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Leseprobe: Dies & Das aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 2017/2018

Raffael Wohlfarth erörtert zusammen mit Herrn Rechtsanwalt Hans-Dieter Wohlfarth – Fachanwalt für Arbeitsrecht – einem ausgewiesenen Kenner des Arbeitsrechts und langjährigem Praktiker, 44 ausgewählte Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts aus dem Zeitraum 2017 bis August 2018 in 12 Kapiteln. Das Buch zeichnet sich aus – und unterscheidet sich dadurch von anderen Publikationen – dass in Frage und Antwort die Entscheidungslinien über den konkret entschiedenen Fall hinaus herausgearbeitet und die Themen verknüpft werden. Das Buch ist so konzipiert, dass es auch Antworten und Lösungen zu Rechtsfragen gibt, welche die abgehandelten Themen berühren. Es soll dem Leser mehr als eine Besprechung der Entscheidungen geben und zugleich als Nachschlagewerk dienen.

Raffael Wohlfarth erörtert zusammen mit Herrn Rechtsanwalt Hans-Dieter Wohlfarth – Fachanwalt für Arbeitsrecht – einem ausgewiesenen Kenner des Arbeitsrechts und langjährigem Praktiker, 44 ausgewählte Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts aus dem Zeitraum 2017 bis August 2018 in 12 Kapiteln.
Das Buch zeichnet sich aus – und unterscheidet sich dadurch von anderen Publikationen – dass in Frage und Antwort die Entscheidungslinien über den konkret entschiedenen Fall hinaus herausgearbeitet und die Themen verknüpft werden.
Das Buch ist so konzipiert, dass es auch Antworten und Lösungen zu Rechtsfragen gibt, welche die abgehandelten Themen berühren. Es soll dem Leser mehr als eine Besprechung der Entscheidungen geben und zugleich als Nachschlagewerk dienen.

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edition<br />

Wohlfarth<br />

Raffael Wohlfarth<br />

<strong>Dies</strong> und <strong>Das</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Rechtsprechung</strong> <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>arbeitsgerichts<br />

<strong>2017</strong>/<strong>2018</strong><br />

Mit Schwerpunkt Entscheidungen zum<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

Im Gespräch vorgestellt und erläutert von<br />

Hans-Dieter Wohlfarth, Fachanwalt für Arbeitsrecht


Raffael Wohlfarth<br />

<strong>Dies</strong> und <strong>Das</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>arbeitsgerichts <strong>2017</strong>/<strong>2018</strong>


Raffael Wohlfarth<br />

<strong>Dies</strong> und <strong>Das</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Rechtsprechung</strong><br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>arbeitsgerichts<br />

<strong>2017</strong>/<strong>2018</strong><br />

hansdieter wohlfarth verlag


1. Auflage <strong>2018</strong><br />

ISBN: 978-3-947133-06-2<br />

© <strong>2018</strong> hansdieter wohlfarth verlag<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Spemannstraße 35<br />

70186 Stuttgart<br />

Deutschland<br />

edition-wohlfarth@edition-wohlfarth.eu<br />

☛ www.edition-wohlfarth.eu<br />

<strong>Dies</strong>es Buch ist auch als eBook erhältlich.<br />

Konzeption, Text, Satz, Layout & Covergestaltung:<br />

Raffael Wohlfarth, Augsburg<br />

☛ www.ra-wo.net<br />

Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang


Inhaltsverzeichnis:<br />

Kapitel 1: Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz/<br />

Abgrenzung Zuständigkeit BR/GBR............................................................2<br />

Kapitel 2: Wahl <strong>des</strong> Betriebsrats/Pflichten Wahlvorstand/Wahlanfechtung/Betrieb/Betriebsteil.......................................<br />

14<br />

Kapitel 3: Freistellungen............................................................................. 34<br />

Kapitel 4: Betriebsratstätigkeit/Arbeitszeit/Vergütung/<br />

Kündigung....................................................................................................... 42<br />

Kapitel 5: Aufgaben <strong>des</strong> Betriebsrats - Auskunfts- und<br />

Unterrichtungsrechte................................................................................... 64<br />

Kapitel 6: Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen............................................................................................................<br />

