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Leseprobe: Innere Sicherheit in Sachsen - Beiträge zu einer kontroversen Debatte

Ist innere Sicherheit heute ein Thema? Die Zunahme von Einbrüchen, Diebstählen und extremistischer Gewalt in ganz Deutschland führt seit einigen Jahren zur Verunsicherung der Bürger. Die Brandanschläge auf Bahnanlagen und politisch motivierte Gewalttaten in ganz Sachsen zeigen, dass die innere Sicherheit auch im Freistaat vor neuen Herausforderungen steht. Ist der Staat nur noch begrenzt in der Lage, die Bürger zu schützen? Dieses Buch setzt sich mit der Vielfalt der Fragen zur inneren Sicherheit mit Fokus auf den Freistaat Sachsen auseinander. 17 Autoren beleuchten das Phänomen und machen es für den Leser greifbar: Was ist innere Sicherheit überhaupt? Welche Aspekte umfasst sie? Neben Wissenschaftlern kommen Beteiligte zu Wort, die einen Bezug zum Thema „innere Sicherheit“ haben: Opfer von Kriminalität, Polizisten und Therapeuten. So werden Ursachen und Prävention von Kriminalität und die exekutive Umsetzung von innerer Sicherheit ins Blickfeld gerückt.

Ist innere Sicherheit heute ein Thema? Die Zunahme von Einbrüchen, Diebstählen und extremistischer Gewalt in ganz Deutschland führt seit einigen Jahren zur Verunsicherung der Bürger. Die Brandanschläge auf Bahnanlagen und politisch motivierte Gewalttaten in ganz Sachsen zeigen, dass die innere Sicherheit auch im Freistaat vor neuen Herausforderungen steht. Ist der Staat nur noch begrenzt in der Lage, die Bürger zu schützen? Dieses Buch setzt sich mit der Vielfalt der Fragen zur inneren Sicherheit mit Fokus auf den Freistaat Sachsen auseinander. 17 Autoren beleuchten das Phänomen und machen es für den Leser greifbar: Was ist innere Sicherheit überhaupt? Welche Aspekte umfasst sie? Neben Wissenschaftlern kommen Beteiligte zu Wort, die einen Bezug zum Thema „innere Sicherheit“ haben: Opfer von Kriminalität, Polizisten und Therapeuten. So werden Ursachen und Prävention von Kriminalität und die exekutive Umsetzung von innerer Sicherheit ins Blickfeld gerückt.

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Frank Asbrock/Immo Fritsche<br />

bedürfnis befriedigen, aber den Grund für die Bedrohung nicht beseitigen.<br />

Bei Forderungen nach Maßnahmen <strong>zu</strong>r Erhöhung der <strong>in</strong>neren<br />

<strong>Sicherheit</strong> vermischen sich häufig beide motivationalen Prozesse.<br />

E<strong>in</strong>erseits versprechen sich Menschen von solchen Maßnahmen, wie<br />

beispielsweise verstärkten Zugangskontrollen für Personen aus vermuteten<br />

Ursprungsländern des Terrorismus, dass diese tatsächlich<br />

die Terrorbedrohung senken. Gleichzeitig können sich <strong>in</strong> solche potenziell<br />

zweckrational begründbaren Forderungen auch die Auswirkungen<br />

palliativer Motivationen (z. B. Kontrolle) e<strong>in</strong>schleichen, welche<br />

<strong>in</strong> der Regel auf unbewussten Prozessen beruhen und sich daher<br />

bewussten Nachdenkens und zweckrationaler <strong>Debatte</strong> entziehen.25 So<br />

kann e<strong>in</strong>e Forderung nach E<strong>in</strong>schränkung der E<strong>in</strong>reise von Personen<br />

aus muslimisch geprägten Ländern (»Muslim ban«) auf e<strong>in</strong>er subtilen<br />

Ebene das Gefühl von (gruppenbasierter) Kontrolle erhöhen, alle<strong>in</strong><br />

dadurch, dass hier zwischen »uns« und »denen« unterschieden und<br />

das kollektive Wir als dom<strong>in</strong>ant und handlungsfähig erlebt wird. Dies<br />

kann <strong>zu</strong>r Forderung nach ungerechten und <strong>in</strong>effektiven politischen<br />

Entscheidungen führen.<br />

Die Forderung nach stärkeren <strong>Sicherheit</strong>smaßnahmen entspricht<br />

dem existenziellen und <strong>zu</strong>gleich unerfüllbaren menschlichen Verlangen<br />

nach absoluter <strong>Sicherheit</strong> und persönlicher Kontrolle.26 Dieses<br />

Verlangen steht häufig im Gegensatz <strong>zu</strong>m Ziel der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Freiheit, welche e<strong>in</strong>e wichtige Grundlage von Demokratien darstellt.27<br />

Wir haben oben bereits dargestellt, dass die Wahrnehmung terroristischer<br />

Bedrohung häufig <strong>zu</strong> e<strong>in</strong>er Betonung des Kollektiven und dessen<br />

Verteidigung (autoritäre Reaktionen) führt. Psychologisch kann<br />

solch kollektives Handeln <strong>in</strong> Zeiten bedrohter persönlicher Handlungsfähigkeit<br />

und <strong>Sicherheit</strong> e<strong>in</strong>e palliative Funktion erfüllen. Politisch<br />

allerd<strong>in</strong>gs muss die Frage gestellt werden, wie mit dem Zurückdrängen<br />

<strong>in</strong>dividueller Freiheit und der illegitimen Abwertung des<br />

Fremden <strong>in</strong> Zeiten von Bedrohung um<strong>zu</strong>gehen ist. E<strong>in</strong>erseits mag<br />

Aufklärung über die Effekte palliativer Motivation helfen, dass Menschen<br />

ihre möglicherweise verzerrten Werturteile für diese E<strong>in</strong>flüsse<br />

korrigieren. Andererseits mag es se<strong>in</strong>, dass kollektive Reaktionen<br />

auf Bedrohung sich auf die Verteidigung demokratisch verfasster Geme<strong>in</strong>wesen<br />

ausdehnen (lassen). Dies sollte dann der Fall se<strong>in</strong>, wenn<br />

Menschen sich Geme<strong>in</strong>schaften oder Gesellschaften <strong>zu</strong>gehörig fühlen,<br />

die demokratische Normen wahrnehmbar <strong>zu</strong> ihrem Def<strong>in</strong>itionskriterium<br />

erklären. Entsprechend versammelten sich nach den ersten großen<br />

Terroranschlägen von Paris im Frühjahr 2015 Hunderttausende<br />

Franzosen h<strong>in</strong>ter Spruchbändern, auf denen e<strong>in</strong>e diskrim<strong>in</strong>ierungsfreie<br />

und tolerante Gesellschaft gefordert wurde.<br />

1 O. V., 2017.<br />

2 Siehe da<strong>zu</strong> auch das Interview mit der Psychiater<strong>in</strong><br />

Elke Hellweg <strong>in</strong> diesem Band, S. 75–78.<br />

3 Fritsche u. a., 2011; Fritsche/Fischer, 2009.<br />

4 Fritsche u. a., 2011.<br />

5 Stephan u. a., 2016.<br />

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