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se - Was Freiburg mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen zu tun hat

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Erster Brief von Conrad Röntgen an Ludwig Zehn<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong>, geschrieben wohl am 8. Februar 1896. Abbildung: aus Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong> „Roentgens Brief an Zehn<strong>der</strong>“, Rascher Verlag Zürich 1935<br />

Prof. Ludwig Zehn<strong>der</strong> war ein enger Freund des Würzburger Physikers:<br />

<strong>Was</strong> <strong>Freiburg</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> <strong>zu</strong> <strong>tun</strong> <strong>hat</strong><br />

Zehn<strong>der</strong> galt <strong>se</strong>lbst als Entdecker und erfand die sichere Röntgenröhre<br />

Von Bernd Serger<br />

1


In die<strong>se</strong>m Jahr besinnt man sich wie<strong>der</strong> auf Wilhelm Conrad Röntgen. So wurde am 28.<br />

März 2020 auch in <strong>der</strong> <strong>Freiburg</strong>er Pres<strong>se</strong> daran erinnert, dass er vor 175 Jahren in Lennep<br />

nahe <strong>der</strong> holländischen Grenze geboren wurde. Und am 8. November die<strong>se</strong>s Jahres jährt<br />

sich <strong>se</strong>ine <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> später nach ihm benannten X-Strahlen <strong>zu</strong>m 125. Mal – eine gute<br />

Gelegenheit also, davon <strong>zu</strong> erzählen, was <strong>Freiburg</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Erfindung und Verbrei<strong>tun</strong>g <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> <strong>zu</strong> <strong>tun</strong> <strong>hat</strong>.<br />

Es ist mehr als man denkt. Denn Conrad Wilhelm Röntgen war eng befreundet <strong>mit</strong> Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong>, <strong>der</strong> im Jahr 1895, als Röntgen durch Zufall auf <strong>se</strong>ine „X-Strahlen“ stieß, als<br />

außerordentlicher Professor am Physikalischen Institut <strong>der</strong> <strong>Freiburg</strong>er Universität tätig<br />

war.<br />

Röntgen <strong>hat</strong>te nach wochenlangen Versuchen am 1. Januar 1896 <strong>se</strong>ine erste Studie „Über<br />

eine neue Art von Strahlen“ an die Physiker-Kollegen in aller Welt verschickt, die sofort<br />

da<strong>mit</strong> begannen, <strong>se</strong>ine detailliert beschriebenen Experimente nach<strong>zu</strong>stellen – die<br />

Apparaturen, die Röntgen dafür benutzt <strong>hat</strong>te, gab es damals in jedem gut eingerichteten<br />

Labor. Ludwig Zehn<strong>der</strong> war nicht in <strong>Freiburg</strong>, son<strong>der</strong>n bei <strong>se</strong>inem kranken Vater in Zürich,<br />

als auch bei ihm in den ersten Januartagen in <strong>der</strong> Turn<strong>se</strong>estraße 43 in <strong>Freiburg</strong> die Post von<br />

Röntgen eintraf.<br />

So gehörte Zehn<strong>der</strong> nicht <strong>zu</strong> den allerersten, die Röntgens erfolgreichen Versuch in einem<br />

Vortrag beschrieben und nachstellten - Zehn<strong>der</strong> aber konnte dem Publikum in <strong>Freiburg</strong><br />

dafür als einziger in Deutschland Originalgeräte und Fotos vorwei<strong>se</strong>n, die ihm Röntgen<br />

<strong>zu</strong>gesandt <strong>hat</strong>te. Ludwig Zehn<strong>der</strong> hielt Mitte Februar 1896 gleich mehrere Vorträge in<br />

<strong>Freiburg</strong> über Röntgens <strong>Entdeckung</strong>, die nicht <strong>zu</strong>letzt die „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ <strong>zu</strong> einem<br />

einzigartigen „Bericht“ über weitere Versuche vor Ort anregte. Doch davon später.<br />

Röntgen erhielt 1895 einen Ruf an die Universität <strong>Freiburg</strong><br />

Prof. Emil Warburg, 1846-1931, war <strong>se</strong>it<br />

1876 Physiker an <strong>der</strong> Universität<br />

<strong>Freiburg</strong>, wech<strong>se</strong>lte 1894 nach Berlin.<br />

Denn die<br />

Geschichte von<br />

<strong>Freiburg</strong> und<br />

Röntgen begann<br />

schon etliche<br />

Monate früher.<br />

Auch durch eine<br />

heimliche<br />

Empfehlung von<br />

Zehn<strong>der</strong><br />

beför<strong>der</strong>t, erhielt<br />

Emil Warburg,<br />

damals Professor<br />

für Physik an <strong>der</strong><br />

Universität<br />

<strong>Freiburg</strong>, Ende<br />

Prof. Conrad Röntgen, 1845-1923,<br />

war 1895 nahe daran, dem Ruf an die<br />

<strong>Freiburg</strong>er Universität <strong>zu</strong> folgen.<br />

2


1894 einen Ruf an die Universität Berlin – nicht <strong>zu</strong>letzt auch deshalb, weil Zehn<strong>der</strong><br />

tatkräftig half, die Bedenken „maßgeben<strong>der</strong> Berliner Herren,“ <strong>zu</strong> zerstreuen. Die<strong>se</strong><br />

befürchteten, „weil Warburg geborener, wenn auch getaufter Jude <strong>se</strong>i, daß er <strong>se</strong>inen<br />

Untergebenen, <strong>se</strong>inen Schülern gegenüber gewis<strong>se</strong> jüdische Eigenschaften <strong>zu</strong> <strong>se</strong>hr <strong>zu</strong>r<br />

Gel<strong>tun</strong>g kommen las<strong>se</strong>“. Warburg wurde berufen und nahm den Ruf an. Auch Röntgen war<br />

darüber hoch erfreut. „Die Bemühungen <strong>der</strong> streberhaften Herren, <strong>der</strong>en Fächlein nur dem<br />

Namen nach an un<strong>se</strong>re Physik erinnert, waren also umsonst! Das freut mich nicht wenig“,<br />

schrieb er am 7. Januar 1895 an Ludwig Zehn<strong>der</strong>.<br />

Die Kai<strong>se</strong>r-Wilhelm-Universität in Straßburg, an <strong>der</strong> Conrad Röntgen von 1872 bis 1875 als Assistent von<br />

August Kundt tätig war. In Straßburg habilitierte er sich 1874 und ließ sich dort als Privatdozent nie<strong>der</strong>.<br />

Nach einem enttäuschenden Zwischenjahr in Hohenheim kehrte Röntgen 1876 wie<strong>der</strong> nach Straßburg<br />

<strong>zu</strong>rück und arbeitete dort bis 1879 als außerordentlicher Professor. Dann folgte er dem Ruf nach Gießen.<br />

Abbildung: Ansichtskarte, gelaufen 1904, Sammlung Serger<br />

Nun tauchte die Frage auf: Wer wird Nachfolger von Warburg in <strong>Freiburg</strong>? Röntgen <strong>se</strong>lbst<br />

war an Berlin nicht interessiert, er dachte eher an einen Wech<strong>se</strong>l an die neu gegründete<br />

und gut ausgestattete Straßburger Universität, wo er sich 1874 habilitiert <strong>hat</strong>te und wohin<br />

er noch beste Beziehungen <strong>hat</strong>te. Als Zehn<strong>der</strong> Emil Warburg fragte, ob er sich Röntgen als<br />

<strong>se</strong>inen Nachfolger in <strong>Freiburg</strong> vorstellen könne, „war die<strong>se</strong>r erstaunt“. In <strong>se</strong>inem 1935<br />

herausgegebenen Buch „Roentgens Brief an Zehn<strong>der</strong>“ berichtet Zehn<strong>der</strong> weiter: „Er wollte<br />

kaum glauben, daß Röntgen Würzburg <strong>mit</strong> <strong>Freiburg</strong> vertauschen könnte. Warburg bat<br />

mich aber, Röntgen, dem ich vorher nichts von meiner bezüglichen Frage an Warburg<br />

berichtet <strong>hat</strong>te, <strong>zu</strong> sondieren, ob er irgendwie daran dächte, einen Ruf nach <strong>Freiburg</strong><br />

an<strong>zu</strong>nehmen“.<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> sondierte und erhielt von Röntgen, dem er „die Antwort in gewis<strong>se</strong>m<br />

Sinne freigestellt <strong>hat</strong>te“, folgendes Schreiben:<br />

„Würzburg, 16. Januar 1895.<br />

Lieber Zehn<strong>der</strong>!<br />

Statt nicht <strong>zu</strong> schreiben, um dadurch Ihrem Vorschlag gemäß an<strong>zu</strong>deuten, daß ich nicht<br />

unbedingt ‚abwinke‘, möchte ich lieber ein paar Worte in <strong>der</strong> betreffenden Angelegenheit<br />

an Sie richten, da<strong>mit</strong> Sie nicht im ungewis<strong>se</strong>n über meine Ansicht sind. Sie könnten<br />

3


nämlich vermuten, daß ich bloß deshalb nicht ‚abwinke‘, weil mir ein Ruf an und für sich<br />

angenehm wäre, auch dann, wenn ich durchaus nicht die Absicht hätte, ihm Folge <strong>zu</strong><br />

leisten. Ich möchte Ihnen nun sagen, daß in die<strong>se</strong>m Falle die Sache sich doch durchaus<br />

nicht so verhält. Das gesün<strong>der</strong>e Klima, die schöne Lage <strong>Freiburg</strong>s, die Nähe <strong>der</strong> Schweiz<br />

und des Südens usw. sind Faktoren, die anfangen bei mir eine Rolle <strong>zu</strong> spielen, auch<br />

namentlich deshalb, weil es den Anschein <strong>hat</strong>, als könne meine Frau ihren langwierigen<br />

Husten hier nicht loswerden. Sie kennen ja eigentlich auch die Verhältnis<strong>se</strong>, und Sie<br />

brauchten sich nur auf frühere Gespräche und nicht einmal auf die<strong>se</strong> Zeilen <strong>zu</strong> berufen,<br />

wenn Sie von irgend jemand gefragt werden sollten.“<br />

Das Physikalische<br />

Institut <strong>der</strong> Universität<br />

<strong>Freiburg</strong> etwa in <strong>der</strong><br />

Zeit, als sich Conrda<br />

Rönten überlegte, nach<br />

<strong>Freiburg</strong> über<strong>zu</strong>siedeln.<br />

Abbildung: „Das<br />

<strong>Freiburg</strong>er<br />

Architektenbuch 1898“,<br />

Ausstellungs-Katalog<br />

1998, Hg. Augustiner-<br />

Mu<strong>se</strong>um, Rombach<br />

Verlag,<br />

Um Vorzüge und Nachteile eines Wech<strong>se</strong>ls nach <strong>Freiburg</strong> bes<strong>se</strong>r abwägen <strong>zu</strong> können,<br />

müs<strong>se</strong> er aber, so Röntgen, „<strong>se</strong>lbstverständlich die dortigen Verhältnis<strong>se</strong> erst genauer<br />

kennen“. So könne er jetzt nicht „<strong>mit</strong> einiger Sicherheit sagen, daß ich einem eventuellen<br />

Ruf folgen würde wie das Gegenteil.“ Es <strong>se</strong>i aber „durchaus nicht richtig“, fuhr Röntgen<br />

fort, „daß mir finanzielle Vorteile ganz egal sind. Da haben Sie mich wie<strong>der</strong> einmal<br />

überschätzt.“ Die folgende Korrespondenz gibt auch Einblick in die Eigenheiten, die so ein<br />

Berufungsverfahren damals ausmachten.<br />

Als Conrad Röntgen den Ruf an die Universität <strong>Freiburg</strong> im Februar 1895 tatsächlich<br />

erhielt, informierte er Zehn<strong>der</strong> darüber, bat aber um strengste Diskretion: „Die badische<br />

Regierung will sich alle Mühe geben, mich <strong>zu</strong> gewinnen.“ Nun warte er <strong>der</strong>en Vorschläge<br />

ab. Er bat Zehn<strong>der</strong>, ihm für eine Übersiedelung nach <strong>Freiburg</strong> folgendes <strong>zu</strong><strong>zu</strong>schicken:<br />

„1. Eine Personalverzeichnis <strong>der</strong> Universität <strong>Freiburg</strong>; 2. ein Vorlesungsverzeichnis; 3. die<br />

Statuten <strong>der</strong> Universität, in welchen auch die Ferienordnung enthalten <strong>se</strong>in wird; 4. eine<br />

Nachricht über die Verhältnis<strong>se</strong> (Güte und Prei<strong>se</strong>) <strong>der</strong> Mädchenschulen; 5. ein Verzeichnis<br />

<strong>der</strong> Lebens<strong>mit</strong>telprei<strong>se</strong> (von Ihrer verehrten Frau); 6. eine Angabe <strong>der</strong> Nebeneinnahmen<br />

von Assistent und Diener.“ Das Thema Mädchenschule interessierte Röntgen wegen<br />

des<strong>se</strong>n Adoptivtochter (<strong>se</strong>ine Ehe blieb kin<strong>der</strong>los).<br />

Röntgen sagte <strong>Freiburg</strong> ab, weil ihm die Ausstat<strong>tun</strong>g nicht genügte<br />

Nach längeren Verhandlungen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> badischen Regierung lehnte Conrad Röntgen im<br />

März 1895 den Ruf nach <strong>Freiburg</strong> ab. Er begründete dies in <strong>se</strong>inem Brief an Zehn<strong>der</strong> vom<br />

11. März 1895 wie folgt:<br />

4


„Lieber Zehn<strong>der</strong>!<br />

Das Zusammen<strong>se</strong>in am Bahnhof <strong>zu</strong> <strong>Freiburg</strong> war <strong>zu</strong> kurz und auch nicht darauf berechnet,<br />

um Ihnen nähere Mitteilung <strong>zu</strong> machen über die Gründe, welche mich veranlaßten, den<br />

Ruf ab<strong>zu</strong>lehnen und Ihnen überhaupt noch allerlei <strong>zu</strong>sagen: das möchte ich jetzt<br />

nachholen.<br />

Die badische Regierung <strong>hat</strong>te mir ein Gehalt von +/- 7.600 Mark geboten und erklärt, über<br />

die<strong>se</strong> Summe, welche dem höchsten Gehalt in <strong>Freiburg</strong> entspricht, nicht hinausgehen <strong>zu</strong><br />

können. Ich hätte mich wohl entschließen können, die<strong>se</strong>s Angebot an<strong>zu</strong>nehmen und da<strong>mit</strong><br />

auf ein paar tau<strong>se</strong>nd Mark Einnahme im Jahr <strong>zu</strong> verzichten; allein mein Hauptbedenken<br />

gegen die Annahme konnte nicht behoben werden. Wie Sie wohl wis<strong>se</strong>n, ist die <strong>Freiburg</strong>er<br />

Sammlung weniger reichhaltig an Apparaten als die Würzburger, namentlich an<br />

Vorlesungsapparaten. Das kommt sicher daher, daß Warburgs Vorgänger lange Zeit dort<br />

saß und Warburg <strong>se</strong>inerzeit als Extraordinarius in Straßburg nicht in <strong>der</strong> Lage war, größere<br />

For<strong>der</strong>ungen <strong>zu</strong> stellen.<br />

Ich bat so<strong>mit</strong> die badische Regierung, mir <strong>zu</strong>r<br />

Anschaffung von Apparaten einen einmaligen Kredit<br />

von ca. 11.000 Mark <strong>zu</strong> bewilligen. Die<strong>se</strong> For<strong>der</strong>ung<br />

schien mir gerecht <strong>zu</strong> <strong>se</strong>in, einmal deshalb, weil es<br />

doch im Interes<strong>se</strong> des Instituts und des Unterrichts<br />

liegt, die Sammlung <strong>zu</strong> heben und zweitens weil man<br />

mir doch nicht <strong>zu</strong>muten kann, in Be<strong>zu</strong>g auf das nötige<br />

Handwerkszeug einen bedeutsamen Schritt<br />

rückwärts <strong>zu</strong> machen.<br />

Dann erwähnte ich in dem betreffenden Schreiben,<br />

daß ich hoffte, daß für kleine bauliche Verän<strong>der</strong>ung<br />

des Hörsaals wohl die nötigen Mittel bereits<br />

vorhanden <strong>se</strong>ien. Da<strong>mit</strong> <strong>hat</strong>te ich Verän<strong>der</strong>ungen am<br />

Experimentiertisch und <strong>se</strong>iner Umgebung sowie die<br />

Einrich<strong>tun</strong>g eines kleine Vorberei<strong>tun</strong>gszimmers im<br />

Auge. Die Antwort auf die<strong>se</strong> Anfrage fiel nun <strong>se</strong>hr<br />

dilatorisch aus, und zwar so <strong>se</strong>hr, daß ich daraus<br />

entnehmen mußte, es bestünde beim Ministerium<br />

wenig Geneigtheit, meine Wünsche in vollem Maße<br />

<strong>zu</strong> erfüllen.<br />

Prof. Franz Himstedt, 1852-1933. Er<br />

wurde nach <strong>der</strong> Absage von Conrad<br />

Roentgen <strong>zu</strong>m Nachfolger auf dem<br />

<strong>Freiburg</strong>er Physik-Lehrstuhl von Emil<br />

Warburg gewählt und da<strong>mit</strong><br />

Vorge<strong>se</strong>tzter des außerordentlichen<br />

Professors Ludwig Zehn<strong>der</strong>.<br />

Abbildung; www.uni-gies<strong>se</strong>n.de<br />

Wohl wurde mir gesagt, <strong>der</strong> Minister wäre wohl geneigt, nach Prüfung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Universitätsbedürfnis<strong>se</strong> eine gewis<strong>se</strong> Summe, <strong>der</strong>en Höhe er aber nicht bestimmen könne,<br />

von <strong>der</strong> Kammer (gemeint ist das Landesparlament, <strong>se</strong>) <strong>zu</strong> verlangen; aber <strong>mit</strong> solchen<br />

Versprechungen ist nichts an<strong>zu</strong>fangen.<br />

Durch die<strong>se</strong>n Bescheid war die Sache so gut wie entschieden. Zwar habe ich mir nachher<br />

noch kurze Zeit überlegt, ob die Vorteile des Klimas und des angenehm ge<strong>se</strong>lligen Lebens<br />

im Krei<strong>se</strong> guter Freunde und Bekannten den genannten Nachteilen nicht das Gleichgewicht<br />

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halten konnten; doch habe ich mir schließlich sagen müs<strong>se</strong>n, daß ich schwerlich in <strong>Freiburg</strong><br />

hätte <strong>zu</strong>frieden und befriedigt <strong>se</strong>in können. Noch will ich erwähnen, daß ich bei <strong>der</strong><br />

mündlichen Verhandlung <strong>mit</strong> Arnsperger über die Kreierung eines besoldeten<br />

Extraordinarius sprach und dabei an Sie dachte. Außer einiger wohlwollen<strong>der</strong> Äußerungen<br />

erhielt ich keine Antwort.“<br />

Röntgen vermutete in <strong>se</strong>inem Brief an Zehn<strong>der</strong>, „daß die Regierung gewis<strong>se</strong> mir nicht<br />

bekannte Absichten <strong>hat</strong>te“, beurteilte aber ihr Verhalten als „<strong>se</strong>hr korrekt und in<br />

gewis<strong>se</strong>m Maße auch <strong>se</strong>hr entgegenkommend“. Schließlich tue „das kleine Ländchen für<br />

<strong>se</strong>ine drei Hochschulen bereits <strong>se</strong>hr viel und ich kann es <strong>der</strong> Regierung keineswegs<br />

verdenken, daß sie keine großen Auslagen machen will für die Berufung eines Auslän<strong>der</strong>s<br />

(Röntgen meinte da<strong>mit</strong> wohl <strong>se</strong>inen fränkischen Wohnort Würzburg, <strong>se</strong>), wenn sie weiß,<br />

daß sie eine tüchtige inländische Kraft, für welche sie doch auch einigermaßen verpflichtet<br />

ist <strong>zu</strong> sorgen, we<strong>se</strong>ntlich billiger erhalten kann.<br />

So war denn die Aussicht, nach <strong>Freiburg</strong> <strong>zu</strong> kommen, für uns beide ein schöner Traum, <strong>der</strong><br />

wie viele an<strong>der</strong>e keine Verwirklichung fand. Haben aber sie, lieber Zehn<strong>der</strong>, herzlichen<br />

Dank dafür, daß Sie uns den<strong>se</strong>lben unter Aufopferung Ihrer eigenen Interes<strong>se</strong>n verschafft<br />

haben. Möge es mir gestattet <strong>se</strong>in, die<strong>se</strong>n Freundschaftsdienst <strong>zu</strong> belohnen!“<br />

Nur wenige Monate vor <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong> <strong>se</strong>iner X-Strahlen fotografierte Conrad Röntgen im Sommer 1895<br />

<strong>se</strong>inen Freundeskreis beim gemeinsamen Urlaub in Pontresina im Engadin, wo Röntgen <strong>se</strong>hr oft die Ferien<br />

verbrachte. Röntgen nutzte hier den Selbstauslö<strong>se</strong>r, weshalb er auch auf dem Foto <strong>zu</strong> <strong>se</strong>hen ist und zwar in<br />

<strong>der</strong> Mitte vorn. Ganz rechts <strong>se</strong>ine Frau Anna Bertha und die adoptierte Nichte. Ludwig Zehn<strong>der</strong> ist sitzend<br />

rechts von Röntgen am Baum <strong>zu</strong> <strong>se</strong>hen, <strong>se</strong>ine Frau links von Röntgen. Ganz links <strong>der</strong> Ophtalmologe Eugen<br />

von Hippel <strong>mit</strong> Frau. Abbildung: Ludwig Zen<strong>der</strong> „Roentgens Briefe an Zehn<strong>der</strong>“, Rascher Verlag Zürich 1935.<br />

Als Röntgen dem Senat <strong>der</strong> Universität Würzburg und <strong>der</strong> Bayerischen Regierung<br />

pflichtgemäß vom Ruf aus <strong>Freiburg</strong> und <strong>se</strong>iner Ablehnung berichtete, bekam er immerhin<br />

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für <strong>se</strong>in Institut in Würzburg die schon lange beantragte Hilfskraft für die Besorgung <strong>der</strong><br />

Hei<strong>zu</strong>ng und Reinigung <strong>mit</strong> 500 M. jährlich endlich bewilligt.<br />

Röntgens Absage in <strong>Freiburg</strong> traf Zehn<strong>der</strong> doppelt: Er wurde nach Röntgens Verzicht,<br />

obwohl <strong>se</strong>it 1891 a.o. Professor für Physik in <strong>Freiburg</strong>, <strong>mit</strong> Warburgs Assistent G. Meyer<br />

nur auf Platz 3 <strong>der</strong> Berufungsliste ge<strong>se</strong>tzt. Berufen auf die Stelle von Emil Warburg wurde<br />

<strong>zu</strong>dem Franz Himstedt, Röntgens Nachfolger als Institutsleiter in Gießen, was sich für<br />

Zehn<strong>der</strong> in <strong>Freiburg</strong> später als fatal erwei<strong>se</strong>n sollte – und auch aus Zehn<strong>der</strong>s Plänen, für<br />

Himstedt die Stelle in Gießen <strong>zu</strong> bekommen, wurde nichts. Röntgen sah sich als Ehemaliger<br />

in Gießen außerstande, Zehn<strong>der</strong> im Bewerbungsverfahren <strong>zu</strong> helfen.<br />

In den Sommerferien 1895 trafen sich Zehn<strong>der</strong> und Röntgen und ihre Gattinnen wie so oft<br />

in Röntgens Lieblingsurlaubsort Pontresina im sonnigen und windgeschützten<br />

Oberengadin. Dort <strong>hat</strong>ten sich beide Paare in den Jahren von Röntgens Professur in<br />

Gießen (1879-1888) <strong>zu</strong>fällig kennengelernt. Da sowohl Röntgens Ehefrau als auch die<br />