74<br />

Kapitel 7: Mitbestimmung § 87 BetrVG/Arbeitskampf/<br />

Mehrarbeitsanordnung................................................................................. 84<br />

Kapitel 8: Datenschutz und Persönlichkeitsrecht/Recht<br />

auf informationelle Selbstbestimmung/<br />

Beweisverwertungsverbot........................................................................... 92


Kapitel 9: Kündigungsrecht/Entlassungsverlangen <strong>des</strong><br />

Betriebsrats/Sozial<strong>aus</strong>wahl bei Rentenbezug.......................................114<br />

Kapitel 10: Vergütung von Umkleide- und Wegezeiten.......................134<br />

Kapitel 11: Weisungsrecht - Ausprägung und Grenzen......................140<br />

Kapitel 12: Betriebsvereinbarung - Tarifvorrang -<br />

Gesamtzusage..............................................................................................150<br />

Angang:..........................................................................................................156


Liebe Leserinnen und Leser!<br />

Es ist wie<strong>der</strong> so weit. Ein Rückblick auf die <strong>Rechtsprechung</strong> <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>arbeitsgerichts im Jahre <strong>2017</strong> und im ersten Halbjahr <strong>2018</strong> lohnt<br />

sich. Im Gespräch mit dem Fachanwalt für Arbeitsrecht, Rechtsanwalt<br />

Hans-Dieter Wohlfarth, Seniorpartner <strong>der</strong> Wohlfarth, Dr. Gutmann, Pitterle,<br />

Zeller & Behl Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB in<br />

Stuttgart, werden 44 <strong>aus</strong>gewählte Entscheidungen vorgestellt und erläutert,<br />

für die betriebliche Praxis aufgearbeitet. Ziel und Anspruch zugleich<br />

ist es, <strong>aus</strong>gehend von den konkret entschiedenen Sachverhalten,<br />

über den Fall hin<strong>aus</strong> die prinzipiellen Rechtsfragen her<strong>aus</strong>zuarbeiten<br />

und Lösungen aufzuzeigen. <strong>Das</strong> Buch wird damit auch zum Nachschlagewerk,<br />

kann Antwort auf juristische Fragen geben und zu <strong>der</strong>en<br />

Lösung Hilfestellung geben. Der gewählte Interviewstil erleichtert das<br />

Lesen sowie das Verständnis und hebt sich – denken wir – wohltuend<br />

von „trockener Juristenlektüre“ ab.<br />

Im Jahresbericht <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>arbeitsgerichts <strong>2017</strong> werden in <strong>der</strong> <strong>Rechtsprechung</strong>sübersicht<br />

im Kapitel II Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht<br />

sieben Entscheidungen aufgeführt, <strong>der</strong>en Bedeutung<br />

damit manifestiert. Ich möchte mit einer <strong>der</strong> Entscheidungen beginnen 1 .<br />

Gegenstand ist die Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz.<br />

1 Beschluss vom 18. Juli <strong>2017</strong> – 1 ABR 59/15<br />

1


Kapitel 1<br />

Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz/Abgrenzung<br />

Zuständigkeit BR/GBR<br />

R.W.: Herr Rechtsanwalt Wohlfarth, worin liegt die Bedeutung dieser<br />

Entscheidung und um was ging es?<br />

RA W.: Ich kann <strong>aus</strong> dem Nähkästchen plau<strong>der</strong>n, weil Herr Rechtsanwalt<br />

Zeller <strong>aus</strong> unserer Kanzlei das Verfahren geführt hat. Beim Betriebsrat<br />

einer Bankfiliale in Stuttgart gingen massiv Beschwerden <strong>der</strong><br />

Beschäftigten über die Arbeitsbedingungen im Sommer und im Winter<br />

ein. Der Betriebsrat sollte bei <strong>der</strong> Arbeitgeberin für Abhilfe sorgen, am<br />

besten mit Hilfe einer Klimaanlage o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en geeigneten Mitteln.<br />

R.W.: Ist doch kein Problem. Es handelt sich um Fragen <strong>des</strong> Gesundheitsschutzes,<br />

die nach § 87 Abs.1 Nr.7 BetrVG <strong>der</strong> Mitbestimmung <strong>des</strong><br />

