LiUDGER
Das Magazin für Mitarbeitende im Bistum Münster
MAI 2020
ERFAHRUNGSBERICHT
Nur Mut!
Kolleginnen und Kollegen lassen sich auf das
Abenteuer Wüstenexerzitien ein
MUT GEFASST
ZEIT FÜR MUT
ERMUTIGEND
Birgit Klöckner trifft
eine Lebensentscheidung
Maria Bubenitschek stellt
sich Herausforderungen
Berufskolleg ist Schule
mit Courage
Inhalt und Vorwort
INHALT
EDITORIAL
NUR MUT!
AB SEITE 6
„Es braucht Mut, dem Ruf Gottes zu folgen“
Birgit Klöckner und ihre Lebensentscheidung
AUS DEN REGIONEN
Ist es ein Vogel? Ist es ein Ufo? 4
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
IMPRESSUM
12. Ausgabe
HERAUSGEBER
Bischöfliches Generalvikariat
Domplatz 27, 48143 Münster
VERANTWORTLICHE REDAKTEURIN
Anke Lucht
REDAKTIONSTEAM
Mathias Albracht (MA), Christian Breuer (CB),
Julia Geppert (JG), Ludger Heuer (LH),
Michaela Kiepe (MEK), Stephan Kronenburg (SK),
Ann-Christin Ladermann (ACL), Anke Lucht (AL),
Tina Moorkamp (TIM), Gudrun Niewöhner (GN)
GESTALTUNG
goldmarie design, Münster
DRUCK
Druckerei Joh. Burlage, Münster, www.burlage.de
FOTOS
Bischöfliche Pressestelle, pixabay.com, unsplash.com,
Privat, Andreas Lee
KONTAKT
liudger@bistum-muenster.de
www.liudger-magazin.de
PORTRAIT
Es braucht Mut, dem Ruf Gottes zu folgen 6
TRAU DICH, LUI
Mut zur Heiterkeit 10
ZU MEINER FREUDE
Es ist Frühling 11
ERFAHRUNGSBERICHT
Ich wurde reich beschenkt 12
MUT IM ALLTAG
Beispiele aus dem Bistum 16
DAFÜR / DAGEGEN
Home-Office 20
NACHGEFRAGT
Wo ist Ihr Mut als Christin
oder Christ gefragt? 22
INTERVIEW
Zeit, mutig zu sein 26
„Nur Mut!“ ist unsere aktuelle Ausgabe des Liudger überschrieben.
Ein wenig Mut erfordert es in gewisser Hinsicht in dieser corona-infizierten Zeit auch, ein Mitarbeitendenmagazin
zu gestalten. Denn bewusst widmen wir uns nicht nur dem Thema, das derzeit alle umtreibt –
Corona – , sondern setzen auch andere Akzente.
Dabei hat Corona durchaus mit Mut zu tun. Als Mitarbeitende des Bistums Münster haben wir das in
jüngster Zeit individuell erlebt: Mitarbeitende haben kreative, spannende Seelsorgeformate entwickelt,
die für den normalen Alltag womöglich zu mutig gewesen wären. Mitarbeitende haben Mut gefasst und
sich zwar anders, aber eben konsequent weiter den Menschen, für die sie Tag für Tag da sind – seien
es Kranke, Kinder, Alte, Hilfsbedürftige – liebevoll zugewandt. Mitarbeitende haben neue Arbeits-,
Besprechungs- und Abstimmungsmethoden und -techniken ausprobiert, zu denen vielleicht vorher neben
dem technischen Know-how auch der Mut gefehlt hat.
Dieser Mut hat uns die vergangenen Wochen meistern lassen, auch und gerade als Dienstgemeinschaft,
als Kolleginnen und Kollegen.
Ich wünsche Ihnen, dass die in dieser Ausgabe des Liudger zu lesenden Geschichten über Mut im Alltag
und darüber hinaus Sie unterhalten, aber Ihnen eben auch ein bisschen Mut machen für die kommende
Zeit. Und vor allem: dass Sie und Ihre Lieben gesund bleiben!
Anke Lucht
NACHGEFRAGT
Schule mit Courage 30
Das verwendete Papier ist aus
100 % Altpapier hergestellt.
LESETIPPS
Bücher zum Thema Mut 32
Sie haben Fragen, Anregungen oder Kritik? Senden Sie uns eine E-Mail an liudger@bistum-muenster.de.
Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen. Weitere Infos finden Sie unter www.liudger-magazin.de
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Aus den Regionen
IST ES EIN VOGEL?
IST ES EIN UFO?
Nein, es ist SpaceX
NIEDERRHEIN
Die ersten etwas wärmeren Frühlingsabende
lockten am Niederrhein viele Leute in die Gärten
oder auf die Balkone. Bei einem Kaltgetränk und
Gegrilltem ließen sie den Blick über den sternenklaren
Himmel gleiten. Bis plötzlich ein schwacher
Lichtpunkt am Horizont auftauchte. Und wenige
Sekunden später noch einer. Und noch einer.
Und noch einer. Wie an einer Perlenschnur zogen
sie quer über den Nachthimmel, bis zu 60 Punkte
sollen es gewesen sein. Sofort schossen die
Spekulationen ins Kraut. War da ein geheimes
Flugmanöver in Gang? Oder stand eine Invasion
der Außerirdischen bevor?
In einer Facebook-Gruppe kam die Entwarnung.
Bei den Punkten handelte es sich um Starlink-
Satelliten auf ihrer Umlaufbahn, die von Elon
Musks Unternehmen „SpaceX“ in den Orbit
geschossen wurden, um irgendwann weltweiten
Internetempfang zu ermöglichen.
(CB)
RECKLINGHAUSEN
Vielerorts gibt es hilfsbereite Menschen. So wie
die Aktiven der „Anti-Rost-Initiativen“ beispielsweise
in Haltern, Herten oder Recklinghausen.
Es sind Senioren, die handwerklich geschickt sind
und anderen Senioren bei kleinen Reparaturen
helfen. Sie schrauben Toilettendeckel an, wechseln
flackernde Glühbirnen aus, machen klemmende
Schranktüren wieder gängig oder kümmern sich
um den tropfenden Wasserhahn. Alles ehrenamtlich,
alles mit viel Enthusiasmus und Herz. Sie
kommen für Kleinstreparaturen, wenn es sich nicht
lohnt, einen Handwerker zu rufen. Für die Hilfe sind
die Senioren dann auch gern bereit, eine Servicegebühr
von fünf Euro zu zahlen.
Doch nicht immer ist es leicht, zu entscheiden,
wer wirklich Hilfe braucht. Denn die richtet sich
vornehmlich an Menschen, die sich keinen Handwerker
leisten können oder niemanden finden,
der sich um die Kleinigkeiten kümmert.
Das mussten die Anti-Rostler in Recklinghausen
erfahren. Als ein Ehrenamtlicher zu einem Einsatz
kam, war er nicht gerade begeistert. Eine Frau hatte
ihn gerufen, weil sie den Wasserhahn an der Hauswand
nicht aufbekam. Der Grund: Der Gärtner
hatte ihn zu fest zugedreht …
(MEK)
STEINFURT
Kaum jemand konnte sich noch vor kurzem
diese Situation vorstellen: Kindertageseinrichtungen
und Schulen außerhalb der Ferien
geschlossen, Geschäfte verkaufen nur im Lieferdienst,
Kontaktverbot für alle, Home-Office für
viele, Toilettenpapier für niemanden, keine
öffentlichen Gottesdienste … Stillstand.
Zumindest weitestgehend. Und dann die allabendlichen
Sondersendungen und Talkshows
zum Corona-Ausnahmezustand … Brauchen wir
weitere Verbote? Wie sehr wird die Wirtschaft
unter der Krise leiden? Wie kann jeder sich
und die anderen schützen?
Die Kombination aus all dem bringt selbst
gelassene Gemüter irgendwann aus der Ruhe.
Wenn einen nicht der Toilettenpapierbestand
umtreibt, so zumindest die Anschaffung von angeratenen
Einweghandschuhen und Mundschutz.
Einweghandschuhe? Als der Vorrat verbraucht
ist und in den Drogeriemärkten so schnell kein
Nachschub ankommt, bringt die nette Kollegin
ohne zu zögern ein 100-er-Paket aus ihrem
Vorrat von zu Hause mit.
Mundschutz? Die medizinischen Masken
müssen ohne Zweifel dem Personal in den
Krankenhäusern und Pflegeheimen vorbehalten
sein. Da klingelt es nachmittags an der Tür. Die
Nachbarin von gegenüber, gelernte Schneiderin.
Auf zwei Meter Abstand streckt sie am langen
Arm zwei waschbare Masken entgegen. Danke!
Kaum jemand konnte sich noch vor kurzem
den Corona-Ausnahmezustand vorstellen. Und
vielleicht konnte sich auch kaum jemand so viel
Solidarität und Mitmenschlichkeit vorstellen …
(GN)
MÜNSTER
Veränderungen im Leben halten uns auf Trab,
und – wie das so ist – wenn das Leben in den
nächsten Gang schaltet, ruckelt es ordentlich.
Das ist nicht immer einfach. Umso besser, wenn
man im Falle eines besonders heftigen Schlaglochs
Freunde und Familie hat, die nicht nur zuhören und
trösten, sondern praktisch helfen. Wenn sie da sind,
ohne dass man viel sagen muss, weil einem am
Telefon die Worte fehlen, und auch keine Erklärungen
möchten oder Patentlösungen anbieten, sondern
einen einfach nur in den Arm nehmen. Wenn sie
helfen, die halbleere Wohnung mit einem Fernseher
auszustatten, den sie nicht mehr benötigen, und die
Antwort auf die Frage, wieviel Geld sie dafür haben
möchten, lediglich ist: „Nichts. Du hilfst uns auch so
viel. Behalt ihn, solange du ihn brauchst.“ Oder wenn
zwei Stühle nebst einer gefüllten Brötchentüte vor
der Wohnungstür stehen, dazu ein Hinweiszettel:
„Die leihe ich dir. Du kannst nicht nur auf dem Sofa
sitzen, vor allem nicht zum Frühstücken.“ Oder wenn
das Handy piepst und folgende Nachricht eintrudelt:
„Komm rüber, wann immer du möchtest. Die Tür ist
immer offen und ein Kaffee immer vorrätig.“
Mit einer solchen Unterstützung ist das Schalten
in den nächsten Gang zwar immer noch ruckelig,
aber Freunde füllen die tiefen Schlaglöcher ungefragt
und wie selbstverständlich soweit aus, dass
man sie zwar noch spürt, aber sie einen nicht mehr
aus der Bahn werfen oder vom Weg abbringen
können. Dafür ein großes Dankeschön. Von
ganzem Herzen.
