zwischen März 1942 und Februar 1943 aus Mainz Deportierten konnten im Juni
1945 auf Anweisung der amerikanischen Besatzung mit einem Bus unter der
Aufschrift „Goldenes Mainz“ nur 24 Menschen aus dem Ghetto Theresienstadt
in ihre Heimatstadt zurückgeholt werden. Der Großteil der Überlebenden, die
es in die besetzten West-Zonen Deutschlands verschlug, stammte nicht aus
den Gemeinden oder aus dem ehemaligen Reichsgebiet selbst. Davon gibt
die erste jüdische Zeitung der Nachkriegszeit, das 1947 in der amerikanischen
Zone erscheinende Magazin Fun letstn khurbn (dt. Von der letzten Katastrophe,
Fleckenstein 2011, S. 25), ein beredtes Zeugnis. Dabei kündigte es in seinem fast
minimalistischen Titel zweierlei an: Das jüdische Publikum der Nachkriegszeit
sprach Jiddisch, und die Shoah bedeutet für diejenigen, die überlebt hatten, den
letzten Churban: die zwar mit Abstand verheerendste, aber doch in einer Reihe
mit anderen Vertreibungen, Pogromen und Deportationen stehende Zerstörung.
IV. Nach der Shoah, vor dem Nichts, bis zur Wende –
Synagogenbau in Deutschland 1945 bis 1991
Im Sommer 1945 stand zunächst und vor allem der überlebende Rest der vom
NS-Staat Verfolgten buchstäblich vor dem Nichts. Die jüdischen Gemeinschaften,
Friedhöfe, Synagogen, Städte, ja ganze Landschaften waren zerstört; Eltern,
Kinder, Verwandte geflohen, verschollen und größtenteils ermordet. So
konstatierte der Rabbiner Leo Baeck nach seiner Befreiung aus Theresienstadt
angesichts des erst langsam bekanntwerdenden Ausmaßes der Shoah, dass „die
Epoche der Juden in Deutschland für allemal vorbei“ wäre (zit. nach Mertens 2006,
S. 38f.). Neben denen, die im Untergrund überlebt hatten – allein in Berlin etwa
5.000 Menschen – strömten aus den befreiten Konzentrations- und Arbeitslagern
ehemalige Gefangene, vornehmlich aus allen Ländern Osteuropas, in die alliiertbesetzten
Zonen Süd- und Westdeutschlands. So lebten zum Beispiel Anfang
1946 in der amerikanischen Zone 40.000 jüdische Displaced Persons (DP), ihre
Zahl wuchs bis Dezember nach verschiedenen Einwanderungswellen, bei denen
Überlebende aus Ungarn, der ČTschechoslowakei oder Rumänien kamen, auf
über 145.000 Personen an (Fleckenstein u.a. 2011, S. 14). Deutschland bildete
für sie nur einen unwillkommenen, zwangsweisen Zwischenaufenthalt vor der
Auswanderung vornehmlich in die USA, nach Australien und, ab 1948, nach
Israel.
Sharit ha-Platah – „der gerettete Rest“ nannten sich die Überlebenden nach
der ersten gedruckten Namensliste der Befreiten des US-Armeerabbiners
Abraham Klausner. Diejenigen von ihnen, die in Deutschland bleiben wollten,
wurden zunehmend kritisch beurteilt. So schrieb 1946 der jüdische Publizist und
Journalist Robert Weltsch (1891-1982), es sei nicht hinnehmbar, „daß es Juden
gibt, die sich nach Deutschland hingezogen fühlen. Hier riecht es nach Leichen,
nach Gaskammern und nach Folterzellen. […] Dieser Rest jüdischer Siedlung
soll so schnell wie möglich liquidiert werden (sic!). Deutschland ist kein Boden
für Juden.“ (zit. nach: Maor 1961, S. 12).
Von den meist hölzernen und temporär eingerichteten Beträumen und jüdischen
Zentren der DP-Lager gibt es heutzutage so gut wie keine Spur mehr. Die
Auswanderungswünsche der meisten in Deutschland gestrandeten Jüdinnen
24 25
und Juden erfüllten sich spätestens Ende der 1940er Jahre. Die im Lande
Gebliebenen fühlten sich „magisch angezogen“ (Brenner 2010, S. 67) von
den westalliiert besetzten Metropolen mit ehemals größeren Gemeinden: von
München, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg. Hauptsächlich hier entstanden in
den Jahrzehnten nach 1945 neue Synagogen- und Gemeindebauten, so von
Hermann Zvi Guttmann Guttmann (1917-1977) in Düsseldorf [ S. 85 ] (1958
eingeweiht, Abb. 6) und Offenbach bei Frankfurt/Main (1956 eingeweiht). Die
neuen Zentren unterschieden sich fundamental von den jüdischen Institutionen
der Vorkriegszeit. Waren diese vor 1933/38 mit diversen Einrichtungen wie
Sportvereinen, Krankenhäusern, Jugendclubs, Beträumen und anderen über die
jeweiligen Stadtgebiete verteilt gewesen und hatten meist eine repräsentative
Synagoge in relativ zentraler Lage besessen, befand – und befinden sich –
die ab den 1950er Jahren errichteten jüdischen Einrichtungen konzentriert
in einem meist von der Innenstadt abgelegenen Bereich. Oft sind sie dabei
von außen kaum in ihrer jüdischen Nutzung erkennbar und beherbergen in
der hermetischen Abriegelung diverse Institutionen an einem Ort: Betraum,
Gemeindezentrum, Mikwe, zumindest eine Wohnung für den Rabbiner sowie in
direkter Nachkriegszeit in einigen Fällen noch ein Altersheim für die gebrechlichen
Überlebenden. Seit der Zuwanderung der 1990er Jahre (siehe unten) schließen
sich nun oftmals Kindergärten und/oder Schulen an den Gebäudekomplex an.
Die im Land Gebliebenen saßen auf den sprichwörtlich gewordenen gepackten
Koffern, waren also tatsächlich oder zumindest vom Selbstverständnis her in
ständiger Bereitschaft zur Auswanderung. Diese „paradoxe Ideologie des
Übergangs in Permanenz“ (Waldmann 2010, S. 15) wurde insbesondere von
der nächstgeborenen Generation nach 1968 in Frage gestellt. Ein großer Teil
der Nach-Shoah-Kinder wanderte tatsächlich aus, im Zuge der Verbreitung
sozialistischer Ideale ab den 1960er Jahren in Westdeutschland besonders nach
Israel. Ein anderer Teil der sogenannten Zweiten Generation fand sich dabei
jedoch mit dem postzionistischen Programm ab, „dass Israel nicht für alle Juden,
die in der Diaspora leben, die Lösung ihrer Existenz sein kann“ (Ebd.). Hauptziele
waren und sind dabei die klassischen Einwanderungsländer: Großbritannien,
Frankreich, die USA und Kanada, also Staaten, in denen große jüdische Gemeinden
existieren, die Fortführung der Glaubenspraxis folglich ohne Probleme möglich
ist. So schrumpften die Gemeinden bis zum politischen Zusammenbruch 1990
in Osteuropa durch Überalterung, Austritte und Emigration auf etwa 30.000
Mitglieder in West- und nur 300 in Ostdeutschland.
Abb. 6
27
V. Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion – Ausblick
auf ein „Deutsches Judentum“
Nach dem Beginn der Perestroika 1985 in der UdSSR unter Michail Gorbatschow
wurden die Auswanderungsbedingungen für die sowjetischen Jüdinnen und
Juden zunehmend gelockert. Nach den politischen Um- und Zusammenbrüchen
im gesamten ehemaligen Ostblock wanderten seit 1990 etwa 250.000 Menschen
jüdischer Abstammung zunächst in die BRD, später ins wiedervereinigte
Gesamtdeutschland ein. Eine Stimme aus der Ukraine bringt die Motivation
dieser Gruppe Auswanderer/innen auf den Punkt: „Weil wir nicht in die USA
können und nicht nach Israel wollen, gehen wir nach Deutschland“ (zit. nach
Mertens 2006. S. 86). Etwa die Hälfte der Migrant/innen schloss sich einer
jüdischen Gemeinde in dem jeweils neuen Wohnort an. Dadurch veränderten
sie diese völlig. Die zumeist russischsprachigen neuen Mitglieder machten
nun mindestens 80 Prozent, in manchen Gemeinden (so etwa in Bochum)
über 95 Prozent aus. Die Anforderungen an die neuen Mitglieder, aber auch
an die Gemeinden, waren und sind enorm. So wurde teilweise vonseiten der
Alteingesessenen der Vorwurf erhoben, nur aus materiellen Gründen nach
Deutschland gekommen zu sein. In erster Linie aber stehen die Zugewanderten
vor sprachlichen und sozialen Problemen. Während sie in ihren Herkunftsländern
oft dem intellektuellen und gehobenen Mittelstand angehörten, waren sie in
Deutschland zumeist Sozialhilfeempfänger, so Anfang der 2000er Jahre noch zu
85 Prozent (Mertens 2006, S. 87).
Aus einem erhöhten logistischen und interkulturellen Aufwand für die Gemeinden
resultierte auch ein baulicher: Neue, größere Gemeindezentren und Synagogen
waren (und sind) vonnöten. Seit dem Ende der 1990er Jahre, besonders aber seit
etwa 2000 ist daher eine starke Zunahme von neu errichteten jüdischen Kult- und
Gemeindebauten zu beobachten. 2010 konnten allein 30 jüngst eröffnete oder
sich in Planung befindliche Gebäude in einem Sammelband vorgestellt werden
(Stiftung Baukultur 2010). Bei den Neubauten der letzten zwei Jahrzehnte
lassen sich drei Haupttendenzen feststellen. Zum einen wurden Betraum sowie
Gemeindezentrum als unterschiedlich gestaltete, blockhafte Kuben mit dezenter
Ornamentik in Beziehung zueinander gesetzt oder direkt ineinander gebaut, wie
in Dresden (Abb. 7) oder Bochum [ S. 127 ] (Abb. 8). Eine zweite Tendenz
geht zu expressiven Baukörpern, die einer jüdischen Symbolik verhaftet sind, zu
finden zum Beispiel mit dem Verweis auf die fünf Bücher Mose in der Synagoge
Duisburg oder auf den Schofar in der Synagoge in Mainz. Zum dritten zielten
Abb. 7
Abb. 8
Umbauten ungenutzter christlicher Gotteshäuser in eine städtebaulich und
finanziell pragmatische Richtung, so etwa in Cottbus, Bielefeld [ S. 149 ] oder
Speyer. Letztgenannte Stadt, ein Zentrum der Aschkenazim des Mittelalters, kann
als Paradebeispiel für die aktuelle Stellung des Judentums in der kollektiven,
deutschen Wahrnehmung angesehen werden. Das frühmittelalterliche Gelände
am Rande der Innenstadt mit den Überresten der Synagoge und der ältesten
Mikwe Europas ist vorbildlich renoviert und erforscht. Nur wenige Meter weiter
erinnert eine unscheinbare Plakette auf der Rückseite eines Neubaus neben
einem Parkplatz an die um 1900 errichtete und 1938 zerstörte große Synagoge.
Die aus einem Umbau der leerstehenden St. Guido-Kirche entstandene und 2011
eingeweihte Synagoge befindet sich zwar leicht erhöht über einem Altstadt-
Zubringer in Bahnhofsnähe, jedoch von diesem durch einen 100 Meter breiten
Grünstreifen getrennt und nur bei genauem Hinsehen als jüdisches Gotteshaus
erkennbar.
Die mit der Eröffnung des ersten Jüdischen Museums in Frankfurt 1988
eingeleitete „Musealisierung der Geschichte der Juden in Deutschland“
(Diner 2011, S. 119) findet ihren konkreten Ausdruck jedoch nicht nur in der
Konservierung und Exponierung historischen und gleichzeitigem Verstecktsein
aktuellen jüdischen Lebens, wie am Beispiel Speyers zu beobachten ist. Trotz
einer Vielzahl teils aufsehenerregender Neubauten stellt sich knapp 30 Jahre
nach der Wende erneut die Frage, ob das Judentum in Deutschland – bei einem
Bevölkerungsanteil von ca. 0,2 Prozent – bestehen bleiben wird. Wie bereits
erwähnt ist nur die Hälfte der Eingewanderten Mitglied einer Gemeinde (von
den hier Geborenen ganz zu schweigen), der Gottesdienst wird zu großen
Teilen von einer eher kleinen Gruppe besucht. Der zunehmende, offen gezeigte
Antisemitismus heutiger Prägung – neben dem stets vorhandenen latenten in
großen Kreisen der Bevölkerung – nötigt sehr viele Jüdinnen und Juden, ihre
Glaubenszugehörigkeit nicht mehr offen zu zeigen. So beschloss die Jüdische
Gemeinde Bochum 2017 gemeinschaftlich, in der Öffentlichkeit keine Kippot,
Davidstern-Anhänger oder ähnliche religiöse Zeichen zu tragen. Der auf
Youtube verbreitete Angriff auf einen (nichtjüdischen) Kippa-Träger in Berlin im
darauffolgenden Sommer scheint der Bochumer Gemeinde Recht zu geben. 2019
wurde das Thema erneut öffentlich diskutiert, nachdem der Antisemitismus-
Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, aus Gründen der Sicherheit
davon abgeraten hatte, „jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen“
(Berliner Morgenpost 2019). Demgegenüber steht ein immer noch wachsendes
30 31
Interesse an jüdischer Musik, Literatur, Geschichte und Kultur. Alldies sind
gesamteuropäische Phänomene. Neben einer generellen Renationalisierung,
wovon der europaweite Erfolg rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien
zeugt, sei als Beispiel für eine dezidiert antisemitische Stimmungsmache die
Schließung der vom US-ungarischen Mäzen Georges Soros gegründeten Central
European University durch die nationalkonservative Regierung 2018 in Budapest
genannt. Vorbereitet wurde diese Maßnahme durch eine fast unverhohlen
antisemitisch motivierte Kampagne gegen Soros, der auch in anderen Ländern
als antisemitisches Feindbild benutzt wird.
Vor diesem Hintergrund scheint die Frage nach der Selbsteinschätzung des
modernen Judentums, welche Rolle es in Deutschland spielen könne, nahezu
naiv. Zwar gibt es in vielen Städten ein reges Sozial- und Gemeindeleben
und fordert etwa der konservative Historiker Michael Wolffsohn (*1947) die
Reanimierung eines deutsch-jüdischen Patriotismus. Der 2006 innerhalb
der Bundeswehr wiedergegründet „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“,
ursprünglich 1919 ins Leben gerufen, mag dafür ein Symbol sein. Andererseits
ist die Lebensrealität vieler junger Jüdinnen und Juden in Deutschland weniger
von einer nationalen Identität, sondern vor allem von ihrem internationalen
und mehrsprachigen, das heißt globalisierten Hintergrund geprägt. Die
Komplexität der (Familien-)Biografien der aus der ehemaligen UdSSR, anderen
osteuropäischen Staaten, aber auch Israel oder den USA seit Gründung der
Bundesrepublik eingewanderten Jüdinnen und Juden in Deutschland steht der
der nicht-jüdischen Migrationsgesellschaft in nichts nach.
Eine Gesellschaft besteht immer aus der Summe ihrer Teile. Diese Teile sind
in Deutschland – ich möchte sagen: zum Glück – von wachsender Vielfalt.
Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen oder (leider immer stärker) offen
bekämpfen: Die deutsche Gesellschaft ist eine multiethnische, multireligiöse,
multilinguale Einwanderungsgesellschaft. Daher steht nicht in den Sternen,
ob sich das Judentum in Deutschland wieder etablieren und als „normale“
Religion betrachtet werden kann, sondern hängt maßgeblich vom Umgang
der Gesellschaft, Politik und anderen Konfessionen mit den angesprochenen
Problemen ab. Eine Antwort, inwiefern das Judentum „zu Deutschland gehört“,
wird wohl erst in der nächsten Generation zu beantworten sein. Die Bedeutung
der Architektur, der Umgang mit ihr und die Reaktion auf sie sind für diese
Antwort maßgeblich. Aus einer wie auch immer gearteten Zukunft betrachtet,
bezeugen die teils visionär und mutig konzipierten, teils verschüchtert und
eklektisch zusammengewürfelt erscheinenden Synagogenbauten der letzten
70 Jahre vor Allem eines: dass auch nach der Shoah, nach den Katastrophen
und Verwerfungen des 20. Jahrhunderts jüdisches Leben in Deutschland nicht
nur möglich ist, sondern dass dieses jüdische Leben sich auch für alle sichtbar
entfalten will und einen mutigen Ausdruck finden kann.
Verwendete Literatur
Birkmann, Günter: Bedenke vor wem du stehst. 300 Synagogen und ihre Geschichte in
Westfalen und Lippe. Essen 1998.
Brenner, Michael: Ein amerikanischer Armeerabbiner unter den Displaced Persons. In:
Fleckenstein u.a. 2011, S. 66-69.
Brocke, Michael (Hg.): Feuer an dein Heiligtum gelegt. Zerstörte Synagogen 1938
Nordrhein-Westfalen. Bochum 1999.
Cohen-Mushlin, Aliza (Hg.): Synagogenarchitektur in Deutschland. Dokumentation zur
Ausstellung „... und ich wurde ihnen zu einem kleinen Heiligtum... – Synagogen in
Deutschland“. Petersberg 2008.
Diner, Dan: Erinnerungsort München (Rede zur Eröffnung des Jüdischen Museums
München am 22. März 2007). In: Fleckenstein u.a. 2011, S. 117-120.
Fleckenstein, Jutta u.a. (Hg.): Juden 45/90. Von da und dort – Überlebende aus Osteuropa
(Ausstellungskatalog Jüdisches Museum München 2011/12). Berlin 2011.
Gay, Peter: Freud, Juden und andere Deutsche. Herren und Opfer in der modernen
Kultur. Hamburg 1986.
Hammer-Schenk, Harold: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung
1780-1933. Berlin 1981.
Krinsky, Carol Herselle: Europas Synagogen. Architektur, Geschichte und Bedeutung.
Wiesbaden 1997.
Maor, Harry: Über den Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinden in Deutschland seit
1945. Mainz 1961.
Mertens, Lothar: Religion und Politik. Die wechselvolle 130jährige Geschichte der
jüdischen Gemeinde Adass Jisroel zu Berlin. Berlin 2006.
O.A.: „EKD-Ratsvorsitzender zur Kippa-Debatte: ‚Ich schäme mich‘“. In: Berliner
Morgenpost vom 26.05.2019. Online: https://www.morgenpost.de/politik/
article225188259/Michel-Friedman-kritisiert-Kippa-Warnung-als-Armutszeugnis.html
[17.06.2019].
Schoeps, Julius H. u.a. (Hg.): Russische Juden in Deutschland. Integration und
Selbstbehauptung in einem fremden Land. Weinheim 1996.
Schlör, Joachim: Das Ich der Stadt. Debatten über Judentum und Urbanität, 1822-1938.
Göttingen 2005.
32 33
Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik.
München/Wien 2003.
Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in
Deutschland. Regensburg 2010.
Waldmann, Peter: Die Geschichte der Juden nach 1945 in Rheinland-Pfalz. Rede
anlässlich der Ausstellungseröffnung in Mainz am 19. März 2009, in: Stiftung Baukultur
2010, S. 9-17.
Wilbertz, Gisela: Synagogen und jüdische Volksschulen in Bochum und Wattenscheid.
In: Stiftung Baukultur 2010, S. 80.
Dortmund, Hagen, Essen, Köln:
Synagogen vor 1933.
Geschichte und Erinnerung
Dominik Olbrisch
Die alte Synagoge in Dortmund
37
Mit dem industriellen Aufschwung im Ruhrgebiet des 19. Jahrhunderts ließen
sich immer mehr Juden und Jüdinnen auch in Dortmund nieder. In Folge dessen
war es nötig, einen Ort zu schaffen, an dem Gottesdienste und Feste abgehalten
werden konnten. In den 1890er Jahren war es der jüdischen Gemeinde möglich
mehrere Grundstücke am Hiltropwall zu erwerben, womit die Voraussetzungen
für den Bau eines eigenen Gotteshauses geschaffen wurden. Ein Architektur-
Wettbewerb 1895 sollte dazu dienen, ein Konzept für den Neubau zu entwickeln.
Zu den Grundbedingungen der Ausschreibung gehörten das Unterbringen
von insgesamt 1.270 Plätzen (750 für die Männer im Erdgeschoss, 450 für
die Frauen auf den Emporen und weitere 70 für einen Chor), Platz für eine
Orgel über dem Thoraschrein (Aron ha-Kodesch) und eine Ausrichtung des
Gebäudes nach Osten. Bezüglich der inneren und äußeren Formensprache
waren keine Einschränkungen gegeben. Sowohl der Stil als auch das Material
durften frei gewählt werden. Allerdings wurde im Ausschreibungstext auf die
benachbarte Oberpostdirektion verwiesen, welche 1895 mit Sandstein in einem
neogotischen Stil erbaut worden war und als Inspiration und Orientierung
genutzt werden konnte. Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Wettbewerbs
für den Synagogenneubau trat das Preisgericht zusammen, welches sowohl aus
Regierungs- und Bauräten als auch aus Vorstehern der Synagogengemeinde
bestand. Insgesamt waren 59 Entwürfe eingereicht worden, von denen elf in die
engere Auswahl kamen.
Der Architekt
Eduard Fürstenau hatte zwei Versionen eingereicht und gewann mit beiden den
ersten Preis, wobei der „Variante B“ genannte Entwurf bevorzugt wurde. Der
1862 in Marburg geborene Fürstenau absolvierte ab 1879 ein Architekturstudium
in Berlin. Dort war er mit den Debatten um die angemessene Verwendung
historischer Baustile im zeitgenössischen Baugeschehen konfrontiert und
konnte ihre Auswirkungen auf die Architektur unter den preußischen Monarchen
unmittelbar rezipieren. Sowohl national geprägte Bauelemente, als auch
traditionelle Formen des frühen 16. Jahrhunderts – die Zeit der Reformation und
des Humanismus – zeichneten in der Folge seine Bauten aus. Er bediente sich
aus einem umfangreichen historischen Formenrepertoire und schuf dadurch
eine neuartige Symbiose aus verschiedenen Stilen. Seine Herangehensweise
verstand er als eine Bewahrung von Tradition, weshalb er die zu Beginn des 20.
Jahrhunderts aufkommenden modernen Stile ablehnte und weiterhin historistisch
baute. Die Synagoge in Dortmund war sein erster sakraler Bau. Danach führte er
auch in Siegen (1903) und Bielefeld (1905) [ S. 149 ] Synagogen aus, für die
Dortmund oft als Vorbild gesehen wird. Fürstenau starb im Mai 1938, den Abriss
seiner Synagogen ab Oktober musste er nicht mehr miterleben.
Die Entwürfe
Die beiden von Fürstenau eingereichten Entwürfe waren, abgesehen von
einem Aspekt, sehr ähnlich. Er hatte sich in beiden Fällen für einen Zentralbau
entschieden, welcher die Form eines gestreckten Achtecks besaß. Plan A
entsprach in allen Punkten dem ausgeschriebenen Wettbewerbsregeln. Die klare
West-Ost Achse wurde eingehalten, wodurch eine mit der Straße abschließende
Front zum Hiltropwall nicht möglich war. Fürstenau hatte den Haupteingang
daher so konzipiert, dass man über eine diagonal angelegte Eingangsfront in das
Gebäude eintrat. Variante B war stärker auf die vorhandene städtische Struktur
38 39
ausgelegt und verzichtete auf die Ausrichtung nach Osten. Der Bau war in sich
klarer gestaltet und die Hauptfassade parallel zur Straße ausgerichtet. Durch
eine derartige Gebäudedisposition konnten auch die Aufteilung und Nutzung
der Räumlichkeiten begünstigt werden.
Zwar ist eine Ostung von Synagogenbauten üblich, jedoch handelt es sich nicht
um eine strikte Vorschrift, weshalb sich die Jury und die Gemeinde berieten, ob
auf diese Tradition verzichtet werden kann. Aufgrund der Praktikabilität bestanden
die Beteiligten nicht länger auf diese ursprüngliche Bedingung des Wettbewerbs
und entschieden sich für die Einfachheit und Klarheit des Bauwerks im zweiten
Entwurf. Im Vergleich zu den anderen eingereichten Beiträgen punktete Fürstenau
mit seiner Kombination aus idealer Nutzung des vorhandenen Raumes und der
Verwendung der bevorzugten Bauformen. Andere Vorschläge wurden entweder
auf Grund einer unpraktischen Darstellung innerhalb des Stadtgefüges, oder
wegen zu gegensätzlicher und auffälliger Bauformen abgelehnt.
Die Architektur
1898 wurde mit dem Bau der Synagoge begonnen. Auch während der Bauphase
nahm die jüdische Gemeinde Einfluss auf das Projekt und beteiligte sich an der
weiteren Entwicklung des Gebäudes, so konnten sowohl die Verkleidung der
Außenfassade mit rotem Sandstein als auch die Innenausstattung durch diese
Unterstützung aufgewertet werden. Nach einer relativ kurzen Bauzeit war das
neue Gotteshaus zwei Jahre später vollendet.