Betriebsrats unterliegen, und zwar <strong>der</strong> erzwingbaren Mitbestimmung.<br />

RA W.: Richtig. Der Betriebsrat konnte also initiativ werden und Regelungen<br />

vorschlagen. Kommt es zu keiner Einigung ist er berechtigt, die<br />

Einigungsstelle anzurufen. Die Einigungsstelle kann eine Einigung<br />

herbeiführen o<strong>der</strong> notfalls durch Spruch entscheiden, welche Massnahmen<br />

zu treffen sind.<br />

R.W.: Wurde dieser Weg gewählt?<br />

RA.W.: Eine Einigungsstelle wurde eingerichtet. Die Verhandlungen in<br />

<strong>der</strong> Einigungsstelle brachten kein Ergebnis, das von den Arbeitnehmervertretern<br />

mitgetragen werden konnte. Eine Einigung wurde nicht erzielt.<br />

Es kam zum Spruch. Mit <strong>der</strong> Stimme <strong>des</strong> Vorsitzenden und <strong>der</strong> Besitzer<br />

auf <strong>der</strong> Arbeitnehmerbank beschloss die Einigungsstelle eine<br />

Betriebsvereinbarung „BV Klima“.<br />

2


Für uns wichtig sind <strong>aus</strong>zugsweise folgende Regelungen:<br />

1. Zielsetzung:<br />

Ziel dieser Betriebsvereinbarung ist, die aufgrund von Hitze/<br />

Kälte in den Arbeitsräumen auftretende Belastungen im Sinne<br />

von ASR A 3.5 <strong>der</strong> Beschäftigten durch die nachfolgend dargestellten<br />

Maßnahmen zu verringern, um hierdurch die<br />

Gesundheit <strong>der</strong> Beschäftigten zu schützen und auch den betrieblichen<br />

Belangen Rechnung zu tragen.<br />

…<br />

5. Wärmebelastung:<br />

Von einer Belastung durch Wärme ist <strong>aus</strong>zugehen, sofern die<br />

Raumtemperatur über 26 Grad Celsius ansteigt.<br />

6. Maßnahmen: …<br />

Bei Feststellung einer Wärmebelastung im Sinne von Ziffer 5.<br />

dieser Betriebsvereinbarung sind Maßnahmen entsprechend<br />

<strong>des</strong> Maßnahmenkataloges (Anlage 2) zu treffen.<br />

7. Kältebelastungen:<br />

Kältebelastungen von unter 19°C in Arbeits- und P<strong>aus</strong>enräumen<br />

sind zu vermeiden. An den Arbeitsplätzen in den Postfachanlagen<br />

(Arbeitsplätze mittlerer Arbeitsschwere) sind<br />

Kältebelastungen von unter 17°C zu vermeiden. Wenn sie<br />

unterschritten werden, sind geeignete - technische Maßnahmen<br />

wie z.B. Wärmestrahlungsheizung, Heizmatten, - organisatorische<br />

Maßnahmen wie zusätzliche Aufwärmp<strong>aus</strong>en (sofern<br />

wärmere Räume zur Verfügung stehen), - personenbezogene<br />

Maßnahmen wie Erlaubnis zum Tragen von an die Dienstkleidung<br />

angepassten Pullovern o<strong>der</strong> Westen in dieser Reihenfolge<br />

und unter Einbindung <strong>des</strong> Betriebsrats zu ergreifen.<br />

3


In <strong>der</strong> Anlage 2 Maßnahmenkatalog wurde bei Raumtemperatur<br />

über 30°C ua. für das Lockern <strong>der</strong> Dienstbekleidung<br />

bestimmt, dass dies den Verzicht auf das Tragen<br />

von Krawatten beinhaltet.<br />

R.W.: Na ja. Klingt ja alles ganz vernünftig. Den Einbau einer Klimaanlage<br />

vermisse ich. War wohl zu teuer und hätte von <strong>der</strong> Einigungsstelle<br />

nur dann beschlossen werden dürfen, wenn <strong>der</strong> Einbau das einzige<br />