(JG)
4
5
Portrait
„ES BRAUCHT
MUT, DEM
RUF GOTTES
ZU FOLGEN“
BIRGIT KLÖCKNER ERZÄHLT VON IHRER
LEBENSENTSCHEIDUNG, EINE NEUE
GEISTLICHE GEMEINSCHAFT ZU VERLASSEN
Von Birgit Klöckner, aufgezeichnet von Anke Lucht
Nur Mut: Kann ich zu diesem Thema etwas beitragen?
An und für sich bin ich ein eher ängstlicher
Mensch, und es braucht nicht viel, damit ich Herzklopfen
bekomme. Wenn derzeit tagtäglich vom
Coronavirus berichtet wird und im Fernsehen
Bilder von leeren Regalen und Hamsterkäufen
übertragen werden, dann ertappe ich
mich dabei, beim nächsten Einkauf
sicherheitshalber ein paar
Konserven in meinen
Einkaufskorb zu legen.
Ja, wie ist das mit
meinem Mut und
meinen Ängsten?
An erster Stelle kommt mir in den Sinn: Mutlosigkeit,
Ängste und Sorgen, das sind nicht allein
Probleme unserer Zeit. Die Bibel wird jedenfalls
nicht müde zu ermutigen: Fürchtet Euch nicht!
Habt Mut!
Aber was bedeutet es überhaupt, Mut zu haben?
Der Duden umschreibt es als Fähigkeit, Angst
zu überwinden, und als Bereitschaft, angesichts zu
erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für
richtig hält. Es geht also gar nicht darum, furchtlos
zu sein und sorglos durchs Leben zu gehen, sondern
sich von seinen Ängsten nicht unterkriegen oder
überwältigen zu lassen sowie die Zuversicht nicht
zu verlieren.
Wenn ich diese Definition betrachte, ja, dann
gibt es mutige Schritte in meinem Leben. Vor fast
30 Jahren war mein Eintritt in eine Neue Geistliche
Gemeinschaft für meine Familie und auch für einige
meiner Freunde unbegreiflich. Keine althergebrachte
Gemeinschaft, sondern eine junge Gemeinschaft,
die zudem kaum jemand kannte. Eine Portion Mut
lag darin, Gottes Ruf zu folgen, doch vor allem Begeisterung
angesichts einer faszinierenden und
spannenden Lebensperspektive:
6 7
Portrait
die Berufung und Sendung der ersten Apostel als
gemeinschaftliches Lebensprogramm, das heißt,
Gemeinden gründen, aufbauen, begleiten und das
Wort Gottes in aller Welt verkünden. Als Frau in
der Nachfolge der Apostel zu stehen, zudem noch
päpstlich anerkannt (!), da soll mal einer sagen,
Kirche sei fade, langweilig und verstaubt. Ich hatte
einen Nachfolgeweg gefunden, der nicht hinter
Klostermauern führte, sondern in die weite Welt
hinaus. Bei mir ging es nach Mexiko, Spanien,
Peru, Argentinien – das sind Erfahrungen, die
mich bis heute prägen.
Doch dann kamen Jahre, in denen plötzlich und
unerwartet alles aus den Fugen geriet. In der
Gemeinschaft brach ein heftiger Streit aus. Entgegengesetzte
spirituelle Positionen wurden leidenschaftlich
bis aufs Blut ausgefochten, es wurde um
Macht und Einfluss gekämpft. In einer geistlichen
Gemeinschaft lassen sich mühelos Schlachtfelder
finden, um Wortgefechte auszutragen, um Druck
auf die Gegenseite auszuüben und Einfluss geltend
zu machen: die Predigt beim morgendlichen
Impuls, das Gespräch beim Mittagstisch, ja sogar
die geistliche Begleitung und nicht zu vergessen
das Gehorsamsgelübde und so weiter …
„Ich bin wagemutig
der Sehnsucht
gefolgt, in meiner
Berufung einfach
ich selber sein zu
dürfen.“
Zurück blieben in mir schließlich ein Trümmerfeld,
um mich herum zahllose Verwundete und
Splittergemeinschaften: die zahlenmäßig größere
Gruppe päpstlich anerkannt, andere bischöflich,
die einen in Madrid, andere in Avignon und wieder
andere in Münster. Für mich war es eine heftige
Erfahrung, mit einem Mal war nichts mehr so,
wie es vorher war. Aufgrund meiner Tätigkeit
als Ordensreferentin weiß ich heute, dass viele
Ordensgemeinschaften in der Zeit ihrer Gründung
solche Spaltungen erleben mussten und dass so
manche junge Gemeinschaft in unserem Bistum
Ähnliches durchlebt hat.
Erschütternde Lebenserfahrungen gehen nicht
spurlos an einem Menschen vorbei, selbst wenn
Wunden vernarben. Manchmal kam es mir vor,
als ob ich mich selbst und den Zugang zu meinen
Gefühlen verloren hätte. Eine solche Trümmererfahrung
ist existenzbedrohend, und wenn man
dann zudem noch, wie ich, die Lebensmitte erreicht
hat, klopfen bohrende Fragen an deine Tür: Wie
geht es weiter? Was möchte ich anders leben als
bisher? Wie kann ein gemeinsames geistliches
Lebensprojekt überhaupt gelingen?
Nach einer derartigen Trümmererfahrung
habe ich Freiraum gebraucht, einfach nur da
sein dürfen und neu Zutrauen gewinnen in das,
was ich sehe, glaube, ahne und denke. Auch
der Schutzraum einer Begleitung außerhalb der
Gemeinschaft war wichtig, denn allein schon das
innere Betrachten von Trümmerfotos oder das
Aufsuchen ehemaliger Kriegsschauplätze wühlt
auf. Ich hatte nie vor auszutreten, doch ich bin
wagemutig der Sehnsucht gefolgt, in meiner Berufung
einfach ich selber sein zu dürfen. Darüber
hinaus erwachte in mir ein tiefes Bedürfnis, achtsamer
zu sein für die eigenen Begabungen – aber
auch für meine Grenzen. Dies hat mich fragen lassen:
Ist meine Berufung, so wie ich sie lebe, ein
Geschenk für die Kirche? Wie kann meine ganz
persönliche Lebenserfahrung fruchtbar werden
in der Kirche? Meine Fragen und meine Sehnsucht
haben mich auf einen Weg geführt, den
der Rahmen meiner ehemaligen Gemeinschaft in
dieser Weise nicht vorsah. Motor war die Suche
nach dem Sinn – selbst für die Brüche und die
schmerzlichen Erfahrungen – meines Lebens.
Seit fünf Jahren arbeite ich nun im Bistum
Münster in der Fachstelle Orden, Säkularinstitute
und Geistliche Gemeinschaften. Meine geistliche
Prägung kann ich nicht einfach abstreifen wie einen
alten Mantel, der nicht mehr passt. Auch wenn es
vielleicht ein wenig verrückt klingt: Wenn ich im
Rahmen meiner Tätigkeit Gemeinschaften besuche
und dort Gespräche führe, Genehmigungen im
Auftrag unseres Bischofs erteile oder eine Stellungnahme
für den Bischof verfasse, bedeutet das für
mich Teilhabe am Apostelamt. Eine Predigt übernehme
ich nur noch selten, doch bin ich überzeugt:
Ein Mensch kann mit seiner Lebenserfahrung zum
lebendigen Wort Gottes werden. Für mich ist es
kein Zufall, sondern Gottes liebevolle Vorsehung,
dass mir diese und keine andere Aufgabe im Bistum
Münster anvertraut wurde. Gesandt bin ich
zwar nicht in die weite Welt, sondern in die Welt
der Orden und Geistlichen Gemeinschaften des
Bistums Münster, doch hierfür sind alle Erfahrungen
meines Lebens, ohne Ausnahme, hilfreich.
Im Markusevangelium gibt es die Geschichte
vom blinden Bartimäus. Dem war zum Schreien
zumute, und die Apostel sagen zu ihm: Hab nur
Mut, steh auf, er ruft dich. Aufgrund meiner
Lebenserfahrung würde ich sagen: Ja, es ist
mutig und braucht Mut, dem Ruf Gottes zu
folgen, aus Schutt und Asche aufzustehen und
nach vorne zu gehen, auch dann, wenn du
nicht weißt, wohin der Weg dich führen wird.
8 9
Luis Gedanken
Zu meiner Freude
„TRAU DICH, LUI“
MUT ZUR HEITERKEIT
Zwischen den Polen heldenhafte Tapferkeit und
hasenfüßige Beklommenheit hätte sich Lui spontan
eher in letztgenannter Kategorie verortet. Entsprechend
holprig fließt eine Kolumne zum Thema Mut
aus der Feder beziehungsweise der Tastatur.
Ungleich mehr hätte Lui zum Thema Mutlosigkeit
zu schreiben: Über die ermüdende
Mutlosigkeit, die Lui bevorzugt an Montagvormittagen
im November befällt, wenn die draußen
herrschende graue Finsternis von einem nicht nachlassenden
Nieselregen abgerundet wird. Über die
demotivierende Mutlosigkeit, wenn die Kollegin
vom am Wochenende absolvierten Marathon
berichtet, während Lui selbst auf der deutlich
weniger anspruchsvollen Strecke zwischen Sofa
und Kühlschrank von einem spontan auftretenden
Mittagsschlafbedürfnis niedergestreckt wurde.
Und dann gibt es noch tiefergehende Mutlosigkeiten
in Luis Leben: Die entsetzte Mutlosigkeit
angesichts der Tatsache, dass eine nennenswerte
Zahl von Deutschen tatsächlich wieder braun wählt.
Die fassungslose Mutlosigkeit darüber, dass
polternde Unmenschlichkeit, ein erschreckend
schlichtes Gemüt und ein nicht minder erschreckend
oranger Haut- und Haarton keine Hinderungsgründe
sind, zum mächtigsten Mann der Welt gewählt zu
werden. Und – natürlich – die ratlose Mutlosigkeit
angesichts eines mikroskopisch winzigen Virus,
das innerhalb weniger Wochen die ganze Welt in
den Würgegriff genommen hat. Mit dem Tempo
kommt nicht mal das orangefarbene schlichte
Gemüt mit.
Schwimmbecken stürzen noch den Himalaya
ohne Sauerstoffgerät durchwandern, um Mut
zu beweisen.
Mut meint heute ganz andere und viel menschlichere
Herausforderungen: sich eben nicht in
die Schlacht um die letzte Packung Klopapier zu
werfen, sondern tapfer zu vertrauen, dass es auch
morgen noch welches in den Geschäften geben
wird. Anzurufen, wen man lange nicht mehr angerufen
hat, um nachzufragen, ob alles gut und
gesund ist. Dem Nachbarn das letzte Päckchen
Hefe zu geben und sich am Folgetag an ein Brotrezept
ohne Hefe zu wagen.
