Militaer_2_2020
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WELTGESCHEHEN<br />
Aktuelle Konflikte,<br />
Krisen und<br />
Analysen — S. 8<br />
MADE IN AUSTRIA<br />
Heimische Sicherheitsfirmen<br />
behaupten sich<br />
am Weltmarkt — S. 40<br />
militär<br />
BLICK IN DIE ZUKUNFT<br />
Hyperschall-Waffen:<br />
Neue Dimension der<br />
Kriegsführung — S. 46<br />
DAS NEUE<br />
ÖSTERREICHISCHE<br />
MILITÄRMAGAZIN<br />
AUSGABE 2|20<br />
EURO 3,80<br />
AKTUELL VERTEIDIGUNGSMINISTERIN<br />
KLAUDIA TANNER:<br />
„Wir werden es auch in Zukunft mit<br />
Einsätzen zu tun bekommen, die<br />
nicht von langer Hand geplant<br />
werden können!“ — S. 22<br />
Zur Bekämpfung des Virus<br />
mobilisierte das Bundesheer<br />
Tausende Soldaten. Wie stehen<br />
sie im Einsatz? Was bedeutet<br />
die Krise für die internationale<br />
Zusammenarbeit? Und: Steigt nun<br />
das Risiko von Bioterrorismus?<br />
Wir haben die Antworten!<br />
HILFE IN DER KRISE – DIE GROSSE BILANZ<br />
Das Bundesheer<br />
im Covid-Einsatz
UNSER EINSATZ<br />
FÜR ÖSTERREICH.<br />
WIR SCHÜTZEN ÖSTERREICH.<br />
Unsere Soldatinnen und Soldaten, die Grundwehrdiener sowie die Aufschub -<br />
präsenz diener und die Zivilbediensteten des Bundesheeres haben von Beginn an<br />
mit großem Einsatz bei der Bewältigung der Corona-Krise geholfen. Gemeinsam<br />
mit der Miliz werden wir auch weiterhin die österreichische Bevölkerung schützen.<br />
Milizhotline: 050201<br />
bundesheer.at
E D I T O R I A L<br />
0 0 3<br />
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER<br />
er Kampf gegen die Corona-Pandemie<br />
D<br />
stellt die Welt seit Monaten vor gewaltige<br />
Herausforderungen: Der Ausnahme- wurde<br />
vielerorts zum Normalzustand, es wurden<br />
Ausgangsbeschränkungen verhängt,<br />
Grenzen geschlossen, die Wirtschaft<br />
heruntergefahren, das öffentliche Leben kam über mehrere<br />
Wochen zum Stillstand. Eine Hauptrolle bei der Krisenbewältigung<br />
spielten in vielen Ländern die Streitkräfte. Sie versorgten<br />
die Bevölkerung während des Lockdowns mit Lebensmitteln,<br />
unterstützten mit medizinischem Personal und trugen<br />
zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung bei. So<br />
auch in Österreich, wo das Bundesheer zur Bewältigung der<br />
Krise einen der größten Einsätze seiner Geschichte startete.<br />
Rot-weiß-rote Soldaten und Milizbedienstete halfen in den<br />
vergangenen Monaten etwa beim Grenzmanagement und<br />
bei der Abwicklung der Abreise von Urlaubsgästen. Sie produzierten<br />
Desinfektionsmittel, unterstützten das Personal<br />
in den Lebensmittellagern von Supermarktketten, hielten<br />
die Logistik der Post am Laufen und übernahmen von der<br />
Polizei die Bewachung von Botschaften in Wien.<br />
Im Rahmen unseres Corona-Sonderberichts (ab Seite 10)<br />
haben wir einige der österreichischen Soldaten und Milizbediensteten<br />
vor den Vorhang gebeten: Etwa Maria Paul und<br />
ihre Kolleginnen von der Schneiderei des Militärkommandos<br />
Wien, die in den vergangenen Wochen Tausende Mund-Nasen-Masken<br />
genäht haben. Oder den Gefreiten Philipp Thalmeier,<br />
der mit seinen Miliz-Kameraden am Grenzübergang<br />
Klingenbach Fahrzeuge und Papiere kontrolliert. Darüber<br />
hinaus haben wir mit Verteidigungsministerin Klaudia Tanner,<br />
Brigadier Sylvia Sperandio (Leiterin des militärischen Gesundheitswesens)<br />
und Österreichs Militärattaché in Italien,<br />
Oberst Nikolaus Rottenberger, über die Bewältigung der Krise<br />
und Lehren für die Zukunft gesprochen. IFK-Leiter Generalmajor<br />
Johann Frank analysiert die Auswirkungen der Pandemie<br />
auf die Gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik<br />
(GSVP) der EU (Seite 29) und verdeutlicht die Notwendigkeit<br />
einer verbesserten Krisenfestigkeit von Staat und<br />
Wirtschaft (ab Seite 34). Außerdem haben wir analyisert,<br />
welche Gefahr infolge der Corona-Pandemie von Terror -<br />
anschlägen mit Biowaffen ausgeht (ab Seite 30).<br />
Was Sie in dieser Ausgabe noch erwartet? Experte Georg<br />
Mader hat Status quo und Zukunft der heimischen Wehrindustrie<br />
unter die Lupe genommen (ab Seite 40) und für<br />
seinen Bericht auch WKO-Spartenobmann Reinhard Marak<br />
befragt (Seite 44). Zudem wirft er einen Blick in die Rüstungslabore<br />
der Großmächte, in denen sich derzeit alles<br />
um das Thema Hyperschallwaffen dreht (ab Seite 46), und<br />
Sicherheitspolitik-Experte Brigadier a. D. Walter Feichtinger<br />
analysiert die Beziehung der sich zusehends näherkommenden<br />
Großmächte China und Russland.<br />
Abschließend möchten wir Sie an dieser Stelle noch<br />
auf unsere neu gestaltete Website hinweisen: Auf<br />
www.militaeraktuell.at finden Sie in Zukunft noch mehr<br />
Sicherheitsthemen, Fakten, Analysen und Reportagen.<br />
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m i l i t ä r a k t u e l l
0 0 4 I N H A L T<br />
INHALT<br />
010<br />
Militär<br />
Science-Fiction<br />
oder Realität?<br />
Russland, China<br />
und die USA wollen<br />
auch im Hyperschall-<br />
Bereich militärische<br />
Kapazitäten aufbauen.<br />
046<br />
Aktuell-Reportage: Für unseren großen Bericht zum<br />
Covid-19-Einsatz des Bundesheeres haben wir unter anderem<br />
Milizsoldaten an der burgenländischen Grenze besucht.<br />
„Wir werden aus dem<br />
Corona-Einsatz viel<br />
lernen können.“<br />
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner<br />
im Gespräch mit Militär Aktuell<br />
022<br />
003 EDITORIAL, IMPRESSUM<br />
006 MOMENTUM<br />
Einsatz unter Sternenhimmel.<br />
008 WELTGESCHEHEN<br />
Aktuelle Kurzmeldungen<br />
aus aller Welt.<br />
010 CORONA-SPEZIAL<br />
Großer Themenschwerpunkt<br />
rund um den Covid-19-Einsatz<br />
des Bundesheeres.<br />
016 AUF EINEN BLICK<br />
Die tödlichsten Pandemien der<br />
Menschheitsgeschichte.<br />
020 INTERVIEW<br />
Im Gespräch mit Brigadier Sylvia<br />
Sperandio, Leiterin des militärischen<br />
Gesundheitswesens des<br />
Bundesheeres.<br />
022 INTERVIEW<br />
Verteidigungsministerin Klaudia<br />
Tanner im Militär Aktuell-Talk.<br />
029 KOMMENTAR<br />
IFK-Leiter Generalmajor Johann<br />
Frank über die Gemeinsame<br />
Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
(GSVP) der EU.<br />
030 DIE NATUR ALS WAFFE<br />
Bioterrorismus: Wie groß ist die<br />
Gefahr wirklich?<br />
034 CORONA-STRESSTEST<br />
Das Virus und der Wunsch nach<br />
mehr Krisenfestigkeit.<br />
038 RÜSTUNGSNEWS<br />
Neuheiten aus der Welt der<br />
Rüstungs- und Sicherheitstechnik.<br />
040 BRANCHE IM FOKUS<br />
Wie steht es um die heimische<br />
Wehrwirtschaft? Ein Überblick.<br />
046 WETTRÜSTEN AM HIMMEL<br />
Die Großmächte und ihr Streben<br />
nach Hyperschallwaffen.<br />
049 NEUERSCHEINUNG<br />
„Frauen.Medien.Krieg.“ blickt aus<br />
weiblicher Perspektive auf Kriege.<br />
050 SCHLUSSPUNKT<br />
Russland-China: Nur ein Zweckbündnis<br />
oder mehr? Kommentar<br />
von Sicherheitspolitik-Experte<br />
Brigadier a. D. Walter Feichtinger.<br />
051 INFOGRAFIK<br />
Die Leistungsmerkmale des<br />
Kampfjets Saab Gripen.<br />
FOTO S : S E B AST I A N F R E I L E R , N O R T H R O P G R U M M A N<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
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0 0 6 P A N O R A M A<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
M O M E N T U M<br />
Sternenhimmel im<br />
Assistenzeinsatz<br />
Im sicherheitspolizeilichen<br />
Assistenzeinsatz an der Grenze<br />
haben Soldaten öfter die Möglichkeit,<br />
einen klaren Sternenhimmel zu<br />
beobachten. Mit etwas Glück kann<br />
man dabei auch die Milchstraße<br />
erkennen. Soldaten der 2. Gardekompanie,<br />
Ende April <strong>2020</strong> im<br />
Einsatz an der burgenländischen<br />
Grenze.<br />
FOTO : B U N D E S H E E R / DA N I E L T R I P P O LT<br />
M I l I t ä r A k t u E l l
0 0 8 W E L T & S T R A T E G I E<br />
COMEBACK DER TERRORISTEN<br />
Der Islamische Staat und al-Kaida könnten die Coronakrise<br />
genutzt haben, um sich in ihren Rückzugsgebieten weitgehend<br />
unbehelligt von Behörden und Regierungen neu aufzustellen.<br />
Diese Vermutung teilt jedenfalls Terrorismusexperten Nicolas<br />
Stockhammer von der Uni Wien in einem aktuellen Interview<br />
mit den Salzburger Nachrichten. „In Zukunft<br />
könnten terroristische Organisationen<br />
auch in Europa wieder verstärkt aktiv<br />
werden“, so Stockhammer, der einen<br />
größeren Anschlag innerhalb der<br />
nächsten sechs bis neun Monate<br />
für durchaus wahrscheinlich<br />
hält – „abhängig vom weiteren<br />
Verlauf der Coronakrise.“<br />
JOURNALISMUS<br />
UNTER DRUCK<br />
Reporter ohne Grenzen warnt:<br />
Die Pressefreiheit ist weltweit<br />
in immer mehr Ländern in<br />
Gefahr und die Coronakrise<br />
droht diese Entwicklung nun<br />
weiter zu beschleunigen.<br />
KOMMT CORONA ZURÜCK?<br />
Experten warnen seit Wochen , ob tatsächlich eine zweite Coronawelle<br />
kommt, lässt sich aber nicht seriös voraussagen. Falls sie<br />
kommen sollte, dürfte sie einer Studie der ETH Zürich zufolge<br />
aber langsamer verlaufen als die erste Welle. „Grund dafür ist,<br />
dass die Gesellschaft einen Lernprozess durchgemacht hat und<br />
sich heute vorsichtiger verhält als zu Beginn der Pandemie“, sagt<br />
Professor Dirk Mohr. Durch den langsamen Anstieg sehe die<br />
Situation bei einer zweiten Welle allerdings – und das ist die<br />
Gefahr – lange Zeit nicht dramatisch aus, die Bedrohung werde<br />
mit Verzögerung wahrgenommen. Notwendige Maßnahmen<br />
und Einschränkungen würden daher als „übertrieben“ und<br />
„nicht notwendig“ erachtet. Im Worst Case rechnen die Forscher<br />
mit bis zu 5.000 zusätzlichen Toten alleine in der Schweiz, bislang<br />
starben dort rund 1.700 Menschen an Corona.<br />
„Jegliche Worte und Taten, welche<br />
den Interessen Chinas schaden,<br />
werden auf Gegenmaßnahmen<br />
von chinesischer Seite<br />
stoßen.“<br />
Die USA und China verschärfen<br />
im globalen Kräftemessen ihren<br />
Ton: Nachdem US-Präsident<br />
Donald Trump die Beziehungen<br />
seines Landes zur WHO aufkündigte<br />
(„die Organisation steht<br />
vollständig unter der Kontrolle<br />
Chinas!“) und Pekings geplantes<br />
„Sicherheitsgesetz“ kritisierte, warf China<br />
den USA vor, „regelrecht süchtig nach dem<br />
Ausstieg“ aus Verträgen und internationalen Organisationen zu<br />
sein. Der Rückzug offenbare die Machtpolitik der USA, sagte der<br />
Sprecher des Außenministeriums, Zhao Lijian. Die Stornierung<br />
milliardenschwerer Soja-, Fleisch- und Baumwoll-Importe aus<br />
den USA seinen als „Gegenmaßnahmen“ Chinas zu verstehen.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
W E L T G E S C H E H E N<br />
„Immer dreister auftretende autoritäre<br />
Regime, Einschränkungen der Presse- und<br />
Meinungsfreiheit im Kampf gegen ,Fake<br />
News‘, populistische Stimmungsmache,<br />
Gewaltbereitschaft gegen Medienschaffende<br />
und die Erosion traditioneller Medien-<br />
Geschäftsmodelle stellen die Pressefreiheit<br />
weltweit unter Druck.“ Dieses Fazit zog die<br />
Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF)<br />
kürzlich bei der Präsentation ihrer „Rangliste<br />
der Pressefreiheit <strong>2020</strong>“. Für die Zukunft<br />
befürchtet RSF eine weitere Verschlechterung:<br />
„Viele der Entwicklungen, die in der<br />
Rangliste abgebildet sind, führen in der<br />
aktuellen Corona-Pandemie dazu, dass<br />
unter dem Deckmantel der öffentlichen<br />
Sicherheit repressive Regierungen ihre<br />
Medienkontrolle weiter ausbauen.“<br />
Rubina Möhring, Präsidentin von RSF Österreich:<br />
„Die Coronakrise – wie wir sie auch<br />
hinsichtlich Pressefreiheit bezeichnen können<br />
– wirkt wie ein Brandbeschleuniger für<br />
autoritäre Tendenzen und repressive Krisenherde.<br />
Zahlreiche Länder gehen zurzeit<br />
besonders aggressiv gegen die demokratische<br />
Grundordnung vor.“ An der Spitze der<br />
Rangliste der Pressefreiheit steht zum vierten<br />
Mal in Folge Norwegen, den zweiten<br />
und dritten Rang nehmen Finnland und<br />
Dänemark ein. Österreich liegt nach dem<br />
Verlust von fünf Plätzen im Pressefreiheitsranking<br />
2019 und dem neuerlichen Abrutschen<br />
um zwei weitere Plätze im aktuellen<br />
Ranking auf Rang 18 unmittelbar hinter<br />
Kanada und Luxemburg und vor Uruguay.<br />
Am unteren Ende der Rangliste stehen wie<br />
in den Vorjahren Nordkorea (Platz 180),<br />
Turkmenistan (179) und Eritrea (178). China<br />
findet sich hinter dem Iran, Syrien, Vietnam<br />
und Dschibuti auf Platz 177 wieder.<br />
Pressefreiheit weltweit <strong>2020</strong><br />
FOTO S : R E P O R T E R O h N E G R E N Z E N , P I C T U R E D E S K<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 1 0 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
Texte & Interviews: JÜRGEN ZACHARIAS & SARAH WETZLMAYR<br />
Bilder: SEBASTIAN FREILER<br />
Mitarbeit: MORITZ KOLAR<br />
IM KAMPF GEGEN DAS<br />
VIRUS<br />
Covid-19-Einsatz: Wie ein Virus aus Fernost<br />
eine der größten Bundesheer-Alarmierungen der<br />
Geschichte und die erste Teilaufbietung der Miliz<br />
überhaupt auslöste.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
CORONA<br />
SPEZIAL<br />
FOTO ( H I N T E R G R U N D) : P I X A B AY<br />
S<br />
chuppentiere zählen zu den geschützten<br />
Tierarten, sie zu töten ist in China – wo<br />
ihr Fleisch als besondere Delikatesse gilt<br />
– strengstens verboten. Vielleicht sollten<br />
wir das Virus, das irgendwann Ende<br />
des vergangenen Jahres möglicherweise<br />
vom Kadaver so eines urtümlich aussehenden nachtaktiven<br />
Einzelgängers auf einem Markt in Wuhan auf Menschen<br />
übergesprungen ist, daher als eine Art Strafe verstehen.<br />
Möglicherweise ist das Virus aber auch aus einem<br />
Hochsicherheitslabor ausgebüxt, wie US-Präsident<br />
Donald Trump und manche Verschwörungstheoretiker<br />
glauben, wurde wie anfangs vermutet von Fledermäusen<br />
übertragen oder, wie der deutsche Virologe Christian<br />
Drosten behauptet, von Marderhunden.<br />
Egal, denn unter dem Strich ändert es nichts an den Folgen<br />
und Auswirkungen, die heute weltweit zu spüren<br />
sind. Und die dafür verantwortlich sind, dass ein 24-jähriger<br />
Gefreiter der 1. Kompanie des Jägerbataillons<br />
Wien 2 an einem nasskalten Samstag Ende Mai gemeinsam<br />
mit einem Kameraden am Grenzübergang Klingenbach<br />
Fahrzeuge und Papiere kontrollieren muss. Philipp<br />
Thalmeier trägt eine orange Warnweste über seiner im<br />
Farbton RAL 7013 gehaltenen Uniform, eine rot-weißrote<br />
Schleife um den linken Oberarm, schwarze Handschuhe<br />
und eine FFP1-Maske. Unmittelbar vor ihm hält<br />
ein orangefarbener Kompaktwagen mit ungarischem<br />
Kennzeichen. Die Frau am Steuer setzt ihren Mund-Nasen-Schutz<br />
auf, öffnet das Seitenfenster und reicht dem<br />
Soldaten ihre von einem Fast Food-Restaurant in Wien<br />
ausgestellte Arbeitsbestätigung. Philipp Thalmeier prüft<br />
die Angaben, kontrolliert den Führerschein und winkt<br />
sie anschließend durch. „Schöne Fahrt noch.“<br />
Für zwei sichtbar in die Jahre gekommene Kastenwagen<br />
mit Anhänger geht es dann einige Minuten später nicht<br />
weiter. Die Insassen wollen nach Deutschland, sie können<br />
außer ihren Ausweisen aber keine Arbeitsbestätigungen<br />
oder Ausnahmegenehmigung vorweisen. Der<br />
junge Milizsoldat übergibt die Angelegenheit daher an<br />
zwei Polizisten, die einige Meter weiter die Angaben<br />
prüfen – und die Fahrzeuge kurz darauf zurück nach<br />
Ungarn schicken. „Ohne Bestätigung oder Genehmigung<br />
gibt es momentan keine Ein- und Durchreise“, sagt<br />
Philipp Thalmeier, ehe er sich dem nächsten Fahrzeug<br />
zuwendet.<br />
Eine ärztliche Bestätigung oder einen Kontroll- oder<br />
Untersuchungstermin braucht es auch, um an Marcel<br />
Wetschka und David Dienbauer vorbeizukommen. Die<br />
beiden Rekruten versehen ihren Grundwehrdienst an<br />
der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt,<br />
seit einer Woche unterstützen sie das Personal des<br />
VIELE FACETTEN Das Bundesheer führt im Rahmen seines<br />
Covid-19-Einsatzes Grenzkontrollen durch. Soldaten und Zivilbedienstete<br />
helfen aber auch bei der Triage an den Eingängen<br />
von Krankenhäusern, bei der Botschaftsbewachung, sie nähen<br />
Mund-Nasen-Masken und helfen in vielen anderen Bereichen.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 1 2 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
nur wenige hundert Meter entfernt<br />
liegenden Landesklinikums bei der<br />
Triage am Patienteneingang. Jeder,<br />
der ins Haus möchte, muss zuerst zu<br />
den beiden Soldaten. Sie messen die<br />
Körpertemperatur, anschließend führen<br />
sie eine Kurzanamnese durch.<br />
„Haben Sie irgendwelche Beschwerden?<br />