Mittel gewesen wäre, den Gesundheitsschutz sicherzustellen. Wie kam<br />

die Sache zum BAG?<br />

RA W.: Die Arbeitgeberin war mit dem Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle <strong>aus</strong><br />

mehreren Gründen nicht einverstanden. Sie hat <strong>des</strong>halb den Spruch <strong>der</strong><br />

Einigungsstelle fristgerecht beim Arbeitsgericht Stuttgart angefochten.<br />

Die Einigungsstelle sei nicht zuständig gewesen. Insbeson<strong>der</strong>e sei <strong>der</strong><br />

Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle insoweit unwirksam, als er Regelungen zur<br />

Unternehmensbekleidung enthält. Dazu muss man wissen, dass für die<br />

13 Betriebe <strong>der</strong> Arbeitgeberin ein Gesamtbetriebsrat gebildet ist. <strong>Dies</strong>er<br />

hatte mit <strong>der</strong> Arbeitgeberin eine Gesamtbetriebsvereinbarung „Unternehmensbekleidung<br />

<strong>der</strong> Postbank Filialvertrieb AG“ (GBV Unternehmensbekleidung)<br />

abgeschlossen, welche <strong>aus</strong>zugsweise lautet:<br />

Grundsätze:<br />

<strong>Das</strong> äußere Erscheinungsbild <strong>der</strong> Beschäftigten ist für das<br />

Unternehmen Postbank Filialvertrieb AG von großer Bedeutung.<br />

Die Unternehmensbekleidung soll ihre Trägerin o<strong>der</strong><br />

ihren Träger in ihrer/seiner beruflichen Tätigkeit in <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit als Angehörige o<strong>der</strong> Angehörigen <strong>der</strong> Postbank<br />

Filialvertrieb AG kenntlich machen.<br />

Tragevorschrift:<br />

Die Unternehmensbekleidung ist komplett - min<strong>des</strong>tens<br />

Hemd/Bluse, Hose/Rock und Krawatte - zu tragen. …“<br />

4


R.W.: Jetzt verstehe ich. Die Arbeitgeberin hat dem Betriebsrat die originäre<br />

Zuständigkeit bestritten. Einzig und allein originär zuständig sei<br />

<strong>der</strong> Gesamtbetriebsrat, auch unter Einbeziehung für Regelungen zum<br />

Gesundheitsschutz.<br />

RA W.: Richtig erkannt. <strong>Das</strong> Thema <strong>der</strong> Abgrenzung <strong>der</strong> originären Zuständigkeit<br />

<strong>des</strong> Gesamt- o<strong>der</strong> <strong>des</strong> Konzernbetriebsrats von <strong>der</strong> Zuständigkeit<br />

<strong>der</strong> für die Betriebe gewählten Betriebsräte ist ein Dauerbrenner.<br />

Neu und vorher noch nie entschieden war allerdings die Frage,<br />

die sich in unserem Fall stellte: Wie ist es, wenn <strong>der</strong> Gesamtbetriebsrat<br />

in originärer Zuständigkeit eine Betriebsvereinbarung abschließt, die<br />

wie hier eine Klei<strong>der</strong>ordnung enthält. Ist es dann möglich und zulässig,<br />

dass ein örtlicher Betriebsrat in eigener Zuständigkeit Regelungen trifft,<br />

welche in die Gesamtbetriebsvereinbarung eingreifen, mit diesen Regelungen<br />

sogar kollidieren?<br />

R.W.: Ist ja tatsächlich ein Problem, wie unser Fall zeigt. Nach <strong>der</strong><br />

Klei<strong>der</strong>ordnung muss eine Krawatte getragen werden, nach dem Spruch<br />

<strong>der</strong> Einigungsstelle durfte auf das Tragen einer Krawatte als Maßnahme<br />

<strong>des</strong> Gesundheitsschutzes verzichtet werden, sobald die Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

vorliegen. Wie hat das BAG das Problem gelöst?<br />

RA W.: Erinnern wir uns zunächst an die Rechtsgrundsätze zur Abgrenzung<br />

<strong>der</strong> originären Zuständigkeiten. Für die originäre Zuständigkeit<br />

