POP & POLITIKWARUMPOPUNS VORRASSISMUSNICHT RETTENWIRDWir widmen uns auf diesen Seiten gerne deraufbauenden, politischen Kraft der Popmusikund hoffen drauf, dass Pop immer noch dieWelt zum Guten verändern kann. Nach denrassistischen Morden in Hanau und dem dochwieder viel zu schnell verklingenden Entsetzen,dürfen wir uns aber gerne fragen: Sind wir danicht vielleicht zu naiv? Rufen wir nicht dochzu oft in unsere kleine, überwiegend weiße,selbstgerechte Bubble hinein und tun zu wenig?Und hören vor allem nur uns selber zu? DieJournalistin Aida Baghernejad findet für unsklare Worte zu diesen Fragen.38
op war mal dieses Versprechen,ein Versprechenvon Ebony andIvory, living in perfectharmony, von Peace,Love and Unity, und vonsticking it to the man, es war das Versprechenvon Zusammenhalt, von derÜberwindung althergebrachter Grenzen,von Emanzipation, von Freiheit.Pop war ein offener Möglichkeitsraum,das Versprechen einer Utopie. Aberwas ist von dieser Utopie heute übriggeblieben? Ich sage: herzlich wenig.Denn wo Pop eine Welt jenseits vonRassismen verspricht, bleibt er selbstvon diesem Ziel weit entfernt.Ist das zugespitzt? Ja, natürlich, dochnach dem Terroranschlag in Hanauhabe ich zumindest keine Lust mehr,alles bis zur Selbstaufgabe differenziertauseinanderzunehmen. Dennwas macht Popdeutschland, wenigeTage nach Hanau? Einige haben sicheinmal betroffen gezeigt, kurz einenHashtag getwittert oder eine Insta-Story gemacht und am nächsten Tagging es weiter. Andere blieben ganzstumm. Es wurde Karneval gefeiertund das nächste Konzert gespielt, diePromorutsche weiter befeuert und dernächste Beef konzertiert.Klar, die altehrwürdige ZEIT hat 142 Menschenmit zugeschriebener Migrationsgeschichte,viele davon Künstler*innenund Medienmacher*innen, von ihrenErfahrungen und ihren Gefühlen post-Hanau erzählen lassen, aber dasThema war dann doch nicht wichtiggenug für die Titelseite. Menschenwie ich haben in zahlreichen Artikelndarüber geschrieben, was Rassismusaus diesem Land und seinen Menschengemacht hat, aber der Kampf um denCDU-Vorsitz und Hamsterkäufe ausAngst vor dem Corona-Virus habendie Debatte im öffentlichen Diskursvielleicht nicht komplett verdrängt,aber eindeutig den Kampf um die Aufmerksamkeitgewonnen. Rassismus.Ach ja. Da war was.Nun ist das alles die lahme Welt derNormies, Pop ist doch anders! Oder?Ganz ehrlich: Es ist an der Zeit, von derIllusion der schöpferischen, progressivenKraft des Pop Abstand zu nehmen.Was bleibt davon nämlich überhauptnoch übrig, wenn die größten Stars undSternchen der Stunde doch lieber rückwärtsgewandteIdeologien verbreiten?Da wäre zum Beispiel der Antisemitismus,der immer noch fröhlich gepflegtwird, stumpfer Nationalismus, und natürlichder Evergreen, Sexismus. Denim Übrigen natürlich nicht nur Rapperpflegen, sondern auch der netteSinger-Songwriter von nebenan, derzufälligerweise nur Songs über Frauenals eindimensionale Objekte schreibt.Aber klingt zumindest romantischer alsdie harten Bars im Hiphop. Auch wennes mindestens genauso toxisch ist.Und es ist ja nicht so, dass es irgendeinenernsthaften Nachhall gäbe,wenn man etwas profundes zu sagenhat. Klingt hoffnungslos, ist aber so.Advanced Chemistrys „Fremd im eigenenLand“ ist fast dreißig Jahre alt.Dreißig Jahre! Der Song könnte schonKinder haben und ein Eigenheim, erwurde in einer Zeit geboren, wo Smartphonesnoch Science Fiction warenund die Mauer erst gefallen war. Unddas frustrierende: Hört man den Textheute, könnte er glatt letzte Wochegeschrieben sein.Ja, es gibt heute mehr Künstler*innenmit starken Akzenten, jemand wieTony-L wäre heute keine Sensationmehr. Und es gibt mehr BIPoC (heißtübrigens Black and Indigenous People/Person(s) of Color, kann man ruhig mallernen und benutzen), die in der deutschenMusikindustrie Karriere, ja sogarMainstreamkarriere machen – dochhört man ihren Geschichten jenseitsder Empörungsspirale zu? Bekommendie differenzierten Geschichten überUngerechtigkeit den Raum, den siebrauchen? Oder weisen wir BIPoC imKulturbetrieb bestimmte Rollen zu, diesie bitteschön bedienen sollen? Wennsie aber aus ihnen ausbrechen möchten,sieht es schon ganz anders aus.Ausgerechnet die Bundeskanzlerinscheint ja mittlerweile etwas verstandenzu haben: Bei einer Pressekonferenzneulich erzählte sie von einemafrodeutschen Schauspieler, den siegetroffen habe. Er sei es satt, immerdie Gangster zu spielen, erzählte sie.Er wolle endlich auch mal den Bürgermeisterspielen. Darum geht es. Bei derRepräsentation von Identitäten jenseitsder üblichen Narrative - Gangsteroder unterdrückte Frau, Geflüchteteoder Sexobjekt - sieht es schnell düsteraus. Und für jede Sibel Kekilli undAylin Tezel im Tatort gibt es zahlloseBeispiele für die immer gleiche Reproduktionvon Klischees.Der Journalist Malcolm Ohanwe hatletztens für die Vice beschrieben, wieCastingshow-Teilnehmer*innen für ihnin seiner Kindheit zu wichtigen Rollenbildernwurden. „Hauptsächlich indiesen Shows sah ich, was sonst imFernsehen fehlte“, schreibt er, „jungecoole Menschen, die Deutsch sprechenund vietnamesische, albanischeoder ghanaische Namen tragen.“ Dieschwarz sind, asiatischstämmig, odersonst irgendeine Migrationsgeschichtehaben, aber die trotzdem selbstverständlichTeil dieser Gesellschaft sind.Denn genau das wünschen sich dievielen nicht-weißen Menschen, diein diesem Teil der Welt Zuhause sind:einfach nur normal sein. Und nichtdauernd markiert werden als das vermeintlichFremde. Denn es ist dieseMarkierung, die uns ausgrenzt, verletzt,markiert und ermordet.