Husten? Schnupfen oder<br />
Durchfall? Kurzatmigkeit? Geruchsoder<br />
Geschmacksstörungen? Nehmen<br />
Sie fiebersenkende Medikamente?“<br />
Wer eine der Fragen mit „Ja“ beantwortet,<br />
gilt als potenzieller Corona-<br />
Verdachtsfall und wird vom Pflegepersonal<br />
eingehender befragt und<br />
untersucht. Alle anderen bekommen<br />
von Marcel Wetschka und David<br />
Dienbauer ein hellgrünes Band um<br />
das Armgelenk gelegt und dürfen<br />
passieren. „Die meisten Leute haben<br />
Verständnis für das Prozedere und<br />
die Maßnahmen“, sagt Marcel<br />
Wetschka, nachdem er die<br />
Chronologie eines Einsatzes<br />
In den vergangenen Wochen und Monaten waren Bundesheer-Soldaten in<br />
unterschiedlichsten Bereichen im Covid-19-Einsatz. Ein kurzer Rückblick.<br />
9.1.<br />
Das chinesische Staatsfernsehen<br />
berichtet, dass die Ausbreitung einer<br />
mysteriösen Lungenkrankheit in<br />
der zentralchinesischen Metropole<br />
Wuhan auf ein neuartiges Corona -<br />
virus zurückgehen könnte. Die volle<br />
Gensequenz sei bei einem Patienten<br />
identifiziert und bei 15 weiteren<br />
Erkrankten bestätigt worden.<br />
20.1.<br />
Das Virus breitet sich in China aus, offiziell<br />
ist nun von 201 Patienten die<br />
Rede. Erstmals wird auch ein Fall aus<br />
Südkorea gemeldet, Thailand meldet<br />
zwei Infektionen und Japan einen Fall.<br />
Laut dem Europäischen Zentrum für<br />
Krankheitskontrolle (ECDC) ist die<br />
„Wahrscheinlichkeit eines Imports<br />
des Virus in die EU gering“.<br />
2.2.<br />
Frankreich fliegt zahlreiche EU-Bürger<br />
aus China aus, darunter auch sieben<br />
Österreicher. Das Außenministerium<br />
ersucht das Verteidigungsministerium<br />
um Weitertransport der österreichischen<br />
Staatsbürger von Frankreich<br />
nach Österreich, der Transport wird<br />
vom Bundesheer mit einer C-130<br />
Hercules durchgeführt.<br />
25.2.<br />
Das Bundesheer trifft Maßnahmen,<br />
die zur Erhöhung der Bereitschaft<br />
erforderlich sind. „Sollte das Bundesheer<br />
zur Assistenz angefordert<br />
werden, können unsere Soldatinnen<br />
und Soldaten rasch reagieren und<br />
umfassend helfen“, sagt Verteidigungsministerin<br />
Klaudia Tanner nach<br />
einem Treffen mit dem Generalstab.<br />
9.3.<br />
Rund 110.000 Menschen in 100 Ländern<br />
haben sich bereits mit dem<br />
Coronavirus angesteckt, in Österreich<br />
sind es 112. Polizei und Bundesheer<br />
stehen seit Tagen in permanenter Abstimmung.<br />
Soldaten des Bundesheeres<br />
unterstützen ab sofort die Hotlines<br />
der AGES; der Agentur für Gesundheit<br />
und Ernährungssicherheit.<br />
12.3.<br />
In Österreich stirbt erstmals ein<br />
Covid-19-Patient. Das Bundesheer<br />
setzt die Stellung aus und verstärkt<br />
seinen Einsatz zur Bewältigung der<br />
Coronakrise. Soldaten helfen etwa<br />
beim gesundheitsbehördlichen<br />
Abreisemanagement ausländischer<br />
Urlaubsgäste und unterstützen die<br />
Polizei bei Grenzkontrollen.<br />
15.3.<br />
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner<br />
verkündet die Teilmobilisierung<br />
der Miliz und die Verlängerung des<br />
Präsenzdienstes für alle Grundwehrdiener,<br />
die Ende März abgerüstet hätten.<br />
Soldaten helfen nun auch bei der<br />
Produktion von Desinfektionsmitteln<br />
und bei der Lagerlogistik heimischer<br />
Lebensmittelkonzerne.<br />
19.3.<br />
Rund 1.000 Soldaten und Zivilbedienstete<br />
stehen mittlerweile im<br />
Covid-Einsatz. Ab sofort übernehmen<br />
Soldaten auch den Schutz von Botschaften<br />
und ähnlichen Objekten in<br />
Wien von der Polizei. Tags darauf<br />
aktiviert das Innenministerium den<br />
Assistenzeinsatz des Heeres für<br />
ganz Österreich.<br />
29.3.<br />
Die Unterstützung der Lebensmittelketten<br />
zur Versorgung der Supermärkte<br />
endet. Der Einsatz hatte am<br />
14. März begonnen, zum Höchststand<br />
waren 753 Soldaten sowie Zivilbedienstete<br />
in insgesamt 31 Lagern in<br />
allen neun Bundesländern eingesetzt.<br />
Mit 3. April beginnt die Produktion<br />
eigener Gesichtsmasken.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
Schutzkappe eines digitalen Fieberthermometers<br />
gewechselt hat. Selten<br />
beschwere sich jemand. Manchmal<br />
komme es sogar zu witzigen oder<br />
skurrilen Situationen wie vor ein<br />
paar Tagen, als plötzlich ein Häftling<br />
mit angelegten Handschellen in<br />
Begleitung eines Polizisten vor ihm<br />
stand. Besonders in Erinnerung geblieben<br />
ist dem Soldaten auch eine<br />
schwangere Frau, die sich ganz hinten<br />
in der Warteschlange vor dem<br />
Eingang angestellt hat. Der junge<br />
Niederösterreicher lächelt: „Als sie<br />
an der Reihe war, hat sie in aller Ruhe<br />
erzählt, dass vorhin ihre Fruchtblase<br />
geplatzt ist und sie bitte zur Geburt<br />
ins Krankenhaus möchte.“<br />
Foto : P i x a by<br />
11.4.<br />
insgesamt helfen aktuell rund 1.400<br />
Soldaten im inland, um die auswirkungen<br />
des Coronavirus zu bewältigen,<br />
etwa bei Gesundheitschecks<br />
wie Fiebermessen, Unterstützung<br />
beim Reisemanagement, organisation<br />
von transporten, botschaftsbewachung<br />
oder stehen an den<br />
Grenzen Österreichs im Einsatz.<br />
15.5.<br />
Laut einer Zwischenbilanz hat das<br />
bundesheer seit ausbruch der Corona-Pandemie<br />
rund 1,2 Millionen<br />
arbeitsstunden geleistet. alleine im<br />
sicherheitspolizeilichen assistenzeinsatz<br />
waren zum Höchststand 1.736<br />
Soldaten eingesetzt, bei Gesundheitsbehören<br />
kamen zum Höchststand<br />
664 Soldaten zum Einsatz.<br />
18.5.<br />
Der Milizeinsatz startet: Rund 1.400<br />
Milizsoldaten übernehmen in allen<br />
bundesländern ihre Einsatzaufgaben.<br />
Zwei tage zuvor übernahm das bundesheer<br />
den betrieb des Post-Logistikzentrums<br />
in Hagenbrunn, da es<br />
dort viele Corona-infektionen gab.<br />
am 19. Mai übernimmt das bundesheer<br />
auch das Postzentrum inzersdorf.
0 1 4 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
Marcel Wetschka empfindet seine<br />
Tätigkeit hier am Eingang des Landesklinikums<br />
als „gut und wichtig“,<br />
er könne damit der Allgemeinheit<br />
„etwas zurückgeben“. Als am 25. Februar<br />
in Tirol eine 24-jährige Angestellte<br />
eines Hotels und ihr gleichaltriger<br />
Freund nach einem Italien-Aufenthalt<br />
als erste Coronafälle Österreichs<br />
positiv getestet wurden, hätte<br />
er sich „aber nicht im Traum“ vorstellen<br />
können, dass er drei Monate<br />
später hier bei der Triage helfen würde.<br />
Hinter den Kulissen liefen damals<br />
allerdings schon die Planungen für<br />
einen möglichen Einsatz des Bundesheeres.<br />
Es wurden erste Maßnahmen<br />
zur Erhöhung der Bereitschaft getroffen,<br />
Soldaten im Auslandseinsatz<br />
durften auf Befehl von Streitkräftekommandant<br />
Generalleutnant Franz<br />
Reißner ihren Sonderurlaub nur<br />
mehr in Österreich verbringen und<br />
Verteidigungsministerin Klaudia<br />
Tanner (siehe auch Interview auf<br />
Seite 22/23) verkündete nach einem<br />
Treffen mit dem Generalstab: „Sollte<br />
das Bundesheer angefordert werden,<br />
können unsere Soldatinnen und Soldaten<br />
rasch reagieren und umfassend<br />
helfen.“<br />
Einige Tage später war es so weit: Ab<br />
Anfang März verstärkten Soldaten<br />
und Zivilbedienstete die Hotlines der<br />
AGES, sie halfen beim gesundheitsbehördlichen<br />
Abreisemanagement<br />
SCHUTZ UND HILFE Hauptmann Eric Lang (Bild unten) ist Kommandant der 1. Kompanie<br />
des Jägerbataillons Wien 2. Mit seinen Milizsoldaten unterstützt er die Polizei beim Grenzmanagement<br />
und bei der Überwachung der grünen Grenze. Gemeinsam mit einem Kameraden<br />
kontrolliert Gefreiter Philipp Thalmeier (oben im Bild) Arbeitsbestätigungen und Ausweise.<br />
von ausländischen Urlaubsgästen<br />
und beim Grenzmanagement. Sie<br />
unterstützten die Lagerlogistik der<br />
großen Lebensmittelversorger, die<br />
Stellung wurde ausgesetzt und Mitte<br />
März verkündete Verteidigungsministerin<br />
Tanner schließlich die Verlängerung<br />
des Präsenzdienstes für<br />
mehr als 2.000 Grundwehrdiener um<br />
zwei Monate. Erstmals mobilisierte<br />
sie außerdem Teile der Miliz, um die<br />
„Fortführung des Einsatzes auch<br />
nach Abrüsten der verlängerten<br />
Grundwehrdiener sicherzustellen“.<br />
Hauptmann Eric Lang lächelt. Der<br />
Offizier ist Kommandant der 1.<br />
Kompanie des Jägerbataillons Wien 2<br />
und verlegte in den vergangenen<br />
Tagen mit seinen Soldaten von der<br />
Einsatzvorbereitung am Truppenübungsplatz<br />
Allentsteig in die Martin-Kaserne<br />
nach Eisenstadt. „Eine<br />
derartige Situation hat sich natürlich<br />
niemand gewünscht“, sagt er im<br />
Gespräch mit Militär Aktuell. „Aber<br />
es erfüllt mich mit Stolz, dass wir<br />
nun unserer Bevölkerung Hilfe leisten<br />
können. Genau für Einsätze dieser<br />
Art wurden wir ausgebildet.“ Unter<br />
seinen „Zivilisten in Uniform“ befinden<br />
sich Angestellte und Arbeiter<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
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leichtes Kampfflugzeug mit Bordradar, das sich gleichermaßen für Luft-Luftund<br />
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taktische Luftbild-Aufklärung eignet.<br />
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0 1 6 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
aus den unterschiedlichsten Bereichen<br />
und Sparten, Musiker, Rechtsgelehrte<br />
und sogar ein Arzt, wie Lang<br />
betont. Die beiden Soldaten am<br />
Grenzübergang Klingenbach gehören<br />
ebenso dazu wie drei junge Soldaten,<br />
die auf einem Beobachtungsturm (im<br />
Soldatensprech „Baywatch“ genannt)<br />
auf einer Anhöhe hinter der kleinen<br />
Ortschaft Siegendorf durch eine<br />
Wärmebildkamera bis weit hinein in<br />
die ungarische Tiefebene blicken.<br />
Selbst kleinste Temperaturunterschiede<br />
sind damit sichtbar, Menschen<br />
und Tiere heben sich klar von<br />
ihrer Umgebung ab. Aufgabe der Soldaten<br />
ist die Bewachung der grünen<br />
Grenze, sie sollen illegale Grenzübertritte<br />
verhindern.<br />
Das hat streng genommen mit der<br />
Bewältigung der Coronapandemie<br />
nicht viel zu tun, entlastet aber die<br />
anderen Kräfte des Heeres, spielt sie<br />
gewissermaßen für andere Aufgaben<br />
frei, wie Eric Lang erklärt. Obwohl<br />
die Zahl der illegalen Grenzübertritte<br />
laut Hauptmann Robert Kulterer von<br />
der Pressestelle des Militärkommandos<br />
Burgenland seit Wochen gegen<br />
Null tendiert („Kein Vergleich zum<br />
ersten Quartal, als wir alleine im<br />
Burgenland zirka 800 Aufgriffe hatten<br />
– mehr als die Hälfte des gesamten<br />
vergangenen Jahres“), gelte es die<br />
Lage im Blick zu behalten. „Die Zahlen<br />
werden schon bald wieder steigen.“<br />
Um darauf vorbereitet zu sein, hat<br />
Kompaniekommandant Lang seinen<br />
Soldaten ein forderndes Dienstrad<br />
auferlegt. Auf acht Stunden im Einsatz<br />
folgen sechs Stunden Ruhe, dann<br />
wieder acht Stunden Dienst. „Unter<br />
dem Strich kommen meine Soldaten<br />
damit auf 80 bis 90 Stunden Einsatzzeit<br />
in sechs Tagen, anschließend<br />
haben sie zwei Tage frei“, so Lang.<br />
Wie die meisten anderen Bundesheer-Angehörigen<br />
auch tragen die<br />
Soldaten von Hauptmann Lang während<br />
des Covid-Einsatzes spezielle<br />
Mund-Nasen-Masken in Camouflage-Optik.<br />
Hergestellt werden diese<br />
unter anderem in einer kleinen<br />
Schneiderei des Militärkommandos<br />
Wien in der der Breitenseer Straße<br />
im 14. Bezirk. Leiterin Maria Paul<br />
Von der<br />
Attischen Seuche<br />
bis zu Covid-19<br />
In den vergangenen Jahrtausenden<br />
machten der Menschheit immer wieder<br />
verheerende Epidemien und<br />
Krankheiten zu schaffen.<br />
Ein Überblick.<br />
SCHWARZER TOD – 25 MILLIONEN TOTE<br />
Die vermutlich über Handelsrouten aus Zentralasien<br />
eingeschleppte Pest verbreitete sich in den Jahren<br />
1347 bis 1353 in Wellen über ganz Europa und<br />
tötete mit 25 Millionen Menschen rund ein Drittel<br />
der damaligen Bevölkerung.<br />
GROSSE PEST – 1 MILLION TOTE<br />
Die Epidemie verbreitete sich während des Großen<br />
Nordischen Kriegs in Nord- und Osteuropa. Besonders<br />
betroffen war die Hafenstadt Danzig, wo von<br />
Juli bis Dezember 1708 knapp die Hälfte der 50.000<br />
Einwohner starb.<br />
DRITTE PEST-EPIDEMIE – 12 MILLIONEN TOTE<br />
Die nach der Justinianischen Pest vom 6. bis zum<br />
8. Jahrhundert und dem Schwarzen Tod im 14.<br />
Jahrhundert dritte Pest-Pandemie begann Ende<br />
des 19. Jahrhunderts in China und forderte bis<br />
zum Jahr 1911 weltweit rund 12 Millionen Menschenleben.<br />
ASIATISCHE GRIPPE – 2 MILLIONEN TOTE<br />
Die zweitschlimmste Influenza-Pandemie<br />
des 20. Jahrhunderts brach 1957 vermutlich<br />
in China aus, weltweit fielen ihr bis<br />
zu zwei Millionen Menschen zum Opfer.<br />
CHOLERA – 5 MILLIONEN TOTE<br />
Im Jahr 1961 begann in Indonesien die<br />
siebte Cholera-Pandemie seit 1817. Sie<br />
dauert bis heute an, laut WHO sterben<br />
jedes Jahr bis zu 120.000 Menschen an<br />
der Krankheit.<br />
JUSTINIANISCHE PEST –<br />
12 MILLIONEN TOTE<br />
Von Mitte des 6. bis ins späte 8. Jahrhundert<br />
wüteten insgesamt 17 Wellen<br />
der Lungen- und Beulenpest im gesamten<br />
Mittelmeerraum, in Europa<br />
und Vorderasien. Wie viele Tote sie<br />
gefordert haben wird aktuell von Historikern<br />
viel diskutiert, Schätzungen<br />
gehen von 12 Millionen bis zu<br />
100 Millionen Todesfällen aus.<br />
POCKEN – 8 MILLIONEN TOTE<br />
Europäische Eroberer brachten die<br />
am „Alten Kontinent” bereits weit<br />
verbreitete Krankheit zu Beginn des<br />
16. Jahrhunderts nach Amerika mit,<br />
die Folgen für die indigene Bevölkerung<br />
waren dramatisch: Zwischen<br />
25 und 90 Prozent der amerikanischen<br />
Ureinwohner sollen den<br />
Pocker zum Opfer gefallen sein.<br />
EBOLA – 11.314 TOTE<br />
Im Jahr 1976 erstmals entdeckt,<br />
sorgte der Ausbruch Mitte der<br />
2010er-Jahre für die (bislang) meisten<br />
Todesopfer. Von 28.639 Infizierten<br />
in mehreren westafrikanischen<br />
Ländern sind laut WHO 11.314 verstorben.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
500 v. Chr.<br />
ATTISCHE SEUCHE – 100.000 TOTE<br />
Die Epidemie wütete während der Belagerung durch<br />
die Spartaner in den Jahren 430 – 426 v. Chr. in<br />
Athen. Der Erreger wurde nie eindeutig identifiziert,<br />
der Krankheit dürfte aber mehr als ein Viertel der<br />
Einwohner der Stadt zum Opfer gefallen sein und sie<br />
war wohl für die Niederlage Athens entscheidend.<br />
CORONA<br />
SPEZIAL<br />
Jahr 0<br />
AIDS (HIV) – 39 MILLIONEN TOTE<br />
HIV verursacht beim Menschen<br />
die Immunschwäche Aids, die laut<br />
Joint United Nations Programme<br />
on HIV/AIDS (UNAIDS) bisher<br />
rund 39 Millionen Menschenleben<br />
gefordert hat.<br />
ANTONINISCHE PEST – 10 MILLIONEN TOTE<br />
Nach ihrem Sieg gegen die Parther von römischen Legionären<br />
aus Mesopotamien eingeschleppt, wütete die Krankheit<br />
– vermutlich handelte es sich um Pocken oder Masern –<br />
24 Jahre lang im Römischen Reich. Sie tötete im Jahr 180<br />
wahrscheinlich auch Kaiser Mark Aurel in Vindobona.<br />
500 n. Chr.<br />
GROSSE PEST VON LONDON – 100.000 TOTE<br />
Nachdem es in den Jahren davor immer wieder zu kleineren<br />
Ausbrüchen kam, starben bei dieser Pest-Epidemie<br />
in Südengland rund 100.000 Menschen, davon<br />
75.000 in London, was rund einem Fünftel der Stadtbevölkerung<br />
entsprach. „Robinson Crusoe“-Autor<br />
Daniel Defoe verfasste zu den Ereignisse mit „Die<br />
Pest zu London“ einen Klassiker der Welliteratur.<br />
1000 n. Chr.<br />
FLECKFIEBER – 32.000 TOTE<br />
Verfolgt von russischen Truppen grassierte<br />
unter den Soldaten von Napoleons Grande<br />
Armée im Jahr 1813 auf ihrem Rückzug aus Russland<br />
das Fleckfieber. Neben 16.000 Soldaten<br />
zählten ebenso viele Zivilisten zu den Opfern.<br />
SARS – 774 TOTE<br />
Das erste Auftreten des SARS-Coronavirus<br />
gilt als erste Pandemie des 21. Jahrhunderts.<br />
Weltweit starben insgesamt 774 Menschen<br />
an der Krankheit.<br />
1500 n. Chr.<br />
SCHWEINEGRIPPE – 575.000 TOTE<br />
Der zuvor unbekannte Influenzavirus-<br />
Subtyp verbreitete sich ab 2009 ausgehend<br />
von Mexiko weltweit. Laut<br />
offiziellen Zahlen starben 18.449 Menschen<br />
an der Schweinegrippe (darunter<br />
40 in Österreich), aktuelle<br />
Untersuchungen gehen von bis<br />
zu 575.400 Toten aus.<br />
2000 n. Chr.<br />
COVID-19 – 400.000 TOTE<br />
Ausgehend von der chinesischen Millionenstadt<br />
Wuhan verbreitete sich die Pandemie ab Ende 2019<br />
über die ganze Welt. Am 11. März <strong>2020</strong> erklärte die<br />
WHO die Ausbreitung des Virus zur Pandemie, am<br />