Das fertige Gebäude besaß eine Raumhöhe von ca. 22 Metern mit einer
Grundfläche von 28,5 Metern x 47,5 Metern (Abb. 1). Nach Änderungen des
ursprünglichen Entwurfs wurde statt des geplanten Oktogons ein Quadrat mit
abgerundeten Ecken als Grundriss gewählt. Zudem war die Synagoge entgegen
den ersten Planungen nun circa 13 Meter von der Straße zurück versetzt
worden. Dadurch entstand vor dem Haupteingang eine kleine Platzsituation, die
gleichzeitig zu einer Entrückung von der Straße und damit vom Alltagsleben
führte. Dem Hauptraum war ein rechteckiges Vestibül vorgelagert, das
Garderoben und Treppen aufnahm. Das Zentrum der Synagoge war mit einer
Kuppel, die sich über einen Tambour erstreckte, überdacht. Bekrönt wurde diese
Dachkonstruktion von einer Laterne mit Kugel und Davidstern.
Der Hauptraum war von zweigeschossigen Seitenschiffen flankiert, welche sich
durch Säulen zum Mittelschiff öffneten. Sowohl im Erdgeschoss als auch oberhalb
der Emporen war die Deckengestaltung mit einem Kreuzgewölbe versehen
Abb. 1
worden. Die Emporen waren mit reich ornamentierten Rundbogenfenstern
hinterfangen und boten Platz für die Frauen an. Die hohen Bögen, den die
Hängezwickel der Kuppelkonstruktion aufspannten, öffneten die Emporen weit
zum Hauptraum. Im Nordosten befand sich die Chorempore mit Orgel, vor der
im Erdgeschoss der Thoraschrein und die Bima positioniert waren (Abb. 2).
Fürstenau hatte einen atypischen Baustil für die Synagoge gewählt, was jedoch
bei der Jury positiv berücksichtigt wurde. Synagogen um 1900 waren oft in
einem an die Romanik angelehnten Stil gebaut worden, um eine Nähe zu
zeitgenössischen Kirchenbauten zu suggerieren. Die Dortmunder Synagoge wich
von dieser Tendenz ab und besaß stattdessen eine Mischform aus Elementen
der Spätgotik und deutscher Renaissancebauten, was als Anspielung auf die
wilhelminische Architektur Ende des 19. Jahrhunderts verstanden werden kann.
Durch die Anlehnung an den wilhelminischen Baustil demonstrierte die jüdische
Gemeinde ihre Verbundenheit zum Kaiserreich und integrierte sich gleichzeitig
in das allgemeine Stadtbild. Im Zusammenspiel mit der umgebenden Architektur
entstand der Neubau als ein gelungener harmonischer Gesamteindruck.
Sowohl die Oberpostdirektion, als auch die Synagoge und das 1904 errichtete
Stadttheater standen im direkten räumlichen und formalen Bezug zueinander
und prägten so um die Jahrhundertwende das Dortmunder Stadtbild an einem
zentralen Ort.
41
Die Zerstörung
Am 8. Juni 1900 konnte die Synagoge feierlich eingeweiht werden. Die
Wahrnehmung des Gebäudes war eminent. Es wurde als „Zierde der Stadt für
ewige Zeiten“ (Kerstin 1990, S. 13) betitelt. Postkarten und Artikel verdeutlichten
zudem die Zugehörigkeit und den Stolz, den dieses Gebäude bei einem Teil
der Bevölkerung auslöste. Doch mit dem NS-Regime änderte sich der Blick
auf das Gotteshaus. Wie auch in anderen Städten wurden zahlreiche Gründe
erdacht, um die Synagoge aus dem Stadtbild zu tilgen, beispielsweise der Bau
eines Luftschutzbunkers oder Parkplatzes. Des Weiteren war geplant, auf der
gegenüberliegenden Seite des Hiltropwall einen Parteibau zu errichten, weshalb
der damalige Leiter des Kreisverbandes der NSDAP Friedrich Hesseldick die
jüdische Gemeinde mit Einschüchterungsversuchen zu einem Verkauf zwingen
wollte.
Im Oktober wurden die Synagoge und das Grundstück für 170.000 Mark an die
Stadt Dortmund verkauft. Dieses Geld wurde der Gemeinde wieder genommen:
Abb. 2
Abb. 3
Aufgrund des Besitzes von „angeblich staatsfeindlichen Schriften“ (Ebd., S. 15)
wurde es anschließend beschlagnahmt. Bereits Mitte Oktober begannen die
Abrissarbeiten und zogen sich bis zum 30. Dezember 1938 hin. Die zuvor gelobte
Synagoge wurde nun als „Schandfleck für Dortmund“ (Ebd., S. 13) bezeichnet.
Zahlreiche Fotografien dokumentieren den Abbruch und verweisen bereits auf
die kommende Pogromnacht (Abb. 3). Mit der Zerstörung der Synagoge verlor
Dortmund eines seiner eindrucksvollsten Gebäude; daran anschließend auch
nahezu seine gesamte jüdische Bevölkerung. Während 1933 noch über 4.000
Jüdinnen und Juden in der Stadt lebten, lag die Zahl Mitte 1945 gerade einmal
bei 50. Die Mehrheit war ermordet worden, nur wenige hatten noch rechtzeitig
vor der Verfolgung fliehen können.
Die Erinnerung
Da Bombardierungen der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs sämtliche
Gebäude am Hiltropwall zerstört hatten, fing man nach Kriegsende schnell mit
der Neugestaltung des Areals an. Zuerst wurde das Stadttheater (Entwurf und
Ausführung: Städtische Bauverwaltung Dortmund, eröffnet 1950) errichtet und
wenige Jahre später folgte der Bau der Oper (Architekt: Heinrich Rosskotten,
eröffnet 1966). Der Bereich der ehemaligen Synagoge wurde dabei mit einer
Brunnenarchitektur und dreieckigen Bodenplatten als Vorplatz gestaltet.
Gleichzeitig wurde mit der Fertigstellung der Oper die erste Gedenktafel aus
Bronze auf dem Platz eingeweiht. Diese befindet sich noch heute an der zum
Platz ausgerichteten Seite, außen am Eingang zum Foyer des Gebäudes. Sie
markiert damit auch die Stelle des ursprünglichen Eingangs in die Synagoge
und erinnert durch Relief und Text an die Zerstörung des Gebäudes (Abb. 4).
Anlässlich des 50. Jahrestags des Novemberpogroms im Jahr 1988 wurde der Ort
in „Platz der Alten Synagoge“ umbenannt. Gleichzeitig fand eine Umgestaltung
statt, da der Brunnen zu Problemen im unterirdischen Parkhaus geführt hatte. Die
Dreieckkomposition, welche möglicherweise in Verbindung mit dem Davidstern
gesehen werden kann, wurde beibehalten. Zwei Jahre später wurde die Tafel
durch einen Gedenkstein erweitert. Er ist auf zwei Seiten beschriftet und befindet
sich auf der Treppenlage zwischen Straße und Platz. (Abb. 5 und Abb. 6). Die
Erweiterung um ein zweites Gedenkmotiv erfolgte nach kritischen Anmerkungen
der jüdischen Gemeinde. Diese empfand sowohl die unscheinbare Positionierung
am Rande des Platzes als auch die verwendete Wortwahl, in der die Zerstörung
der Synagoge als „politische Willkür“ bezeichnet wird, als unpassend. Im Jahr
44
Abb. 4
Abb. 5
Abb. 6
Abb. 7
2000, anlässlich des 100. Jahrestages der Einweihung der Synagoge, wurde die
Erinnerungssymbolik schließlich im Opernhaus fortgesetzt: Im Foyer wurden
mehrere Tafeln mit historischen Informationen zum zerstörten Gotteshaus
eingeweiht (Abb. 7).
Insgesamt findet die Erinnerung an die Zerstörung und Auslöschung des
jüdischen Lebens auf dem Alten Platz der Synagoge nur partiell und kaum
sichtbar statt. Die Positionierung und Darstellung der Motive führen dazu, dass
die Erinnerungszeichen erst bei näherer Betrachtung erkennbar sind. Durch die
Integration von Informationstafeln in das Innere der Oper sind diese lediglich bei
deren Besuch zugänglich. Die Erinnerungszeichen innerhalb der Platzsituation
bleiben unscheinbar. Nur schwer lassen sich Elemente, die auf die Zerstörung
der ehemaligen Synagoge hinweisen, finden. Durch das niedrige Bodenniveau
sind die vorhandenen Gedenkmotive kaum zu erkennen und wirken zudem von
der Straße isoliert. Eine Betrachtung aus nächster Nähe ist erforderlich, um
überhaupt einen Bezug zur Auslöschung und Zerstörung der jüdischen Gemeinde
und der Synagoge zu bekommen. Auch die übrige Platzgestaltung ist sehr
zurückhaltend und von Drei- und Sechseck-Formen auf dem Boden bestimmt.
Dabei ist unklar, ob diese symbolisch in Verbindung mit dem jüdischen Glauben
stehen sollen. Jedoch wurde dieses Formvokabular mit der Umgestaltung 1988
weitergeführt. Als freier Platz inmitten des Stadtzentrums stellt gerade die
bauliche und gestalterische Leerstelle die Erinnerung an vergangene Zeiten dar.
Verwendete Literatur
Bitzel, Uwe: Damit kein Gras drüber wächst. Ereignisse um die Pogromnacht 1938 in
Dortmund. Dortmund 1988.
Fürstenau, Eduard: Die neue Synagoge in Dortmund. In: Zentralblatt der Bauverwaltung
Berlin vom 15.10.1905.
Fürstenau, Gesche: Die Synagoge Dortmund. In: Beiträge zur Geschichte Dortmunds
und der Grafschaft Mark 80 (1989), S. 65-98.
Ders.: Eduard Fürstenau – Architekt der Dortmunder Synagoge. In: Heimat Dortmund
(2000), Heft 2, S. 10-11.
Hammer-Schenk, Harold: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im
19. und 20. Jahrhundert (1780-1933), Bd. 1. Hamburg 1982, S. 415-421.
Kersting, Bernd: Die Dortmunder Synagoge 1900-1938. Dortmund 1990.
49
Kohlpoth, Thomas: Die Synagoge am Hiltropwall. Von der Betstube zur Einweihung
der Synagoge am 8./9. Juni 1900. Der lange Weg zur Gleichberechtigung. In: Heimat
Dortmund (2000), Heft 2, S. 12-27.
O.A.: Eine Zierde der Stadt: Heute vor 100 Jahren wurde die Synagoge eingeweiht. Ein
Symbol der Liebe zum Vaterland. In: WAZ vom 08.06.2000.
O.A.: Erinnerung wacher denn je. In: WAZ vom 21.06.2000.
Technische Universität Darmstadt, Fachgebiert CAD in der Architektur Kunst- und
Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Synagogen in Deutschland.
Eine virtuelle Rekonstruktion. Basel 2004.
Judith Brinkmann
Wie erinnern? Die Alte Synagoge Hagen/
Hohenlimburg als Erinnerungsort
Dank an:
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dortmund e.V.
Stadtarchiv Dortmund
Theater Dortmund
50 51
Mahn- und Gedenkstätten – Zeichen der Erinnerung
„[…] einfach und vieldeutig, natürlich und künstlich, der sinnlichsten Erfahrung
unmittelbar gegeben und gleichzeitig Produkt höchst abstrakten Gedankenwerks“
(Nora 1990, S. 26) – mit diesen Worten beschreibt der französische Historiker
Pierre Nora die komplexen Zusammenhänge von Erinnerungsorten. Diese, so
Nora weiter, entstehen immer dann, wenn eine bestimmte Gruppe den Willen
hat, sich an etwas zu erinnern und etwas, das dem Wandel der Zeit sowie den
Veränderungen der Geschichte unterliegt, im Gedächtnis festzuhalten. Ein
Erinnerungsort ist demnach ein Ort oder ein Ereignis, welcher/welches für eine
Gruppe von Bedeutung ist oder war, und dabei „über einen langen Zeitraum als
sinnstiftender Bezugspunkt […] Bedeutung hatte.“ (Zwierlein 2011, S. 101f).
Beschäftigt man sich mit Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätten wie der
Alten Synagoge Hagen/Hohenlimburg, so ist es zunächst wichtig sich zu
vergegenwärtigen, von welch großer Relevanz diese für die Erinnerungsarbeit
sind. Es liegt auf der Hand, dass individuelle Erinnerungen an eigene Erfahrungen
in diesem Kontext in den Hintergrund und im Gegenzug das kollektive
Gedächtnis, sprich geteilte Erinnerungen an die Erfahrungen anderer, dabei auch
unbekannter Personen, in den Vordergrund treten. Damit steht das kollektive
Gedächtnis für einen „als zentral bewerteten Ausschnitt aus der Vergangenheit
und ist repräsentativ für Einzelschicksale“ (Assmann 2016, S. 17).
So kann durch Erinnerungsorte wie Gedenkstätten teilweise über Jahrzehnte
oder Jahrhunderte hinweg ein Bezug zur Vergangenheit aufrechterhalten werden.
Gedenkstätten wie der ehemaligen Synagoge in Hohenlimburg kommt also eine
besondere Bedeutung zu, denn (ehemalige) Synagogenbauten in Deutschland
stehen vor allem in Bezug zur Geschichte der jüdischen Gemeinden und ihrer
Zerstörung sowie zur Vertreibung und Ermordung ihrer Mitglieder, unter anderem
in den Konzentrations- und Vernichtungslagern.
Jüdisches Leben in (Hohen-)Limburg
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Hohenlimburg reicht noch vor den
Bau der ersten Synagoge im Jahre 1782 zurück. Die früheste Urkunde, die die
Anwesenheit von Juden und Jüdinnen in dem Ort belegt, ist ein Schutzbrief
Dietrichs IV., der in Limburg als Graf regierte, von 1350. Jüdisches Leben im
Machtbereich eines Grafen von Limburg gab es somit spätestens seit dem 14.
Jahrhundert.
1907 lebten in Hohenlimburg 150 Juden und Jüdinnen bei einer
Gesamtbevölkerung von rund 12.000 Menschen. Schon vor Beginn der
Verfolgungen 1933 war die Zahl auf 70 Juden und Jüdinnen bei insgesamt
15.519 Einwohner/innen gesunken. In den folgenden Jahren Beginn verkleinerte
sich die Gemeinde weiter, auf 55 Mitgliedern im Jahr 1934 und auf 33 im
Mai 1938. Die letzten jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner wurden im
April 1942 vom Vorplatz der Synagoge aus deportiert und in verschiedenen
Konzentrationslagern, unter anderem in Auschwitz, ermordet.
Der Synagogenbau und die Nachkriegsnutzung
Die Alte Synagoge Hagen/Hohenlimburg, deren Gebäude noch heute erhalten
ist, wurde 1870 am Standort der vorherigen Synagoge, die aufgrund von
Baufälligkeit abgerissen worden war, errichtet (Abb. 1). Das Grundstück lag
günstig; zwar weder an einer Hauptstraße noch im Stadtzentrum, befand es sich
doch in der Nähe des bürgerlichen Wohnbezirks und zudem auf einer Terrasse
52
Abb. 1
Abb. 2
55
am Berghang. So war das Gebäude auch aus weiterer Entfernung gut zu sehen
(Abb. 2). Warum es ausgerechnet hier erbaut wurde, ist nicht bekannt, allerdings
ist anzunehmen, dass die erhöhte Lage an den Tempel in Jerusalem erinnern
sollte.
Verantwortlich für die Baupläne der Synagoge von 1870 war ein Baumeister aus
dem 40 Kilometer entfernten Oestrich, der Bau selbst wurde ausgeführt von
dem Maurermeister Wilhelm Knapp. Beide waren nicht jüdisch. Finanziert wurde
das Gebäude von den damals in der Grafschaft Limburg lebenden insgesamt
24 jüdischen Familien, die die Synagoge nach ihrer Erbauung als Gotteshaus
nutzten, sowie durch Spenden der christlichen Gemeinde.
Der Bau der Synagoge dauerte zwei Jahre. 1870 eingeweiht (aufgrund
des Deutsch-Französischen Krieges ohne Feierlichkeiten), wurde der
Gebäudekomplex 1906 um ein Schulgebäude erweitert, welches heute ebenfalls
noch erhalten ist. Der Grundriss der Synagoge ist annähernd quadratisch, sie
entspricht so im Gesamten der Form eines Kubus. Das Dach ist pyramidenförmig.
An der nach Osten zeigenden Seite findet sich die auch von außen zu erkennende
Thoranische, die als Apsis angebaut wurde. Sie wird zusätzlich durch ein
Rundfenster mit dem Davidsstern betont.
Rundbogenfenster prägen die gesamte Fassade, allerdings wurde die heutige
Füllung der Scheiben, die, außer bei den Fenstern an den Seiten der ehemaligen
Thoranische, sehr kleinteilig ist, erst in den 1980er Jahren im Rahmen der
Restaurierungen angebracht. Die Fenster, die an der Apsis zu finden sind,
zeigen noch die originale Gestaltung: Sie sind hier in der Mitte zweigeteilt. Der
Mittelsteg knickt im oberen Fensterteil nach links und nach rechts ab und geht
so in zwei Rundbögen über.
Der Synagogenbau weist Außen an den Ecken Lisenen auf (Abb. 1). Unter
dem Dachgesims findet sich zudem ein Bogenfries. Das Rundbogenportal an
der Nordseite hat eine Doppelflügeltür, die mit einem Oberlicht ausgestattet
ist. Dieses wird von zwei kannelierten Pilastern mit Sockeln flankiert. Darüber
befindet sich ein Inschriftenfeld, welches oben und unten von Gesimsleisten
gerahmt und in der Mitte von einem Muscheltympanon überspannt wird. An
der Westseite befindet sich in der Nähe der Südwestecke eine kleine rundbogige
Nebentür, die als Frauenzugang diente. Hier befand sich früher der Aufstieg zur
Empore.
Das Gebäude der Synagoge wurde während der sogenannten
Reichsprogromnacht zwar nicht gänzlich, aber doch in großen Teilen zerstört. Das
heutige Aussehen des inzwischen restaurierten Baus entspricht aber in etwa dem
originalen Zustand. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er, ebenso wie die jüdische
Schule, von einem ortsansässigen Fabrikanten aufgekauft worden. Er baute die
Synagoge zur Nutzung als Fabrik um. 1950 musste er eine Ausgleichszahlung an
die Jüdische Kultusgemeinde Hagen, die als Rechtsnachfolgerin der Jüdischen
Gemeinde Hohenlimburg fungierte, entrichten. Von 1941 bis 1975 wurde die
Synagoge durch verschiedene Firmen als Fabrikgebäude, vor allem aber als
Lagerhalle, genutzt. Die jüdische Schule fungierte inzwischen als Wohnhaus.
Nachdem das Synagogengebäude im Mai 1982 unter vorläufigen Denkmalschutz
gestellt wurde, begannen die Sanierungsarbeiten: Das Dach, Fenster und Türen
sowie der Innenraum wurden erneuert beziehungsweise restauriert. Zudem
erklärte sich die Stadt Hagen 1984 dazu bereit, die Synagoge aufzukaufen,
sodass sie im September 1986 in Anwesenheit von ehemaligen Mitgliedern
der Jüdischen Gemeinde Hohenlimburg als Gedenk- und Begegnungsstätte
eingeweiht werden konnte.
Zurückzuführen ist all dies auf die Initiative der im Jahr 1980 gegründeten
Bürgeraktion Synagoge Hohenlimburg, der es so, unterstützt durch das Land
Nordrhein-Westfalen sowie durch die Stadt Hagen, gelang, das Gebäude vor
dem endgültigen Zerfall zu bewahren.
Die Alte Synagoge heute: Mahn-? Gedenk-? Begegnungsstätte?
In der Mahn- und Gedenkstätte in der Alten Synagoge Hohenlimburg hängt im
Gebäudeinneren in der Thoranische eine Gedenktafel, die aus einer Steinfliese
des alten Synagogenfußbodens gearbeitet wurde. Auf ihr sind der siebenarmige
Leuchter und der Davidsstern abgebildet. Sie trägt die Inschrift:
„Im Gedenken liegt das Geheimnis der Erlösung. Zur Erinnerung an die ehemalige
jüdische Gemeinde Hohenlimburg.“
Neben der Funktion als Mahn- und Gedenkstätte wird die ehemalige Synagoge
heute vor allem von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit als
Veranstaltungs- und Ausstellungsraum genutzt. 2016 richtete sie die Ausstellung
Lebendiges Judentum ein (Abb. 3). Anlass war das dreißigjährige Jubiläum
der Übergabe der Begegnungsstätte an die Öffentlichkeit. Vorrangiges Ziel der
Arbeit der Organisation ist es, so wird es auf der Internetseite formuliert, einen
kulturellen Ausstauch zwischen Juden- und Christentum zu ermöglichen.
Dementsprechend wird in der Ausstellung vor allem über das jüdische Leben, die
jüdische Religion sowie jüdische Feste informiert. Der Aspekt einer Mahnstätte
56
Abb. 3
tritt in diesem Zusammenhang in den Hintergrund. Es fehlt an detaillierten
Informationen über die Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen
Bewohnerinnen und Bewohner Hohenlimburgs, das Teil des heutigen Hagens
ist. Die Inschrift auf der Gedenktafel verweist so einzig darauf, dass es in
Hohenlimburg einst jüdisches Leben gegeben hat und dass dieses jüdischen
Lebens gedacht werden soll. Die Gründe dafür, warum es seit mehr als 75
Jahren keine Juden und Jüdinnen im Ort gibt, werden an dieser Stelle nicht
benannt. Auch über das Schicksal der letzten Gemeindemitglieder erfahren die
Besucherinnen und Besucher nichts. Damit fokussiert sich die Ausstellung auf
ein Informieren über die jüdische Kultur und wird so vor allem einer Funktion als
Begegnungsstätte gerecht.
Verwendete Literatur
Assmann, Aleida: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention.
München ²2016.
Gase, Barbara: Geschichte der Juden in Hagen. Hagen 1986.
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hagen und Umgebung (Hg.):
Kirchen und Synagoge in Hohenlimburg. Hagen 1990.
Dies.: Übersicht „Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Hohenlimburg“. Hagen o.J.
(sie wurde der Verfasserin freundlicherweise zur Verfügung gestellt).
Dies. Online: https://www.hagen-online.de/alte-synagoge-hohenlimburg.html
[19.06.2019].
Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Berlin 1990.
O.A.: Alte Synagoge Hohenlimburg. Mahn- und Gedenkstätte der Stadt Hagen. Online:
https://www.hagen-online.de/alte-synagoge-hohenlimburg.html [19.06.2019].
Purvogel, Ulrike; Stanowski, Martin: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.
Eine Dokumentation. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Bonn 1995.
Zabel, Hermann: Mit Schimpf und Schande aus der Stadt, die ihnen Heimat war. Beiträge
zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Hagen. Hagen 1994.
Zifonun, Dariuš: Gedenken und Identität. Der deutsche Erinnerungsdiskurs. Frankfurt am
Main/New York 2014.
Zwierlein, Cornel: Die Genese eines europäischen Erinnerungsortes.
Die Bartholomäusnacht im Geschichtsgebrauch des konfessionellen Zeitalters und
der Aufklärung. In: Bezner, Frank; Mahlke, Kirsten (Hg.): Zwischen Wissen und Politik.
Archäologie und Genealogie frühneuzeitlicher Vergangenheitskonstruktionen. Heidelberg
2011, S. 91-129.
58
Abb. 1
Julia Sommerfeld
Geschichte der Alten Synagoge Essen
61
Der erste Standort einer Synagoge in Essen befand sich in der heutigen
Gerswidastraße. Sie war der Vorgängerbau der heutigen Alten Synagoge. Das
Gebäude befand sich damals etwas abseits der Innenstadt und wurde 1808
eingeweiht. Über seine Architektur ist nichts mehr bekannt, überliefert ist
nur, dass es zu einem späteren Zeitpunkt abgerissen und im Jahre 1870 neu
erbaut wurde. 1911 entschied sich die jüdische Gemeinde unter anderem aus
Platzmangel dazu, einen repräsentativeren und selbstbewussteren Neubau zu
errichten (Abb. 1). Die Idee war es, einen Ort zu schaffen, in dem die Religion des
Judentums versinnbildlicht und gelehrt werden sollte. Dabei sollten vor allem
ornamentaler Schmuck, Mosaiken und viele Glasmalereien zur Überlieferung
der Geschichte des Glaubens beitragen. Beauftragter Architekt war Edmund
Körner. Er wurde 1874 in Leschwitz geboren und starb im Jahre 1940 in seiner
Wahlheimat Essen. Bekannt wurde er hier, weil er eine Vielzahl von Bauten,
darunter den Neubau des Folkwang Museums (1925-1929) sowie die Pfarrkirche
Hl. Schutzengel (1923/24) im Stadtteil Frillendorf, errichtete. Bereits im September
1913 konnte die damals „neue Synagoge“ eingeweiht werden. 25 Jahre lang
war dieser Ort kulturelles und soziales Zentrum mit Konzerten, einer Bibliothek,
einer Lehrstätte und weiteren Funktionen (Alte Synagoge Essen 2016, S. 14).
Während der sogenannten Novemberpogrome beschädigten die Nationalsozialist/innen
im November 1938 die Synagoge im Innenraum sehr stark.
Ihr Äußeres blieb allerdings nahezu unversehrt erhalten und überstand auch die
folgenden Jahre. Nach 1945 gab es zunächst keine Aktivitäten für eine Nutzung
als Gedenkstätte oder Ähnliches: „Demnach wurde für mehr als vier Jahrzehnte
nach dem Zweiten Weltkrieg die außergewöhnliche architektonische Qualität
des Baues nicht beachtet.“ (Ebd., S. 9).