<strong>des</strong> Gesamtbetriebsrats gilt § 50 Abs.1 BetrVG:<br />

Zuständigkeit<br />

(1) Der Gesamtbetriebsrat ist zuständig für die Behandlung von<br />

Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen o<strong>der</strong> mehrere<br />

Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte<br />

innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können; seine<br />

5


(2) Zuständigkeit erstreckt sich insoweit auch auf Betriebe ohne<br />

Betriebsrat. Er ist den einzelnen Betriebsräten nicht übergeordnet.<br />

Die Ausübung <strong>der</strong> Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz<br />

obliegt grundsätzlich dem von den Arbeitnehmern unmittelbar<br />

gewählten Betriebsrat. In Unternehmen mit mehreren Betrieben<br />

sind im Bereich <strong>des</strong> § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG<br />

§ 87 Mitbestimmungsrechte<br />

(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche o<strong>der</strong> tarifliche Regelung<br />

nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:<br />

1. …<br />

7. Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und<br />

Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen<br />

<strong>der</strong> gesetzlichen Vorschriften o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Unfallverhütungsvorschriften;<br />

daher regelmäßig die Einzelbetriebsräte für die Regelung <strong>der</strong> davon erfassten<br />

Angelegenheiten zuständig. Der Gesamtbetriebsrat ist nur zuständig,<br />

wenn die Maßnahmen <strong>des</strong> Arbeits- und Gesundheitsschutzes<br />

eine überbetriebliche Angelegenheit betreffen und diese durch die einzelnen<br />

Betriebsräte nicht geregelt werden können. Hierfür ist bei den vorliegenden<br />

Regelungen zum Gesundheitsschutz im Zusammenhang mit<br />

dem Raumklima nichts ersichtlich. Eine solche mitbestimmte Angelegenheit<br />

bezieht sich typischerweise konkret auf die Gegebenheiten<br />

in den einzelnen Arbeitsräumen auf betrieblicher Ebene.<br />

R.W.: <strong>Das</strong> habe ich verstanden. Ich habe aber auch gelernt, dass eine<br />

einheitliche mitbestimmungspflichtige Angelegenheit nicht aufgespalten<br />

werden kann in Teile, die in die Zuständigkeit <strong>des</strong> Gesamtbetriebsrats<br />

fallen, und solche, für welche die örtlichen Betriebsräte zuständig sind.<br />

6


Es gilt <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> Zuständigkeitstrennung. Ist <strong>der</strong> Gesamtbetriebsrat<br />

originär zuständig, muss er alle Regelungen treffen, ist <strong>der</strong><br />

örtliche Betriebsart zuständig, dieser (vgl. BAG 14. November 2006 - 1<br />

ABR 4/06). So ist auch eine Delegation vom Gesamtbetriebsrat auf den<br />

örtlichen Betriebsrat nicht zulässig. Was gilt nun aber? Krawattenpflicht<br />

o<strong>der</strong> Krawattenverzicht?<br />

RA W.: <strong>Das</strong> Bun<strong>des</strong>arbeitsgericht hat auf die unterschiedlichen<br />

Regelungsgegenstände abgestellt. Die Klei<strong>der</strong>ordnung wird vom Mitbestimmungsrecht<br />

nach § 87 Abs.1 Nr.1 BetrVG erfasst (Fragen <strong>der</strong> Ordnung<br />

<strong>des</strong> Betriebs und <strong>des</strong> Verhaltens <strong>der</strong> Arbeitnehmer im Betrieb), <strong>der</strong><br />

Gesundheitsschutz vom Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs.1 Nr.7<br />

BetrVG. Für die Ausübung und abschließende Regelung „Klei<strong>der</strong>ordnung“<br />

ist somit <strong>der</strong> Gesamtbetriebsrat zuständig, für das „Klima“ <strong>der</strong><br />

örtliche Betriebsrat. Betreffen Regelungsmaterien unterschiedliche Mitbestimmungstatbestände,<br />

folgt <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>des</strong> Gesamtbetriebsrats<br />

für die eine Angelegenheit keine solche für die an<strong>der</strong>e, welche<br />

in die Zuständigkeit <strong>des</strong> Betriebsrats fällt.<br />

R.W.: Also ähnlich wie bei einer Betriebsän<strong>der</strong>ung. Die Zuständigkeit<br />

für den Interessen<strong>aus</strong>gleich kann in die originäre Zuständigkeit <strong>des</strong><br />