Gattin von Zehn<strong>der</strong> (wie Zehn<strong>der</strong> <strong>se</strong>lbst) aus Zürich stammten, waren auch die Frauen an<br />

<strong>der</strong> daraus entstehenden lebenslangen Freundschaft interessiert. Bei den Gesprächen<br />

entdeckten auch die Männer Gemeinsamkeiten: Beide <strong>hat</strong>te ihre akademische Karriere<br />

ohne Abitur geschafft, wobei Röntgen <strong>der</strong> erfolgreichere o<strong>der</strong> vielleicht auch nur<br />

glücklichere war. Denn Zehn<strong>der</strong> kämpfte zeitlebens darum, eine besoldete<br />

Professorenstelle <strong>zu</strong> bekommen, was ihm nie gelingen sollte – er blieb immer Privatdozent<br />

und außerordentlicher Professor, wogegen Röntgen schon in Gießen aufgrund <strong>se</strong>iner von<br />

Anfang an herausragenden Forschung<strong>se</strong>rgebnis<strong>se</strong>n <strong>zu</strong>m ordentlichen Professor ernannt<br />

wurde.<br />

Die Eidgenössische Technische Hochschule, auch Polytechnikum genannt, in Zürich um das Jahr 1880, auf<br />

dem Foto <strong>der</strong> linke Flügel. Hier konnten Conrad Röntgen, Ludwig Zehn<strong>der</strong> und auch später Albert Einstein<br />

nach einer Aufnahmeprüfung ein Studium beginnen, obwohl sie alle kein Abitur vor<strong>zu</strong>wei<strong>se</strong>n <strong>hat</strong>ten. Foto:<br />

Baugeschichtliches Archiv <strong>der</strong> Stadt Zürich<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong>, Jahrgang 1854, <strong>hat</strong>te ursprünglich einen an<strong>der</strong>en Weg eingeschlagen.<br />

Ohne <strong>se</strong>ine Abiturprüfung ab<strong>zu</strong>warten, ging er nach einem bestandenen<br />

Aufnahmeexamen an die Technische Hochschule in Zürich, auch Polytechnikum genannt.<br />

Er erlangte dort, einem Zufluchtsort etlicher deutscher Dozenten, die sich 1848 in<br />

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Deutschland politisch unbeliebt gemacht <strong>hat</strong>ten, das Diplom als Maschinenbauingenieur.<br />

Danach arbeitete er 15 Jahre lang als Ingenieur in <strong>se</strong>iner eigenen Fabrik für elektrische<br />

Apparate in Ba<strong>se</strong>l. Die<strong>se</strong>s Geschäft behagte ihm aber auf Dauer nicht. Sein Interes<strong>se</strong> an<br />

Astrophysik, <strong>se</strong>ine Leidenschaft, in die Geheimnis<strong>se</strong> <strong>der</strong> Natur ein<strong>zu</strong>dringen, ließen ihn –<br />

<strong>mit</strong> Einverständnis <strong>se</strong>iner Frau – das Wagnis eines Physikstudiums in Berlin bei Hermann<br />

von Helmholtz, wegen <strong>se</strong>iner Bedeu<strong>tun</strong>g auch „Reichskanzler <strong>der</strong> Physik“ genannt,<br />

ergreifen. Doch eine Promotion war dort ohne Abitur nicht möglich.<br />

Nun wusste Zehn<strong>der</strong>, dass auch Röntgen ohne Matura promoviert <strong>hat</strong>. Röntgen war in<br />

Utrecht, als Kon<strong>se</strong>quenz <strong>se</strong>iner Weigerung, einen Mitschüler <strong>zu</strong> verraten, von <strong>der</strong> Schule<br />

verwie<strong>se</strong>n und durch die Abiturprüfung gefallen. Er <strong>hat</strong>te sich, wie später Zehn<strong>der</strong> (und im<br />

Jahr 1895 auch Albert Einstein!), nach Zürich „gerettet“, wo man an <strong>der</strong> Technischen<br />

Hochschule allein durch eine Aufnahmeprüfung einen Studienplatz ergattern konnte. Wie<br />

Zehn<strong>der</strong> <strong>hat</strong>te Röntgen sich in Zürich das Diplom des Maschinenbauingenieurs erworben,<br />

er im Jahr 1868 - und 1869 folgte für Röntgen gleich danach <strong>der</strong> Doktortitel. So weit kam<br />

übrigens Einstein erstmal gar nicht: er landete für lange Jahr im Patentamt <strong>zu</strong> Bern …<br />

Röntgen half <strong>se</strong>inem Freund Zehn<strong>der</strong>, in Gießen <strong>zu</strong> promovieren<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> und Conrad Röntgen (rechts) gemeinsam<br />

<strong>mit</strong> ihren Frauen auf einer Fotografie aus <strong>der</strong> Zeit, als<br />

Röntgen <strong>se</strong>ine X-Strahlen entdeckte.<br />

Abbildung: Gerd Ro<strong>se</strong>nbusch/Annemarie de Knecht-van<br />

Eekelen: „Wilhelm Conrad Röntgen – The Birth of<br />

Radiology, Springer Biographies 2019<br />

In Kenntnis die<strong>se</strong>r gemeinsamen<br />

Vergangenheit wandte sich Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong> an den Freund – und Röntgen<br />

nahm ihn <strong>zu</strong> sich nach Gießen, wo<br />

Zehn<strong>der</strong> 1887 tatsächlich promovieren<br />

konnte. Zehn<strong>der</strong> <strong>hat</strong>te schon ein<br />

Thema für die Doktorarbeit, doch<br />

Röntgen wollte ihm <strong>se</strong>lbst eines geben.<br />

Zehn<strong>der</strong> in einem Radio-Interview im<br />

November 1945: „Ich löste es in acht<br />

Wochen. In die Schweiz <strong>zu</strong>rückgekehrt,<br />

bekam ich einen Brief von Röntgen, ob<br />

ich <strong>se</strong>in Assistent werden wolle. Sagte<br />

<strong>zu</strong>.“ Röntgen, <strong>der</strong> von Zehn<strong>der</strong>s<br />

gewis<strong>se</strong>nhafter experimenteller Arbeit<br />

beeindruckt war, nahm ihn, als er im<br />

Jahr 1888 den Ruf nach Würzburg<br />

erhielt, auch dorthin <strong>mit</strong>.<br />

Zehn<strong>der</strong> wollte wie Röntgen auch<br />

Professor werden, doch das war ohne Abitur in Würzburg nicht möglich. Immerhin konnte<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> in Würzburg <strong>se</strong>ine Habilitationsschrift verfas<strong>se</strong>n: Um da<strong>mit</strong> Professor<br />

werden <strong>zu</strong> können, musste er wie<strong>der</strong> in die Schweiz, wo er 1890 auf Ver<strong>mit</strong>tlung von<br />

Röntgen bei dem Physiker Eduard Hagenbach-Bischoff an <strong>der</strong> Universität Ba<strong>se</strong>l habilitiert<br />

wurde.<br />

Bereits ein Jahr darauf, im Jahr 1891, habilitierte sich Zehn<strong>der</strong> nach <strong>Freiburg</strong> im Breisgau<br />

um – und er nutzte die Chance <strong>se</strong>iner Antrittsvorlesung als außerordentlicher Professor,<br />

8


um die <strong>Freiburg</strong>er gleich mal <strong>mit</strong> <strong>se</strong>iner neuen Theorie bekannt <strong>zu</strong> machen: „Das We<strong>se</strong>n<br />

<strong>der</strong> Elektrizität als Wärme des Äthers“.<br />

Von die<strong>se</strong>r Theorie hielt Conrad Röntgen so gut wie<br />

nichts – und er befürchtete von Anfang an, dass<br />

Zehn<strong>der</strong>s „Sehnsucht nach den letzten Geheimnis<strong>se</strong>n<br />

<strong>der</strong> Welt, nach einer umfas<strong>se</strong>nden Theorie, die weit<br />

über die experimentelle Erfahrung hinaus ein<br />

einheitliches und möglichst einfaches Weltbild<br />

ver<strong>mit</strong>teln sollte“ (so Friedrich Dessauer 1949 in<br />

<strong>se</strong>inem Nachruf auf Zehn<strong>der</strong>) ihm unter den<br />

maßgebenden Physikern auf Dauer schaden werde.<br />

Dessauer: „Doch Zehn<strong>der</strong> <strong>hat</strong> ihm gegenüber in<br />

höflicher Form, jedoch <strong>mit</strong> großer Zähigkeit an <strong>se</strong>inen<br />

Plänen festgehalten und <strong>se</strong>inem Meister gegenüber<br />

bekannt, daß das Studium <strong>der</strong> Physik ja nicht <strong>se</strong>in<br />

eigentliches Ziel <strong>se</strong>i, son<strong>der</strong>n das Mittel <strong>zu</strong> einem<br />

tieferen, und zwar <strong>zu</strong> einem mechanistischen, Weltbild<br />

bedeute.“<br />

Röntgens Warnungen waren berechtigt, wie die<br />

weitere Karriere von Ludwig Zehn<strong>der</strong> zeigte. Die<strong>se</strong>r<br />

verfasste etliche weltanschauliche Bücher, hinterließ<br />

aber auch als experimenteller Physiker sowohl im<br />

Eines <strong>der</strong> weltanschaulichen Bücher von<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong>, die Conrad Röntgen gar<br />

nicht gefielen, war „Der ewige Kreislauf des<br />

Weltalls. Nach Vorlesungen über<br />

Physikalische Weltanschauungen“,<br />

erschienen 1914 im Verlag Friedrich Vieweg<br />

& Sohn Brauschweig. Zuviel Spekulation, <strong>zu</strong><br />

wenig Wis<strong>se</strong>nschaft, urteilte Röntgen über<br />

die<strong>se</strong> Bücher<br />

Gebiet <strong>der</strong> Hochfrequenz als später auch in <strong>der</strong> Röntgenphysik deutliche Spuren. Dessauer:<br />

„Im Jahr 1891 machte Zehn<strong>der</strong> glänzende Versuche im Rahmen <strong>der</strong> Hertzschen<br />

<strong>Entdeckung</strong>en. Die von ihm entwickelte und nach ihm benannte Zehn<strong>der</strong>-Röhre ist in die<br />

Geschichte <strong>der</strong> Physik eingegangen.“ Dabei sollte es nicht bleiben.<br />

Als Röntgen ihm von <strong>se</strong>iner <strong>Entdeckung</strong> berichtete, war Zehn<strong>der</strong> in Zürich<br />

Doch in <strong>Freiburg</strong> lief es für Zehn<strong>der</strong> im Jahr 1895 nicht ohne Probleme. „Das<br />

Winter<strong>se</strong>mester 1895/96 schien sich für mich ungünstig an<strong>zu</strong>las<strong>se</strong>n: Ich brachte diesmal<br />

keine Vorlesung <strong>zu</strong>stande“, erinnerte er sich später in <strong>se</strong>inem Buch <strong>mit</strong> den Röntgen-<br />

Briefen. Da<strong>zu</strong> wurde <strong>se</strong>in Vater in Zürich krank und dauernd bettlägerig. Als Arzt<br />

vermutete jener (<strong>mit</strong> Recht) Lungenkrebs. Zehn<strong>der</strong> nutzte <strong>se</strong>ine vorlesungsfreie Zeit,<br />

häufig nach Zürich <strong>zu</strong> fahren, um <strong>se</strong>inen verwitweten Vater <strong>zu</strong> pflegen. So auch im<br />

Spätjahr, als Conrad Röntgen am 8. November in Würzburg <strong>se</strong>ine, wie er sie nannte, „X-<br />

Strahlen“ entdeckte und sich dann erstmal <strong>se</strong>chs Wochen komplett <strong>zu</strong>rückzog, um durch<br />

Experimente aller Art hinter die<strong>se</strong> auch für ihn so überraschende <strong>Entdeckung</strong> <strong>zu</strong> kommen.<br />

Zehn<strong>der</strong>: „Am Neujahrstag 1896 versandte Röntgen <strong>se</strong>ine Son<strong>der</strong>abdrucke über <strong>se</strong>ine neue<br />

<strong>Entdeckung</strong>; auch an meine <strong>Freiburg</strong>er Adres<strong>se</strong> sandte er einen solchen. Weil ich aber doch<br />

meinen Aufenthaltsort zwischen <strong>Freiburg</strong> und Zürich oft wech<strong>se</strong>lte, ließ ich mir keine<br />

Postsachen von <strong>Freiburg</strong> nach <strong>der</strong> Schweiz nach<strong>se</strong>nden. In Zürich erfuhr ich auch noch<br />

nichts von Röntgens <strong>Entdeckung</strong>, er <strong>se</strong>lber <strong>hat</strong>te ja keine Zeit, Briefe <strong>zu</strong> schreiben. In den<br />

ersten Tagen nach Neujahr traten meine Frau, die über die Weihnachtsferien auch in<br />

9


Zürich gewe<strong>se</strong>n war, und ich die Heimrei<strong>se</strong> an. In Ba<strong>se</strong>l, wo wir schon zweimal und<br />

insgesamt etwa sieben Jahre gewohnt und viele Freunde gewonnen <strong>hat</strong>ten, machten wir<br />

<strong>zu</strong>sammen noch einen zweitägigen Aufenthalt bei Freunden. Am 6. Januar 1896 reiste ich<br />

allein heim nach <strong>Freiburg</strong> i. Br. Dort fand ich Röntgens Son<strong>der</strong>abdruck über ‚Eine neue Art<br />

von Strahlen‘, erfuhr endlich von <strong>se</strong>iner <strong>Entdeckung</strong>.“ (siehe Abbildung unten)<br />

Inzwischen aber war die Nachricht von <strong>der</strong><br />

<strong>Entdeckung</strong>, dank <strong>der</strong> Erfindung <strong>der</strong><br />

Telegrafie, schon bis in die USA gedrungen.<br />

„Und ich las sie auch in meiner ‚<strong>Freiburg</strong>er<br />

Zei<strong>tun</strong>g‘ vom 6. O<strong>der</strong> 7. Januar“, berichtete<br />

Zehn<strong>der</strong>. <strong>Was</strong> nicht stimmte: <strong>der</strong> erste<br />

Ein Blick ins Laboratorium im Physikalischen Institut in<br />

Würzburg, in dem Conrad Röntgen am 8. November<br />

1895 durch Zufall die „X-Strahlen“ entdeckte – und es<br />

lange nicht glauben wollte.<br />

Foto: Deutsches<br />

Röntgen-Mu<strong>se</strong>um Remscheid<br />

Beitrag über Röntgens <strong>Entdeckung</strong> erschien erst am 11. Januar 1896 in <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er<br />

Zei<strong>tun</strong>g“. Zehn<strong>der</strong>: „Sogleich schrieb ich Röntgen, gratulierte ihm, teilte ihm dies und jenes<br />

<strong>mit</strong>. <strong>Was</strong> es war, blieb nicht in meinem Gedächtnis haften. Meine Briefe an Röntgen aus<br />

allen die<strong>se</strong>n wichtigsten Jahren sind ja verschwunden.“<br />

<strong>Was</strong> ist da passiert? Conrad Röntgen <strong>hat</strong> in <strong>se</strong>inem Testament vom 28. Juni 1921 verfügt,<br />

dass „alle Papiere, die sich in dem <strong>zu</strong>r Zeit auf dem Korridor <strong>der</strong> Münchner Wohnung<br />

aufgestellten Mahagonischrank befinden, unbe<strong>se</strong>hen sofort verbrannt werden“ sollen.<br />

Vier Wochen davor <strong>hat</strong>te Zehn<strong>der</strong> den schon <strong>se</strong>hr geschwächten Röntgen gebeten, ihm<br />

<strong>se</strong>ine Briefe <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong><strong>se</strong>nden – und Zehn<strong>der</strong> war sich sicher, dass <strong>se</strong>in Freund das<br />

veranlasst <strong>hat</strong>. Bis <strong>zu</strong>letzt bestritt Zehn<strong>der</strong> auch die Behaup<strong>tun</strong>g <strong>der</strong> drei<br />

Testamentsvollstrecker, Röntgen habe gewünscht, dass „alle Papiere und Briefe aus <strong>der</strong><br />

Zeit <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> Strahlen ‚ungele<strong>se</strong>n <strong>zu</strong> verbrennen‘ waren“. Doch dies geschah –<br />

wohl auch <strong>mit</strong> den Briefen Zehn<strong>der</strong> aus den Jahren 1889 bis 1902.<br />

„Daß Röntgen <strong>se</strong>lber meine diesbezüglichen Briefe vernichtet haben sollte, um fast alle<br />

historischen Daten an <strong>se</strong>ine <strong>Entdeckung</strong> <strong>zu</strong> be<strong>se</strong>itigen, erscheint mir unglaublich,<br />

10


ausgeschlos<strong>se</strong>n“, so Ludwig Zehn<strong>der</strong> 1935 in <strong>se</strong>inem Buch <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Röntgen-Korrespondenz.<br />

„Sonst hätte er doch wohl in erster Linie mich um Rückgabe <strong>se</strong>iner betreffenden Briefe an<br />

mich gebeten, wovon er aber nie ein Wort gesprochen o<strong>der</strong> geschrieben <strong>hat</strong>.“ Röntgen<br />

<strong>hat</strong>te die Korrespondenz, so Zehn<strong>der</strong>, bei einem Besuch in München in <strong>se</strong>iner Gegenwart<br />

in ein Packpapier gesteckt <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Aufschrift „Briefe von Zehn<strong>der</strong> müs<strong>se</strong>n <strong>zu</strong>rückgeschickt<br />

werden“. Zehn<strong>der</strong>, <strong>der</strong> bei <strong>se</strong>inem Besuch aus Pietät auf eine sofortige Herausgabe <strong>se</strong>iner<br />

Briefe verzichtet <strong>hat</strong>te, erhielt nach dem Tod Röntgens auch das kleine Paket, nur fehlten,<br />

wie er erst Jahre später entdeckte, die oben erwähnten Briefe.<br />

<strong>Was</strong> Margret Boveri <strong>mit</strong> dem Verschwinden von Röntgens<br />

Briefen an Zehn<strong>der</strong> <strong>zu</strong> <strong>tun</strong> <strong>hat</strong> – und <strong>mit</strong> <strong>Freiburg</strong><br />

Dass die<strong>se</strong> dann wohl verbrannt wurden, teilte ihm<br />

Margret Boveri <strong>mit</strong>, die Tochter von Marcella Boveri geb.<br />

O`Grady, welche Röntgen <strong>zu</strong> einer <strong>se</strong>iner drei<br />

Testamentsvollstreckern ernannt <strong>hat</strong>te. Die<br />

amerikanische Biologin war die Ehefrau von Theodor<br />

Boveri, einem namhaften Biologen aus Würzburg und<br />

besten Freund von Röntgen. Die<strong>se</strong>r <strong>hat</strong>te nach dem Tod<br />

von Bovery im Jahr 1915 die Vormundschaft über des<strong>se</strong>n<br />

einziges Kind, die damals 15jährige Margret,<br />

übernommen. Wie eng <strong>se</strong>ine Beziehung <strong>zu</strong> <strong>der</strong> jungen<br />

Frau war, bekannte Röntgen, <strong>der</strong> <strong>se</strong>ine Aufgabe <strong>se</strong>hr<br />

ernst nahm, im Juli 1919 in einem Brief an Margret<br />

Boveri. Sie gehöre „<strong>zu</strong> den mir allernächst stehenden<br />

Menschen, <strong>mit</strong> denen ich gern Freud und Leid teilen<br />

möchte, und zwar bei<strong>der</strong><strong>se</strong>itiges.“<br />

Margret Boveri im Jahr 1920, als<br />

noch Conrad Röntgen ihr<br />

Vormund war und sich <strong>se</strong>hr um<br />

sie kümmerte. Foto:<br />

archetron.com<br />

Sie gab ihm die<strong>se</strong> Zuneigung <strong>zu</strong>rück, als sie, nun bereits 30 Jahre alt, in dem 1931<br />

veröffentlichten wegwei<strong>se</strong>nden Buch von Otto Glas<strong>se</strong>r „Wilhelm Conrad Röntgen und die<br />

Geschichte <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong>“ ein tief empfundenes Porträt von „Wilhelm Conrad<br />

Röntgen als Wis<strong>se</strong>nschaftler und Mensch“ verfasste, dem auch die<strong>se</strong>r Beitrag viel<br />

verdankt.<br />

Der Name Margret Boveri zwingt mich nun doch <strong>zu</strong> einem kleinen Exkurs: Dass auch sie<br />

später etliche Jahre <strong>mit</strong> und in <strong>Freiburg</strong> <strong>zu</strong> <strong>tun</strong> haben sollte, <strong>hat</strong> die frischgebackene<br />

Journalistin damals sicher nicht geahnt. Sie machte nach 1933 Karriere beim „Berliner<br />

Tageblatt“ und später <strong>der</strong> „Frankfurter Zei<strong>tun</strong>g“, von <strong>der</strong> sie nach <strong>der</strong>en Verbot 1943 <strong>zu</strong><br />

Goebbels Lieblingsblatt und Aushängeschild „Das Reich“ wech<strong>se</strong>lte. Margret Boveri, die<br />

das Krieg<strong>se</strong>nde in Berlin erlebte und überlebte, kam im Frühjahr 1946 <strong>mit</strong> einem guten<br />

Dutzend ehemaliger Kollegen von <strong>der</strong> „Frankfurter Zei<strong>tun</strong>g“ nach <strong>Freiburg</strong>, wo ihnen die<br />

frisch gegründete „Badische Zei<strong>tun</strong>g“ eine Stelle als Redakteure und Mitarbeiter anbot. In<br />

Frankfurt <strong>hat</strong>te ihnen die Pres<strong>se</strong>behörde <strong>der</strong> US-Militärregierung eine Lizenz <strong>zu</strong>r<br />

journalistischen Arbeit verwehrt. Vom „Wi<strong>der</strong>stand zwischen den Zeilen“ in <strong>der</strong> NS-Zeit,<br />

11


Die erste Ausgabe <strong>der</strong> „Badischen Zei<strong>tun</strong>g“ vom 1. Februar 1946. Die französische Militärregierung<br />

wollte eine in ganz Deutschland vorzeigbare Qualitäts-Zei<strong>tun</strong>g haben – und <strong>hat</strong>te, im Gegensatz <strong>zu</strong> den<br />

US-Behörden in Frankfurt, keine Probleme da<strong>mit</strong>, mehr als ein Dutzend Redakteure <strong>der</strong> 1943<br />

verbotenen „Frankfurter Zei<strong>tun</strong>g“ nach <strong>Freiburg</strong> <strong>zu</strong> holen – darunter auch Margret Boveri.<br />

die die „Frankfurter Zei<strong>tun</strong>g“-Redakteure für sich<br />

reklamierten, hielten die US-Pres<strong>se</strong>offiziere gar nichts.<br />

Für sie gab es in einer Diktatur nur zwei Möglichkeiten für<br />

Journalisten, die sie akzeptierten: das Gefängnis o<strong>der</strong> die<br />

Auswan<strong>der</strong>ung.<br />

Margret Boveri, die sich als Auslandskorrespondentin in<br />

<strong>der</strong> NS-Zeit in Stockholm, <strong>Was</strong>hington und Lissabon einen<br />

Namen gemacht <strong>hat</strong>te, war für die „Badische Zei<strong>tun</strong>g“ bis<br />

1956 als Mitarbeiterin tätig. Anfangs war sie allein das<br />

„Berliner Büro“ <strong>der</strong> BZ, später schrieb sie nebenbei auch<br />

für an<strong>der</strong>e Zei<strong>tun</strong>gen wie den Berliner „Kurier“ und die in<br />

Stuttgart erscheinende „WirtschaftsZei<strong>tun</strong>g“, aber ihr<br />

Auskommen <strong>hat</strong>te sie <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Pauschale <strong>der</strong> „Badischen<br />

