Positive_Ausgabe_12_Dezember_2019

Auswanderungsland Oberaargau
Auswanderer auf ihrer Reise:
Links im Hafen von Le Havre,
rechts im Innern eines Überseeschiffs
(Stiche von 1841 und
um 1850).
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storben ist. Er erhält den Gepflogenheiten
der Seefahrt entsprechend eine Seebestattung.
Die Rothrister Auswanderer verbringen
die fast sechs Wochen dauernde
Reise aus Kostengründen grösstenteils auf
engstem Raum im Zwischendeck. Vertragsgemäss
haben sie Anrecht auf eine
Bettstelle, Brennstoff zum Kochen, Beleuchtung,
Trinkwasser und im Bedarfsfall
auf Medikamente.
sparsamsten von ihnen können einem sorgenfreien
Lebensabend entgegen sehen…»
Daheim in Rothrist hat sich die Lage, wie
von den Gemeindebehörden und Einwohnern
erhofft, auf einem tiefen Niveau stabilisiert.
Aber die Auswanderungskosten
und die Tilgung der dafür aufgenommenen
Kredite in der Höhe von insgesamt
63 000 Franken lasten noch einige Zeit
schwer auf dem Gemeindehaushalt. Zur
Über den Verbleib und das weitere Schicksal
der Auswanderergruppe von 1855 ist
dank ein paar erhaltenen Briefen, die in
die alte Heimat geschickt worden sind,
einiges bekannt. Alles in allem zeigt sich,
dass die meisten der wegen ihrer Armut
Ausgewanderten in Amerika nach einer
Reise ohne Wiederkehr eine neue Heimat
und eine lebenswerte Existenz gefunden
haben.
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s’Positive | Ausgabe 12 | Dezember 2019
Die für die Nordatlantikroute übliche
Überfahrtzeit von 40 bis 50 Tagen hält die
«Globe» unter Kapitän George Baker ein.
Am 1. Mai 1855 erreicht das Auswandererschiff
New Orleans. Von den ursprünglich
vorgesehenen 303 Personen aus Rothrist
befinden sich noch 293 an Bord. Eine Person
ist auf der Reise verstorben und neun
hatten aus unterschiedlichen Gründen in
Le Havre das Schiff nicht bestiegen. Mindestens
eine davon ist später in New York
an Land gegangen.
Für die meisten der über 300 Auswanderer
des Jahres 1855 bringt die Ansiedlung
in den USA eine Verbesserung ihrer Lebensumstände.
Robert Baumgartner, der
als Kind zusammen mit seiner Familie die
Reise angetreten hatte, schreibt 1921 in einem
Brief in die alte Heimat: «Wenn unsere
Eltern und Geschwister auch zu harter
Arbeit genötigt waren, so hat doch keines
von ihnen oder ihren Angehörigen Hunger
leiden müssen. Und die fleissigsten und
Für die meisten
Auswanderer
bringt die Ansiedlung
in den USA
eine Verbesserung
ihrer Lebensumstände.
Tilgung der Schulden müssen grosse Flächen
des Gemeindewaldes abgeholzt werden.
Die Armen-Arbeitsanstalt wird gleich
nach der Auswanderung geschlossen. Weitere
Auswanderer aus Rothrist gibt es fortan
nur noch wenige. Eine Zusammenstellung
ergibt für den Zeitraum von 1855 bis
1864 lediglich noch 24 Personen an.
Nach der Eröffnung der Eisenbahnlinie
Aarburg – Herzogenbuchsee am 16. März
1857 siedeln sich zahlreiche Industriebetriebe
an und die Gemeinde erlebt einen
Aufschwung, der die Bevölkerung aus
der Armut befreit. Am 9. Oktober 1889
beschliesst der Grosse Rat die Umbenennung
der Gemeinde Niederwil in Rothrist,
um Verwechslungen mit Niederwil im Bezirk
Bremgarten zu vermeiden. Die Umbenennung
erfolgte per 1. Januar 1890.
Seither ist die Bevölkerungszahl um rund
das Dreifache auf knapp 10 000 gestiegen.
Und wenn Rothristerinnen oder Rothrister
heute nach Amerika reisen, dann ist es
eine Lustreise und nicht mehr eine Reise
ohne Wiederkehr.
Literatur: Rothrist im Lauf der Zeit von Markus Widmer-Dean
| Die Schweiz im 19. Jahrhundert von Paul
Seippel | Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz,
herausgegeben von der allgemeinen geschichtsforschenden
Gesellschaft der Schweiz | Die Geschichte der Schweiz im
19. Jahrhundert von Theodor Curti
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