Neue Nutzung
Nach dem Krieg blieb die vormalige Synagoge, nunmehr mitten in der Innenstadt
gelegen, zunächst ein ungenutztes, in seinem Inneren ruiniertes Gebäude, bis
die Stadt Essen, in deren Besitz sie 1959 zu einem niedrigen Preis übergegangen
war, sich im selben Jahr dazu entschied, das Gebäude wieder zu nutzen. Ein
Jahr später weihte sie im Inneren ein Museum, das Haus der Industrieform, ein.
Zwar sollte die Alte Synagoge gleichzeitig als Gedenkort dienen, doch durch
den Umbau gelang dieser Schritt in keinem – sowohl für die jüdische Gemeinde
als auch andere Beteiligte – zufriedenstellenden Maße. Zwischen der Stadt
Essen und der sich nach dem Zweiten Weltkrieg langsam wieder aufbauenden
jüdischen Gemeinde gab es aufgrund der langen Zeit, in der die Alte Synagoge
nicht genutzt wurde, Spannungen. Diese entstanden, weil die Stadt nicht in
der Lage war „das Erbe aus der Zerstörung und Schändung des Hauses anund
die Auseinandersetzung mit diesem Ort in Form einer Selbstbefragung
aufzunehmen“ (Ebd., S. 31). Hieraus ging auch eine Kritik an dem Haus
der Industrieform hervor, in dem man sich nicht mit dem eigentlichen Ort
auseinandersetzte. Erst als die Alte Synagoge im Jahr 2008 zur offenen
Begegnungsstätte und zum politischen Dokumentationsforum eingeweiht
wurde, schien eine neue, angemessene Aufgabe gefunden zu sein. (Abb. 2-4).
Architektur
Betrachtet man die Bilder, die im heutigen Ausstellungsbereich hängen, wird
deutlich, dass von der früheren Gestaltung nicht viel erhalten geblieben ist. Die
vormalige Synagoge ist im Inneren nur noch wenig ausgeschmückt. Dies ist Teil
62
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
des Konzepts, an dem neben der Stadt Essen auch die jüdische Gemeinde beteiligt
war, aus dem Ort eine Gedenkstätte zu machen, ohne sie im Inneren wie eine
Synagoge aussehen zu lassen. Daher wurde die alte Innenraumgestaltung nicht
wiederhergestellt, aber durch Formen und Farben dennoch sichtbar gemacht.
Das Gebäude besaß und besitzt viele Besonderheiten. Hierzu gehört zunächst
seine äußere Erscheinung: Es handelt sich um einen freistehenden Bau mit
imposanter kupferner Kuppel, die noch heute weithin sichtbar ist. Sie besitzt
einen Durchmesser von 30 Metern. Das Dach über dem Windfang des Portals
nimmt das Kuppelmotiv auf. „Die Außenarchitektur ist so angelegt, dass die
einzelnen Baukörper nach hinten in der Höhe gestaffelt sind.“ (Ebd., S. 10). Das
Gebäude „zählte [...] mit Platz für ca. 1.400 Besuchern sogar zu den größten
freistehenden Synagogen nördlich der Alpen“ (Ebd., S. 9).
Wie der Innenraum ursprünglich gestaltet war, wird wiederholt in der Literatur
aufgeführt: „Die Idee des Zentralbaus ist in ihrer Umsetzung umso interessanter,
als in Essen nie eine Bima in der Mitte des Hauptraumes gestanden hat. Mit dem
kreisrunden Grundriss legte Körner zwar einen Zentralbau an, doch öffnete er
die Kreisform an zwei Seiten, indem er im Westen und Osten Tonnengewölbe
anfügte. Das westliche formt den Eingang zum Hauptraum, dass der Ostseite
überspannt den Toraschrein und ist bewusst deutlich tiefer angelegt als das
Gewölbe im Westen. Die so erzielte Tiefenwirkung lässt einen Richtungsbau
entstehen, der stringent auf den Toraschrein zuführt.“ (Ebd., S. 10).
Der damit verbundene Blick nach oben macht den Hauptraum zu dem zentralen
Punkt im gesamten Gebäude. „Allein die Größe der Alten Synagoge und ihre
Monumentalität lassen noch heute erahnen, welch große, einflussreiche
Gemeinde hinter dem Bau gestanden haben muss.“ (Ebd., S. 44).
67
Die jüdische Gemeinde
Hinsichtlich der Zahl ihrer Mitglieder hatte die jüdische Gemeinde ihre Hochzeit
im Juli 1933, damals zählte sie rund 5.000 Angehörige. Im Juni 1939 waren
es nur noch etwa 1.650. Die Nationalsozialist/innen brachten insgesamt rund
2.500 Essener Jüdinnen und Juden um. Etwa 1.200 von ihnen wurden in „der
Zeit vom 27. Oktober 1941 bis zum 9. September 1943 [...] vom Hauptbahnhof,
oder vom Güterbahnhof Segeroth mit neun Transporten in die Ghettos und
Vernichtungslager […] deportiert.“ (Alte Synagoge 1994, S. 11). Andere, denen
zunächst eine Flucht nach Frankreich oder in die Niederlande gelungen war,
wurden nach der Besatzung dieser Länder durch die Deutschen von dort in die
verschiedenen Lager deportiert und ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg
entstand erneut eine jüdische Gemeinde in Essen, die allerdings deutlich kleiner
war als ihre Vorgängerin und die zum größten Teil aus osteuropäischen Jüdinnen
und Juden bestand.
Die Dauerausstellung
Heute wird in dem Gebäude die Dauerausstellung „Die Alte Synagoge – Haus
jüdischer Kultur“ gezeigt. Sie wurde im Jahre 2010 eingeweiht (Abb. 3-4) und ist
auf drei Geschosse verteilt: Erd-, Ober- und Mezzaningeschoss. Die Ausstellung
behandelt neben der Geschichte des Hauses die Grundlagen der jüdischen
Religion, widmet sich unter der Überschrift „Jüdischer Way of Life“ einem
erweiterten, kulturellen Verständnis des Judentums und stellt die Geschichte
der Juden und Jüdinnen in Essen vor. Bevor die eigentliche Ausstellung beginnt,
wird im Eingangsbereich erläutert, was eine Synagoge ausmacht und welche
Bedeutung sie hatte und hat. Dabei wird mit Hilfe eines Audioguides unter
anderem erklärt, wie der Raum historisch aufgebaut und gegliedert war, dann
folgen seine Funktionen. Hier fallen Begriffe wie „Thoraschrein“, „Bima“ und
„Frauenempore“.
Als weitere Erläuterung zur Baugeschichte gibt es zum einen zehn Fotografien
von Synagogen an verschiedenen Orten in der Welt, die alle ganz unterschiedliche
Baustile haben. Damit wird gezeigt, wie sehr sich Synagogen architektonisch
unterscheiden können. Hierbei wird deutlich, dass es sich bei der Alten Synagoge
nicht um eine traditionelle Baugestaltung handelt. Zwei Holzmodelle vertiefen
diese Beobachtung: Die Synagoge in Halberstadt, die 1712 eingeweiht wurde,
wird als „traditionell“ vorgestellt, während die Alte Synagoge als „liberal“
vermittelt wird: „Was erstgenannte als traditionell markiert, verdeutlicht der
mögliche Blick in den Innenraum des Modells: Das Vorlesepult ist zentral im
Raum aufgestellt, der Frauenbereich stark abgeschirmt.“ (Alte Synagoge Essen
2016, S. 14).
Angrenzend werden in der Ausstellung an den Stützwänden der ehemaligen
Frauenempore Fotografien aus unterschiedlichen Zeiten und Nutzungen der
Alten Synagoge gezeigt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Aufnahmen aus dem
alten Innenraum. Anschließend führt der Weg dann in die „Ecke des Gedenkens“,
in der sich vier Gedenkbücher befinden. Sie sind im Rahmen eines Projektes
entstanden, in dem Schüler/innen und Erwachsene aus Essen nach jüdischen
Mitgliedern der Gemeinde geforscht und ihre Geschichte niedergeschrieben
68 69
haben. Anschließend werden Besucher/innen in einen Raum zu den „Quellen der
jüdischen Tradition“ geführt. Hier werden beispielsweise religiöse Gegenstände
und kulturelle Praxen neben Riten des Lebenszyklus wie Hochzeit oder Tod
erläutert.
Auf dem Weg zur ehemaligen Frauenempore werden Exponate zur Durchführung
jüdischer Feste vorgestellt. Die Orgelempore präsentiert dann die Geschichte des
Hauses auf ausgefallene Art und Weise. Hier gibt es zum einen die Möglichkeit,
Liegen zu nutzen, um sich durch Videoprojektionen verschiedene Zeitabschnitte,
die mit der Veränderung der Synagoge zu tun haben, anzusehen und ihre
Geschichte bildlich nachzuvollziehen. Zum anderen ist es mit Hilfe mehrerer
Touchscreens möglich, sich über prägende Ereignisse wie beispielsweise über
die sogenannte Reichskristallnacht zu informieren. Am Ende des Rundgangs
begegnen Besucher/innen dem „jüdischen Way of Life“, einem Bereich, in dem
Themen wie Kultur, Vielfalt und Unterschiedlichkeit diskutiert werden. Es gibt hier
beispielsweise Gegenüberstellungen mit den Feiertagen und Esskulturen anderer
Religionen. Die Ausstellung schließt mit der Geschichte Juden und Jüdinnen in
Essen ab. Hier kommen in erster Linie ehemalige jüdische Einwohner/innen der
Stadt zu Wort. Sie erzählen ihre Lebensgeschichte und wie sie vor allem die
Zerstörung der Synagoge während des Novemberprogroms erlebt haben. Sie
berichten außerdem darüber, was sich in der Stadt für sie verändert hat und wie
die nationalsozialistische Verfolgung ihre Familien auseinandergerissen hat.
Verwendete Literatur
Alte Synagoge Essen (Hg.): Alte Synagoge Essen – Haus jüdischer Kultur. Die
Dauerausstellung. Essen 2016.
Alte Synagoge (Hg.): Ein Haus, das bleibt. Aus Anlass 20 Jahre ALTE SYNAGOGE Essen.
Essen 2000.
Alte Synagoge (Hg.): Entrechtung und Selbsthilfe: Zur Geschichte der Juden in Essen
unter dem Nationalsozialismus. Essen 1994.
Abb. 1
Stella Giorgou
Die Kölner Synagoge in der Roonstraße
71
In einem zentral gelegenem Viertel im Südwesten der erweiterten Neustadt Kölns
befindet sich das religiöse und kulturelle Zentrum der jüdischen Gemeinde: die
Synagoge in der Roonstraße 50 (Abb. 1). Bereits im Jahr 321 n.d.Z. in einem Dekret
des Kaisers Konstantin (um 270/288-337) erwähnt, zählt die Gemeinde heute zu
einer der ältesten in Deutschland. Eine Existenz sowohl in mittelalterlicher als
auch in frühneuzeitlicher Zeit ist ebenfalls durch mehrere schriftliche Quellen
bekundet. Nach dem Beschluss des Kölner Rates am 1. Oktober 1424, jüdische
Bürger und Bürgerinnen aus der Stadt auszuweisen, fand die erste erneute
Niederlassung nach der 1798 erfolgten Eroberung der Stadt durch französische
Revolutionstruppen statt. Drei Jahre später, 1801, gründeten dann 18 Familien
die erste jüdische Gemeinde der Neuzeit, welche sich bis zum Ende des 19.
Jahrhunderts so weit entwickeln sollte, dass ihre sechs Gotteshäuser nicht mehr
ausreichten und sie einer neuen, größeren Synagoge bedurfte. Diese wurde an
der Roonstraße errichtet.
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges lebten circa 19.500 jüdische Bürger/
innen in Köln, von denen etwa 11.000 während der NS-Zeit umkamen. Der Großteil
von ihnen, circa 8.000 Juden und Jüdinnen, wurde zwischen Oktober 1941 und
Oktober 1944 im Zuge deutscher Verfolgungs- und Vernichtungsmaßnahmen
deportiert und getötet.
Heute gehören rund 4.000 Personen zur Gemeinde. Besonders in den 1990er
Jahren hatte es durch den Zuzug russischsprachiger Jüdinnen und Juden aus
den Staaten der ehemaligen Sowjetunion einen enormen Zuwachs gegeben.
Aufgrund dieser zahlreichen neuen Mitglieder stiegen auch die Bedürfnisse,
sodass neben dem Gemeindehaus in der Roonstraße im November 2003
ein Wohlfahrtszentrum in der Ottostraße sowie zwischen 2004 und 2009
Begegnungszentren in Chorweiler und in Porz errichtet wurden.
Baugeschichte
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es zwei entscheidende Faktoren, die zum
Bau einer neuen Synagoge in der Roonstraße führten. Zum einen veränderte
sich die räumliche Verteilung der jüdischen Bevölkerung in Köln. Viele
Gemeindemitglieder zogen in die Neustadt, welche sich somit zunehmend zu
einem Siedlungsschwerpunkt entwickelte. Zum anderen reichten, wie bereits
gesagt, die Kapazitäten der zuvor bestehenden Synagogen nicht mehr aus. 1893
wurde daher ein öffentlicher Wettbewerb für einen Neubau ausgeschrieben,
welcher Platz für insgesamt 1.400 Mitglieder bieten sollte. Das Grundstück,
welches noch im selben Jahr von der Gemeinde erworben wurde, war 2.681
Quadratmeter groß und kostete 210.000 Mark. 15 Entwürfe wurden eingereicht,
von denen sich der Entwurf mit dem Kennwort „Empor“ der Kölner Architekten
Emil Schreiterer (1852-1923) und Bernhard Below (1854-1931) durchsetzen
konnte. Sie entwickelten einen Zentralbau auf quadratischem Grundriss, an dem
sich zu beiden Seiten Flügelbauten anschlossen.
Gelobt wurden die beiden Architekten vor allem für den Umgang mit der
schwierigen Grundstückssituation. Die Synagoge sollte traditionellerweise
nämlich nach Osten ausgerichtet werden, was der Orientierung der Straßenflucht
jedoch entgegenstand. Die zu ihr ausgerichtete Hauptfront lag auf südwestlicher
Seite in Richtung des Rathenauplatzes, der zu dem Zeitpunkt noch Königsplatz
hieß, und war in eine Reihe von umliegenden Mietshäusern eingebunden,
die nicht abgerissen werden sollten. Um den Widerspruch der inneren und
äußeren Achsenbeziehung aufzulösen, konzipierten Schreiterer und Below
72 73
einen Grundriss, der das zentrale, überkuppelte Gebetshaus Richtung Osten
verschob. Im westlichen Flügelbau legten sie einen querrechteckigen Vorraum
als Eingangsbereich an. Der Ausgang erfolgte ebenfalls zur Roonstraße durch
ein Portal im mittleren Gebäudeteil. Diese Lösung diente einerseits einem
geregelten Ein- und Austritt der Besucher/innen und ermöglichte andererseits,
dass der Blick beim Eintreten in den Gebetsraum auf den heiligsten Ort, den
Thoraschrein, fiel.
Im Zuge der Novemberpogrome im Jahr 1938 wurde die Synagoge von den
Nationalsozialist/innen schwer beschädigt. Nur Teile der Umfassungsmauer
sowie des zentralen Kuppelbaus blieben als Ruine bestehen und dienten 1959
als Grundlage für den Wiederaufbau. Unter Leitung von Helmut Goldschmidt
(1918-2005), einem der erfolgreichsten Synagogenarchitekten jener Zeit, wurde
die Fassade zur Roonstraße mit nur wenigen Änderungen rekonstruiert. Der
Innenraum dagegen erforderte aufgrund der notwendigen Einbindung eines
Gemeindezentrums einen Umbau. In Höhe der früheren Emporen wurde eine
Decke eingezogen, die den ehemals eingeschossigen Bau in zwei Stockwerke
teilte. Dadurch wurde genügend Platz für die Räumlichkeiten der Gemeinde
geschaffen. Unterstützung für das Projekt erhielt sie von Konrad Adenauer
(1876-1967, CDU), dem damaligen Oberbürgermeister der Stadt. Er bezeichnete
die Synagoge als „Merkmal Kölns“, das „in alter Form wiederaufgebaut [werden
solle]“ (zit. n. Pracht 1997, S. 255). Als Bundeskanzler setzte er sich dann für die
Finanzierung des Wiederaufbaus ein.
Baubeschreibung
In den Wettbewerbsunterlagen von 1893 wurden strenge Anforderungen an
den Neubau gestellt; sie betrafen unter anderem die Ausrichtung der Synagoge,
die Anzahl der Plätze sowie die Einbindung von weiteren Anräumen wie dem
Versammlungsort, Schulsälen oder der Zimmer für Kantor und Rabbiner.
Bezüglich des Stils war den teilnehmenden Architekten dagegen die vollständige
Freiheit garantiert. Schreiterer und Below sollen sich dem Kunsthistoriker
Wolfram Hagspiel zufolge an der damals modernsten Architektur in den USA
orientiert haben, dem sogenannten Richardsonian Romanesque Style. Er war
nach dem Architekten Henry Hobson Richardson (1838-1886) benannt worden
und wurde durch Elemente der romanischen Architektur Südeuropas bestimmt
(vgl. Hagspiel 2010, S. 295). Als direktes Vorbild für die Synagoge soll die First
Presbyterian Church in Detroit (Michigan, USA) gedient haben.
Charakterisiert wird die komplett mit Tuffstein verkleidete Fassade der
Synagoge in Köln durch eine komplexe räumliche Staffelung der Gebäudeteile.
Die vierstöckigen Flügelbauten schließen links und rechts an die umgebende
Wohnbebauung an. Sie rahmen den stark zurücktretenden Mittelbau, mit dem
sie über schmale, nochmals zurückversetzte Gebäudeteile verbunden sind
(Abb. 2). Zusammengefasst wird die so rhythmisierte Straßenfassade durch
einen gemeinsamen Sockel. Zur Zeit der Errichtung wurde dieser mittig von einer
großen Freitreppe durchbrochen, über die der Ausgang erfolgte. Da die Treppe
heute nicht mehr besteht, sind auch die drei Rundbögen der Pfeilerarkaden
nicht mehr geöffnet, sondern verglast. Darüber gibt eine hebräische Inschrift
einen Ausschnitt aus dem Buch Sacharjas wieder, welcher übersetzt lautet:
„Nicht durch Macht und nicht durch Stärke, sondern durch meinen Geist,
spricht der Herr der Heerscharen.“ (Sacharja 4, 6). Zusammen mit einem den
Bau bekrönenden Davidstern gibt diese Inschrift den einzigen Hinweis auf die
Nutzung als ein jüdisches Gotteshaus.
Über dem ehemaligen Ausgangsportal erstreckt sich leicht nach hinten versetzt
eine hoch aufragende Giebelwand, welche durch eine große und farbenreiche
Fensterrosette betont wird. Strebepfeiler stützen und rahmen diese stark
durchbrochene Mauerfläche und das darunter liegende Arkadengeschoss. Sie
verbinden so die beiden Zonen optisch miteinander. Hinter dem Giebel ragt
der Kubus des Zentralraumes hervor, welcher mit einem Zeltdach abschließt
und seitlich von zwei äußerst schlanken, runden Türmchen flankiert wird.
Die schmalen Gebäudeteile, die zwischen den Flügelbauten und dem Portal
vermitteln, wiederholen die Geschossabstufungen des letzteren. Wie der
Zentralraum werden auch sie mit einem pyramidenförmigen Dach bekrönt. Die
Seitenflügel sind in den Geschossen durch unterschiedliche Fensteröffnungen
gestaltet: Neben rundbogigen und kleinen rechteckigen Fenstern dekorieren
Dreipassfenster die Wand. Der Westflügel wird außerdem im Erdgeschoss
durch zwei Rundportale geöffnet, über den heute wie damals der Zutritt in die
Synagoge erfolgt.
Seit dem Umbau der 1950er Jahre sind im Erdgeschoss der große Gemeindesaal,
die Räumlichkeiten der Verwaltung, ein Jugendzentrum, Kindergarten, eine
Küche sowie das einzige koschere Restaurant Kölns untergebracht. Zudem gibt
es hier einen kleinen musealen Bereich, welcher jüdische Kultgegenstände zeigt
und damit auch der historischen Gemeinde gedenkt. Der Eingangsbereich ist im
Innern mit Kreuzgewölben gestaltet, ein Motiv, welches sich im Obergeschoss
74
Abb. 2
Abb. 3
77
wiederholt. Zudem ist eine Inschriftentafel an der vom Eingang aus linken Wand
angebracht, welche an den Wiederaufbau durch Helmut Goldschmidt erinnert.
Im zweiten Geschoss befindet sich der Synagogenraum, welcher aufgrund der
Umbauten an Höhe einbüßen musste. Die heutige Raumwirkung dürfte sich
damit vermutlich von der originalen stark unterscheiden. Weitere Änderungen
des Innenraums wie die Verlegung der Frauenemporen nach Westen tragen
ebenfalls zu einem veränderten Eindruck bei.
Seit der Neuordnung der Innenräume gelangt man von der Eingangshalle
über eine breite Treppe zum Synagogenraum. Ihm vorgelagert ist eine
Gedenkhalle eingerichtet, welche mit hebräischen und deutschen Texten auf
schieferverkleideten Wänden an die 11.000 Jüdinnen und Juden erinnert, die von
den deutschen Nationalsozialist/innen ermordet wurden (Abb. 3). Steinbänke
vor den Tafeln sollen zum Verweilen und stillen Gedenken einladen. Auf der
gegenüberliegenden Seite befindet sich ein Bronzebrunnen zur symbolischen
Waschung der Hände vor dem Gottesdienst – ein Kunstwerk des Kölner
Bildhauers Olaf Höhnen (1933-2009). Der Wasserhahn in Form von fünf Fingern
versinnbildlicht dabei die segnende Hand des Hohepriesters. Die verglaste
Wand zur linken Seite gibt den Blick in einen weiteren Vorraum frei. Durch zwei
mächtige Bronzetüren, welche die Embleme der jüdischen Stämme zeigen,
betritt man schließlich den Gebetssaal.
Der Innenraum des überkuppelten Zentralbaus wird durch einen kreuzförmigen
Grundriss bestimmt. Die Form entsteht durch vier massive, freistehende Pfeiler,
die den Raum gliedern. Durch große Längstonnen, welche die Pfeiler miteinander
verbinden, entstehen einzelne Raumteile, was die kreuzförmige Struktur
nochmals akzentuiert. Betont wird dies darüber hinaus durch die mit niedrigen
Kreuzgewölben ausgestatteten Eckräume. Über rundbogige Öffnungen, welche
die Tonnengewölbe durchbrechen, sind diese zugänglich. Oberhalb der Tonnen
ruht die zentrale Kuppel. Früher noch mit einem Sternenhimmel geschmückt,
der symbolisch für die Nachkommen stand, die so zahlreich wie die Sterne am
Himmel sein sollen, erscheint die Kuppel heute nur noch in Blau, womit sie sich
von den ganz in Weiß gehaltenen Wänden absetzt.
Im Innenraum wiederholt sich mehrmals das Motiv des Rundbogens, womit
unter anderem Bezug zur Außenansicht mit dem dreiteiligen ehemaligen
Ausgangsportal genommen wird. Insbesondere der Thoraschrein als heiligster
Ort der Synagoge wird durch diese Form bestimmt. Mehrere übereinander
gestaffelte Bögen rahmen ihn auf südöstlicher Seite und stellen ihn damit als
Abb. 4
den wichtigsten Ort des Gotteshauses heraus (Abb. 4). Zudem sind über ihm die
Gesetztafeln und das ewige Licht angebracht. Wie in jeder Synagoge befinden
sich auf dieser Seite des Raumes daneben die Prinzipalstücke, zu denen zwei
siebenarmige Leuchter und die Bima gehören. Zur besonderen Betonung liegt
der Bereich erhöht. Er ist über mehrere Treppenstufen zu erreichen, wobei
Bima und Thoraschrein aufgrund von Zwischenpodesten auf unterschiedlichen
Ebenen liegen. Der Schrein befindet sich entsprechend seiner Bedeutung an
höchster Stelle. Die Wand um die Gesetztafeln herum ist durch sich überlappende
Dreiecke gestaltet, wodurch mehrfach das Motiv des Davidsterns entsteht.
Die zwei Löwen im Vorhang, hinter dem die Thorarollen aufbewahrt werden,
symbolisieren die Wächter der Thora.
Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich die Empore, welche Platz für 300
Frauen bietet. Obwohl die Synagoge ursprünglich von einer liberalen Gemeinde
genutzt wurde, wird dort seit dem ersten Gottesdienst nach ihrer Zerstörung,
welcher am 19. April 1945 stattfand, der orthodoxe Ritus befolgt. So gibt es nun
eine strikte Trennung von Frauen und Männern. Entgegen orthodoxer Tradition
ist allerdings die Bima nicht im Zentrum, sondern im Osten des Raumes platziert.
Dies sollte eine bessere Akustik ermöglichen. Auch das Gestühl ist nicht
regelkonform angeordnet: Die Bankreihen werden von Durchgängen getrennt.
