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Defekte Demokratie am Beispiel Russlands

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Prof. Dr. Nils C. Bandelow<br />

Vorlesung: Vergleichende Regierungslehre<br />

<strong>Defekte</strong> <strong>Demokratie</strong> <strong>am</strong> <strong>Beispiel</strong> <strong>Russlands</strong><br />

www.tu-braunschweig.de/innenpolitik<br />

Institut für Sozialwissenschaften<br />

Lehrstuhl für Innenpolitik<br />

Sommersemester 2010<br />

28. Juni 2010


Literatur<br />

Goldmann, Marshall I., 2008: Petrostate. Putin, Power and the New Russia. Oxford: Oxford<br />

University Press. (LP-6102)<br />

Höhmann, Hans-Hermann/Schröder, Hans-Henning (Hrsg.), 2001: Russland unter neuer<br />

Führung. Münster: agenda. (LP-6048)<br />

Merkel, Wolfgang et. al., 2003: <strong>Defekte</strong> <strong>Demokratie</strong>. Band 1: Theorie. Opladen: Leske +<br />

Budrich. (MA-7043)<br />

Mommsen, Margareta, 2010: Das politische System Rußlands, in: Ismayr, Wolfgang<br />

(Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. 3. Auflage, Opladen: Leske +<br />

Budrich, S. 419-478. (MBO-1028, 2. Auflage)<br />

Schmidt, Manfred G., 2000: <strong>Demokratie</strong>theorien. Opladen: Leske + Budrich. (IG-4021)<br />

Schneider, Eberhard, 1999: Das politische System der Russischen Föderation. Wiesbaden:<br />

Westdeutscher Verlag (enthält im Anhang die Verfassung von 1993). (MBS-1034)<br />

Remington, Thomas F., 2010: Politics in Russia, in: Almond, Gabriel A., et. al.:<br />

Comparative Politics Today. A World View. 9th ed. New York et. al.: Longman: 354-<br />

399. (UB)<br />

Widmaier, Ulrich/Gawrich, Andrea/Becker, Ute, 1999: Regierungssysteme Zentral- und<br />

Osteuropas. Opladen: Leske + Budrich, S. 142-166.<br />

2


Zentrale Begriffe<br />

� eingebettete <strong>Demokratie</strong><br />

� „defekte <strong>Demokratie</strong>“<br />

� asymmetrischer Föderalismus<br />

3


<strong>Defekte</strong> <strong>Demokratie</strong><br />

� Polyarchie (Robert Dahl)<br />

� <strong>Demokratie</strong>-Index nach Tatu Vanhanen<br />

� <strong>Demokratie</strong>- und Autokratie-Skalen nach Keith Jaggers und Ted<br />

Robert Gurr<br />

� Freedom-House-Skalen<br />

4


<strong>Defekte</strong> <strong>Demokratie</strong> nach Wolfgang Merkel<br />

„Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines<br />

weitgehend funktionierenden demokratischen Wahlregimes<br />

zur Regelung des Herrschaftszugangs auszeichnen, aber<br />

durch Störungen in der Funktionslogik eines oder mehrerer<br />

der übrigen Teilregime die komplementären Stützen verlieren,<br />

die in einer funktionierenden <strong>Demokratie</strong> zur Sicherung von<br />