2. April übersprang die Zahl der bestätigten Covid-19-<br />
Fälle die Millionengrenze. Forscher gehen allerdings<br />
von einer sehr hohen Dunkelziffer aus, weltweit<br />
wurde die Zahl der Todesopfer zu Redaktionsschluss<br />
auf rund 400.000 geschätzt.<br />
SPANISCHE GRIPPE –<br />
50 MILLIONEN TOTE<br />
Die Influenza-Pandemie brach in<br />
den letzten Monaten des 1. Weltkriegs<br />
aus und infizierte weltweit<br />
in drei Wellen rund 500 Millionen<br />
Menschen. Offiziell kostete die<br />
Spanische Grippe 50 Millionen<br />
Menschenleben, manche Experten<br />
vermuten bis zu 100 Million Tote.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 1 8 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
und ihre insgesamt acht Mitarbeiterinnen<br />
nähen dort im Normalfall die<br />
Parade auf die Uniformen von Gardesoldaten,<br />
sie fertigen Schießfahnen<br />
und Vorhänge für die Kasernen, ändern<br />
die Waffenfarbe auf Uniformen<br />
und setzen beschädigte Schlafsäcke<br />
instand. Seit Anfang April stehen<br />
nun aber die Masken ganz oben auf<br />
ihrer Prioritätsliste. „Alles andere<br />
muss einstweilen liegen bleiben“, sagt<br />
Maria Paul, „die Masken sind wichtiger“.<br />
Der Stoff („ein Uniformstoff,<br />
der aus einer Erprobungsphase<br />
stammt“) wird von der Heeresbekleidungsanstalt<br />
Brunn in der benötig-<br />
ten Größe angeliefert. Auch die<br />
Gummibänder und Drahtstäbchen<br />
für besseren Halt der Maske an Nase<br />
und Wangenknochen kommen bereits<br />
vorgeschnitten in die Schneiderei.<br />
Dort landen die fertigen Masken<br />
beinahe im Akkord auf einem Stapel:<br />
Zuerst muss der Stoff gebügelt werden,<br />
damit er doppellagig vernäht<br />
werden kann. Anschließend werden<br />
die Gummibänder und das Drahtstäbchen<br />
eingenäht, der Stoff wird in<br />
Falten gelegt und fixiert. Bei den<br />
Mitarbeiterinnen sitzt jeder Handgriff,<br />
hätten sie einen Wunsch frei,<br />
würden sie sich aber etwas Abwechslung<br />
wünschen. „Ganz ehrlich“, sagt<br />
Schneiderin Gabriela Graf und<br />
schmunzelt. „Ich kann keine Masken<br />
mehr sehen, ich träume schon davon.“<br />
Nachsatz: „Aber damit geht es<br />
mir wohl nicht viel anders als den<br />
Soldaten draußen und den meisten<br />
anderen Österreicherinnen und<br />
Österreichern.“<br />
Weiter geht’s auf Seite 22<br />
UNGEWOHNTES BILD Die beiden Rekruten<br />
Marcel Wetschka und David Dienbauer<br />
sind für die Triage am Eingang des Landesklinikums<br />
Wiener Neustadt zuständig. Sie messen<br />
die Körpertemperatur von Personen, die<br />
ins Spital möchten, und führen eine erste<br />
Kurzanamnese durch.<br />
Auch im Ausland<br />
waren viele Bundesheer-Soldaten<br />
mit<br />
der Coronakrise<br />
konfrontiert.<br />
Ein Gespräch mit<br />
Oberst des höheren<br />
militärfachlichen<br />
Dienstes Nikolaus<br />
Rottenberger,<br />
Verteidigungsattaché<br />
in Rom.<br />
Herr Oberst Rottenberger, wann<br />
landete das Thema Coronavirus<br />
erstmals auf ihrem Schreibtisch?<br />
Wir waren hier in Rom ab Ende Jänner<br />
von den ersten Coronavirus-Fällen informiert.<br />
Zu diesem Zeitpunkt war die<br />
Dimension und spätere Entwicklung<br />
der Pandemie natürlich noch nicht absehbar<br />
und nicht vorstellbar. Ab Mitte<br />
Februar wurden dann allerdings bei<br />
den zentralen Regierungsstellen die<br />
gesteigerten Aktivitäten mit Blick auf<br />
die Situation in Oberitalien bemerkbar,<br />
da waren auch bereits die italienischen<br />
Streitkräfte in die Entwicklung<br />
eingebunden. Ich habe daher schon<br />
zu diesem Zeitpunkt mit der Erstellung<br />
eines Lagebildes begonnen und wie<br />
wir wissen herrschte dann ab 9. März<br />
der Ausnahmezustand.<br />
Für Sie war also relativ schnell klar,<br />
dass Sie das Thema Corona länger<br />
beschäftigen wird?<br />
Soldaten sind üblicherweise gewohnt,<br />
in Worst-Case-Szenarien zu denken,<br />
und so war ich ab Mitte Februar mental<br />
auf eine derartige Entwicklung<br />
vorbereitet. Parallel dazu mussten wir<br />
unseren Fokus aber auch auf die sich<br />
zuspitzende Lage an der griechischtürkischen<br />
Grenze richten, die meine<br />
Mitarbeiter und mich ebenfalls massiv<br />
beschäftigt hat.<br />
M I L I T Ä R a k T U E L L
CORONA<br />
SPEZIAL<br />
„Bei uns liefen<br />
mehrere Krisen parallel“<br />
Foto : b e i g e st e l lt<br />
Oberst des höheren<br />
militärfachlichen dienstes<br />
nikOlaus rOttenberger<br />
ist seit 2016 Militärattaché für Italien,<br />
Malta, Spanien, Albanien und<br />
Griechenland mit Sitz in Rom.<br />
dazu muss man wissen, dass neben italien<br />
auch griechenland, malta, albanien<br />
und spanien zu ihrem Zuständigkeitsbereich<br />
gehören. Wirkte sich die ausbreitung<br />
des coronavirus in irgendeiner<br />
form auf die flüchtlingssituation in<br />
diesen ländern aus?<br />
Wie aus den Medien bekannt, ist die<br />
Flüchtlings- und Migrationssituation in<br />
einigen südlichen eU-ländern wie beispielsweise<br />
griechenland prekär. Andere<br />
wie etwa spanien kommen mit der situation<br />
gut zurecht. insgesamt hat die Ausbreitung<br />
der Pandemie die Flüchtlingsund<br />
Migrationsbewegung weitgehend<br />
zum erliegen gebracht. Dies hängt neben<br />
der Zurückhaltung der Flüchtlinge und<br />
Migranten auch mit dem vorsichtigen Verhalten<br />
der schlepper und dem kompletten<br />
erliegen des Personenverkehrs an den<br />
land- und seegrenzen zusammen.<br />
ist der rückgang der flüchtlingszahlen<br />
auch der grund dafür, dass sich die<br />
türkei-griechenland-Problematik,<br />
die sie zuvor bereits angesprochen<br />
haben, zuletzt etwas entspannt hat?<br />
Die grundsätzliche lage hat sich für griechenland<br />
nicht verändert, ich konnte mir<br />
noch Anfang März selbst ein bild vor ort<br />
machen. Jedoch wartet die Masse der<br />
Flüchtlinge und Migranten auf türkischer<br />
seite den beginn der lockerungen der<br />
Corona-Maßnahmen ab. Dann ist aber<br />
wieder mit einem verstärkten Zustrom<br />
an den grenzen zu rechnen.<br />
Zu den aufgaben eines militärattachés<br />
gehört die informationsbeschaffung<br />
und informationsaufbereitung über<br />
Vorgänge in den empfangsstaaten<br />
ebenso wie hilfestellung für österreichische<br />
staatsbürger im ausland bei<br />
krisenfällen. das heißt, sie hatten in<br />
den vergangenen Wochen alle hände<br />
voll zu tun?<br />
Ja, denn neben den Herausforderungen<br />
der Flüchtlings- und Migrationssituation<br />
fand die Krise an der griechisch-türkischen<br />
grenze parallel zur Ausbreitung der Pandemie<br />
statt. es liefen bei uns also mehrere Krisen<br />
parallel. Als Militärattaché unterstütze<br />
ich meine vorgesetzten Dienststellen in<br />
Österreich und meine botschafter sowohl<br />
bei der informationsgewinnung als auch<br />
-aufbereitung. Zusätzlich bin ich das bindeglied<br />
zu unseren Partnerstreitkräften in meinen<br />
gaststaaten. Für die österreichischen<br />
staatsbürger fühlen wir uns alle in den<br />
botschaften verantwortlich, mein büro hat<br />
dabei konkret die evakuierungsflüge aus<br />
italien unterstützt, aber auch die Rückkehr<br />
österreichischer soldaten, die hier im<br />
einsatz oder in der Ausbildung waren.<br />
in italien kam relativ schnell auch die<br />
armee im kampf gegen die ausbreitung<br />
des Virus zum einsatz. inwiefern<br />
konnten sie rückschlüsse aus dem<br />
einsatz und der situation vor Ort nach<br />
österreich weitergeben?<br />
in italien waren schon vor dem Ausbruch<br />
der Pandemie permanent 7.000 soldaten<br />
der operation „sichere straßen“ im inlandseinsatz.<br />
Diese Präsenz hat der Regierung<br />
von Anfang an sehr geholfen. schon<br />
ab Mitte Februar haben die streitkräfte in<br />
ganz italien 5.000 betten für die Quarantänemaßnahmen<br />
anbieten können, darüber<br />
hinaus wurden sanitätseinrichtungen und<br />
transportraum zur Verfügung gestellt. Da<br />
die Maßnahmen rund drei Wochen vor<br />
beginn des lockdowns in Österreich<br />
umgesetzt wurden, ergaben sich für das<br />
bundesheer einige interessante Aspekte,<br />
etwa beim truppenschutz und der Ausbildung.<br />
abschließend: Wenn sich die sicherheitslage<br />
verschärft und krisensituationen<br />
wie aktuell die corona-Pandemie<br />
eintreten, sollte es eigentlich Ziel sein,<br />
die internationale Zusammenarbeit auszubauen,<br />
um gefahren für österreich<br />
frühzeitig erkennen und die eigeninteressen<br />
der republik bestmöglich wahren<br />
zu können. rechnen sie in Zukunft<br />
mit einem bedeutungsanstieg der<br />
militärdiplomatie?<br />
eindeutig ja. gerade bei Verschärfungen<br />
der sicherheitslage und in Krisen ist ein<br />
enger Kontakt mit unseren Partnern im Ausland<br />
zu halten. Neben der Notwendigkeit,<br />
der strategischen ebene im generalstab,<br />
im Verteidigungsministerium und der<br />
österreichischen bundesregierung ein<br />
möglichst lückenloses lagebild zu bieten,<br />
muss auf ebene der Ministerien und der<br />
streitkräfte das internationale Kontaktnetz<br />
intakt bleiben. Nur so können aktuelle entwicklungen<br />
erfasst sowie informationen<br />
und erfahrungen ausgetauscht werden.<br />
Auch können so die Maßnahmen an unseren<br />
grenzen und darüber hinaus sowie nationale<br />
und internationale Hilfeleistungen<br />
mit unseren Partnerländern wirkungsvoll<br />
abgestimmt werden. Diese Vernetzung<br />
stellt die Militärdiplomatie durch das Netz<br />
der Militärattachébüros weltweit sicher.<br />
m i l i t ä r a k t u e l l
0 2 0 h e e r &<br />
M<br />
e h r<br />
„Wir haben noch keine<br />
,Waffe‘ gegen das Virus“<br />
brigadier sylvia sperandio leitet das militärische Gesundheitswesen<br />
des bundesheeres und hat vor dem Jahreswechsel bereits vor den<br />
Gefahren einer Pandemie gewarnt.<br />
Frau Brigadier sperandio, in den<br />
analysen des Bundesheeres gilt eine<br />
pandemie neben Terrorattacken und<br />
einem großflächigen Blackout seit<br />
Jahren als größte Bedrohung für die<br />
österreichische Bevölkerung. Wie<br />
sehr hat es sie überrascht, dass sich<br />
das virus so schnell ausgebreitet hat?<br />
als Militärärztin setzt man sich mit Pandemien<br />
und ihren auswirkungen vermehrt<br />
auseinander und weiß, dass die<br />
rasche ausbreitung eines erregers ein<br />
stetes risiko darstellt. die bedrohlichkeit,<br />
die von sars-Cov-2 ausgeht, rührt<br />
vor allem daher, dass es sich dabei um<br />
einen erreger handelt, den wir noch<br />
nicht kennen. Wir haben weder ein<br />
Medikament noch einen impfstoff<br />
dagegen. Mit den Worten des Militärs<br />
ausgedrückt: Wir haben zum jetzigen<br />
Zeitpunkt noch keine geeignete „Waffe“<br />
gegen dieses virus.<br />
Brigadier sylvia sperandio leitet<br />
die Abteilung für militärisches Gesundheitswesen<br />
im Bundesheer. Sie war weltweit in<br />
Krisenregionen zur humanitären Katastrophenhilfe<br />
als Expertin des United Nations<br />
Disaster Assessment Coordination Teams<br />
und des European Civil Protection Teams<br />
im Einsatz.<br />
in der im dezember erschienenen<br />
„sicherheitspolitischen Jahresvorschau<br />
<strong>2020</strong>“ haben sie bereits vor<br />
den auswirkungen einer pandemie<br />
gewarnt und die vorbereitungen<br />
Österreichs darauf als unzureichend<br />
kritisiert. in welchen Bereichen wurden<br />
ihre Befürchtungen bestätigt?<br />
ich habe in meinem bericht angesprochen,<br />
dass Pandemie-, katastrophenund<br />
krisenpläne regelmäßig evaluiert<br />
werden müssen. der letzte influenza-<br />
Pandemieplan stammt aus dem Jahr<br />
2006. aktualisierte krisenpläne ermöglichen<br />
ein rasches hochfahren der nationalen<br />
krisenstäbe, da die ressourcen<br />
und kompetenzen der stakeholder wie<br />
beispielsweise des bundesheeres bekannt<br />
sind, in denen auch die aktuellen<br />
infrastrukturellen Änderungen berücksichtigt<br />
werden. viele der militärischen<br />
krankenanstalten, die im Fall einer<br />
Pandemie das zivile Gesundheitssystem<br />
mit zusätzlichen bettenkapazitäten unterstützen<br />
könnten, haben wir leider<br />
heute nicht mehr, nachdem basierend<br />
auf einem rechungshofbericht massive<br />
einsparungen und reduktionen durchgeführt<br />
wurden. aufgrund meiner auslandseinsätze<br />
und ausbildungen, die ich<br />
bei der uno und in der eu absolviert<br />
habe, weiß ich, dass man alle strukturen<br />
gut kennen sollte, die einen im ernstfall<br />
unterstützen könnten. im idealfall kennt<br />
man seine direkten ansprechpartner.<br />
inwieweit stand die Bekämpfung<br />
einer möglichen pandemie in den vergangenen<br />
Jahren auf der agenda des<br />
Bundesheeres?<br />
Wir haben versucht, das thema im Fokus<br />
zu behalten und auch darauf hingewiesen,<br />
dass für den Fall einer Pandemie gewisse<br />
vorbereitungen zu treffen wären.<br />
hierzu finde ich eine engmaschige<br />
abstimmung mit dem zivilen Gesundheitswesen<br />
wünschenswert. ob die<br />
vorhandenen krisenpläne auch wirklich<br />
durchführbar sind und funktionieren,<br />
kann im rahmen von Übungen oder<br />
Planspielen realitätsnah überprüft<br />
werden.<br />
provokant gefragt: Hat es so eine<br />
pandemie gebraucht, um ein<br />
Bewusstsein für die Thematik zu<br />
schaffen und die vorsorge- und<br />
Krisenpläne auf den neuesten stand<br />
zu bringen und zu evaluieren?<br />
Weil wir zu einem gewissen Grad alle<br />
von der krise betroffen sind, ist das<br />
bewusstsein momentan sehr groß. ich<br />
denke aber, dass dieses wieder abflachen<br />
wird, weil wir in Österreich glücklicherweise<br />
nicht viele todesfälle und<br />
infizierte hatten. das ist ungefähr so wie<br />
Foto : b u n d e s h e e r / ka r lov i ts<br />
M i l i T Ä r a K T u e l l
mit den guten Vorsätzen zu Silvester.<br />
Auch die verflüchtigen sich in der Regel<br />
schnell wieder und man fällt in alte Muster<br />
zurück. Deshalb ist es wichtig, jetzt<br />
an das vorhandene Bewusstsein anzudocken<br />
und alle relevanten Möglichkeiten<br />
und Krisenpläne zu evaluieren und neu<br />
zu beleben.<br />
Welche Lehren kann das Bundesheer<br />
aus der Situation ziehen?<br />
Auch das Bundesheer muss den Fokus in<br />
Zukunft verstärkt in Richtung Prävention<br />
lenken. Zum Beispiel dann, wenn es um<br />
Schutzausrüstung oder um den raschen<br />
Zugang zu Medikamenten und Impfungen<br />
geht. Das Bewusstsein dafür, dass<br />
es hier noch Optimierungsbedarf gibt,<br />
ist definitiv auch bei uns gestiegen.<br />
Darüber hinaus sollte man sich in Abstimmung<br />
mit dem zivilen Gesundheitswesen<br />
auch überlegen, inwieweit ein<br />
weiter ausgebautes militärisches Gesundheitswesen<br />
künftig als strategische<br />
Reserve eingesetzt werden kann. Ich<br />
spreche hier zum Beispiel von Krankenbetten,<br />
aber auch von geschützten<br />
Transporteinheiten für infizierte Personen<br />
und von mobilen Feldspitälern.<br />
Wie arbeitsintensiv waren die<br />
vergangenen Wochen bei Ihnen?<br />
Die letzten Wochen waren definitiv sehr<br />
arbeitsintensiv, wobei wir sehr auf ein<br />
Thema fokussiert waren. Weil das Bundesheer<br />
eine einsatzorientierte Organisation<br />
ist, war dieses einsatzbezogene<br />
Arbeiten für mich sehr erfüllend – auch<br />
wenn die Zeit sehr fordernd war. Aber<br />
genau diese Herausforderung hat mich<br />
diesen Berufsweg einschlagen lassen.<br />
Trotzdem bin ich jetzt froh darüber, dass<br />
mein Arbeitspensum zuletzt etwas zurückgegangen<br />
ist.<br />
Wie beurteilen Sie die Vorgehensweise<br />
in Österreich? Wurde schnell<br />
genug das Richtige gemacht?<br />
CORONA<br />
SPEZIAL<br />
Eine Gesamtbeurteilung ist aus meiner<br />
Sicht derzeit noch nicht möglich. Wir<br />
befinden uns nach wie vor in einer Krise.<br />
Außerdem ist es wenig sinnvoll, die<br />
Vorgehensweisen der verschiedenen<br />
Länder miteinander zu vergleichen,<br />
weil unglaublich viele Parameter für die<br />
Krisenbewältigung ausschlaggebend<br />
sind. Neben dem Zustand des Gesundheits-<br />
und Sozialsystems spielen<br />
beispielsweise auch geopolitische<br />
Faktoren eine zentrale Rolle. Ich würde<br />
mir deshalb wünschen, dass anstatt<br />
Vergleiche zu ziehen, verstärkt darüber<br />
nachgedacht wird, wie man die gemeinsame<br />
Krisenbewältigung innerhalb<br />
der Europäischen Union weiter verbessern<br />
könnte. Natürlich braucht es bei<br />
vielen Dingen eine nationale Autonomie,<br />
aber es gibt auch Punkte, die in<br />
einer Gemeinschaft einfacher zu lösen<br />
sind.<br />
Zuverlässig und sicher –<br />
Radfahrzeuge für Ihre Mission<br />
DURO<br />
PANDUR<br />
gdels.com<br />
The Transatlantic Partner for Land Defense in Europe
0 2 2 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
Fortsetzung von Seite 18<br />
Das Virus beschäftigte in den<br />
vergangenen Wochen und Monaten<br />