Zei<strong>tun</strong>g“. Sie trat entschieden für die Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />

und da<strong>mit</strong> gegen Adenauer, die Bundesrepublik und ihre<br />

Westbindung ein, was sie <strong>zu</strong>nehmend in <strong>der</strong> Redaktion<br />

<strong>der</strong> „Badischen Zei<strong>tun</strong>g“ isolierte und auch ein Grund für<br />

die Kündigung <strong>zu</strong>m 1. Januar 1956 war. Auch bei <strong>der</strong><br />

Margret Boveri auf einem Foto<br />

Anfang <strong>der</strong> 40er Jahre als<br />

Auslands-Korrespondentin <strong>der</strong><br />

„Frankfurter Zei<strong>tun</strong>g“. Foto:<br />

Heike B. Görtemaler: „Ein<br />

deutsches Leben, Die<br />

Geschichte <strong>der</strong> Margret Boveri,<br />

C. H. Beck München 2005<br />

„Frankfurter Allgemeinen Zei<strong>tun</strong>g“, wo ihre alten Kollegen nach und nach wie<strong>der</strong><br />

<strong>zu</strong>sammenfanden, <strong>hat</strong>te sie <strong>mit</strong> ihrer Einstellung Probleme und wurde schließlich für<br />

etliche Jahre ins Feuilleton abgeschoben. Sie, die schon <strong>zu</strong> NS-Zeiten ihre Rei<strong>se</strong>erfahrungen<br />

erfolgreich in Buchform herausgebracht <strong>hat</strong>te, schrieb nun weniger für Zei<strong>tun</strong>gen als für<br />

Verlage.<br />

12


Begonnen <strong>hat</strong>te sie da<strong>mit</strong> schon 1946, als ihre bereits <strong>zu</strong><br />

NS-Zeiten verfasste, aber nicht veröffentlichte<br />

„Amerikafibel“, eine durchaus ein<strong>se</strong>itige und teils<br />

boshafte Abrechnung <strong>mit</strong> den USA (und auch ihrer<br />

amerikanischen Mutter), auch in <strong>der</strong> französischen<br />

Zone, hier gedruckt vom Badischen Verlag in <strong>Freiburg</strong>,<br />

veröffentlicht wurde. Die US-Besat<strong>zu</strong>ngsbehörde nahm<br />

ihr die<strong>se</strong>s Buch lange übel und verweigerte ihr ein<br />

Visum, auch kurz nach dem Tod <strong>der</strong> Mutter.<br />

Die umstrittene „Amerikafibel“ von<br />

Margret Boveri, 1946 auch in <strong>der</strong><br />

französischen Zone erschienen,<br />

herausgegeben vom Badischen<br />

Verlag in <strong>Freiburg</strong>. Damals war die<br />

resolute Journalistin dort noch<br />

gelitten.<br />

Große Resonanz fand Margret Boveri in den 50er Jahren<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> vierbändigen Reihe über den „Verrat im XX.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t“ und ihren Rückblick auf die Jahre am<br />

„Berliner Tageblatt“ in dem Buch „Wir lügen alle“. Erst<br />

<strong>der</strong> Schriftsteller Uwe Johnson aber brachte sie da<strong>zu</strong>,<br />

über ihre Gründe, im Land Hitlers <strong>zu</strong> bleiben und dort<br />

Karriere <strong>zu</strong> machen, ernsthaft nach<strong>zu</strong>denken und so<br />

etwas wie Mitschuld <strong>zu</strong> empfinden. Die „große alte<br />

Dame des politischen Journalismus“, so FAZ-<br />

Herausgeber Karl Korn, starb 1975 in ihrem geliebten<br />

Berlin, wenige Wochen nach ihrem 75. Geburtstag.<br />

Margret Boveri wollte eigentlich auch über ihren Vormund Conrad Röntgen eine Biografie<br />

schreiben, doch da<strong>zu</strong> kam es nicht. In ihrem Kapitel „Jugendzeit und Universitätsleben“ in<br />

dem Röntgen-Buch von Otto Glas<strong>se</strong>r schrieb sie 1930: „Über die näheren Umstände <strong>der</strong><br />

<strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong> erzählte Frau Röntgen, daß sie damals einige Wochen<br />

lang eine schreckliche Zeit durchlebt habe. Ihr Mann kam <strong>zu</strong> spät und schlecht gelaunt <strong>zu</strong><br />

Tisch, aß wenig, sprach nichts und rannte sofort nach dem Es<strong>se</strong>n wie<strong>der</strong> ins Institut. Auf<br />

Fragen, was denn los <strong>se</strong>i, gab er keine Antwort. Röntgen <strong>se</strong>lbst bemerkte <strong>zu</strong> die<strong>se</strong>r<br />

Erzählung <strong>se</strong>iner Frau, daß er die <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> durchleuchtenden Strahlen <strong>zu</strong>erst so<br />

erstaunlich fand, daß er immer von neuem die Überzeugung, sich in <strong>se</strong>inen Beobach<strong>tun</strong>gen<br />

nicht <strong>zu</strong> täuschen, befestigen mußte, bevor er die Sache als richtig hinnehmen konnte.“<br />

Durch <strong>se</strong>in spätes Eintreffen in <strong>Freiburg</strong> und die da<strong>mit</strong> verbundene späte Kenntnis <strong>der</strong><br />

<strong>Entdeckung</strong> Röntgens gehörte Ludwig Zehn<strong>der</strong> nicht <strong>zu</strong> den ersten Physikern, die in ihren<br />

Laboratorien die Versuche nachstellten und dann darüber aus eigener Kenntnis berichten<br />

konnten. So waren schon in den ersten Januartagen 1896 Physiker in England, Frankreich,<br />

Italien und auch in den USA dabei, Röntgens „X-Strahlen“ (er blieb bei die<strong>se</strong>r Benennung)<br />

als wegwei<strong>se</strong>nde <strong>Entdeckung</strong> nicht <strong>zu</strong>letzt für die Medizin dar<strong>zu</strong>stellen. Dafür <strong>hat</strong>te<br />

Röntgen <strong>se</strong>lbst gesorgt, als er <strong>se</strong>iner Mitteilung vom Neujahrstag 1896 „Über eine neue Art<br />

von Strahlen“ auch das erste Röntgen-Foto <strong>der</strong> Hand <strong>se</strong>iner Frau Bertha beilegte.<br />

Folgen wir nun <strong>der</strong> Darstellung, die Ludwig Zehn<strong>der</strong> 1935 von den schicksalhaften Tagen<br />

nach <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong> gegeben <strong>hat</strong>. Es blieb nicht aus, dass auch er als<br />

Physik-Professor in <strong>Freiburg</strong> gefragt wurde, ob er die <strong>Entdeckung</strong> Röntgens in einem<br />

13


Vortrag darstellen könne – es war <strong>der</strong> Mathematik-Professor Jakob Lüroth, <strong>der</strong> Zehn<strong>der</strong> als<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiburg</strong>er Naturforschenden Ge<strong>se</strong>llschaft auf den 15. Februar in den<br />

physikalischen Hörsaal des Instituts einlud, „wenn möglich <strong>mit</strong> bezüglichen<br />

Experimenten“. Zehn<strong>der</strong> bat darauf Röntgen, ihm doch für die<strong>se</strong>s Experiment „einige<br />

<strong>se</strong>iner Originalapparate und <strong>se</strong>iner photographischen Aufnahmen“ <strong>zu</strong> überlas<strong>se</strong>n. Röntgen<br />

antwortete ihm in einem Brief, den er nur <strong>mit</strong> „Samstag abend“ datierte. Es kann sich<br />

dabei eigentlich nur um den Samstag, 8. Februar gehandelt haben. Hier nun die<strong>se</strong>r Brief,<br />

<strong>der</strong> auch die enge Beziehung zwischen Zehn<strong>der</strong> und Röntgen bestätigt:<br />

„Physikalisches Institut <strong>der</strong> Universität Würzburg<br />

Würzburg, Samstag abend<br />

Lieber Zehn<strong>der</strong>!<br />

Die guten Freunde kommen <strong>zu</strong>letzt: es geht nicht an<strong>der</strong>s. Sie sind aber <strong>der</strong> erste, <strong>der</strong><br />

Antwort erhält. Haben Sie vielen Dank für alles, was Sie mir schrieben. Von ihren<br />

Spekulationen über die Natur <strong>der</strong> X-Strahlen kann ich noch nichts gebrauchen, da es mir<br />

nicht <strong>zu</strong>lässig o<strong>der</strong> günstig erscheint, eine <strong>der</strong> Natur nach unbekannte Erscheinung durch<br />

eine mir nicht völlig einwurfsfreie Hypothe<strong>se</strong> erklären <strong>zu</strong> wollen.<br />

Welcher Natur die Strahlen sind, ist mir ganz unklar, und ob es wirklich longitudinale<br />

Lichtstrahlen sind, kommt für mich erst in zweiter Linie in Betracht. Die Tatsachen sind die<br />

Hauptsache. In die<strong>se</strong>r Beziehung <strong>hat</strong> auch meine Arbeit von vielen Seiten Anerkennung<br />

gefunden. Boltzmann, Warburg, Kohlrausch (und nicht am wenigsten), Lord Kelvin, Stokes,<br />

Poincaré u. a. haben mir ihre Freude über den Fund und ihre Anerkennung ausgesprochen.<br />

14


Das ist mir viel wert, und ich las<strong>se</strong> die Neidhämmel ruhig schwätzen: das ist mir ganz<br />

gleichgültig.<br />

Ich <strong>hat</strong>te von meiner Arbeit niemand etwas gesagt; meiner Frau teilte ich nur <strong>mit</strong>, daß ich<br />

etwas mache, von dem die Leute, wenn sie es erfahren, sagen würden: ‚Der Röntgen ist<br />

wohl verrückt geworden‘. Am 1. Januar verschickte ich die Separatabzüge, und nun ging<br />

<strong>der</strong> Teufel los! Die Wiener Pres<strong>se</strong> blies <strong>zu</strong>erst in die Reklametrompete, und die an<strong>der</strong>en<br />

folgten. Mir war nach einigen Tagen die Sache verekelt; ich kannte aus den Berichten<br />

meine eigene Arbeit nicht wie<strong>der</strong>. Das Photographieren war mir Mittel <strong>zu</strong>m Zweck, und<br />

nun wurde daraus die Hauptsache gemacht.<br />

Allmählich habe ich mich an den Rummel gewöhnt; aber Zeit <strong>hat</strong> <strong>der</strong> Sturm gekostet:<br />

gerade vier volle Wochen bin ich nicht <strong>zu</strong> einem Versuch gekommen. An<strong>der</strong>e Leute<br />

konnten arbeiten, nur ich nicht. – Sie haben keinen Begriff davon, wie es hergegangen ist.<br />

Beiliegend schicke ich Ihnen die versprochenen Photographien. Wenn Sie sie im Vortrag<br />

zeigen wollen, so ist es mir recht; doch empfehle ich Ihnen, sie unter Glas und Rahmen <strong>zu</strong><br />

bringen, sonst werden sie gestohlen! Ich denke, Sie finden sich <strong>mit</strong> Hilfe <strong>der</strong> Bemerkungen<br />

wohl <strong>zu</strong>recht; sonst schreiben Sie.<br />

Ich gebrauche einen großen Ruhmkorff; 50/20 cm, <strong>mit</strong> Depre<strong>zu</strong>nterbrecher und ca. 20 A<br />

Primärstrom. Mein Apparat, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Rapsschen Pumpe sitzen bleibt, braucht einige<br />

Tage <strong>zu</strong>m Auspumpen; beste Wirkung, wenn die Funkenstrecke eines parallel geschalteten<br />

Entla<strong>der</strong>s ca. 3 cm beträgt.<br />

Mit <strong>der</strong> Zeit werden alle Apparate (<strong>mit</strong> Ausnahme von einem) durchschlagen. Jede Art,<br />

Kathodenstrahlen <strong>zu</strong> erzeugen, führt <strong>zu</strong>m Ziel, also auch <strong>mit</strong> Glühlampen nach Tesla und<br />

<strong>mit</strong> elektrodenlo<strong>se</strong>n Röhren. Zum Photographieren brauche ich je nachdem 3 bis 10<br />

Minuten.<br />

Zu Ihrem Vortrag schicke ich Ihnen die Magnetdo<strong>se</strong>, die Holzrolle, den Gewichtsatz und<br />

das Zinkbleck sowie eine <strong>se</strong>hr schöne, aus Zürich von Pernet erhaltene Photographie einer<br />

Hand. Bitte aber die<strong>se</strong> Sachen baldmöglichst versichert <strong>zu</strong>rückschicken. Haben Sie einen<br />

größeren Schirm <strong>mit</strong> Platinbaryumcyanür?<br />

Mit bestem Gruß von Haus <strong>zu</strong> Haus<br />

Ihr Röntgen.“<br />

Da Röntgen <strong>zu</strong>nächst niemanden, auch keinen <strong>se</strong>iner Kollegen, Freunde, Mitarbeiter,<br />

Assistenten o<strong>der</strong> Schüler, über <strong>se</strong>ine <strong>Entdeckung</strong> und wie sie <strong>zu</strong>stande kam, informierte,<br />

entstanden <strong>se</strong>hr bald in <strong>se</strong>iner näheren und ferneren Umgebung Legenden. „Am<br />

hartnäckigsten wurde die Meldung verbreitet“, so Zehn<strong>der</strong>, „in Wahrheit habe gar nicht<br />

Röntgen <strong>se</strong>lber die nach ihm benannten Strahlen entdeckt, son<strong>der</strong>n Lenard. Nach an<strong>der</strong>en<br />

Legenden sollte einer von Röntgens Assistenten o<strong>der</strong> <strong>se</strong>in damaliger Institutsdiener<br />

Marstaller o<strong>der</strong> gar <strong>se</strong>in späterer Münchner Präparator Weber (!) <strong>der</strong> wahre Entdecker<br />

die<strong>se</strong>r Strahlen gewe<strong>se</strong>n <strong>se</strong>in.“<br />

15


Philipp Lenard, des<strong>se</strong>n Forschung <strong>zu</strong> den Kathodenstrahlen von 1892 eine <strong>der</strong><br />

Voraus<strong>se</strong>t<strong>zu</strong>ngen für Röntgens <strong>Entdeckung</strong> war und <strong>der</strong> dafür 1905 <strong>mit</strong> dem Nobelpreis<br />

ausgezeichnet wurde (Röntgen <strong>hat</strong>te 1901 als erster den Physik-Nobelpreis erhalten),<br />

behauptete später und das dann bis <strong>zu</strong> <strong>se</strong>inem Leben<strong>se</strong>nde im Jahr 1949, nicht Röntgen,<br />

son<strong>der</strong>n er habe eigentlich die <strong>Röntgenstrahlen</strong> entdeckt.<br />

Zehn<strong>der</strong>, <strong>der</strong> <strong>mit</strong> Lenard später ebenso verbis<strong>se</strong>n wie<br />

vergeblich gegen Albert Einsteins Relativitätstheorie<br />

ankämpfte (Zehn<strong>der</strong> als Folge <strong>se</strong>ines mechanistischen<br />

Weltbilds, Lenard darüber hinaus auch als frühes<br />

NSDAP-Mitglied und Anti<strong>se</strong><strong>mit</strong>), hielt nichts von die<strong>se</strong>r<br />

Behaup<strong>tun</strong>g. „Die Anhänger und Verbreiter <strong>der</strong><br />

Legende, Lenard <strong>se</strong>i <strong>der</strong> wahre Entdecker <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong>, glaubt wohl, Röngten habe <strong>se</strong>ine<br />

Strahlen hauptsächlich <strong>mit</strong> einer in <strong>se</strong>inem Besitz<br />

befindlichen Lenardröhre untersucht und dabei<br />

eigentlich nichts we<strong>se</strong>ntlich Neues gefunden, obwohl<br />

Röntgen in <strong>se</strong>iner berühmten ersten Mitteilung über<br />

<strong>se</strong>ine <strong>Entdeckung</strong> als Apparate, <strong>mit</strong> denen <strong>se</strong>ine X-<br />

Strahlen erzeugt werden können, ausdrücklich die<br />

Hittorfröhre an erster Stelle und die Lenardröhre erst<br />

an zweiter Stelle genannt <strong>hat</strong> – und Röntgen war in<br />

solchen wis<strong>se</strong>nschaftliche Aussagen außerordentlich<br />

präzis.“<br />

Phillip von Lennard im Jahr 1905,<br />

als er als zweiter Physiker nach<br />

Conrad Röntgen den Nobelpreis<br />

erhielt. Foto: nobelprize.org<br />

Zehn<strong>der</strong> wollte nach weiteren Recherchen noch in den 30er Jahren nicht ausschließen,<br />

dass <strong>der</strong> Institutsdiener Marstaller bei <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong> am 8.<br />

November eine Rolle gespielt habe, indem er Röntgen auf ein merkwürdigerwei<strong>se</strong><br />

belichtetes fotografisches Papier aufmerksam machte – Marstaller habe aber „<strong>se</strong>lbst <strong>se</strong>in<br />

Verdienst nur in <strong>der</strong> <strong>zu</strong>fälligen Beobach<strong>tun</strong>g eines <strong>zu</strong>fälligen Effektes erblickt“.<br />

Die Hittorfröhre,<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong> bereits<br />

1888 den X-<br />

Strahlen <strong>se</strong>hr<br />

nahe kam – und<br />

<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Conrad<br />

Röntgen sie 1895<br />

dann wirklich<br />

entdeckte.<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> beschrieb 1933 in einem Aufsatz für die Zeitschrift „Helvetica Physica<br />

Acta“, VI. Jahrgang, von Versuchen, die er 1888/89 als Assistent von Röntgen in Würzburg<br />

unternommen und sich da<strong>mit</strong> ziemlich nahe an Röntgens <strong>Entdeckung</strong> herangearbeitet<br />

habe, da auch bei ihm <strong>der</strong> Fluoreszenzschirm völlig unbegründet aufleuchtete. Dabei <strong>se</strong>i<br />

ihm aber das Platinblech in <strong>der</strong> wertvollen Hittorfröhre durchgebrannt. Er habe, auch aus<br />

16


Scham, Röntgen nichts von die<strong>se</strong>m Experiment erzählt, die<strong>se</strong>r habe auch nichts wis<strong>se</strong>n<br />

wollen – und <strong>se</strong>in Angebot, die Hittorföhre <strong>mit</strong> eigenem Geld <strong>zu</strong> er<strong>se</strong>tzen, abgelehnt. Den<br />

Vorsatz, die Versuche <strong>mit</strong> einer eigenen Hittorfröhre fort<strong>zu</strong><strong>se</strong>tzen, führte Zehn<strong>der</strong> später<br />

aber nicht aus.<br />

Als ihn nach Veröffentlichung die<strong>se</strong>s Erlebnis<strong>se</strong>s im Jahr 1933 manche Kollegen <strong>zu</strong>m<br />

wahren Entdecker <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong> ernennen wollten, wehrte Zehn<strong>der</strong> solche<br />

Aussagen ab – und wie<strong>der</strong>holte dies auch 1935 in <strong>se</strong>inem Buch <strong>mit</strong> den Röntgen-Briefen:<br />

„Solchen nicht sachgemäßen Ansichten muß ich <strong>mit</strong> aller Entschiedenheit entgegentreten.<br />

Das Erblicken eines rät<strong>se</strong>lhaft aufleuchtenden Fluoreszenzschirmes ist noch lange keine<br />

<strong>Entdeckung</strong> einer neuen physikalischen Erscheinung. Davon bin ich ja überzeugt: wenn ich<br />

mir eine eigene Hittorfröhre angeschafft und <strong>mit</strong> ihr sorgfältigere Versuche angestellt<br />

hätte, so hätte mir die <strong>Entdeckung</strong> gelingen müs<strong>se</strong>n. Aber ich stand damals noch am<br />

Anfang meiner Physikerlaufbahn. Hätte ich die <strong>Entdeckung</strong> wirklich gemacht, so wäre ich<br />

<strong>se</strong>hr glücklich gewe<strong>se</strong>n, etwas Neues gefunden <strong>zu</strong> haben. In die<strong>se</strong>m Glück hätte ich (wenn<br />

ich nicht Röntgens Assistent gewe<strong>se</strong>n wäre) die<strong>se</strong> <strong>Entdeckung</strong>, wie in späteren ähnlichen<br />

Fällen, voreilig sogleich publiziert, vielleicht in <strong>der</strong> Form, daß es ultraviolette Lichtstrahlen<br />

gebe, die durch schwarzes Tuch ungehin<strong>der</strong>t hindurchgehen. Hätten dann an<strong>der</strong>e Physiker<br />

meine entsprechenden Versuche nachgemacht, so hätten sie vielleicht alle übrigen von<br />

Röntgen schon in <strong>se</strong>iner ersten klassischen Arbeit beschriebenen Eigenschaften <strong>der</strong> neuen<br />

Strahlen gefunden. Keinem wäre eingefallen, die <strong>Entdeckung</strong> die<strong>se</strong>r neuen Strahlen mir<br />

<strong>zu</strong><strong>zu</strong>schreiben, <strong>mit</strong> Recht! Wahrscheinlich hätte ich aber Röntgen, <strong>zu</strong> dem ich immer<br />

vollstes Vertrauen <strong>hat</strong>te, meine <strong>Entdeckung</strong> <strong>mit</strong>geteilt, und er hätte mich von voreiligen<br />

Publikationen abgehalten, hätte mir Anlei<strong>tun</strong>g gegeben, in <strong>se</strong>inem Sinne die neuen<br />

Strahlen aufs genaueste <strong>zu</strong> untersuchen. Er hätte wohl <strong>se</strong>lber <strong>mit</strong> mir solche Versuche über<br />

die neuen Strahlen durchgeführt, und die <strong>Entdeckung</strong> hätte dann wohl auch nicht meinen<br />

Namen bekommen. Aber ich habe mir eben die<strong>se</strong> <strong>Entdeckung</strong> aus <strong>der</strong> Hand gleiten las<strong>se</strong>n<br />

und kann so<strong>mit</strong> nicht den geringsten Anteil an <strong>der</strong><strong>se</strong>lben beanspruchen.“<br />

Mit die<strong>se</strong>n Vorerfahrungen war es für Ludwig Zehn<strong>der</strong> aber <strong>zu</strong>mindest leicht, den Vortrag<br />

über die neuen Strahlen in <strong>Freiburg</strong> vor<strong>zu</strong>bereiten:<br />

„Zu meiner Verfügung standen damals zwei Quecksilberpumpen, <strong>mit</strong> denen ich meine<br />

Verstärkerröhren für die ‚Hertzschen Versuche <strong>mit</strong> Strahlen elektrischer Kraft‘ und an<strong>der</strong>e<br />

Versuche ausgeführt <strong>hat</strong>te: ein Kahlbaumpumpe und eine etwas abgeän<strong>der</strong>te, vereinfacht,<br />

verkleinerte, <strong>der</strong> Kalbaumschen ähnliche Pumpe. Mit die<strong>se</strong>n beiden Pumpen wollte ich<br />

Röntgenröhren für den von mir gewünschten Röntgenvortrag herstellen. Weil ich aus<br />

Röntgens Arbeit wußte, daß die <strong>Röntgenstrahlen</strong> von denjenigen Stellen <strong>der</strong> betr.<br />

Vakuumröhre ausgehen, die von Karhodenstrahlen getroffen werden, ließ ich<br />

Hohlkathoden herstellen, die die Kathodenstrahlen auf einen kleinen Fleck konzentrieren,<br />

wie bei <strong>der</strong> Hittorfröhre.“<br />

In <strong>Freiburg</strong> <strong>hat</strong>te Ludwig Zehn<strong>der</strong> zwei Handwerker <strong>zu</strong> Hand, die nicht nur ihm, son<strong>der</strong>n<br />

auch Röntgen schon in den Jahren <strong>zu</strong>vor bei <strong>der</strong> Herstellung ihrer Apparate <strong>zu</strong>r Hand<br />

gegangen waren: „den vorzüglichen Glasblä<strong>se</strong>r Kramer und die<strong>se</strong>m benachbart den ebenso<br />

vortrefflichen Mechaniker Elbs“. Gemeint war da<strong>mit</strong> <strong>zu</strong>m einen <strong>der</strong> Glaskünstler und<br />