Hierbei stand der praktische Zweck im Vordergrund, dass die Gemeinde während
des Gottesdienstes nicht von Mitgliedern gestört wird, die zu spät kommen oder
früher gehen.
Der Raum wird durch zwei große Fensterrosen beleuchtet, die aufgrund der
bunten Gläser jedoch nur diffuses Licht in den Raum hineinlassen. Gestaltet
wurden diese vom Kölner Glasmaler Egbert Lammers (1908-1996), dessen
Signatur in einem der Fenster zu lesen ist. Während in der südlichen Rose eine
Taube mit Ölzweig den Neubeginn der jüdischen Gemeinde nach der Shoah
symbolisiert, erkennt man auf der gegenüberliegenden Seite den Berg Sinai
mit den beiden Tafeln der Zehn Gebote. Die kleinen Fenster in den Ecken der
Synagoge stellen neben freien Kompositionen Cherubime und Seraphime dar,
welche wie die Löwen am Thoravorhang Wächter der heiligen Schrift sind.
Fassade, an der bis auf die zwei genannten Elemente nichts weiter auf ein
jüdisches Gebetshaus hindeutet, könnte als „Symbol des Anspruchs auf
gesellschaftliche wie rechtliche Gleichheit“ (Knufinke 2015) gegenüber der
Kölner Kirchen gedeutet werden. Im Zusammenhang mit dem musealen Bereich
im Innenraum und dem nahezu unveränderten Escheinungsbild der Fassade
erhält die Synagoge zudem einen Denkmalcharakter, welcher an die historische
jüdische Gemeinde erinnert.
Verwendete Literatur
Becker-Jakli, Barbara: Das jüdische Köln. Geschichte und Gegenwart: Ein Stadtführer.
Köln 2012.
Eck, Werner: Spurensuche: Juden im römischen Köln. In: Beiträge zur rheinischjüdischen
Geschichte 1 (2011), S. 3-26.
Hagspiel, Wolfram: Köln und seine jüdischen Architekten. Köln 2010.
Knufinke, Ulrich: Helmut Goldschmidt. In: moderneREGIONAL 2 (2015), Heft 1. Online:
https://www.moderne-regional.de/fachbeitrag-helmut-goldschmidt/ [10.05.2018].
Pracht, Elfi: Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Teil I: Regierungsbezirk Köln.
In: Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland 34 (1997), Heft 1, S. 242-
291.
Sarrazin, Otto; Hofsfeld, Oskar: Wettbewerb um Entwürfe zu einer Synagoge in Köln. In:
Centralblatt der Bauverwaltung 16 (1894), Heft 19, S. 193-196.
Sarrazin, Otto; Hofsfeld, Oskar: Die neue Synagoge in Köln a. Rh. In: Centralblatt der
Bauverwaltung 19 (1899), Heft 51, S. 306-310.
Simon, Sabine: Schreiterer & Below. Ein Kölner Architekturbüro zwischen Historismus und
Moderne. Aachen 1999.
Der bauliche Anspruch der Kölner Synagoge
Allgemein fallen bezüglich der Gestaltung der Synagoge sowohl im erneuerten
Innenraum als auch im Außenraum die Übernahme von bekannten kirchlichen
Strukturen auf. Insbesondere die Inszenierung nach Außen mit der imposanten
80
81
Düsseldorf, Dortmund, Paderborn, Essen:
Synagogen nach 1945.
Jüdisches Leben nach der Shoah
Christina Krinke
Die Neue Synagoge in Düsseldorf
85
Synagogen in Düsseldorf
Aus einem Schutzbrief aus dem Jahr 1677 geht hervor, dass zunächst nur zwei der
vermögendsten jüdischen Familien in Düsseldorf wohnen durften, darunter die
Familie des Obervorgängers der Juden der Herzogtümer Jülich und Berg, Juspa
van Geldern (1653-1727). Dieser wurde 1679 unter dem jungen Landesherren
Johann Wilhelm (1658-1716) zum kurfürstlichen Hoffaktor ernannt. In ebendieser
Zeit entwickelte sich in der Stadt erstmals auch eine kleine, jüdische Gemeinde,
da sich immer mehr jüdische Familien niederließen. 1712 erwarb Juspa van
Geldern ein Grundstück für ein Wohnhaus an der heutigen Neusser Straße und
damit die Genehmigung, dort eine „Juden-Schull“ einzurichten, die als die erste
Synagoge in Düsseldorf gilt. Aufgrund eines allgemeinen Wirtschaftsabschwungs
nach dem Tod von Johann Wilhelm im Jahr 1716 und durch den Tod von Juspa
van Geldern im Jahr 1727 geriet das Gebäude jedoch 1758 in den Besitz des
Militärfiskus. 1772 wurde es zum Hubertushospital umgenutzt.
1787 entstand der Stadtteil Carlstadt, benannt nach dem Kurfürsten Carl
Theodor (1724-1799), in welchem die jüdische Gemeinde ein Grundstück an der
Kasernenstraße erwarb und eine Synagoge durch den Architekten Peter Köhler
auf Grundlage der Pläne von Peter Joseph Krahe (1758-1840) gestalten ließ.
Vermutlich war sie im Stil des Klassizismus erbaut und verband schon damals
die Funktionen eines Gemeinde- und eines Gebetshauses. Am 24. März 1792
wurde sie geweiht.
Da die jüdische Gemeinde bis 1850 aber auf bis zu 500 Mitglieder angewachsen
war und die Synagoge zu klein wurde, entschied man sich 1851 für einen
Umbau, der allerdings nicht realisiert wurde. Stattdessen erfolgten 1873 ein
gänzlicher Abriss und anschließender Neubau auf dem Areal. Dieser wurde von
den Architekten Deckers & Kühn geplant, 1875 vollendet und am 10. September
desselben Jahres eingeweiht. Über den Stil dieses Gebäudes ist nichts erhalten,
aus einem Bericht des Düsseldorfer Anzeigers geht jedoch hervor, dass ihm eine
„Schönheit und Eleganz“ bescheinigt wurde, während die Düsseldorfer Zeitung
den Bau als einen „im gothischen Stile erbauten Tempel“ beschrieb (Suchy;
Knufinke 2013, S. 23). Die Historikerin Barbara Suchy bezieht sich auf eine
Zeichnung der Architekten, wenn sie angibt, dass der Bau maurische Elemente
aufgewiesen haben muss (Ebd.).
Nur wenige Jahre später erwies sich auch diese Synagoge als zu klein, sodass die
Gemeinde bereits 1899 ein neues Grundstück an der Kasernenstraße erwarb und
einen öffentlichen Wettbewerb für die Gestaltung ausschrieb. Zu dieser Zeit war
die Gemeinde auf 2000 Mitglieder angewachsen. Der Architekt Joseph Kleesattel
erhielt den Zuschlag und plante die Große Synagoge in dem für Synagogenbauten
in dieser Zeit typischen romanischen Stil. Das Gebäude wurde am 6. September
1904 eingeweiht. Es fungierte als Zeichen des Integrationswillens der jüdischen
Bevölkerung und war gegenüber dem Schauspielhaus errichtet deutlich im
Stadtbild sichtbar. Da diese Synagoge für einen liberalen Gottesdienst ausgelegt
war und daher eine Orgel besaß, entstand nahezu zeitgleich in der Bilker Straße
eine Synagoge für orthodoxe Gläubige. Nachdem diese erst in die Poststraße
verlegt wurde und dort dann nach 1933 geschlossen wurde, entschloss sich die
Gemeinde der Synagoge in der Kasernenstraße in ihrer Wochentagssynagoge
auch einen orthodox-polnischen Gottesdienst anzubieten.
Im Zuge der Novemberpogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November
1938 wurde die Synagoge durch staatliche Anweisung in Brand gesetzt und
nur wenige Tage später wurden ihre baulichen Reste auf Kosten der jüdischen
86 87
Gemeinde abgetragen. Ende 1939 entstand auf dem Areal ein Hochbunker.
Heute befindet sich dort das Gebäude der Verlagsgruppe Handelsblatt.
Neue Synagoge
Nach Mai 1945 lebten zunächst 57 Juden und Jüdinnen in Düsseldorf. Hier
gründeten sie eine Einheitsgemeinde, als deren erstes großes Ereignis die
Einweihung einer Gedenktafel an der Kasernenstraße am 9. November 1946 gilt.
Trotz des immer noch vorherrschenden Antisemitismus wuchs die Gemeinde
um das Jahr 1948 an und begann in den kommenden Jahren, eine Synagoge zu
planen. Sie wurde schließlich am 7. September 1958 eingeweiht und entstand
nach den Entwürfen des Architekten Hermann Zvi Guttmann (1917-1977).
Der Komplex enthält neben der Synagoge mit 250 Sitzplätzen für Männer und
weiteren 150 auf der Empore für Frauen auch ein Gemeindezentrum. Zudem
gibt es einen kleinen Betsaal, der bereits am 28. März 1958 eingeweiht werden
konnte. Zu diesem Zeitpunkt zählte die Gemeinde 850 Mitglieder. Im Jahr
1997 gehörten ihr 4.600 Mitglieder an, was etwa dem Stand von 1923/1924
entsprochen haben dürfte. Heute sind es etwa 7.500 Personen.
Für ihren Neubau hatte die Gemeinde im Dezember 1953 ein 2.400 Quadratmeter
großes Grundstück an der Ecke Zieten- und Mauerstraße erworben, vermutlich
unter anderem, weil es eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr bot.
Interessant ist die Wahl dieses Ortes aber besonders, weil die Gemeinde damit
das unmittelbare Stadtzentrum verließ und keinen historischen Standort wählte
bzw. wählen konnte. Ihr war seitens der Stadt verdeutlicht worden, dass sie
auf ihr zentral gelegenes Grundstück in der Kasernenstraße nicht zurückgreifen
könne; es war schon 1949 anderweitig in die Stadtplanung einbezogen worden.
Für die Gestaltung der Neuen Synagoge schrieb die Gemeinde im Oktober 1956
einen kleinen Wettbewerb unter fünf von ihr ausgewählten Architekten aus.
Anfragen mit der Bitte um Skizzen und Kostenvoranschläge gingen dabei neben
Guttmann an Gerhard Rehder, Hanns Schwippert, Jakob Walter und Emanuel
Lindner. Guttmann war der einzige jüdische Architekt unter ihnen. Ihn zeichnete
zudem aus, dass er zur gleichen Zeit seine erste Synagoge in Offenbach baute
und daher Expertise und Sachverstand mitbrachte. In Düsseldorf realisiert er
dann sein zweites, aber gleichzeitig erstes großes Synagogenprojekt. In der
Stadt entwarf er zudem ein Mehrfamilienwohnhaus für die Bauherrin Hellen
Israel und einen Neu- oder Umbau für das Modegeschäft ihres Mannes.
Abb. 1
89
Guttmann veranschaulichte in der Neuen Synagoge auf bemerkenswerte Weise
die Geschichte, Tradition und Kultur des Judentums und betonte darüber hinaus
durch moderne Elemente den Neubeginn des jüdischen Lebens. Anhand ihrer
Form als eigenständiger, auf ovalem Grundriss angelegter Baukörper ist die
Synagoge deutlich im gesamten multifunktionalen Komplex erkennbar und
wird durch den vorgelagerten Paul-Spiegel-Platz zusätzlich betont. An dem
Platz befindet sich die Westseite des Baus, an der die Eingangssituation mit der
großen Freitreppe angeordnet ist. (Abb. 1) Von diesem Standpunkt aus zeigt
sich auch das Kupferdach, das besonders in seiner Farbigkeit mit dem hellen
Travertin der Fassade kontrastiert. Der Eingang wird mehrfach betont, so durch
eine mittig platzierte Menora in einem Rundfenster. Über dem Eingang steht
zudem in schwarz-schwedischem Granit der Psalm 26,8 in hebräischen Lettern,
zu deutsch: „Ewiger, ich liebe die Stätte deines Hauses, den Ort, wo deine
Ehre thront“. Links und rechts befinden sich zwei große schmale Fenster mit
Darstellungen der zwölf Stämme Israels in Blattgold. Die Westfassade verweist
somit deutlich auf die Funktion des Gebäudes als Synagoge.
An der Nord- und Südseite des ovalen Baus werden die schmalen Fenster
fortgeführt. Die Eingangssituation wird heute nur noch zu den hohen Feiertagen
und für Hochzeiten genutzt. Im Alltag dient ein Zwischenbau an der Südseite,
der die Synagoge und das Gemeindehaus verbindet, als Eingang. Ihm schließt
sich ein großes Foyer an. Im Keller des Gemeindezentrums befindet sich eine
Mikwe mit Ruheraum und im Erdgeschoss der Betsaal für 70 Personen, der als
Wochentagssynagoge genutzt wird. Daneben gibt es Büros und Unterrichtsräume
sowie einen Festsaal, der seit einem Umbau im Jahr 2009 400 Personen Platz
bietet.
Im Erdgeschoss der Synagoge befinden sich die Plätze für Männer. In den
Sitzreihen führte Guttmann erstmals eine besondere Form der Pulte ein, die es den
Betenden gestatten, das Gebetsbuch im Stehen oder im Sitzen aufgeschlagen
vor sich liegen zu haben. Die letzten Reihen lassen sich durch einen kleinen
Vorhang abtrennen, wenn Frauen am Gottesdienst teilnehmen, die nicht mehr
die Treppe zur Empore benutzen können. Seit Juli 1991 ist die Gemeinde
gezwungen, Sitzplatzreservierungen für die hohen Feiertage zu vergeben. Plätze
können erworben werden; der finanzielle Erlös kommt der Gemeinde zu Gute.
Der Thoraschrein befindet sich an der Ostwand und ist vor einem bunten
Rundbogenfenster in Parabelform angeordnet. Der Schrein zeigt die in Marmor
ausgeführten Gesetzestafeln sowie abstrakte Darstellungen des brennenden
Abb. 2
Dornenbusches. Die Farben des reflektierenden Fensters akzentuieren den
gesamten Bereich um den Thoraschrein. Von der Frauenempore aus ist die
Gestaltung des Innenraumes hinter dem Thoraschrein besonders gut zu
erkennen. Die geschwungene Wand zeigt Öffnungen zu beiden Seiten, in denen
Treppen nach unten führen. Diese gewundene Form und die weiße, ebenmäßige
Erscheinung der Wand rufen Assoziationen zu einer Thorarolle hervor, bei der
sich der Text in der Mitte zwischen den beiden wellenartigen Teilen befände,
also dort, wo tatsächlich der Thoraschrein und damit die Thorarollen platziert
sind. An der Westseite, unterhalb der Frauenempore, ist eine Gedenktafel für die
Opfer des Nationalsozialismus an der Wand angebracht.
Im Innenraum der Synagoge fällt zudem besonders seine Helligkeit auf.
Er wird durch die großen Lichtfelder an der Nord- und Südseite illuminiert
(Abb. 2). Guttmann veröffentlichte in dem Band „Die neue Synagoge in Düsseldorf.
Zur Einweihung am 7. September 1958“ den Aufsatz „Das Düsseldorfer
Gemeindezentrum“. Hier beschreibt der Architekt, dass es ihm darum gegangen
sei, durch die helle Gestaltung des Innenraums „eine düstere Stimmung zu
vermeiden“ (Guttmann 1958, S. 30). Acht Jahre später ergänzt er, dass es sein
Ziel sei, „das Element der Furcht vom Gotteshaus fernzuhalten und dafür die
Naturverbundenheit und damit die große Hoffnung hineinzutragen.“ (zit. nach
Suchy; Knufinke 2013, S. 51). Auch betont Guttmann in seinen Schriften die
Bedeutung eines an die Synagogen gekoppelten Gemeindezentrums als Basis
für ein neues, jüdisches Leben (Ebd.).
Heute gibt es in Düsseldorf zudem einen jüdischen Kindergarten und eine
jüdische Schule, letztgenannte benannt nach dem ehemaligen israelischen
Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin (1922-1995).
Verwendete Literatur
Suchy, Barbara; Knufinke, Ulrich: Synagogen in Düsseldorf. Von 1712 bis zur Gegenwart.
Düsseldorf 2013.
Suchy, Barbara: Synagogen in Düsseldorf. In: Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf (Hg.):
Aspekte jüdischen Lebens in Düsseldorf und am Niederrhein. Düsseldorf 1997, S. 60-75.
Klei, Alexandra: Jüdisches Bauen in Nachkriegsdeutschland. Der Architekt Hermann Zvi
Guttmann. Berlin 2017.
Guttmann, Hermann Zvi: Das Düsseldorfer Gemeindezentrum. In: Synagogengemeinde
Düsseldorf (Hg.): Die neue Synagoge in Düsseldorf. Zur Einweihung am 7. September 1958.
Düsseldorf 1958.
92
Abb. 1
Joana Maibach
Die Synagoge an der Prinz-Friedrich-Karl-
Straße in Dortmund
95
Die jüdische Gemeinde Dortmund nach 1945
Im Sommer 1945 kamen die ersten Juden und Jüdinnen, die den
nationalsozialistischen Terror überlebt hatten, nach Dortmund zurück. Ihre Zahl
stieg stetig an und die Gemeinde wurde wiedergegründet. Der erste Gottesdienst
wurde 1945 zu Rosch ha-Schana, dem jüdischen Neujahr, in einer Privatwohnung
am Westfalendamm abgehalten, da die alte Synagoge am zentral gelegenen
Hiltropwall in der Innenstadt von den Nationalsozialist/innen 1938 zerstört
worden war [ S. 37]. Im Dezember 1955 wurde dann am Schwanenwall in
der Innenstadt auf einem provisorisch hergerichteten Trümmergrundstück ein
Gemeindehaus eingeweiht, in dem in den nächsten Jahren die Gottesdienste
gefeiert wurden. Dieses Gebäude reichte bald nicht mehr aus, da Mitte der
1950er Jahre eine Welle der Remigration einsetzte und die Mitgliederzahlen
anstiegen. Zudem sollte es aus städtebaulichen Gründen abgerissen werden.
Die Gemeinde erwarb daraufhin schließlich das etwa 600 Quadratmeter große
Grundstück an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße in der östlichen Innenstadt für
den Bau einer neuen Synagoge (Abb. 1). Am 2. September 1956, ebenfalls
zum jüdischen Neujahrsfest, fand die feierliche Einweihung statt. Es handelte
sich um die erste nach dem Krieg erbaute Synagoge Westfalens. Seit dem
Anfang der 1990er Jahre erfolgte in der Gemeinde, wie auch in anderen in
ganz Deutschland, eine große Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der
ehemaligen Sowjetunion. Heute zählt die jüdische Gemeinde in Dortmund rund
3.000 Mitglieder aller Altersgruppen. Sie ist die größte in Westfalen und die
sechstgrößte in Deutschland.
Der Architekt
Der Architekt Helmut Goldschmidt (1918-2005) zählt neben Hermann Zvi
Guttmann (1917-1977) und Karl Gerle (1903-1962) zu den bekanntesten und
produktivsten deutschen Synagogenarchitekten seiner Zeit. Sein bekanntestes
Werk ist dabei vermutlich der Wiederauf- und Umbau der Synagoge Roonstraße
in Köln [ S. 71]. Die von ihm geplanten Neubauten in Dortmund, Bonn
(eröffnet 1959), Münster (eröffnet 1962) und Mönchengladbach (eröffnet
1967) folgen einem Grundschema, variieren aber von Ort zu Ort. So sind hier
alle von ihm gestalteten Synagogensäle rechteckig und gestreckt und in ein
Gemeindezentrum eingebunden. Seine Bauten entsprechen mit dem erhöhten
Bereich an der Ostseite für Thoraschrein und Bima den Reformsynagogen, wie
sie seit dem frühen 19. Jahrhundert errichtet wurden.
Goldschmidt wurde 1918 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns und einer
Nichtjüdin in Magdeburg geboren. Er wuchs in Köln auf und begann dort seine
rund zweijährige Lehre in dem Büro des jüdischen Architekten H. Hans Krebs.
Goldschmidt wurde 1943 zunächst in das Konzentrations- und Vernichtungslager
Ausschwitz und anschließend im selben Jahr in das KZ Buchenwald deportiert.
Nach der Befreiung 1945 arbeitete er unter anderem als Architekt in Mayen und
eröffnete 1948 ein eigenes Büro in Köln, wo er beim Wiederaufbau der Stadt
mitwirkte. Der Entwurf für die Dortmunder Synagoge aus den Jahren 1955/56
war der erste eigenständige Synagogenbau des Architekten.
Der Gebäudekomplex an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße
Die Synagoge ist in ein Gemeindezentrum mit Verwaltungsgebäude und großem
Gemeindesaal integriert. Ein nach hinten angeschlossener Gebäudeteil, in dem
sich heute Unterrichtsräume befinden, beherbergte bis 1978 ein Altenheim.
96
Abb. 2
Der Komplex besteht aus einem sichtbaren, weiß gehaltenen Beton-Skelett mit
roter Klinker-Ausmauerung. Dabei ist die Synagoge nicht der Gebäudeteil, der
in der Fassade gestalterisch besonders betont wird. Vielmehr tritt sie, von der
Straße aus links angeordnet, im Gesamtbild deutlich zurück und besitzt zudem
keinen eigenen, direkten Zugang (Abb. 1). Man erreicht sie vielmehr durch ein
großzügiges, über zwei Etagen verglastes Vestibül, welches man von der Straße
aus durch den Haupteingang betritt. Die Fenster sind hier aus Sicherheitsgründen
mit Milchglas ausgestattet. Zum rückwärtig liegenden Gartenbereich ist das
Vestibül ebenfalls über die gesamte Fassadenhöhe verglast.
Durch diese Eingangshalle ist der Betsaal mit dem Gemeinde- und
Verwaltungstrakt verbunden, wobei dessen erstes Geschoss in der Fassade
sowohl zur Straße als auch zum rückwärtigen Garten hin weit hervorragt. Es
ist über die gesamte Vorderfassade ebenfalls mit hohen Fenstern großzügig
verglast. In diesem Trakt befinden sich im Keller die Küche und ein zum Garten
orientierter Tagesraum (Abb. 2). Im ersten Obergeschoss liegt der Gemeindesaal
und darüber sind Räumlichkeiten mit einer Dachterrasse, die sich zur Straße
hin befindet, angeordnet. Im Garten schließt an den Gemeindetrakt ein in den
späten 1990er Jahren gebauter Mehrzwecksaal an, der an den hohen Feiertagen
auch als Synagoge genutzt werden kann.
Die Synagoge
Der Synagogenbau nimmt in der Höhe drei Geschosse ein und besitzt ein flaches
Satteldach. Im Inneren ist die Decke hellblau gestaltet und die Längsseiten sind
wie die Außenfassaden rot geklinkert. Insgesamt sind bei der Gestaltung der
Synagoge Holz, ein heller Wandputz und die Farbe Blau vorherrschend. Der Bau
wird durch eine giebelförmige Apsis mit einem kupferfarbenen Thoraschrein an
der Ostwand geprägt, was an das biblische Stiftszelt erinnern soll. Auffällig ist,
dass sich die jüdische Symbolik und die Raumaufteilung auf den Schrein hin
konzentrieren. Der Raum wird perspektivisch auf ihn ausgerichtet. So befinden
sich der Thoraschrein, die Bima und das Pult für den Vorbeter auf einem erhöhten
Podest (Abb. 3).
Der Schrein ist mit einem bestickten dunkelblauen Vorhang, genannt Parochet,
bedeckt; dahinter sind die Thorarollen untergebracht. Auch hier zeigt sich ein
typisches Gestaltungsmerkmal des Architekten, der in all seinen Entwürfen den
Almemor nicht in der Raummitte, sondern, wie es in jüdischen Sakralräumen
mit liberalen Ritus üblich ist, unmittelbar vor der Heiligen Lade positioniert hat.
98
99
Die Wand hinter dem Thoraschrein wird durch ein überhöhtes, einem stilisierten
Zelt gleichendes Portal aus Holz gestaltet. Der Schrein wird zudem von hinten
indirekt beleuchtet. In der Mitte, über den Tafeln mit den zehn Geboten und dem
Ewigen Licht, wurde ein vertikaler Streifen in der Holzverkleidung ausgespart.
Dadurch wird die Silhouette eines Obelisken gebildet. Diese Form verlängert die
Dekalogtafeln optisch nach oben, die fast weiße Farbe des hier verwendeten
Wandputz hebt sie zusätzlich hervor.
Zu beiden Seiten des Schreins befinden sich über fast die gesamte Höhe
der Wandfläche hebräische Inschriften auf den Wänden (Abb. 4). Daneben
sind Buntglasfenster mit Davidstern eingebracht, die kurz unterhalb der
einsetzenden Dachschräge abschließen (Abb. 5). Die Fenster sind hauptsächlich
in Blautönen gehalten, nur der Davidstern ist Orange-Rot gestaltet. Die auf der
gegenüberliegenden Seite angeordnete U-förmige Frauenempore ist schlicht
ausgearbeitet. Hier finden sich keine weiteren jüdischen Symbole. Unterhalb der
Empore sind abermals bunte Oberlichter angebracht. Sie schließt zur Ostwand
hin auf der Höhe der Gebetsbänke im unteren Teil ab.