wie wohl kein anderes Thema die<br />
Öffentlichkeit, bei Hunderttausenden<br />
löste es Existenzängste und<br />
Alltagssorgen aus. Laut dem vom<br />
Zentrum für menschenorientierte<br />
Führung und Wehrpolitik des Bundesheeres<br />
mit Unterstützung des<br />
Market Instituts herausgegebenen<br />
„Trend Radar“ empfanden Ende<br />
März 62 Prozent aller Österreicher<br />
das Coronavirus als persönliche Bedrohung.<br />
Bis Anfang Mai ging die<br />
Zahl zwar leicht zurück – konkret<br />
auf 51 Prozent – das Bedrohungsempfinden<br />
war aber immer noch<br />
hoch. Wenig verwunderlich daher,<br />
dass zum selben Zeitpunkt ein Großteil<br />
der Österreicher (88 Prozent) den<br />
Covid-19-Einsatz des Bundesheeres<br />
positiv bewertete. Am höchsten war<br />
die Akzeptanz mit 95 Prozent in<br />
BOTSCHAFTSBEWACHUNG Oberwachtmeister<br />
Markus Derschatta und seine Kameraden<br />
sind für die Dauer ihres Dienstes direkt der<br />
Polizei unterstellt. Die Zusammenarbeit funktioniere<br />
„gut und reibungslos“.<br />
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner<br />
über den laufenden Covid-Einsatz des<br />
Bundesheeres, den für Ende Juni<br />
angekündigten „Luftentscheid“ und die<br />
Kritik an der späten Miliz-Einberufung.<br />
Frau Minister, von der ABC-Abwehr<br />
im Kosovo bis hin zur Miliz an der<br />
Grenze – seit Monaten steht das<br />
Bundesheer im sogenannten Covid-<br />
Einsatz. Wie würden Sie den Einsatz<br />
bislang im Schulnotensystem<br />
bewerten?<br />
Ich bin unglaublich stolz auf das Bundesheer<br />
und darauf, was die österreichischen<br />
Soldatinnen, Soldaten und<br />
Zivilbediensteten seit Monaten leisten.<br />
Die Vielfalt der Einsätze zeigt einmal<br />
mehr, dass die Anforderungen an<br />
Streitkräfte und damit auch an das Bundesheer<br />
immer größer werden und<br />
dass wir es auch in Zukunft mit Einsätzen<br />
zu tun bekommen werden, die aufgrund<br />
ihres überraschenden Eintretens<br />
nicht von langer Hand geplant werden<br />
können. Bezieht man all diese Aspekte<br />
in die Benotung ein, dann muss unter<br />
dem Strich ein „Sehr gut“ herauskommen.<br />
Ein „Sehr gut“ ohne Abstriche?<br />
Ja, denn man darf die Bedingungen<br />
nicht außer Acht lassen. Wir mussten<br />
auf die Situation rasch reagieren und<br />
neben dem Covid-Einsatz auch alle<br />
unsere anderen Aufgaben bis hin zu<br />
den Auslandseinsätzen professionell<br />
weiterführen. Dazu hatten und haben<br />
wir gleichzeitig bis zu 4.000 Soldatinnen<br />
und Soldaten im Einsatz und wir<br />
haben zahlreiche Unterstützungsleistungen<br />
abgedeckt, mit denen wir<br />
so noch nie konfrontiert waren.<br />
Haben Sie trotzdem da und dort<br />
einen Nachholbedarf ausgemacht,<br />
wo man in einer ähnlichen Situation<br />
schneller, besser oder anders reagieren<br />
könnte?<br />
Wir werden ohne Zweifel aus dem gesamten<br />
Einsatz viel lernen können, was<br />
uns bei ähnlichen Problematiken in Zukunft<br />
helfen wird; gerade auch was die<br />
historische Teilaufbietung der Miliz und<br />
den Aufschubpräsenzdienst betrifft<br />
und wie diese noch besser gestaltet<br />
werden können. Ganz sicher werden<br />
wir auf die erkannten Notwendigkeiten<br />
im Bereich der Ausrüstung reagieren.<br />
Da gibt es Aufholbedarf und es wird<br />
unsere Aufgabe sein, dafür in Zukunft<br />
einzutreten.<br />
Sie sprechen von der persönlichen<br />
Ausrüstung der Soldaten …<br />
Ja, aber auch vom Transportbereich.<br />
Wir haben heuer ein historisch hohes<br />
Budget mit einer Steigerung von<br />
knapp zehn Prozent gegenüber dem<br />
Vorjahr und können daher erstmals<br />
seit Langem auch wieder aus dem laufenden<br />
Budget Investitionen tätigen.<br />
Dabei sind 17,5 Millionen Euro für<br />
die Miliz vorgesehen, darüber hinaus<br />
wird es aber natürlich auch die eine<br />
oder andere Sonderfinanzierung etwa<br />
im Bereich der Miliz, der Mobilität<br />
oder auch der aktiven und passiven<br />
Luftraumüberwachung geben müssen.<br />
Ein im Zuge des Covid-Einsatzes<br />
vielfach geäußerter Kritikpunkt war<br />
die lange Einberufungszeit der<br />
Miliz. Warum hat es zwei Monate<br />
gedauert, bis die Soldaten im Einsatz<br />
waren?<br />
Weil wir uns dafür entschieden haben,<br />
zunächst den Aufschubpräsenzdienst<br />
für jene Grundwehrdiener zu verordnen,<br />
die im März bereits abgerüstet<br />
hätten und diese dann von der Miliz<br />
ablösen zu lassen. Dadurch konnten<br />
sich die Wirtschaft und unsere Milizsoldaten<br />
in Ruhe auf den Einsatz vorbereiten.<br />
Der Balanceakt zwischen der<br />
Notwendigkeit des Einsatzes und<br />
den Anforderungen der Wirtschaft<br />
hat damit aus meiner Sicht gut<br />
funktioniert.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
CORONA<br />
SPEZIAL<br />
„Der Balanceakt<br />
hat gut funktioniert“<br />
Verteidigungsministerin Klaudia<br />
tanner im Gespräch mit Militär Aktuell-<br />
Chefredakteur Jürgen Zacharias.<br />
für all diese Bereiche zu verbessern?<br />
Kasernen sind ein Wirtschaftsfaktor für die<br />
jeweilige Region, aber auch ein Sicherheitsfaktor,<br />
und die aktuelle Situation<br />
zeigt, dass wir uns noch mehr um deren<br />
Autarkie kümmern müssen, um im Krisenfall<br />
handlungsfähig bleiben und die<br />
Blaulichtorganisationen bestmöglich unterstützen<br />
zu können. Dahingehend gibt<br />
uns das aktuelle Regierungsprogramm<br />
bereits vieles vor und arbeiten wir auch<br />
bereits an Investitionsprogrammen, in<br />
die nun natürlich auch die praktischen<br />
Erfahrungen einfließen werden.<br />
„DIE AKTUELLE SITUATION ZEIGT,<br />
DASS WIR UNS NOCH MEHR UM<br />
DIE AUTARKIE UNSERER KASERNEN<br />
KÜMMERN MÜSSEN, UM IM KRISEN-<br />
FALL HANDLUNGSFÄHIG ZU BLEIBEN!”<br />
Verteidigungsministerin Klaudia tanner<br />
im Bedarfsfall hätte die miliz aber auch<br />
schneller zum einsatz gebracht werden<br />
können?<br />
Ja, ohne Zweifel. Unsere Milizsoldaten<br />
sind gut ausgebildet und unsere Einsatzorganisation<br />
ist gut vorbereitet. Ein<br />
deutlich schnellerer Einsatz wäre ohne<br />
Weiteres realisierbar gewesen, wenn die<br />
Notwendigkeit dafür bestanden hätte.<br />
im risikobild der ende 2019 veröffentlichten<br />
„sicherheitspolitischen Jahresvorschau“<br />
ihres ministeriums ist neben<br />
der gefahr eines systemischen terrorangriffs<br />
und eines Blackouts auch die<br />
gefahr einer Pandemie prominent<br />
abgebildet. Welche learnings können<br />
aus der aktuellen situation gezogen<br />
werden, um die resilienz Österreichs<br />
sie haben nach ihrem amtsantritt für<br />
mitte des Jahres eine entscheidung<br />
über die Zukunft der aktiven und passiven<br />
luftraumüberwachung angekündigt.<br />
Hat sich daran aufgrund des<br />
Covid-einsatzes etwas geändert?<br />
Wir haben von Anfang an gesagt, dass<br />
wir bis Mitte des Jahres unter Einhaltung<br />
größtmöglicher Transparenz bekannt<br />
geben werden, in welche Richtung wir auf<br />
die kostengünstigste und sicherste Art<br />
und Weise weitergehen wollen. Daran<br />
wird bei uns im Haus aktuell auch intensiv<br />
gearbeitet. Wir werden dem Termin<br />
Ende Juni also treu bleiben.<br />
sie sind jetzt seit einem halben Jahr im<br />
amt. Wo sehen sie das Bundesheer in<br />
drei bis vier Jahren?<br />
Ich bin jeden Tag dankbar, dieses Ressort<br />
führen zu dürfen, und hoffe, dass das Bundesheer<br />
dann noch mehr in der Mitte der<br />
Gesellschaft angekommen ist. Aktuellen<br />
Umfragen zufolge ist das Vertrauen der<br />
österreichischen Bevölkerung in das<br />
Bundesheer so groß, wie noch nie und<br />
ich wünsche mir, dass auf dieser Basis das<br />
Bundesheer noch stärker als strategische<br />
Reserve der Republik wahrgenommen<br />
wird.<br />
m i l i t Ä r a K t u e l l
0 2 4 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
Oberösterreich, am geringsten in Vorarlberg, Salzburg und<br />
Tirol mit jeweils 84 Prozent und in Wien mit 86 Prozent.<br />
Im Zentrum der Hauptstadt beobachtet Oberwachtmeister<br />
Markus Derschatta gerade ein Fahrzeug, das vor einigen<br />
Sekunden am Fahrbahnrand der Technikerstraße gehalten<br />
hat. Der Soldat der 5. Gardekompanie verlangsamt seinen<br />
Schritt, blickt langsam vom Fahrzeugheck zur Front, setzt<br />
dann aber, als sich das Auto wieder in Bewegung setzt, seinen<br />
Rundgang fort. Um die Polizei für ihre Covid-19-Einsätze zu<br />
entlasten, ist das Bundesheer seit Mitte März für die Überwachung<br />
von Botschaften in Wien zuständig. Zu den rund 20<br />
Schutzobjekten (anfänglich waren es nur zehn Botschaften)<br />
gehört auch die französische Botschaft am Schwarzenbergplatz,<br />
vor der Markus Derschatta Wache schiebt. Für die<br />
Dauer des Dienstes ist er unmittelbar der Polizei unterstellt,<br />
er ist mit Pfefferspray, Dienstpistole und Stichschutzweste<br />
ausgerüstet und verfügt über dieselben Befugnisse wie sonst<br />
die Polizei – etwa die Möglichkeit zur Wegweisung. Bei den<br />
Kollegen vom Innenministerium komme der Dienst der Soldaten<br />
gut an, erklärt Derschattas Kompaniekommandant<br />
Hauptmann Gregor Brosch-Fohraheim. „Wir bekommen sehr<br />
gutes Feedback“, sagt der Offizier, was wohl nicht nur daran<br />
liegt, das bis jetzt bei der Botschaftsbewachung alles reibungslos<br />
abgelaufen ist. Sondern möglicherweise auch daran,<br />
dass seine Soldaten dabei helfen konnten, im unmittelbaren<br />
Umfeld der Botschaften kleinere Straftaten aufzuklären,<br />
beispielsweise einen Fahrraddiebstahl.<br />
OBERSTE PRIORITÄT Maria Paul und die Damen in der<br />
Schneiderei des Militärkommandos Wien nähen seit<br />
Wochen nichts anderes als Mund-Nasen-Masken.<br />
Die fertigen Masken landen auf einem Stapel, vor<br />
der Auslieferung werden sie gründlich gewaschen.<br />
Auch an der Staatsgrenze hat der Einsatz von Polizei und<br />
Bundesheer manch überraschend positive Nebenwirkung,<br />
wie Oberösterreichs Militärkommandant Brigadier Dieter<br />
Muhr gegenüber Militär Aktuell erklärt. „Durch die genauen<br />
Kontrollen konnte der eine oder andere gesuchte Verbrecher<br />
identifiziert werden“, sagt Muhr. Das von einem kleinen<br />
Schuppentier, einem unscheinbarer Marderhund oder einer<br />
lichtscheuen Fledermaus in China übertragene Virus wirkt<br />
sich also sogar auf die heimische Kriminalistik aus. Es kostet<br />
weltweit aber auch Hunderttausende Menschenleben, verbannt<br />
Milliarden Menschen (zeitweise mehr als die Hälfte<br />
der Weltbevölkerung) in ihre eigenen vier Wände und hat<br />
einen der größten Bundesheer-Einsätze der Geschichte<br />
zur Folge, der auch nach Redaktionsschluss Anfang Juni<br />
(eingeschränkt) seine Fortsetzung findet.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
UNSERHEER<br />
EINE INFORMATION DES BMLV<br />
Entgeltliche Einschaltung<br />
Das Bundesheer setzt bei der<br />
Krisen-Bewältigung auf die Miliz<br />
Jetzt hilft die Miliz! Zur Bewältigung der Corona-Krise wurde erstmals<br />
in der Geschichte der Zweiten Republik österreichweit die Miliz des<br />
Bundesheeres aufgeboten. Seit Mai stehen 2.500 Soldatinnen und<br />
Soldaten im Einsatzpräsenzdienst und beweisen damit einmal mehr:<br />
Österreichs Bevölkerung kann sich auf unser Heer verlassen!<br />
Foto: Bundesheer/Steger<br />
Aufgabenspektrum<br />
Die Milizsoldatinnen und Milizsoldaten kommen neben<br />
zahlreichen weiteren Aufgaben auch beim Objektschutz<br />
und beim Ausreisemanagement zum Einsatz.<br />
„Die aktuelle Lage ist eine Chance<br />
für die Miliz! Endlich können wir<br />
beweisen, was wir können!“ Oberleutnant<br />
Christian Rath ist Kommandant<br />
der Jägerkompanie<br />
Deutschlandsberg, gemeinsam mit<br />
seinen Kameradinnen und Kameraden<br />
betrat er Anfang Mai Neuland:<br />
Zur Bewältigung der Corona-Pandemie<br />
wurde erstmals in der Zweiten<br />
Republik die Miliz des Bundesheeres<br />
– und damit auch Raths<br />
UNSERHEER
Objektschutz Seit Ende Mai bewachen<br />
die Milizsoldaten des Jägerbataillons<br />
Wien 1 zahlreiche Botschaften in Wien.<br />
Weststeirer Kompanie – aufgeboten.<br />
Zunächst erhielten die Soldatinnen<br />
und Soldaten eine zweiwöchige<br />
auffrischende Ausbildung,<br />
bei der grundlegende Fertigkeiten<br />
wiederholt wurden. Mitte Mai lösten<br />
sie dann die bis dahin aufgebotenen<br />
Berufssoldaten und Grundwehrdiener<br />
ab. Seitdem steht der<br />
29-jährige Voitsberger, der im Zivilberuf<br />
als Luftfahrzeugtechniker bei<br />
einem internationalen Flugzeughersteller<br />
in Wiener Neustadt tätig ist,<br />
gemeinsam mit seinen Kameraden<br />
und den Soldaten von zwölf weiteren<br />
Milizkompanien in ganz Österreich<br />
im Einsatzpräsenzdienst. Das<br />
Gros kommt an den Grenzen und<br />
im Objektschutz zum Einsatz. Möglich<br />
sind in den kommenden Wochen<br />
aber auch Aufgaben, die jetzt<br />
noch nicht absehbar sind, wie Verteidigungsministerin<br />
Klaudia Tanner<br />
betont. In den vergangenen<br />
Wochen halfen Heeresangehörige<br />
auch in den Lagern von Supermarktketten<br />
und bei Pharmafirmen<br />
aus. Sie halfen bei der Rückholung<br />
von Österreicherinnen und Österreichern<br />
aus dem Ausland, führten<br />
an den Eingängen von Krankenhäusern<br />
Gesundheitskontrollen durch<br />
und machten bei der Telefonhotline<br />
des Außenamts Dienst. „Das Bundesheer<br />
zeigt nun, was es kann:<br />
Es beweist auch unter schwierigen<br />
Bedingungen Einsatzbereitschaft,<br />
Durchhaltevermögen, Flexibilität<br />
und Organisationsvermögen und<br />
unterstreicht damit seine Einsatzfähigkeit<br />
und Krisenfähigkeit! Die<br />
österreichische Bevölkerung kann<br />
sich auf unser Heer verlassen“,<br />
so Generalmajor Erwin Hameseder.<br />
Und weiter: „In der Krise wird wieder<br />
einmal augenscheinlich, wie<br />
wichtig unser Bundesheer ist.<br />
Schutz und Hilfe ist das Motto des<br />
Bundesheeres und genau darum<br />
geht es nun“, so der Milizbeauftragte<br />
der rot-weiß-roten Streitkräfte<br />
(siehe auch Interview ab der<br />
nächsten Seite).<br />
Enge Zusammenarbeit Soldatinnen<br />
und Soldaten des Bundesheeres<br />
unterstützen die Polizei seit Wochen<br />
bei den Grenzkontrollen.<br />
UNSERHEER<br />
Dass Oberleutnant Rath und seine<br />
Kameraden nun überhaupt zum<br />
Einsatz kommen können, ist dem<br />
Milizsystem des Bundesheeres<br />
zu verdanken. Parallel zu den rund<br />
24.000 Grundwehrdienern, Zivilbediensteten<br />
sowie Berufssoldaten,<br />
die den Personalstamm des<br />
Bundesheeres bilden, können bei<br />
Fotos: Bundesheer/Steger, Bundesheer/Frank
Bedarf bis zu 31.000 Milizsoldaten<br />
aufgeboten und zum Einsatz gebracht<br />
werden. Dabei handelt es<br />
sich um Männer und Frauen, die<br />
ihren Grundwehr- oder Ausbildungsdienst<br />
geleistet und sich dafür entschieden<br />
haben, freiwillig weiterhin<br />
für unterschiedlichste Aufgaben<br />
beim Bundesheer zur Verfügung zu<br />
stehen. Bei Bedarf schützen sie in<br />
ihren Heimatregionen zum Beispiel<br />
wichtige Infrastruktureinrichtungen,<br />
sie stellen seit vielen Jahren aber<br />
auch wesentliche Teile der Auslandskontingente<br />
des Bundesheeres,<br />
etwa in Bosnien, im Libanon<br />
oder im Kosovo. Als Offiziere,<br />
Unteroffiziere oder Chargen sind<br />
sie damit ein integraler Bestandteil<br />
des Wehrsystems – ohne diesen<br />
Eckpfeiler wären viele Aufgaben<br />
nicht in der aktuellen Qualität und<br />
Quantität bewältigbar.<br />
Ob und in welcher Stärke die Miliz<br />
bei Bedarf aufgeboten wird, entscheidet<br />
die Regierung und ist in<br />
erster Linie vom Anlassfall abhängig.<br />
Daneben spielen aber auch<br />
andere Faktoren eine Rolle: Um im<br />
aktuellen Fall sicherzustellen, dass<br />
keine systemrelevanten Mitarbeiter<br />
kritischer Infrastruktur ihrer zivilen<br />
Funktion entzogen werden, wurden<br />
diese für den laufenden Covid-19-<br />
Einsatz nicht aufgeboten und<br />
Jägerkompanien aus allen neun<br />
Bundesländern und keine ganzen<br />
Bataillone einberufen.<br />
Obwohl die nun im Einsatz stehenden<br />
Milizkompanien gut ausgebildet<br />
sind und gut vorbereitet wurden,<br />
bringt der Einsatz trotzdem<br />
Herausforderungen mit sich. „Die<br />
geplante Einsatzdauer bis Ende<br />
Juli ist für uns Neuland, aber auch<br />
das werden wir meistern“, ist sich<br />
Oberleutnant Christian Rath sicher.<br />
„Dafür sind wir schließlich da: wir<br />
sind die strategische Reserve der<br />
Repubilik“, so Rath weiter. Nachsatz:<br />
„Dass unsere Kompanie zum<br />
erlauchten Kreis der aufgeboteten<br />
Einheiten gehört, sehe ich als Auszeichnung<br />
und Bestätigung unseres<br />
Engagements.“<br />
„Die Miliz leistet<br />
einen wichtigen<br />
Beitrag!“<br />
Generalmajor Erwin Hameseder ist<br />
Milizbeauftragter des Bundesheeres.<br />
Ein Gespräch über den Covid-19-Einsatz<br />