Freiheit, Gleichheit und Kontrolle unabdingbar sind.“<br />

(Merkel et. al. 2003: 66)<br />

5


<strong>Defekte</strong> <strong>Demokratie</strong><br />

Quelle: www.wzb.eu/zkd/dsl/pdf/DSL-Progr<strong>am</strong>m2008.pdf<br />

6


Typen defekter <strong>Demokratie</strong>n<br />

� Exklusive <strong>Demokratie</strong>: Eingeschränktes Wahlrecht,<br />

keine freien und fairen Wahlen<br />

� Illiberale <strong>Demokratie</strong>: Unvollständiger Verfassungsstaat<br />

und beschädigter Rechtsstaat, Beschädigung der Grund-,<br />

Menschen- und liberalen Freiheits- sowie Bürgerrechte<br />

durch gewählte Regierungen<br />

� Delegative <strong>Demokratie</strong>: Regierungen können das<br />

Parl<strong>am</strong>ent umgehen oder auf die Justiz einwirken<br />

� Enklavendemokratie: Vetomacht bei Militär, Unternehmern<br />

oder anderen Akteuren ohne Legitimation durch<br />

Wahlen<br />

7


Rahmendaten zu Russland<br />

� 142 Millionen Einwohner (zum Vergleich USA: 308 Millionen)<br />

� 17 Millionen Quadratkilometer<br />

� Vielvölkerstaat: 79,8 % „ethnische Russen“, über 100 weitere<br />

Gruppen (Tataren 4,0 %, Ukrainer 2,2 %, etc.)<br />

� Unabhängigkeit seit 1991<br />

� aktuelle Verfassung von 1993<br />

� Staatsoberhaupt/Staatspräsident: Dimitri Anatoljewitsch<br />

Medwedew<br />

� Regierungschef/Ministerpräsident : Wladimir Putin<br />

� Religion: keine zuverlässigen Zahlen, laut Umfrage 2007:<br />

russisch-orthodoxe Kirche ca. 51 %, Isl<strong>am</strong> 7%, 1 % andere<br />

Konfessionen (Judentum, Buddhismus), 11 % Glaube an<br />

übernatürlichen Kräfte, 30 % konfessionslos<br />

8


Parteichefs der KPR bzw. ab 1925 der KPdSU und<br />

Präsidenten der Russischen Föderation<br />

1917-1924 Wladimir Lenin<br />

1924-1953 Joseph Stalin<br />

1953-1964 Nikita Chrustschow<br />

1964-1982 Leonid Breschnew<br />

1982-1984 Yuri Andropow<br />

1984-1985 Konstantin Tschernenko<br />

1985-1991 Michael Gorbatschow<br />

1991-1999<br />

2000-2008<br />

seit 2008<br />

Boris Jelzin<br />

Wladimir Putin<br />

Dimitri Medwedew<br />

9


Verfassungsentwicklung<br />

� bis 1917 zaristisches Russland<br />

� 1917 Revolution, ab 1922 UdSSR<br />

� ab 1985 Umgestaltung und Öffnung des sozialistischen Systems<br />

� März 1990 halbfreie Wahlen in der RSFSR<br />

� Ende Mai 1990 Wahl von Boris Jelzin zum Vorsitzenden des Obersten<br />

Sowjets der RSFSR<br />

� Dezember 1991 Auflösung der Sowjetunion durch Beschluss von Boris<br />

Jelzin, Leonid Krawtschuk und Stanislau Schuschkewitz<br />

� 1993 Doppelherrschaft von Präsident und Parl<strong>am</strong>ent<br />

� 21.9.1993 Auflösung des Parl<strong>am</strong>ents durch Dekret von Jelzin<br />

� Oktober 1993: Beschuss des Parl<strong>am</strong>entsgebäudes und Gefangennahme<br />