Gesamtbetriebsrats fallen, <strong>der</strong> Abschluss eines Sozialplans in die Zuständigkeit<br />

<strong>der</strong> örtlichen Betriebsräte (vgl. BAG 3. Mai 2006 - 1 ABR<br />

15/05).<br />

Mein Fazit: Die Klei<strong>der</strong>ordnung gilt. Eine Krawatte muss getragen werden.<br />

Wird es zu heiß, darf unter dem Gesichtspunkt Gesundheitsschutz<br />

die Krawatte für die notwendige Dauer abgelegt werden.<br />

Der Beschluss <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>arbeitsgerichts ist aber auch in einer zweiten<br />

Hinsicht von grundsätzlicher Bedeutung. Ich übergebe.<br />

RA W.: Arbeitgeber wenden oft ein, sie hätten doch die technischen und<br />

7


organisatorischen Maßnahmen getroffen, welche die Arbeitsstättenverordnung<br />

vorsieht. Zu mehr seien sie nicht verpflichtet. In unserem Fall<br />

berief sie sich darauf, die Vorgaben <strong>der</strong> technischen Regeln für Arbeitsstätten,<br />

Punkt 4.4 (2) ASR A3.5 - Raumtemperatur, erfüllt zu haben. Die<br />

Bestimmung lautet wie folgt:<br />

(1) …<br />

(2) Bei Überschreitung <strong>der</strong> Lufttemperatur im Raum von +30 °C<br />

müssen wirksame Maßnahmen gemäß Gefährdungsbeurteilung<br />

(siehe Tabelle 4) ergriffen werden, welche die Beanspruchung<br />

<strong>der</strong> Beschäftigten reduzieren. Dabei gehen technische<br />

und organisatorische gegenüber personenbezogenen<br />

Maßnahmen vor.<br />

Die angefügte Tabelle 4 enthält folgende beispielhafte Maßnahmen:<br />

Beispielhafte Maßnahmen<br />

a. effektive Steuerung <strong>des</strong> Sonnenschutzes (z. B. Jalousien<br />

auch nach <strong>der</strong> Arbeitszeit geschlossen halten)<br />

b. effektive Steuerung <strong>der</strong> Lüftungseinrichtungen (z. B.<br />

Nacht<strong>aus</strong>kühlung)<br />

c. Reduzierung <strong>der</strong> inneren thermischen Lasten (z. B. elektrische<br />

Geräte nur bei Bedarf betreiben)<br />

d. Lüftung in den frühen Morgenstunden<br />

e. Nutzung von Gleitzeitregelungen zur Arbeitszeitverlagerung<br />

f. Lockerung <strong>der</strong> Bekleidungsregelungen<br />

g. Bereitstellung geeigneter Getränke (z. B. Trinkwasser)<br />

Also habe sie alles getan und die Maßnahme <strong>des</strong> Krawattenverzichts<br />

sei unzulässig, weil den technischen und organisatorischen Vorgaben die<br />

Priorität gegenüber personenbezogenen Maßnahmen zukomme.<br />

8


R.W.: Leuchtet mir auf den ersten Blick ein. Die Vorgaben dienen ja gerade<br />

dazu, den erfor<strong>der</strong>lichen Schutz sicherzustellen.<br />

RA W.: <strong>Das</strong> ist sicher richtig. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist damit <strong>der</strong><br />

Gesundheitsschutz nicht erledigt. <strong>Das</strong> Bun<strong>des</strong>arbeitsgericht stellte richtig<br />

fest, dass den Technischen Regelungen für Arbeitsstätten kein Unabdingbarkeitsanspruch<br />

zukommt. Es besteht ein Regelungsspielraum.<br />

<strong>Das</strong> beweist die Rahmenvorschrift <strong>des</strong> § 3a Abs.1 Satz 1 ArbStättV.<br />