Und nicht zuletzt: Mut zur Heiterkeit. Mit dieser
Heiterkeit freut sich Lui schon heute auf den Tag,
an dem nicht mehr Hefe und Klopapier ausgehen,
sondern Lui und die beste Hälfte von allen.
(AL)
Es ist wieder Frühling. Die
Temperaturen und die Lage unseres Zuhauses
lassen zu, das Schlafzimmerfenster über
Nacht geöffnet zu lassen. Es ist ruhig, vereinzelt ist das
Röhren eines Motorrades oder das Knattern eines Treckers
zu hören.
Das Einschlafen fällt nicht schwer. Auch das Aufwachen nicht. Im
Gegensatz zum vergangenen Jahr, in dem von einem stillen Frühling
gesprochen wurde, ist es mit Sonnenaufgang bei uns alles andere als
still. Die ersten Vögel melden sich zu Wort, und nach und nach fallen alle
anderen in das Konzert in der Morgendämmerung ein: Fröhlich trällern
Meisen, Rotkehlchen, Amseln, Singdrosseln und ihre gefiederten
Freunde in unserem Garten. Welch ein Genuss. Mut zur Offenheit
wird eben belohnt!
Auch wenn ich zugeben muss, dass ich irgendwann das Fenster
schließe, um noch ein bisschen zu schlafen. Morgenstund
hat zwar Gold im Mund, doch man muss es ja
nicht übertreiben.
(MEK)
Dass Lui trotz all dem über Mut schreibt, ist –
paradox genug – ebenfalls Corona zu verdanken.
Denn in diesen viralen Zeiten muss man sich weder
mit dem Kopf voran vom Zehnmeterturm ins
10 11
Erfahrungsbericht
„ICH WURDE
REICH BESCHENKT“
DREI MITARBEITERINNEN UND
MITARBEITER MACHEN EINE
BESONDERE GOTTESERFAHRUNG
IN DER WÜSTE
Von Ann-Christin Ladermann
Kein Handy, keine Uhr, keine Dusche, dafür Temperaturunterschiede
von 30 Grad. Bei Wüstenexerzitien
begeben sich die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer in einem einzigartigen Umfeld auf
Gottessuche. Zwei Wochen verbringen sie in der
jordanischen Wüste – einem scheinbar leblosen
Ort, der doch so viel Leben zu bieten hat.
Drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem
Bistum Münster haben Mut bewiesen und sich
auf dieses Abenteuer mit Gott eingelassen.
Mit Bauchschmerzen hat sich Claudia John
im Frühjahr 2018 auf den Weg zum Frankfurter
Flughafen gemacht. „Ich wusste nicht, was mich
erwartet, kannte die Gruppe nicht und glaubte,
dass zwei Wochen in der Wüste unendlich lang
werden würden“, erinnert sich die Mitarbeiterin,
die im Bischöflichen Generalvikariat (BGV) für
das Liegenschaftsmanagement zuständig ist. Es
sollte anders kommen. Beinahe täglich denkt die
57-Jährige heute an die Zeit in der Wüste zurück,
zehrt von den intensiven Erfahrungen, die sie dort
gemacht hat: „Ich war von einer inneren Ruhe
erfüllt, die ich vorher nicht gekannt habe. Jetzt
trägt sie mich durch meinen Alltag.“
Seit vielen Jahren organisiert die charismatische
Gemeinschaft Emmanuel Wanderexerzitien in der
Wüste. Stundenlanges Gehen in Stille – unterbrochenvon
geistlichen Impulsen, Gesprächsgruppen,
Bibellesen, Gottesdiensten und Lobpreisgebeten.
Unter einfachsten Bedingungen hat sich
Claudia John auf dieses Programm eingelassen,
das sie in die Stille und somit in eine Begegnung
mit Gott geführt hat. 14 Tage lang wanderte sie
mit rund 30 Menschen aus ganz Deutschland,
Österreich und der Schweiz durch den Sand,
Georg Schoofs
Claudia John und Johannes Heimbach
übernachtete im Schlafsack unter freiem Himmel,
verzichtete auf gewohnten sanitären Luxus.
Reich beschenkt statt viel vermisst
Wüste heißt, alles Überflüssige weglassen – materiell
wie mental. „Ich hatte gedacht, ich vermisse
viel: die Dusche, ein richtiges Bett, ein Gläschen
Wein am Abend. Aber nichts davon habe ich vermisst.
Im Gegenteil: Ich wurde reich beschenkt“,
sagt John. So sehr habe sie sich öffnen können,
habe Gott zu ihrem Herzen sprechen lassen. Die
beständige Stille habe lautstark in ihr und den
Mitpilgern gearbeitet, habe Lebensfragen in den
Mittelpunkt gerückt, seelische Verkrustungen
aufgebrochen und Tränen fließen lassen, die
scheinbar längst getrocknet waren. „Gott hat in
jedem von uns intensiv gewirkt“, ist sich die
Münsteranerin sicher.
Von der Begeisterung seiner Kollegin ließ sich
Georg Schoofs anstecken und meldete sich ein
Jahr später an. Für den exerzitienerfahrenen Leiter
der Gruppe Liegenschaften im BGV war es eine
Herausforderung, für zwei Wochen den Kontakt
nach Hause abzubrechen, alles hinter sich zu
lassen. „Man hat sich schon sehr daran gewöhnt,
immer erreichbar zu sein, das war eine neue Erfahrung
für mich.“ Und noch etwas erforderte Mut
von ihm: Geht der 58-Jährige sonst beim Wandern
und Spazieren gerne vorneweg, lief er jetzt hinterher
– vertraute sich fremden Menschen blind an.
„Ich wurde buchstäblich in die Wüste geführt, am
dritten Tag habe ich nicht mehr gewusst, wie ich
herauskomme“, schildert Schoofs. Sich in dieser
Intensität auf andere einzulassen, sei ungewohnt
gewesen: „Aber man braucht dieses Vertrauen,
denn Wüstenexerzitien sind Grenzerfahrungen –
mit sich selbst und mit Gott.“
12
13
Erfahrungsbericht
Oft werde die Wüste als ein toter Ort bezeichnet.
„Dabei lebt dort so viel“, hat Schoofs erfahren.
Fasziniert war er von der Schönheit der Natur.
„Sie lehrt einen das Staunen neu“, blickt er
dankbar zurück. Er erinnert sich an einen Satz des
muslimischen Beduinen, der die Gruppe durch die
Wüste führte: „Jemand muss seine Hände im Spiel
gehabt haben, als dieser kostbare Flecken Erde
geschaffen wurde.“ Schoofs hatte Glück: Er war in
den beiden Wochen im Frühjahr dort, als ein bunter
Teppich wilder Blumen den Wüstensand zum
Leuchten brachte und die gängige Vorstellung von
Wüste regelrecht übermalte. „Eine tiefe Ehrfurcht
vor der Schöpfung hat sich in mir breit gemacht“,
blickt er zurück. „Wir haben schweigend gestaunt
und uns nicht getraut, darüber zu laufen.“
Ganz frisch sind die Eindrücke noch bei Johannes
Heimbach. Begeistert und erfüllt blickt er auf die
Wüstenexerzitien im März 2020 zurück – und
das, obwohl es statt nach zwei schon nach einer
Woche nach Hause ging. Das Coronavirus und die
damit verbundenen Grenzschließungen zwangen
die Gruppe zum Abbruch. Doch die intensiven Erfahrungen
dieser einen Woche kann dem Profi in
Sachen Exerzitien niemand mehr nehmen. „Obwohl
wir in der Gruppe unterwegs waren, war es vor
allem ein Weg mit mir selbst“, beschreibt der
56-Jährige, der als Geistlicher Begleiter und
Exerzitienbegleiter im Priesterseminar Borromaeum
und im Institut für Diakonat und pastorale Dienste
(IDP) des Bistums tätig ist.
Vertrauen ist die zentrale Botschaft
„In der Wüste kann man nichts und niemandem
ausweichen“, musste Heimbach feststellen, „auch
Gott nicht.“ Es sei ihm leicht gefallen, sich auf die
Leitung und die Gruppe einzulassen. „Ich hatte
von Anfang an ein gutes Gefühl“, erinnert er.
Vertrauen lautet deshalb die zentrale Botschaft,
die er aus der Wüste mitnimmt – Vertrauen in
die Entscheidung der Leitung, bei ungewöhnlich
schweren Unwettern im Camp der Beduinen zu
übernachten und schließlich angesichts des Coronavirus
das „Abenteuer mit Gott“ abzubrechen.
Vertrauen aber auch und besonders in Gott: „Auf
meine Frage, ob da wirklich jemand ist, der es gut
mit mir meint, habe ich immer erfahren dürfen:
Ja, ich gehe mit als ‚Ich bin der ,Ich bin da‘.“
Kein Extremsport, sondern Gottessuche
Mut haben die jüngsten Wüstenexerzitien auch
Claudia John noch mal abverlangt. Ist die Teilnahme
eigentlich auf einmal beschränkt, wurde
sie Ende vergangenen Jahres gefragt, ob sie im
Leitungsteam dabei sein und die Teilnehmerinnen
betreuen möchte. Lange habe sie überlegt, ob sie
dieser Herausforderung gewachsen sein würde;
jetzt ist sie froh, sich getraut zu haben. „Ich habe
wieder so viel für mich persönlich mitgenommen“,
sagt sie. Mit jeder Teilnehmerin
habe sie vorab ein Gespräch geführt. Dabei wird
geklärt, ob die Exerzitien für diejenige das Richtige
sind. „Dabei geht es nicht darum, Extremsportlerin
zu sein, sondern ob man wirklich auf der Suche
nach Gott ist“, fasst John zusammen.
Obwohl es besonders bei diesen Wüstenexerzitien
viele Entscheidungen für sie und ihre Kollegen
im Leitungsteam zu treffen gab: Das
Gefühl von tiefer Ruhe und innerem
Frieden hat sich auch dieses
Mal wieder in ihr ausgebreitet –
und wirkt hoffentlich
noch lange nach.
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Mut im Alltag
DAS EVANGELIUM
GIBT IHM MUT
PFARRER KOSSEN PRANGERT LEIHARBEIT IN
FLEISCHINDUSTRIE ALS „SKLAVEREI“ AN
Von Gudrun Niewöhner
„Man muss so weit gehen, wie man kann“, sagt
Pfarrer Peter Kossen und fügt gleich an: „Es geht
hier um Menschen.“ Dass seine Hartnäckigkeit
Mut erfordert, dessen ist er sich bewusst, aber
der Pfarrer der Lengericher Pfarrei Seliger Niels
Stensen bleibt bescheiden. Seit 2012 prangert er
die Arbeits- und Lebensbedingungen vor allem
der osteuropäischen Leiharbeiter in der Fleischindustrie
an, bezeichnet diese als „moderne
Sklaverei“. Sie sind jedoch nur ein Beispiel,
ähnliche Zustände gebe es inzwischen auch
bei Gebäudereinigern und Paketdiensten.