des Parl<strong>am</strong>entspräsidenten Ruslan Chasbulatow und des<br />

„neuen Präsidenten“ Alexander Ruzkoj<br />

� 12.12.1993 Annahme der aktuellen Verfassung: 58,4 % Ja-Stimmen,<br />

Beteiligung knapp 55 %<br />

10


Formale Verfassungsprinzipien<br />

� Föderalismus<br />

� Republik<br />

� <strong>Demokratie</strong><br />

� Rechtsstaat<br />

� „Sozialer Staat“<br />

� (Grundrechte nach Vorbild des deutschen<br />

Grundgesetzes, aber noch detaillierter)<br />

11


Verfassungsprinzipien<br />

� keine demokratische Tradition<br />

� Verfassung: Ergebnis eines Alleingangs des<br />

Präsidenten Boris Jelzin<br />

� Annahme der Verfassung durch eine Volksabstimmung<br />

im Dezember 1993 (evtl. Fälschungen)<br />

12


Verfassungsmäßige Aufgaben des Präsidenten<br />

� Leitlinien der Innen- und Außenpolitik<br />

� direkte Leitung der Außenpolitik<br />

� Dekrete außerhalb parl<strong>am</strong>entarischer Kontrolle<br />

� Oberbefehlshaber der Streitkräfte<br />

� Möglichkeit zur Leitung von Kabinettssitzungen<br />

� unbeschränkte Möglichkeit zur Einberufung von Referenden<br />

� bisher maximal zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten von<br />