17


Optiker Friedrich<br />

Kramer in <strong>der</strong><br />

Friedrichstraße 15, <strong>der</strong><br />

1880 das Geschäft von<br />

<strong>se</strong>inem verstorbenen<br />

Bru<strong>der</strong> Carl<br />

übernommen, aber<br />

des<strong>se</strong>n Namen als<br />

Firmennamen<br />

Adressbuch 1896<br />

Auch Conrad Röntgen <strong>hat</strong> schon <strong>se</strong>it 1891 dem <strong>Freiburg</strong>er Glasblä<strong>se</strong>r<br />

Friedrich Kramer Aufträge für <strong>se</strong>in Laboratorium in Würzburg erteilt –<br />

schließlich dann auch für <strong>se</strong>ine Röntgenröhre. Die hier abgebildeten<br />

Anzeigen stammen aus dem Adressbuch 1896 (oben rechts), aus <strong>der</strong><br />

„<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ vom 16. Dezember 1881 (rechts) und aus <strong>der</strong><br />

<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ vom 23. April 1880.<br />

behalten <strong>hat</strong>te. Unter<br />

die<strong>se</strong>m Namen genoss die<br />

Firma damals schon länger<br />

auch international hohes<br />

An<strong>se</strong>hen und erhielt<br />

Aufträge von Universitäten<br />

aus England und sogar auch<br />

aus den USA.<br />

Die „Werkstatt für Präcisionsmechanik“ von Hermann Elbs<br />

gibt es heute noch – als Zentner Elektrik-Mechanik<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> meinte neben dem Glasblä<strong>se</strong>r Kramer im Haus daneben, also in <strong>der</strong><br />

Friedrichstraße 17, den Feinmechaniker Hermann Elbs, <strong>der</strong> in <strong>se</strong>iner „Werkstätte für<br />

Präcisionsmechanik“ elektro-medizinische Apparate, elektrische Messinstrumente, kleine<br />

Motoren, Dynamos und Akkumulatoren fabrizierte. Kurz vor <strong>se</strong>inem Tod im Jahr 1936<br />

übergab Hermann Elbs <strong>se</strong>ine Firma dem einstigen Lehrling Ernst Friedrich Zentner. Die<strong>se</strong>r<br />

baute das Unternehmen aus und ließ sich dabei auch nicht durch Bombentreffer und<br />

Kriegsgefangenschaft aufhalten. 1978 übergab er die Firma, die <strong>se</strong>it 1962 <strong>se</strong>inen Namen<br />

trägt, den beiden Söhnen, die heute noch die Zentner Elektrik-Mechanik GmbH leiten.<br />

Produktion und Verwal<strong>tun</strong>g befinden sich heute in <strong>der</strong> Jechtingerstraße 15. Auf den mehr<br />

als 7.000 Quadratmetern arbeiten knapp 100 Beschäftigte, davon sind ein Drittel<br />

Ingenieure.<br />

Folgen wir hier <strong>zu</strong>erst mal <strong>der</strong> Firmengeschichte, wie sie auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> Firma<br />

Zentner Elektrik-Mechanik GmbH <strong>Freiburg</strong> <strong>zu</strong> le<strong>se</strong>n ist – <strong>se</strong>ltsamer Wei<strong>se</strong> ist darin kein<br />

18


Wort über Hermann Elbs Mitarbeit an <strong>der</strong><br />

<strong>Entdeckung</strong> und Verbrei<strong>tun</strong>g <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> <strong>zu</strong> finden: „1886 gründete<br />

Herman Elbs auf Anregung verschiedener<br />

Universitätsprofessoren eine elektrofeinmechanische<br />

Werkstatt in <strong>der</strong> <strong>Freiburg</strong>er<br />

Merianstraße 24. Hier fertigte <strong>der</strong> Meister <strong>der</strong><br />

Feinmechanik wis<strong>se</strong>nschaftliche<br />

Präzisionsinstrumente wie Chronoskope und<br />

Feinwaagen. Hin<strong>zu</strong> kam die Produktion von<br />

Theodoliten und an<strong>der</strong>en Vermessungsinstrumenten,<br />

die für den Bau <strong>der</strong> Ei<strong>se</strong>nbahn<br />

im Elztal und im Kan<strong>der</strong>tal nahe <strong>Freiburg</strong><br />

benötigt wurden.“<br />

Zum 50jährigen Jubiläum des „Elektrohau<strong>se</strong>s<br />

Elbs“ erinnerte die „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ am 1.<br />

November 1936 ebenfalls an die Anfangszeit<br />

<strong>der</strong> Firma: „Mit <strong>der</strong> <strong>zu</strong>nehmenden<br />

Arbeitsleis<strong>tun</strong>g wurden Räume bald <strong>zu</strong> klein,<br />

und Herr Elbs erwarb und zog in das Anwe<strong>se</strong>n<br />

Friedrichstraße 17, in dem sich <strong>der</strong> Betrieb<br />

Der weltweit gefragt Präzisions-Mechaniker<br />

Hermann Elbs auf einer Aufnahme wohl um<br />

1930 herum. Schon vor <strong>se</strong>iner<br />

Zusammenarbeit <strong>mit</strong> Ludwig Zehn<strong>der</strong> und<br />

Conrad Röntgen war er <strong>mit</strong> <strong>se</strong>inen<br />

Instrumenten bei etlichen Universitäten<br />

gefragt. Abbildung: zentner.de/einstarkes-team-<strong>se</strong>it-1886<br />

heute noch befindet. Neben einer mo<strong>der</strong>nen Werkstatt richtete er hier ein Ladengeschäft<br />

für Optik und Photographie ein. Damals gab es noch kein Elektrizitätswerk, und es ist<br />

reizvoll, in <strong>der</strong> aus Anlaß des ‚Fünfzigsten‘ herausgekommenen Festschrift <strong>zu</strong> le<strong>se</strong>n, wie<br />

<strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>, ‚um für Werkstatt und Wohnung Licht und Kraft <strong>zu</strong> erhalten‘, sich<br />

Akkumulatoren baute, die er bei beson<strong>der</strong>s festlichen Anläs<strong>se</strong>n oft ausleihen mußte.“<br />

Im Januar 1888 zog Hermann Elbs <strong>mit</strong> <strong>se</strong>iner<br />

Werkstätte von <strong>der</strong> Merianstraße 24 in die<br />

Friedrichstraße 17 um, wo er für Universitäten in aller<br />

Welt Instrumente herstellte und später auch die<br />

Aufträge von Ludwig Zehn<strong>der</strong> und Conrad Röntgen<br />

bearbeitete.<br />

Auch am neuen Standort vergrößerte<br />

sich das Arbeitsgebiet und <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong><br />

Kunden. „Bald kamen Aufträge aus dem<br />

Elsaß, aus Amerika, wo Herr Elbs auf<br />

<strong>der</strong> Weltausstellung in Chicago<br />

vertreten war“. Auch die Universitäten<br />

in Harvard, Cambridge und Tokio<br />

or<strong>der</strong>ten <strong>se</strong>ine Instrumente. „Trotz<br />

allem aber“, so die FZ, „hielt <strong>der</strong><br />

Grün<strong>der</strong> den handwerklichen Charakter<br />

<strong>se</strong>ines Betriebes fest. Durch persönliche<br />

Mitarbeit an <strong>der</strong> Werkbank bildete er<br />

die Lehrlinge <strong>se</strong>lbst aus und schuf sich<br />

dadurch eine <strong>zu</strong>verlässige und<br />

arbeitsfreudige Gefolgschaft.“<br />

Im Jahre 1900 erhielt Elbs vom<br />

"löblichen Stadtrath" <strong>Freiburg</strong>s die<br />

19


Zulassung für die Errich<strong>tun</strong>g elektrischer Anlagen. Nun installierte er das "kalte"<br />

elektrische Licht in viele Bürgerhäu<strong>se</strong>r, Werkstätten und Kliniken <strong>der</strong> Stadt. Dann kam<br />

1914 <strong>der</strong> Weltkrieg. Laut dem Bericht <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ verlor Hermann Elbs „gleich<br />

in den ersten Monaten des Weltkriegs <strong>se</strong>ine drei Söhne im Feld“.<br />

Die mageren Nachkriegsjahre und die Inflation wurden von Elbs <strong>mit</strong> Entbehrungen, aber<br />

dennoch erfolgreich durch kleinere Elektroarbeiten überbrückt. „Als gänzlich neues Gebiet<br />

übernahm er damals auch den Vertrieb von Rundfunkgeräten, wofür er <strong>der</strong> berufene<br />

Fachmann war.“<br />

Neben <strong>se</strong>iner<br />

Präzisions-Mechanik<br />

bot Hermann Elbs in<br />

den 20er und 30er<br />

Jahren auch<br />

gewöhnliche<br />

Elektro-Artikel an,<br />

wie die<strong>se</strong> Anzeige<br />

vom 3. Dezember<br />

1933 aus <strong>der</strong><br />

„<strong>Freiburg</strong>er<br />

Zei<strong>tun</strong>g“ zeigt.<br />

In <strong>der</strong> Folgezeit blühte das Geschäft erneut auf und Elbs stellte wie<strong>der</strong> Apparate für die<br />

wis<strong>se</strong>nschaftlichen Institute in vielen Län<strong>der</strong>n her. Darüber hinaus entwickelte er<br />

Elektrohei<strong>zu</strong>ngen für Kirchen und vollautomatische Verdunkelung<strong>se</strong>inrich<strong>tun</strong>gen für<br />

Hörsäle. Im Mai 1912 <strong>hat</strong>te Elbs den Elektromechaniker Ernst Friedrich Zentner im Alter<br />

von 15 Jahren als Ge<strong>se</strong>llen eingestellt. Seine beson<strong>der</strong>en Fähigkeiten auf die<strong>se</strong>m<br />

Fachgebiet veranlassten Elb, den jungen Mitarbeiter 1928 <strong>zu</strong>m Ge<strong>se</strong>llschafter <strong>zu</strong> machen.<br />

Mit dem Ausscheiden des Firmengrün<strong>der</strong>s führte Ernst Zentner schließlich das<br />

Unternehmen „getreu den Grundsätzen und Prinzipien des Hau<strong>se</strong>s“, so heißt es auf <strong>der</strong><br />

Homepage <strong>der</strong> Zentner Elektro-Mechanik GmbH, als neuer Inhaber ab 1936 fort.<br />

„Herr Elbs aber, <strong>der</strong> bereits das 75. Lebensjahr überschritten <strong>hat</strong>, kann beruhigt <strong>se</strong>in Werk<br />

in jüngere Hände legen“, schrieb die „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ im November 1936: „Der Jubilar<br />

ist in <strong>Freiburg</strong> eine wohlbekannte und in weiten Krei<strong>se</strong> hochgeschätzte Persönlichkeit. Sein<br />

Wirken für die Allgemeinheit als Vizepräsident <strong>der</strong> Handwerkskammer von 1918 bis 1921<br />

und <strong>se</strong>in rastlo<strong>se</strong>s Sichein<strong>se</strong>tzen als Präsident von 1921 bis 1930 wird ihm stets <strong>zu</strong> Ehren<br />

gereichen.“<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> war in <strong>der</strong> Woche vor <strong>se</strong>inem ersten Vortrag am 15. Februar 1896 über die<br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> vollauf <strong>mit</strong> Vorberei<strong>tun</strong>gen beschäftigt. Er beauftragte noch schnell den<br />

„vortrefflichen Mechaniker“ Hermann Elbs <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Herstellung einer hohlkugelförmigen<br />

Kathode aus Aluminium, in <strong>der</strong>en Mitte ein dicker Aluminiumdraht eingenietet wurde,<br />

ferner eine Aluminiumdrahtanode. Zehn<strong>der</strong>: „Kathodendraht und Anodendraht liefen in<br />

dünne Platindrähte aus, die ich <strong>se</strong>lbst in jene Aluminiumdrähte einschmolz. Mit die<strong>se</strong>n<br />

beiden Elektroden <strong>hat</strong>te mir Kramer eine <strong>der</strong>artige an meine Pumpe an<strong>zu</strong>schmelzende<br />

20


Vakuumröhre her<strong>zu</strong>stellen, daß bei genügen<strong>der</strong> Evakuierung <strong>der</strong> Kathodenstrahlen-<br />

Brennfleck auf <strong>der</strong> Vakuumröhrenwand entstehen mußte. Ich <strong>hat</strong>te nur einen kleinen<br />

Fluoreszenzschirm <strong>zu</strong>r Verfügung.“<br />

Er ließ noch weitere Än<strong>der</strong>ungen und Verbes<strong>se</strong>rungen an den Versuchsapparaten<br />

herstellen, war sich aber über den Erfolg nicht sicher: „In solcher Wei<strong>se</strong> tappte ich <strong>mit</strong><br />

allerlei Versuchen einstweilen noch im Dunkeln und kam nicht recht vorwärts.“<br />

Sein Röntgenvortrag war auf den 15. Februar 1896 festge<strong>se</strong>tzt worden und wurde einige<br />

Zeit vorher in den Zei<strong>tun</strong>gen angekündigt. Die <strong>Freiburg</strong>er Bevölkerung war auch durch ihre<br />

„<strong>Freiburg</strong> Zei<strong>tun</strong>g“ bis dahin schon einige Male auf die neuen Wun<strong>der</strong>strahlen hingewie<strong>se</strong>n<br />

worden.<br />

Der erste, noch eher ungläubige Text über die<br />

neu entdeckten <strong>Röntgenstrahlen</strong> erschien am<br />

11. Januar 1896 in <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“<br />

(links). Am 2. Februar veröffentlichte die FZ<br />

schon die erste Abbildung eines durchleuchteten<br />

Geldbeutels <strong>mit</strong> drei Münzen.<br />

Mit leichter Kritik an<br />

dem vergleichswei<strong>se</strong><br />

späten Termin<br />

kündigte die<br />

„<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“<br />

am 15. Februar 1896<br />

die ersten beiden<br />

Vorträge von Prof.<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> über<br />

die <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />

an.<br />

„Wie<br />

ein Phantasiestück Jules<br />

Vernes klingt <strong>der</strong> folgende Bericht <strong>der</strong> Wiener ‚Pres<strong>se</strong>‘ über eine ‚<strong>se</strong>nsationelle<br />

<strong>Entdeckung</strong>‘ Professor Röntgens in Würzburg“, so begann das <strong>Freiburg</strong>er Blatt <strong>se</strong>inen<br />

ersten Artikel vom 11. Januar 1896, in dem schon <strong>se</strong>hr konkret über die neuen Strahlen<br />

und ihre Möglichkeiten berichtet wurde. Die „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ schloss, noch <strong>se</strong>hr<br />

21


skeptisch, ihren Bericht <strong>mit</strong> dem Satz: „Die Kon<strong>se</strong>quenzen die<strong>se</strong>r <strong>Entdeckung</strong> wären ja<br />

gewiß ebenso merkwürdig als werthvoll, und wenn man <strong>se</strong>iner Phantasie die Zügel<br />

schießen läßt, dann kann man nur wünschen, daß Professor Röntgen … nicht lächelt, wenn<br />

er den Bericht <strong>der</strong> Wiener ‚Pres<strong>se</strong>‘ liest.“<br />

In einem zweiten, längeren Beitrag vom 15. Januar 1896 ging <strong>der</strong> Autor <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er<br />

Zei<strong>tun</strong>g“ schon ausführlich auf die medizinischen Möglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />

gerade bei <strong>der</strong> Diagno<strong>se</strong> von Knochenerkrankungen ein, berichtete auch schon, dass<br />

Röntgen zwei Tage <strong>zu</strong>vor <strong>se</strong>ine <strong>Entdeckung</strong> Kai<strong>se</strong>r Wilhelm II. in Berlin vorgeführt <strong>hat</strong>te –<br />

und erinnerte <strong>mit</strong> einem gewis<strong>se</strong>n Bedauern daran, dass Röntgen „für <strong>Freiburg</strong><br />

vorgeschlagen war an Stelle des nach Berlin gehenden Prof. Warburg“.<br />

Nun häuften sich Berichte über erfolgreiche medizinische Versuche <strong>mit</strong> den<br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong>. In einer zweiteiligen Serie führte Gerhard Stein am 2. und 3. Februar die<br />

Le<strong>se</strong>r in die Welt <strong>der</strong> Strahlen und ihrer neuen Funktion ein und die „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“<br />

prä<strong>se</strong>ntierte da<strong>zu</strong> das erste Röntgenfoto, ein Portemonnaie <strong>mit</strong> drei Münzen. Am 2.<br />

Februar erschien in <strong>der</strong> FZ aber auch schon das erste Spott-Gedicht auf Röntgen und <strong>se</strong>ine<br />

Strahlen. Da<strong>zu</strong> später.<br />

Großer Andrang <strong>zu</strong> Zehn<strong>der</strong>s ersten Vorträgen über die <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />

Im Hörsaal des Physikalischen Instituts von <strong>Freiburg</strong> hielt<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> <strong>se</strong>inen ersten Vortrag über die entdecken<br />

Strahlen – und konnte sowohl Apparate als auch Fotos<br />

prä<strong>se</strong>ntieren, die ihm Rönten <strong>se</strong>lbst <strong>zu</strong>r Verfügung gestellt<br />

<strong>hat</strong>te. Abbildung: Das <strong>Freiburg</strong>er Architektenbuch 1898,<br />

Ausstellungs-Katalog 1998, Hg. Augustiner-Mu<strong>se</strong>um, Rombach<br />

Verlag<br />

Auch über Zehn<strong>der</strong>s ersten Vortrag<br />

in <strong>Freiburg</strong> berichtete das Blatt. In<br />

dem am 18. Februar 1896<br />

veröffentlichten Text las man, dass<br />

auch Erbgroßherzog Friedrich II.<br />

nebst Gattin unter den Besuchern<br />

war. „Die hohen Herrschaften, die<br />

den Ausführungen <strong>mit</strong> sichtlichem<br />

Interes<strong>se</strong> gefolgt waren,<br />

unterhielten sich noch längere Zeit<br />

<strong>mit</strong> Herrn Professor Zen<strong>der</strong> und<br />

ließen sich den aufgestellten<br />

Apparat erklären“, so die<br />

„<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“, die noch<br />

nach<strong>zu</strong>tragen wusste, dass nach<br />

Lob und Dank des Präsidenten<br />

Jakob Lüroth „die Naturforschende<br />

Ge<strong>se</strong>llschaft Herrn Professor<br />

Zehn<strong>der</strong> <strong>zu</strong> ihrem Ehren<strong>mit</strong>glied<br />

ernannte“. Das war nun aber eine<br />

Ente, die die Zei<strong>tun</strong>g tags darauf<br />

berichtigen musste: Nicht Zehn<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n Conrad Röntgen <strong>se</strong>i von <strong>der</strong> Naturforschen<br />

Ge<strong>se</strong>llschaft <strong>zu</strong>m Ehren<strong>mit</strong>glied ernannt worden.<br />

Für die<strong>se</strong>n ersten Vortrag Zehn<strong>der</strong>s <strong>hat</strong>ten sich so viele Interessiert gemeldet, ,, die<br />

keinerlei Beziehungen <strong>zu</strong>r <strong>Freiburg</strong>er Naturforschenden Ge<strong>se</strong>llschaft“ <strong>hat</strong>ten, dass<br />

22


eschlos<strong>se</strong>n wurde, den Vortrag Zehn<strong>der</strong>s<br />

am Tag danach in <strong>der</strong> Akademischen<br />

Ge<strong>se</strong>llschaft <strong>zu</strong> wie<strong>der</strong>holen. Da Zehn<strong>der</strong><br />

bei <strong>se</strong>inen vorbereitenden Versuchen „viele<br />

Röntgenröhren zersprangen o<strong>der</strong> an <strong>der</strong><br />

Brennfleckstelle durchlocht wurden“, war<br />

er unsicher, ob er <strong>mit</strong> <strong>se</strong>inen Apparaten<br />

zwei Vorträge durchstehen würde. Da das<br />

Interes<strong>se</strong> auch in <strong>Freiburg</strong> vor allem den<br />

durch die <strong>Röntgenstrahlen</strong> ermöglichten<br />

Fotos galt, half ihm Röntgen, wie schon<br />

erwähnt, <strong>mit</strong> <strong>se</strong>inen Aufnahmen und<br />

einigen Originalteilen aus.<br />

Prof. Franz Himstedt, von 1880 und <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Unterbrechung in Gießen bis <strong>zu</strong> <strong>se</strong>iner<br />

Emeritierung 1923 an <strong>der</strong> Universität<br />

<strong>Freiburg</strong>, nun auch Leiter des<br />

Physikalischen Instituts, empfahl Zehn<strong>der</strong><br />

den „Kunstgriff“, schon vorher gute<br />

Aufnahmen machen <strong>zu</strong> las<strong>se</strong>n und sie in<br />

den beiden Vorträgen anstatt <strong>der</strong> dort<br />

gemachten riskanten Fotos als aktuelle<br />

Ergebnis<strong>se</strong> <strong>zu</strong> prä<strong>se</strong>ntieren. Doch Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong> lehnte ab. Er vertraute auch auf die<br />

Künste des <strong>Freiburg</strong>er Fotografen Ernst<br />

Kempke, <strong>der</strong> sich 1887 am Karlsplatz 30<br />

„Eigenthum von Prof. Zehn<strong>der</strong> <strong>Freiburg</strong> i/B“,<br />

schrieb Conrad Roentgen auf den Ab<strong>zu</strong>g vom<br />

ersten Röntgenbild, dass er am 22. Dezember 1895<br />

von <strong>der</strong> Hand <strong>se</strong>iner Frau Bertha gemacht <strong>hat</strong>te.<br />

Zehn<strong>der</strong> machte in <strong>se</strong>inem Vortrag aber eine<br />

aktuelle Aufnahme <strong>der</strong> Hand einer <strong>Freiburg</strong>er Frau.<br />

Abbildung: wikimedia.com.<br />

<strong>zu</strong>erst als „Portrait-, Genre- und Historienmaler“ nie<strong>der</strong>gelas<strong>se</strong>n und ein Jahr später in <strong>der</strong><br />

Kai<strong>se</strong>rstraße 25a am Siegesdenkmal ein „photographisches Atelier“ eröffnet <strong>hat</strong>te.<br />

Am Samstag, 15. Februar eröffnete Ludwig Zehn<strong>der</strong> <strong>se</strong>inen Vortrag im Hörsaal des<br />

Physikalischen Instituts <strong>mit</strong> den Worten: „Glück und Glas, wie leicht bricht das!“ Hier <strong>se</strong>ine<br />

Schil<strong>der</strong>ung, wie es dann weiterging: „Ich gab <strong>zu</strong>erst eine Einlei<strong>tun</strong>g, während die beiden<br />

Quecksilberpumpen beständig großen Lärm machten, so daß ich beson<strong>der</strong>s laut sprechen<br />

mußte, um verstanden <strong>zu</strong> werden. Dann kam ich <strong>zu</strong> <strong>der</strong> Fluoreszenzerscheinung <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong>. Die dafür bestimmte Röntgenröhre war inzwischen ziemlich gut<br />

ausgepumpt und ließ nach Verdunkelung des Hörsaals auf dem Fluoreszenzschirm einen<br />

schwach leuchtenden Fleck entstehen, <strong>der</strong> lei<strong>der</strong> nur von den am nächsten sitzenden<br />

Hörern ge<strong>se</strong>hen werden konnte. Ich verstärkte den Betriebsstrom ein wenig - und schon<br />

brannte die Röntgenröhrenwand durch, auf <strong>der</strong> <strong>der</strong> Brennfleck entstanden war. Luft drang<br />

herein und die<strong>se</strong> Röntgenröhre war unbrauchbar geworden. Ich schaltete <strong>der</strong>en<br />