der rot-weiß-roten Streitkräfte, die<br />
Miliz als „Garant für die Durchhaltefähigkeit<br />
des Bundesheeres“ und<br />
die ausgezeichnete Ausbildung der<br />
österreichischen Soldatinnen und<br />
Soldaten.<br />
Herr Generalmajor, erstmals<br />
in der Geschichte der Zweiten<br />
Republik wurden Teile der<br />
Miliz des Bundesheeres aufgeboten.<br />
Was bedeutet der<br />
Einsatz für die Wertschätzung<br />
und die Wahrnehmung der<br />
Miliz in der breiten Öffentlichkeit?<br />
In der aktuellen Krise wird jedem<br />
Einzelnen wieder verstärkt bewusst,<br />
welche wichtige Rolle als<br />
strategische Reserve der Republik<br />
Österreich das Bundesheer<br />
hat. Die Aufbietung von Milizsoldaten<br />
ist tatsächlich historisch<br />
und eine große Chance, denn die<br />
Miliz ist das Rückgrat und der<br />
Garant für die Durchhaltefähigkeit<br />
des Bundesheeres.<br />
Der Milizsoldat ist der Bürger in<br />
Uniform und verkörpert schließlich<br />
selbst mit all seinen Fähigkeiten<br />
und Kenntnissen die<br />
breite Öffentlichkeit. Das bedeutet<br />
auch, die einberufenen<br />
Frauen und Männer sind wesentliche<br />
Meinungsbildner, und zwar<br />
innerhalb der eigenen Familien<br />
ebenso wie im erweiterten<br />
persönlichen und beruflichen<br />
Umfeld. Ich bin mir sicher, die<br />
kommenden Monate werden<br />
die Professionalität und die<br />
Bedeutung unserer Miliz deutlich<br />
unter Beweis stellen.<br />
Die Soldatinnen und Soldaten<br />
übernehmen aktuell vorwiegend<br />
sicherheitspolizeiliche<br />
Aufgaben wie etwa Grenzschutz<br />
und Ausreisemanagement.<br />
Sind in Zukunft auch<br />
noch andere Aufgaben<br />
denkbar?<br />
All das, was unsere Milizsoldaten<br />
während dieser Krisensituation<br />
an Unterstützung leisten, ist<br />
grundsätzlich ein wesentlicher<br />
Beitrag zur Sicherung des zivilen<br />
Lebens und unseres Wirtschaftsstandortes.<br />
Zu den konkreten<br />
Aufgaben gehören etwa die Unterstützung<br />
der Exekutive beim<br />
Objektschutz, aber auch Überwachungsaufgaben<br />
von Botschaften<br />
und anderen Einrichtungen der<br />
kritischen Infrastruktur sowie<br />
die Erhöhung der Präsenz im<br />
öffentlichen Raum.<br />
UNSERHEER<br />
Entgeltliche Einschaltung
Wie viel Verständnis<br />
herrscht für den Einsatz der<br />
Miliz in der Wirtschaft? Viele<br />
Dienstgeber müssen dadurch<br />
schließlich monatelang auf<br />
wichtige Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter verzichten.<br />
Ich bin sehr froh darüber, dass es<br />
bei den meisten Unternehmen<br />
Verständnis für den Einsatz ihrer<br />
Mitarbeiter gibt. Diese Einstellung<br />
ist auch ein wichtiges Zeichen<br />
gegenüber den einrückenden<br />
Milizsoldaten. Ich komme selbst<br />
aus einer großen Unternehmensgruppe,<br />
die Milizsoldaten aus<br />
Überzeugung unterstützt, weil es<br />
auch stolz macht, Menschen im<br />
Unternehmen zu haben, die in<br />
dieser Krisensituation für die<br />
Allgemeinheit anpacken und ihre<br />
staatsbürgerliche Pflicht erfüllen.<br />
Bei solchen Fällen, in denen Mitarbeiter<br />
für das Unternehmen absolut<br />
unabkömmlich sind, wurde<br />
vonseiten des Bundesheeres<br />
Rücksicht genommen und nach<br />
Lösungen gesucht. Dafür gibt es<br />
Möglichkeiten für Dienstfreistellungen,<br />
aber auch gesetzliche<br />
Befreiungsgründe.<br />
Die Miliz gilt – wie Sie zuvor<br />
gesagt haben – als wichtiger<br />
„Garant für die Durchhaltefähigkeit<br />
des Bundesheeres“<br />
und muss daher im Ernstfall<br />
mit vielen komplexen Herausforderungen<br />
von Cyberbedrohungen<br />
bis hin zu Einsätzen<br />
wie nun bei der Corona-Krise<br />
umgehen können. Entsprechen<br />
die Ausrüstung und die Ausbildung<br />
der Soldatinnen und<br />
Soldaten diesem hohen<br />
Anspruch?<br />
Unsere Soldaten erfahren eine<br />
ausgezeichnete Ausbildung. Das<br />
Problem ist aber, dass aufgrund<br />
der ausgesetzten Truppenübungen<br />
seit 2006 es nur für rund die<br />
Hälfte der Beorderten möglich ist,<br />
ihre Kenntnisse regelmäßig zu<br />
schulen. Dies erfordert im Anlassfall<br />
dann eine professionelle und<br />
umfassende Einsatzvorbereitung.<br />
Ähnlich verhält es sich mit der<br />
Ausrüstung: Diese ist prinzipiell<br />
ausgezeichnet, aber in vielen<br />
Bereichen nur unzureichend<br />
vorhanden, hier sind zweifellos<br />
Investitionen in hohem Umfang<br />
notwendig. Fakt ist, nicht nur jetzt,<br />
sondern auch nach der Corona-<br />
Krise wird das Bundesheer mit<br />
komplexen Herausforderungen<br />
und Gefahren konfrontiert sein.<br />
Laut einer aktuellen Umfrage<br />
des Instituts Market Extra<br />
sieht der Großteil der Österreicher<br />
den Covid-19-Einsatz<br />
des Bundesheeres positiv.<br />
Erhoffen Sie sich davon auch<br />
eine langfristig positive Wirkung<br />
– etwa in Form einer<br />
„Die kommenden<br />
Monate stellen die<br />
Professionalität<br />
und die Bedeutung<br />
unserer Miliz unter<br />
Beweis.“<br />
Generalmajor<br />
Erwin Hameseder<br />
Budgetaufstockung – für das<br />
Bundesheer und insbesondere<br />
die Miliz?<br />
Das wäre nicht nur zu wünschen,<br />
sondern auch dringend notwendig.<br />
Ich werte es als sehr positives<br />
Signal, wenn von der Frau<br />
Bundesminister die Bedeutung<br />
der Miliz öffentlich angesprochen<br />
wird. Wenn es darum geht, das<br />
Bundesheer und die Miliz nachhaltig<br />
zu stärken und zukunftsfit<br />
zu machen, dann braucht es<br />
letztlich den politischen Weitblick<br />
und die ausreichende budgetäre<br />
Ausstattung. Eine umfassende<br />
Sicherheit zum Nulltarif wird es<br />
jedenfalls nicht geben. Unsere<br />
Hoffnungen stecken im Verantwortungsbewusstsein<br />
unserer<br />
aktuellen Regierung, da es um<br />
den Schutz der österreichischen<br />
Bevölkerung geht. Hier wird man<br />
sich bei objektiver Beurteilung<br />
der zukünftigen komplexen<br />
Herausforderungen, die sich<br />
dem Bundesheer stellen, einer<br />
entsprechenden Erhöhung des<br />
Verteidigungsbudgets nicht<br />
verschließen können.<br />
Entgeltliche Einschaltung<br />
Foto: Bundesheer/Karlovits<br />
Impressum: Amtliche Publikation der Republik Österreich / Bundesministerium für Landesverteidigung. Medieninhaber, Herausgeber und<br />
Hersteller: Republik Österreich / Bundesministerin für Landesverteidigung, BMLV, Roßauer Lände 1, 1090 Wien. Erscheinungsjahr: <strong>2020</strong>.<br />
UNSERHEER
CORONA<br />
SPEZIAL<br />
GSVPIM FOKUS<br />
Neue Militär Aktuell-Serie: Generalmajor Johann Frank berichtet ab sofort in jeder Ausgabe über<br />
Neuheiten und Entwicklungen rund um die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)<br />
der Europäischen Union. Dieses Mal im Fokus: Wird die Coronakrise langfristig zu einem Katalysator<br />
für mehr militärische Zusammenarbeit? Oder wirkt sie vielmehr als Zentrifugalkraft?<br />
Foto : Kas p e r l p o st / CC BY- sa ( h t t p s : / / C r e at i v e Co m m o n s .o r g / l i C e n s e s / BY- sa / 4 .0 )<br />
trump, putin und BreXit haben dazu<br />
geführt, dass die gemeinsame sicherheits-<br />
und verteidigungspolitik<br />
(gsvp) der eU seit 2016 an Dynamik<br />
gewonnen hat. Wichtige neue verteidigungsinitiativen<br />
waren seither die erstellung<br />
einer neuen globalstrategie, die einrichtung<br />
einer permanenten strukturierten<br />
Kooperation (pesCo) zur entwicklung<br />
neuer militärischer Fähigkeiten, die schaffung<br />
neuer Finanzierungsmechanismen<br />
etwa in Form des europäischen verteidigungsfonds<br />
(eDF) und institutionelle<br />
neuerungen wie die schaffung eines militärischen<br />
planungselements (mpCC) zur<br />
selbstständigen Führung nicht-exekutiver<br />
einsätze wie beispielsweise trainingsmissionen<br />
in afrika. Die zugrunde liegende<br />
politische ambition ist, dass die eU an strategischer<br />
autonomie gewinnen und mehr<br />
verantwortung für die eigene sicherheit<br />
übernehmen möchte.<br />
mitten in diesen an sich positiven entwicklungstrend<br />
brach nunmehr die Covid-Krise<br />
herein, die auch für die gsvp zu einem<br />
definierenden Faktor geworden ist. aus<br />
heutiger sicht ist es entwicklungsoffen,<br />
ob die pandemie zu einem Katalysator für<br />
eine engere militärische Zusammenarbeit<br />
wird oder ob sie sich als Zentrifugalkraft<br />
auswirken wird.<br />
in der ersten phase der Krisenbewältigung<br />
wurden die streitkräfte fast aller eU-staaten<br />
als strategische handlungsreserve und<br />
als vielfältig verwendbare Krisenreaktionskräfte<br />
entweder zur humanitären assistenz<br />
oder als ordnungskräfte etwa im grenzmanagement<br />
eingesetzt. gleichzeitig ist<br />
es gelungen, das internationale engagement<br />
der eU, also die aktuell 17 missionen<br />
und operationen, unter punktuellen anpassungen<br />
der einsatzführung weiterzu-<br />
GENERALMAJOR<br />
JOHANN FRANK<br />
ist Leiter des Instituts für<br />
Friedenssicherung und<br />
Konfliktmanagement<br />
(IFK). Von 2014 bis <strong>2020</strong><br />
Verteidigungspolitischer<br />
Direktor und Mitglied<br />
des Nationalen<br />
Sicherheitsrats.<br />
„Für die längerfristige Weiterentwicklung<br />
der GSVP wird entscheidend sein, welche Lehren<br />
aus der Coronakrise man auf konzeptioneller,<br />
finanzieller und fähigkeitenbezogener<br />
Ebene zieht.“<br />
führen. mit der mittelmeermission „irini“<br />
zur Überwachung des Waffenembargos<br />
in libyen wurde sogar ein neuer einsatz<br />
beschlossen.<br />
Beim letzten virtuellen treffen am 12. mai<br />
stand die Frage der auswirkungen von<br />
Covid auf die weitere gsvp-entwicklung<br />
bereits auf der agenda der eU-verteidigungsminister.<br />
Die minister waren sich<br />
einig, dass die Krise gezeigt hat, dass man<br />
die herausbildung einer strategischen autonomie<br />
der eU in allen ihren Dimensionen<br />
einschließlich der militärischen, zügig<br />
vorantreiben müsse und dass die europäischen<br />
und nationalen verteidigungsbudgets<br />
auch angesichts der Wirtschaftskrise<br />
nicht reduziert werden dürften. es brauche<br />
angesichts der neuen risiken mehr und<br />
nicht weniger europäische Zusammenarbeit<br />
und die schon beschlossenen neuen<br />
verteidigungsinitiativen sollen zügig und<br />
konsequent implementiert werden.<br />
Für die längerfristige Weiterentwicklung<br />
der gsvp wird entscheidend sein, welche<br />
lehren man auf konzeptioneller, finanzieller<br />
und fähigkeitenbezogener ebene zieht.<br />
Konzeptionell geht es um die Frage, ob<br />
über das internationale Krisenmanagement<br />
hinaus zukünftig auch verstärkt der<br />
einsatz von militär innerhalb der eU berücksichtigt<br />
werden soll. Finanziell geht es<br />
um die Frage, ob die mitgliedstaaten den<br />
Budgetvorschlag der eU-Kommission in<br />
der höhe von insgesamt 10,6 milliarden<br />
euro für den eDF und die militärische<br />
mobilität für den Zeitraum 2021 bis 2027<br />
zustimmen werden und wie vermieden<br />
werden kann, dass die nationalen verteidigungsbudgets<br />
nicht wie bei der Finanzkrise<br />
im Jahr 2008 um rund 20 prozent<br />
reduziert werden. Und auf der ebene<br />
der Kapazitäten stellt sich die Frage, in<br />
welchen Fähigkeitsbereichen prioritär<br />
investiert werden soll.<br />
Zur Klärung dieser Fragen haben die eUverteidigungsminister<br />
die erarbeitung<br />
eines „strategischen Kompasses“, eine art<br />
Weißbuch der verteidigung, in auftrag<br />
gegeben. ausgangspunkt für diesen prozess,<br />
der unter der deutschen eU-präsidentschaft<br />
<strong>2020</strong> gestartet wird, soll eine<br />
umfassende risikoanalyse sein. Darüber<br />
dann mehr in der nächsten ausgabe.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 3 0 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
WENN EIN<br />
VIRUS<br />
Die<br />
ZUR WAFFE<br />
WIRD<br />
Text: JÜRGEN ZACHARIAS<br />
Corona-Pandemie hat<br />
Extremisten gezeigt,<br />
wie verwundbar moderne<br />
Gesellschaften sind.<br />
Drohen uns künftig<br />
Anschläge mit künstlich<br />
erzeugten Krankheitserregern,<br />
Mikroorganismen<br />
und Agenzien?<br />
FOTO : P I X A B AY<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
B<br />
ars und Restaurants sind<br />
wieder geöffnet. Die meisten<br />
Geschäfte gut besucht,<br />
die Fallzahlen überschaubar<br />
und trotzdem treibt Mediziner<br />
derzeit vor allem eine<br />
Frage um: Kommt eine zweite Infektionswelle<br />
auf uns zu und wenn ja, wie gefährlich<br />
wird sie? In Sicherheitskreisen wird inzwischen<br />
ein noch weit brisanteres Thema diskutiert:<br />
Könnte auf Corona bald schon eine<br />
menschengemachte Katastrophe folgen?<br />
Könnte also ein Staat, eine Organisation<br />
oder ein terroristisches Netzwerk mit einem<br />
ausgesetzten Virus, manipulierten Mikroorganismen<br />
oder anderen Krankheitserregern<br />
absichtlich eine Epidemie auslösen?<br />
„Die Covid-19-Krise hat gezeigt, dass sich<br />
weltweite Epidemien leicht aus kleinen Herden<br />
entwickeln können und wie verwundbar<br />
moderne Gesellschaften durch Virusinfektionen<br />
und ihr Erschütterungs-Potenzial<br />
sind“, heißt es dazu in einem aktuellen Papier<br />
des Ausschusses für Terrorbekämpfung<br />
des Europarats in Straßburg. UN-Generalsekretär<br />
António Guterres sieht in Bioterrorismus<br />
gar eine potenzielle Gefahr für den<br />
Frieden und die internationale Stabilität.<br />
Das Risiko von Angriffen durch Bioterroristen<br />
sei in den vergangenen Monaten jedenfalls<br />
gestiegen, so der Portugiese in einer<br />
Videokonferenz des Sicherheitsrats. „Die<br />
Schwächen und mangelhafte Vorbereitung,<br />
die durch das Coronavirus offengelegt wurden,<br />
geben Einblicke darin, wie ein bioterroristischer<br />
Angriff aussehen könnte.“ Guterres<br />
weiter: „Wenn nichtstaatliche Gruppen<br />
Zugang zu virulenten Stämmen erhalten,<br />
könnte das für Gesellschaften auf der ganzen<br />
Welt eine ähnliche Verwüstung bedeuten<br />
wie nun das Coronavirus.“<br />
Eine Warnung zur rechten Zeit oder übertriebenes<br />
Alarmgetöse? Laut Leyla Daskin<br />
vom Institut für Friedenssicherung und<br />
Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie<br />
sei die Bedrohung durch<br />
Bioterrorismus durchaus ernst zu nehmen.<br />
„Vorfälle wie die unmittelbar auf die Anschläge<br />
vom 11. September 2001 folgenden<br />
Attacken mit Milzbranderregern in den<br />
USA haben gezeigt, dass die psychologischen,<br />
gesellschaftlichen und politischen<br />
Auswirkungen weitaus größer sind als bei<br />
,traditionellen‘ Terroranschlägen. Durch die<br />
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0 3 2 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
sogenannten ,Anthrax-Briefe‘ starben<br />
,nur‘ fünf Personen“, so Daskin,<br />
„über Wochen und Monate hinweg<br />
trauten sich aber Millionen Menschen<br />
nicht mehr, ihre Post zu öffnen.<br />
Schon vergleichsweise kleine<br />
Anschläge mit Biowaffen haben also<br />
das Potenzial, ganze Gesellschaften<br />
in Angst und Schrecken zu versetzen<br />
und unseren Alltag aus dem Lot zu<br />
bringen.“<br />
Am ehesten könnte eine derartige<br />
Attacke aktuell wohl von Terrororganisationen<br />
wie al-Qaida oder dem Islamischen<br />
Staat ausgehen, der IS hat<br />
in der Vergangenheit bereits Anleitungen<br />
zur Herstellung biologischer<br />
Kampfstoffe im Internet verbreitet.<br />
Vorstellbar wäre auch, dass Extremisten<br />
über dunkle Kanäle bei staatlichen<br />
Stellen und Streitkräften in<br />
die Hand von Biowaffen kommen<br />
und diese einsetzen. Nach einem<br />
richtiggehenden Entwicklungswettlauf<br />
zwischen den Großmächten um<br />
immer noch zerstörerischere Biowaffen<br />
zur Zeit des Kalten Kriegs<br />
sind diese zwar offiziell seit 1975<br />
verboten, einige Staaten – im Verdacht<br />
steht unter anderem Nordkorea<br />
– sollen sich aber nicht an die<br />
Vereinbarungen halten. Um die Weitergabe<br />
durch mögliche schwarze<br />
Schafe zu verhindern und verdächtige<br />
Fälle rasch aufdecken zu können,<br />
fordern Vertreter des Europarats<br />
mehr internationale Zusammenarbeit<br />
und ein gemeinsames Überwachungssystem.<br />
Mit praktischen<br />
Übungen sollten sich die Länder zudem<br />
auf den potenziellen Ernstfall<br />
bestmöglich vorbereiten. Unter Beobachtung<br />
stehen rund 100 Erreger,<br />
Toxine und biologische Agenzien,<br />
die laut Experten Eigenschaften aufweisen,<br />
die für Militärs und auch<br />
Terroristen interessant sind. Zwölf<br />
davon, das sogenannte „dreckige<br />
Dutzend“, gelten als wahrscheinliche<br />
Ausgangstoffe potenzieller B-Waffen:<br />
Bakterien wie die Erreger von<br />
Pest und Q-Fieber finden sich darunter<br />
ebenso wie Pocken- und Ebola-<br />
Viren.<br />
„Vor diesem Hintergrund stufen wir<br />