je vier Jahren, seit 2008 Amtszeit auf 6 Jahre verlängert<br />

13


Präsidentenwahlen seit 1991<br />

Präsident Amtszeit<br />

Boris Jelzin 1991-1999<br />

Wladimir Putin 2000-2008<br />

Dimitri Medwedew seit 2008<br />

14


Präsidentenwahlen seit 1991<br />

� 12. Juni 1991: RSFSR war noch Teil der SU, fünfjährige Amtszeit<br />

� 3. Juli 1996: erste Wahl auf Basis der neuen Verfassung vom 12.12.1993<br />

� 7. Mai 2000: Putin gewinnt die Wahl mit 52,9 % im ersten Wahlgang<br />

� 14. März 2004: Putin gewinnt die Wahl mit 71,2 %, doch äußert die OSZE<br />

Bedenken über den demokratischen Verlauf der Wahlen<br />

� 2. März 2008: Dimitri Medwedew gewinnt die Wahl mit 70,3 % vor Gennadi<br />

Sjuganow (KPRF, 17,7 %), Wladimier Schirinowsky (LDPD, 9,3 %) und<br />

Andrej Bogdanow (DPR, 1,3 %)<br />

� Wahlbeteiligungen bei Präsidentschaftswahlen zwischen 75 % und 64 %,<br />

bei Parl<strong>am</strong>entswahlen deutlich geringer<br />

15


Ministerpräsident<br />

� Stellvertreter des Präsidenten (bei Amtsunfähigkeit oder<br />

Rücktritt bis zur Neuwahl innerhalb von drei Monaten)<br />

� klare Unterordnung unter den Präsidenten<br />

� vom Präsidenten ernannt, von der Staatsduma bestätigt<br />

� aber: bei dreimaliger Ablehnung trotzdem Ernennung und<br />

Auflösung der Duma (faktisch noch nicht geschehen)<br />

� Vorschlagsrecht für weitere Regierungsmitglieder<br />

� besondere Bedeutung zur Amtszeit von Jewgenij<br />

Primakow (September 1998 bis Mai 1999 „cohabitation à<br />

la russe“)<br />

� aktuelle Machtstruktur undurchsichtig<br />

16


Russische Ministerpräsidenten seit 1992<br />

N<strong>am</strong>e Amtszeit Typus<br />

Viktor Tschernomyrdin 12/1992-3/1998 Technokrat<br />

Sergej Kirijenko 4/1998-8/1998 Technokrat<br />

Jewgenij Primakow 9/1998-5/1999 Wissenschaftler<br />

Sergej Stepaschin 5/1999-8/1999<br />

Wladimir Putin 8/1999-3/2000<br />

Michail Kasjanow 5/2001-2/2004<br />

Technokrat<br />

Sicherheitsdienstler<br />

Technokrat<br />

Wiktor Christenko 2/2004-3/2004 (kommissarisch)<br />

Michail Fradkow 3/2004-9/2007 Technokrat<br />

Wiktor Subkow 9/2007-5/2008 Technokrat<br />

Wladimir Putin seit 5/2008 Sicherheitsdienstler


Regierung/Ministerrat<br />

� dem Parl<strong>am</strong>ent verantwortlich, aber vom Präsidenten<br />

abhängig<br />

� Machtministerien (Verteidigung, Innen, Außen) direkt dem<br />

Präsidenten unterstellt<br />

� Amtszeit ist an Präsidenten gebunden<br />

� Zahl der Ministerien wechselt<br />

� kaum Repräsentanten der Parteien<br />

� machtvolle konkurrierende Bürokratien (Präsidialadministration,<br />

Sicherheitsrat, etc.)<br />

18


Staatsduma<br />

� jährliche Kontrolle der Regierungsvorlage zum<br />

Bundeshaushalt<br />

� wegen Gefahr der Auflösung durch den Präsidenten nur<br />

begrenzte Kontrollmöglichkeit der Regierung<br />

� Fraktionen ab 35 Abgeordnete<br />

� 23 Ständige Ausschüsse, Sitz- und Vorsitzverteilung nach<br />

Punktzahlsystem (keine ständige Dominanz der Mehrheit)<br />

� Ingenieurs- und Unternehmerparl<strong>am</strong>ent<br />

19


Staatsduma: Wahlsystem<br />

� 450 Abgeordnete<br />

� Wahl für 4 Jahre (Art. 96)<br />

� bis 2003: Grabenwahlrecht: eine Hälfte nach Listen, die<br />

andere Hälfte nach Mehrheitswahlrecht (Direktwahlkreise)<br />

� seit 2004: reines Verhältniswahlrecht, Erhöhung der 5-<br />

Prozent-Hürde auf 7 Prozent, Abschaffung der<br />

Mindestwahlbeteiligung von 25 % und der Möglichkeit,<br />

„gegen Alle“ zu stimmen<br />

� Abgeordnete genießen Immunität<br />

� schwache Stellung gegenüber dem Präsidenten<br />

20


Staatsduma Wahlergebnisse<br />

� 1993: LDPR (Schirinowskij-Block) mit 22,9 % Sieger der Listenwahl vor Jegor<br />

Gajdars „Demokratische Wahl <strong>Russlands</strong>“ (15,5 %) und der KPRF (12,4 %). Durch<br />

Direktmandate wurde die „Demokratische Wahl <strong>Russlands</strong>“ zur stärksten Fraktion.<br />

� 1995: KPRF mit 22,3 % Sieger der Listenwahl vor LDPR (11,9 %) und „Unser<br />

Haus Russland“ (Viktor Tschernomyrdin, 10,1 %).<br />

� 1999: KPRF mit 24,3 % Sieger der Listenwahl vor „Einiges Russland“ („Putins<br />

Partei“, 23,3 %). Durch Direktmandate 142 Sitze für „Einiges Russland“, 83 Sitze<br />

für die KPRF und 241 für andere Parteien und Unabhängige.<br />

� 2003: Sieg von „Einiges Russland“ bei Listenwahl (37 %) vor Kommunisten (knapp<br />

13 %) und LDPR (knapp 12 %). Durch Direktmandate und Überläufer 2/3-Mehrheit<br />

der Fraktion von „Einiges Russland“, die sich in 4 Fraktionen teilen will. Scheitern<br />

der liberalen Parteien an der 5-Prozent-Hürde, Schwächung von Kommunisten,<br />

relatives Wiedererstarken der LDPR. (Starke Wählermanipulationen und evtl. auch<br />

Wahlmanipulationen durch die Regierung)<br />

� 2007: bei einer Wahlbeteiligung von 63,72 % siegt „Einiges Russland“ mit 64,3 %,<br />

gefolgt von der „kommunistischen Partei der Russischen Föderation“ (11,57 %)<br />

und der „Liberal-Demokratische Partei <strong>Russlands</strong>“ (8,14 %), letztere ebenfalls<br />