<strong>Dies</strong>e lautet:<br />

Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Arbeitsstätten so<br />

eingerichtet und betrieben werden, dass Gefährdungen für die<br />

Sicherheit und die Gesundheit <strong>der</strong> Beschäftigten möglichst<br />

vermieden und verbleibende Gefährdungen möglichst gering<br />

gehalten werden. Auf die Ausfüllung dieser Rahmenvorschrift<br />

bezieht sich die Mitbestimmung. Die ArbStättV enthält allgemein<br />

gehaltene Verhaltensvorgaben. Die Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />

die Einrichtung und das Betreiben <strong>der</strong> Arbeitsstätten sind im<br />

Einzelnen im Anhang zur ArbStättV verbindlich nie<strong>der</strong>gelegt.<br />

Im Anhang sind einzelne Bereiche wie etwa die Raumtemperatur<br />

in ASR A3.5 geregelt. Zu <strong>der</strong>en Ausfüllung dienen<br />

die Technischen Regeln für Arbeitsstätten. Die technischen Regeln<br />

haben nicht die Qualität eines Gesetzes, aber praktische<br />

Bedeutung. Die ASR A3.5 konkretisiert im Rahmen <strong>des</strong> Anwendungsbereichs<br />

die Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Verordnung über<br />

Arbeitsstätten. Bei ihrer Einhaltung ist davon <strong>aus</strong>zugehen,<br />

dass <strong>der</strong> Arbeitgeber die Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> ArbStättV erfüllt.<br />

<strong>Das</strong> bedeutet aber nicht, dass es den Betriebsparteien verboten<br />

wäre, vom technischen Regelwerk abzuweichen, sofern<br />

durch an<strong>der</strong>e Maßnahmen die gleiche Sicherheit und <strong>der</strong> gleiche<br />

Gesundheitsschutz erreicht werden. Auch <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

kann eine an<strong>der</strong>e Lösung wählen. Er muss damit min<strong>des</strong>tens<br />

die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für<br />

9


die Beschäftigten unter Beachtung <strong>des</strong> Mitbestimmungsrechts<br />

<strong>des</strong> Betriebsrats erreichen.<br />

R.W.: Für mich verbleibt noch die Frage, ob <strong>der</strong> Betriebsrat erst dann<br />

sein Mitbestimmungsrecht reklamieren kann, wenn das Kind in den<br />

Brunnen gefallen ist, sprich die Raumtemperatur ein unerträgliches Maß<br />

erreicht hat. Nach <strong>der</strong> ASR A3.5 soll die Lufttemperatur in Arbeitsräumen<br />

im übrigen +26 °C nicht überschreiten<br />

RA.W.: <strong>Das</strong> wurde von Arbeitgebern und ihren Vertretern natürlich behauptet.<br />

<strong>Das</strong> BAG hat aber klargestellt 2 : Beruft sich <strong>der</strong> Betriebsrat auf<br />

die Mitbestimmung nach § 3a Abs 1 S 1 ArbStättV setzt das nicht vor<strong>aus</strong>,<br />

dass eine konkrete Gefahrenlage vorliegt, also eine konkrete<br />

Gesundheitsgefahr akut besteht. Ausreichend aber auch notwendig ist<br />

das Vorliegen o<strong>der</strong> die Feststellung einer konkreten Gefährdung i.S.v. § 3<br />

ArbStättV 2004 i.V.m. § 5 ArbSchG.<br />

R.W.: Wie kommen die Betriebsräte zu einer solchen notwendigen Feststellung?<br />

RA.W.: Dazu dient das Instrument <strong>der</strong> Gefährdungsbeurteilung. Damit<br />

ein Arbeitgeber verpflichtet werden kann, Maßnahmen <strong>des</strong> Gesundheitsschutzes<br />

zu treffen, ist zu ermitteln, welche Maßnahmen überhaupt in<br />

Betracht kommen. <strong>Das</strong> hat zur Folge, dass als erstes eine Gefährdungsbeurteilung<br />

durchzuführen ist.<br />

R.W.: Was ist eine Gefährdungsbeurteilung?<br />

RA.W.: Die Gefährdungsbeurteilung ist in § 5 ArbSchG geregelt, <strong>der</strong><br />

wie folgt lautet:<br />

2 Beschluss vom 28. März <strong>2017</strong> – 1 ABR 25/15<br />

10


§ 5 Beurteilung <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen<br />

(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung <strong>der</strong> für die Beschäftigten<br />

mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln,<br />

welche Maßnahmen <strong>des</strong> Arbeitsschutzes erfor<strong>der</strong>lich<br />

sind.<br />

(2) Der Arbeitgeber hat die Beurteilung je nach Art <strong>der</strong> Tätigkeiten<br />

vorzunehmen. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen ist die Beurteilung<br />

eines Arbeitsplatzes o<strong>der</strong> einer Tätigkeit <strong>aus</strong>reichend.<br />