Terrorismus mit Massenvernichtungswaffen<br />
als ein systemisches,<br />
also die Resilienz Österreichs gefährdendes<br />
Risiko ein. Systemischer<br />
Terrorismus, insbesondere in Form<br />
von Bioterrorismus, setzt zwei bisherige<br />
Grundannahmen strategischer<br />
Sicherheitsplanungen außer Kraft:<br />
Vorwarnzeiten und Eintrittswahrscheinlichkeiten.<br />
Daher müssen bisher<br />
als hypothetisch angenommene<br />
Risiken, mit geringer Wahrscheinlichkeit<br />
aber hohen Auswirkungen,<br />
sogenannte strategische Schocks,<br />
nunmehr als planungsrelevant<br />
eingestuft werden“,<br />
so Daskin.<br />
Für Martin Weiler, Referatsleiter<br />
Biologie und Toxikologie im ABC-<br />
Abwehrzentrum in Korneuburg,<br />
geht von Biotoxinen wie dem ebenfalls<br />
zum „dreckigen Dutzend“ gehörenden<br />
Rizin die größte Gefahr aus.<br />
„Das sind Giftstoffe, die durch Organismen<br />
produziert werden und die<br />
vergleichsweise einfach herstellbar<br />
sind.“ Damit lassen sich zwar keine<br />
Massenvernichtungswaffen erzeugen<br />
oder eine Pandemie mit übertragbaren<br />
Erregern auslösen, internationale<br />
Aufmerksamkeit wäre Angreifern<br />
trotzdem garantiert. Ein vor zwei<br />
Jahren vereitelter Plan Kölner Islamisten<br />
zum Einsatz einer „Rizin-<br />
Bombe“ in Deutschland machte jedenfalls<br />
weltweit Schlagzeilen. Nicht<br />
anders verhielt es sich 1978 infolge<br />
des sogenannten Regenschirmattentats,<br />
als der bulgarische Journalist<br />
und Dissident Gergi Markow in London<br />
von bulgarischen Geheimdienstagenten<br />
auf offener Straße mit einem<br />
Regenschirm angegriffen wurde, dessen<br />
Spitze zuvor mit einer kleinen<br />
Rizin-Kugel präpariert worden war.<br />
Wie steht es aber um das Risiko eines<br />
großflächigen terroristischen Angriffs<br />
mit einem neuen Krankheitserreger<br />
mit großem Ansteckungs- und Tötungspotenzial?<br />
Könnten sich Terroristen<br />
die Möglichkeiten moderner<br />
Gentechnik und Mikrobiologie für<br />
die Konstruktion eines „neuen Supervirus“<br />
zunutze machen und global<br />
zur Anwendung bringen? Martin<br />
Weiler sitzt am Besprechungstisch<br />
eines Aufenthaltsraums in der<br />
Dabsch-Kaserne und überlegt: „Das<br />
ist rein theoretisch natürlich nicht<br />
auszuschließen“, sagt er dann nach<br />
einigen Sekunden, „wahrscheinlich<br />
ist es aber nicht. Da bewegen wir uns<br />
im Bereich der absoluten Spitzenforschung.<br />
Dafür ist viel Wissen notwendig,<br />
enorm viel Geld, Zeit und<br />
eine hochprofessionelle Infrastruktur.<br />
Das ist also nichts, was eine Gruppe<br />
FOTO : P I X A B AY<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
von Terroristen selbst bewerkstelligen<br />
oder realisieren könnte.“<br />
Einfacher sei es für Terroristen, existierende<br />
Mikroorganismen nachzubauen<br />
und zu vermehren oder mit<br />
einzelnen Zusatzfunktionen zu versehen<br />
und zu modifizieren, um etwa<br />
die gesundheitlichen Auswirkungen<br />
zu erhöhen oder sie leichter übertragbar<br />
zu machen. „Die dafür<br />
notwendigen Prozedere sind in der<br />
Biotechnologie Standard, aber auch<br />
dafür bräuchte es viel Wissen und<br />
Know-how, das Extremisten nur in<br />
den seltensten Fällen zugänglich sein<br />
wird. Dazu kommt das Problem<br />
einer effektiven Verbreitung, die in<br />
der Praxis mit vielen Unwägbarkeiten<br />
und Schwierigkeiten verbunden<br />
ist“, so Weiler. Zudem müsse man<br />
sich laut dem Experten bei so einem<br />
Szenario immer die Frage von Sinn<br />
und Zweck stellen: „Terrororganisationen<br />
wollen in den meisten Fällen<br />
in möglichst kurzer Zeit möglichst<br />
große Aufmerksamkeit erregen und<br />
sich Attacken möglichst eindeutig<br />
auf die Fahne heften können“, so<br />
Weiler. „Mit punktuellen Anschlägen<br />
ist das vergleichsweise einfach möglich,<br />
die globale Verbreitung eines<br />
Krankheitserregers glaubhaft für<br />
sich zu beanspruchen, ist aber schon<br />
etwas ganz anderes.“<br />
CORONA<br />
SPEZIAL<br />
Alternativ könnten Extremisten auch<br />
auf bestehende „Biokampfstoffe“<br />
zurückgreifen, die für jedermann<br />
verfügbar, leicht vermehrbar und<br />
ohne großes Risiko zum Einsatz gebracht<br />
werden könnten, sagt Weiler<br />
mit einem Lächeln. An was er dabei<br />
denkt? „Es reichen auf den ersten<br />
Blick harmlose Kartoffelkäfer“, so<br />
der Experte der ABC-Abwehr.<br />
„Künstlich vermehrt und massenhaft<br />
in einem bestimmten Gebiet ausgesetzt<br />
können sie die Ernten ganzer<br />
Regionen vernichten, damit die<br />
Lebensmittelversorgung eines Staates<br />
gefährden, zur Destabilisierung<br />
beitragen und massive wirtschaftliche<br />
sowie gesellschaftliche Verwerfungen<br />
zur Folge haben.“<br />
Schon einmal wähnte sich ein Staat<br />
als Opfer einer Kartoffelkäfer-Attacke:<br />
Als es zu Beginn der 1950er-Jahre<br />
in der gerade erst gegründeten<br />
DDR zu einem massenhaften Auftreten<br />
des Schädlings kam, bezichtigte<br />
die Staatspropaganda die USA der<br />
Sabotage. In Medien und auf Plakaten<br />
wurde eine breit angelegte Kampagne<br />
gegen die „Ami-Käfer“ gefahren,<br />
der Schutz der Ernte zu einer<br />
Frage der nationalen Sicherheit und<br />
zehntausende Bürger mussten am<br />
Land heißhungrige Plagegeister einsammeln.<br />
Der Schaden war da aber<br />
längst angerichtet. Wie interne Unterlagen<br />
der DDR-Regierung bewiesen,<br />
saß der Feind allerdings nicht in<br />
den USA, sondern im eigenen Land.<br />
Die Regierung hatte bei der Vorbereitung<br />
auf die sich ankündigende<br />
Käferplage schlicht geschlampt und<br />
bei der Bekämpfung der gefräßigen<br />
Biowaffen kläglich versagt.
0 3 4 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
VERTEIDIGUNG<br />
NACH CORONA<br />
Sicherheitspolitik im Zeitalter viraler Bedrohungen neu<br />
denken und in die strategische Krisenfestigkeit<br />
von Staat und Wirtschaft vermehrt investieren. Ein<br />
Beitrag von Generalmajor Johann Frank, Leiter<br />
des Instituts für Friedenssicherung und<br />
Konfliktmanagement.<br />
D<br />
er Kampf gegen pathogene<br />
wie digitale<br />
Viren wird die Zukunft<br />
der Sicherheitspolitik<br />
mitbestimmen.<br />
Gemeinsam<br />
mit Terrorismus und hybriden<br />
Bedrohungen bilden Pandemien und<br />
Cyber-Angriffe die Quadriga jener<br />
Bedrohungen, auf welche die Sicherheits-<br />
und Verteidigungspolitik in<br />
Europa neue strategische Antworten<br />
finden muss.<br />
Diese Bedrohungsformen weisen<br />
trotz aller Unterschiede bemerkenswerte<br />
Gemeinsamkeiten auf. Sie sind<br />
anfänglich nur schwer erkennbar, sie<br />
wirken systemisch auf das gesamte<br />
öffentliche und wirtschaftliche Leben,<br />
sie sind von grenzüberschreitendtransnationaler<br />
Natur und sie werden<br />
von den globalisierungsbedingten<br />
Verwundbarkeiten moderner Gesellschaften<br />
kontinuierlich verstärkt.<br />
Auch ihre Wirkungsketten sind ähnlich:<br />
Nach anfänglicher Herabsetzung<br />
beziehungsweise Ausschaltung der<br />
Immunschwelle beginnen sie mit einer<br />
anonymen Infektion von Einzelnen,<br />
kontaminieren in weiterer Folge<br />
Teilsysteme und können letztlich<br />
nach einer breitflächigen Infiltration<br />
zu einem „Systeminfarkt“ führen, der<br />
für den Einzelnen den Tod, für strategische<br />
Infrastrukturen den Totalausfall,<br />
für die Wirtschaft eine tiefe Rezession<br />
und für den Staat die Zerstörung<br />
seiner Freiheitsordnung bedeuten<br />
kann.<br />
Solange diese Szenarien innerhalb des<br />
vorbereiteten Erwartungsraums der<br />
jeweiligen gesundheitlichen, technologischen<br />
oder militärischen Sicherheitsvorsorgen<br />
verlaufen, können sie<br />
mit vorhandenen Mitteln und Verfahren<br />
bewältigt werden. Das war bislang<br />
über weite Strecken der Fall. Übersteigen<br />
sie eine strategische Schwelle<br />
oder treten gar mehrere Szenarien<br />
gleichzeitig ein, so erfordern sie eine<br />
neue Qualität in der Vorbereitung<br />
und Reaktion, einen Wechsel vom<br />
konventionellen Krisenmanagement-<br />
Modus hin zu einem „strategischen<br />
Resilienzmanagement“. Dazu braucht<br />
es geänderte strategische Zielsetzungen,<br />
also Erneuerungsfähigkeit statt<br />
bloßer Wiederherstellung des ursprünglichen<br />
Zustands, neuartige<br />
Verfahren, also Improvisation und<br />
Agilität durch Schaffung neuer ungebundener<br />
Ressourcen statt starrem<br />
Implementieren von Krisenplänen<br />
und bloßem Einsatz von vorhandenen<br />
Mitteln und<br />
neue Führungsqualitäten,<br />
also<br />
Visionäre statt<br />
Manager.<br />
Im Zeitalter hybrid-viraler<br />
Bedrohungen<br />
sind zwei bisherige<br />
Grundannahmen<br />
europäischer Sicherheitsstrategien<br />
obsolet geworden,<br />
nämlich Vorwarnzeiten und Eintrittswahrscheinlichkeiten.<br />
Es gibt<br />
keine strategischen Vorwarnzeiten,<br />
die in einem konkreten Anlassfall ein<br />
Hochfahren von Sicherheitsmaßnahmen<br />
zulassen würden, weil lange unklar<br />
bleibt, ob ein Angriff, eine Infektion<br />
oder eine Infiltration bereits<br />
stattgefunden hat. Bewusste Verschleierung<br />
ist vielmehr ein Charakteristikum<br />
hybrider Angriffe oder von<br />
Cyber-Attacken. Und angesichts der<br />
hohen Unsicherheiten, was zukünftige<br />
Sicherheitsszenarien betrifft, muß<br />
Sicherheitspolitik auch Risiken mit<br />
niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit,<br />
aber hohen Auswirkungen angemessen<br />
berücksichtigen und als planungsrelevant<br />
einstufen und sich auf strategische<br />
Überraschungen einstellen.<br />
Damit sollte im Fokus zukünftiger<br />
FOTO : U N S P L AS H<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
CORONA<br />
SPEZIAL<br />
Sicherheitskonzepte Prävention und<br />
Immunisierung von Staat, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft auf Basis eines umfassenden<br />
und europäisch-kooperativ<br />
ausgerichteten Resilienzkonzepts stehen.<br />
Unter den massiven Eindrücken<br />
der Covid-19-Krise besteht die Chance,<br />
die Sicherheitspolitik Österreichs neu<br />
zu denken und mit Innovationskraft<br />
und Kreativität neu zu organisieren.<br />
Hybrid-virale Bedrohungen sind<br />
eingebettet in eine sich zunehmend<br />
verschärfende geopolitische Konkurrenz,<br />
eine sogenannte konfrontative<br />
Multipolarität: Mit den USA als der<br />
im relativen Niedergang befindlichen<br />
Weltmacht, die sich von ihrer Rolle<br />
als Weltordnungshüter verabschiedet,<br />
einem zunehmend offensiver vorgehenden<br />
China, einem selbstbestimmt<br />
agierenden, insgesamt aber im Niedergang<br />
begriffenen Russland und<br />
einer EU, die sich nicht entscheiden<br />
kann, ob sie die Kraft zur Bündelung<br />
ihrer enormen Ressourcen aufbringt<br />
und ihr Schicksal in die eigene Hand<br />
nimmt. Je mehr die transatlantische<br />
Gemeinschaft erodiert, desto größer<br />
werden die Möglichkeiten Chinas<br />
und Russlands, Europa und die USA<br />
gegeneinander auszuspielen. Dieser<br />
Dynamik liegen insbesondere geoökonomische<br />
Entwicklungen zugrunde,<br />
denn der Wettstreit dieser vier<br />
Akteure wird im Wesentlichen durch<br />
den Wettbewerb um Zugang zu und<br />
Verfügungsgewalt über strategische<br />
Infrastrukturen, Kommunikationsnetzwerke,<br />
Rohstoffe, Technologien,<br />
Versorgungswege und Lieferketten<br />
bestimmt. Im Fadenkreuz stehen dabei<br />
primär jene Unternehmen, die für<br />
die Versorgungssicherheit in Bereichen<br />
wie Energie, Gesundheit, Ernährung,<br />
Digitalisierung und anderen<br />
Hochtechnologiesegmenten entscheidend<br />
sind. Ohne Schutz dieser<br />
strategischen Unternehmen und der<br />
Wirtschafts- und Versorgungsketten<br />
kann es weder eine strategische<br />
Krisenfestigkeit (Resilienz) noch<br />
eine strategische Autonomie Europas<br />
geben.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 3 6 H E E R &<br />
Resilienz ist das Ergebnis von robuster<br />
Widerstandsfähigkeit und agiler Anpassungsfähigkeit.<br />
Strategische Krisenfestigkeit<br />
erfordert daher, dass der<br />
Staat einerseits Risiken für Wirtschaft<br />
und Gesellschaft durch robuste<br />
Schutzmaßnahmen und Notprogramme<br />
abfedert. Andererseits muss der<br />
Staat auch in eine aktivierende Rolle<br />
schlüpfen, die Wirtschaft, Gesellschaft<br />
und den einzelnen Bürger darin befähigt,<br />
Risiken künftig selber besser<br />
erkennen und bewältigen zu können.<br />
Diese Form der strategischen Krisenfestigkeit<br />
setzt ganz besonders darauf,<br />
die Fähigkeit zur Antizipation auszubauen,<br />
um die Ursprünge möglicher<br />
strategischer Schocks frühzeitig zu<br />
erkennen. Risikoanalyse ohne sicherheitspolitische<br />
Maßnahmen ist aber<br />
nutzlos. Es reicht nicht aus, Risiken zu<br />
erkennen, Risikobeurteilung muss<br />
auch in konkrete politische Maßnahmen<br />
umgesetzt werden.<br />
M<br />
E H R<br />
CORONA<br />
SPEZIAL<br />
SICHERHEITSFAKTOR Streitkräfte können einen wichtigen Part einer gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge<br />
übernehmen, müssen dafür aber ihre eigene Durchhaltefähigkeit sicherstellen.<br />
LEHREN AUS DER<br />
KRISE Im Moment<br />
dominiert die unmittelbare<br />
Reaktion,<br />
mittel- bis langfristig<br />
müssen Staaten und<br />
Sicherheitsapparate<br />
aber ihre Lehren<br />
aus der Covid-19-<br />
Pandemie ziehen<br />
und die Resilienz<br />
ihrer Strukturen und<br />
kritischen Infrastrukturen<br />
sicherstellen.<br />
Schocks werden zunehmen – ob als<br />
Folge einer Pandemie, eines Naturereignisses<br />
oder der Exportkontrolle<br />
kritischer Rohstoffe beziehungsweise<br />
Technologien. Ohne strategische<br />
Krisenfestigkeit sind Wirtschaft und<br />
Standortattraktivität unkalkulierbaren<br />
Risiken ausgesetzt. Das erfordert ein<br />
Umdenken: Der Staat sollte Anreize<br />
schaffen, damit Unternehmen stärker<br />
in die Sicherheit investieren, beispielsweise<br />
durch gemeinsame Bevorratung<br />
kritischer Komponenten, die Förderung<br />
von Forschung und Technologie<br />
oder die Abnahme neuer Sicherheitsprodukte<br />
als Erstkunde. Für Unternehmen<br />
werden strategische Reserven,<br />
die die Krisenfestigkeit der Betriebsabläufe<br />
und der Lieferketten gewährleisten,<br />
zu einem Differenzierungsmerkmal<br />
im Wettbewerb, denn<br />
sie sichern die Leistungsfähigkeit auch<br />
in außerordentlichen Lagen. Staat und<br />
Wirtschaft brauchen eine neue Form<br />
des strategischen Dialogs, um diese<br />
Aspekte gemeinsam zu diskutieren<br />
und neue Sicherheitsansätze zu entwickeln.<br />
Der Wunsch nach nationaler<br />
Krisenfestigkeit wird Post-Covid lauter;<br />
ebenso die Versuchung, diesen<br />
Wunsch für protektionistische Maßnahmen,<br />
Renationalisierung und Isolationismus<br />
zu instrumentalisieren.<br />
Genau das wäre jedoch dem Ziel einer<br />
neuen strategischen Krisenfestigkeit<br />
abträglich, denn Protektionismus untergräbt<br />
Diversität und nur vernetzte<br />
Staaten, Wirtschaftssysteme und<br />
Gesellschaften sind resilient.<br />
Gleichzeitig muss der Staat Sicherheitspolitik<br />
als strategische Gestaltungsaufgabe<br />
verstehen, die mit entsprechenden<br />
Mitteln unterlegt wird,<br />
nicht als politisches Randgebiet, dessen<br />
Bedeutung und Umfang sich nach<br />
den Prioritäten anderer Politikfelder<br />
bemisst.<br />
Wie immer bleibt aber die Frage nach<br />
der Gewichtung des Sicherheitssektors<br />
bei kommenden Budgetdebatten<br />
von wesentlicher Bedeutung. Dabei<br />
sollte die Erhaltung der österreichischen<br />
Sicherheitswirtschaft in<br />
Kombination von staatlicher Hilfe und<br />
unternehmerischer Innovationskraft<br />
im Fokus stehen. Und angesichts der<br />
Erfahrungen vergangener Finanz- und<br />
Wirtschaftskrisen wäre eine immunisierende<br />
Schutzimpfung für nationale<br />
und europäische Verteidigungsbudgets<br />
eine Grundbedingung für eine<br />
sicherheitspolitische Erneuerung. Das<br />
nicht nur wegen der breit anerkannten<br />
Leistungen des Bundesheeres in der<br />
aktuellen Krise, sondern weil in allen<br />
Risikoszenarien das Bundesheer immer<br />
als die strategische Handlungsreserve<br />
und als die für die Resilienz unverzichtbare<br />
Institution beurteilt wurde.<br />
Diese Aufgabe kann das Bundesheer<br />
aber nur erfüllen, wenn es selbst<br />
eine resiliente Organisation ist.<br />
Anmerkung: Zur strategischen Krisenfestigkeit<br />
von Staat und Gesellschaft<br />
siehe Heiko Borchert und Johann<br />
Frank, NZZ Gastkommentar vom<br />
10. Mai <strong>2020</strong>.<br />
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decision-makers. For further information on sponsorship packages contact Rasha Kayyal by telephone +971 4 399 8355 or email [rasha@segma.co].
