PERSÖNLICHDer Mannim BergArbeiten unter Tage – für Christian Kurathnichts Aussergewöhnliches. Der Österreicherhat zusammen mit seinen Kollegen im15,4 Kilometer langen Ceneri-Tunneldie Fahrleitungen montiert. Ein Besuchtief im Innern des Berges.TEXT Simona Marty FOTOS Desirée Good40
PERSÖNLICHund sieben Stunden Arbeitsweg hat ChristianKurath jeweils hinter sich, wenn er AnfangWoche vor dem Ceneri-Nordportal in seinorangefarbenes Gewand steigt. Zwei Jahre ist er vomösterreichischen Kärnten ins kleine Tessiner ÖrtchenS. Antonino gependelt, um auf der 15,4 Kilometer langenTunnelstrecke mit seinen Kollegen die Fahrleitungzu montieren. Am Freitag nach Arbeitsschluss ging esdie 600 Kilometer über Mailand und Venedig zurückan den Wörthersee. «Ich mag diese Art der Arbeit.Mein Job ist abwechslungsreich, ich lerne immer wiederneue Projekte und Orte kennen.» Der Ceneri hates dem Oberleitungsmonteur besonders angetan. Erfühle sich geehrt, Teil eines solch spektakulären Bauszu sein. Nach dem Gotthard und dem Lötschberg istder Ceneri das drittgrösste Tunnelprojekt der Schweiz.Für die Fahrleitungen werden hier – anders als im Gotthard– keine Kettenwerke, sondern sogenannte Deckenstromschienenverwendet. Diese sind gegenüber dembisherigen Fahrleitungssystem brandbeständiger undrobuster und erlauben Spitzengeschwindigkeiten vonbis zu 250 Kilometern pro Stunde. Mit der Fertigstellungdes Ceneri Ende 2020 ist das Jahrhundertwerk NEATvollendet und die Fahrzeit von Zürich nach Lugano aufunter zwei Stunden verkürzt.Auch wenn Kurath vom Tessin spricht, kommt derKärntner kaum aus dem Schwärmen. «Was für einetraumhafte Gegend zum Wandern oder Velofahren.» Fürden 36-Jährigen war es eine willkommene Abwechslungzu dem sonst eher schummrigen Arbeitsort. Unter Tagezu arbeiten, habe Vor- und Nachteile, meint er pragmatisch.«Wenn man tagein, tagaus nur Beton sieht, kanndies manchmal schon langweilen.» Auf der anderenSeite wisse man immer, was einen erwarte. «Es regnetnie, die Temperaturen sind konstant, die Sonne wirddich nicht verbrennen.» So verliere auch die Zeit an Bedeutung.Bei einem über 15 Kilometer langen Tunnelnicht ganz unbedeutend. «Wenn du kurz vor Arbeitsschlussnoch am anderen Ende des Tunnels bist, mussdu aufpassen, noch rechtzeitig rauszukommen.» Je nachGefährt dauert der Weg zurück zum Nordportal rundanderthalb Stunden.koordinieren. «Zum Glück unterstützt mich mein Vaterwährend dieser arbeitsintensiven Wochen.» Da er auchin Österreich oft von Hotel zu Hotel reise, sei er sich einLeben auf Achse aber gewohnt.Gefährliche Arbeit mit StromKurath selbst engagiert sich in Österreich bei der Feuerwehr.Sein ehrenamtlicher Einsatz kam ihm vor Jahrenbei einem Berufsunfall zugute, als ein Arbeitskollegeversehentlich in den Strom gegriffen und einen Herzstillstanderlitten hatte. «Bei der Feuerwehr habe ichgelernt, in brenzligen Situationen schnell zu reagieren.»Er sei sofort zum Kollegen hingerannt und habeihn reanimiert. «Der Mann überlebte und trug ausserVerbrennungen keine bleibenden Schäden davon.»Die Arbeit von Kurath ist nicht ungefährlich. Die Monteurearbeiten in einem Umfeld, in dem ein kleiner Fehlerschwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehenkann. «Die grosse Gefahr ist, dass man Strom nichtsieht.» Umso wichtiger sei die Kommunikation untereinander.«Wir müssen den Kopf immer bei der Sachehaben.» Im Ceneri gab es laut Kurath zum Glück keineZwischenfälle. Im Frühling beginnen nun die erstenTestfahrten im Ceneri, im Herbst wird der Tunnel fürden Probe-betrieb der SBB übergeben. Für die offizielleEröffnungsfeier Ende Jahr will Kurath die 600 Kilometernoch einmal auf sich nehmen: «Dieses Ereignis lasse ichmir nicht entgehen.»NEATDie NEAT (Neue Eisenbahn-Alpentransversale) ist eines dergrössten Bauprojekte derSchweiz und umfasst den Ausbauvon zwei Nord-Süd-Eisenbahnachsenbis Dezember 2020.Die Verbesserung des Eisenbahn-Infrastrukturauf der Nord-Süd-Achse hat zum Ziel, denSchwerlastverkehr von derStrasse auf die Schiene zu verlagern.Der 2007 fertig gestellteLötschberg-Basistunnel verbindetden Kanton Bern und dasWallis. Als Herzstück des Grossprojektszählt der Ende 2016 inBetrieb genommene Gotthard-Basistunnel, der längste Eisenbahntunnelder Welt. Im Südenwird dieser durch den Ceneri-Basistunnel ergänzt. Mit dessenFertigstellung im Dezember2020 wird das JahrhundertprojektNEAT finalisiert.neat.chVon Hotel zu HotelDie Montagearbeiten am Ceneri sind seit Sommer letztenJahres abgeschlossen und Kurath ist wieder zurückin seiner Heimat. Ob er sein Zuhause nie vermisse,wenn er so lange unterwegs sei? «Natürlich gibt esTage, an denen ich lieber daheim wäre.» Insbesonderewährend der Erntezeit gilt es für Kurath, der in Kärntennoch einen Landwirtschaftsbetrieb führt, beruflich zuMit dem Velo zurArbeit fahren: imCeneri-Tunnel aberbitte immer mit Licht.JAN/FEB 20 41