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Dorfleben Suderwich 28. Februar 2020

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Als dieBlaukittel verpöntwaren<br />

Langevor „Aolt Surk“gab es einen Heimatverein in <strong>Suderwich</strong>:die 1900 gegründete<br />

„GesellschaftWaldröschen“.Für dieMitglieder spielte dieHerkunfteinebesondereRolle.<br />

Lauter feine Herren: die Mitglieder der „Gesellschaft Waldröschen“. Dieses Foto hing über Jahrzehnte inder Gaststätte Breuckmann.<br />

Von Friedhelm Steckel<br />

Umdas Jahr1900und<br />

danach erlebte der<br />

Ortsteil <strong>Suderwich</strong><br />

einen ungewohnten<br />

Aufschwung, auch anZuzug<br />

von Bewohnern. Die aufstrebende<br />

Schachtanlage König<br />

Ludwig 4/5 brauchte Arbeitskräfte.<br />

Diese zunächst einmal<br />

positive Entwicklung brachte<br />

auch beträchtliche Probleme<br />

für das bisher so dörfliche<br />

Zusammenleben der Menschenin„Surk“.<br />

Aus aller Herren Länder kamen<br />

die Menschen, waren<br />

sie doch angeworben worden<br />

um den enormen Arbeitskräftebedarf<br />

im Bergbau zu<br />

decken. Selbstverständlich<br />

wollten die Neubürger in <strong>Suderwich</strong><br />

ihr Volkstum bewahren,<br />

und sie schlossen<br />

sich in Vereinen und Gemeinschaften<br />

zusammen.<br />

Die Einheimischen wunderten<br />

sich über die fremden<br />

Sprachen, wurde doch überwiegend<br />

alles auf Platt „gekürt“.<br />

Doch dann gab es einen<br />

„Stanislaus-Verein“, polnische<br />

Zeitungen wurden gedruckt,<br />

in der St.-Johannes-<br />

Kirche wurden Messen in<br />

polnischer Sprache zelebriert.<br />

Bürgervereine gründe-<br />

ten sich, von der Zechengesellschaft<br />

gefördert, hier hatte<br />

man dann einen gewissen<br />

Einfluss, zumal der Abteilungssteiger<br />

der Vorsitzende<br />

dieser Organisation wurde.<br />

Gar manche Fuhre an Material<br />

verließ so das Zechentor<br />

zum Bau einerVereinsanlage.<br />

Beide Schulen an der<br />

Schulstraße 44 und74, diean<br />

der Henrichenburger Straße,<br />

das Gemeindegasthaus, die<br />

Wohnsiedlungen der „Alten<br />

und Neuen Kolonie“ gehen<br />

auf diese Zeit zurück. Man<br />

hatte den Menschen versprochen,<br />

für geräumige Wohnungen<br />

zu sorgen –und dieses<br />

Versprechen auch gehalten.AlleWohneinheiten<br />

hatten<br />

Größen von 55bzw. 80<br />

m², dazu einen Stall für das<br />

liebe Vieh und einen Nutzgarten.<br />

Das ermöglichte eine<br />

gewisse Eigenständigkeit, die<br />

Bewohner waren von vielem<br />

unabhängig. Die Wohnungen<br />

waren sehr begehrt, wurde<br />

auch nur Belegschaftsmitgliedern<br />

angeboten.<br />

Allein im Gemeindegasthaus<br />

tagten mehr als 20Vereine<br />

und Organisationen.<br />

Ähnlich sah es in den anderen<br />

Gaststätten von <strong>Suderwich</strong><br />

aus. Den Gastwirten<br />

war esrecht, denn sohatten<br />

auchsie ihr Auskommen. Die<br />

Nemec-Kapelle tagte in der<br />

Gaststätte bei Karp, wurde<br />

später die Bergwerkskapelle<br />

der Zeche König Ludwig 4/5.<br />

Die Kapelle hatte nicht nur<br />

einen guten Klang, sondern<br />

war auch weit über die Grenzen<br />

von „Surk“ bekannt.<br />

Sportvereine, Sozialorganisationen,<br />

Parteien tragen noch<br />

heute voller Stolz das Gründungsjahr<br />

1900 in ihrem<br />

Banner. Leider lässt sich heute<br />

an einer Hand abzählen,<br />