Putin-nah.<br />

21


Nationaler Sicherheitsrat<br />

� Gremium der politischen Spitze zur gemeins<strong>am</strong>en Entscheidungsfindung<br />

� Ähnlichkeit zum Politbüro der UdSSR<br />

� Mitglieder sind u.a. Präsident, Ministerpräsident, Außen-, Innenund<br />

Justizminister, Verteidigungsminister, Vorsitzende der<br />

Parl<strong>am</strong>entsk<strong>am</strong>mern, Generalstaatsanwalt, Geheimdienstvertreter<br />

� bereits in der UdSSR 1992 von Gorbatschow nach dem Vorbild<br />

des <strong>am</strong>erikanischen National Security Council eingeführt<br />

� Machtfülle und Geheimhaltung<br />

� hat unter anderem den ersten Kaukasuskrieg ohne Hinzuziehung<br />

von Experten beschlossen<br />

� Vorsitz durch General Lebed Juni bis Oktober 1996<br />

� weiterer Machtgewinn unter Putin<br />

22


Föderationsrat<br />

� Zustimmung zur Ernennung von Kandidaten für die<br />

führenden Ämter der Judikative<br />

� letztinstanzliche Entscheidung über Impeachment (aber:<br />

2/3-Mehrheiten beider Häuser und der vom Präsidenten<br />

vorgeschlagenen Richter des Obersten Gerichts<br />

notwendig)<br />

� Staatsduma + Föderationsrat = Föderalvers<strong>am</strong>mlung<br />

(Parl<strong>am</strong>ent)<br />

23


Föderationsrat: Zus<strong>am</strong>mensetzung<br />

� ursprünglich als Gegengewicht zur Duma geplant<br />

� bis 1996: Besetzung durch meist von Jelzin ernannte<br />

Gouverneure<br />

� 1996-2000: Besetzung durch mächtige, direkt gewählte<br />

Gouverneure und Parl<strong>am</strong>entssprecher<br />

� seit 2000: Besetzung durch zwei haupt<strong>am</strong>tliche Abgesandte<br />

jeder Region, jeweils einer bestimmt durch Exekutive<br />

und Legislative der Subjekte (mit den Ergebnissen<br />

der Käuflichkeit der Sitze und der Schwächung des Rates)<br />

24


Gesetzgebung<br />

� Initiativrecht bei beiden Parl<strong>am</strong>entsk<strong>am</strong>mern, Föderationsrat, Regierung,<br />

Präsidenten, Regierungen und Parl<strong>am</strong>enten der Föderationssubjekte,<br />

Verfassungsgericht und obersten Gericht (bisher meist<br />

Initiativen aus der Duma)<br />

� Zustimmung erst durch Duma, dann durch Föderationsrat und zuletzt<br />

durch Präsidenten nötig<br />

� bei Konflikten können beide K<strong>am</strong>mern und andere Subjekte mit Recht<br />

auf Gesetzesinitiative den paritätisch besetzten Schlichtungsausschuss<br />

anrufen<br />

� Ablehnung des Föderationsrates kann die Duma mit zwei Dritteln der<br />

Ges<strong>am</strong>tzahl der Deputierten überstimmen<br />

� Veto des Präsidenten kann die Bundesvers<strong>am</strong>mlung (beide K<strong>am</strong>mern)<br />

mit zwei Dritteln ihrer Mitglieder überstimmen<br />

25


Gesetzgebung<br />

� bei Verfassungsgesetzen (Ausführungsgesetzen zur Verfassung, etwa<br />

zum Ausnahmezustand und Änderungen der Verfassung außer Artikel<br />

1, 2 und 9) Zustimmung von 2/3 der Duma, 3/4 des Föderationsrats<br />

und 2/3 der Regionalparl<strong>am</strong>ente, keine Vetomöglichkeit des<br />

Präsidenten (so wären theoretisch auch Einschränkungen der<br />

Präsidialkompetenzen möglich)<br />

� neue Verfassung kann durch eine Verfassungsgebende Vers<strong>am</strong>mlung<br />

aus beiden K<strong>am</strong>mern (Einberufung durch 3/5 beider K<strong>am</strong>mern) mit 2/3-<br />