Quecksilberpumpe aus, vermin<strong>der</strong>te dadurch den Lärm einigermaßen. Dann schlug ich<br />

dem Auditorium vor, jemand möge <strong>zu</strong>m Experimentiertisch kommen und <strong>se</strong>ine Hand <strong>mit</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> photographieren las<strong>se</strong>n; <strong>der</strong> Betreffende müs<strong>se</strong> aber die Hand 5-10<br />

Minuten ruhig halten können.“<br />

23


Es meldete sich ein Mann und eine Frau. Zehn<strong>der</strong> entschied sich für die Frau und machte<br />

von ihrer Hand „in etwa sieben Minuten“ eine Aufnahme. Ernst Kempke entwickelte sie<br />

ihm benachbarten Dunkelraum, fixierte sie und brachte sie <strong>zu</strong>rück. „Ich wies das<br />

entstandene Negativ über einer durchscheinenden mattweißen, von hinten beleuchteten<br />

Glasplatte vor: die Hand und ihre Knochenumris<strong>se</strong> waren deutlich u erkennen, aber die mir<br />

von Röntgen <strong>zu</strong>r Verfügung gestellte, früher von Pernet aufgenommene Hand war<br />

we<strong>se</strong>ntlich bes<strong>se</strong>r. Ich bemerkte bei die<strong>se</strong>r Demonstration, die betreffende Damen möge<br />

sich folgendentags melden, um eine Kopie, ein Positivbild ihrer Hand in Empfang <strong>zu</strong><br />

nehmen. Sie kam aber nie. Wahrscheinlich war das Röntgenbild ihrer zierlichen kleinen<br />

Hand <strong>zu</strong> groß ausgefallen, weil ich damals wegen <strong>der</strong> noch geringen Intensität <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> die Hand und die photographische Platte noch <strong>zu</strong> nahe an die<br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong>quelle heranbringen mußte.“ Am Tag darauf, am Sonntag 16. Februar,<br />

wie<strong>der</strong>holte Zehn<strong>der</strong> <strong>se</strong>inen Vortrag vor <strong>der</strong> Akademischen Ge<strong>se</strong>llschaft und war, so <strong>se</strong>in<br />

Rückblick, „vom Erfolg doch etwas befriedigter“.<br />

Sehr schnell fand Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong> eine Lösung gegen<br />

das häufige Durchbrennen<br />

<strong>der</strong> Röntgenröhren. Er ließ<br />

durch den Glasblä<strong>se</strong>r<br />

Friedrich Kramer einen<br />

Aufsatz auf die Röhre für<br />

Lindenkohle (K)<br />

konstruieren, <strong>mit</strong> dem er die<br />

Temperatur in <strong>der</strong> Röhre<br />

regulieren konnte.<br />

Wie viele Physiker weltweit und Röntgen <strong>se</strong>lbst machte Ludwig Zehn<strong>der</strong> in <strong>Freiburg</strong><br />

weitere Experimente <strong>mit</strong> den Röntgenröhren – er vor allem <strong>mit</strong> dem Ziel, den teuren Bruch<br />

<strong>der</strong> Glasröhren durch neue Ideen <strong>zu</strong> verhin<strong>der</strong>n. Zehn<strong>der</strong> erfand einen Röhrenansatz, den<br />

er <strong>mit</strong> ein paar Stücken reiner Lindenholzkohle füllte, „die in beträchtlichem Maß Luft <strong>zu</strong><br />

absorbieren vermag“, aber unter Umständen auch wie<strong>der</strong>, wenn nötig, Luft abgab. Mit <strong>der</strong><br />

Flamme eines Bun<strong>se</strong>nbrenners konnte Lindner nun den Luftinhalt <strong>der</strong> Röntgenröhre „in<br />

fast beliebiger Wei<strong>se</strong> regulieren“ und da<strong>mit</strong> die Röntgenröhren „s<strong>tun</strong>denlang dauernd in<br />

Betrieb erhalten“ – und vor allen Dingen auch erhalten. Zehn<strong>der</strong>: „So entstanden meine<br />

regulierbaren Röntgenröhren, <strong>mit</strong> den ich später schöne Erfolge erzielte“. Der Auftrag<br />

dafür ging natürlich an den Mechaniker Elbs und den Glasblä<strong>se</strong>r Kramer in <strong>Freiburg</strong>. Eine<br />

ihrer Röhren befand sich <strong>zu</strong>mindest 1935 noch im Deutschen Mu<strong>se</strong>um in München.<br />

Am 16. Februar 1896, also am Tag des zweiten Vortrag von Zehn<strong>der</strong>, erschien in <strong>der</strong><br />

„<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ ein Beitrag über Thomas Alva Edison, den begnadeten Erfin<strong>der</strong> und<br />

Vermarkter <strong>se</strong>iner vielen epochalen Erfindungen, u.a. <strong>der</strong> Glühbirne. Auch er <strong>hat</strong>te sich auf<br />

die Nachricht von Röntgens neuen Strahlen sofort in <strong>se</strong>in riesiges Laboratorium in West<br />

Orange begeben, um <strong>mit</strong> <strong>se</strong>inen Mitarbeitern <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong> Röntgens auf den Grund <strong>zu</strong><br />

gehen. Recht schnell entwickelte er das Fluoroskop <strong>mit</strong> Kalziumwolframat-Schicht, das<br />

gegenüber <strong>der</strong> Lösung von Conrad Röntgen die Bilddarstellung verbes<strong>se</strong>rte.<br />

24


Die FZ berichtete also am 16. Februar, dass<br />

Edison das Durchleuchten und Fotografieren<br />

des lebenden Gehirns für möglich halte.<br />

„Ferner sagt man, Edison habe den<br />

Gedanken aufgefaßt, die Röntgen-Strahlen<br />

auch bei weiten Entfernungen aus<strong>zu</strong>nützen“.<br />

Die<strong>se</strong>r Satz sollte in <strong>Freiburg</strong> umgehend<br />

Folgen haben, denn am 18. Februar,<br />

un<strong>mit</strong>telbar unter dem Bericht über den<br />

ersten Vortrag von Ludwig Zehn<strong>der</strong>, fanden<br />

die Le<strong>se</strong>r <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ folgenden<br />

Text:<br />

„Wichtige <strong>Entdeckung</strong> in <strong>Freiburg</strong>! Edison überflügelt!<br />

Nach Schluß des Vortrages über Röntgen-Strahlen, den Herr Professor Zehn<strong>der</strong> am<br />

Samstag in <strong>der</strong> Naturforschenden Ge<strong>se</strong>llschaft hielt, unternahmen hiesigen Studenten<br />

(Physiker) Versuche in Röntgen’scher Manier <strong>mit</strong> vermehrtem Eifer. Die Herren <strong>hat</strong>ten auch<br />

die in den letzten Tagen durch die Pres<strong>se</strong> gegangene Nachricht aufgegriffen, <strong>der</strong><br />

bekannten Erfin<strong>der</strong> Edison <strong>se</strong>i <strong>zu</strong> <strong>der</strong> Überzeugung gelangt, daß 1) durch die X-Strahlen<br />

eine Photographirung des lebenden Gehirns gelingen müs<strong>se</strong> und 2) die Strahlen auf weite,<br />

<strong>se</strong>lbst meilenweite Entfernungen wirksam <strong>se</strong>in müßten. Die Proben <strong>der</strong> hiesigen Studenten<br />

nun waren von glänzendem Erfolg begleitet. Zugleich sind dabei weitere wichtige<br />

<strong>Entdeckung</strong>en <strong>zu</strong> Tage getreten, die allgemeines Staunen hervorrufen werden.<br />

Eines un<strong>se</strong>rer Redaktions<strong>mit</strong>glie<strong>der</strong> <strong>hat</strong> sich, als uns von <strong>der</strong> Angelegenheit Nachricht<br />

wurde, sofort nach <strong>der</strong> <strong>zu</strong>m Laboratorium umgeschaffenen Wohnung <strong>der</strong> Studenten (in <strong>der</strong><br />

Schillerstraße) begeben und berichtet kurz vor dem Beginn des Druckes über das Ergebnis.<br />

Nachdem <strong>der</strong> Berichterstatter aufgezählt <strong>hat</strong>, was wir <strong>se</strong>lber in obiger Einlei<strong>tun</strong>g<br />

vorausschickten, fährt er fort: Natürlich war in dem schnell <strong>zu</strong>m Laboratorium<br />

umgewandelten Zimmer <strong>der</strong> beiden Studenten nicht die peinlichste Ordnung. Allerhand<br />

Röhren für die Experimente, ein photographischer Apparat, Platten überall, Blech- und<br />

Ei<strong>se</strong>nkästen für die Aufnahme <strong>der</strong> <strong>zu</strong> photographierenden Gegenstände, von nächtlicher<br />

angestrengter Arbeit zeugende Briekrüge, fertige Bil<strong>der</strong> (letztere <strong>zu</strong>m Theil verdeckt) lagen<br />

in buntem Chaos umher. Die Herren, soeben von zahlreichen wis<strong>se</strong>nsdurstigen<br />

Kommilitonen besucht, waren noch in einem Freudentaumel.<br />

Man kann das natürlich erst begreifen, wenn man all das ge<strong>se</strong>hen <strong>hat</strong>, was in dem<br />

unschuldig darein schauenden Hau<strong>se</strong> <strong>der</strong> Schillerstraße in den letzten S<strong>tun</strong>den erreicht<br />

worden ist. Wie überall bei wichtigen <strong>Entdeckung</strong>en, so <strong>hat</strong> auch hier <strong>der</strong> Zufall eine<br />

wichtige Rolle gespielt: Als man so weit gekommen war, die Röntgen-Strahle <strong>mit</strong> dem<br />

bloßen Auge <strong>zu</strong> <strong>se</strong>hen, ging die Rich<strong>tun</strong>g <strong>der</strong> Strahlen <strong>zu</strong>fällig durch das Fenster, über die<br />

Dreisam und nach <strong>der</strong> Dreisamstraße hinüber.<br />

25


Nun geschah ein Wun<strong>der</strong>bares: die Studenten sahen plötzlich eine ganze englische<br />

Behausung vor sich; die Strahlen durchdrangen nicht nur die Mauern des mehrere hun<strong>der</strong>t<br />

Schritte entfernt liegenden Hau<strong>se</strong>s, son<strong>der</strong>n warfen auch das sich darin bietende Bild an<br />

den Ausgangspunkt <strong>der</strong> Strahlen <strong>zu</strong>rück. Das ist ja <strong>der</strong><strong>se</strong>lbe Vorgang wie beim<br />

Photographieren; auch dort wird das Bild <strong>der</strong> auf<strong>zu</strong>nehmenden Person auf <strong>der</strong> Platte<br />

<strong>zu</strong>rückgeworfen. Man sah also in dem gegenüberliegende Hau<strong>se</strong> sämmtliche Personen, die<br />

erst am Morgen von einem Maskenballe heimgekehrt waren, im tiefsten Negligee am<br />

Theetische sitzen. Und als man die Strahlen verschärfte, fiel auch das Negligee fort und<br />

endlich sah man nur noch die Gerippe. Eine <strong>der</strong> Aufnahmen zirkulierte bereits am Sonntag<br />

Mittag im Restaurant <strong>zu</strong>m „Reichskanzler“ in <strong>der</strong> Kai<strong>se</strong>rstraße.<br />

Die <strong>zu</strong> einer so verblüffenden <strong>Entdeckung</strong> gelangten Akademiker unterließen nicht, sofort<br />

einige Professoren in Kenntnis <strong>zu</strong> <strong>se</strong>tzen, von denen auch <strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong> Röntgen<br />

telegraphisch ausführliche Meldung erhielt. Röntgen telegraphierte, er freue sich<br />

außerordentlich des Erfolges, <strong>der</strong> den eigenen bei Weitem überflügele.<br />

Am Sonntag zogen die Studenten unter Führung einer <strong>der</strong> Herren Professoren <strong>mit</strong> allen<br />

Apparaten nach dem <strong>mit</strong> <strong>der</strong> bekannten ei<strong>se</strong>rnen Orientierungstafel ausgestatteten<br />

Aussichtsthürmchen auf dem Schloßberg (im Volksmund Salzbüchsle genannt). Mittels <strong>der</strong><br />

beson<strong>der</strong>s großen Instrumente gelang es bald, einige Straßen komplett <strong>zu</strong> durchschauen.<br />

Das Bild einer mehr in <strong>der</strong> Peripherie <strong>der</strong> Stadt gelegenen Straße (H—straße ?) war freilich<br />

<strong>der</strong> Art, daß es nicht in den Handel kommen wird. So mancher Bürger und manche<br />

Bürgerin, die sich auf dem Kanapee streckten, haben keine Ahnung gehabt, daß in dem<br />

Augenblick vom Schloßberg herab ein Attentat auf sie verübt wurde, daß man ihre<br />

malerischsten Stellungen auf Platte festhielt. Viele Spaziergänger wurden am Sonntag<br />

Zeugen <strong>der</strong> verblüffenden Experimente.<br />

Morgen Dienstag, zwischen 3 und 5 Nach<strong>mit</strong>tags, klares Wetter vorausge<strong>se</strong>tzt, werden die<br />

Versuche von <strong>der</strong> für die<strong>se</strong>n Zweck ganz beson<strong>der</strong>s geeigneten erwähnten<br />

Orientierungstafel aus fortge<strong>se</strong>tzt. Man <strong>hat</strong> inzwischen die Apparate noch vergrößert und<br />

glaubt sogar, an<strong>der</strong>e Ortschaften völlig über<strong>se</strong>hen und durchblicken <strong>zu</strong> können. Auf <strong>der</strong><br />

Orientierungstafel ist bereits die Rich<strong>tun</strong>g nach einigen Schwarzwaldorten genau<br />

angegeben, und wenn die von Fachleuten angestellten Berechnungen nicht gänzlich<br />

trügen, wird man das dortige Maskentreiben hier <strong>se</strong>hen können. Soweit es angängig ist,<br />

will man dem Publikum den Zutritt nicht verwehren.<br />

<strong>Freiburg</strong> wird also künftig nicht nur den Ruhm haben, so<strong>zu</strong>sagen die „Wiege des<br />

Schießpulvers“ <strong>zu</strong> <strong>se</strong>ine, son<strong>der</strong>n auch Röntgen überflügelt und Edison vorgegriffen <strong>zu</strong><br />

haben.“<br />

Wahrscheinlich haben <strong>zu</strong>mindest in Physik bewan<strong>der</strong>ten Le<strong>se</strong>r beim Studium die<strong>se</strong>s Textes<br />

oben auf <strong>der</strong> Seite nachgeschaut, ob da als Datum <strong>der</strong> 1. April steht. Das war nicht <strong>der</strong> Fall,<br />

aber immerhin war in die<strong>se</strong>n Tagen <strong>der</strong> Höhepunkt <strong>der</strong> <strong>Freiburg</strong>er Fasnet.<br />

An<strong>der</strong>er<strong>se</strong>its waren in dem Beitrag angebliche Fakten genannt – vom englischen Haushalt<br />

in <strong>der</strong> Dreisamstraße 1 und 3 ( den es damals <strong>mit</strong> den englischen Familien Bradley<br />

Roberts, Adams und Millard tatsächlich gab) bis <strong>zu</strong>r Verteilung <strong>der</strong> Röntgenfotos in <strong>der</strong><br />

26


Kneipe „Zum Reichskanzler“ (heute<br />

Friedrichsbau), ganz <strong>zu</strong> schweigen<br />

von den <strong>mit</strong>wirkenden Professoren<br />

und dem angeblichen Glückwunsch<br />

Röntgens an die erfindungsreichen<br />

Studenten (und Redakteure?).<br />

Die „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ dachte<br />

nicht daran, die skurrile Geschichte<br />

<strong>mit</strong> dem Überflügeln Edisons<br />

In <strong>der</strong> Gaststätte „Zum Reichskanler“ sollten, so die<br />

Ankündigung <strong>der</strong> FZ, die intimen Aufnahmen durch die<br />

Röntgenkamera <strong>zu</strong> <strong>se</strong>hen <strong>se</strong>in.<br />

auf<strong>zu</strong>lö<strong>se</strong>n, son<strong>der</strong>n fuhr in ihrer normalen Berichterstat<strong>tun</strong>g fort. So <strong>se</strong>i auch <strong>der</strong> zweite<br />

Vortrag von Ludwig Zehn<strong>der</strong> so gefragt gewe<strong>se</strong>n, „daß Viele kein Plätzchen mehr<br />

erwischen konnten und unverrichteter Sache den Heimweg antreten mußten“. Eine kleine<br />

Kritik an Zehn<strong>der</strong> erlaubte sich das Blatt. So wäre es wünschenswert gewe<strong>se</strong>n, „daß <strong>der</strong><br />

Referent etwas mehr Rücksicht darauf genommen hätte, daß 99 % <strong>der</strong> Anwe<strong>se</strong>nden nicht<br />

bloß in Be<strong>zu</strong>g auf die X-Strahlen, son<strong>der</strong>n auch in Be<strong>zu</strong>g auf die Kathodenstrahlen und so<br />

manches An<strong>der</strong>e Laien waren. Das läßt sich vielleicht bei weiteren Vorträgen des Herrn<br />

Prof. Zehn<strong>der</strong> nachholen.“<br />

„Ein hiesiger Bürger“ berichtete <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ von weiteren erfolgreichen<br />

Versuchen im Physikalischen Institut, an denen nun auch Franz Himstedt <strong>mit</strong>wirkte,<br />

erinnerte aber auch daran, dass die<strong>se</strong> Versuche viel Geld kosten, worauf <strong>der</strong> Etat des<br />

Instituts nicht eingestellt <strong>se</strong>i. So gelte <strong>der</strong> Appell an „edeldenkende Menschen“, dass sie<br />

den Physikern Mittel <strong>zu</strong>r weiteren Ausforschung <strong>zu</strong>r Verfügung stellen. „Denn bis <strong>der</strong> Staat<br />

einschreitet, was ja zweifellos erfolgen wird, geht immerhin <strong>se</strong>hr viel schätzenswerte Zeit<br />

verloren.“ Die Redaktion <strong>der</strong> FZ erbot sich an, „opferwilligen Freunden <strong>der</strong> Sache weitere<br />

Auskunft <strong>zu</strong> erteilen“. Ob <strong>der</strong> Aufruf Erfolg <strong>hat</strong>te, wurde nicht berichtet.<br />

Am 20. Februar machte die Zei<strong>tun</strong>g dann doch<br />

einen gewis<strong>se</strong>n Rückzieher, was die Erprobung<br />

<strong>der</strong> meilenweit durchleuchtenden<br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> in <strong>Freiburg</strong> anlangt. Der<br />

„Briefkastenonkel“ des Blatts, eine Institution,<br />

die nahe<strong>zu</strong> allwis<strong>se</strong>nd alle Fragen <strong>der</strong> Le<strong>se</strong>r<br />

beantwortete, gab dem „Neffen C. B.“ als<br />

Antwort: „Du hast ganz recht: Die Geschichte<br />

<strong>mit</strong> den <strong>Röntgenstrahlen</strong> auf dem Schloßberge<br />

‚klappte‘ noch nicht, weil die Apparate bisher<br />

nicht fertig geworden sind. Apparate, <strong>mit</strong> denen<br />

man meilenweit photographiert, sind natürlich<br />

nicht in ein paar Tagen gemacht; es werden<br />

wohl, das dachten wir uns gleich, noch Jahre<br />

da<strong>zu</strong> gehören.“<br />

Am 7. März 1896 hielt Ludwig Zehn<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Akademischen Ge<strong>se</strong>llschaft tatsächlich noch<br />

Der „Briefkastenonkel“ <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er<br />

Zei<strong>tun</strong>g“ ließ am 20. Februar 1896 dann<br />

doch durchblicken, dass die Geschichte <strong>mit</strong><br />

den meilenweit möglichen intimen<br />

Aufnahmen <strong>mit</strong> den <strong>Röntgenstrahlen</strong> nicht<br />

möglich <strong>se</strong>i – noch nicht.<br />

27


einen weiteren Vortrag über die <strong>Röntgenstrahlen</strong>, in dem er bereits <strong>mit</strong> <strong>se</strong>inen von Elbs<br />

und Kramer gefertigten regulierbaren Röntgenröhren arbeitete. „Auf Wunsch von<br />

Stabsarzt Ernst Sehrwald, <strong>der</strong> von Kempke als medizinischer Berater <strong>zu</strong> un<strong>se</strong>ren<br />

photographischen Aufnahmen von Menschen beigezogen wurde, hielt ich auch den in<br />

<strong>Freiburg</strong> stationierten Militärpersonen einen Röntgenvortrag. Himstedt billigte aber als<br />

Ordinarius die<strong>se</strong> meine Röntgenvorträge in <strong>se</strong>inem Institut gar nicht und machte mir<br />

<strong>zu</strong>letzt sogar Vorwürfe, daß ich ‚als Schweizer‘ den deutschen Leutnants solche Vorträge<br />

halte, von denen sie ja doch nichts verstünden. (Seine <strong>se</strong>hr abfälligen Bemerkungen über<br />

die<strong>se</strong> Militärs gebe ich nicht wie<strong>der</strong>). Ich war aber überzeugt, daß in einem allfälligen<br />

Kriege die Militärpersonen an den Erfolgen <strong>der</strong> Röntgentechnik das allergrößte Interes<strong>se</strong><br />

haben müßten.“ Ein paar Tage danach demonstrierte Zehn<strong>der</strong> noch an den Nach<strong>mit</strong>tagen<br />

beliebigen Interessierten das Durchleuchten <strong>mit</strong> den <strong>Röntgenstrahlen</strong>: „Ich ließ jeden<br />

<strong>se</strong>ine eigenen Handknochen und Armknochen, manche auch ihr eigenes Herz schlagen<br />

<strong>se</strong>hen.“<br />

Die Zusammenarbeit <strong>mit</strong> dem <strong>Freiburg</strong>er Stabsarzt Sehrwald brachte für die Medizin-<br />

Diagnostik bemerkenswerte Fortschritte. Er zeigte, so Otto Glas<strong>se</strong>r in <strong>se</strong>inem Buch, „daß<br />

Chlor, Brom und Jod die <strong>Röntgenstrahlen</strong> stark absorbierten und daß die<strong>se</strong> Absorption<br />

nicht von <strong>der</strong> Anordnung <strong>der</strong> Moleküle abhing, son<strong>der</strong>n nur den Atomen die<strong>se</strong>r Elemente<br />

<strong>zu</strong><strong>zu</strong>schreiben war“ – woraus <strong>zu</strong> schließen war, dass Organe, die <strong>mit</strong> die<strong>se</strong>n Salzen und<br />

Lösungen gefüllt werden, leicht durch die <strong>Röntgenstrahlen</strong> kenntlich gemacht werden<br />

können.<br />

Zehn<strong>der</strong>s Ziel: die Röntgenaufnahme eines ganzen Menschen<br />

Nach dem Tod <strong>se</strong>ines Vaters am 15. April 1896<br />

konnte Ludwig Zehn<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> „ungehemmt<br />

arbeiten“. Er machte <strong>mit</strong> dem Fotograf Ernst<br />

Kempke verschiedene Aufnahmen, „wobei mir<br />

Kempkes photographische Kenntnis<strong>se</strong> von größtem<br />

Nutzen waren“. So bei den Aufnahmen <strong>der</strong> Hand<br />

von Prof. Christian Bäumler, <strong>se</strong>it 1876 Direktor <strong>der</strong><br />

Medizinischen Klinik in <strong>Freiburg</strong>. Bäumler <strong>hat</strong>te <strong>mit</strong><br />