Architekturhistorische und städtebauliche Einordnung
Die Dortmunder Synagoge ist kein isolierter Bau, sondern in einen Komplex
mit Gemeindezentrum integriert. So wurden alle Funktionen und Bedürfnisse
der Gemeinde in einem Bau vereint. Dadurch wurde die Synagoge als
Versammlungsstätte in das alltägliche Gemeindeleben eingebunden. Dies
war typisch für die Lösung dieser Bauaufgabe in den 1950er Jahren: „Die
gemeinschaftsbildende und Identität ermöglichende Funktion, die in den
ersten Nachkriegsjahren für die jüdischen Gemeinden ebenso wichtig war wie
die religiöse, sollte die Bauwerke prägen.“ (Knufinke 2010, S. 38). Auch der
Dortmunder Bau diente und dient nicht ausschließlich einem religiösen Zweck.
Er kann zudem dem unterschiedlichen Platzbedarf an Werk- und Feiertagen
angepasst werden.
Die Funktion als Synagoge ist dabei dem Bau nicht abzulesen: Von außen deutet
nichts auf ein jüdisches Gemeindezentrum hin. Zwar unterscheidet sich die
markante Gestalt der Architektur von der umgebenden Bebauung; im Gesamtbild
der Prinz-Friedrich-Karl-Straße, das von Wohnhäusern geprägt ist, fügt sie sich
dennoch eher ein als hervorzustechen. Städtebaulich handelt es sich mit der Lage
in einem Wohngebiet in der östlichen Innenstadt Dortmunds nicht unbedingt um
eine bedeutsame Stelle und die Neue Synagoge tritt damit erheblich gegenüber
Abb. 3
08
102
Abb. 4
der 1938 zerstörten Synagoge zurück, welche eine bedeutende und zentrale
Position im Stadtbild einnahm.
Verwendete Literatur
Birkmann, Günter; Stratmann, Hartmut (Hg.): Bedenke vor wem du stehst. 300
Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe. Essen 1998.
Hagspiel, Wolfram: Köln und seine jüdischen Architekten. Köln 2010.
Knufinke, Ulrich: Helmut Goldschmidt. In: moderneREGIONAL 2 (2015), Heft 1. Online:
http://www.moderne-regional.de/fachbeitrag-helmut-goldschmidt/ [14.11.2017].
Ders.: Zur Geschichte der Synagogen in Deutschland. In: Stiftung Baukultur Rheinland-
Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in Deutschland. Regensburg
2010, S. 19-52.
Lehrstuhl für Denkmalpflege und Bauforschung der Universität Dortmund; Bund
Deutscher Architekten (Hg.): Das neue Dortmund nach 50 Jahren. 25 Architekturbeispiele.
Dortmund 1999.
Netzer, Katinka: Zweiter September 1956 – Einweihung der Dortmunder Synagoge. In:
Internet-Portal Westfälische Geschichte: Ereignis des Monats September. Online: http://
www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID
=608&url_tabelle=tab_websegmente [14.11.2017].
08
07
103
Laura Krys
Die jüdische Gemeinde in Paderborn und ihre
Bauten
Abb. 1
105
Alte Synagoge
Die Alte Synagoge in Paderborn war prägnant im Stadtbild verankert. Der
oktogonale Zentralbau mit auffälliger zweifarbig gestreifter Fassade mit
helleren und dunkleren Ziegeln und integrierten Rundfenstern überragte mit
seinem zweistufigen oktogonalen Dachabschluss und den quadratischen
Ecktürmchen mit Zwiebeldach die umliegenden Gebäude und befand sich nahe
der Busdorfkirche und des St. Vinzenz Krankenhauses im Zentrum der Stadt
(Abb. 1). Geweiht wurde das Gebäude am 15. August 1882. Es bot Platz für
190 Männer und 103 Frauen. Wie in vielen anderen Städten Deutschlands fiel
auch diese Synagoge den Angriffen und Zerstörungen der Nationalsozialist/
innen im November 1938 im Rahmen der sogenannten Reichspogromnacht
zum Opfer. Sie wurde am 10. November niedergebrannt und die Ruinen wurden
anschließend abgetragen. Heute befindet sich auf dem Platz ein Mahnmal, das
in seiner Gestaltung an den Baustil des Zentralbaus angelehnt ist. Es wurde
1993 vom dänischen Künstler Per Kirkeby (1938-2018) errichtet. Es bildet drei
Rundbögen aus und enthält Bronzetafeln mit den Namen der ermordeten
Paderborner Jüdinnen und Juden (Abb. 2).
Neue Synagoge
Die Neue Synagoge befindet sich nicht auf dem Areal ihres Vorgängerbaus,
sondern unweit des Hauptbahnhofs, an einer breiten Ausfallstraße des Stadtrings,
der Pipinstraße. Dadurch ist sie von unterschiedlichen Standpunkten aus schnell
zu erblicken. Ursprünglich war für den Neubau zunächst ein Eckgrundstück
bei der Krummen Grube / An der Burg angedacht gewesen, jedoch entschied
man sich nach einiger Zeit für das größere Grundstück an der Pipinstraße. Der
Neubau wurde am 29. November 1959 geweiht.
Der Erbauer der Neuen Synagoge ist der Recklinghäuser Karl Gerle (1903-1962).
Der nichtjüdische Architekt zählt zu den erfolgreichsten für Synagogenbauten
der Nachkriegszeit. Er entwarf zudem die Synagogen in Minden (eingeweiht
1958), Hagen (eingeweiht 1960) und Bremen (eingeweiht 1961). Daneben
gestaltete er Betsäle, unter anderem in Recklinghausen und Mühlheim an der
Ruhr. Die Synagoge in Paderborn sticht durch ihre ausgesprochen moderne
Architektur heraus und bildet so eine Besonderheit in seinem Schaffen. Weder
seine Biografie noch die Bau- und Entstehungsgeschichte der Paderborner
Synagoge sind bisher umfassender erforscht worden.
Bei ihr handelt es sich um ein dreistöckiges Gebäude, dessen Grundriss die Form
einer gestelzten Apsis aufweist. Das Baugrundstück war keilförmig an zwei
kreuzenden Straßen angelegt, die zu ihnen ausgerichtete Ecke des Neubaus
wurde rund gestaltet. Hier wurde zudem der Zugangsbereich eingelassen. Der
Eingang liegt erhöht über der Straßenebene und ist über einen Treppenaufgang
zu erreichen. Über der Tür erstrecken sich drei senkrechte Fensterbänder, die
das dahinterliegende Treppenhaus beleuchten und nach Außen betonen. Die
schlichte weiße Fassade wird an der südlichen Seite durch zwei Reihen hoher,
schmaler Fenster gegliedert (Abb. 3). Hinter der unteren Fensterreihe ist ein
großer Gemeindesaal mit angrenzender Küche ausgebildet, hinter der oberen
der Synagogenraum, der zwei Geschosshöhen überfängt.
Im Erdgeschoss befinden sich außerdem ein Büro und geschlechtergetrennte
Toiletten. Der Keller verfügt über einen weiteren Gemeindesaal mit einem
Billardtisch, der von den Mitgliedern auch heute noch fast täglich genutzt wird. Die
nördliche Seite des Baus verfügt über drei Geschosse, was an den Fensterreihen
106
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
von außen ablesbar ist. Im ersten und zweiten Obergeschoss befinden sich hier
zwei Wohnungen. Die Fenster der nördlichen Fassade sind deutlich kleiner als
die der Südseite. Damit wirken die hier angeordneten Nutzungen dem Bet- und
dem Gemeindesaal auf der gegenüberliegenden Seite nachgeordnet (Abb. 4).
Insgesamt lässt der Bau von außen zunächst nicht auf eine Synagoge schließen.
Lediglich die im Geländer sehr schlicht eingearbeiteten Davidsterne können
einen Hinweis geben. Allerdings hat die Synagoge eine prägnante Ausrichtung
zum Innenstadtring, ist von weitem gut zu sehen und fällt durch ihre moderne,
schlichte Gestaltung auf.
Im Inneren ist der Betsaal ist ähnlich aufgebaut wie eine Kirche, mit festen
Sitzbänken, die sich zum Thoraschrein ausrichten (Abb. 5). Der Longitudinalraum
ist nach Osten ausgerichtet. Seine Innenraumgestaltung hebt ihn von anderen
dieser Jahre ab, die größer angelegt und betont hell gestaltet wurden. Der Betsaal
in Paderborn ist dagegen eher klein und durch die Bestuhlung etwas dunkel. Er
zeichnet sich allerdings durch seine farbige Wandgestaltung, viele Leuchter und
Buntglasfenster aus. Man betritt ihn von Westen durch einen kleinen Vorraum,
in dem die Gebetbücher in verschiedenen Transkriptionen aufbewahrt werden.
Oberhalb des Zugangs befindet sich eine Empore, auf der die Frauen während
des Gottesdienstes Platz finden.
Der Thoraschrein ist in die Wand eingelassen und wird von einem roten
Samtvorhang mit aufgestickten goldenen Löwen geschlossen. Dahinter werden
die Thorarollen aufbewahrt. Oberhalb des Vorhangs ist eine Wandverkleidung
angebracht, die aus einem metallischen Gitter besteht und in der Mitte einen
Davidstern ausbildet, in dem sich eine Doppelform befindet, welche die
Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten symbolisiert. Begrenzt wird der Bereich
des Thoraschreins mit einem dunkelgrünen Rahmen, der sich von der restlichen
pastellgrünen Ostwand absetzt. Auf ihr sind weitere Symbole des Judentums
zu finden: links ein neunarmiger Leuchter, die sogenannte Chanukkia; rechts
ein weiterer Davidstern, der das Ewige Licht beinhaltet. Vor dem Thoraschrein
steht die Bima, die ebenfalls mit einem Überwurf aus rotem Samt bestückt ist.
So ergibt sich eine Einheit mit dem Thoraschrein.
Die Seitenwände und die Decke heben sich durch ihre Gestaltung deutlich von
der Rückwand mit ihrer pastellgrünen Farbe ab. Die Decke ist unterteilt: Ein
abgesenkter Rahmen, der mit circa einem Meter Breite von den Wänden in den
Innenraum ragt, ist mit pastellgelber Farbe abgesetzt. Die mittige Fläche ist in
Weiß gehalten. Einziges Schmuckelement ist eine strahlenförmige Hängung
110
Abb. 5
von zehn Lampen. Licht spielt auch bei der Gestaltung der Seitenwände eine
große Rolle. Die linke Wand ist in Joche unterteilt, wobei der untere, mit Holz
verkleidete Bereich die Heizkörper kaschiert. Die einzelnen Joche werden durch
Lisenen getrennt, die in verschiedenen abgestuften Grüntönen gestaltet sind
und jeweils ein Lampengestell besitzen. Die dazwischen liegenden Flächen sind
dagegen in Rosa gehalten.
Eine Besonderheit sind die Buntglasfenster der rechten Wand, die ebenfalls in
Joche unterteilt werden. Unterhalb der Fenster befinden sich auch an dieser
Wand Heizkörper hinter einer Holzverkleidung. Die Fenster zeigen rötliche Äste
mit grünen Blättern. Gemäß der Farbsprache kann man assoziieren, dass aus
dem roten Stamm und Geäst, welches für das Leid in der Vergangenheit des
Judentums stehen könnte, trotzdem grüne Blätter der Hoffnung entspringen
können. Die farbige Gestaltung des Innenraums, der rund 70 Personen
aufnehmen kann, stammt ebenfalls vom Architekten Karl Gerle. Sie ist bis heute
im Originalzustand von 1959 erhalten.
Verwendete Literatur
Birkmann, Günther; Stratmann, Hartmut: Bedenke vor wem du stehst. 300 Synagogen
und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe. Essen 1998.
Drewniok, Michael: Paderborn Früher und Heute: An der alten Synagoge. Online:
https://www.zeitreise-paderborn.de/detail/2009;jsessionid=1qfi8azy3vxr21nvxkysjbj1
ge?69 [13.05.2018].
Eberhardt, Jonas: Neue Synagoge für Paderborn. Die Planung zum Bau einer Synagoge
an der Ecke Krumme Grube / An der Burg 1956. In: Die Warte 76 (2015), Heft 167, S.
38-39.
Kogan, Alexander: Seit 1945 wieder jüdisches Leben in Paderborn. Online: http://jgpaderborn.de/chronik/
[13.05.2018].
Krinsky, Carol Herselle: Europas Synagogen. Architektur, Geschichte und Bedeutung.
Stuttgart 1988.
Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in
Deutschland. Regensburg 2010.
Die jüdische Gemeinde
In Urkunden der Stadt wird jüdisches Leben bereits im Jahre 1342 erwähnt.
Immer wieder kam es im Mittelalter zu Verfolgungen. 1764 wird in Schriftquellen
dann erstmals eine Synagoge genannt. Trotz der Ausgrenzung, Vertreibung und
Ermordung durch die Nationalsozialist/innen gründete sich die Gemeinde 1945
neu. Seit 1953 ist sie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Vor der Machtergreifung der Nationalsozialist/innen gab es in Paderborn 80
Familien mit circa 350 Angehörigen. Im Juli 1942 wurden die letzten 34 Juden
und Jüdinnen des Stadtgebietes deportiert. Heute ist die Gemeinde mit etwa
60 Mitgliedern die kleinste in Nordrhein-Westfalen. Nur wenige von ihnen
besuchen die Gottesdienste regelmäßig. So fungiert die Synagoge nicht nur als
Gotteshaus, sondern vielmehr und vor allem als Gemeindetreff und Anlaufstelle.
Die Gemeindearbeit äußert sich hier besonders durch gemeinsame Festivitäten
sowie eine Mittagsbetreuung für alleinstehende, ältere Menschen. Aber auch
Studierdende aus der ganzen Welt sind willkommen. Die Gemeinde gehört zum
Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe.
112 113
Iliana Panagiotidou
Die Neue Synagoge mit Gemeindezentrum in
Essen
Die jüdische Kultusgemeinde in Essen befindet sich in einem Wohngebiet im
südöstlich des Zentrums gelegenen Moltkeviertel. Die Synagoge und das
Gemeindezentrum sind auf einem keilförmigen Grundstück angeordnet. Dabei
bildet die Synagoge mit ihrer Form einer Halbkugel den niedrigsten Teil des
Gebäudekomplexes aus (Abb. 1). Sie ragt direkt aus dem Boden hervor und ist
durch zwei Gänge an das Gemeindezentrum angebunden. Dieses besteht aus
drei Stockwerken und bildet den höchsten Gebäudeteil auf dem Grundstück aus.
Am 21. Oktober 1959 wurde der Komplex an der Sedanstraße 46 eingeweiht.
Seit 1999 steht die Neue Synagoge unter Denkmalschutz.
115
Die Synagoge an der Sedanstraße als neuer gemeinsamer Ort
Der neue Komplex zentralisierte das jüdische Leben an einen Ort, sowohl durch
den Bau der Synagoge, als auch durch das direkt daran anliegende
Gemeindezentrum. Dessen Architektur erfüllt mit den gegebenen Räumlichkeiten
Abb. 1
alle Bedürfnisse der Gemeinde. Vor diesem Neubau existierten bis 1938 drei
Synagogen parallel. Die Synagoge in Werden bestand bis 1938 und wurde nach
dem Krieg im Zuge von Sanierungen im Ort abgerissen. Die Synagoge im Stadtteil
Kettwig wurde in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 von Nationalsozialist/
innen in Brand gesetzt, komplett zerstört und anschließend ebenfalls abgerissen.
Die Synagoge an der Steeler Straße [ S. 59] wurde gleicherweise angezündet
und dabei erheblich im Innenraum beschädigt, so dass er in der Folge nicht
mehr benutzt werden konnte. Ein Wiederaufbau war während der NS-Zeit nicht
realisierbar. Zum einen fehlten finanzielle Mittel und zum anderen wurden nahezu
alle Juden und Jüdinnen, die nicht mehr emigrieren konnten, in den kommenden
Jahren deportiert und ermordet. 1944 gab es in Essen offiziell keine Juden und
Jüdinnen mehr, nur wenige konnten im Versteck leben.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrten einige wenige Überlebenden
in die Stadt zurück, so dass es 1945 eine kleine Gemeinde mit etwa 194
Mitgliedern gab. Sie hatte aufgrund der Zerstörungen keinen richtigen Ort
mehr, um Gottesdienste abzuhalten. So entstand in den kommenden Jahren
zunehmend der Wunsch, eine neue Synagoge zu bauen. Diese sollte auch über
ein Gemeindehaus verfügen und auf dem Grundstück des ehemaligen jüdischen
Jugendheims errichtet werden. Dieses 2.115 Quadratmeter große Areal
befindet sich am Dreieck Ruhrallee, Sedanstraße und Saarbrücker Straße. Das
Jugendheim war zwischen 1930 und 1933 von Erich Mendelsohn (1887-1953)
geplant worden, einem prominenten und erfolgreichen Vertreter der als „Neues
Bauen“ bezeichneten Strömung der modernen Architektur in der Weimarer
Republik. Als Jude sah er sich 1933 gezwungen, Deutschland zu verlassen. Sein
Bau wurde ebenfalls in der Pogromnacht 1938 in Brand gesetzt und zerstört.
Die Essener Architekten, welche die neue Synagoge bauten, waren Heinz Heise
und Dieter Knoblauch. Die beiden nicht-jüdischen Architekten waren anhand
eines Wettbewerbs im Jahr 1957 ermittelt worden. Parallel entwarfen und
realisierten sie das neue jüdische Gemeindehaus an der Fasanenstraße in Berlin.
Es steht auf dem Grundstück einer ehemaligen Synagoge und wurde ebenfalls
1959 eingeweiht.
Nach der Eröffnung der Neuen Synagoge in Essen wuchs die Gemeinde nur
sehr langsam. Dies änderte sich erst mit der Immigration aus der ehemaligen
Sowjetunion ab 1990. Besonders die hohe Zuwanderung im Jahr 2003 stellte
die Gemeinde vor neue Aufgaben, die unter anderem die Integration der neuen
Mitglieder betrafen. Heute gehören ihr rund 1.400 Personen an.
117
Die Halbkugel und ihr Vorbild
Der Synagogenbau ist in seiner Ausführung einzigartig in Deutschland. Die
Architekten orientierten sich bei der Gestaltung des Gebäudekomplexes nicht
nur an den Gegebenheiten des Grundstücks, sondern kannten auch die Park
Synagogue in Cleveland (USA), die Erich Mendelsohn gestaltet hatte und die
1950 eingeweiht worden war. Sie befindet sich ebenfalls auf einem keilförmigen
Grundstück, welches einen halbkugelförmigen Synagogenbau in der Spitze
beherbergt. Der Essener Komplex folgt bei der Anordnung der Gebäudeteile dem
Vorbild in Cleveland. Heinz Heise und Dieter Knoblauch erachteten zudem den
runden Grundriss ihrer Synagoge als Symbol für den monotheistischen Glauben
der Gemeinde. Die mit Kupfer bedeckte und mit Kork isolierte Halbkugel besitzt
keine Fenster, sondern lediglich rechteckige Öffnungen, die mit bunten runden
Glasbausteinen gefüllt sind. Diese lassen nur gedimmtes Licht in das Innere
der Synagoge (Abb. 2). Der Thoraschrein liegt direkt auf der Grundstücksachse,
durch die flankierenden Gangbauten befindet sich der Schrein im Inneren des
Areals. Außerdem wurde die unzugänglich wirkende Halbkugel von den beiden
Architekten gewählt, um durch die Abgeschlossenheit nach außen die
Konzentration auf das Innere zu steigern und einen Raum religiöser Kontemplation
zu schaffen. Doch nicht nur der Synagogenbau erscheint undurchdringlich,
sondern der gesamte Komplex. Er wirkt zwischen den umliegenden Wohnhäusern
wie eine Insel, die für Außenstehende nur schwer zugänglich ist.
Im Inneren des Gebäudekomplexes, gerahmt durch die Architektur, liegt ein
kleiner Garten (Abb. 3). Er ist mit einem Brunnen und einer steinernen Skulptur
von Dieter Kerchner (1933-1994) ausgestattet, die an die vielen Opfer des
Nationalsozialismus erinnern soll (Abb. 4). Am Eingang des Gartens, der durch
das Foyer betreten werden kann, wurde eine eiserne Tür aus der Alten Synagoge
verwendet. Die Architektur ist eng verknüpft mit den Symbolen des jüdischen
Glaubens, die an verschiedenen Orten in und an der Synagoge angebracht sind.
Als Beispiel zu nennen ist der Davidstern aus Glasbausteinen im Scheitel der
Kuppel, der gleichzeitig als Lichtquelle dient. Der Bau wird sowohl von außen als
auch von innen durch Gedenk- und Bildtafeln sowie durch Buntglasfenster im
Treppenhaus des Gemeindezentrums, die je eine Geschichte erzählen und auf die
Vergangenheit verweisen, unterstützt.
Der Wandel der Architektur nach dem Krieg ist in der Gestaltung der Synagoge
erkennbar. Ihre Erscheinungsform bezieht sich auf Mendelsohns Synagoge in
Cleveland und verweist zudem auch auf den lokalen Kontext jüdischen Bauens,
118
Abb. 2
Abb. 3
da der Architekt Anfang der 1930er Jahre an ihrem Standort ein Jugendheim
errichtet hatte. Der Typus der Halbkugel ist aber auch im regionalen Kontext
der Nachkriegsmoderne zu verorten. Er findet sich nicht nur im Synagogenbau
wieder, sondern zeigt sich ebenfalls in anderen Bauaufgaben dieser Epoche.
Das Zeiss-Planetarium in Bochum (Karl-Heinz Schwarze, 1964 eröffnet) oder das
Opernhaus in Dortmund (Heinrich Roskotten und Edgar Tritthart, 1965 eröffnet)
sind nur zwei Beispiele für ihre Verwendung in diesen Jahren. Diese Form
der Architektur zeigt sich somit so variabel wie die Erscheinungsformen von
Synagogen selbst, die keiner einheitlichen Vorgabe folgen. Die Architektur des
Kuppelbaus dient als Hülle, die durch unterschiedliche Funktionen gefüllt werden
kann und den Ansprüchen der jeweiligen Aufgabe gerecht wird. Die Kuppel zeigt
sich als geschlossenes System, das die jeweiligen Nutzungen in sich zentralisiert.
Verwendete Literatur
Bergmann, Berger; Brdenk, Peter (Hg.): Architektur in Essen 1900-1960. Essen 2012.
Hammer-Schenk, Harold: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im
19. und 20. Jahrhundert (1780-1933). Hamburg 1981.
Morgenthaler, Hans R.: Es wird schwierig, eine Wohnung für uns zu finden. In: Stephan,
Regina (Hg.): Erich Mendelsohn. Architekt 1887-1953. Gebaute Welten: Arbeiten für
Europa, Palästina und Amerika. Ostfildern-Ruit 1998, S. 288-315.
Pracht-Jörns, Elfie: Die neue Synagoge Essen (= Rheinische Kunststätten, Nr. 549). Köln
2013.
Schütze, Ursula: 50 Jahre Jüdische Kultus-Gemeinde Essen in der Sedanstraße. Essen
2009.
122 08
Abb. 4
Bochum, Duisburg, Bielefeld, Herford:
Synagogen nach 1990. Neue Sichtbarkeit
Regina Meleusencova
Die neue Synagoge der Jüdischen Gemeinde
Bochum-Herne-Hattingen
Seit 2007 existiert ein neues architektonisches Highlight in Bochum: die Neue
Synagoge der jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen.
127
Geschichte
Die erste Synagoge Bochums wurde im 18. Jahrhundert errichtet. Sie stand in
der Innenstadt, auf der Schützenbahn der heutigen Hausnummer 1 im Hinterhof.
Aufgrund des Anstiegs der jüdischen Bevölkerung wurde sie 1863 durch einen
größeren Bau von Theodor Haarmann ersetzt. Diese Synagoge befand sich nun in
der damaligen Wilhelmstraße 18, heute Huestraße / Dr.-Ruer-Platz. Vier weitere
Synagogen existierten in der unmittelbaren Umgebung Bochums: Eine in der
Oststraße in Wattenscheid, eine zweite in der Bahnhofstraße in Hattingen, die
dritte in der Schäferstraße, Ecke Hermann-Löns-Straße in Herne und schließlich
eine vierte in der Langenkampstraße 48 in Wanne. Sie alle wurden in der
Pogromnacht im November 1938 oder kurze Zeit später zerstört.
Lage
Der Neubau der Synagoge liegt auf einer Anhöhe neben dem Zeiss-Planetarium
(Karl-Heinz Schwarze, 1964 eröffnet). Das Grundstück war eine Schenkung der
Stadt Bochum an die jüdische Gemeinde. Das zuvor unbebaute Grundstück
wählte man auch aufgrund seiner Lage an der Castroper Straße, einer der
Einfahrtsstraße in die Innenstadt. In unmittelbarer Nähe befinden sich außer
dem Planetarium das beliebte und repräsentative Stadtparkviertel und das
denkmalgeschütze Gymnasium Hildegardis Schule. Benannt wurde der Platz,
der durch den Neubau entstand, nach Erich Mendel (1902-1988), der bis 1939
Kantor in der jüdischen Gemeinde Bochum war.
Aufgrund der Größe des Areals war es möglich, dass der Bau freistehend
errichtet werden konnte und die Ansicht von der Castroper Straße auf den hellen
kubischen Baukörper unverbaut blieb (Abb. 1). Das Plateau, auf dem sich der
Komplex befindet, funktioniert wie ein Podest, auf dem der Bau präsentiert wird.