Das Bemühen um Wahrheit und Gerechtigkeit
sieht Kossen als zentrale Herausforderung eines
jeden Christen und findet Ermutigung für sein
Handeln an vielen Stellen im Evangelium: „Wir
dürfen dabei nicht im Allgemeinen verharren,
sondern müssen konkret werden.“ Während
seiner Zeit als Ständiger Vertreter des Offizials in
Vechta hatte Kossen engen
Kontakt zum Caritasverband
und zum
Sozialdienst
katholischer
Frauen. Durch deren Berichte und seine eigenen
Beobachtungen stieg in dem 52-Jährigen die Wut
über die Zustände. Nachdem er die Strukturen der
Fleischindustrie erstmals öffentlich als „mafiaähnlich“
kritisiert hatte, entstand ein mediales
Interesse, dessen Dynamik Kossen überraschte.
„Viele haben mit dieser Position von einem Vertreter
der Kirche nicht gerechnet“, weiß der Pfarrer
aus Diskussionen.
Dass seine Gegner wenig zimperlich sind,
verschreckt Kossen nicht. Unbekannte legten
ihm einmal nachts einen Kaninchenkopf vor die
Haustür, als „Gruß aus der Fleischbranche“. Tags
zuvor hatte er die Arbeitsbedingungen in manchen
Schlachthöfen angeprangert. Ruhe gegeben
hat er trotz der nächtlichen Drohung nicht. Fast
kein Monat vergeht, ohne dass sich der Pfarrer zu
Wort meldet. Die Medien nutzt er seitdem, um
sein Anliegen publik zu machen.
Doch geht es Kossen nicht allein um Aufmerksamkeit.
Er möchte, dass sich etwas ändert.
Und deshalb nennt er bewusst die Namen der
Firmen. Dass ihm dadurch Unterlassungsklagen
drohen, nimmt der Lengericher Pfarrer in Kauf:
„Durch die Namensnennung ist der öffentliche
Druck auf jeden Fall größer.“ Nur so werde deutlich,
dass Unrecht geschehe.
Einer der aufgeführten Unternehmer hat ihn
im vergangenen Jahr zu einem Gespräch zu sich
bestellen wollen. Kossens Bedingung: „Ich komme
nur, wenn Sie uns sagen, was Sie ändern wollen.“
Das Treffen kam nicht zustande. „Ich gehe nicht
dorthin, um mir anzuhören, wie Dinge gerechtfertigt
werden, die es nicht zu rechtfertigen gibt“,
hat Kossen eine klare Position. Unterstützt wird er
übrigens von seinem Bruder, einem Arzt, der viele
der Leiharbeiter als Patienten in seiner Hausarztpraxis
behandelt.
MUT KANN LEBEN RETTEN
JURIST DR. CHRISTIAN HÖRSTRUP IST MITGLIED DER
FREIWILLIGEN FEUERWEHR
Von Ann-Christin Ladermann
Mut kann Leben retten. Dr. Christian Hörstrup
weiß das aus eigener Erfahrung. Seit 18 Jahren
ist der Jurist, der im Bischöflichen Generalvikariat
stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung und
inhaltlich vor allem für das Stiftungs- und Vereinsrecht
sowie das Schulrecht zuständig ist,
Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Mutig sein
für andere – das liegt bei dem 35-Jährigen aus
Cappenberg in der Familie. „Mein Opa war schon
bei der Freiwilligen Feuerwehr, mein Vater und
mehrere Onkel sind es auch, und ich hoffe natürlich,
dass ich diesen Einsatz auch an meine Söhne
Jakob und Julius weitergeben kann.“
Längst bedeute Feuerwehrmannsein nicht
mehr nur, Brände zu löschen. „Durch den vorbeugenden
Brandschutz ist die Anzahl von Brandeinsätzen
in den letzten Jahrzehnten deutlich
zurückgegangen, die technischen Hilfeleistungen
dagegen nehmen zu“, erklärt Hörstrup, „das
kann die Tür sein, die wir für den Rettungsdienst
öffnen, das Öl, das bei einem Verkehrsunfall ausgelaufen
ist und beseitigt werden muss, oder die
berühmte Katze, die wir aus dem Baum retten.“
Seit einigen Jahren ist die Feuerwehr zudem in
feste Strukturen eingebunden und wird beispielsweise
im Katastrophenschutz eingesetzt.
Jedes Mal, wenn der Piepser losgeht oder die
Sirene heult, steigt Hörstrups Adrenalinspiegel:
„Man weiß nie, was einen erwartet, aber der unbedingte
Wunsch zu helfen lässt einen alles stehen
und liegen lassen.“ Mutig sein, weitermachen –
der Cappenberger erinnert sich an mehrere solcher
Einsätze: „Da gab es den Suizid, bei dem wir die
ersten am Einsatzort waren, oder den Verkehrsunfall,
bei dem der Arzt nur noch den Tod des
Opfers feststellen konnte und wir den Verstorbenen
aus dem Autowrack befreien mussten.“
Mut sei vor allem gefragt, wenn die eigene
Gesundheit oder das eigene Leben in Gefahr ist.
Heikel seien Einsätze, bei denen Gas oder giftige
Substanzen austreten und die Feuerwehrleute
Atemschutzgeräte tragen. „Wenn andere rausrennen,
rennen wir rein“, bringt es Hörstrup auf den
Punkt und ergänzt: „Drei Atemzüge von Brandrauch
führen bei einem normalen Menschen zur
Bewusstlosigkeit, da braucht es schon Mut, das
brennende Haus oder den Keller zu betreten.“
Der Jurist, der für seine Doktorarbeit Beruf und
Hobby zusammengebracht hat, indem er die Organisation
der gemeindlichen Feuerwehr in
Nordrhein-Westfalen untersucht hat, ist
Oberbrandmeister und Gruppenführer
seines Löschzugs. Er darf
das mit neun Personen besetzte
Einsatzfahrzeug taktisch führen
und Einsätze leiten, bis der Zugführer
eintrifft. „Besonders bei
schwereren Einsätzen versucht
man, jüngere Kameradinnen und
Kameraden zurückzuhalten“, gibt
Hörstrup ein Beispiel für die Verantwortung,
die damit einhergeht.
Vor allem die Kameradschaft ist es, die
den 35-Jährigen an dem Engagement
reizt. „Manche Situationen können
hart sein, aber man ist nie alleine
bei einem Einsatz. Die anderen
erleben das Ganze
genauso, und darüber
nachher miteinander
zu sprechen,
macht es leichter.
Mir persönlich
hilft dabei auch
mein Glaube.“
16 17
Mut im Alltag
MUT
Michaela Kiepe hat einen
Freund im Sterben begleitet
BIS ZULETZT
vielen Medikamenten. Also machten wir uns
auf den Weg in das Badezimmer. Abduschen war
immer eine große Hilfe. Auf dem Weg trafen wir
die Ärztin, die ihn fragte, wie es ihm gehe. Und
Kurt antwortete trocken: „Mein Stuhl ist ganz
blau.“ Irritiert schaute ihn die Ärztin an. Und verschmitzt
setzte er hinterher: „Ja, gucken Sie hier:
ganz blau“, sagte er und zeigte auf den Toilettenstuhl,
mit dem wir unterwegs waren. Lachend ging
die Ärztin weiter.
„JEMANDEN ZU
ERMUTIGEN IST EINE
WICHTIGE AUFGABE IN
DER SEELSORGE“
Von Michaela Kiepe
Kurt hieß eigentlich Jürgen. Doch irgendwie war er
für alle Kurt. Warum? Das habe ich nie erfahren.
Wir waren Freunde und Kabarettkollegen. Er
jonglierte mit Sprache, hielt Menschen den Spiegel
vor, hatte Humor. Kurt hatte seine eigene Sicht
auf die Dinge und spielte mit gesellschaftlichen
Konventionen. Er hatte ein großes Herz. Zahlreiche
Kabarettnummern sind aus seiner Feder entstanden.
Bei den Proben haben wir viel gelacht.
Dass wir diesen stattlichen Mann einmal beerdigen
müssen, damit hatte niemand in unserer
Gruppe gerechnet. Zunächst meinte der Hausarzt,
dass der aufgeblähte Bauch sich durch Fruchtsäfte
und eine ordentliche Verdauung wieder in Form
bringen ließe. Doch dann die Diagnose: Krebs. Das
riss uns allen den Boden unter den Füßen weg.
Schließlich war Kurt erst 33 Jahre alt.
Doch Kurt nahm auch diese Situation mit Humor
und Optimismus. Er begab sich in Behandlung,
ich begleitete ihn. Allerdings schlug die Behandlung
nicht wie gewünscht an. Zahlreiche Bilder
habe ich noch im Kopf, vor allem von den beiden
letzten Tagen.
Die Schwestern im Krankenhaus hatten mir
schon gesagt, dass es nicht gut stehe um Kurt.
Doch das wollten wir nicht wahrhaben.
Mit einem Schmunzeln erinnere ich mich an
unseren letzten Abend. Seine Haut juckte von den
Das war sein Humor: unverhofft und um die
Ecke gedacht. Auch unter der Dusche drehte er
noch einmal auf. Wir haben viel gelacht, und nach
dem Duschen war meine Kleidung mindestens so
nass wie er. Aber das störte mich nicht. Ich hatte
Hoffnung, Hoffnung auf weitere gemeinsame Zeit.
Gutgelaunt fuhr ich heim. Am nächsten Morgen
erreichte mich jedoch der Anruf eines Freundes,
der mir sagte, ich solle auf dem schnellsten Weg
ins Krankenhaus kommen. Dort traf ich erstmals auf
Kurts Eltern, die sich vom Sauerland aus auf den
Weg nach Münster gemacht hatten. Ich ging in sein
Zimmer. Dort lag Kurt im Bett. An der Wand hing
das Kreuz, das er eigentlich abgenommen hatte,
denn Kirche und Glauben waren nicht sein Ding.
Am Abend hatte er es offenbar wieder aufgehängt.
Seine sonore Stimme war nur noch ein Flüstern.
Seine Familie hatte sich auf den Flur zurückgezogen.
Mit einer Ordensfrau saß ich am Bett. Ich
streichelte seinen Bart, seine Hände. Und plötzlich
begann die Schwester, das Vaterunser zu beten.
Ich hielt seine Hand, und er schlief für immer ein.