<strong>se</strong>iner Hand über einen Tischteppich gestrichen und<br />

dabei einen Nadelstich bekommen. Er war <strong>der</strong><br />

Ansicht, dass wahrscheinlich die Nadelspitze<br />

abgebrochen und in <strong>der</strong> Hand stecken geblieben <strong>se</strong>i,<br />

aber Genaueres <strong>se</strong>i nicht <strong>zu</strong> erkennen.<br />

„Kempke schlug vor“, so berichtete Zehn<strong>der</strong>, „die<br />

Hand in etwa 40 cm Abstand von <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong>quelle auf<strong>zu</strong>nehmen. Das<br />

abgebrochene Nadelstück erschien, <strong>zu</strong>gleich <strong>mit</strong><br />

unzähligen feinsten Knochenbälkchen, im Bild in<br />

größter Schärfe. In die<strong>se</strong>m Nadelende, das in ein<br />

Einer <strong>der</strong> ersten Prominenten, die sich<br />

<strong>mit</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong> durchleuchten<br />

ließen, war Prof. Christin Bäumler, <strong>der</strong><br />

Direktor <strong>der</strong> Medizinischen Klinik in<br />

<strong>Freiburg</strong>. Ihm half Zehn<strong>der</strong>, ein<br />

Nadelstück in <strong>se</strong>iner Hand <strong>zu</strong><br />

entdecken. Foto: wellcomeimages,org<br />

28


Fingergelenk tief eingedrungen war, erkannte man ganz scharf auch das Nadelöhr.“<br />

Angespornt durch die<strong>se</strong>n Erfolg schlug Ernst Kempke vor, <strong>mit</strong> Stabsarzt Sehrwalds<br />

medizinischer Bera<strong>tun</strong>g eine Röntgenaufnahme des ganzen Menschen <strong>zu</strong> machen, die es<br />

noch nicht gab. Er nehme, so Kempke, die Kosten des fotografischen Bedarfs auf sich.<br />

Zehn<strong>der</strong>: „Ich war gern da<strong>zu</strong> bereit. Kempke verschaffte uns <strong>zu</strong>nächst einen 14jährigen<br />

Knaben, des<strong>se</strong>n Röntgendurchleuch<strong>tun</strong>g erkennen ließ, daß <strong>se</strong>in Knochengerippe auch auf<br />

<strong>der</strong> photographischen Platte gut sichtbar <strong>se</strong>in werde. Wir machten also eine<br />

röntgenphotographische Aufnahme <strong>der</strong> Brust die<strong>se</strong>s Knaben. Kempke bestimmte jeweils<br />

aus <strong>se</strong>inen Erfahrungen beim Entwickeln <strong>der</strong> Platte die notwendige Expositionszeit. Das<br />

Bild des Brustkorbs war verheißungsvoll geworden, aber <strong>zu</strong> meinem Schrecken bekamen<br />

wir folgenden Tags die Mitteilung, <strong>der</strong> Knaben habe <strong>mit</strong>ten auf <strong>der</strong> Brust, da wo die<br />

Röntgenröhre <strong>se</strong>nkrecht über <strong>der</strong> Brust gestanden <strong>hat</strong>te, einen entzündeten Fleck<br />

bekommen.“<br />

Auf Anraten von Dr. Sehrwald brachte Kempke den Knaben<br />

sofort in das <strong>Freiburg</strong>er Spital. Nach einigen Tagen bekam<br />

Zehn<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Klinik die Nachricht, <strong>der</strong> Knabe <strong>se</strong>i geheilt<br />

und wie<strong>der</strong> entlas<strong>se</strong>n worden: „Ich nahm die Kosten die<strong>se</strong>r<br />

Röntgenschädigung auf mich, meine Frau brachte dem<br />

Knaben Schokolade und <strong>der</strong>gleichen, und <strong>der</strong> Knaben sagte<br />

nachher, er wäre gerne bereit, wie<strong>der</strong> <strong>zu</strong> einer solchen<br />

Untersuchung <strong>zu</strong> kommen. Das war wohl die ersten<br />

Röntgenverbrennung!“ Auf Ernst Kempke und ihn habe<br />

die<strong>se</strong>s Ereignis „großen Eindruck“ gemacht: „Wir brachten<br />

von die<strong>se</strong>r Zeit an die Röntgenröhre nie mehr so nahe an den<br />

<strong>zu</strong> untersuchenden menschlichen Körper heran.“<br />

Nun wählten Zehn<strong>der</strong> und Kempke einen erwach<strong>se</strong>nen<br />

Menschen für ihre Aufnahmen aus. Zehn<strong>der</strong>: „Stabsarzt<br />

Sehrwald stellte uns hierfür einen Soldaten <strong>zu</strong>r Verfügung.<br />

Kempke verfertigte so große photographische Platten, daß<br />

die ganze Brust bis <strong>zu</strong>m Hals und <strong>mit</strong> den Oberarmen im<br />

Röntgenbild erscheinen mußte. Das erhaltene Röntgenbild<br />

war <strong>se</strong>hr <strong>zu</strong>friedenstellend, es ließ die Rückenwirbel und in<br />

den Rippen noch Knochenbälkchen erkennen. Eine zweite<br />

Platte verschaffte uns ein brauchbares Bild des Bauches. Die<br />

dritte Platte war für die Oberschenkel, die vierte für die<br />

Unterschenkel und Füße bestimmt.“<br />

Zehn<strong>der</strong> beobachtete während <strong>der</strong> Expositionen die optischen<br />

Lichterscheinungen in <strong>der</strong> Röntgenröhre, erkannte an<br />

kleinsten hellleuchtenden Pünktchen auf <strong>der</strong> Anode<br />

(Antikathode) und auf <strong>der</strong> die Rück<strong>se</strong>ite <strong>der</strong> Kathode<br />

umschließenden Glashaube die gleichbleibende<br />

Wirkungsfähigkeit <strong>der</strong> Röhre. „Gewitzigt durch un<strong>se</strong>r Erlebnis<br />

Die erste bekannte<br />

Röntenaufnahme eines<br />

ganzen Menschen stellte<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> im<br />

Sommer 1892 <strong>mit</strong> dem<br />

Fotografen Ernst Kempke<br />

und Stabsarzt Dr. Ernst<br />

Sehrwald <strong>zu</strong>sammen – als<br />

Collage aus <strong>se</strong>chst Teilen.<br />

29


<strong>mit</strong> dem Knaben ermahnte mich Kempke immer wie<strong>der</strong>, wenn ich die genannten<br />

Lichterscheinungen in <strong>der</strong> Röhre etwas länger und <strong>zu</strong> nahe beobachtete, mich von <strong>der</strong><br />

gefährlichen Röntgenröhre <strong>zu</strong> entfernen. Für die große Sorge um mein Wohlbefinden bin<br />

ich Kempke zeitlebens dankbar, denn ohne des<strong>se</strong>n Sorgfalt wäre mir vielleicht das<br />

Schicksal mancher an<strong>der</strong>en Röntgenpioniere beschieden gewe<strong>se</strong>n!“<br />

Für die Aufnahme eines ganzen Menschen fehlten nun die Unterarme und Hände. Auch<br />

hier half wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Stabsarzt, <strong>der</strong> den beiden einen Soldaten prä<strong>se</strong>ntierte, <strong>der</strong> kurz davor<br />

von einer Pistole in die Hand getroffen wurde, wo die Kugel noch steckte. Schließlich ging<br />

es noch um eine Aufnahme des Kopfes, für die Ernst Kempke eine Zeit von etwa einer<br />

S<strong>tun</strong>de berechnet <strong>hat</strong>te. „Welchen Soldaten o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Menschen sollten wir, nach<br />

un<strong>se</strong>ren schlimmen Erfahrungen <strong>mit</strong> dem Knaben, in eine solche Gefahr bringen?“<br />

Ernst Kempke legte den Kopf eine S<strong>tun</strong>de unter die Röhre<br />

Ernst Kempke, am 29. Juli 1861 in Bromberg<br />

geboren, 1897 <strong>zu</strong>m Hoffotografen ernannt, starb<br />

am 11. März 1912 in <strong>Freiburg</strong>. Er wurde nur 50<br />

Jahre alt – auch er ein Opfer <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong>?<br />

Man muss es wohl befürchten. Denn er war erst<br />

Erstaunlicher Start: Ernst Kempke ließ sich in <strong>Freiburg</strong><br />

nicht als Fotograf nie<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n als „Portrait-, Genreund<br />

Historienmaler“, so <strong>se</strong>ine Eröffnungsanzeige vom 3.<br />

November 1887 in <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“.<br />

„Erinnerung an meine Militärzeit“ – Ernst<br />

Kempke als optimistisch blicken<strong>der</strong> Soldat<br />

auf einem Foto aus <strong>se</strong>inem Atelier. Foto:<br />

fotorevers.eu<br />

45 Jahre alte, als er bereits im Jahr 1906 <strong>se</strong>in Foto-Atelier in <strong>der</strong> Rö<strong>der</strong>stra0e 9 an <strong>se</strong>inen<br />

Nachfolger Jo<strong>se</strong>f Schroedel abgab. Im <strong>Freiburg</strong>er Adressbuch 1913 ist nur noch <strong>se</strong>ine<br />

Witwe El<strong>se</strong> Kempke im 3. Stock <strong>der</strong> Rö<strong>der</strong>straße 9 aufgeführt.<br />

Ernst Kempke kam im November 1887 nach <strong>Freiburg</strong>. Er war damals 26 Jahre alt. Er<br />

eröffnete in <strong>der</strong> Karlstraße 30 („2 Treppen“) ein Atelier für „Portrait-, Genre- und<br />

Historienmaler“, eingetragen auch als akademischer Maler.<br />

30


Bereits im Juli 1888 wech<strong>se</strong>lte er in die<br />

Kai<strong>se</strong>rstraße 25a beim Siegesdenkmal, wo<br />

er nun auch ein „photographisches Atelier“<br />

betrieb.<br />

Sich in jenen Jahren in <strong>Freiburg</strong> als<br />

Fotograf nie<strong>der</strong><strong>zu</strong>las<strong>se</strong>n, erfor<strong>der</strong>te Mut,<br />

denn Kempke traf hier auf eine zahlreiche,<br />

namhafte und fachlich<br />

anerkannte Konkurrenz: so die<br />

Hoffotografen Georg Röbcke,<br />

Chr. Clare, Conrad Ruf, A. Dilger,<br />

G. T. Ha<strong>se</strong> und an<strong>der</strong>e mehr, die<br />

in die<strong>se</strong>m Fach arriviert waren.<br />

Am 19. Juli 1888 eröffnete<br />

Ernst Kempke nahe des<br />

Siegesdenkmals <strong>se</strong>in<br />

„photograhisches Atelier“.<br />

Später nannte er als<br />

Adres<strong>se</strong> öfters „Wiener<br />

Kaffee“ im <strong>se</strong>lben Haus.<br />

Und doch konnte sich Ernst<br />

Kempke behaupten. So durfte er<br />

1994 den badischen Großherzog<br />

Friedrich I. <strong>zu</strong> einem Manöver<br />

nach Löffingen in den<br />

Schwarzwald begleiten. Ein Foto davon ist im Staatsarchiv <strong>Freiburg</strong> erhalten.<br />

Noch bekannter dürfte Ernst Kempke durch<br />

die Zeitschrift „Gartenlaube“ geworden <strong>se</strong>in,<br />

wo nach dem schrecklichen Hochwas<strong>se</strong>r vom<br />

9. März 1896 in <strong>Freiburg</strong>, als die<br />

Schwabentorbrücke einstürzte, ein Stich nach<br />

einem Foto von ihm erschien.<br />

Ernst Kempke musste schon 1906, also zehn Jahre<br />

nach <strong>der</strong> Röntgenaufnahme <strong>se</strong>ines Kopfes, <strong>se</strong>in<br />

Geschäft in <strong>Freiburg</strong> <strong>mit</strong> 45 Jahren aufgeben, wie<br />

die<strong>se</strong> Anzeige vom 6. April 1906 in <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er<br />

Zei<strong>tun</strong>g“ zeigt, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> sich <strong>se</strong>in Nachfolger Jo<strong>se</strong>f<br />

Schroedel, nun auch schon Hoffotograf, vorstellte.<br />

Schließlich gibt es noch heute antiquarische<br />

eine Ansichtskarte <strong>zu</strong> erstehen <strong>mit</strong> einem<br />

Foto, dass er 1902 vom Besuch des<br />

Großherzogs Friedrich I. auf dem Balkon des<br />

Rathau<strong>se</strong>s aufgenommen <strong>hat</strong>. Kempke<br />

machte sich als Fotograf auch in <strong>der</strong> Fachwelt<br />

einen Namen. So erschien <strong>se</strong>in 1906 erstmals<br />

in <strong>der</strong> „Enzyklopädie <strong>der</strong> Photographie“, Band<br />

55, aufgelegter Ratgeber „Der Porträt- und<br />

Gruppenphotograph beim Setzen und<br />

Beleuchten“ noch lange nach <strong>se</strong>inem Tod in<br />

mehreren Auflagen.<br />

In fotografischen Fachbüchern wird auch heute noch an die Beteiligung von Ernst Kempke<br />

bei den Röntgen-Versuchen von Ludwig Zehn<strong>der</strong> erinnert. Gerade auch an eine<br />

Handaufnahme, die er gemacht <strong>hat</strong>, und natürlich an die Aufnahme des ganzen Menschen,<br />

die beiden, Ludwig Zehn<strong>der</strong> wie auch Ernst Kempke, kein Glück gebracht <strong>hat</strong> – Ernst<br />

Kempke wohl sogar den frühen Tod.<br />

31


Da beide inzwischen wussten, dass die Strahlen gerade bei einer langen Expositionszeit<br />

gefährlich sind, stellte sich nach den Aufnahmen <strong>der</strong> unteren Körperteile die Frage, wes<strong>se</strong>n<br />

Kopf denn nun noch geröntgt werden soll.<br />

Ernst Kempke wusste Rat: Er <strong>se</strong>lbst wolle <strong>se</strong>inen Kopf für die Aufnahme hinhalten. Er <strong>se</strong>i<br />

sicher, dass er eine S<strong>tun</strong>de lang <strong>se</strong>inen auf <strong>der</strong> fotografischen Platte liegenden Kopf ruhig<br />

halten könne. Zehn<strong>der</strong>: „Um außerdem erkennbar <strong>zu</strong> machen, wie sich ein in den Kopf<br />

geratener Metallkörper abbilden würde, befestigte Kempke <strong>mit</strong> Leukoplast <strong>mit</strong>ten auf<br />

<strong>se</strong>inem Kopf <strong>se</strong>itliche neben dem Ohr ein Infanteriegeschoß und legte dann nach<br />

genügen<strong>der</strong> Unterstüt<strong>zu</strong>ng des ganzen Körpers <strong>se</strong>inen Kopf in <strong>der</strong> Seitenlage auf die<br />

photographische Platte <strong>der</strong>art, daß das Geschoß oben lag. Das entstandene Bild ließ die<br />

Schädelknochen befriedigend erkennen.“<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> war besorgt, aber bei den Soldatenaufnahmen waren keine<br />

Röntgenverlet<strong>zu</strong>ngen <strong>zu</strong> erkennen und auch Kempke „spürte nichts <strong>der</strong>artiges“. Man<br />

wusste damals nicht, so Zehn<strong>der</strong> im Jahr 1935, „daß Röntgenverbrennungen sogar etwa 20<br />

Jahre später noch <strong>zu</strong> einem sogenannten Röntgenkrebs und weiter <strong>zu</strong> schrecklichem Tode<br />

führen können.“<br />

Ernst Kempkes wohl bekanntestes Bild ist gar kein Originalfoto von ihm, son<strong>der</strong>n ein Stich, <strong>der</strong> 1896<br />

nach dem schrecklichen Hochwas<strong>se</strong>r in <strong>Freiburg</strong> in <strong>der</strong> Zeitschrift „Gartenlaube“ erschien. Zu <strong>se</strong>hen<br />

ist die von den aufgestauten Balken zerstörte Schwabentorbrücke.<br />

Stabsarzt Dr. Ernst Sehrwald, <strong>der</strong> stets bei den Versuchungen Zehn<strong>der</strong>s und Kempkes als<br />

medizinischer Berater dabei war, sammelte nun Erfahrungsberichte von Auffälligkeiten<br />

und Verlet<strong>zu</strong>ngen nach Röntgen-Bestrahlung und gehörte da<strong>mit</strong> <strong>zu</strong> den ersten Ärzten, die<br />

auf die schädliche Wirkung die<strong>se</strong>r Strahlen aufmerksam machte – und zwar in <strong>se</strong>iner<br />

32


Studie „Das Verhalten <strong>der</strong> Halogene gegen <strong>Röntgenstrahlen</strong> – Dermatitis nach<br />

Durchleuch<strong>tun</strong>g <strong>mit</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong>“, veröffentlicht am 8. Oktober 1896 in <strong>der</strong><br />

„Deutschen Medizinischen Wochenschrift“.<br />

Auch Thomas Edison fuhr 1896 <strong>mit</strong> <strong>se</strong>inen Versuchen und öffentlichen Vorstellungen <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> fort – er im ganz großen Stil. Im Mai 1896 veranstaltete er bei <strong>der</strong> großen<br />

elektrischen Ausstellung in New York da<strong>zu</strong> eine Son<strong>der</strong>ausstellung, die, so Otto Glas<strong>se</strong>r,<br />

„beim Publikum großes Auf<strong>se</strong>hen erregte“. Er ließ von den Besuchern in einem 100 Leute<br />

fas<strong>se</strong>nden, schwarz ausgekleideten Raum reihenwei<strong>se</strong> ihre Körperteile durchleuchten, was<br />

sie auf einem großen Fluoreszenzschirm verfolgen konnten. Etliche aber trauten sich nicht,<br />

dann legte Edisons Assistent Clarence Madison Dally <strong>se</strong>inen Arm unter die Röhre.<br />

Frank Patalong am 12.<br />

November 2015 in<br />

„Spiegel“: „Schon <strong>zu</strong><br />

die<strong>se</strong>r Zeit muss Dally<br />

hochgradig verstrahlt<br />

gewe<strong>se</strong>n <strong>se</strong>in. Jegliche<br />

Forschung an den<br />

neuen Strahlen geschah<br />

durch Versuch und<br />

Irrtum: Niemand weiß,<br />

wie viele<br />

Kombinationen von<br />

Beschich<strong>tun</strong>gen und<br />

Röhren Dally<br />

ausprobierte - immer<br />

wie<strong>der</strong> aufs Neue <strong>se</strong>tzte<br />

Thomas Edison (rechts) prüft die Hand <strong>se</strong>ines Assistenten Clarence Madison<br />

Dally, <strong>der</strong> sich durch die vielen <strong>Röntgenstrahlen</strong> schwere gesundheitliche<br />

Schäden <strong>zu</strong>zog und schließlich 1904 <strong>mit</strong> 39 Jahren daran starb.<br />

Abbildung: literateape.com<br />

er sich vor eine Röhre, hielt <strong>se</strong>ine Hand davor und betrachtete das Ergebnis durch ein<br />

Fluoroskop. Als Erstes verlor Dally <strong>se</strong>ine Haare, <strong>se</strong>ine Hände wie<strong>se</strong>n Verbrennungen auf,<br />

<strong>se</strong>ine Haut verän<strong>der</strong>te sich. Edison war irritiert, bald alarmiert. Bis 1900 zeigten sich <strong>zu</strong>dem<br />

Geschwüre in Dallys Gesicht. Mit gerade 35 Jahren war er kaum mehr in <strong>der</strong> Lage <strong>zu</strong><br />

arbeiten.“<br />

1902 wurde bei Dally Krebs festgestellt, <strong>se</strong>ine Hand und später <strong>der</strong> ganze Arm mussten<br />

amputiert werden. 1904 starb Dally. Patalong: „Der als Erfin<strong>der</strong> berühmte, als knallharter<br />

Geschäftsmann berüchtigte Edison war erschüttert.“ Edison stellte den Verkauf <strong>se</strong>iner<br />

Fluoroskope ein und zog sich offiziell aus je<strong>der</strong> weiteren Forschung <strong>zu</strong>r Röntgenstrahlung<br />

<strong>zu</strong>rück. "Sprechen Sie mich nicht auf X-Strahlen an", zitierte ihn am 3. August 1903 die<br />

Zei<strong>tun</strong>g "New York World". "Ich habe Angst davor!"<br />

So wurde es nichts mehr <strong>mit</strong> den in <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ angekündigten Versuchen<br />

Edisons <strong>mit</strong> „meilenweiten <strong>Röntgenstrahlen</strong>“ …<br />

33


<strong>Was</strong> auch immer Ludwig Zehn<strong>der</strong> ahnte o<strong>der</strong> schon wusste, er machte weiter und<br />

beauftragte Ernst Kempke im Sommer 1896, „von den ihn am meisten interessierenden<br />

photographischen Negativplatten Positivpapiere in einigen Exemplaren her<strong>zu</strong>stellen und<br />

die<strong>se</strong> Papiere auf ein Blatt Zei<strong>tun</strong>gsrollenpapier auf<strong>zu</strong>kleben, so daß ein vollständiges Bild<br />

des röntgenphotographierten Menschen entstand. Oben und unten wurde die<strong>se</strong>s Bild an<br />

Querleisten befestigt, so daß man es noch immer rollen, aber auch <strong>zu</strong>r Demonstration<br />

aufhängen konnte wie eine Wandtafel. Aus einer zweiten Serie von Positiven stellte<br />

Kempke noch ein analoges Röntgenbild her. Ich beschrieb die<strong>se</strong> Röntgenbil<strong>der</strong> <strong>mit</strong><br />

Rundschrift.“<br />

Über die<strong>se</strong> Aufnahmen schwiegen Zehn<strong>der</strong> wie Kempke, auch gegenüber Röntgen.<br />

Zehn<strong>der</strong> wollte den Freund Anfang August 1896 bei <strong>der</strong> Schweizerischen Naturforscher-<br />

Versammlung da<strong>mit</strong> überraschen. „Nach meiner Erinnerung fand das allgemeine<br />

Naturforscher-Bankett im Pavillon <strong>der</strong> Tonhalle statt. Dort ließ ich im großen Tonhallesaal<br />

nahe dem Eingang des Pavillons mein Röntgenbild des ganzen Menschen aufhängen. Das<br />

Bild fand wohl allgemeine Beach<strong>tun</strong>g, ich scheute mich aber, mich in <strong>der</strong> Nähe<br />

auf<strong>zu</strong>halten, und Röntgen <strong>hat</strong>, so viel ich mich erinnern kann, auch nie über die<strong>se</strong><br />

Veröffentlichung des Bildes <strong>mit</strong> mir gesprochen.“<br />

Nach Himstedts Anfrage wollte Ludwig Zehn<strong>der</strong> ganz schnell aus <strong>Freiburg</strong> weg<br />

Röntgen war wohl Zehn<strong>der</strong>s Weg in die<br />

Öffentlichkeit wie<strong>der</strong> einmal <strong>zu</strong> direkt, doch erbat er<br />

sich Wochen später Aufnahmen von Kempke. Und er<br />

fügte dem Brief vom 30. August 1896 hin<strong>zu</strong> „Ich<br />

hätte nicht ungern ein Exemplar dem Kai<strong>se</strong>r<br />

geschickt. Jetzt aber, wo das Bild schon ausgestellt<br />

war, geht dies auf keinen Fall mehr, denn<br />

ausgestellte o<strong>der</strong> von vielen schon ge<strong>se</strong>hene Bil<strong>der</strong><br />

darf ich nicht ein<strong>se</strong>nden“. Auch aus Paris erhielt<br />

Ernst Kempke einen Auftrag, eine Kopie <strong>zu</strong> liefern.<br />

Zehn<strong>der</strong>: „Er erzählte mir später aber, daß er dafür<br />

nie eine Vergü<strong>tun</strong>g erhalten habe“.<br />

Bereits am 13. Januar 1896 führte Conrad<br />

Rontgen Kai<strong>se</strong>r Wilhelm II. auf des<strong>se</strong>n<br />

Einladung in Berlin <strong>se</strong>ine „X-Strahlen“ vor.<br />

Die in Zürich schon von Ludwig Zehn<strong>der</strong><br />

ausgestellte Aufnahme eines ganzen<br />

Menschen wollte Röntgen danach dem<br />

Kai<strong>se</strong>r trotz des<strong>se</strong>n großen Interes<strong>se</strong>s an<br />

<strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong> aber nicht <strong>zu</strong>muten. Hier<br />

ein Porträtfoto des Kai<strong>se</strong>rs von 1902.<br />

Foto: wikimedia.com<br />

Röntgen vermisste in Würzburg einen <strong>der</strong>art<br />

qualifizierten Glasblä<strong>se</strong>r wie Zehn<strong>der</strong> ihn <strong>mit</strong><br />

Friedrich Kramer in <strong>se</strong>iner Nähe <strong>hat</strong>te und<br />

beauftragte Kramer immer wie<strong>der</strong> <strong>mit</strong> neuen Röhren<br />

und <strong>mit</strong> Reparaturaufträgen. So schrieb Röntgen am<br />

21. November 1897 an Zehn<strong>der</strong>: „Der <strong>se</strong>inerzeit von<br />

Kramer bezogene Apparat <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Platinspirale <strong>zu</strong>m<br />

Rühren bewährt sich <strong>se</strong>hr gut. Nächstens schicke ich<br />

an Kramer zwei von Ihren Röhren <strong>zu</strong>r Reparatur: sie<br />

haben kleine Sprünge an <strong>der</strong> bekannten Stelle,<br />

Zuschmelzstelle <strong>der</strong> Kohleröhrchen, bekommen.“<br />

34


<strong>Freiburg</strong>, Turn<strong>se</strong>estraße 43: Hier wohnte Prof.<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> von 1891 bis 1899 im 3. Stock <strong>mit</strong><br />

<strong>se</strong>iner Frau. Bisher erinnert an die<strong>se</strong>m Haus nichts<br />

daran.<br />

Foto; Bernd Serger<br />

Als im Jahr 1898 Franz Himstedt Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong> fragte, ob er nicht am <strong>Freiburg</strong>er<br />

Physikalischen Institut <strong>se</strong>in Assistent werden<br />

wolle, richtete Zehn<strong>der</strong> umgehend an Conrad<br />

Röntgen die gleiche Frage. Röntgen<br />

antwortete am 18. November 1898, Zehn<strong>der</strong><br />

<strong>se</strong>i ihm als Assistenz in Würzburg <strong>se</strong>hr<br />

willkommen. <strong>Was</strong> die Umhabilitierung nach<br />

München angehe, <strong>se</strong>i er <strong>zu</strong>versichtlich, ohne<br />

es aber versprechen <strong>zu</strong> können: „<strong>Was</strong> nun<br />

Ihre weiteren Mitteilungen anbetrifft, so<br />

verstehe ich <strong>se</strong>hr gut, daß Sie nicht H.s<br />

(gemeint war Himstedt, <strong>se</strong>) Assistent werden<br />

wollen, das wäre einfach unwürdig für Sie.“<br />

Zehn<strong>der</strong> trat am 1. März 1899 die 1.<br />

Assistentenstelle in Würzburg an, doch blieb<br />

er dort nur gut ein Jahr, weil Conrad Röntgen<br />

ihn dann wie<strong>der</strong>um <strong>mit</strong> nach München nahm, wo ihm die Lei<strong>tun</strong>g des Physikalischen<br />

Instituts angetragen worden war. Zehn<strong>der</strong>: „Weil ich offenbar solches geahnt <strong>hat</strong>te,<br />

brachte ich die<strong>se</strong>n Würzburger Aufenthalt <strong>mit</strong> meiner Frau nur in einer Pension <strong>zu</strong>, reiste<br />

dann bei Beginn <strong>der</strong> Ferien nach <strong>Freiburg</strong> i. Br. <strong>zu</strong>rück, um meinen Hausrat von dort direkt<br />

nach München <strong>zu</strong> überführen. Denn ich war nun Röntgens erster Assistent in München,<br />

wurde von <strong>der</strong> Münchener Universität als Privatdozent übernommen und bekam später<br />

auch den Titel und Rang eines Bayer. außerordentlichen Professors.“<br />

Als Conrad Röntgen 1901<br />

die Nachricht erhielt, dass<br />

ihm als erster Physiker <strong>der</strong><br />

Nobelpreis verliehen<br />

werde, wurde ihm auch<br />

<strong>mit</strong>geteilt, dass die <strong>der</strong>art<br />

Gehehrten bei <strong>der</strong><br />

Verleihung einen<br />

Nobelvortrag halten.<br />

Zehn<strong>der</strong>: „Röntgen <strong>hat</strong>te<br />

keine große Lust da<strong>zu</strong>. In<br />

einem eingeschriebenen<br />

Brief bot ich mich an, um<br />

ihm die<strong>se</strong>n Stockholmer<br />

Vortrag <strong>zu</strong> erleichtern, ihn<br />

für eventuelle Experiment<br />

dorthin <strong>zu</strong> begleiten.“<br />

Röntgen fuhr zwar nach<br />

Das Physikalische Institut <strong>der</strong> Universität Würzburg, in dem Conrad<br />

Röntgen 1895 <strong>se</strong>ine „X-Strahlen“ entdeckte. 1899 kehrte Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong> als 1. Assistent von Röntgen nach Würzburg <strong>zu</strong>rück – doch<br />

diesmal nur für ein Jahr.<br />

Foto: Ro<strong>se</strong>nbusch-De Knecht-van Eekelen: W.C. Röntgen - The Birth of<br />

of Radiology, Springer Nature Switzerland 201,<br />

35


Stockholm und nahm den Nobelpreis in Empfang, hielt aber keine Nobelrede – was nun<br />

wie<strong>der</strong> für Legenden sorgte.<br />

1903 publizierte Ludwig Zehn<strong>der</strong> über die<br />

nach ihm benannte Zehn<strong>der</strong>sche Röhre<br />

(Glimmentladungsröhre nach L. Zehn<strong>der</strong>), die<br />

insgesamt 4 Elektroden aufweist. Dies war<br />

nach dem 1891 vorgestellten Mach-Zehn<strong>der</strong>-<br />

Interferometer die zweite physikalische<br />

Apparatur, die nach Zehn<strong>der</strong> benannt wurde.<br />

Und doch ha<strong>der</strong>te er <strong>mit</strong> <strong>se</strong>inem Schicksal,<br />

„nur“ Privatdozent <strong>zu</strong> <strong>se</strong>in. Auf einen Brief von<br />

Röntgen antwortete er am 7. April 1905: „Ich<br />

schrieb Ihnen, ich habe das Gefühl nie<br />

verloren, daß ein Privatdozent mehr geduldet<br />

als verlangt wird. Da antworteten Sie, mein<br />

Ausspruch ‚geduldet‘ erinnere an<br />

‚sozialdemokratische Schlagwörter‘. Die<strong>se</strong>n<br />

Vorwurf kann ich nicht annehmen. Meine<br />

ganze Rich<strong>tun</strong>g ist <strong>der</strong> sozialdemokratischen<br />

gerade entgegenge<strong>se</strong>tzt. Und daß ich<br />

Schlagwörter gebrauche, <strong>hat</strong> mir außer Ihnen<br />

Im Herbst 1891 erfand Ludwig Zehn<strong>der</strong> <strong>se</strong>inen<br />

Interferemoter, einige Monate später <strong>hat</strong>te<br />

<strong>der</strong> österreichische Physiker Ernst Mach<br />

die<strong>se</strong>lbe Idee. Ein Mach-Zehn<strong>der</strong>-<br />

Interferometer kann sowohl <strong>zu</strong>r Modulation<br />

von Licht durch gezielte Pha<strong>se</strong>nmodulation in<br />

einem Arm des Interferometers als auch <strong>zu</strong>r<br />

Messung von Pha<strong>se</strong>nverschiebungen<br />

einge<strong>se</strong>tzt werden. Abbildung: google.de<br />

noch kein Mensch vorgeworfen! Meine Wahl jenes Ausdrucks ‚geduldet‘ ist nicht<br />

unbegründet, wie Sie glauben. Haben Sie denn verges<strong>se</strong>n, daß ich <strong>se</strong>inerzeit Würzburg<br />

verlas<strong>se</strong>n mußte, um mich habilitieren <strong>zu</strong> können: daß ich, von <strong>Freiburg</strong> her als a. o.<br />

Professor in Ihre Assistenzstelle in Würzburg einrückend, vorerst nach Ihren<br />

Erkundigungen in <strong>der</strong> Fakultät nicht einmal als Privatdozent ohne beson<strong>der</strong>e Formalitäten<br />

angenommen werden wollte, bis ich infolge Wiens (M. Wien!) Berufung nach Aachen <strong>se</strong>ine<br />

angekündigte Vorlesung übernahm und daraufhin <strong>zu</strong>gelas<strong>se</strong>n wurde. Bei un<strong>se</strong>rer<br />

gemeinschaftlichen Übersiedlung nach München erzählten Sie mir, daß es ebenfalls<br />

Schwierigkeiten gemacht habe, mich in die Münchner Fakultät hinein<strong>zu</strong>bringen. In Berlin<br />

wurde mir vorerst nicht bewilligt, (als Gast) an <strong>der</strong> Universität <strong>zu</strong> le<strong>se</strong>n. Vielmehr mußte<br />

ich mich <strong>zu</strong> die<strong>se</strong>m Zweck wie<strong>der</strong> habilitieren (<strong>zu</strong>m 5. Male!). Im übrigen erklärte mir<br />

Warburg, man <strong>se</strong>i an <strong>der</strong> Fakultät gänzlich abgeneigt, einen Privatdozenten <strong>zu</strong><strong>zu</strong>las<strong>se</strong>n, <strong>der</strong><br />

nicht in Berlin studiert und promoviert habe. Dies alles <strong>hat</strong> in mir das Gefühl wach gerufen,<br />

ein Privatdozent <strong>se</strong>i mehr geduldet als verlangt!“<br />

Auch wenn, wie man sieht, es zwischen Zehn<strong>der</strong> und Röntgen <strong>zu</strong>weilen<br />

Au<strong>se</strong>inan<strong>der</strong><strong>se</strong>t<strong>zu</strong>ngen gab, blieb Zehn<strong>der</strong> <strong>se</strong>inem Mentor immer freundschaftlich<br />

verbunden. Friedrich Dessauer: „Als im Jahre 1905 im Physikalischen Institut <strong>zu</strong> Würzburg<br />

die Gedenktafel <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> X-Strahlen angebracht wurde, war dies we<strong>se</strong>ntlich<br />

Zehn<strong>der</strong>s Werk“. Er <strong>hat</strong>te dafür gesorgt, dass sich rund 300 Physiker aus <strong>der</strong> ganzen Welt,<br />

darunter Ludwig Boltzmann, Paul Drude, Friedrich Kohlrausch, Hendrik Antoon Lorentz,<br />

Max Planck, Emil Warburg, Wilhelm Wien und Otto Wiener, die<strong>se</strong>r Ehrung anschlos<strong>se</strong>n.<br />

36


Zu die<strong>se</strong>r Zeit war Ludwig Zehn<strong>der</strong> bereits auf Ver<strong>mit</strong>tlung von Emil Warburg dem Ruf als<br />

Physiklehrer und Schulleiter an die Lehranstalt für höhere Postbeamte in Berlin gefolgt.<br />

Eine Stelle, in <strong>der</strong> er auch physikalisch weiter experimentieren konnte. Er blieb dort,<br />

etliche Jahre von <strong>der</strong> Münchner Universität nur beurlaubt, bis <strong>zu</strong>m Beginn des Ersten<br />

Weltkriegs.<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> erfand 1914 die erste metallisch geschützte Röntgenröhre<br />

„1914 endete Zehn<strong>der</strong>s Tätigkeit in <strong>der</strong> Kai<strong>se</strong>rlich<br />

Telegraphischen Versuchsanstalt <strong>zu</strong> Berlin“, liest man in<br />

Dessauers Nachruf. Zehn<strong>der</strong> verließ das Institut im Krach <strong>mit</strong><br />

<strong>se</strong>inem Chef, <strong>der</strong> ihm den Erfolg <strong>se</strong>iner Erfindung <strong>der</strong><br />

Erdantenne, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> man, so Zehn<strong>der</strong>, „bes<strong>se</strong>r drahtlos<br />

telegraphieren könne als <strong>mit</strong> <strong>se</strong>nkrechten Antennen“, bestritt.<br />

„Zehn<strong>der</strong> ging damals nach Zürich <strong>zu</strong>rück und tat Dienst im<br />

Röntgenkabinett des Kantonspitals, und dort kam ihm die Idee,<br />

die großen Gefahren, in denen beson<strong>der</strong>s Ärzte, Physiker,<br />

Techniker, Schwestern durch die zerstreuten <strong>Röntgenstrahlen</strong><br />

im therapeutischen und diagnostischen Betrieb ausge<strong>se</strong>tzt sind,<br />

dadurch <strong>zu</strong> verringern, daß er die Röntgenröhren, statt aus den<br />

strahlendurchlässigen , dünnen Glaswänden, aus kräftigen<br />

Metallwänden baut – und durch die<strong>se</strong> Lösung ist die<br />

Röntgenröhre das geworden, was sie heute ist.“<br />

Zehn<strong>der</strong> drückte es 1935 <strong>mit</strong> die<strong>se</strong>n Worten aus: „Da kam ich<br />

auf den Gedanken, im Kantonsspital eine metallische<br />

Röntgenröhre <strong>zu</strong> bauen, die nur durch ein kleines<br />

Glasfensterchen hindurch <strong>Röntgenstrahlen</strong> austreten las<strong>se</strong>,<br />

aber alle an<strong>der</strong>en <strong>Röntgenstrahlen</strong> in ihrer dicken Metallwand<br />

genügend absorbiere, also unschädlich mache. Die Versuche<br />

gelangen, die Wirkungsfähigkeit meiner metallischen<br />

Röntgenröhre war <strong>se</strong>hr viel größer als die <strong>der</strong> damals<br />

gebräuchlichen Röntgenröhren.“<br />

Zehn<strong>der</strong> war glücklich, gerade im Krieg genügenden Schutz für<br />

die Röntgenärzte und das Sanitätspersonal gefunden <strong>zu</strong> haben.<br />

Er teilte um Weihnachten 1914 <strong>se</strong>ine Erfindung <strong>der</strong> Redaktion<br />

<strong>der</strong> „Elektrotechnischen Zeitschrift“ (ETZ) <strong>mit</strong> – dies <strong>mit</strong> dem<br />

Zusatz, er nehme keinen Patentschutz für <strong>se</strong>ine metallische<br />

Röntgenröhre, son<strong>der</strong>n gebe sie „allen Völkern frei“. Sein Text<br />

<strong>mit</strong> einer kurzen Beschreibung wurde im Februar 1915 in <strong>der</strong> ETZ<br />

gedruckt und machte, so Zehn<strong>der</strong>, „großen Eindruck“: „Ein<br />

Er wollte da<strong>mit</strong> dem durch die<br />

Strahlung gefährdeten<br />

ärztlichen Personal im Krieg<br />

helfen: Ludwig Zehn<strong>der</strong>s Ende<br />

1914 prä<strong>se</strong>ntierte metallische<br />

Röntgenröhre, die dann doch<br />

erst in 20er Jahren durch die<br />

Firma Philips auf den Markt<br />

kam. Abbildung; Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong>: „Roentgens Briefe an<br />

Zehn<strong>der</strong>, Rascher Verlag<br />

Zürich 1935<br />

deutschen Röntgenröhrenfabrikant sandte einen Vertreter nach Zürich, <strong>der</strong> aber erst nach<br />

meiner Abrei<strong>se</strong> dort eintraf. Er erfuhr, daß ich bei Röntgen in München <strong>se</strong>i und fuhr mir<br />

dahin sogleich nach. Bei un<strong>se</strong>rem Mittages<strong>se</strong>n traf er in <strong>der</strong> Röntgenwohnung ein und<br />

wünschte mich <strong>zu</strong> sprechen, um Näheres über meine metallische Röntgenröhre <strong>zu</strong><br />

37


erfahren. Als ich wie<strong>der</strong> <strong>zu</strong>m Mittages<strong>se</strong>n <strong>zu</strong>rückkehrte und auf Röntgens Frage berichtete,<br />

was geschehen war, tadelte er mich <strong>se</strong>hr, daß ich meine Erfindung veröffentlicht habe,<br />

bevor sie fertig ausprobiert <strong>se</strong>i. Ich war <strong>se</strong>hr betrübt darüber.“ Dass Zehn<strong>der</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

schnellen Veröffentlichung nur das <strong>mit</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong> arbeitenden Personal „so bald als<br />

möglich schützen“ wollte, ließ Röntgen nicht gelten.<br />

Zehn<strong>der</strong>: „Mein Verhängnis bei die<strong>se</strong>r Veröffentlichung war überdies, daß ich gemeldet<br />

<strong>hat</strong>te, ich nehme keine Patente auf die<strong>se</strong> Röhren. Dadurch <strong>hat</strong>te meine Röhre für die<br />

Röntgenröhrenfabrikanten das Interes<strong>se</strong> verloren, weil sie ohne Patentschutz keine<br />

eigenen Versuche <strong>mit</strong> metallischen Röntgenröhren machen wollten. Die Fertigung meiner<br />

von <strong>der</strong> Pumpe ablösbaren metallischen Röntgenröhre unterblieb, bis endlich lange Jahre<br />

nach dem Weltkrieg die holländische Philipsge<strong>se</strong>llschaft das Problem aufnahm und unter<br />

Nennung meiner früheren Veröffentlichung ihre Metalixröhre konstruierte und auf den<br />

Marlt brachte. Bekanntlich schlug dann die<strong>se</strong> Metalixröhre in <strong>der</strong> Röntgenpraxis alle<br />

an<strong>der</strong>en Röntgenröhren aus dem Feld.“<br />

Im Jahr 2011, so <strong>der</strong> Beitrag von Frank Patalong von 2015 im „Spiegel“, rekonstruierte <strong>der</strong><br />

nie<strong>der</strong>ländische Radiologe Gerrit Kemerink von <strong>der</strong> Uniklinik Maastricht einen Röntgen-<br />

Aufbau aus dem Jahr 1896: „Sein Team maß die Strahlung beim Röntgen einer Hand - sie<br />

war etwa 1500-mal höher als bei einer vergleichbaren Aufnahme <strong>mit</strong> mo<strong>der</strong>nen Geräten.<br />

Die Strahlenbelas<strong>tun</strong>gen damaliger Körperaufnahmen sollen die von heute um das<br />

Zehntau<strong>se</strong>ndfache überschritten haben.“<br />

Prof. Walter Friedrich – ein Pionier <strong>der</strong> Strahlenforschung<br />

Hier wäre an einen an<strong>der</strong>en Wis<strong>se</strong>nschaftler <strong>zu</strong><br />

erinnern, <strong>der</strong> entscheidende Jahre in <strong>Freiburg</strong><br />

verbracht <strong>hat</strong>: an Prof. Walter Friedrich (1883-1963).<br />

Der Dosimetrie, also <strong>der</strong> Messung von Strahlendosis<br />

und -exposition, kam eine beson<strong>der</strong>e Rolle <strong>zu</strong>, und<br />

Walther Friedrich wurde einer ihrer Pioniere. Er<br />

studierte Musik und Physik in Genf, wech<strong>se</strong>lte dann<br />

nach München, wo er 1911 bei Conrad Röntgen über<br />

das Thema „Räumliche Intensitätsverteilung <strong>der</strong> X-<br />

Strahlen, die von einer Platina-Antikathode<br />

ausgehen“ promovierte. Sechs Jahre arbeitete er<br />

dort noch unter Röntgen und experimentierte am<br />

Institut von Arnold Sommerfeld.<br />

1912 begann er, so <strong>se</strong>in wikipedia-Beitrag, „einer<br />

vom Dozenten Max Laue geäußerten Vermu<strong>tun</strong>g<br />

Prof. Walter Friedrich auf einem Foto aus<br />

dem Jahr 1962. Foto: Bundesarchiv<br />

nach<strong>zu</strong>gehen, wonach die Interferenz von<br />

Bild 183 A0919-0015-0011<br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> an Kristallen experimentell<br />

nachgewie<strong>se</strong>n werden könnte. Da sowohl<br />

Sommerfeld als auch Röntgen dies für unmöglich hielten, forschte Friedrich gemeinsam<br />

<strong>mit</strong> dem Doktoranden Paul Knipping heimlich. Tatsächlich gelang ihm <strong>der</strong> experimentelle<br />

38


Nachweis. Dies war von großer wis<strong>se</strong>nschaftlicher Bedeu<strong>tun</strong>g, da da<strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Wellencharakter <strong>der</strong> Röntgenstrahlung und die Gitterstruktur von Kristallen nachgewie<strong>se</strong>n<br />

wurden. Die Arbeit wurde 1912 veröffentlicht. Max Laue bearbeitete den theoretischen<br />

Teil und erhielt für die <strong>Entdeckung</strong> 1914 den Nobelpreis, wobei er öffentlich auf die<br />

Verdienste Friedrichs und Knippings hinwies und ankündigte, die Geld<strong>zu</strong>wendung <strong>mit</strong> den<br />

beiden <strong>zu</strong> teilen.“<br />

1914 ging Walter Friedrich ging an das Physikalische Laboratorium <strong>der</strong> <strong>Freiburg</strong>er<br />

Universitäts-Frauenklinik. Hier widmete er sich vor allem den Folgen <strong>der</strong> Strahlentherapie,<br />

den Dosisberechnungen und den Bestrahlungstechniken und da<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Krebsforschung.<br />

Die 1918 in <strong>Freiburg</strong> erschienene Monographie von Walter Friedrich und dem Gynäkologen<br />

Bernhard Krönig „Grundlagen <strong>der</strong> Strahlentherapie“ galt Jahrzehnte hindurch als<br />

Standardwerk.<br />

1923 erhielt Walter Friedrich als erster <strong>se</strong>ines Fachs einen Ruf an die Berliner Universität<br />

(heute Humboldt-Universität <strong>zu</strong> Berlin) als Ordinarius für Medizinische Physik und<br />

Strahlenkunde. 1927 wurde er <strong>zu</strong>gleich Leiter des dortigen Instituts für Strahlenforschung<br />

an <strong>der</strong> Charité. Nach zähen Bemühungen Walter Friedrichs konnte im Januar 1929 das<br />

neue mo<strong>der</strong>ne Institut für Strahlenforschung am heutigen Robert-Koch-Platz <strong>se</strong>inen<br />

Betrieb aufnehmen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Institut zerstört und an die<strong>se</strong>m Platz<br />

nicht wie<strong>der</strong> neu errichtet.<br />

1947 nahm Walter Friedrich ein Angebot aus dem damaligen Ost-Berlin als Ordinarius für<br />

Strahlenforschung und Strahlentherapie an <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät <strong>der</strong> Berliner<br />

Universität aus. Die<strong>se</strong>s medizinisch-biologische Institut baute Friedrich <strong>zu</strong> einem Zentrum<br />

für die Krebsforschung, Pharmakologie und Zellphysiologie aus. Er wurde im Jahr 1959<br />

emeritiert.<br />

Dass <strong>zu</strong> intensives Bestrahlen nicht nur <strong>zu</strong><br />

Verbrennungen <strong>der</strong> Haut führen, son<strong>der</strong>n<br />

auch – bei Röntgenaufnahmen des Kopfes –<br />

<strong>zu</strong> Haarverlust, war schon 1896 bekannt.<br />

Otto Glas<strong>se</strong>r berichtet von einer<br />

spektakulären Kon<strong>se</strong>quenz die<strong>se</strong>r<br />

<strong>Entdeckung</strong>: „Ein unternehmungslustiger<br />

Franzo<strong>se</strong> namens Gaudoin in Dijon glaubte,<br />

daß die X-Strahlen die Wurzeln <strong>der</strong> Haare<br />

vollständig zerstören und den Patienten für<br />

<strong>se</strong>in Leben lang kahl machen können. Er<br />

eilte sofort nach Paris, um <strong>se</strong>in Vermögen<br />

<strong>mit</strong> die<strong>se</strong>r <strong>Entdeckung</strong> <strong>zu</strong> machen. Er wußte,<br />

daß es viele Frauen gibt, die durch einen<br />

Schnurrbart verunziert sind, und beschloß<br />

daher, die <strong>Röntgenstrahlen</strong> als ein<br />

Enthaarungs<strong>mit</strong>tel <strong>zu</strong> benutzen. Nachdem er<br />

auf diskrete Wei<strong>se</strong> <strong>se</strong>ine Absicht bekannt<br />

Ein erstes Spottgedicht auf Röntgens „X-Strahlen“,<br />

<strong>zu</strong> <strong>se</strong>hen in <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ vom 28.<br />