wie viele der einstigen Traditionsvereinenochbestehen.<br />

Die Einheimischen fühlten<br />

sich wohl in ihrer geistigen<br />

„Wurzel“ bedroht, soberichtete<br />

es einer der Altvorderen.<br />

Daher gründeten sie imJahre<br />

1900 die „Gesellschaft Waldröschen“<br />

im damaligen Gasthof<br />

Tigges, später Breuckmann.<br />

Das „Waldröschen“<br />

sollte ein Symbol der Heimat<br />

sein, es sollte Geborgenheit<br />

an und ein gewisses Eigengefühl<br />

vermitteln. Aufdem einzig<br />

erhaltenen Foto –eshing<br />

über Jahrzehnte inder Gaststubevon<br />

Breuckmann –sind<br />

lauter „feine Kerle“ im Frack<br />

oder Gehrockzusehen.<br />

Wer in diese Gesellschaft<br />

aufgenommen werden wollte,<br />

hatte schon schlechte<br />

Karten, wenn sein Name<br />

schwierig zu schreiben war.<br />

Auch spielte die Heimat-Pfarrei<br />

eine bedeutende Rolle.<br />

Aus Essel, Becklem und Horneburg<br />

waren Zugänge zu<br />

verzeichnen, dagegen wurden<br />

Anträge aus Ober-Röllinghausen<br />

und Berghausen<br />

stets verworfen. Sosteht esin<br />

einem Protokoll, das später<br />

entdeckt wurde. Und böse<br />

Zungen behaupten, dass diese<br />

Vorbehalte auch heute<br />

noch ineinigen Köpfen stecken.<br />

Dichterin schrieb einst<br />

von „Waldfrevler-Bande“<br />

Ebenso war die heimische<br />

Arbeitstracht, also Blaumann<br />

oder Blaukittel, überhaupt<br />

nicht gerne gesehen, man<br />

hatte eine gewisse Distanz.<br />

Diese Gesellen, so erzählt<br />

man sich, seien wohl sehr<br />

rauflustig gewesen, selbst der<br />

Kiepenkerl wurde zum fahrenden<br />

Volk gezählt. Heimatdichterin<br />

Annette von Droste-Hülshoff<br />

schrieb bereits<br />

im Jahre 1846 von einer<br />

„Waldfrevler-Bande“, die „ihr<br />

Unwesen trieb, die man die<br />

Blaukittel nannte“. Wahrscheinlich<br />

war dies die erste<br />

Erwähnung in der Literatur.<br />

Bis zur Eingemeindung im<br />

Jahre 1926, als <strong>Suderwich</strong> an<br />

Recklinghausen fiel, war der<br />

Ortsteil 600 Jahre lang eine<br />

—FOTO: PRIVAT<br />

eigenständige, sehr wohlhabende<br />

Landgemeinde, deren<br />

letzter Ortsvorsteher August<br />

Ehling war. Aber auch er<br />

konnte diese „Tat“ wohl<br />

nichtverhindern.<br />

Der Bürgerverein „Waldröschen“<br />

hatte bis indie Mitte<br />

der 1930er-Jahre Bestand, die<br />

Nationalsozialisten lösten<br />

viele dieser Vereine und Organisationen<br />

mit fadenscheinigen<br />

Argumenten im Zuge<br />

der Gleichschaltung auf.<br />

Es dauertebis 1954,ehe der<br />

„Verein zur Pflege alter Sitten<br />

und Gebräuche Aolt Surk“<br />

ins Leben gerufen wurde.<br />

Den Mitgliedern geht esheute<br />

grundsätzlich noch darum,<br />

den Heimatgedanken<br />

und die alten Sitten wie eh<br />

und jezupflegen. Allerdings<br />

gibt es wesentliche Unterschiede<br />

zu den „Waldröschen“:<br />

Bei „Aolt Surk“ wird<br />

der Blaukittel voller Stolz getragen.<br />

Und der Kiepenkerl<br />

gehörtnatürlichdazu.<br />

Es ist den „Surkschen“<br />

längst gelungen, Gegensätze<br />

zwischen ländlicher Idylle<br />

und der vorrückenden industriellen<br />

Entwicklung zu überbrückenund<br />

friedlichzusammenzuleben.<br />

Mögen diese<br />

guten Gene noch sehr lange<br />

Bestand haben und weitervererbt<br />

werden.<br />

10 dorfleben -das Magazin für <strong>Suderwich</strong> &Essel

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