Mehrheit in beiden K<strong>am</strong>mern oder durch ein Referendum<br />

verabschiedet werden


Gesetzgebung: Probleme<br />

� mehrfache Abstimmungen über denselben Entwurf bei<br />

unerwünschten Ergebnissen („Abgeordnete haben wohl<br />

etwas nicht verstanden“)<br />

� Abstimmung von Abgeordneten mit mehreren Stimmkarten<br />

für abwesende Kollegen<br />

� Stimmenkauf<br />

27


Föderalismus<br />

� 89 Subjekte: 32 Nationale Einheiten (u.a. 21 Republiken) und 57<br />

administrative Gebietseinheiten<br />

� asymmetrischer Föderalismus/Vertragsföderalismus<br />

� unterschiedliche, meist autoritäre Regime in den Subjekten, wie auf<br />

Bundesebene jeweils Dominanz der Exekutive<br />

� formal ist alles Äußere und Geld Bundesangelegenheit, während die<br />

wichtigsten Kompetenzen im Inneren gemeins<strong>am</strong>e Aufgaben sind<br />

� Problem der zentralistischen Tradition der UdSSR<br />

� Nationalitätenprobleme (100 verschiedene Ethnien)<br />

� Widerspruch zwischen Föderalismus und Machtfülle des Präsidenten<br />

(vgl. Tschetschenienkrieg)<br />

� Föderationsrat (178 Mitglieder, je 1 Vertreter von Exekutive und<br />

Judikative der 89 Subjekte)<br />

� unter Putin und Medwedew (seit 2000) schrittweise Stärkung des<br />

Zentralstaats zu Lasten der Subjekte<br />

28


Parteiensystem und Parteien<br />

� polarisierter Pluralismus (fragmentiert und polarisiert)<br />

� heute: 1,5-Parteiensystem: Parteien der Macht vs. KPRF<br />

mit Bündnispartnern<br />

� mit Ausnahme der KPRF (500.000 Mitglieder) nur Kopfparteien<br />

mit schwacher regionaler Vertretung<br />

� 5 Phasen:<br />

Einiges Russland<br />

1. 1985-1988 Klubphase<br />

2. 1989/90 Gründung größerer Bewegung<br />

3. 1991-1993 Verbot der KPdSU (Ende 1991) und<br />

Neugründungen<br />

4. 1993-1999 Entwicklung eines provisorischen Systems<br />

anhand der Cleavages Zentralismus/Regionalismus<br />

und pro-/contra Jelzin<br />

5. Seit Ende 1999 Entwicklung eines von oben<br />

gesteuerten Systems Putin-naher Parteien<br />

29


Verbändesystem und Interessenvermittlung<br />

� Absinken des gewerkschaftlichen Organisationsgrads von 1991 bis 1995<br />

von 100 % auf 33,4 %<br />

� 2009: 34 Millionen Gewerkschaftsmitglieder, von denen 28 Millionen zum<br />

Dachverband „Föderation der Unabhängigen Gewerkschaften <strong>Russlands</strong>“<br />

(FNPR)<br />

� vier Typen von Unternehmerverbänden:<br />

� multisektorale Verbände<br />

� Branchenverbände<br />

� intersektorale Regionalverbände<br />

� Assoziationen kleiner und mittelständischer Unternehmen<br />

� 2006: Schaffung einer „Gesellschaftsk<strong>am</strong>mer“ als politische Legitimierung<br />

� wichtiger als die Verbände ist aber die direkte Einflussnahme der<br />

Oligarchen<br />

� dyn<strong>am</strong>isches System von Interessengruppen, diese sind jedoch informeller<br />