Hätte mir jemand vorher gesagt, dass ich bei
einem Sterbenden am Bett sitzen solle, hätte ich
sicher gesagt, dass ich das nicht kann, nicht die
Kraft dazu habe, es mir nicht zutraue. Doch in
dem Moment ging es. Woher die Kraft kam, keine
Ahnung. Aber diese Erfahrung hat mir gezeigt,
dass in dem Moment, in dem ich Kraft brauche,
diese da ist. Von irgendwo her geschenkt.
Es ist viele Jahre her, und ich erinnere mich gern
an Kurt. Er hat mich mit seinem Humor beschenkt,
und er hat uns das Abschiednehmen leicht gemacht.
Ob er das wusste? Ich habe keine Ahnung.
Von Christian Breuer
Schwester Marlies Mauer ist Seelsorgerin im Krankenhaus
Wenn Schwester Marlies Mauer eine der Türen in
dem langen Flur öffnet, braucht sie dafür schon
manches Mal Mut. „Ich weiß oft nie, was mich
hinter dieser Tür erwartet“, sagt sie. Schwester
Marlies betreut als Seelsorgerin im Gelderner
St.-Clemens-Hospital kranke Menschen, Angehörige
und auch das Klinikpersonal. Eine Aufgabe, die
ihr im Alltag immer wieder Mut abverlangt. „Bei
manchen Gesprächen würde auch ich lieber davon
laufen und ihnen aus dem Weg gehen, dann muss
ich meinen Mut zusammennehmen und weiter zuhören“,
weiß sie und fügt lächelnd hinzu: „Manchmal
bin ich selbst überrascht und weiß am Ende gar
nicht, woher ich die Kraft genommen habe“.
Zu Zeiten der Corona-Krise im Krankenhaus zu
arbeiten erfordere hingegen keinen Mut, sagt sie:
„Man macht sich schon seine Gedanken, aber ich
bin nicht von Angst erfüllt. Ich kann mich nur an
die Hygieneregeln halten und hoffen, dass es mich
nicht erwischt und ich noch lange für die Kranken
da sein kann.“ Bei allem Handeln, betont sie, „vertraue
ich auf die Führung des Heiligen Geistes.“
Zu ihrem Alltag im Krankenhaus gehören immer
wieder auch Treffen mit Menschen, die längst
jeglicher Mut verlassen hat, die an unterschiedlichen
Ängsten und Sorgen zu scheitern drohen.
„Einigen von ihnen kann man einen Teil der Zuversicht
zurückgeben“, betont Schwester Marlies.
Ihnen zuzuhören, sie zu bestärken und sich Zeit für
diese Menschen zu nehmen, sei besonders wichtig.
Wenn die Zuwendung dann Erfolg zeigt und die
Menschen wieder einen Weg aus ihrer Perspektivlosigkeit
sehen, das sei auch für sie immer wieder
ein Geschenk, sagt die Ordensschwester. Vielen
fehle schon der Mut für die kleinen, alltäglichen
Dinge, etwa nach dem Krankenhausaufenthalt auf
andere Menschen oder auch die Pfarrei zuzugehen
und um Hilfe oder seelsorgliche Begleitung zu
bitten. „Jemanden zu ermutigen, diese Schritte zu
gehen, ist eine wichtige Aufgabe in der Seelsorge“,
sagt Schwester Marlies.
18 19
Dafür / Dagegen
HOME-OFFICE:
„EIN DAUERHAFTES ARBEITSMODELL ÜBER
CORONA-ZEITEN HINAUS?“
Von Christian Breuer
1,3 Tonnen Kohlendioxid – das ist, konservativ gerechnet, die Menge an klimaschädlichem Treibhausgas,
die mein Auto jährlich ausstößt. Und zwar allein für die tägliche Fahrt zum Büro und
zurück. Dafür sitze ich, wieder aufs Jahr gerechnet, mindestens fünfeinhalb volle Tage hinter dem
Steuer. Im Winter läuft im Büro die Heizung, der Kühlschrank brummt 365 Tage im Jahr vor sich
hin. Ökologisch gesehen also nicht gerade ein Beitrag zu der geforderten Schöpfungsbewahrung.
Ökonomisch betrachtet kostet das Büro Miete, die Steuerrückerstattung über die Pendlerpauschale
geht zu Lasten der Staatskasse – also von uns allen. Und ich wohne 20 Kilometer von meinem
Büro entfernt, es gibt in unserem Flächenbistum sicherlich noch andere Beispiele für Pendlerstrecken.
Da muss die Frage erlaubt sein: Ist das wirklich vertretbar? Ich sage: Nein! Die vergangenen
Wochen im Home-Office haben gezeigt, wie gut man sich innerhalb kürzester Zeit in den eigenen
vier Wänden organisieren kann, und wie groß – selbst trotz der Ausgangsbeschränkungen – der
Gewinn an Lebensqualität ist. Täglich 40 Minuten mehr Zeit für Sport, Spaziergänge, Telefonate
mit Freunden oder, ja, Netflix. Die gesparten Sprit- und Verschleißkosten für das Auto sind noch
ein angenehmer Nebenaspekt.
Sicher: Die Videokonferenz ersetzt nicht den Plausch in der Teeküche oder die schnelle Abstimmung
„über den Flur“. Andererseits kann kaum ein Weg kürzer sein als der zur Kurzwahltaste
des Telefons, wenn es schnell ein Problem zu lösen gilt. Und der Smalltalk mit Kolleginnen und
Kollegen muss nicht ausfallen, wenn man zu Hause ist. Auch das haben die vergangenen Wochen
bewiesen. Sicherlich ist Home-Office nicht für alle Mitarbeitenden sinnvoll, für einige aufgrund
der häuslichen Wohnsituation erst gar nicht möglich. Da, wo es machbar und gewünscht ist,
muss über das dauerhafte Home-Office aber durchaus als attraktives, umwelt- und kostenschonendes
Arbeitsmodell nachgedacht werden.
Von Ann-Christin Ladermann
Die Corona-Krise hat Millionen Menschen zu Heimarbeitern gemacht. Wer kein Arbeitszimmer
zur Verfügung hat, muss seinen Laptop am Küchentisch zwischen schmutzigem Geschirr und
Tageszeitung, noch schlimmer am Wohnzimmertisch mit Blick auf den Fernseher aufbauen.
Sicherlich – das sind Umstände, die man nach Corona optimieren könnte. Doch reichen die technische
Ausstattung und das richtige Setting aus, damit sich Kolleginnen und Kollegen im Home-
Office dauerhaft wohlfühlen? Ich denke nicht.
Es ist nicht nur die Disziplin, die das Arbeiten zu Hause erfordert – und die nicht jeder hat. Es
fehlt nicht nur die klare Trennlinie zwischen Arbeit, Pause und Feierabend, die die Mitarbeitenden
hindert, auch räumlich „abzuschalten“. Es ist auch nicht nur die Kommunikation, die – trotz aller
technischen Hilfsmittel, die in diesen Tagen Hochkonjunktur haben – erschwert wird, weil für
jede Kleinigkeit zum Telefon gegriffen oder eine E-Mail formuliert werden muss.
Nein, es fehlen ganz zentrale Dinge, die sich erheblich auf die Arbeitszufriedenheit auswirken:
der kurze Gruß am Morgen, der den Kollegen in den offenstehenden Büros gilt, der Plausch in der
Teeküche, bei dem Vieles zur Sprache kommt, was einen bewegt, die gemeinsame Mittagspause,
die Raum lässt für Themen jenseits der Arbeit. Wer sein Büro dauerhaft in die eigenen vier Wände
verlagert, dem fehlen diese zwischenmenschlichen Begegnungen – trotz digitaler Konferenzprogramme
wie Teams. Gerade für uns als Mitarbeitende der katholischen Kirche im Bistum
Münster, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Beziehungen aufzubauen und zu fördern, ist
Home-Office als dauerhaftes Arbeitsmodell darum keine echte Alternative zum gemeinsamen
Alltag in den Büros und Einrichtungen.
20 21
Nachgefragt
„WO IST IHR MUT ALS CHRISTIN ODER CHRIST GEFRAGT?“
Robert Luttikhuis
Pastoralassistent, St. Peter und Paul Cappeln
„Für mich gilt es, dem oftmals gesellschaftlichen
Karussell der Verdrehung prüfend und besonders
aufmerksam gegenüberzustehen. Das erfordert,
mich kritisch zu überdenken, um gegebenenfalls
neue Erkenntnisse in die Zukunft hineinzutragen.
Mein Glaube ermutigt mich dazu!“
Yvonne Ahlers
Schulseelsorgerin, Oldenburg
„Das Leid der Menschen weltweit zu sehen und
auszuhalten und dennoch die Hoffnung nicht
zu verlieren, dass Gott uns Menschen liebt –
da ist mein Mut als Christin gefragt und herausgefordert.“
Mechtild Sicking
Pastoralreferentin, Heilig Kreuz Heek
„Was ist Mut? Ich glaube, dass von mir in meiner
privilegierten Stelle als Pastoralreferentin in
Deutschland kein besonderer Mut gefordert ist.
Vielleicht ecke ich mit meiner Meinung an,
wenn ich absichtlich provoziere und zum Beispiel
Traditionen in Frage stelle. Das ist in meinen
Augen kein Mut. Mutig sind die Christen, die trotz
massiver Christenverfolgung in ihrer Heimat ihrem
Glauben treu bleiben. Mutig sind in meinen Augen
aber auch die 14- bis 15-jährigen Firmbewerberinnen
und -bewerber, die sich entgegen dem
Trend entscheiden, die Firmvorbereitung ernst
zu nehmen und regelmäßig teilnehmen, sogar
Gottesdienste vorbereiten und besuchen. Sie
nehmen dafür mutig den Spott ihrer Mitschülerinnen
und Mitschüler in Kauf.“
Tobias Busche
Pastoralreferent, St. Martinus Greven
„Ich bin überzeugt, dass jede und jeder einzelne
von uns – egal ob Christin oder Christ oder nicht –
gefragt ist, wenn Menschen anderen Menschen
das Recht auf ein gleichberechtigtes, würdiges
Leben aberkennen. Sei es aufgrund von Herkunft,
Geschlecht, Sexualität, Religiosität oder politischer
Gesinnung. Ich glaube fest, dass alle Menschen
Kinder Gottes sind und entsprechend behandelt
werden müssen. Dafür nicht nur in Gesellschaft,
sondern auch im kirchlichen System einzustehen,
kann Mut erfordern.“
22 23
Nachgefragt
Sabine Grimpe
Pastoralreferentin, St. Jakobus Ennigerloh
„Mut zeigen heißt, zu meinen Überzeugungen
stehen, wenn Angehörige im Trauergespräch
signalisieren, dass sie keine persönlichen Worte
und kein Glaubenszeugnis für notwendig erachten.