(3) Eine Gefährdung kann sich insbeson<strong>der</strong>e ergeben durch<br />

1. die Gestaltung und die Einrichtung <strong>der</strong> Arbeitsstätte und<br />

<strong>des</strong> Arbeitsplatzes,<br />

2. physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,<br />

3. die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln,<br />

insbeson<strong>der</strong>e von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten<br />

und Anlagen sowie den Umgang damit,<br />

4. die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren,<br />

Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und <strong>der</strong>en Zusammenwirken,<br />

5. unzureichende Qualifikation und Unterweisung <strong>der</strong> Beschäftigten,<br />

6. psychische Belastungen bei <strong>der</strong> Arbeit.<br />

Es ist also bestimmt, dass <strong>der</strong> Arbeitgeber verpflichtet ist, die für die<br />

Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefahren zu ermitteln. Wichtig<br />

ist für die Betriebsräte, dass sie bei <strong>der</strong> Gefährdungsbeurteilung das<br />

Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs.1 Nr.7 BetrVG haben. <strong>Das</strong> Bun<strong>des</strong>arbeitsgericht<br />

hat betont, dass die Gefährdungsbeurteilung ein zentrales<br />

Element <strong>des</strong> Gesundheitsschutzes und notwendige Vor<strong>aus</strong>setzung für<br />

die betriebliche Umsetzung <strong>der</strong> Arbeitsschutzpflichten <strong>des</strong> Arbeitgebers<br />

ist.<br />

11


R.W.: Die Betriebsparteien haben also eine Vereinbarung über die<br />

Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung zu schließen. Was ist,<br />

wenn sie sich nicht einigen?<br />

RA W.: Da die Vereinbarung einer Gefährdungsbeurteilung <strong>der</strong> erzwingbaren<br />

Mitbestimmung unterliegt, hat gemäß § 87 Abs. 2 BetrVG<br />

die Einigungsstelle zu entscheiden. Es ist aber wie bei je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Einigungsstelle auch zu beachten, dass die regelungsbedürftige Angelegenheit<br />

im Rahmen <strong>der</strong> gestellten Anträge vollständig gelöst wird.<br />

Ein Einigungsstellenspruch ist demzufolge unwirksam, wenn die<br />

Einigungsstelle ihrem Regelungsauftrag nicht <strong>aus</strong>reichend nachkommt<br />

und keine abschließende Regelung trifft. 3<br />

R.W: Abschließend zu diesem Thema noch eine Frage. Kann denn <strong>der</strong><br />

einzelne Arbeitnehmer die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung<br />

verlangen?<br />

RA W.: Ganz kurz. Ja. 4 Der einzelne Arbeitnehmer kann allerdings nicht<br />

verlangen, dass die Gefährdungsbeurteilung nach bestimmten von ihm<br />

vorgegebenen Kriterien durchgeführt wird. Wir haben gelernt, dass § 5<br />

Abs 1 ArbSchG nicht in erster Linie dazu dient, unmittelbare Gesundheitsgefahren<br />

zu verhüten. Durch die Gefährdungsbeurteilung werden<br />

vielmehr im Vorfeld Gefährdungen ermittelt, denen ggf. durch entsprechende<br />

Maßnahmen zu begegnen ist. Dem Arbeitgeber wird bei <strong>der</strong><br />

Auswahl <strong>der</strong> Maßnamen für die Durchführung <strong>der</strong> Gefährdungsbeurteilung<br />

ein Spielraum eingeräumt.<br />

3 Beschluss vom 11. Februar 2014 – 1 ABR 72/12<br />

4 BAG, Urteil vom 12. August 2008 – 9 AZR 1117/06<br />

12

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