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S I C h E R h E I T & W I R T S C h A F T<br />
BLICK IN DIE<br />
ZUKUNFT<br />
Auf das „Kampfflugzeug der Zukunft“ folgt nun der „Kampfpanzer der Zukunft“: Frankreich und Deutschland wollen parallel zur<br />
Entwicklung ihres Future Combat Air System (FCAS) auch beim neuen Main Ground Combat System (MGCS) gemeinsame Sache<br />
machen. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihre französische Kollegin Florence Parly<br />
haben vor wenigen Wochen einen Rahmenvertrag zur Realisierung unterzeichnet, bei der – im Gegensatz zum Kampfflugzeugsystem<br />
– Deutschland die Führung inne hat. Die Finanzierung ist mit 50:50 festgelegt. Das Abkommen beinhaltet die Projekt -<br />
organisation und die Managementstrukturen, wobei das initiale „Agreement 1“ eine zweijährige Systemarchitektur-Studie sowie<br />
eine Analyse des künftigen operationellen Umfelds betrifft. Dabei wird wohl Russlands neuer Panzer M-14 Armata eine gewisse<br />
Rolle spielen. Darauf aufbauend soll ein Technologie-Demonstrator realisiert werden, den die namhaften Hersteller Krauss-Maffei<br />
Wegmann, Nexter und Rheinmetall gemeinsam bauen sollen. In einem nächsten Schritt folgen dann Systemintegration und<br />
-demonstration. Geplant ist, dass das neue System Mitte der 2030er-Jahre die Familien Leopard-2 und Leclerc ablöst.<br />
IM FOKUS<br />
DIE KONZERNE<br />
IM ÜBERBLICK<br />
Lürssen<br />
3.000 Mitarbeiter,<br />
1,5 Mrd. € Umsatz<br />
German<br />
Naval Yards<br />
1.100 Mitarbeiter,<br />
250 Mio. € Umsatz<br />
TKMS<br />
6.000 Mitarbeiter,<br />
1,8 Mrd. € Umsatz<br />
LÜRSSEN & GERMAN NAVAL YARDS<br />
Die norddeutschen Schiffbauer Lürssen und German Naval<br />
Yards (Kiel) wollen ihre Marinesparten zusammenführen.<br />
Vertreter beider Unternehmen haben sich darauf geeinigt, die<br />
explizit militärischen Bereiche in einer Gemeinschaftsfirma zu<br />
bündeln, um potenter am Markt auftreten zu können. Mit ihrer<br />
Fusion lösen die beiden Gruppen die vor allem für diesel-elektrische<br />
U-Boote (mit und ohne außenluftabhängigem Antrieb)<br />
weltbekannte Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) als deutschen<br />
Marktführer ab. Um langfristig gegen Schwergewichte<br />
wie die Naval-Group aus Frankreich bestehen zu können ist<br />
eine weitere Marktkonsolidierung zu erwarten: TKMS befindet<br />
sich aktuell in Gesprächen über eine weitreichende Zusammenarbeit<br />
mit der italienischen Fincantieri-Werft, auch eine Megafusion<br />
mit Lürssen und German Naval Yards ist denkbar.<br />
FOTO S : G E O R G M A D E R , h E R ST E L L E R<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
N E W S A U S D E R S I C H E R H E I T S B R A N C H E<br />
„WIR GEHEN WEITER RICHTUNG NATO“<br />
GENERALOBERST<br />
SERHII DROZDOV<br />
ist Kommandant<br />
der ukrainischen<br />
Luftstreitkräfte.<br />
Anlässlich der von Defence-IQ und den österreichischen<br />
Luftstreitkräften organisierten „Airpower Eastern<br />
Europe“-Konferenz führte Militär Aktuell ein Hintergrundgespräch<br />
mit dem Kommandanten der Luftwaffe der<br />
ukrainischen Armee, Generaloberst Serhii Drozdov.<br />
Die Ukraine geht – trotz des Konflikts mit Russland – weiter<br />
in Richtung NATO. Was bedeutet das für die Luftwaffe?<br />
Das stimmt, infolge des Konflikts wurden die Bemühungen<br />
möglicherweise sogar intensiviert. In einem ersten<br />
Schritt geht es nun darum, unsere Logistik und unser<br />
Training an die neuen Standards anzupassen und unser<br />
Personal vorzubereiten. In weiterer Folge wird es dann<br />
auch um neues Material und die Anpassung unserer Ausrüstung<br />
gehen. Dazu „westernisieren“ wir auch bereits<br />
laufend Su-27, MiG-29, Su-24 und Su-25.<br />
Ihre Luftwaffe war einst die drittgrößte der Welt …<br />
… und ist nun die siebtgrößte Europas. Noch vor Beginn<br />
des Konflikts mit Russland wurden Hunderte Fluggeräte<br />
abgestellt und zahlreiche Basen geschlossen. Inwiefern<br />
damit die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes gefährdet<br />
wurde, wird aktuell gerichtlich untersucht.<br />
Gehört auch Aserbaidschan zu diesen Partnern? Ich habe dort<br />
zuletzt blaue MiG-29 gesehen, die aus der Ukraine sein sollen.<br />
Ja, und das sogar samt Simulator. Die Depot-Wartungen dieser<br />
Flugzeuge erfolgen bei uns in Lemberg. Die vertiefte Kooperation<br />
in lufttechnischen Aspekten besteht bereits seit 2016 und<br />
Ähnliches konnten wir auch bereits mit Georgien etablieren.<br />
Stimmt es, dass sich die Ukraine für die leichten Kampfflugzeuge<br />
EMB-314 Super-Tucano von Embraer interessieren?<br />
Ja, Sie sind gut informiert. Deshalb begleitete im vergangenen<br />
Sommer auch ein Su-25-Fluglehrer den Staatsbesuch unseres<br />
Präsidenten in Brasilien. Das Konzept ist sehr interessant und<br />
eignet sich bei niedrigen Betriebskosten gut für Präzisions-<br />
Lufteinsätze in niedrigschwelligen Konflikten. Noch wurde<br />
über eine Beschaffung aber nicht entschieden.<br />
Wird es absehbar westliche Flugzeuge im Inventar geben?<br />
Wir haben bereits türkische Bayraktar-2-Drohnen, weitere<br />
Beschaffungen wird es nach unserem NATO-Beitritt geben.<br />
Polen zeigt den Weg vor, Warschau kauft nun sogar F-35-Jets.<br />
Wie stark sind die russischen Luftstreitkräfte, die der Ukraine<br />
gegenüberstehen?<br />
Die Zahl der stationierten russischen Luftmittel östlich der<br />
Ukraine und auf der besetzten Krim dürfte mittlerweile bei<br />
500 taktischen Jets und 340 Hubschraubern liegen. Damit<br />
hat Russland in jedem Fall eine numerische Überlegenheit.<br />
Wie hoch waren die Verluste im Krieg von 2014?<br />
Wir haben 19 Flugzeuge und Hubschrauber verloren,<br />
plus 40, die Russland nicht an uns zurückgegeben hat.<br />
Aber wir werden das mit Hilfe unserer Partner aufholen.
0 4 0 S I C H E R H E I T & W I R T S C H A F T<br />
HIDDEN<br />
CHAMPIONS<br />
Überblick: GEORG MADER<br />
Österreich spielt am globalen Rüstungs- und<br />
Sicherheitsmarkt keine Rolle? Stimmt nicht!<br />
In vielen Nischen sind heimische Player<br />
mit innovativen Produkten sogar Weltmeister.<br />
W<br />
enn Frequentis<br />
unbemannte<br />
Flugzeugtower<br />
an die US-Armee<br />
verkauft<br />
oder Glock<br />
Zehntausende Handfeuerwaffen an<br />
Frankreich, dann ist das auch den heimischen<br />
Breitenmedien Berichte wert.<br />
GENERAL<br />
DYNAMICS<br />
EUROPEAN<br />
LAND -<br />
SYSTEMS<br />
Über zuletzt volle Auftragsbücher<br />
durfte sich der GDELS-Standort in<br />
Wien-Simmering freuen. Von der Neuentwicklung<br />
des Radpanzers Pandur<br />
gingen um 105 Millionen Euro 34 Stück<br />
in der Version Pandur EVO (Evolution)<br />
an das Bundesheer, die Belegschaft<br />
musste dafür um zehn Prozent aufgestockt<br />
werden. Die Fahrzeuge werden<br />
seit Anfang 2019 bis Ende des laufenden<br />
Jahres ausgeliefert und sind mit einer<br />
ferngesteuerten 12,7-mm-Waffenstation<br />
(RWS) ausgerüstet. Die älteren<br />
Pandur A2 sind mit Panther RWS von<br />
ESL Advanced Information Technology<br />
GmbH bewaffnet, einer Tochter des<br />
israelischen Herstellers ELBIT.<br />
Davor, dazwischen und danach führt<br />
die rot-weiß-rote Sicherheits- und Rüstungsindustrie<br />
aber meist ein mediales<br />
Schattendasein, das ihrem eigentlichen<br />
Status so gar nicht gerecht wird. Aktuell<br />
sind es schließlich deutlich mehr als<br />
100 Unternehmen, die aus Österreich<br />
für den Weltmarkt produzieren und<br />
mit ihrem Jahresumsatz von rund<br />
2,7 Milliarden Euro direkt und indirekt<br />
24.000 Arbeitsplätze sichern. Der Exportanteil<br />
ist mit 94 Prozent hoch, die<br />
F&E-Quote vorbildlich und die Ausstrahlungseffekte<br />
der Branche auf andere<br />
Sektoren wie beispielsweise die<br />
Luftfahrtindustrie oder die Elektroindustrie<br />
sind nicht zu unterschätzen.<br />
Der heutige Status ist hart erarbeitet:<br />
Ausnahmen wie der in 110 Länder exportierte<br />
Puch Haflinger täuschten von<br />
den 1960er-Jahren bis in die späten<br />
1980er-Jahre darüber hinweg, dass es<br />
heimische Player angesichts des Kalten<br />
Krieges und der Blockbildung auch mit<br />
hochwertigen Produkten schwer hatten,<br />
international Kundschaft zu finden.<br />
Also blieb das Bundesheer oft der<br />
einzige Abnehmer und so konnte<br />
„Made in Austria“ wie der Jagdpanzer<br />
Kürassier oder der Schützenpanzer<br />
Saurer zumindest in Kleinserie produzieren<br />
werden. Die sinkenden Verteidigungsbudgets<br />
machten aber auch diese<br />
Praxis mit der Zeit zunichte und der<br />
Skandal um die illegal in den Mittleren<br />
Osten verkauften Noricum-Kanonen<br />
gab der Branche schließlich den Rest.<br />
Anfang der 2000er-Jahre war von der<br />
ehemals wichtigen Industriesparte<br />
kaum mehr etwas übrig.<br />
Damals hätte man unter die rot-weißrote<br />
Sicherheits- und Rüstungsindus-<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
A U S T R I A N S E C U R I T Y & D E F E N C E<br />
HIRTENBERGER DEFENCE<br />
Als eines der ältesten heimischen Unternehmen wurde der seit 1887 produzierende<br />
Munitionshersteller mit Oktober 2019 von der Konzernmutter – obwohl wirtschaftlich<br />
gesund und mit gutem Auftragsbestand – an den ungarischen Staatskonzern HDT-<br />
Defense Industrial verkauft. Mit 60-mm-, 81-mm- und 120-mm-Mörsermunition erwirtschafteten<br />
85 Mitarbeiter zuletzt rund 30 Millionen Euro. Laut dem ungarischen Regierungskommissär<br />
für Verteidigungsindustrie will man keinen direkten Einfluss auf Marke,<br />
Management oder Mitarbeiter nehmen. Direktor Carsten Barth blieb daher in seiner<br />
Funktion, das Geschäft läuft vorerst weiter.<br />
AMST<br />
Ein besonders „schweres Teil“ aus Österreich ist mittlerweile im Dienst der britischen<br />
Luftwaffe (RAF). Um im Simulatortraining für moderne Kampfjets wie Typhoon oder<br />
F-35 Beschleunigungsbeginnraten von mehr als 10 G herzustellen, reichte die 62 Jahre<br />
alte Zentrifuge in Farnborough nicht mehr aus. Thales aus Frankreich gewann den<br />
Auftrag für die Neuausstattung und beauftragte AMST aus Ranshofen mit der neuen,<br />
39 Tonnen schweren Zentrifuge, die in nur einer Sekunde von 1G auf 9G beschleunigen<br />
kann. In der Kapsel ist auch – ein Novum – eine realistische, hochauflösende Missions-<br />
Flugsimulation für Typhoon, Hawk und F-35 inkludiert, samt Radarwarnempfänger und<br />
elektronischer Kampfführung.<br />
FOTO S : G E O R G M A D E R , A M ST<br />
trie eigentlich einen Schlussstrich ziehen können.<br />
Aber: Die wenigen verblieben Branchengrößen<br />
intensivierten in einer Art „letztem Aufbäumen“<br />
Forschung und Innovation, neue Player drängten<br />
auf den Markt und so blühen auf der Asche von<br />
gestern heute quer durch das ganze Land zahlreiche<br />
„Nischenmeister“. Ob als Start-up, in mittelständischem<br />
Familienbesitz, als Joint-Ventures oder in<br />
ausländischem Mehrheitsbesitz, viele heimische<br />
Unternehmen konnten sogar zu globalen Marktführern<br />
in ihrem Segment aufsteigen und bedienen vor<br />
allem folgende Fertigungsbereiche: Fahrzeuge und<br />
Zubehör, Überwachungsplattformen sowie -sensoren<br />
für Propellerflugzeuge (bemannt und unbemannt),<br />
leichte Waffen und Munition, Soldaten-<br />
/Polizisten-Verteidigungsausrüstung sowie Informations-,<br />
Kommunikations- und Cybertechnologie.<br />
Der Erfolg verleitet zur Zufriedenheit, dabei könnte<br />
vieles noch besser laufen: Als späte Schockwellen<br />
des Noricum-Skandals gehören die österreichischen<br />
Kriegsmaterial-Exportbestimmungen heute zu den<br />
strengsten Exportregimen für Militärgüter weltweit.<br />
Dabei sorgt nicht primär die Strenge für Kritik bei<br />
den exportorientierten Unternehmen, sondern vielmehr<br />
die Unvorhersehbarkeit der Auslegung. Diese<br />
würde die Planung und Koordination von Vorhaben<br />
erschweren, den Fortschritt heimischer Unternehmen<br />
im Vergleich zu europäischen Wettbewerbern<br />
bremsen und letztlich den Standort gefährden. Besonders<br />
schädlich für kleinere und oft familienge-<br />
HOCHLEISTUNG<br />
Rheinmetall ist sowohl bei 40mm Waffensystemen als auch bei Spezialeinsatzmitteln<br />
einer der weltweit führenden Anbieter.<br />
In beiden Bereichen deckt das Unternehmen das gesamte Spektrum ab und<br />
beliefert Streit- und Sicherheitskräfte weltweit mit Komponenten und Systemen.<br />
Neben 40mm Low Velocity und High Velocity Munition treibt Rheinmetall die<br />
Fortentwicklung der zukunftsträchtigen 40mm Medium Velocity Familie voran.<br />
Darüber hinaus bietet das führende wehrtechnische Systemhaus auch<br />
passende Waffensysteme und Feuerleittechnologie für 40mm Munition an.<br />
www.rheinmetall-defence.com<br />
FORCE PROTECTION IS OUR MISSION.