Mir ist es ein Anliegen, von meiner Hoffnung zu
sprechen, die ich im Herzen spüre.“
Ulla Büssing-Markert
Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Coesfeld
und Pastoralreferentin, St. Laurentius Senden
„Mut braucht es, in Gesprächen mit existenziellen
und zutiefst menschlichen Fragen und Themen
nicht auszuweichen, sondern sich selbst
behutsam anzubieten.“
Peter Fendel
Pastoralreferent, St. Peter Duisburg-Rheinhausen
„Mut ist gefragt, wenn ich als Christ aus meiner
Komfortzone ausbreche. Wenn ich herrschende
Logiken und Plausibilitäten in Kirche und Welt
durchbreche. Wenn ich Mechanismen der Macht,
der Abwertung und Ausgrenzung unterbreche.
Wenn ich zu neuen Wegen aufbreche.“
Florian Kübber
Lehrer, Erich-Klausener-Schule, Herten
„Mein Mut als Christ ist gefragt, wenn ich mich
noch mehr für sozial schwächere, unterdrückte
oder verfolgte Menschen einsetze und dabei auch
meine eigenen Interessen zurückstelle – auch wenn
es Kompromisse oder persönliche Einschränkungen
bedeutet. Aufeinander zugehen (was manchmal
schwerfällt), Hemmschwellen abbauen und überwinden
bedeutet Mut, ebenso das Einlassen auf
fremde und unbekannte Kulturen. Dieser Mut kann
aber auch das eigene Leben sehr bereichern, wie
ich in vielen Situation im Schulalltag mit meinen
internationalen Schülern feststellen darf.“
24 25
Interview
„ZEIT, MUTIG ZU SEIN!“
Maria Bubenitschek leitet seit dem 1. Februar
die Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen
Generalvikariat. Wie die erste Hauptabteilungsleiterin
im Bistum Münster die Corona-Krise
erlebt, welchen Herausforderungen sie sich mutig
stellen möchte und warum sie Pippi Langstrumpf
für eine besondere junge Frau hält, darüber
hat sie mit Stephan Kronenburg für den
Liudger gesprochen.
Frau Bubenitschek, die Corona-Krise hat vieles
auf den Kopf gestellt. Wird die Krise mittelfristig
Auswirkungen auf die Seelsorge im Bistum
Münster haben?
Bubenitschek: Das hat sie nach meiner Einschätzung
auf jeden Fall. Positiv betrifft das vor allem
die Art und Weise der Kommunikation und der
Vernetzung. Es gibt jetzt Vernetzungen, die vor der
Krise undenkbar gewesen wären: Das wird bleiben.
Negativ ist, dass es jetzt eine große Vorsicht im
Umgang miteinander gibt.
Die Krise kann uns zudem sehr deutlich vor Augen
führen: Was wird vermisst in dieser Zeit? Auch
an Angeboten, die wir ansonsten mit scheinbarer
Selbstverständlichkeit machen. Und was bedeutet
das für die Zukunft? Positiv gewendet: Wo können
wir künftig als Hauptabteilung wirklich hilfreich sein
für Pfarreien und Einrichtungen?
Aktuell machen wir uns viele Gedanken über die
‚Nach-Corona-Zeit‘. Aus meiner Sicht kann nach
der Corona-Krise die Pastoral nicht einfach wieder
hochgefahren werden. Es wird nicht alles so sein
wie früher, also wie vorher. Ich denke, das würde
nicht funktionieren und wäre nicht gut.
Meine Wahrnehmung ist die, dass es in der Krise
sehr viele kreative seelsorgliche Angebote gibt.
Nehme ich diese im Alltag ansonsten einfach
nicht so wahr, oder ist es schon so, dass die Krise
zeigt, dass viel mehr Potenzial da ist, als das im
Alltag oft scheint?
Bubenitschek: Da gilt sicher beides. Ich glaube in
der Tat, dass man im Alltag – und damit bezeichnen
wir ja jetzt die „Vor-Corona-Zeit“ – manches nicht
wahrnimmt. Und ich bin auch davon überzeugt,
dass Menschen nun auf eine Art und Weise kreativ
werden, die vorher so nicht gefragt war. Wir erleben
eine besondere Zeit, die besondere Kräfte
und Charismen fordert und freisetzt. Das sieht man
etwa daran, wie leicht und kurzfristig in der Krise
Vernetzungen möglich sind. Videokonferenzen
schienen noch vor kurzem kaum möglich, nun
bestimmen sie plötzlich den Alltag von vielen,
und es funktioniert.
Die Krise stellt uns alle, Sie haben es angedeutet,
vor neue Herausforderungen. Würden Sie von
sich selbst – auch in einer derart besonderen Situation
– sagen, dass Sie ein mutiger Mensch sind
und wenn ja, wo verlässt Sie dann doch der Mut?
Bubenitschek: Grundsätzlich bin ich ein mutiger
Mensch. Als ich die Leitung der Hauptabteilung
Seelsorge übernahm, bekam ich von meiner
Familie verschiedene Postkarten geschenkt. Auf
einer steht, und die hängt in meinem Büro auf
Augenhöhe: „Zeit, mutig zu sein!“ Ich finde, dass
besonders in dieser Zeit Mut gefragt ist. Wir sollten
den Mut haben, neue Wege in der Pastoral zu
gehen. Das ist jetzt dran.
Was mich in der Krise ohnmächtig stimmt und
traurig macht, ist die Tatsache, dass in meinem
persönlichen Bekanntenkreis die existenzielle Situation
von vielen auf Messers Schneide steht. Das
lässt mich fast verzweifeln und macht mich sehr
betroffen.
Ohnmächtig bin ich angesichts der Gewalt, die in
Familien zunimmt, die auf engem Raum zusammenleben
und sich nicht aus dem Weg gehen können,
und auch angesichts der Situation vieler älterer
Menschen, die sehr einsam sind.
Sie nehmen an vielen Leitungssitzungen im
Bistum Münster teil. Braucht es da manchmal
Mut, das zu sagen, was Ihnen wichtig ist?
Bubenitschek: Grundsätzlich versuche ich auch
hier immer authentisch und ehrlich zu sein. Vielleicht
ist das manchmal ein bisschen unbequem.
Für mich heißt das aber, Position zu beziehen und
für das einzustehen, was mir wichtig ist. Das tue
ich und versuche, es strategisch klug zu tun, gerne
und hoffentlich nett und charmant, aber bestimmt
in der Sache. So erscheint es mir etwa unerlässlich,
dass wir im Generalvikariat stärker querschnittsmäßig
denken und arbeiten. Wir müssen raus aus
der Versäulung. Das erfordert Mut, Mut zur Veränderung.
Ich glaube, dass wir vor einem Change-
Prozess stehen beziehungsweise schon mitten in
diesem drin sind. In einem solchen Prozess ist
Mut gefragt. Denn wir müssen bereit sein, manches
aufzugeben, was vielleicht lange galt. Zugleich
müssen wir offen sein für Neues. Ich sehe es
dabei für mich als großes Glück an, dass ich
noch relativ neu im Bistum und noch neuer in
der Hauptabteilung Seelsorge bin. Deshalb bin
ich nicht so verwoben mit alten Strukturen.
Apropos Hauptabteilung Seelsorge. Seit dem
1. Februar leiten Sie diese. Mussten Sie sich selbst
Mut machen, um diese Aufgabe zu übernehmen?
Bubenitschek: Ja, das war eine mutige Entscheidung.
Mich reizte die Aufgabe von Anfang an; von
daher war mir schnell klar, dass ich ‚Ja‘ sage, als der
Bischof und der Generalvikar mich gefragt haben.
Mut und Lust hängen bei dieser Aufgabe für mich
eng miteinander zusammen. Mut braucht es, weil
klar ist: Es stehen deutliche Veränderungen an, und
als Hauptabteilungsleiterin werde ich diese Veränderungen
mitgestalten. Diese Herausforderung
nehme ich gerne lustvoll an.
26 27
Interview
Woran liegt es, dass unser Blick auf Frauen in
solchen Führungspositionen oft ein anderer ist
als der auf Männer?
Bubenitschek: Wenn ich ein Mann wäre, hätten
Sie mir die Frage natürlich so nicht gestellt. Das
liegt vielleicht daran, dass Frauen in solchen
Positionen leider noch immer etwas exotisch
wirken oder wahrgenommen werden. In meiner
Berufsbiografie bin ich oft die erste oder die einzige
Frau gewesen, die eine bestimmte Aufgabe
übernommen hat. Und jetzt bin ich eben die erste
Hauptabteilungsleiterin. Die Herausforderung
ist da, unabhängig davon, ob eine Frau oder ein
Mann die Leitung inne hat.
Warum gelingt es aber der Kirche nicht, mehr mutige
Frauen für Führungspositionen zu gewinnen?
Bubenitschek: Was ich fatal fände, wäre, wenn
man Frauen nur deshalb für Führungspositionen
aussucht, weil sie Frauen sind. Es muss um Qualifikation
gehen. Daher bin ich auch gegen eine
Quote und damit gegen Quotenfrauen. Vielleicht
hat die geringe Präsens von Frauen in Führungspositionen
mit damit zu tun, dass sich manche
Frauen Führung und Leitung nicht zutrauen
oder sich für Positionen und Aufgaben für nicht
geeignet halten. Bei mir war das schon immer
anders. Schon in meiner Schulzeit – ich habe auf
einem Mädchengymnasium Abitur gemacht –
hatte ich die Wahrnehmung, dass Mädchen die
Welt offen steht. Ich hatte viele Mitschülerinnen,
die in Fächern wie Mathematik oder Physik, die
jungendominiert sind, tolle Leistungen erbracht
haben. Ich selbst habe dann Religionspädagogik
studiert und mich damit auf den Weg gemacht
zu einem Arbeitgeber, der männerdominiert ist.
Für mich habe ich das immer als Herausforderung
und damit als Chance gesehen, mich als Frau
einzubringen und zu zeigen, welche Möglichkeiten
Frauen in dieser Kirche haben.
Sie haben in Ihrer neuen Position viele Möglichkeiten,
Dinge insbesondere in der Pastoral zu
verändern und neu anzugehen. Sind Sie mutig
genug, sich der Wirklichkeit tatsächlich und
ungeschminkt zu stellen und grundlegende
Veränderungen anzustoßen?
Bubenitschek: Ich habe den Mut dazu. Und ich ermutige
die Mitarbeitenden in der Hauptabteilung
Seelsorge, unkonventionell
zu denken und
alte Zöpfe abzuschneiden.
Wir müssen sehr
genau schauen, was
läuft gut und was nicht.