Natur<br />

� faktisch also unterentwickeltes Verbandssystem, kein Korporatismus<br />

30


Massenmedien<br />

� seit 1991 verbürgte gesetzliche Garantie der Pressefreiheit<br />

� danach starke Welle von Zeitungsgründungen<br />

� 1992 gesetzliches Verbot von Zensur der Massenmedien<br />

� durch Privatisierung von elektronischen und Printmedien<br />

starker Einfluss mächtiger Unternehmer<br />

� große staatliche Fernsehkanäle dominieren die Meinungsbildung<br />

� trotz formaler Medienfreiheit werden regierungskritische<br />

Sender durch die Staatsanwaltschaft bedrängt<br />

31


Gerichtsbarkeit<br />

� seit der neuen Verfassung von 1993 erstmals Verankerung<br />

einer formal unabhängigen Judikative<br />

� an der Spitze stehen das Verfassungsgericht, das Oberste<br />

Gericht und die Generalstaatsanwaltschaft<br />

� Ernennung der 19 Verfassungsrichter für maximal 12 Jahre<br />

auf Vorschlag des Präsidenten durch Föderationsrat<br />

� Kompetenzen des Verfassungsgerichts: Überprüfung der<br />

Verfassungsmäßigkeit von Rechtsakten, Kompetenzstreitigkeiten,<br />

Verfassungsbeschwerden der Bürger (faktischer<br />

Schwerpunkt) und eigene Gesetzentwürfe<br />

32


Politische Kultur<br />

� Tradition gewalts<strong>am</strong>er Konfliktlösung/rechtlicher Nihilismus<br />

� keine Tradition demokratischer Parteien und Verbände<br />

� Homo sovieticus: Kollektiv vor Individuum<br />

� Nationalismus/Großmachtdenken<br />

� 80 % sind für Presse- und Meinungsfreiheit, aber nur knapp die<br />

Hälfte für „<strong>Demokratie</strong>“<br />

� an der Spitze des Vertrauens stehen mit 64,5 % die Armee und<br />

mit 56,4 % die Kirche, die Presse kann nur auf 29,3 % Vertrauen<br />

bauen<br />

� Putin seit Beginn seiner Amtszeit sehr beliebt (2009: 73 %)<br />

� ideologische Orientierungen: Patriotismus/starker Staat (Kommunisten),<br />

für die Regierung (Partei der Macht), gegen die<br />

Regierung (liberale Intelligenz)<br />

33


Politikproduktion<br />

� Gefahr der Präsidialdiktatur („gelenkte <strong>Demokratie</strong>“)<br />

� durch Dominanz des Präsidenten kaum Gefahr einer<br />

„Cohabitation“<br />

� faktisch bisher keine Stützung des Ministerrats im<br />

Parl<strong>am</strong>ent<br />

� hohe Arbeitslosigkeit seit den 1990er Jahren<br />

� vom „System Jelzin“ zum „System Putin“<br />

� Tschetschenien-Kriege (1994-1996, 1999-2009, offiziell<br />

beendet)<br />

� unter Putin und Medwedew: Zentralisierung (Schwächung<br />

der Gouverneure), Einschränkung der Pressefreiheit und<br />

Schwä-chung der Oligarchen (Inhaftierung von Michail<br />

Chodorkowskij 2003)<br />

34


Fazit<br />

� Russland gilt als illiberale, delegative oder defekte<br />

<strong>Demokratie</strong> (eingeschränkter Rechtsstaat, eingeschränkte<br />

Gewaltenkontrolle)<br />

� eine Studie der Bertelsmann-Stiftung bescheinigt sogar<br />

„Autokratisierungstendenzen“<br />

� mögliche Rechtfertigung durch historisch begründete<br />

Problemlage<br />

35


Diskussion<br />

� Systemtyp mit Frankreich vergleichbar?<br />

� „defekte“ <strong>Demokratie</strong> angemessenes Konzept zur<br />

Analyse?<br />

36

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