Industrieanzeiger 07.2020
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
technik & wissen<br />
ser recycelt werden können als Duroplaste,<br />
sondern auch weil sie sich aufschmelzen,<br />
funktionalisieren und erneut verfestigen lassen.<br />
Darauf zielt das Projekt FlexHyJoin ab.<br />
Das Institut für Verbundwerkstoffe (IVW)<br />
und das Centro Ricerche Fiat S.c.p.A. arbeiten<br />
an einem großserientauglichen Hybridfügeverfahren,<br />
das ohne Additive auskommt.<br />
Verbindungselemente wie Schrauben,<br />
Nieten oder Klebstoff sollen entfallen.<br />
Ein solcher vollautomatischer Füge -<br />
prozess könnte der Schlüssel für zukünftige<br />
Hybrid-Komponenten aus Metall und faserverstärkten<br />
Thermoplasten sein – und den<br />
Leichtbau revolutionieren. Laut den<br />
Projektpartnern gibt es „derzeit keinen<br />
anderen Ansatz, der die drei Kernanforde-<br />
turierten Stahlblechen unter Druck verbunden.<br />
Die dafür nötige Hitze liefert der Laser<br />
oder wird induktiv erzeugt – beim Demon -<br />
strator kommen beiden Methoden zum Einsatz.<br />
Der Dachspriegel entsteht in einer<br />
Gesamt-Taktzeit von 140 s.<br />
Im FlexHyJoin-Prozess steckt Knowhow<br />
vieler Partner. Die Organobleche stammen<br />
von Bond Laminates. Die Produktionsanlage<br />
mit Industrieroboter-Handling und<br />
IR-Thermographie zur Fertigteilprüfung<br />
entwickelte Edag Engineering und wurde<br />
von der Fill GmbH gebaut. Das Fraunhofer<br />
ILT und Leister Technologies erarbeiteten<br />
die Laserlösungen. Bis mindestens Ende<br />
2021 soll die Anlage bei HBW Gubesch stehen<br />
bleiben, um Kunden zu überzeugen.<br />
Prototyp eines hybriden Kunststoff-Aluminium-Motors<br />
(ausgehend von einem VW 1.5-liter L TSI-EVO mit<br />
110 kW). Bild: Volkswagen<br />
Materialmix in der Corvette<br />
rungen Gewichtsreduzierung, Kosten- und<br />
Zeiteffizienz und Haftfestigkeit ausreichend<br />
erfüllt“.<br />
Als Demonstrator stellten die Projektpartner<br />
eine Dachversteifungs-Komponente<br />
(Dachspriegel) für den Fiat Panda her. Hierzu<br />
wurden 0,7 mm dicke Stahlteile zunächst<br />
selektiv mit 215 μm tiefen und 75 μm breiten<br />
Hinterschnittlinien laserstrukturiert, um<br />
sie dort später mit Thermoplast form- und<br />
materialschlüssig zu verbinden. Die eigentliche<br />
Komponente entsteht auf einer Presse<br />
der HBW Gubesch Thermoforming GmbH<br />
in Wilmersdorf: Organobleche aus GFverstärktem<br />
PA6 werden aufgewärmt, umgeformt<br />
und anschließend mit den vorstruk-<br />
Die GM Chevrolet<br />
Corvette Stingray erhielt<br />
bereits 2019 einen<br />
Innovationspreis der<br />
Society of Plastics Engineers<br />
(SPE). Sie ist<br />
gekennzeichnet durch<br />
einen intensiven<br />
Mate rialmix.<br />
Bild: General Motors<br />
In dem hoch ambitionierten Projekt<br />
LeHoMit-Hybrid soll bis Ende März 2020<br />
ein Pkw-Mitteltunnel entstehen. Porsche<br />
und Volkswagen kooperieren darin mit der<br />
Open Hybrid Lab Factory in Wolfsburg<br />
(OHLF), dem Institut für Konstruktionstechnik<br />
(IK) der TU Braunschweig und dem<br />
Verbundwerkstoff-Spezialisten Invent.<br />
„Unser übergeordnetes Ziel ist es, das<br />
neue Bauteil in den ganz normalen Fahrzeugrohbau<br />
zu integrieren“, sagt Dr. Olaf<br />
Täger aus der Volkswagen-Konzern -<br />
forschung. „Wenn Kunststoff-Verbund -<br />
materialien ohne erheblichen Mehraufwand<br />
die bestehenden metallbasierten Fertigungsprozesse<br />
durchlaufen können, ist das ein<br />
Durchbruch für den Einsatz von Leichtbauteilen.“<br />
Denn es ist dann nicht mehr notwendig,<br />
den Montageprozess für die hybriden<br />
Komponenten zu verändern oder gar<br />
neue Fabriken zu bauen.<br />
Bei dem Mitteltunnel handelt es sich um<br />
ein Hybridbauteil in Reinkultur. Gerade darum<br />
ist es anspruchsvoll. Gefertigt wird die<br />
Komponente in einem Spritzgießwerkzeug<br />
von Schneider Form auf einer Spritzgieß -<br />
maschine von Engel Austria mit vertikalem<br />
Öffungshub. Der Tunnel besteht aus Organoblech<br />
mit GF- und CF-Tapeverstärkung,<br />
kombiniert mit spritzgegossenen Rippen,<br />
einem warmgeformten Stahleinsatz und<br />
Krafteinleitungselementen. Die CF-Tapes<br />
dienen selektiv als Verstärkungslagen, um<br />
Crash-Lasten aufzunehmen.<br />
Die hybride Komponente muss Temperaturen<br />
bis zu 200 °C in der Fertigung standhalten,<br />
da sie mit der Stahlkarosserie die<br />
kathodische Tauchlackierung (KTL) und<br />
anschließend die Ofentrocknung durchläuft.<br />
Bis zum Projekt-Ende im März soll<br />
der Tunnel optimiert sein und Crashtests bei<br />
Porsche unterzogen werden.<br />
Bei einer Gewichtseinsparung von 20 %<br />
bis 25 % ersetzt der hybride Tunnel sieben<br />
Stahl- und Aluminiumteile im Porsche<br />
Boxster und reduziert darüber hinaus<br />
Handling- und Fügevorgänge. Diese Ergebnisse<br />
tragen dazu bei, zusätzliche Massen<br />
durch alternative Antriebe und Assistenzsysteme<br />
für das autonome Fahren zumindest<br />
teilweise zu kompensieren. „Wir wollen mit<br />
dem Projekt einen Beitrag zur weiteren Verbreitung<br />
des Leichtbaus leisten – und damit<br />
34 <strong>Industrieanzeiger</strong> 07.20