Es soll so auch an den Zweiten Tempel in Jerusalem erinnern, der den aktuellen
Forschungen nach aufgesockelt war und sich nach biblischer Überlieferung auf
dem Berg Moria befand.
Über eine Rampe gelangt man von der Castroper Straße zu einem Vorplatz,
der den Synagogenkomplex mit dem Planetarium verbindet. Optisch geschieht
dies durch den Einsatz einheitlicher Pflasterung und die Aufstellung von fünf
Sitzbänken, die zwischen den Bauten vermitteln. Diese Sitzgelegenheiten
sollen die Gemeindemitglieder und BesucherInnen zum Verweilen einladen
und damit die Offenheit der Anlage steigern. Über den Platz erreicht man die
breit angelegte Treppe zum Plateau, die von zwei alten Linden flankiert wird.
Am Aufgang erinnert eine Steele an Erich Mendel. Von dem Plateau führen
zwei Zugänge in das Gebäude. Einer führt in das Gemeindehaus, das auch die
Synagoge beherbergt, der zweite in das Restaurant, das sich im westlichen Teil
des Komplexes befindet.
Architektur und Nutzung
Der neue Komplex aus Synagoge, Gemeindezentrum und Platzanlage
wurde von dem Architektenbüro Peter Schmitz GmbH aus Köln und der
Landschaftsarchitektin Ulrike Beuter sowie der Planergruppe Oberhausen
entworfen und umgesetzt. Den Auftrag erhielt Schmitz als Gewinner einer
Ausschreibung. In der anschließenden engen Zusammenarbeit mit der Gemeinde
entschied man sich für einen hellen Kubus. Die angrenzenden Gebäudeteile sind
128
Abb. 1
formal abgestimmt und ordnen sich in ihrer Höhe dem Gebetsraum unter. Sie
dienen als Gemeindesaal, Bibliothek, Büroräume und Kindertagesstätte sowie
als Restaurant.
Die genannten Funktionen sind in rechteckigen Baukörpern untergebracht, die
den Gebetsraum umrahmen (Abb. 2). Dieser hat mit 17 Metern eine enorme
Höhe und dominiert das Ensemble. Der Bau besteht aus hellem Kalksandstein
aus Israel. Im unteren Gebäudeteil wird die Synagoge im Osten durch fünf große
Fenster durchbrochen. Oberhalb davon wird die Fassade von einem Ornament
aus zahlreichen ineinander geschobenen Davidsternen strukturiert, das durch
vor- und zurückspringende Steine entsteht (Abb. 3). Diese Technik erinnert
an den regionalen Backsteinexpressionismus, der in den 1920er Jahren im
Industriegebiet des Rheinlands und Westfalens rege Verwendung fand. Oberhalb
der Fenster gliedert ein umlaufender Fries von kleinen dreieckigen Öffnungen,
die sich aus der Form der Ornamentierung ergeben, den Bau horizontal. Diese
kleinen Durchbrüche ermöglichen eine zusätzliche Belichtung des Innenraums
und wirken am Abend, wenn der Innenraum künstlich beleuchtet wird, als
gelungenes Lichtspiel nach außen.
Nicht zwangsläufig lässt sich der Bau aus der Fernsicht als Synagoge identifizieren.
Erst auf kürzerer Distanz verweist das Ornament auf die Bauaufgabe.
Der Architekt der Synagoge orientierte sich bei der Gestaltung des Gebäudes in
der äußeren Form an der Thora. Der Kubus bildete nach biblischer Überlieferung
den baulichen Höhepunkt des salomonischen Tempels. König Salomo (circa 990-
931 v.d.Z.) ließ diesen circa 957 v.d.Z. in Jerusalem errichten. Es soll sich um
einen dreiteiligen Komplex bestehend aus Vorhalle, durchfensterten Hauptraum
und fensterlosen und mit Gold ausgekleidetem Gebetsraum gehandelt haben.
Bewusst entschied man sich in Bochum dazu, den Baukörper nicht mit einer
Kuppel zu bekrönen, die ein Charakteristikum der meisten Synagogen des
19. Jahrhunderts war. Peter Schmitz wollte mit dem Verzicht einen Kontrast
zur kuppelförmigen Nurdachkonstruktion des nebenliegenden Planetariums
schaffen.
Gemeindesaal, Gemeindehaus und Synagoge sind zentral über einen Eingang
mit Sicherheitsschleuse zu betreten. Im sich anschließenden Foyer befindet
sich eine Rotunde, deren äußere Hülle mit Erinnerungsbildern und kurzen
Textpassagen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde, zum Bau der Synagoge
sowie zur Einweihungsfeier verkleidet ist. Im Inneren der Rotunde werden museal
aufbereitete Gegenstände der jüdischen Liturgie ausgestellt. Darunter sind zum
130 131
Beispiel eine große Thorarolle, Kronen zur Schmückung von Thorarollen und
Beschneidungsbesteck. An der linken Wand des Foyers ist eine Gedenktafel für
die Opfer der Verfolgung während des Nationalsozialismus angebracht.
Im hinteren Bereich des Foyers wurde eine Mahntafel in die Wand eingelassen,
bei der es sich um die Nachbildung eines Reliefs aus der alten Synagoge an der
Wilhelmstraße handelt. Es zeigt den Löwen von Juda. Das Original war nach
der Zerstörung der Synagoge von einem Gemeindemitglied gerettet und einer
anderen jüdischen Familie übergeben worden, die es in die USA schmuggeln
konnte. Vor einigen Jahren besuchte deren Tochter Bochum und schenkte der
Stadt den Abguss.
Die Ostwand des Foyers hebt sich deutlich von den anderen Wänden ab. Sie
ist wie die Fassade des Gebetsraums gestaltet. Im Gegensatz dazu sind die
anderen Wände glatt verputzt. Auf diese Weise und mit Hilfe einer schweren
bronzefarbenen doppelflügeligen Tür mit dem Symbol einer Menora ist
unmissverständlich gekennzeichnet, dass sich hinter dieser Wand der
Gebetsraum befindet. Links von dem Eingang bietet ein Waschbecken die
Möglichkeit zur symbolischen Handwaschung vor dem Gottesdienst. Der
Gebetsraum selbst ist innenarchitektonisch hell und großzügig gestaltet. Die
hohen Wände sind weiß verputzt. Die dreieckförmigen Lichtöffnungen gliedern
sie und bieten zusätzlich zu den fünf großen Fenstern der Ostwand eine natürliche
Beleuchtung. Die Folierung der Fenster nennt die zwölf Stämme Israels.
Vor dem mittleren Fenster steht der Thoraschrein, der ebenso wie die Fassade
eine Ornamentierung mit Davidsternen besitzt. Er wird flankiert von einem
großen Chanukkaleuchter und einer Menora. Vor dem Schrank befindet sich
die Bima. Sie ist ins Zentrum des Raumes gerückt. Auch diese architektonische
Lösung hat ihren Ursprung in der Thora. Dort heißt es „Du sollst meine Lehre
unter das Volk tragen“ (5. Mose 31, 11). Die Bima wird in konzentrischen
Kreisen von Sitzreihen eingefasst. Sie bilden einen Kontrast zum rechtwinkligen
Raum und zentrieren den Blick. Emporen mit weiteren Sitzplätzen ermöglichen
eine Geschlechtertrennung. Überfangen wird der Raum von einem goldgelben
Baldachin mit Opaion. Dieser soll an das Stiftszelt erinnern, das als Aufbewahrung
der Bundeslade während der Wüstenwanderung circa 1300 v.d.Z. diente. Dabei
handelte es sich nach biblischer Überlieferung um den Auszug der Israelit/innen
aus Ägypten und damit der Befreiung aus der Leibeigenschaft des Pharaos.
Der Gebäudekomplex in Bochum bietet daneben weitere Räume an, die dem
Gemeindeleben dienen. Ein Saal bietet Platz für das gemeinsame Essen nach der
Abb. 2
Abb. 3
Liturgie, aber auch für Feierlichkeiten wie Beschneidungen oder Geburtstage.
Der Raum ist in seiner Größe variabel und kann so der Anzahl der Gäste
angepasst werden. Der Gebäudekomplex in Bochum stellt weitere Räume für
das Gemeindeleben zur Verfügung: Südlich grenzt eine Kindertagesstätte an, die
jüdische und nichtjüdische Kinder aufnimmt. Eine Küche ermöglicht die koschere
Zubereitung von Speisen für das Gemeindezentrum und für das Restaurant. Im
Erdgeschoss gibt es außerdem eine Bibliothek. Im ersten Obergeschoss befinden
sich Büros, Räume für soziale Beratung, für die Hausaufgabenbetreuung.
Architektonische Bereicherung für Bochum
Die Neue Synagoge ist eine ästhetische Bereicherung des Stadtbildes. Der Bau
schafft es, sich von seiner Umgebung abzuheben, ohne dabei als Fremdkörper
wahrgenommen zu werden. Sowohl Form als auch Material und Gestaltung
sind aufeinander und auf die Umgebung abgestimmt. Der helle Stein weckt
Assoziationen zur Natur und passt sich damit in das grüne Stadtparkviertel
ein. Der Bau harmoniert zudem farblich mit der weiß-silbernen Kuppel des
Planetariums.
Bochum im Kontext der Synagogenbauten nach 2000
Betrachtet man Synagogen, die in Deutschland ab dem Jahr 2000 errichtet
wurden, lassen sich einige Parallelen feststellen. So hat die Bochumer Synagoge
die kubische und in sich geschlossene Bauweise mit den Gebäuden in Dresden
(2001 eröffnet, Büro Wandel, Hoefer, Lorch + Hirsch), Gelsenkirchen (2007
eröffnet, Benedikta Mishler und Reinhard Christfreund), Kassel (2000 eröffnet,
Alfred Jacoby) und München (2006 eröffnet, Büro Wandel, Hoefer und Lorch)
gemein. Der Synagogenkomplex in Dresden war dabei ein unmittelbares Vorbild
für den Bau in Bochum. Beide Synagogen wurden aus hellem Sandstein errichtet
und sind als freie Baukörper konzipiert. Das Gebäude in Dresden ist allerdings
weniger durchfenstert. Hier ermöglichen lediglich Lichtöffnungen von der
Größe einzelner Mauersteine eine Innen-Außen-Beziehung. Den Davidstern als
Ornament in der Fassade setzten auch die Architekten der Synagogen in Lörrach
(2008 eröffnet, Wilhelm-Hovenbitzer und Partner) und München ein.
In der Summe könnte man daraus schlussfolgern, dass sich ein Formenkanon
für den neuen Synagogenbau entwickelt hat. Einige Bauten wie Duisburg
(1999 eröffnet, Zvi Hecker; S. 139) oder Mainz (2010 eröffnet, Manuel Herz)
durchbrechen dieses Muster jedoch. So handelt es sich in Mainz um einen relativ
134 135
niedrigen und dabei sehr breit gelagerten Bau. Die Form der Architektur bildet
hier hebräische Buchstaben nach, die das Wort Keduscha (dt. Heilung) ergeben.
Alle diese Bauten haben gemeinsam, dass sie im städtischen Raum
auffallen. Zumeist versuchen die Architekt/innen mit Hilfe der offensiven
Integration von jüdischen Symbolen, Bezügen zur Thora und zur Liturgie
Unterscheidungen zu anderen modernen Bauaufgaben zu ermöglichen.
Offensichtlich ist, dass die lange Geschichte des Judentums immer eine
Rolle bei der Gestaltung spielt. Dabei sind Synagogen heute infolge von
Anschlägen und Anfeindungen in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger
hermetisch abgeschlossene Komplexe. Die Bochumer Lösung zeigt auf, wie
man diesem Eindruck mit architektonischen Mitteln und Funktionsmischungen
entgegenwirken kann. Die Einrichtung von Restaurants und Kindertagesstätten
wie in Bochum oder eines Museums wie in München unterstützen die Öffnung
der Synagoge und der jüdischen Gemeinde.
Verwendete Literatur
Liedtke, Gerd (Hg.): Die neue Bochumer Synagoge. Bilder und Texte. Berlin 2011.
Sachs, Angeli; Voolen, Edward van (Hg.): Jewish Identity in Contemporary Architecture
/ Jüdische Identität in der zeitgenössischen Architektur. München 2004.
Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in
Deutschland. Regensburg 2010.
Anna-Lina Heimrath
Synagoge und Gemeindezentrum Duisburg /
„The Jewish Cultural Centre“ von Zvi Hecker
Städtebauliche Situation
Mitten im ehemaligen Duisburger Innenhafen befindet sich seit 1999 das neue
Zentrum der jüdischen Gemeinden Duisburg, Mühlheim und Oberhausen.
Umgeben von dem Altstadtpark und in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt kragt
am Springwall zwischen einer Grünfläche und inmitten von Wohngebäuden der
moderne Betonbau des Architekten Zvi Hecker hervor (Abb. 1). Das dreistöckige
Gebäude ist in fünf Achsen strukturiert, die ihn mit dem angrenzenden Park
verbinden. An die Synagoge grenzt zudem das Kunstwerk Garten der Erinnerung
des israelischen Künstlers Dani Karavan (*1930), welches ebenfalls 1999
angelegt wurde, mit der Synagoge jedoch nicht in semantischer Verbindung
steht, sondern sich auf den ehemaligen industriellen Standort des Innenhafens
bezieht.
137
Abb. 1
Der Architekt und Maler Zvi Hecker
Der 1931 geborene Zvi Hecker studierte von 1949 bis 1950 am Polytechnikum
in Krakau (Polen) Architektur und von 1950 bis 1954 am Israeli Institute of
Technology (Technion) in Haifa (Israel). Anschließend schloss er ein Studium
der Malerei an der Avni Akademie in Tel Aviv (Israel) ab. Hecker ist vor allem
durch eine dekonstruktivistische und symbolträchtige Formensprache bekannt.
Ein Ziel seiner Architektur ist es, die Gebäude mit ihrer Umgebung zu verbinden
und diese beiden Komponenten in eine Beziehung zueinander zu setzen. Seine
Intention für den von ihm als Jewish Cultural Centre bezeichneten Gemeindebau
in Duisburg war es zudem, einen Ort der Zusammenkunft und Feierlichkeit zu
schaffen.
Die jüdische Gemeinde Duisburg im 19. Jahrhundert
Die Gemeinde besaß bereits seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine
Synagoge. Sie war in den Räumlichkeiten des ehemaligen Anatomiegebäudes
der 1818 aufgelösten Universität untergebracht. Da dieses Gebäude baufällig
und zu klein war, errichtete die Gemeinde im Jahr 1875 einen Neubau nach
dem Entwurf von dem Stadtbaumeister Landmann an der Junkernstraße, der
damit nur zwei Straßen von dem jetzigen Gemeindezentrum entfernt lag. Bei
der Synagoge handelte es sich um einen zweigeschossigen Ziegelbau auf
quadratischem Grundriss mit einer Kuppel. Durch die verwendeten Materialien
sowie durch die schlichte Fassadengestaltung fügte sich das Gebäude in das
damalige Stadtbild ein. Formal passte sich die Synagoge zudem zeitgenössischen
Kirchenbauten an. Der Innenraum teilt sich in ein unteres Geschoss und in ein
Emporengeschoss auf. Die Empore war dabei den Frauen vorbehalten. Im Osten
schloss das Gebäude mit einer Apsis ab, in der im Innenraum der Thoraschrein
und die Bima standen. Über die Ausstattung ist nicht viel bekannt, es gab jedoch
ein Gestühl, eine Orgel, später auch eine Chuppa und Bronzetafeln.
Mit der Machtübernahme der NSDAP war die jüdische Gemeinde seit 1933
dem brutalen Terror der SA ausgesetzt. Am 9. November 1938 setzten
Nationalsozialist/innen die Duisburger Synagoge, wie auch die Synagogen
in den Stadtteilen Ruhrort und Hamborn, in Brand. Da das Gebäude an der
Junkernstraße nicht vollständig abbrannte, war die Gemeinde gezwungen, die
Reste in den folgenden Wochen auf eigene Kosten abreißen zu lassen. 1939
lebten noch 841 Juden und Jüdinnen in der Stadt. Zwei Jahre später begannen
die Deportationen in den deutsch besetzten Osten, unter anderem nachŁ Łódźź,
140 141
Izbica/bei Lublin (beides Polen), Riga (Lettland) und Theresienstadt (Tschechien),
wo die Menschen mehrheitlich ermordet wurden.
Die jüdische Gemeinde von der frühen Nachkriegszeit bis in die
1990er Jahren
Nach der Shoah teilte sich die Duisburger Gemeinde in kleine Gruppierungen
in unterschiedlichen Stadtteilen auf. 1947 wurde in Mühlheim eine Gemeinde
gebildet, in Duisburg war die Zahl der Jüdinnen und Juden so gering, dass
es zunächst zu keiner Neugründung kam. 1955 schlossen sie sich daher
der Mühlheimer Gemeinde an. Die neue Doppelgemeinde traf sich in einer
Privatwohnung auf der Kampstraße in Mühlheim. Im Erdgeschoss befand sich
die Synagoge, die insgesamt 70 Personen Platz bot. Im Obergeschoss waren die
Verwaltungsräume untergebracht. Insgesamt gab es 83 Mitglieder, viele davon
waren Frauen. Doch auch nach einem Zusammenschluss mit der Oberhausener
Gemeinde im Jahr 1968 war nicht immer ein Gottesdienst möglich – ein Minjan
konnte nur selten gebildet werden.
Die Gemeinde zählte im Jahr 1988 117 Mitglieder. Gleichzeitig überschritt die
Zahl der Sterbefälle die Zahl der Geburten und viele junge Jüdinnen und Juden
übten ihren Glauben zunehmend in angrenzenden Gemeinden aus, so unter
anderem in Düsseldorf. Erst die Zuwanderung aus den Staaten der ehemaligen
Sowjetunion seit dem Anfang der 1990er Jahre veränderte die Entwicklung auch
in Duisburg und damit ebenfalls das Leben der jüdischen Gemeinde. So wurde
etwa ein Sprach- und Glaubensunterricht eingerichtet. Bereits 1991 gab es erste
Überlegungen zu einem Neubau, denn die Synagoge in Mühlheim bot längst
nicht mehr allen Angehörigen der Dreiergemeinde Platz.
Neubau der Synagoge
Im Frühjahr 1996 lobte die Jüdische Kultusgemeinde Mühlheim-Duisburg-
Oberhausen in Abstimmung mit der Internationalen Bauausstellung Emscherpark
und der Innenhafen Duisburg Entwicklungsgesellschaft einen Wettbewerb
aus. Sieben internationale Architekten wurden als Teilnehmer eingeladen. Das
Preisgericht entschied sich im Juli 1996 für den Entwurf von Zvi Hecker, die
Bauarbeiten begannen im darauffolgenden Jahr. Der Bau wurde durch die
drei Gemeinden sowie durch das Land Nordrhein-Westfalen finanziert. Das
Grundstück im Innenhafen schenkte die Stadt Duisburg der Gemeinde. Während
der Innenhafen heute zu einem der neuen Hotspots zählt, war der Platz in den
1990er Jahren unbeliebt: Das Gebiet war zur Zeit des Synagogen-Neubaus
noch in großen Teilen unbewohnt und der 1994 eingereichte Masterplan des
Londoner Architektenbüros Sir Norman Foster noch bis 2013 nicht vollständig
umgesetzt. Mittlerweile ist das Areal jedoch zu großen Teilen bebaut und
verbindet Gastronomie, Wohnen und Grünanlagen miteinander. Die jüdische
Kultusgemeinde hat sich den Standortbedingungen und -anforderungen
angepasst und vermietet das Gemeindehaus für externe Veranstaltungen.
Sie setzt zudem auf eine aktive Gemeindearbeit, betreut einen Kindergarten,
führt eine Sonntagsschule und ein Jugendzentrum. Es handelt sich um eine
Einheitsgemeinde; sowohl orthodoxe als auch liberale Gläubige besuchen den
Gottesdienst, der in orthodox-traditioneller Ausrichtung praktiziert wird.
Der Grundriss
Der Grundriss beruht auf fünf fächerförmig angeordneten, dreigeschossigen
Riegeln, die das Bauwerk horizontal strecken (Abb. 2). Insgesamt hat das Gebäude
eine Nutzfläche von 16.000 Quadratmetern. Es unterteilt sich in zwei Haupttrakte,
die durch zwei Treppenanlagen im Innen- sowie im Außenraum miteinander
verbunden sind. Bei der Gestaltung stand vor allem die Multifunktionalität
im Vordergrund. Zvi Hecker vereinte Gebetsräume, Gemeindezentrum und
Außenraum in einem Bauwerk. Der Grundriss spielt zudem auf zwei symbolische
Formen an: ein offenes Buch, aber auch eine ausgestreckte Hand, die mit
ihren Fingern auf die ehemaligen Standorte jüdischen Lebens, wie etwa die
Gemeindezentren in Ruhrort und Hamborn, verweisen will. Hecker legte mehrere
Ein- und Ausgänge an, die das Gebäude mit seiner Umgebung zu verbinden
versuchen, darunter eine lange Treppe an der Parkseite. Diese ist jedoch
mittlerweile ungenutzt. Ein weiteres Merkmal sind die vielen Zwischenräume,
die im Außenraum entstehen, wie etwa der Vorhof, der den Pförtnerbereich mit
dem Eingangsbereich der Synagoge unterteilt.
Das Gebäude
Die fünf großen Blöcke strukturieren das Gebäude nach außen und geben ihm
seine Form. Der verwendete, unverputzte Beton dominiert dabei die Gestalt
der Fassade. Daneben verbaute Hecker auf der Park-Fassadenseite Glas,
Metalltreppen sowie eine schwarze Schieferwand. Der westliche Gebäudetrakt
nimmt im Inneren einen großen Saal mit einer koscheren Küche auf. Er bietet
Abb. 2
Platz für Feierlichkeiten der Gemeinde, aber auch für externe Veranstaltungen.
In der östlichen Gebäudehälfte befinden sich die Synagoge und eine Bibliothek
sowie Arbeits- und Verwaltungsräume.
Der Haupteingang zeichnet sich durch eine hohe Glasfassade aus und liegt an
der Springwall-Straße in der Flucht der angrenzenden Wohnbebauung. Dadurch,
dass auch an dieser Synagoge Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden
mussten, sind ihm allerdings ein Pförtnerbereich und eine Sicherheitszone
vorgelagert (Abb. 3). Einem kleinen Innenhof schließt sich eine Eingangshalle
an, die in den Synagogenraum und das Gemeindezentrum führt. Sie ist hell
gestaltet und besitzt eine großzügige Glasfassade. Eine offene Treppe verbindet
die Frauenempore und das zweite Geschoss miteinander.
Der Synagogenraum
Der Synagogenraum bildet eine dreieckige Nische aus, in der der aus
Jerusalemer Marmor hergestellte Thoraschrein eingebracht ist (Abb. 4). Hier
befindet sich zudem das Ewige Licht. Dem Thoraschrein gegenüber steht die
Bima, zu deren Seiten die ebenfalls mit Marmor verkleidete Frauenempore
angeordnet ist. Ursprünglich war der Boden des Raumes auch mit Marmor
bedeckt, dieser wurde jedoch später wieder entfernt. Zur rechten Seite des
Thoraschreins befindet sich ein Buntglasfenster und in der Decke ist ein weiteres
Fenster eingelassen. Dieses gilt neben einer Deckenbeleuchtung als primäre
Lichtquelle.
Die Jüdische Kultusgemeinde Mühlheim-Duisburg-Oberhausen hat mit
Zvi Heckers Jewish Cultural Centre einen Neubau erhalten, der mit seiner
Materialität und Gebäudehöhe einen direkten Bezug auf die Umgebung nimmt
und sich in ihr durch die monumentale Fassade gleichzeitig offensiv behaupten
kann. Hecker gelingt es dabei, eine enge Verbindung zwischen dem Innenund
dem Außenraum zu erschaffen. Durch die komplizierte Aufteilung der
Räumlichkeiten wird die Nutzung der Architektur jedoch erschwert, was sich
insbesondere im verhältnismäßig kleinen Synagogenraum zeigt. Dennoch
gelingt es dem Architekten durch die symbolträchtige Formensprache, die vor
allem im Grundriss zum Tragen kommt, ein auffälliges und selbstbewusstes
architektonisches Zeichen nach außen zu schaffen.
144
Abb. 3
Abb. 4
Verwendete Literatur
Duisburger Forschungen. Schriftenreihe für Geschichte und Heimatkunde Duisburgs
58 (2012) und 34 (1989).
Barbian, Jan-Pieter; Heid, Ludger: Zwischen Gestern und Morgen. Kriegsende und
Wiederaufbau im Ruhrgebiet. Essen 1995.
Heid, Ludger J.: Ostjuden. Bürger, Kleinbürger, Proletarier. Geschichte einer jüdischen
Minderheit im Ruhrgebiet. Essen 2011.
Hruby, Kurt: Die Synagoge. Geschichtliche Entwicklung einer Institution. Zürich 1971.
Keller, Manfred: „So viel Aufbruch war nie…“. Neue Synagogen und jüdischen
Gemeinden im Ruhrgebiet. Chancen für Integration und Dialog. Berlin 2011.
O.A.: The Jewish Cultural Centre. Online: http://www.zvihecker.com/projects/project_
titel-31-1.html [10.04.2018].
Yegudin, Dmitri: Geschichte der Jüdischen Gemeinde. Online: http://www.jgduisburg.
de/geschichte.html [10.04.2018].