Dann müssen wir
mutig genug sein, zu
sagen: Das machen wir
nicht mehr. Das gilt in
gleicher Weise für die
Seelsorge vor Ort.
Mit einem Gottesdienst auf Instagram hat
Pastor Christian Olding aus Geldern die
Online-Gemeinde auf Ostern eingestimmt.
Ein Beispiel von vor Ort. In Münster werden an
einem normalen Wochenende 90 Vorabendmessen
und Messen am Sonntag gefeiert.
Das klingt jetzt noch nicht nach einer
grundlegenden Veränderung.
Bubenitschek: Zum einen ist das in Münster sicher
noch einmal anders als vielleicht in einem kleinen
Ort am Niederrhein. Im Bistum Aachen, in dem
ich 28 Jahre gearbeitet habe, sind die pastoralen
Bedingungen und Eucharistieangebote schon lange
völlig anders. Ich habe in einem Pastoralteam mit
‚zweieinhalb Priestern‘ gearbeitet – einer von dreien
war krank, daher ‚zweieinhalb‘ – und wir waren für
zwölf Kirchengemeinden zuständig. Da war nur alle
drei Wochen in jeder Pfarrkirche eine Eucharistiefeier
möglich. In der Zeit „dazwischen“ waren
Ehren- und Hauptamtliche dafür verantwortlich,
Formen zu finden, in denen die Menschen Leben
und Glauben feiern können.
Auch im Bistum Münster wird sich sehr viel verändern.
Hierzu wird auch die Corona-Krise beitragen,
macht sie doch manches sehr offensichtlich. Es
werden auf einmal Gottesdienste gefeiert, die fast
an urchristliche Formen anknüpfen. Wenn wir das
ernst nehmen, dann wird sich unser liturgisches
Vollziehen verändern und verändern müssen.
Von Münster einmal kurz der Blick in die Weltkirche:
Welche Entscheidung des Papstes fänden
Sie mutig?
Bubenitschek: Ich fände es mutig, wenn die
Verantwortung für die einzelnen Bistümer wirklich
den jeweiligen Ortsbischöfen zugesprochen würde.
Die Bischöfe hätten dann mehr Verantwortung
für das, was sich gerade auch pastoral in ihren
Bistümern entwickelt.
Sie heißen mit Vornamen Maria. Inwieweit ist
die Gottesmutter für Sie Vorbild … auch im Blick
auf ein mutiges Verhalten?
Bubenitschek: Ja, die ‚Magnificat Maria‘, die finde
ich richtig klasse. Sie singt ein großes Loblied, auf
den, der sich ihr und allen Machtlosen, Hungernden
und Geringen zuwendet und der aufruft,
die Mächtigen vom Thron zu stoßen. Was mich
darüber hinaus an Maria beeindruckt, ist, dass
sie „Ja“ gesagt hat und sich so auf etwas völlig
Unvorstellbares wie das Gebären von Gottes Sohn
eingelassen hat.
Gegen Ende unseres Gesprächs würde ich Sie
bitten, zu sagen, ob Sie bei den folgenden
Ereignissen eher mutig oder ängstlich wären:
Mit dem Fallschirm springen:
Würde mich total reizen. Finde ich spannend.
Heuschrecken in Mexiko essen:
Da wäre ich eher ängstlich.
„Maria 2.0 -Button“ im Bischöflichen Rat tragen:
Würde ich tun.
Live-Übertragung an Ostern aus dem fast menschenleeren Dom.
Eingreifen, wenn Schwächere angegriffen werden:
Habe ich schon gemacht.
Radikal nachhaltig und klimabewusst leben:
Da könnte ich noch mutiger sein.
Und zum Schluss gebe ich Ihnen Halbsätze vor
und bitte Sie, diese zu ergänzen:
Wenn ich einmal all meinen Mut zusammennehme,
dann würde ich etwas ganz Verrücktes
tun, zum Beispiel einen Trip durch die Wüste.
Wenn ich mutlos bin, dann hilft es mir,
einen Milchkaffee zu trinken und mit
jemandem zu sprechen.
Die mutigste Frau in der Geschichte ist für mich
eine erdachte, fiktive junge Frau oder besser ein
Mädchen, nämlich Pippi Langstrumpf, weil sie
völlig unkonventionell ist.
Der mutigste Mann in der Geschichte ist für
mich – neben Jesus – aufgrund seines gesamten
Lebenszeugnisses Mahatma Gandhi.
28 29
Schule mit Courage
IM EINSATZ
FÜR DEN
NÄCHSTEN
Tanja Lamsieh-Köhl
ALEXANDRINE-HEGEMANN-BERUFSKOLLEG
IST „SCHULE MIT COURAGE“
Seit 2003 trägt das Alexandrine-Hegemann-Berufskolleg mit den Schwerpunkten Gesundheit und
Soziales in Recklinghausen das Siegel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Was das für die
Schulgemeinschaft bedeutet, wie aus Worten Taten werden und was das alles mit Mut zu tun hat,
erläutert Tanja Lamsieh-Köhl im Interview mit Michaela Kiepe. Sie betreut, zusammen mit zwei
Kolleginnen, das Projekt in dem Berufskolleg des Bistums Münster.
Braucht es in der heutigen Zeit Mut, sich zu engagieren?
Lamsieh-Köhl: Mut ist insofern erforderlich, als dass es insbesondere in diesen Zeiten gilt, rechtsextreme
Hetze zu durchbrechen und sich populistischen Aussagen entgegen zu stellen. Sie fließen wie ein schleichendes
Gift in die Köpfe der Menschen. Mut ist erforderlich, um nein zu sagen, wenn Vorurteile geschürt
werden, und Mut ist auch gefragt, um sich selbst kritisch zu hinterfragen. Es erfordert ebenso Mut, sich
auf Menschen zuzubewegen, Kulturen kennenzulernen, die mir vielleicht fremd erscheinen, um am Ende
festzustellen: „Alle Menschen sind gleich, wir sind alle auf der Suche nach Liebe, Sicherheit, Geborgenheit.“
Als Lehrerin empfinde ich es als besondere Verantwortung, das kritische Denken der Schülerinnen und
Schüler anzuregen und sie anzuhalten, beherzt und mutig gegen alle Formen von Rassismus und
Diskriminierung einzutreten.
Sie sind auch Schulseelsorgerin. Welche Rolle spielt im Kampf gegen den Rechtsextremismus
die Schulpastoral?
Lamsieh-Köhl: Schulpastoral will „helfen und heilen aus dem Glauben an den Gott des Lebens und seine in
Jesus Christus offenbar gewordene Menschenfreundlichkeit. Menschen aller Altersstufen und Lebenslagen
im Lebensraum Schule soll geholfen werden, die im christlichen Glauben liegenden Lebenschancen zu
verstehen und zu ergreifen“. So umschreibt die Deutsche Bischofskonferenz allgemein einen Grundsatz
der Schulpastoral.
Was bedeutet das konkret für das Alexandrine-Hegemann-Berufskolleg?
Lamsieh-Köhl: Auf unsere Schule bezogen bedeutet dies Parteinahme und Zuwendung für die Schwächeren
der Schulgemeinde und Einsatz, aus einer christlichen Grundhaltung heraus, für die Schwachen und
Benachteiligten dieser Welt. Konkretisiert beziehungsweise erweitert wird diese Haltung an unserer Schule
durch die Projektarbeit im Rahmen der „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Dieses Projekt hat
viele Facetten.
So pflegen wir seit 25 Jahren einen jüdischen Friedhof in Miroslav / Tschechien, gestalten das Schulleben aktiv
durch sogenannte Zeitzeichen unter anderem zur Reichsprogromnacht, begehen mit der Schulgemeinde
die Gedenkveranstaltung zum Holocaust Gedenktag, laden zu Gesprächen mit Zeitzeugen ein, organisieren
Ausstellungen und Aktionen. Seit dem Schuljahr 2015 / 16 wird das Projekt durch das Projekt „Begegnungen“
erweitert, das für und mit Flüchtlingen durch Schülerinnen und Schüler unserer Schule durchgeführt wird.
Schülerinnen und Schüler des bischöflichen Alexandrine-Hegemann-Berufskolleg setzten sich dafür ein, dass die Familie ihrer
Mitschülerin Milena Cela (Mitte) nicht abgeschoben wird. Sie durfte zwar bleiben, ihre Eltern und der jüngere Bruder mussten
aber zurück in ihr Heimatland Albanien.
Was verbirgt sich hinter dem Projekt?
Lamsieh-Köhl: Die Flüchtlingsströme vor knapp fünf Jahren und das damit verbundene Schicksal der
Betroffenen wirken auch in unsere Schulgemeinde hinein. So ist das Thema immer wieder präsent in
Unterrichtsgesprächen, Atempausen und Pausengesprächen. Durch unseren Kontakt mit dem Sozialdienst
katholischer Frauen (SkF) Recklinghausen entstand die Idee, Ressourcen unserer Schülerinnen und Schüler
für Flüchtlingskinder zu nutzen und in Zusammenarbeit mit dem SkF Recklinghausen Angebote in der
Flüchtlingsunterkunft an der Herner Straße einzurichten. Die Projektidee stieß auf großes Interesse in
der Schülerschaft. Die Schülerinnen und Schüler besuchten zunächst die Unterkünfte und die Bewohner,
entwickelten dann eigene Ideen für Angebote und führten diese in der Unterkunft eigenständig und in
ihrer Freizeit durch.
Wie sieht das konkret aus?
Lamsieh-Köhl: Die Angebotspalette ist sehr vielfältig und reicht von Bewegungsangeboten über gestalterisches
Arbeiten bis hin zur Hausaufgabenhilfe. Einige Schülerinnen und Schüler haben auch eine Patenschaft für ein
Flüchtlingskind übernommen und verbringen mit diesem seine Freizeit, um eine Abwechslung vom tristen
Alltag im Flüchtlingsheim zu schaffen und das neue Umfeld besser kennenzulernen.
In unregelmäßigen Abständen finden Besprechungen zwischen dem SkF und unserer Schule statt. Außerdem
nehmen unsere Schülerinnen und Schüler an Festen in der Unterkunft teil, gestalten dort das Rahmenprogramm
mit oder zeigen Präsenz am Weltflüchtlingstag in Kooperation mit UNICEF. Integration bedeutet
nachhaltiges Arbeiten. Daher wird das Projekt in den kommenden Schuljahren fortgesetzt und somit fester
Bestandteil unserer Schulkultur. Das Engagement unserer Schülerschaft zeigte sich auch bei der drohenden
Abschiebung einer Mitschülerin. Die Klassenkameraden starteten eine Petition, und die Schülerschaft
sammelte in der Projektwoche Geld für die Familie, um die Anwaltskosten zum Teil zu decken.
Was treibt Sie an?