Februar 1896.<br />

39


gemacht <strong>hat</strong>te, dauerte es nicht lange, bis er eine Reihe schöner Kundinnen <strong>hat</strong>te. Sie<br />

eilten <strong>zu</strong> <strong>se</strong>inem Laboratorium, warteten geduldig, bis sie an die Reihe kamen, und zahlten<br />

ihm gern das verlangte Honorar für die Behandlung <strong>mit</strong> den unsichtbaren Strahlen.“<br />

Allerdings verschwand <strong>der</strong> Damenbart nach <strong>der</strong> Behandlung nicht – dafür aber Monsieur<br />

Gaudoin, als eine junge Dame von ihm das Geld <strong>zu</strong>rückverlangte und an<strong>der</strong>e aufgebrachte<br />

Frauen ihr folgten.<br />

So <strong>hat</strong>te die <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> neben ihren<br />

schrecklichen Folgen auch ihre<br />

unterhaltsame und heitere<br />

Seite. Und das ging recht<br />

schnell. Denn bereits am 28.<br />

Februar 1896, also gerade mal<br />

knapp zwei Monate nach<br />

Bekanntwerden <strong>der</strong><br />

<strong>Entdeckung</strong>, fanden die Le<strong>se</strong>r<br />

<strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ in<br />

ihrem Blatt die Nachricht, dass<br />

im fernen Königsberg in<br />

Ostpreußen <strong>der</strong> dortige<br />

Regis<strong>se</strong>ur des Stadttheaters die<br />

erste Dramatisierung <strong>der</strong><br />

Röntgen-Geschichte vollbracht<br />

<strong>hat</strong>: einen Einakter <strong>mit</strong> dem<br />

Titel „X-Strahlen“.<br />

Nicht nur in den USA und<br />

Frankreich gehörten Röntgen-<br />

Kabinetts <strong>se</strong>hr bald <strong>zu</strong> den<br />

Vergnügungen vor allem <strong>der</strong> Am 6. April 1896 veröffentlichte die US-Zeitschrift „Life“ die<strong>se</strong><br />

bürgerlichen Klas<strong>se</strong>. Doch da<br />

Ge<strong>se</strong>llschaftsszene <strong>mit</strong> gewöhnlicher Fotografie und <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

„neuen Photographie“. Abbildung: Otto Glas<strong>se</strong>r „Wilhelm<br />

war – man kann sagen:<br />

Conrad Röntgen und die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong>“.<br />

glücklicherwei<strong>se</strong> – Betrug im<br />

Spiel. So wurde am Montmartre in Paris <strong>der</strong> Apprat „Le Cabaret du Néant“ prä<strong>se</strong>ntiert, <strong>der</strong><br />

danach laut Glas<strong>se</strong>r „nach allen Jahrmärkten <strong>der</strong> Welt wan<strong>der</strong>te“. Das funktionierte so:<br />

„Auf einer Bühne in einem schwarz ausgeschlagenen Raum steht aufrecht ein Sarg, in den<br />

<strong>der</strong> Impresario eine Person aus dem Publikum auf hölzerne Klötze stellt, bis ihr Kopf am<br />

Sarg anstößt. Zwei Reihen von Lampen beleuchten ihren Körper, <strong>der</strong> nunmehr in ein<br />

weißes Tuch gehüllt wird. Während nun die Zuschauer das Geschehen aufmerksam<br />

beobachten, verschwindet die Person langsam, und an ihre Stelle tritt ein Skelett. Danach<br />

verschwindet das Skelett langsam und verwandelt sich in die weiß eingehüllte Person.“<br />

Die<strong>se</strong> Illusion wurde durch geän<strong>der</strong>te Beleuch<strong>tun</strong>g <strong>mit</strong> Hilfe eines halbdurchlässigen<br />

Spiegels erzielt.<br />

40


Im Bur<strong>se</strong>ngang an <strong>der</strong> Ecke Kai<strong>se</strong>rstraße und Bertoldstraße gab es <strong>se</strong>it 1896 eine „Automaten-Halle“ <strong>mit</strong><br />

etlichen Automaten <strong>zu</strong>m Sehen, Hören, Riechen und an<strong>der</strong>en Angeboten – und im Juli 1897 auch den „Prof.<br />

Röntgen’s X-Strahlen Automat“.<br />

Abbildung: wie alle Anzeigen aus <strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“,<br />

Universitätsbibliothek <strong>Freiburg</strong><br />

Es gab noch an<strong>der</strong>e<br />

Apparate, die ebenfalls auf<br />

Täuschung beruhten. Welche<br />

Geräte nun im Bur<strong>se</strong>ngang in<br />

<strong>Freiburg</strong> verwandt wurden,<br />

ist nicht bekannt. We<strong>der</strong> die<br />

Anzeige vom 23. Juli 1897 in<br />

<strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“<br />

noch die am <strong>se</strong>lben Tag<br />

erschienene redaktionelle<br />

Notiz geben hier Aufschluss.<br />

Ein Röntgen-Automat in einer Vergnügungshalle – was da nun<br />

tatsächlich ablief, verrät die redaktionelle Notiz vom 23. Juli 1897 in<br />

<strong>der</strong> „<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g“ nur andeu<strong>tun</strong>gswei<strong>se</strong>. Immerhin war die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Röntgenröhren in jenen Monaten rasant.<br />

Der Hinweis „Prof. Röntgen’s X-Strahlen Automat“ war sicher keck gewählt, aber kein<br />

Vergehen, denn Conrad Röntgen <strong>hat</strong>te, wie damals bei Erfindungen deutscher<br />

Wis<strong>se</strong>nschaftler üblich, kein Patent auf <strong>se</strong>ine <strong>Entdeckung</strong> angemeldet.<br />

Die „Automaten-Halle“ im<br />

Bur<strong>se</strong>ngang war im Februar 1896<br />

eröffnet worden und bot<br />

Attraktionen verschiedener Art. So<br />

vor allem Apparate, die auf<br />

Erfindungen von Thomas Edison<br />

<strong>zu</strong>rückgingen wie den<br />

Phonographen, <strong>der</strong> das Hören von<br />

Kai<strong>se</strong>rreden erlaubte, o<strong>der</strong> das<br />

Kinetoscope, eine Vorform des<br />

Films. Aber es gab auch einen<br />

Automaten, <strong>der</strong> auf Knopfdruck<br />

Parfüm verspritzte. Dass <strong>der</strong><br />

Röntgen-Apparat im Bur<strong>se</strong>ngang<br />

ebenfalls auf Edisons Version<br />

<strong>zu</strong>rückging, kann man nur vermuten.<br />

In den 1920er Jahren kam auch in <strong>Freiburg</strong> die Mode auf,<br />

beim Kauf von Schuhen <strong>zu</strong>erst die Füße <strong>der</strong> Kundinnen und<br />

Kunden <strong>zu</strong> röntgen. Anzeige <strong>der</strong> Schuhhau<strong>se</strong>s Otto Hacken<br />

am 23. Oktober 1928,<br />

41


Doch <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> Ludwig Zehn<strong>der</strong> und <strong>se</strong>iner Freundschaft <strong>mit</strong> Conrad Röntgen. Wie schon<br />

erwähnt, kehrte Zehn<strong>der</strong> nach Kriegsbeginn 1914 von Berlin nach Zürich <strong>zu</strong>rück. Friedrich<br />

Dessauer in <strong>se</strong>inem Nachruf: „1919 nahm er in Ba<strong>se</strong>l als Privatdozent und<br />

außerordentlicher Professor <strong>se</strong>ine Lehrtätigkeit wie<strong>der</strong> auf und betätigte sich eifrig an <strong>der</strong><br />

Volkshochschule. Er wirkte bis ins hohe Alter, und die Basler sahen auch den 90jährigen<br />

noch Woche für Woche in körperlicher und geistiger Frische von Oberhofen am Thuner<strong>se</strong>e<br />

nach Ba<strong>se</strong>l in die Physikalische Anstalt <strong>der</strong> Universität kommen, um dort eine zweistündige<br />

Vorlesung <strong>zu</strong> halten.“<br />

Conrad Röntgen und Ludwig Zehn<strong>der</strong> trafen sich <strong>zu</strong>m letzten Mal im Oktober 1922 in München. Da <strong>hat</strong>te<br />

Röntgen <strong>se</strong>ine Lehrtätigkeit schon zwei Jahre aufgegeben und wurde sichtlich schwächer. Seine letzte<br />

Korrespondenz <strong>mit</strong> Zehn<strong>der</strong> war die<strong>se</strong> Postkarte vom 12. Dezember 1922. Postkarten unterschrieb<br />

Röntgen damals schon lange nicht mehr <strong>mit</strong> <strong>se</strong>inem vollen Namen – er <strong>hat</strong>te Angst, dass sie unterwegs in<br />

an<strong>der</strong>e Hände geraten.<br />

Abbildung: Ludwig Zehn<strong>der</strong>, „Röntgens Briefe an Zehn<strong>der</strong>“,<br />

Rascher Verlag Zürich 1935<br />

Ludwig Zehn<strong>der</strong> <strong>hat</strong>te, obwohl Schweizer, im Ersten Weltkrieg deutsche Kriegsanleihen<br />

gezeichnet. In <strong>der</strong> 1921 beginnenden und sich stetig verstärkenden Inflation verlor er<br />

deshalb einen guten Teil <strong>se</strong>ines Vermögens – Conrad Röntgen dagegen war 1923 ruiniert,<br />

denn nicht nur die Kriegsanleihen waren nichts mehr wert, son<strong>der</strong>n auch <strong>se</strong>in restliches<br />

Vermögen löste sich auf. Und doch schickte er Ludwig Zehn<strong>der</strong> und des<strong>se</strong>n Frau Ende 1922<br />

auf einer Postkarte (siehe oben) „herzliche Grüße und meine besten Wünsche“ für<br />

Weihnachten und Neujahr, <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Hoffnung auf ein weiteres Treffen im Jahr 1923. Da<strong>zu</strong><br />

kam es nicht mehr. Röntgen erlag <strong>se</strong>iner Darmkrebs-Erkrankung am 10. Februar 1923. Er<br />

wurde 77 Jahre alt.<br />

42


Ludwig Zehn<strong>der</strong> starb am 24. März 1949 im Alter von 94 Jahren. Wer im Internet nach<br />

einem Nachruf auf Ludwig Zehn<strong>der</strong> sucht, stößt unweigerlich auf den Text von Friedrich<br />

Dessauer (1881-1963), den die<strong>se</strong>r 1949 für die Naturforschende Ge<strong>se</strong>llschaft <strong>der</strong> Schweiz<br />

schrieb. Man sollte Dessauer hier noch ein paar Sätze widmen – für <strong>se</strong>inen sympathischen<br />

Text über Zehn<strong>der</strong> (https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=sng-<br />

005:1949:129::422#422), aber auch für <strong>se</strong>ine Rolle als späten Pionier <strong>der</strong><br />

Strahlenforschung.<br />

Als führen<strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong> Strahlendiagnostik<br />

besitzt Friedrich Dessauer bis heute großes<br />

An<strong>se</strong>hen in <strong>der</strong> Fachwelt, auch weil er sich bei<br />

biophysikalischen Versuchen <strong>se</strong>lbst nicht schonte.<br />

Er studierte von 1899 an in München unter Conrad<br />

Röntgen Physik und Elektrotechnik, <strong>se</strong>ine erste<br />

Publikation 1903 befasste sich <strong>mit</strong> den Wirkungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong>. Bei Röntgenversuchen erlitt<br />

er schwere Verbrennungen und musste mehrfach<br />

im Gesicht operiert werden. 1914 wech<strong>se</strong>lte er an<br />

die Universität Frankfurt, wo er dann 1921 Leiter<br />

des neu gegründeten Instituts für physikalische<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Medizin wurde.<br />

Doch Dessauer war nicht nur Biophysiker, er<br />

engagierte sich auch in <strong>der</strong> katholischen Kirche wie<br />

in <strong>der</strong> Politik. In Frankfurt am Main war er<br />

führen<strong>der</strong> Vertreter des politischen Katholizismus,<br />

gründete eine ange<strong>se</strong>hene Tageszei<strong>tun</strong>g und wirkte<br />

von 1924 bis 1933 als linker Zentrumsabgeordneter<br />

im Reichstag für eine Sozialpolitik des „gerechten<br />

Prof. Friedrich Dessauer, <strong>se</strong>lbst Physiker<br />

und ein Opfer <strong>se</strong>iner Versuche <strong>mit</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong>, verfasste 1949 einen<br />

anrührenden Nachruf auf Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong>, des<strong>se</strong>n Erfolge und Scheitern.<br />

Foto: raciociniocristao.com.br<br />

Ausgleichs“. Er bekannte sich <strong>zu</strong>m Pazifismus und trat auch dem republikanischen<br />

Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold bei.<br />

Die Nationalsozialisten nahmen ihn im Sommer 1933 für fast ein halbes Jahr in<br />

„Schutzhaft“ und klagten ihn als Mitglied des Katholischen Volksvereins wegen<br />

„Heimtücke“ an. Dessauer wurde freigesprochen, verlor aber dann als Enkel eines<br />

jüdischen Großvaters <strong>se</strong>ine Stellung als Professor und emigrierte in die Türkei, wo er an<br />

<strong>der</strong> Universität Istanbul ein Radiologisches Institut aufbaute. 1937 wech<strong>se</strong>lte er in die<br />

Schweiz und lehrte ab 1938 am Physikalischen (bzw. Biophysikalisch-radiologischen)<br />

Institut <strong>Freiburg</strong> im Uechtland.<br />

1948 kehrte er aus dem Exil <strong>zu</strong>rück und hielt, immer mehr an philosophischen und<br />

theologischen Fragen interessiert, vor allem wis<strong>se</strong>nschaftsphilosophische Vorträge an <strong>der</strong><br />

Universität Frankfurt am Main, wohin er 1950 auf <strong>se</strong>inen ursprünglichen Lehrstuhl<br />

<strong>zu</strong>rückberufen worden war. Friedrich Dessauer starb am 16. Februar 1963 in Frankfurt am<br />

Main an den Spätfolgen <strong>se</strong>iner Strahlenschäden.<br />

43


Bis <strong>zu</strong>r völligen Erschöpfung arbeitete<br />

Ludwig Zehner an <strong>se</strong>inem Buch<br />

„Grundriss <strong>der</strong> Physik“, das 1907<br />

herauskam. Hier hielt er sich <strong>mit</strong><br />

weltanschaulichen Hypothe<strong>se</strong>n<br />

<strong>zu</strong>rück.<br />

Mit Verständnis ging er in <strong>se</strong>inem Nachruf auf Ludwig<br />

Zehn<strong>der</strong> auch auf des<strong>se</strong>n Streben nach höherer<br />

Erkenntnis ein: „Er konnte nicht ein<strong>se</strong>hen, daß das<br />

spekulative Denken, das Selbstkonstruieren eines<br />

Weltbildes <strong>mit</strong> möglichst einfachen Voraus<strong>se</strong>t<strong>zu</strong>ngen an<br />

sich noch kein Wahrheitskriterium enthält. Er war, wie<br />

ein Descartes, tief davon überzeugt, daß dasjenige, was<br />

ihm anschaulich, rational, einleuchtend, evident vorkam,<br />

auch wahr <strong>se</strong>in müs<strong>se</strong>; fremdartige Gedanken, wie<br />

Relativitätstheorie, Elektronentheorie und<br />

Quantenphysik, hielt er für Irrwege, weil man sich dabei<br />

nichts anschaulich vorstellen könne. … Über <strong>se</strong>inen<br />

Standpunkt, daß nur die klassische Physik imstande <strong>se</strong>i,<br />

<strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung unbedingter Vorstellbarkeit und<br />

Kausalität <strong>zu</strong> genügen, die doch je<strong>der</strong> Physiker, je<strong>der</strong><br />

Naturforscher erstreben sollte (wie er wörtlich schreibt),<br />

ist die Forschung hinweggegangen.“<br />

Ist die Forschung hinweggegangen. Im weltanschaulich<br />

Großen also ist Ludwig Zehn<strong>der</strong> gescheitert, doch als<br />

experimenteller Physiker und als Freund von Conrad<br />

Röntgen <strong>hat</strong> er so viel vollbracht, dass man in <strong>Freiburg</strong> ruhig stolz auf ihn <strong>se</strong>in kann – und<br />

das auch zeigen sollte.<br />

Quellen:<br />

<strong>Freiburg</strong>er Zei<strong>tun</strong>g, digitalisiert von Universitätsbibliothek <strong>Freiburg</strong><br />

Boveri Margret: Persönliches über W. C. Röntgen. In: Otto Glas<strong>se</strong>r: Wilhelm Conrad Röntgen und die<br />

Geschichte <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong>. Berlin/Göttingen/Heidelberg 1931<br />

Boveri Margret: Amerika-Fibel für erwach<strong>se</strong>ne Deutsche. Badischer Verlag <strong>Freiburg</strong> 1946<br />

Boveri Margret; Der Verrat im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t. 4 Bde. Rowohl Enzyklopädie Hamburg 1956–1960<br />

Boveri Margret: Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzei<strong>tun</strong>g unter Hitler. Walter Olten 1965.<br />

Boveri Margret: Verzweigungen. Eine Autobiographie, Hg. Uwe Johnson. Piper München 1977<br />

Dessauer Friedrich: Leitfaden des Roentgenverfahrens. 1903; 6. Auflage 1924<br />

Dessauer Friedrich: Zur Therapie des Karzinoms <strong>mit</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong>. Vorlesungen über die physikalischen<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Tiefentherapie. Verlag Theodor Steinkopff, Dresden/ Leipzig 1922.<br />

Dessauer Friedrich: Wilhelm C. Röntgen. Die Offenbarung einer Nacht. Walter, Olten 1945<br />

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Dessauer Friedrich: Nachruf auf Ludwig Zehn<strong>der</strong>, veröffentlicht in den „Verhandlungen <strong>der</strong> schweizerischen<br />

Naturforschenden Ge<strong>se</strong>llschaft, 1949, S. 414<br />

Fagundes, Maria Beatriz: Der Epistemologische Vektor am Beispiel <strong>der</strong> Lichtausbrei<strong>tun</strong>g im Mach-Zehn<strong>der</strong>-<br />

Interferometer, Dis<strong>se</strong>rtation Freie Universität Berlin, 2005<br />

Friedrich Walter: Physikalische und biologische Grundlagen <strong>der</strong> Strahlentherapie. München 1918<br />

Friedrich Walter: Die Interferenz <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong>. Leipzig 1923 (als Mitautor)<br />

Glas<strong>se</strong>r Otto: Wilhelm Conrad Röntgen und die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong>, 3. Erweiterte Auflage,<br />

Springer-Verlag Berlin/Heidelberg 1995<br />

Kant, Horst: Die Ära <strong>der</strong> <strong>Röntgenstrahlen</strong>, Spektrum <strong>der</strong> Wis<strong>se</strong>nschaften, Magazin, spektrum.de, September<br />

1995<br />

Kempke Ernst: Der Porträt- und Gruppenphotograph beim Setzen und Beleuchten, in: Enzyklopädie <strong>der</strong><br />

Photographie, Band 55,1906<br />

Röntgen Wilhelm Conrad: Ueber eine neue Art von Strahlen. (Vorläufige Mittheilung.) In: Aus den<br />

Sit<strong>zu</strong>ngsberichten <strong>der</strong> Würzburger Physik.-medic. Ge<strong>se</strong>llschaft Würzburg. Verlag <strong>der</strong> Stahel’schen k. Hof- u.<br />

Universitäts-Buch- u. Kunsthandlung, Würzburg (Dezember) 1895, S. 137–147<br />

Röntgen Wilhelm Conrad: Ueber eine neue Art von Strahlen. (Fort<strong>se</strong>t<strong>zu</strong>ng.) In: Aus den Sit<strong>zu</strong>ngsberichten <strong>der</strong><br />

Würzburger Physik.-medic. Ge<strong>se</strong>llschaft Würzburg. (März) 1896, S. 11–17; auch im Son<strong>der</strong>druck: Eine neue<br />

Art von Strahlen. II. Mittheilung. ebenda Ende 1895<br />

Röntgen Wilhelm Conrad: Weitere Beobach<strong>tun</strong>gen über die Eigenschaften <strong>der</strong> X-Strahlen. In: Mathematische<br />

und Naturwis<strong>se</strong>nschaftliche Mitteilungen aus den Sit<strong>zu</strong>ngsberichten <strong>der</strong> Königlich Preußischen Akademie <strong>der</strong><br />

Wis<strong>se</strong>nschaften <strong>zu</strong> Berlin. Physikalisch-Mathematische Klas<strong>se</strong>, S. 392–406, 1897<br />

Röntgen Wilhelm Conrad: Über die Elektrizitätslei<strong>tun</strong>g in einigen Kristallen und über den Einfluss <strong>der</strong><br />

Bestrahlung darauf. In: Annalen <strong>der</strong> Physik, 4. Folge, Band 41, S. 449–498, 1913 – <strong>mit</strong> Abram Fjodorowitsch<br />

Ioffe<br />

Ro<strong>se</strong>nbusch Gerd/ De Knecht-van Eekelen Annemarie: Wilhelm Conrad Röntgen – The Birth of Radiology,<br />

Springer Biographies 2019<br />

Sehrwald Ernst: Das Verhalten <strong>der</strong> Halogene gegen <strong>Röntgenstrahlen</strong> – Dermatitis nach Durchleuch<strong>tun</strong>g <strong>mit</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong>“, veröffentlicht am 8. Oktober 1896 in <strong>der</strong> „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“.<br />

Zehn<strong>der</strong> Ludwig: Ein neuer Interferenzrefraktor; In: Zeitschrift für Instrumentenkunde; 11, S. 275–285,<br />

August 1891<br />

Zehn<strong>der</strong> Ludwig: Grundriss <strong>der</strong> Physik; Verlag Laupp Tübingen, 1907<br />

Zehn<strong>der</strong> Ludwig: Die Entwicklung des Weltalls aus mechanischen Grundlagen, Verlag Laupp Tübingen, 1928<br />

Zehn<strong>der</strong> Ludwig: Röntgen, Wilhelm Conrad : Professor <strong>der</strong> Physik 1845–1923; Würzburg, 1930<br />

Zehn<strong>der</strong> Ludwig: Der Äther im Lichte <strong>der</strong> klassischen Zeit und <strong>der</strong> Neuzeit; Verlag Laupp Tübingen, 1933<br />

Zehn<strong>der</strong> Ludwig: Röntgens Briefe an Zahn<strong>der</strong> <strong>mit</strong> den Beiträgen Geschichte <strong>se</strong>iner Entwicklung <strong>der</strong><br />

<strong>Röntgenstrahlen</strong> und Röntgens Einstellung <strong>zu</strong>r Renaissance <strong>der</strong> klassischen Physik von Ludwig Zehn<strong>der</strong>.<br />

Rascher & Cie. AG, Zürich/ Leipzig/ Stuttgart 1935<br />

Zehn<strong>der</strong> Ludwig: Eine neue unsichtbare Strahlung; Ba<strong>se</strong>l, 1937<br />

Zehn<strong>der</strong> Ludwig: Die tiefsten Grundlagen <strong>der</strong> Physik und Chemie: aus Universitätsvorlesungen, 1935–38;<br />

Rascher & Cie. AG Zürich, 1938<br />

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