147
Abb. 1
Julia Murra
Die Siegesgeschichte einer Gemeinde: Die
Synagoge Beit Tikwa in Bielefeld
149
Die Synagoge, die in Bielefeld an der Detmolder Straße zu finden ist, bezieht
ihren Namen aus dem Hebräischen. Sie nennt sich Beit Tikwa, was übersetzt
„Haus der Hoffnung“ (Kley 2008, S. 1) bedeutet – ein Name, der zur Geschichte
der Synagoge gut passt (Abb. 1). Sie wurde am 21. September 2008 eingeweiht,
rund 70 Jahre nach der Zerstörung der vorherigen Synagoge an der Turnerstraße
im Zentrum der Stadt. Im jüdischen Kalender lag die Einweihung am 21. Elul
5769. Indra Kley zitiert in ihrem Artikel Yevgenij Minkovich, ein Mitglied der
jüdischen Gemeinde, der sagte, dass er noch nie so glücklich gewesen sei wie
bei der Eröffnung der neuen Synagoge (Ebd.).
Die 1905 eingeweihte Synagoge war während der sogenannten
Reichspogromnacht 1938 von den Nationalsozialist/innen zerstört worden, der
Großteil der Gemeindemitglieder wurde vertrieben, deportiert und ermordet.
Nach der Kapitulation des Dritten Reichs konnte die neugegründete jüdische
Kultusgemeinde ab 1945 ihr zurück erhaltenes Eigentum an der Stapenhorststraße
nutzen. Ab 1951 befanden sich hier sowohl eine kleine Synagoge als auch ein
Gemeinderaum. Zeitweise bestand die Gemeinde in den kommenden Jahren nur
aus zehn bis 20 Personen und so war es lange unklar, ob sich der Bau einer neuen
Synagoge überhaupt lohnen würde. Erst mit dem Zuzug von Juden und Jüdinnen
aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland änderte sich die
Situation. Heutzutage sind rund 300 Menschen Gemeindemitglied.
Für sie wurde kein neues Gebäude errichtet, sondern ab Ende 2007 die ehemalige
evangelische Paul-Gerhardt-Kirche zu einer Synagoge umgebaut. Beit Tikwa ist
damit die erste Synagoge Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, die aus
der Umgestaltung einer Kirche entstand. Die Planung oblag dem Bielefelder
Architekten Klaus Beck. Die Erscheinung des Gebäudes wird vorrangig durch
den Einsatz von Licht und hellen Materialien bestimmt. Die Fassade ist strahlend
in einem weißen Ton gehalten und wird von einem runden Dach abgeschlossen.
In den bunten Fenstern lassen sich hebräische Schriftzeichen finden. Kley
vergleicht die Farbe der hellen Gehwegplatten direkt vor der Synagoge mit der des
Jerusalem-Steins. Damit stellt die Farbigkeit des Materials eine Verbindung zum
Zweiten Tempel in Jerusalem her. Einige Farbakzente wurden vom Bielefelder
Maler und Designer Matthias Hauke gesetzt. Unter anderem gestaltete er die
sieben Rundfenster, die im Hauptraum um den Toraschrein herum zu sehen
sind. Sie symbolisieren die Schöpfungsgeschichte, wobei die Darstellung des
Menschen so weit stilisiert ist, dass erst auf einen zweiten Blick zu erkennen ist,
um was es sich handelt.
Der Umbau der Kirche kostete 2,5 Millionen Euro und dauerte knapp ein Jahr.
Allerdings war der Prozess der Übertragung nicht konfliktfrei, denn bevor mit
den Arbeiten begonnen werden konnte, wurde die Kirche von einer Bielefelder
Bürgerinitiative besetzt. Unter anderem protestierte sie dagegen, dass sie das
Kirchengebäude nach der Auflösung der Paul-Gerhardt-Gemeinde nicht mehr als
solches nutzen konnte. Laut ihren Aussagen war ihnen vermittelt worden, dass
die Kirche als Gebäude unverändert erhalten bleiben würde. Daneben sprachen
sich aber auch einige Mitglieder der jüdischen Gemeinde gegen die Entscheidung
aus. Kley zufolge blieb die Gemeinde auch während des Umbaus noch gespalten,
weshalb die Einweihung dazu beitragen sollte, dass die entfremdeten und
zerstrittenen Gruppierungen wieder zueinander finden. Trotz der vorherigen
Hausbesetzung blieb eine Demonstration am Tag der Einweihung aus. An ihr
nahmen nicht nur jüdische Bürgerinnen und Bürger, sondern auch Mitglieder der
katholischen, evangelischen, syrisch-orthodoxen Kirchen und des islamischen
Zentrums in Bielefeld teil.
150 151
Die Geschichte der Bielefelder Juden und Jüdinnen
Der früheste dokumentierte Nachweis über eine jüdische Gemeinde in Bielefeld
stammt aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, auch wenn Jüdinnen und Juden
vermutlich bereits vorher in der Stadt gewohnt hatten. Von 1807 bis 1813
war Bielefeld Teil des Königreichs Westfalen unter französischer Herrschaft.
Ein Dekret, das ein Resultat der Aufnahme der Stadt in das Königreich war,
änderte die Situation der jüdischen Einwohner/innen auf fundamentale Weise:
Ihnen wurde die Gleichberechtigung gewährt. Viele der Familien, die während
dieser Periode nach Bielefeld kamen, sollten hier bis zur NS-Zeit wohnen. Die
Gleichberechtigung hielt allerdings nicht lange und wurde mit der Besetzung
durch Preußen 1813 fast umgehend wieder rückgängig gemacht.
Während die Gemeinde 1825 nur 134 Personen zählte, wuchs sie in den
folgenden Jahrzehnten deutlich an. Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann der
Neubau einer Synagoge notwendig, weil in dem zuvor genutzten Gebäude am
Klosterplatz nicht mehr genug Platz war, um die Gemeinde während des Gebets
zu beherbergen. Inmitten Bielefelds, in der Turnerstraße, entstand daher ein
Kuppelbau mit einem weithin sichtbaren vergoldeten Davidstern in 41 Meter
Höhe. Das Gebäude wurde am 20. September 1905 eingeweiht und war damals
das höchste in der Stadt. Die Fassade zeigte geschwungene Renaissancegiebel
unter einem mit Schiefer gedeckten Dach. Architektonische Merkmale dieser
Art lassen sich noch heute an den Bauten des Landesgerichtes und des
Rathauses erkennen. Auf der roten Mamorestrade im Inneren befanden sich vor
dem Thoraschrein sowohl das Vorbetpult als auch eine Kanzel. Eine Orgel und
350 Sitzplätze für Frauen waren auf der darüberliegenden Empore angeordnet.
Allerdings wurde sie nur an hohen Feiertagen genutzt; sonst saß die Gemeinde
im Erdgeschoss, in dem sich 450 Sitzplätze befanden, gemischt.
Trotz aller Opposition: Eine Kirche wird zu einer Synagoge
2005 schloss sich die evangelische Paul-Gerhardt-Gemeinde mit der Neustädter
Mariengemeinde zusammen, weshalb die ehemalige Paul-Gerhardt-Kirche nicht
mehr benötigt wurde. Kurz nach dem Beschluss der Fusion verkündete die
Kirche daher, dass sie das Gebäude verkaufen wolle. Sofort bemühte sich die
jüdische Gemeinde darum und wurde sich relativ schnell mit dem Kirchenkreis
einig. Besonders die Gemeindevorsitzende Irith Michelsohn setze sich für den
Erwerb ein.
Wie bereits eingangs erwähnt, sprachen sich einige Christ/innen gegen den Kauf
aus. Unter anderem gründete sich die Bürgerinitiative Paul-Gerhardt-Kirche,
der ungefähr 80 Mitglieder angehörten. Die Protestaktionen kulminierten auf
evangelischer Seite mit einer Besetzung des ehemaligen Gotteshauses Ende März
2007. Erst nachdem entschieden war, dass die evangelische Gemeinde die Kirche
noch bis zum 12. September 2007 nutzen durfte, wurde die Besetzung beendet
und die jüdische Kultusgemeinde entschied sich, den Kauf durchzuführen.
Die Arbeiten an der Synagoge wurden im September 2008 nach ungefähr
zehnmonatiger Bauzeit fertiggestellt. Finanziert wurde der Umbau aus Mitteln
der Gemeinde, des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stadt. Das Aussehen
des ehemaligen Kirchengebäudes änderte sich durch die Umbauten stark. Es
war 1962 als braunroter Backsteinbau errichtet worden und nahm Bezug auf die
Türme der Neustädter Marienkirche, weshalb dem schlicht gestalteten Baukörper
der Paul-Gerhardt-Kirche ein unproportional hoher Kirchturm hinzugefügt worden
war. Nach der Errichtung hatte es keine wesentlichen baulichen Veränderungen
mehr gegeben.
Von spitz zu flach: Details des Umbaus
Als Klaus Beck sich dem Projekt zu widmen begann, war ihm zuerst nicht klar,
worauf er sich beziehen sollte, denn er ist selbst kein Jude und verfügte über keine
Erfahrungen im Synagogenbau. Im Gegensatz zum europäischen Kirchenbau
gibt es keine tradierte Bautypologie für Synagogen, die unmissverständlich
auf die Nutzung des Bauwerkes aufmerksam macht. Besonders wichtig für
die Entwurfsarbeit in Bielefeld war dann die grundlegende Veränderung der
Symbolik des Kirchturms, denn die Synagoge sollte sich bereits in der äußeren
Gestalt von einem typischen christlichen Bau unterscheiden. Daher wurde
die Spitze des Turms abgerissen und durch ein rundes, wesentlich flacheres
Dach ersetzt. Allerdings war nicht nur der Kirchturm spitz, sondern auch die
Gestaltung der Fenster im Eingangsbereich sowie im Hauptraum. Bei seiner
Beschäftigung mit Synagogenarchitektur entdeckte der Architekt jedoch als
ein gemeinsames architektonisches Motiv die Betonung runder Formelemente,
sowohl in Fenstern und Portalen, als auch in Kuppeln und Gewölben. So wurde
die Umwandlung des betont spitzen Baus in eine gerundete Formensprache
bestimmend für Becks Entwurf.
Da das Gebäude auch das jüdische Gemeindeleben in Bielefeld beherbergen
sollte, entstanden eine Bibliothek, Unterrichtsräume, Büros, ein Raum für
152 153
Kinder, eine Küche und ein Speiseraum. Danaben gibt es nicht nur einen großen
Thoraschrein im Hauptraum, sondern zudem einen zweiten, kleineren in einem
weiteren Gebetraum, der als Werktagssynagoge genutzt wird. Um weit sichtbar
zu sein, steht ein drei Meter hoher Leuchter aus Metall und Glas im Garten
vor der Synagoge, der zum Chanukkafest entzündet wird. Die Entwürfe der
Chanukkia im Außenbereich und einer Menora in der Synagoge haben dieselbe
Formsprache, um ein einheitliches Gesamtkonzept auszustrahlen.
Der christliche Altar wurde durch einen Thoraschrein ersetzt, der wie der
ehemalige Kirchturm oben abgerundet ist. Auf dem Schrein ist ein Baum
abgebildet und die Thorarollen werden von einem samtenen Vorhang geschützt.
Oben auf sitzt das Ewige Licht, eine grüne Glaskugel aus geschichteten Scheiben.
Der Schrein wurde von evangelischen, katholischen und freikirchlichen Christ/
innen gespendet und enthält die reich verzierten Thorarollen. Über ihm steht der
Vers „Ein Baum des Lebens ist sie denen, die an ihr festhalten“ auf Hebräisch
aus dem Buch Sprüche 3,18. Der Baum, der hier angesprochen wird, verweist
unter anderem auf das Holz, auf dem die Thorarolle aufgerollt ist. Insgesamt
ist der Schrein 4,30 Meter hoch und 1,90 Meter breit. Er ist direkt in die sieben
Glasfenster integriert, die die Schöpfungsgeschichte nacherzählen. Da Hebräisch
von rechts nach links gelesen und geschrieben wird, erfolgt die Anordnung der
Schöpfungsgeschichte entgegen dem Uhrzeigersinn, angefangen am ersten Tag
unten rechts. Diese Fenster sind bei Dunkelheit hinterleuchtet.
Die Bielefelder Gemeinde ist dem Reformgedanken verpflichtet, weshalb
unter anderem auf eine Trennung der Geschlechter verzichtet wird. Die
Empore dient also nicht dem Aufenthalt allein für Frauen, sondern gliedert den
Synagogenraum und erhöht die Zahl der Sitzplätze. Die Orgel- und die ehemalige
Posaunenempore wurden durch eine Erweiterung miteinander verbunden, um
so mehr Platz zu schaffen. Die Orgel der ehemaligen Kirchengemeinde wurde
angekauft und damit in die neue Nutzung übernommen. Obwohl bereits 1869
die erste Rabbinerversammlung in Leipzig den Beschluss gefasst hatte, dass
dem Spiel der Orgel am Schabbat und an den Festtagen keine religiösen
Bedenken entgegenstünden, besitzen heute nur wenige jüdische Gemeinden in
Deutschland eine solche.
An den Wänden sind ausgewählt Psalmen angebracht, um auf die Gesamtheit
aller 150 existierenden zu verweisen. Die Bima, auf der die Thorarollen während
der Lesung liegen, und auch das Rednerpult sind aus Pinienholz, eine in Israel
weitverbreitete Holzart. Die Stühle der Synagoge, der Rabbinerstuhl und
die fahrbaren Bücherregale sind hingegen aus hellem Birkenholz, um eine
gewisse Leichtigkeit im Raum zu erzeugen. Dasselbe soll durch die Wandfarbe
geschehen, die kein reines Weiß zeigt, sondern eines, in das Türkis
eingemischt worden ist. Der Davidstern, der im kleineren Gebetsraum, der als
Werktagssynagoge dient, oberhalb des Thoraschreins in einem imposanten
runden Fenster angelegt wurde, symbolisiert in seiner Farbgebung die vier
Elemente und in seiner Formsprache die Vereinigung des Menschen mit Gott.
Die seitlich liegenden Fenster wurden mit einer verzierten Folie versehen. Diese
besitzt die gleiche Form wie eines der Fenster in der ersten Synagoge am
Klosterplatz, wodurch sie an dieses Gebäude und die Geschichte der Gemeinde
erinnern soll. Gleichzeitig fungiert die Folie als Sichtschutz und schirmt so den
Gebetsraum vor den Blicken Außenstehender ab. Eine ähnliche Folie findet
sich im Fenster der Bibliothek, nur wurden hier die Fenster der Synagoge in der
Turnerstraße als Inspiration genommen.
Verwendete Literatur
Fritzsche, Lara: Die Gotteshaus-Besetzer von Bielefeld. In: Kölner Stadt-Anzeiger
vom 21.06.2007. Online: https://www.ksta.de/die-gotteshaus-besetzer-vonbielefeld-13716416
[12.02.2018].
Hauke, Matthias (Hg.): Beit Tikwa – Aus einer Kirche wird eine Synagoge. Berlin 2015.
Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld K.d.ö.R.: Geschichte der Juden in Bielefeld vor
der nationalsozialistischen Machtergreifung (1933). Online: http://www.juedischegemeinde-bielefeld.de/geschichte.html
[12.02.2018].
Kley, Indra: Die Bielefelder Gemeinde eröffnet ihre neue Synagoge – in einer ehemaligen
Kirche. In: Jüdische Allgemeine vom 25.09.2008. Online: https://www.juedischeallgemeine.de/article/view/id/2102
[12.02.2018].
Matheisen, Manfred: Irith Michelsohn abgewählt / Opposition setzt sich durch: Jüdische
Kultusgemeinde hat neuen Vorstand. In: Bielefelder Zeitung. Westfalen-Blatt vom
19.02.2008. Online: http://www.hiergeblieben.de/pages/textanzeige.php?id=17982An
[12.02.2018].
O. A.: Neue Synagoge in Bielefeld wird am Sonntag eingeweiht. Online: https://archive.
is/20120910021350/http://www.nealine.de/news/Politik/neue-synagoge-in-bielefeldwird-am-sonntag-eingeweiht-1937778944.html
[10.09.2012].
Sobotka, Heide: Heilige Blockade – Bielefelder halten weiterhin Kirche besetzt. In:
Jüdische Allgemeine vom 24.05.2007. Online: https://www.juedische-allgemeine.de/
article/view/id/3866 [12.02.2018].
Stiftung Baukultur Rheinland-Pfalz (Hg.): Gebauter Aufbruch. Neue Synagogen in
Deutschland. Regensburg 2010.
154 155
Tabea Schüler
Die Herforder Synagoge
Am 14. März 2010 feierte die jüdische Kultusgemeinde Herford-Detmold die
Einweihung der neuen Synagoge in der Komturstraße 23 in Herford und setzte
damit nicht nur ein Zeichen des Neuanfangs, sondern auch des Gedenkens. 72
Jahre nach der Zerstörung wurde der Neubau am gleichen Standort sowie im
nahezu gleichen Baustil des im November 1938 abgebrannten Vorgängerbaus
errichtet. Die Geschichte der Juden und Jüdinnen in der Stadt manifestiert sich
so in dem Neubau und mit ihm wurden gleichermaßen die Weichen für die
folgenden Generationen gestellt.
Bei der Untersuchung der Geschichte und Architektur ist zunächst ein Rückblick
auf die erweiterte Synagoge von 1892/93 erforderlich, um die Entscheidungen
bei der Gestaltung und für den Standort nachvollziehen zu können. Die Synagoge
von 1893 kann als Sinnbild für die besten Zeiten der Gemeinde gelten, die
Zerstörung des Gebäudes 1938 war einer von vielen Tiefpunkten in den Jahren
der Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der Gemeindemitglieder. Die in
gleichem äußeren Gewand erscheinende und in der inneren Struktur moderne
neue Synagoge nimmt Bezug auf diese beiden Aspekte der Geschichte. Mit dem
Neubau soll gleichzeitig eine Rückbesinnung auf die gesamte, über 700-jährige
jüdische Tradition in Herford stattfinden.
Geschichtlicher Hintergrund: Die Anfänge der jüdischen
Gemeinde in Herford
Bereits für das Jahr 1306 ist die Ansiedlung von Juden und Jüdinnen in Herford
nachweisbar. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ist von einer kontinuierlichen
Anwesenheit von etwa drei bis fünf Familien auszugehen. Nach dem 30-jährigen
Krieg siedelten sich durch ein Edikt des Brandenburger Kurfürsten Friedrich
Wilhelm (1620-1688) weitere Juden und Jüdinnen in der Stadt an. Im April 1826
beantragten sie erstmals die Einrichtung einer eigenen Synagoge und eines
Ritualbades. Im Jahr 1829 wies die preußische Regierung zunächst darauf hin,
dass eine Synagoge wegen möglicher Störungen der christlichen Gottesdienste
nicht zu nah an einer christlichen Kirche gebaut werden dürfte. 1830 teilte die
Stadt der Gemeinde dann mit, dass ein Grundstückskauf nicht vor der endgültigen
Genehmigung für einen Bau erfolgen dürfe. Bis zu dessen Errichtung sollten
noch 22 Jahre vergehen. Das Badehaus mit einer großen und einer kleinen
Wanne und Umkleideräumen konnte bereits 1839 gebaut werden. Es stand auf
einem Grundstück an der Petersilienstraße 4, das an die kleine Werre grenzte.
Die Mikwe, die ebenfalls auf dem Grundstück errichtet wurde, hatte so direkten
Zugang zu fließenden Wasser. Das Badehaus existierte mindestens bis Ende der
1840er Jahre, da es in den ersten Statuten der Gemeinde 1849 erwähnt wurde.
Der Synagogenbau in der Komturtstraße
Am 13. August 1852 konnte die jüdische Gemeinde die neue Synagoge an
der Komturstraße 23 – gegenüber der katholischen Kirche – einweihen. Den
schlichten, völlig schmucklosen quadratischen Bau im Hinterhof, der zunächst
auch als Schule genutzt wurde, errichtete der ortsansässige Maurermeister
Gottlieb Meyer. Von diesem Gebäude existieren heute keine Pläne mehr, es ist
lediglich auf einem Foto aus dem Jahre 1893 zu erkennen. Allerdings war bereits
wenige Jahre nach der Errichtung klargeworden, dass die Synagoge für die
Bedürfnisse der auf fast 300 Mitglieder angewachsenen Gemeinde nicht mehr
ausreichte. So erweiterte die Baufirma Althoff und Lakemeier das Gotteshaus in
156
Abb. 1
den Jahren 1892/93 grundlegend. Auf dem östlich angrenzenden Grundstück
entstand zudem ein neues Schul- und Gemeindehaus (Abb. 1).
Beide Gebäude wurden in einer neogotischen Backsteinarchitektur errichtet,
eine Entscheidung, mit der die jüdische Gemeinde ihren Synagogenneubau der
zeittypischen Gestaltung im Kirchenbau annäherte. Für den Gesamtentwurf war
möglicherweise der bekannte Herforder Architekt Carl Schubert verantwortlich.
Der 172 Quadratmeter große, eingeschossige, traufständige Originalbau aus
Backstein erhielt ein Satteldach. Die Erweiterung des Synagogengebäudes
bestand im Wesentlichen aus einem Anbau an die straßenseitige Südfassade,
der das Treppenhaus aufnahm. Er wurde durch einen mit einem Konsolfries
geschmückten Giebel, den der Davidstern bekrönte, abgeschlossen.
Daneben gab es mehrere Umbauten im Inneren und Äußeren. Hohe
Spitzbogenfenster mit Maßwerkfüllung erhellten Treppenhaus und Betraum. Alle
Schmuckelemente – Fries, Strebepfeiler, Sohlbänke, Gesimse, Fensterrahmen
und die Inschriften-Kartusche – waren aus hellem Werkstein gearbeitet, der sich
von dem rötlichen Mauerwerk absetzte. Im Osten befand sich ein halbrunder
Anbau für den Thoraschrein, darüber ein großes halbrundes Fenster und ein
kleineres Rundfenster. Mit dieser Architektur zeigte die jüdische Minderheit
ihr gestiegenes Selbstbewusstsein, passte sich aber auch der christlichen
Umgebung an: „Die Fenster, die Friese und die über Eck gestellten Strebepfeiler
verleihen nun der ehemals schlichten Synagoge das Aussehen einer gotischen
Kapelle, bei der nur noch der Stern und das Inschriftband auf den jüdischen
Kultbau hinweisen.“ (Hammer-Schenk 1981, S. 443). Die Neuweihe der
Synagoge fand am 3. September, die Einweihung des Schul- und
Gemeindehauses am 7. Oktober 1893 statt. Die Schule wurde allerdings nur bis
1902 geführt.
Zerstörung der Synagoge
Am 12. April 1934 musste gegen 1 Uhr nachts ein Brand im Gotteshaus
gelöscht werden. Im ersten Bericht zur Klärung seiner Ursache durch die
Landeskriminalpolizeistelle Hannover konnte ein vorsätzlich gelegtes Feuer
nicht ausgeschlossen werden. Ein zweites Mal wurde in den Abendstunden des
9. November 1938 Feuer in der Synagoge gelegt. Die herbeigerufene Feuerwehr
griff zuerst nicht ein. Die Inneneinrichtung und die wertvolle Orgel wurden
in der Folge völlig zerstört. Auch das Archiv der Gemeinde verbrannte, die
Fensterscheiben wurden zertrümmert. Die Feuerwehr begann erst zu löschen,
158 159
als das Feuer auf ein Nachbargebäude überzugreifen drohte, in dem explosive
Materialien einer Färberei gelagert waren.
Trotz der Verzögerung der Löscharbeiten blieben der Boden und das
Dachgestühl der Synagoge zunächst erhalten. Die Zerstörung wurde daher
am 10. November 1938 unter der Anwesenheit schaulustiger Bürger/innen
fortgesetzt. Der Innenraum wurde weiter demoliert und die Einrichtung
geplündert. Nur eine durch Feuer und Wasser geschädigte Thorarolle konnte
gerettet und nach 1945 der jüdischen Gemeinde zurückgegeben werden. An
der Giebelseite zur Komturstraße schlug ein Herforder Bürger den Davidstern
herunter. Er war der einzige Täter, der nach 1945 für diesen Angriff verurteilt
wurde. Die Synagogenruine durften nicht wiederhergestellt werden (Abb. 2).
Die Gemeinde wurde zudem gezwungen, das Grundstück zu verkaufen. Die
Stadt erwarb es für 4.732 Reichsmark, ließ die Ruine abreißen und errichtete
an der Stelle einen Parkplatz. Das Gemeindehaus hingegen blieb erhalten und
zunächst im Besitz der jüdischen Gemeinde. Hier wurden die jüdischen Kinder,
die nach der Pogromnacht ihre Schulen verlassen mussten, vom Prediger Lewin
unterrichtet.
Zu der Zeit lebten noch etwa 120 Bürger/innen jüdischer Konfession in der Stadt.
33 von ihnen mussten sich am 9. Dezember 1941 auf dem Marktplatz einfinden.
Sie wurden anschließend zum Gasthof „Kyffhäuser“ nach Bielefeld gebracht, der
Sammelstelle für die Deportation aus dem Regierungsbezirk Minden. Etwa 400
Menschen wurden hier unter unzulänglichen Bedingungen zusammen getrieben.