Lamsieh-Köhl: Den katholischen Schulen kommt eine besondere Verantwortung zu, das Gebot der
Nächstenliebe praktisch umzusetzen, indem man sich um seine Nächsten kümmert, offen und tolerant
durchs Leben geht und gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, wo die Gesellschaft droht, auseinanderzudriften.
Es bedarf mutiger Menschen, die sich einsetzen für die Schwächsten unserer Gesellschaft.
Dies beweisen unsere SchülerInnen und Schüler an vielen Stellen durch ihr Engagement. Das macht mich
stolz und treibt mich jeden Tag auf‘s Neue an.
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Lesetipps
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Die Kolleginnen der Fachstelle Büchereien kennen und empfehlen spannende Bücher, in denen es um Mut geht.
Victor Dalmau , ein junger Medizinstudent, geht
1938 in den Wirren des spanischen Bürgerkriegs an
die Front, um die dortigen Ärzte zu unterstützen –
auf Seiten der Revolutionäre, die gegen Franco
kämpfen. Dort erwirbt er „Nervenstärke und
medizinische Kenntnisse, die keine Universität der
Welt ihm hätte vermitteln können“.
Roser Bruguera ist eine junge Pianistin, die von
Victors Bruder ein Kind erwartet. Der Bruder hat
sich den Revolutionstruppen angeschlossen und
gilt als verschollen. Victor will sich um Roser und
das Kind kümmern, da er befürchtet, dass sein
Bruder tot ist.
Als sich der Sieg von Francos Truppen abzeichnet,
fliehen beide auf unterschiedlichen Wegen nach
Frankreich und sind nacheinander im Flüchtlingslager
interniert. Über eine Schweizer Ärztin gelingt
die Kontaktaufnahme.
Victor bekommt auf dem Schiff, das Pablo Neruda
mit finanzstarken Chilenen 1939 zur Rettung spanischer
Flüchtlinge organisiert hat, einen Platz für
Roser, ihren Säugling Marcel und sich selbst. Vorab
muss geheiratet werden. Die Ehe gilt beiden als
Zweckgemeinschaft, und so tritt die kleine Familie
Allende, Isabel
Dieser weite Weg
die Überfahrt nach Chile an. Dort stellen sich neue
Herausforderungen: die Arbeits- und Wohnungssuche
als Flüchtlinge, das Ankommen in einer neuen
Gesellschaft, deren Regeln man nicht kennt, und
die Trauer um die Menschen in der alten Heimat
und um die alte Heimat selbst.
Weitere Umbrüche müssen bewältigt werden:
Pinochets Militärdiktatur mit einem elfmonatigen
Gefängnisaufenthalt Victors, ein Neuanfang in
Venezuela für die mittlerweile 60-jährigen Eheleute
und die Rückkehr nach Chile 1983.
Wieviel Mut braucht es, sich solchen Brüchen
im Leben immer wieder zu stellen und sie zu
meistern? Woher nimmt man die Hoffnung,
dass es dieses Mal besser enden wird? Einfache
Antworten gibt es nicht, aber eine spannend
erzählte Geschichte mit gut recherchierten
geschichtlichen Hintergründen und dazu eine
komplizierte Liebesgeschichte, die den Wandel
von Gefühlen zulässt und aushält.
ISBN 978-3-518-42880-1
24 Euro
Was hat Mut mit dem Bewahren von Geheimnissen
zu tun? Eine ganze Menge! Denn: Darf
man sich trauen, ein Geheimnis zu verraten? In
dieser Zwickmühle steckt der kleine Ramin. Er soll
seinem Kindergartenfreund nicht vorher sagen,
welches Geburtstagsgeschenk er für ihn gekauft
hat. „Ein Geheimnis darf man nicht verraten“, sagt
seine Mama. Versprochen ist versprochen und
wird nicht gebrochen. Das ist für Ramin ganz klar.
Und damit fühlt er sich gut, denn er hat etwas
Schönes für seinen Freund ausgesucht.
Dann passiert am nächsten Tag aber etwas
Dummes. Ein größerer Junge schießt beim Spiel
den Fußball in eine Fensterscheibe, die zerbricht.
Aber statt zum Nachbarn zu gehen und um Entschuldigung
zu bitten, laufen er und seine Freunde
weg – unter der Drohung, dass dieses Geheimnis
nicht verraten werden darf, denn dann werde
etwas ganz Schlimmes passieren.
Ramin ist verunsichert, weil ihm dieses zweite
Geheimnis irgendwie Angst macht. Seine Eltern
fragen ihn danach, doch er verrät nichts. Seine
Mama hat ja gesagt, dass Geheimnisse nicht
verraten werden dürfen.
Fabian, Clemens und Zels, Mirjam
Soll ich es sagen?
Eine Geschichte über Geheimnisse
Zum Glück gibt es zwei Erwachsene, die ihm erklären,
dass es gute und schlechte Geheimnisse
gibt. Bei guten, wie dem Geschenk für seinen
Freund, fühle man sich auch gut. Wenn man sich
aber schlecht fühle, sei es ein schlechtes Geheimnis.
Und das darf man mit jemandem teilen,
wenn man unsicher ist. „Jeder Mensch sollte eine
Person haben, der er solche Geheimnisse erzählen
kann. Eine Person, der man alles anvertrauen kann“,
sagt sein Onkel zu ihm. Ramin ist erleichtert, denn
das ist bei ihm seine Mutter. Ihr kann er sich anvertrauen,
und sie hört ihm zu.
Eine Geschichte für kleinere Kinder, die im
weitesten Sinne helfen kann, Gut und Böse zu
unterscheiden und Hilfe in schwierigen Situationen
zu geben. Gut einsetzbar ist sie auch in der Präventionsarbeit.
ISBN 978-3-944442-78-5
16 Euro
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Lesetipps
Ironmonger, John
Der Wal und das Ende der Welt
Roman
Kinnear, Nicola
Henri, der mutige
Angsthase
St. Piran ist ein kleines Fischerdorf irgendwo an
der englischen Küste in Cornwall. Es liegt sehr
idyllisch und abgeschieden am Ende einer Landspitze,
erreichbar nur über eine einzige Straße.
Hier geschehen ungewöhnliche Dinge: Ein
großer Wal wird nah am Strand gesichtet, gleichzeitig
wird ein junger Mann entdeckt, den das
Meer angespült hat. Er ist nicht tot und wird von
der Dorfgemeinschaft liebevoll aufgenommen und
aufgepäppelt. Nach und nach wird klar, wie er in
diese Situation gekommen ist. Joe Haak war
Mitarbeiter einer großen Bank in London und
dort an der Programmierung eines Computerprogramms,
Cassie, beteiligt, das für Börsenspekulationen
Preisbewegungen der weltweiten
Märkte für einige Dutzend Stunden im voraus
vorhersagen konnte.
Als sich Cassie allerdings verrechnet und in
der Bank falsche Entscheidungen getroffen
werden, droht das ganze wirtschaftliche System
zu kollabieren. Joe weiß durch seinen Job, wie
instabil unsere Gesellschaft durch ihre Komplexität
ist. Er gibt in London fluchtartig alles auf und
landet durch glückliche Umstände in dem kleinen
Fischerdorf.
Er gibt alles dafür, St. Piran und seine Bevölkerung
in den Zeiten der Ungewissheit zu schützen.
Durch die Abgeschiedenheit des Dorfes bleibt es
tatsächlich von den extremen Auswirkungen der
gesellschaftlichen Krise relativ verschont.
Eine berührende Geschichte mit vielen interessanten
und liebevoll beschriebenen Charakteren.
Eine Geschichte, die Mut macht, weil sie
an das Gute im Menschen glauben lässt. Und
eine Geschichte, die derzeit an Aktualität nicht
zu überbieten ist.
Und was wird aus dem Wal? Nun, er hat Joe
gerettet, strandet selbst und wird auf Initiative von
Joe in einem Gemeinschaftsakt vom ganzen Dorf
gerettet. Am Ende trägt er dazu bei, dass es allen
gut geht.
ISBN 978-3-10-397427-0
22 Euro
Die Hasen Henri und Luna sind dicke Freunde,
aber ganz unterschiedliche Charaktere. Luna ist
eine Draufgängerin, die immer etwas erleben und
deshalb nach draußen will. Henri dagegen ist ein
echter Höhlenhocker, der am liebsten auf seinem
Lieblingssessel sitzt und zu Hause bleibt. Luna
fordert ihn zu allem Möglichen auf, aber ihm ist
das alles zu gefährlich.
Sie beschimpft ihn als Angsthasen und verlässt
wutentbrannt die gemeinsame Höhle. Und weil
er sie vermisst und sich unbedingt wieder mit ihr
vertragen will, muss er wohl oder übel nach draußen.
Er traut sich wirklich und präpariert sich für
alle Fälle mit Taucherbrille, Taschenlampe, Schal
und Keksen. Er trifft draußen im Wald viele andere
Tiere, die er nach Luna fragt. Sie ist anscheinend
als die mutigste Häsin der Welt bekannt, denn
sie taucht im Fluss, reitet auf einem Hirsch oder
erforscht dunkle Höhlen.
Wenn Henri sie finden will, muss er sich überwinden
und das Gleiche tun. Und dann entdeckt
er sie tatsächlich, allerdings in einer Notsituation,
bedroht von einem bösen Wolf. Natürlich kann
er sie retten! Und will erstmal nicht nach Hause,
sondern noch mehr Abenteuer erleben.
Eine schön illustrierte und spannende
Geschichte über einen kleinen ängstlichen
Hasen, der über sich hinaus wächst und zum
Helden wird. Für Kinder ab vier Jahren.
ISBN 978-3-7891-1054-2
14 Euro
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Es ist die Zeit zu beten,
egal zu wem, und wie.
Es ist die Zeit zu hoffen,
der Glaube an Magie,
die Gutheit überträgt,
wenn wir zusammen stehen,
macht Hoffnung,
man muss aufrecht gehen.
Wer das in diesen Zeiten nicht,
versteht und registriert,
hat Weisheit nicht, kein Hoffnungslicht.
Es ist so spät,
kapiert doch alle,
die schöne Welt steht dort,
wo Leben und der Tod nun trennt,
jetzt braucht es uns,
in einem fort.
Wir haben viel zu lang gepennt.
Schürt keinen Hass,
und habt euch lieb,
auch wenn es schwierig wird.
Auf Tag folgt Nacht.
Der Tod kommt immer wie ein Dieb,
in ach so viele Häuser.
Die sind bekannt und unbekannt.
Wer kennt und weiß,
um all die Namen.
Wenn jetzt nicht „Friede“ Sieger ist,
dann gute Nacht und Amen.
Von Theo Gertsen
(Mitarbeiter Zentralrendantur Emmerich-Kleve)