Angehörige der Gestapo und anderer deutscher Institutionen deportierten sie
am folgenden Schabbat, dem 13. Dezember 1941, nach Riga, wo sie vermutlich
mehrheitlich erschossen wurden. Auch in den Jahren darauf fanden weitere
Vertreibungen und Deportationen statt.
Wiederaufbau der Synagoge
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen
Herrschaft in Deutschland kamen die nach Herford zurückgekehrten Jüdinnen
und Juden in eine Stadt, in der von ihrer Jahrhunderte währenden Anwesenheit
nur noch der Friedhof und das Gemeindehaus zeugten. Nach 1945 musste die
Stadt das Grundstück, das vormalige Gemeindehaus und den jüdischen Friedhof
mit einer Kapelle an die Jewish Trust Corporation for Germany restituieren.
Die wenigen Überlebenden, zu denen auch neu zugewanderte Jüdinnen und
Juden vor allem aus der Sowjetunion gehörten, gründeten die Gemeinde neu.
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 2
Diese übernahm das Gemeindehaus und richtete hier einen kleinen Betsaal
ein. Er wurde anschließend mehrfach umgestaltet und diente bis 2010 für den
Gottesdienst.
Ein Synagogenneubau wurde zwar schon kurz nach Kriegsende erwogen, kam
aber aufgrund der kleinen Gemeinde und mangelnder öffentlicher Unterstützung
nicht zustande. 1970 schlossen sich die Herforder und die Detmolder Gemeinde
zusammen, unter anderem um einen gemeinsamen Synagogenbau am Standort
des alten Gotteshauses zu realisieren. Erst mit dem Beginn der 1990er Jahre
wurden diese Pläne konkreter. Es dauerte dann trotzdem noch einmal mehr als
15 Jahre, bis am 29. Mai 2008 der erste Spatenstich gesetzt wurde. Noch im
gleichen Jahr fand das Richtfest statt und am 14. März 2010 feierte die Gemeinde
Herford-Detmold die Einweihung ihrer Synagoge (Abb. 3).
Der Neubau steht aufgrund der ungünstigen Bodenverhältnisse auf
Betonpfeilern. Seine äußere Gestaltung ist dem 1938 fast unversehrt gebliebenen
Gemeindehaus von 1892/93 angepasst und besitzt deutlich die neogotische
Architektur. Das Maßwerk am Südgiebel der Synagoge zeigt ein Relief aus
Sandstein mit den sechs Schöpfungstagen und dem Ruhetag. Der Türsturz
über dem Eingangsportal gibt den Spruch aus Jesaja 56, 7 auf hebräisch sowie
deutsch wieder, der auch an der alten Synagoge angebracht war: „Denn mein
Haus soll ein Bethaus sein für alle Völker“.
Im Erdgeschoss befindet sich der Gemeinschaftsraum, der modern und schlicht
eingerichtet wurde und für Feierlichkeiten genutzt wird. Im Untergeschoss ist
die gesamte Versorgung für das Haus inklusive zweier Küchen, von denen eine
koscher ist, und die Sanitäranlagen untergebracht. Außerdem hängen hier alte
Entwürfe und Architekturpläne der umgebauten Synagoge von 1892/93 an den
Wänden. Die Verglasung des quadratischen Fensters im Treppenhaus stellt
einen zerrissenen Davidstern dar, der zeigen soll, wie stark das jüdische Volk auf
der Erde verstreut ist.
Das Tonnengewölbe des Betraumes, welcher sich im Obergeschoss befindet,
ist mit 248 Lichtern versehen (Abb. 4). Es zeigt den Himmel mit den Sternen
über Jerusalem zu Rosch ha-Schana im jüdischen Jahr 5770. Die Berechnungen
hierfür hat Bernhard Brauner von der Sternwarte des Friedrich-Gymnasiums
Herford gemacht. Die Anzahl der Sterne wurde gewählt, weil 248 Gebote das
jüdische Leben begleiten. Die Bleiverglasung der Fenster im Betraum soll die
vielen Tränen der Freude, aber auch der Trauer wiedergeben. Da es sich um eine
reformierte jüdische Gemeinde handelt, gibt es keine Frauenempore.
162 163
Das Gemeinde- und Schulhaus in der Komturtraße 21
Das ebenfalls 1892/93 errichtete und heute noch erhaltene Gemeinde- und
Schulhaus entstand an der Stelle eines alten, baufälligen Fachwerkhauses.
Neben dem Schullokal wurde im Erdgeschoss ein Versammlungssaal für den
Gemeindevorstand und in den beiden oberen Geschossen Wohnungen für den
Lehrer und den Prediger geschaffen. Bei dem Gebäude handelt es sich um
ein zweigeschossiges massives Bauwerk, das etwas aus der Fluchtlinie der
Bebauung in dieser Straße hervorragt. Das steile Satteldach sitzt auf einem
Drempel auf, der mit einem farblich abgesetzten Fries geschmückt ist (Abb. 3).
Wie bereits erwähnt lieferte für diesen Bau wohl ebenfalls der Architekt Schubert
den Entwurf, wie bei der parallel errichteten Synagoge lag die Bauausführung
in den Händen von Althoff und Lakemeier. Die neogotische Formensprache
erscheint lediglich an der südlichen Straßenfront und an der Westfassade.
Die heute freiliegende Ostfassade wurde früher durch ein angrenzendes
Fachwerkhaus verdeckt. Die rückwärtige Giebelfront ist schlicht und
schmucklos. Die beiden Schaufassaden sind durch waagerecht verlaufende,
glasierte Ziegelreihen, Stockwerk- und Sohlbankgesimse gegliedert. Die
Fenster im Erdgeschoss mit Bleisprossen und farbiger Verglasung blieben im
Originalzustand erhalten. Im Rahmen eines Umbaus im Jahr 1919 wurde der
Zugang von der Traufseite an die rückwärtige Giebelseite verlegt.
Der Friedhof an der Friedhofsstraße
Der jüdische Friedhof ist einer der wenigen in Nordrhein-Westfalen,
der einen relativ großen, gut erhaltenen Bestand an Grabsteinen des
17. Jahrhundert aufweist. Das Areal ist mehrfach erweitert worden, zuletzt
vermutlich im Jahr 1908. Die Halle, die unmittelbar hinter dem eisernen
Eingangstor auf dem jüngeren Friedhofsteil steht, wurde 1909 errichtet. Das
mit einem Satteldach versehene Backsteingebäude auf rechteckigem Grundriss
gehört zu den wenigen historischen jüdischen Friedhofshallen in Nordrhein-
Westfalen, die die nationalsozialistische Gewaltherrschaft überstanden haben.
Während des Zweiten Weltkrieges wurden in dem Gebäude Zwangsarbeiter/
innen zeitweise einquartiert, die die Grabsteine vom älteren Teil abräumen
mussten. Auf der freien Fläche sollten Gemüse und Kartoffeln angebaut werden.
Die Steine blieben erhalten und konnten in den 1960er Jahren wieder aufgestellt
werden, wobei allerdings die ursprüngliche Reihenfolge nicht beachtet wurde.
Verwendete Literatur
Alicke, Klaus-Dieter: Herford (Nordrhein-Westfalen). In: Ders.: Aus der Geschichte
der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Online: http://www.jüdischegemeinden.de/index.php/gemeinden/h-j/883-herford-nordrhein-westfalen
[11.04.2018].
Brade, Christine; Brade, Lutz; Heckmanns, Jutta; Heckmanns, Jürgen (Hg.): 700 Jahre
jüdische Geschichte und Kultur in Herford. Bielefeld 1990.
Dahlmeier, Paul-Gerhard: Rede zur Eröffnung der Synagoge am 14. März 2010. In:
Nieder u.a. 2010, Supplement ohne Seitenzahlen.
Pracht, Elfi: Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Teil III: Regierungsbezirk
Detmold. Köln 1998.
Hammer-Schenk, Harold: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im
19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1. Berlin 1981.
Nieder, Sven; Escher, Jürgen; Helm, Michael; Laue, Christoph (Hg.): Wir freuen uns und
wir weinen…Wiederaufbau der Herforder Synagoge. Bielefeld 2010.
Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold. Online: http://jg-hf-dt.de [11.04.2018].
Glossar
Aron ha-Kodesch
Heiliger Schrein zur Aufbewahrung der Thorarollen.
Er befindet sich an der nach Jerusalem ausgerichteten Ostseite der Synagoge/
des Betraumes und ist erhöht, über mehrere Stufen erreichbar. Der oft reich
verzierte Vorhang, der den Schrein verdeckt, heißt Parochet.
Aschkenazim
Bezeichnung für ost- und mitteleuropäische Juden/Jüdinnen, deren Sprache
und Traditionen sich von den Sephardim, den Juden/Jüdinnen mit spanischer
Herkunft unterscheiden. Diese hatten sich nach ihrer Vertreibung im Jahr 1492
vor allem in Nordafrika und dem Nahen Osten niedergelassen. In Israel gibt es
zudem die Bezeichnung Mizrachim für Juden/Jüdinnen, die aus arabischen und/
oder muslimischen Ländern Asiens und Afrikas stammen.
164 165
Almemor oder Bima
Podium, auf dem ein Pult oder ein Tisch für die Lesung der Thora steht.
Almemor und Aron ha-Kodesch beziehen sich aufeinander, sie bilden die
liturgisch-funktionalen Zentren während des Gottesdiensts. Der Almemor ist
über mehrere Stufen erhöht, es gibt eine Treppe für den Auf- und eine für den
Abgang. Zusätzlich wird er von einem (Zier-) Gitter umgeben. Sein Standort gibt
zudem Hinweise über eine Ausrichtung der Gemeinde: Steht er im Zentrum
des Raumes, ist sie orthodox, ist er näher an den Thoraschrein gerückt, ist sie
wahrscheinlich liberal.
Chanukkia
Achtarmiger Leuchter mit einem Schamasch (Dienerlicht).
Chanukka ist ein achttägiges Lichterfest zur Erinnerung an die Wiedereinweihung
des Zweiten Tempels im Jahr 164 v.d.Z. Im Jahr 168 v.d.Z. hatte der syrische
König Antiochus IV. verschiedene Gesetze erlassen, um die Juden/Jüdinnen im
Land Israel zum griechischen Polytheismus zu zwingen. Die Gesetzte richteten
sich unter anderem gegen Beschneidungen und gegen die Einhaltung des
Schabbat. Zudem ließ er seine Truppen in Jerusalem einmarschieren, den Tempel
entweihen und die Juden/Jüdinnen aus den Häusern vertreiben. Mattathias,
Oberhaupt einer Priesterfamilie, führte gemeinsam mit seinen Söhnen, vor allem
mit Juda Makkabäus, über mehrere Jahre einen Aufstand gegen das Regime.
Die Makkabäer gewannen, obwohl sie zahlenmäßig weit unterlegen waren, und
konnten den Tempel wieder in Besitz nehmen. Die Invasoren hatten nahezu
alles zerstört. Lediglich ein Krug mit geweihtem Öl war noch da, der nur noch
ausgereicht hätte, um den Leuchter einen Tag lang brennen zu lassen. Wie
durch ein Wunder reichte dieser kleine Rest Öl acht Tage lang. Zur Erinnerung
daran wird während des Chanukka-Festes an jeden Abend ein weiteres Licht
angezündet, sodass am achten Tag alle acht Flammen brennen.
Chuppa
Baldachin, unter dem jüdische Trauungen vollzogen werden.
Chuppa bedeutet „Dach über dem Kopf“, „Schutz“, „Abdeckung“, was darauf
verweist, dass mit der Hochzeit ein Haus gegründet wird. Für die Konstruktion
wird ein Stück weißer Stoff oder ein Tallit (Gebetsmantel) an vier Stangen
befestigt.
166 167
Ewiges Licht (Ner Tamid)
Dient als Symbol zur Erinnerung an den siebenarmigen Leuchter im Tempel, der
immer Licht gespendet hat.
Es ist in einem Behälter untergebracht, der an der Decke hängend vor dem Aron
ha-Kodesch angebracht ist. Heute handelt es sich oft um ein elektrisch erzeugtes
Licht.
Kippa, Mehrzahl: Kippot
Für Männer erforderliche Kopfbedeckung.
Sie muss beim Gebet sowie beim Besuch von Gebetsorten und Friedhöfen
getragen werden. Viele orthodoxe Juden tragen sie auch im Alltag. Eine Kippa
signalisiert Gottesfurcht und Bescheidenheit vor Gott. Ihre Form und Farbe
können Auskunft über die religiöse Ausrichtung oder den Hintergrund des
Trägers geben.
Menora
Siebenarmiger Leuchter nach Vorbild des Leuchters im Zweiten Tempel.
Die Menora ist eines der wichtigsten religiösen Symbole des Judentums. Sie
gehörte bereits zum Inventar des Stiftszelt und des Ersten Tempels, mit dessen
Zerstörung 586 v.d.Z. sie gemeinsam mit der gesamten Inneneinrichtung
verloren ging. Mit der Errichtung des Zweiten Tempels 515 v.d.Z. wurde der
Leuchter ebenso wie andere Tempelgegenstände neu angefertigt. Als die
römischen Truppen 70 n.d.Z. Jerusalem erreichten, zerstörten sie den Tempel
durch Brandstiftung, stahlen den Leuchter wie auch die anderen Tempelgeräte
und führten alles nach Rom. Die Beute wurde auf dem Triumphzug des Feldherrn
und späteren Kaiser Titus durch die Stadt präsentiert; ein Ereignis, das auf dem
Titusbogen in Rom als Relief dargestellt wurde.
Mikwe, Mehrzahl: Mikwaot
Rituelles Tauchbad.
Es dient im orthodoxen und konservativen Judentum zur rituellen Reinigung.
So ist ein Besuch für Frauen vor der Hochzeit, nach der Menstruation oder nach
einer Geburt vorgeschrieben, für Männer und für Frauen nach der Konversion
zum Judentum, hier auch in der liberalen Richtung. Dabei muss der gesamte
Körper, an dem sich nichts Fremdes befinden darf, vollständig eingetaucht
werden.
Eine Mikwe hat sieben Stufen, verwendet werden darf nur „lebendiges Wasser“,
häufig handelt es sich heute um Regenwasser. Während Mikwaot ursprünglich
zu jeder Gemeinde gehörten und sich zum Beispiel ebenso in Privathäusern
befinden konnten, sind sie heute weitaus seltener Bestandteil von Synagogenund
Gemeindezentren.
Abbildungsverzeichnis
Minjan
Quorum von zehn oder mehr religions-mündigen Juden (gegebenenfalls
auch Jüdinnen), das notwendig ist, um bestimmte Gebete sagen und einen
vollständigen Gottesdienst abhalten zu können.
Im Reform- ebenso wie im konservativen Judentum werden auch Frauen zum
Minjan gezählt.
Parochet
Reich verzierter Vorhang, der den Thoraschrein verdeckt.
Rosch ha-Schana
Neujahrstag und Fest des Jahresbeginns.
Nach dem gregorianischen Kalender findet Rosch ha-Schana im September oder
Anfang Oktober statt. Es ist gleichzeitig der Beginn der Zehn Tage der Umkehr,
die mit Yom Kippur (Versöhnungstag) enden.
Alexandra Klei: Einleitung
Abb. 1: Modell der alten Synagoge Dortmund auf dem heutigen Platz der Alten
Synagoge, angefertigt von Dominik Olbrisch im Zuge des Seminars. Es stammt
aus: Bernd Kersting: Die Dortmunder Synagoge 1900-1938. Ein Modell zum
Nachbauen im Maßstab 1:100 mit ausführlichem Begleittext. Dortmund 1990.
Foto: Alexandra Klei.
Kai Guballa: Der zerrissene Faden. Synagogen in Deutschland 1800 bis 2017
Abb. 1: Außenansicht der um 1740 in Celle als Hinterhaus errichteten Synagoge.
2002. Foto: Katrin Keßler / Bet Tfila - Forschungsstelle, TU Braunschweig.
Abb. 2: Außenansicht der zwischen 1956/57 und 1961 rekonstruierten Synagoge
in Worms. 2012. Foto: Mirko Przystawik / Bet Tfila - Forschungsstelle, TU
Braunschweig.
168 169
Abb. 3: Außenansicht der zwischen 1839 in Kassel eingeweihten Synagoge.
Architekt: Albrecht Rosengarten. Quelle: Hammer-Schenk, Harold: Synagogen
in Deutschland. Hamburg 1981, Abb. 84.
Abb. 4: Außenansicht der 1899 in Köln (Roonstraße) eingeweihten Synagoge.
Architekten: Emil Schreiterer und Bernhard Below. Quelle: Pracht, Elfi: Jüdisches
Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Teil I: Regierungsbezirk Köln. In: Beiträge zu
den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland 34 (1997), Heft 1, S. 242-291,
Abb. S. 296.
Abb. 5: Außenansicht der zwischen 1928 und 1930 errichteten Synagoge in
Plauen. Architekt: Fritz Landauer. Quelle: Hammer-Schenk, Harold: Synagogen
in Deutschland. Hamburg 1981, Abb. 493.
Abb. 6: Außenaufnahme der 1958 eingeweihten Synagoge in Düsseldorf.
Architekt: Hermann Zvi Guttmann. Mai 2016. Foto: Alexandra Klei.
Abb. 7: Außenansicht der Neuen Synagoge Dresden. Architekten: Wandel Hoefer
Lorch und Hirsch. Undatiert. Fotograf: Norbert Miguletz, Frankfurt. Copyright:
Wandel Lorch Architekten, Saarbrücken/ Frankfurt am Main.
Abb. 8: Außenansicht der Neuen Synagoge Bochum. Schmitz Architekten.
Undatiert. Foto: Thomas Riehle. Copyright: Schmitz Architekten, Köln.
Abb. 9: Außenansicht der Synagoge und Gemeindezentrum / „The Jewish
Cultural Centre” Duisburg. Architekt: Zvi Hecker. 2018. Foto: Anna-Lina Heimrath.
Dominik Olbrisch: Die Alte Synagoge in Dortmund
Abb. 1: Außenansicht der alten Synagoge. Foto: Eduard Fürstenau, Copyright:
Stadtarchiv Dortmund.
Abb. 2: Innenraum der alten Synagoge, grafische Darstellung. Copyright:
Stadtarchiv Dortmund.
Abb. 3: Außenansicht der alten Synagoge während ihres Abrisses zwischen
Oktober und Dezember 1938. Copyright: Stadtarchiv Dortmund.
Abb. 4: Erinnerungstafel aus dem Jahr 1966. Zustand 2018. Foto: Dominik
Olbrisch.
Abb. 5: Ansicht von der Straße auf den Gedenkstein von 1990. Zustand 2018.
Foto: Dominik Olbrisch.
Abb. 6: Ansicht vom Platz der Alten Synagoge auf den Gedenkstein von 1990.
Zustand 2018. Foto: Dominik Olbrisch.
Abb. 7: Platz der Alten Synagoge im Jahr 2018. Foto: Dominik Olbrisch.
170 171
Judith Brinkmann: Wie erinnern? Die Alte Synagoge Hagen/Hohenlimburg als
Erinnerungsort
Abb. 1: Außenansicht der Alten Synagoge Hagen/Hohenlimburg. Copyright:
Michael Kaub/Stadt Hagen.
Abb. 2: Blick vom unteren Hang hinauf zur Alte Synagoge Hagen/Hohenlimburg.
Copyright: Michael Kaub/Stadt Hagen.
Abb. 3: Blick in die Ausstellung „Lebendiges Judentum“ in der Alten Synagoge
Hagen/Hohenlimburg. Copyright: Michael Kaub/Stadt Hagen.
Julia Sommerfeld: Geschichte der Alten Synagoge Essen
Abb. 1: Ansicht der Alten Synagoge. 1914. Copyright: Ruhr Museum Essen.
Abb. 2: Ansicht der Alten Synagoge. 2018. Foto: Julia Sommerfeld.
Abb. 3: Innenraum der ehemaligen Synagoge. 2018. Foto: Julia Sommerfeld.
Abb. 4: Ehemaliger Thoraschrein. 2018. Fotografin: Julia Sommerfeld.
Stella Giorgou: Die Kölner Synagoge in der Roonstraße
Abb. 1: Blick auf die Hauptfassade der Synagoge Roonstraße. 2018. Foto:
Stella Giorgou.
Abb. 2: Detail der Hauptfassade. 2018. Foto: Anna-Lina Heimrath.
Abb. 3: Blick auf die Gedenktafeln vor dem Synagogenraum. 2018. Foto:
Stella Giorgou.
Abb. 4: Innenraum der Synagoge, Blick in Richtung Thoraschrein. Foto:
Stella Giorgou.
Christina Krinke: Die Neue Synagoge in Düsseldorf
Abb. 1: Eingang in die Synagoge, Ansicht vom Paul-Spiegel-Platz. 2018. Foto:
Christina Krinke.
Abb. 2: Innenraum Synagoge, Fensterfläche an der Nordseite und Frauenempore.
2018. Foto: Christina Krinke.
Joana Maibach: Die Synagoge an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße in Dortmund
Abb. 1: Ansicht der Synagoge mit Gemeindezentrum von der Prinz-Friedrich-
Karl-Straße. 2018. Foto: Alexandra Klei.
Abb. 2: Ansicht des Gemeindezentrums mit Vestibül vom Garten. 2018. Foto:
Joana Maibach.
Abb. 3: Thoraschrein. 2018. Foto: Joana Maibach.
Abb. 4: Innenraum der Synagoge, Blick in Richtung Thoraschrein. 2018. Foto:
Joana Maibach.
Abb. 5: Innenraum der Synagoge, Wandgestaltung mit hebräischen Inschriften
neben dem Thoraschrein. 2018. Foto: Joana Maibach.
Abb. 6: Innenraum der Synagoge, Buntglasfenster. 2018. Foto: Joana Maibach.
Laura Krys: Die jüdische Gemeinde in Paderborn
Abb. 1: Blick in die Straße Am Busdorf, links befindet sich die alte Synagoge.
Um 1900. Copyright: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn, AK-Nr. 888.
Abb. 2: Das Mahnmal am Standort der alten Synagoge. Copyright: Stadt- und
Kreisarchiv Paderborn/ Peter Semler.
Abb. 3: Ansicht der neuen Synagoge von Norden. 2018. Foto: Alexandra Klei.
Abb. 4: Ansicht der neuen Synagoge von Süden. 2018. Foto: Anna-Lina Heimrath.
Abb. 5: Innenansicht des Synagogenraumes, Blick zum Thoraschrein. Foto:
Alexandra Klei.
Iliana Panagiotidou: Die Neue Synagoge mit Gemeindezentrum in Essen
Abb. 1: Außenansicht der Synagoge mit Eingangsbereich, Blick von der Ruhrallee.
2018. Foto: Katrin Pierchalla.
Abb. 2: Innenraum der Synagoge, Blick zum Thoraschrein. 2018. Foto: Katrin
Pierchalla.
Abb. 3: Garten im Inneren des Gemeindekomplexes, Blick zur Synagoge. 2018.
Foto: Katrin Pierchalla.
Abb. 4: Denkmal von Dieter Kerchner im Garten des Gemeindekomplexes. 2018.
Foto: Katrin Pierchalla.
Anna-Lina Heimrath: Synagoge und Gemeindezentrum Duisburg/ „The Jewish
Cultural Centre” von Zvi Hecker
Abb. 1: Ansicht des Komplexes vom Altstadtpark. 2018. Foto: Anna-Lina
Heimrath.
Abb. 2: Grundriss des Erdgeschosses. Copyright: Architekturbüro Zvi Hecker.
Abb. 3: Eingangssituation an der Springwall-Straße. 2018. Foto: Anna-Lina
Heimrath.
Abb. 4: Innenraum der Synagoge, Blick Richtung Thoraschrein. 2018. Foto:
Anna-Lina Heimrath.
Julia Murra: Die Siegesgeschichte einer Gemeinde: Die Synagoge Beit Tikwa in
Bielefeld
Abb. 1: Synagoge Beit Tikwa, Ansicht von der Detmolder Straße. 2018. Foto:
Julia Murra.
Tabea Schüler: Die Herforder Synagoge
Abb. 1: Synagoge und Gemeindehaus in Herford um 1910. Foto: Kommunalarchiv
Herford, Stadtarchiv Herford, Fotosammlung.
Abb. 2: Die zerstörte Synagoge um 1938. Foto: Kommunalarchiv Herford,
Stadtarchiv Herford, Sammlung Georg Heese.
Abb. 3: Links: Neubau der Synagoge, rechts: Gemeindehaus. Foto: Jürgen
Escher /Jüdische Gemeinde Herford.
Abb. 4: Erster Gottesdienst in der neugebauten Synagoge. Innenraum. Foto:
Jürgen Escher /Jüdische Gemeinde Herford.
Regina Meleusencova: Die neue Synagoge der Jüdischen Gemeinde Bochum-
Herne-Hattingen
Abb. 1: Ansicht der Synagoge von Osten. 2018. Fotografin: Regina Meleusencova.
Abb. 2: Vorplatz mit Treppenaufgang zur Eingangszone des Synagogenkomplexes.
2018. Foto: Regina Meleusencova.
Abb. 3: Blick auf den Bereich des Gemeindezentrums. Im Hintergrund der Kubus
der Synagoge. 2018. Foto: Regina Meleusencova.
Abb. 4: Kubus der Synagoge, Blick von Osten. 2018. Foto: Regina Meleusencova.
172 173
werkraum bild und sinn e.V.
ISBN 978-3-00-064071-1