0 4 2 S I C H E R H E I T & W I R T S C H A F T<br />
führte Hersteller ist die Möglichkeit der Zurücknahme<br />
von Ausfuhrgenehmigungen auch noch unmittelbar<br />
vor oder sogar während der laufenden Produktion.<br />
Dies sorgt bei den betroffenen Firmen vielfach für<br />
Unverständnis und kann durchaus existenzbedrohende<br />
Ausmaße annehmen. Für die WKO (siehe Interview<br />
mit ARGE-Sicherheit-Spartenobmann Reinhard<br />
Marak auf Seite 44) wäre daher „eine vorhersehbare<br />
und nichtdiskriminierende Exportkontrolle verglichen<br />
mit anderen europäischen Ländern für den<br />
Fortbestand des strategischen Wirtschaftszweigs von<br />
entscheidender Bedeutung.“ Oberstes Ziel müsse jedenfalls<br />
eine weisungsfreie, von der Politik möglichst<br />
unabhängige Rüstungsexportbehörde nach schwedischem<br />
Vorbild sein. Nur so könne man im Wettbewerb<br />
mit anderen europäischen Ländern potent<br />
am Markt auftreten und mittel- bis langfristig den<br />
Fortbestand der Branche sichern.<br />
RHEINMETALL<br />
Die Rheinmetall-Tochter Rheinmetall Waffe Munition<br />
Arges GmbH mit Sitz in Schwanenstadt ist auf<br />
40-mm-Munition spezialisiert. Direkt am Standort<br />
können auf einem eigenen Testgelände Produkte<br />
umfangreichen Erprobungen unterzogen werden.<br />
Neben 40-mm-HE-Munition (Low Velocity) mit<br />
unterschiedlichen Effekten werden auch Übungs-<br />
Granaten sowie Wirkmittel und Wirkmittelkomponenten<br />
erzeugt.<br />
LUFTFAHRT-CLUSTER<br />
In Wiener Neustadt sind gleich drei namhafte österreichische<br />
Hersteller angesiedelt, von denen zwei wiederum Weltmarktführer<br />
sind. Diamond Aircraft – seit 2017 Teil der chinesischen<br />
Wanfeng-Holding – steht für eine Art Marktdominanz bei kommerziellen<br />
Kunststoff-Leichtflugzeugen mit einem und zwei<br />
Motoren. Letztere sind die DA42- und DA62-Plattformen für<br />
Sensorträger für Behörden und militärische Nutzer weltweit.<br />
Davon wurden bislang rund 110 Stück verkauft, zudem hat man<br />
60 verschiedene Konfigurationen von Spezialmissionssystemen<br />
installiert und in zehn verschiedene ausländische Plattformen<br />
integriert. Letzter Wurf ist das DA62 MAS, eine zusammen mit<br />
Leonardo entwickelte Version für See-/Küsten- und Überlandüberwachungsmissionen.<br />
Eine feste Größe am Fertigungsstandort ist auch Rotordrohnen-<br />
Pionier Schiebel. Laut Firmenchef Hans-Georg Schiebel habe<br />
man bisher mehr als 300 Camcopter S-100 in 16 Nationen abgesetzt,<br />
zuletzt wurden Systeme an die Royal Thai Navy und für<br />
den französischen Hubschrauberträger Dixmude geliefert. Die<br />
Produktionsfläche wurde in den vergangenen Jahren in zwei<br />
Schritten auf 7.700 Quadratmeter vergrößert, der Personalstand<br />
soll demnächst um weitere 200 Mitarbeiter aufgestockt werden.<br />
Aus einem Weggang von Diamond entstanden sind die am<br />
Standort genau gegenüberliegenden Airborne Technologies<br />
rund um Chef Wolfgang Grumeth. Sie bauen keine eigenen<br />
Plattformen, sondern rüsten eine Vielzahl bestehender Behördenmaschinen<br />
(Fläche und Rotor) mit maßgeschneiderten, schlüsselfertigen<br />
Lösungen für Luftüberwachungs-, Vermessungs- und<br />
Kommunikationssysteme aus, zuletzt mehrere Vulcanair P68R-<br />
Patrouillenflugzeuge des britischen National Police Air Service.<br />
FOTO S : G E O R G M A D E R , S C H I E B E L , ST E Y R A R M S<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
A U S T R I A N S E C U R I T Y & D E F E N C E<br />
STEYR ARMS<br />
Die Traditionsbüchsenschmiede (vormals Steyr-<br />
Mannlicher) ist vor allem für ihr als StG77 beim<br />
Bundesheer eingeführtes Sturmgewehr Steyr<br />
AUG bekannt, das in 70 Länder weltweit geliefert<br />
wurde und wird. Aktuell laufen bei den rot-weißroten<br />
Streitkräften insgesamt 120 Stück des mittleren<br />
Scharfschützengewehrs mSSG Steyr 08A2 zu.<br />
20 Jahre nach Einführung des SSG69 erhalten die<br />
Scharfschützentrupps und -gruppen der Bataillone<br />
der Jägertruppe sowie das Jagdkommando<br />
damit eine neue Präzisionswaffe, welche sich in<br />
zwei Durchgängen zuerst gegen elf und dann<br />
gegen vier andere Anbieter durchgesetzt hat.<br />
Auch das Zielfernrohr kommt aus Österreich,<br />
es ist das K624i der Firma Kahles, mit 6- bis 24-<br />
fachem, stufenlosem Vergrößerungsbereich.<br />
Die Gesamtkosten des Auftrags (samt jeweils<br />
umfangreichem Zubehörsatz) werden vom Bundesheer<br />
mit rund 1,6 Millionen Euro angegeben.<br />
EMPL<br />
Der Fahrzeughersteller ist für viele Abarten<br />
an Spezialversionen und -aufbauten<br />
bekannt. So wurden zum Beispiel 110<br />
Unimog U5000 mit flexiblen Aufbauten<br />
an das litauische Verteidigungsministerium<br />
geliefert, weitere 142 Stück sollen bis<br />
2021 folgen. Neu bei Empl ist auch das<br />
Bison-Bergefahrzeug mit einer 30-t- und<br />
einer 10t-Winde sowie dem Tatra 815-7<br />
FORCE 6×6.1R-Fahrgestell mit 1,2m<br />
Watfähigkeit.<br />
RHEINMETALL-MAN<br />
Weitaus größter Militärfahrzeughersteller Österreichs sind die Rheinmetall-<br />
MAN Militärfahrzeuge Österreich (RMMV/Ö) in Wien. Das Team um CEO<br />
Bernhard Pöltl hat jüngst von der deutschen Bundeswehr einen Auftrag zur<br />
Lieferung von weiteren 1.000 Logistik-Lkw (675 mit 5 Tonnen Nutzlast, 325<br />
mit 15 Tonnen) im Bruttowert von 382 Millionen Euro erhalten, der dritte Teil<br />
aus einer im Juli 2017 geschlossenen Rahmenvereinbarung über 2.271 Lkw<br />
der HX-Familie. Davor baute man in Liesing in zwei Tranchen 3.500 Lkw für<br />
die Australian Defence Force (ADF), in Summe um rund 1,5 Milliarden Euro.<br />
Auch das Bundesheer durfte kürzlich in seiner Flotte einige Neuwagen<br />
von RMMV begrüßen, die schwedischen Streitkräfte halten ihr neues Luftverteidigungssystem<br />
Patriot mit insgesamt 40 RMMV HX-Fahrzeugen mobil.<br />
FOTO : C H R I ST I A N H U B E R<br />
Gezielt für Scharfschützen<br />
Paul Loos sen. mit dem Scharfschützenhandschuh<br />
Die österreichische Firma ESKA hat als Teil des deutschen<br />
Modernisierungsprogramms „Infanterie der Zukunft" bemerkenswerte<br />
Ergebnisse erreicht. Gezielt für Scharfschützen wurde der<br />
TARIUS entwickelt. Dieser Handschuh wird den hohen Ansprüchen<br />
an Taktilität, Schutz und Funktionalität mehr als gerecht.<br />
Der Fingerkappenüberzug mit spezieller Steppnaht und die<br />
Schießfinger Straffvorrichtung sind patentiert. Gefühl und Sicherheit<br />
werden vom TARIUS genial in Einklang gebracht. Der Schießfinger<br />
mit Bewegungsfalte am Abzug unterstützt den perfekten Waffengebrauch<br />
und der perforierte Schießfinger maximiert das Tastgefühl.<br />
Aus Digitalleder gefertigt sind der Grip Innenhand-besatz und<br />
die praktische Anziehhilfe. Die Fäden aus 100% Nomex® sind<br />
flammhemmend und reißfest. Ein Volltreffer!<br />
Mehr auf www.eskagloves.com<br />
B E Z A H LT E A N Z E I G E
0 4 4 S I C h E R h E I T & W I R T S C h A F T<br />
„Nationen haben Interessen, keine Freunde“<br />
REINHARD MARAK ist leitender<br />
Funktionär und Spartenobmann<br />
der Arbeitsgemeinschaft Sicherheit<br />
und Wirtschaft in der Wirtschaftskammer<br />
(WKO).<br />
Herr Marak, ist der Eindruck richtig, dass<br />
sich der österreichische Rüstungs- und<br />
Sicherheitssektor nach dem Niedergang<br />
in den 1980er- und 1990er-Jahren nun<br />
beständig aufwärts entwickelt?<br />
Dieser Eindruck täuscht nicht – in den vergangenen<br />
fünf Jahren weisen die Unternehmen<br />
des Sektors eine Wachstumsrate von<br />
28 Prozent auf. Inzwischen zählt das Segment<br />
rund 130 Unternehmen, von denen<br />
100 in unserer Arbeitsgemeinschaft organisiert<br />
sind. 90 Prozent dieser Unternehmen<br />
sind KMU und Zulieferer von Komponenten<br />
wie Elektronik oder Kommunikation, allesamt<br />
sind sie äußerst wettbewerbsfähig<br />
und decken fast das gesamte Spektrum der<br />
Militär- oder Polizeibedürfnisse ab.<br />
Angeblich könnte das Bundesheer einer<br />
neuen Untersuchung zufolge einen Großteil<br />
seines Materialbedarfs ausschließlich<br />
bei heimischen Anbietern abdecken?<br />
Basierend auf den beiden Generalstabsberichten<br />
über den Investitionsrückstau und<br />
die Materialnöte beim Bundesheer aus dem<br />
vergangenen Jahr, haben wir unter unseren<br />
rund 100 assoziierten Mitgliedsunternehmen<br />
gefragt, inwieweit verfügbare Technologien<br />
und Produkte aus ihrem Portfolio<br />
diese Anforderungen erfüllen können. Die<br />
Antworten haben sogar uns überrascht: Im<br />
Bereich der geschützten Mobilität könnten<br />
inländische Anbieter erstaunliche 92 Prozent<br />
des Bedarfs abdecken, bei der Soldaten-Ausrüstung<br />
sind es 90 Prozent, bei der<br />
allgemeinen Mobilität 87 Prozent und bei<br />
den Luft-Überwachungskomponenten immerhin<br />
50 Prozent. Unter dem Strich<br />
könnten unsere Mitglieder rund 70 Prozent<br />
der benötigten Fähigkeiten liefern.<br />
Wurde auch untersucht, wie groß bei<br />
Aufträgen bei heimischen Herstellern die<br />
Rückflüsse in den Staatshaushalt sind?<br />
GDELS-Steyr hat das im Zusammenhang mit<br />
dem Auftrag über 34 neuen Pandur EVO<br />
durch das Bundesheer gemacht. Demnach<br />
laufen vom Auftragswert von 105 Millionen<br />
Euro rund 30 Prozent als Mehrwertsteuer<br />
retour ins Budget und 20 Prozent als Lohnsteuer<br />
aus den Gehältern der Mitarbeiter. Es<br />
gibt auch noch weitere kleinere Rückflüsse,<br />
unter dem Strich refinanzieren sich die Ausgaben<br />
für den Staat zu mehr als 50 Prozent.<br />
Inwieweit sind die Kriegsmaterial-<br />
Exportgesetze Österreichs ein Wettbewerbsnachteil<br />
für heimische Hersteller?<br />
Grundsätzlich handeln alle europäischen<br />
Unternehmen entsprechend den EU-Verordnungen<br />
für Waffenausfuhren, allerdings werden<br />
diese in den Ländern unterschiedlich<br />
ausgelegt. Es gibt daher Märkte, für die<br />
Österreich keine Exportlizenz zulassen<br />
würde, während andere – wie beispielsweise<br />
Frankreich, die Tschechische Republik<br />
oder die Slowakei – dies sehr wohl tun.<br />
Sie orten eine Wettbewerbsverzerrung?<br />
Natürlich, wobei das Exportprozedere im<br />
Vergleich zu früher definitiv berechenbarer<br />
geworden ist und rascher abgewickelt wird.<br />
In diesem Zusammenhang würde ich gerne<br />
mit einem Vorurteil aufräumen ...<br />
Nämlich?<br />
Die Öffentlichkeit glaubt, dass wir und die<br />
anderen europäischen Verteidigungs- und<br />
Sicherheitsfirmen von sich zuspitzenden<br />
Konflikten profitieren. Allerdings ist das Gegenteil<br />
der Fall: Wenn das Risiko gegeben<br />
ist, dass unsere Produkte Kämpfe und Auseinandersetzungen<br />
befeuern könnten,<br />
schließt sich dieser Exportmarkt für uns.<br />
Dann übernehmen außereuropäische Akteure<br />
wie China oder Russland den Markt.<br />
Können Sie abschließend einen Ausblick<br />
auf die Zukunft des Sektors geben?<br />
Die meisten europäischen Staaten haben<br />
zuletzt die Relevanz von Sicherheit und<br />
Verteidigung wiedererkannt. Es wurden ein<br />
Europäischer Verteidigungsfonds und eine<br />
Generaldirektion für die Verteidigungs- und<br />
Raumfahrtindustrie eingerichtet, mithilfe von<br />
PESCO soll mehr in die Verteidigung investiert<br />
werden. Es wäre wünschenswert, wenn<br />
sich Österreich mehr an diesem Trend orientieren<br />
könnte und der Investitionsanteil beim<br />
Bundesheer deutlich steigen würde. Das<br />
würde unserem Sektor enorm helfen, davon<br />
würde aber auch die europäische Sicherheit<br />
profitieren. Denn niemand sollte glauben,<br />
dass alle um uns herum für immer Freunde<br />
und Partner sein werden. Nationen haben<br />
primär Interessen, keine Freunde.<br />
M I l I t ä R A K t U E l l
FOTO S : G E O R G M A D E R , G LO C K<br />
GOLDECK TEXTIL<br />
Eigentlich für Bettwäsche und hochwertige Wasserbetten bekannt,<br />
zählen zum Produktportfolio auch Outdoor-, Jagd- und Military-<br />
Equipment von Schlafsäcken über Biwakzelte und Windstopper bis<br />
hin zu Isolationsbekleidung. Jüngst haben die Kärntner einen Auftrag<br />
für die neuen ECWS-2010-Tarnuniformen der tschechischen Armee<br />
erhalten, das Volumen von mehr als 15 Millionen Euro umfasst<br />
39.276 Stück in grünem Muster für Ausbildung und Einsatz in Tschechien<br />
sowie 3.535 in sandfarbenem Druck für Auslandsmissionen.<br />
FREQUENTIS<br />
Die Wiener Firma Frequentis ist vor allem für ihre Flugsicherungsausrüstung<br />
für zivile und militärische Nutzer bekannt und zählt in diesem Bereich zu<br />
den Weltmarktführern. Jüngste Innovation sind – im Wettbewerb mit Saab<br />
– unbemannte Kontrolltürme und -stationen, deren Bilder von hochauflösenden<br />
Infrarot- und Schwenk-Neige-Zoom-Kameras an weit entfernte<br />
Zentralen und Fluglotsen übertragen werden. Die US Air Force installierte<br />
zwei solcher Systeme auf der Homestead Air Reserve Base, die US-Navy<br />
sowie die US-Marines je eines in Corpus Christi und in Camp Lejeune.<br />
Weiters nutzen Japan und Südkorea, sowie andere NATO- und lateinamerikanische<br />
Staaten in ihren Luftwaffen diverse Baugruppen aus Wien.<br />
GLOCK<br />
Der niederösterreichische Familienbetrieb ist einer<br />
der Weltmarktführer für Selbstladepistolen. Niederlassungen<br />
gibt es in mehreren Ländern, unter<br />
anderem auch in den USA. Als jüngster Großauftrag<br />
konnte die Pistolet Automatique de Nouvelle<br />
Génération (siehe Bild) für alle französischen Waffengattungen<br />
eingefahren werden, 74.596 Glock-<br />
17 Gen. 5 ersetzen ab 2022 eine Lizenz-Beretta 92.<br />
Der 44-Millionen-Euro-Auftrag umfasst auch Holster,<br />
7.000 Schalldämpfer-Kits, 15.000 Laserlichtmodule<br />
und 9.000 Trainingswaffen.<br />
The Mortar Company.<br />
DIGITALISATION OF MORTAR SYSTEMS
0 4 6 S I C H E R H E I T & W I R T S C H A F T<br />
WETTLAUF MIT<br />
HYPERSCHALL<br />
Text: GEORG MADER<br />
chneller, präziser<br />
und zerstöre-<br />
S<br />
rischer. Seit Jahrtausenden<br />
treiben<br />
diese Maximen die<br />
Entwicklung von immer<br />
neuen Waffensystemen voran. Die<br />
Armbrust und Langbögen leiteten mit ihrer<br />
Reichweite und Durchschlagskraft den<br />
langsamen Niedergang des Rittertums ein,<br />
U-Boote machten überraschende Angriffe in den<br />
Weiten des Ozeans möglich und Bomber trugen<br />
Tod und Vernichtung von der Front bis weit ins<br />
Hinterland. Hyperschallwaffen dürften eine ähnliche<br />
Revolution auslösen – mit fünf- bis zehnfacher Schallgeschwindigkeit<br />
sollen sie in vergleichsweise geringer Flughöhe<br />
ihre Ziele anfliegen und enorme Zerstörungen verursachen<br />
können. Kein Wunder also, dass in den vergangenen Jahren welt-<br />
China und Russland haben<br />
sogenannte Hyperschallwaffen<br />
bereits im Truppentest, die USA<br />
wollen möglichst schnell nachziehen<br />
und auch andere Länder forschen<br />
bereits intensiv an der neuen<br />
Waffentechnologie.<br />
Steht die Welt am<br />
Beginn eines neuen<br />
Rüstungswettlaufs?<br />
FOTO S : G E O R G M A D E R , H E R ST E L L E R<br />
RUSSISCHE HOFFNUNG<br />
Die Hyperschall-Bemühungen<br />
Russlands umfassen mit der<br />
KH-47M2 Kinschal auch eine<br />
Luft-Boden-Rakete, die von<br />
MiG-31BM aus gestartet<br />
werden kann.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
H Y P E R S C H A L LW A F F E N<br />
weit ein neuer Rüstungswettlauf um<br />
die neue Technologie entbrannt ist.<br />
Führend dabei: Russland – zumindest<br />
wenn es nach Präsident Wladimir<br />
Putin geht. Wie bereits in Militär Aktuell<br />
#2/2019 unter dem Titel „Putins<br />
Wunderwaffen“ berichtet, war es der<br />
russische Präsident, der im vergangenen<br />
Jahr erstmals eine größere Öffentlichkeit<br />
auf die neue Waffenkategorie<br />
aufmerksam machte und dabei keinen<br />
Zweifel an der Pionierrolle seines<br />
Landes ließ. „Die USA haben sich aus<br />
dem ABM-Vertrag (Anm.: Rüstungskontrollvertrag<br />
zur Begrenzung von<br />
Raketenabwehrsystemen) zurückgezogen,<br />
weil sie geglaubt haben, dass<br />
sie sich mit einem Schutzschild vor<br />
einer strategischen Bedrohung schützen<br />
können. Wir haben einen anderen<br />
Weg verfolgt: Wir haben nicht<br />
Dutzende Milliarden in ein derartiges<br />
System investiert, sondern Angriffswaffen<br />
entwickelt, die jedes Abwehrsystem<br />
besiegen können, um damit<br />
das strategische Gleichgewicht zu<br />
wahren. Niemand außer uns hat heute<br />
Hyperschallraketen und bis andere<br />
Länder derartige Systeme entwickeln,<br />
werden wir uns etwas Neues einfallen<br />
lassen.“<br />
Nun: Gänzlich überraschend kam<br />
Putins Ankündigung freilich nicht.<br />
Vor allem im Raumfahrtbereich wird<br />
seit Jahrzehnten an Hyperschall-<br />
Technologien geforscht. Naheliegend,<br />
dass irgendwann auch Militärs auf<br />
den 6.000 bis 18.000 km/h schnellen<br />
Zug aufspringen und in die Technologie<br />
investieren. Sie sehen darin<br />
Wirkmittel- wie Aufklärungsmittel<br />
gleichermaßen. Längst werden daher<br />
in Hyperschall-Windkanälen die<br />
thermischen Herausforderungen an<br />
Metallurgie und intelligente Materialien,<br />
Antriebe und die Miniaturisierung<br />
von Kontrollkomponenten untersucht.<br />
Abhängig von Technologie<br />
und der Einsatzart wird zwischen<br />
Boostern oder luftgestarteten Systemen<br />
unterschieden, mit eigenem<br />
luft atmendem Antrieb (wie beispielsweise<br />
sogenannte Scramjets), im<br />
Luftraum operierend oder nicht angetriebene<br />
Flugkörper und Gefechtsköpfe,<br />
die anfänglich von einer ballistischen<br />
Rakete getragen werden und<br />
anschließend über Tausende Kilometer<br />
hinweg in wellenförmiger Bahn<br />
durch die obere Atmosphäre gleiten<br />
können.<br />
SCHWER ABZUFANGEN Während<br />
herkömmliche ballistische Raketen auf<br />
vorberechenbaren Flugbahnen ihrem<br />
Ziel entgegenfliegen, erlaubt die<br />
Manövrierbarkeit von Hyperschallwaffen<br />
unkonventionelle Flugbahnen in<br />
vergleichsweise geringer Flughöhe<br />
mit enormer Geschwindigkeit.<br />
Funktion eines<br />
Hyperschallgleiters<br />
EIN PROJEKT VON VIELEN<br />
Die USA treiben derzeit viele<br />
verschiedene Hyperschall-<br />
Projekte voran. Darunter auch<br />
die taktische Hyperschallrakete<br />
AGM-183A Arrow, die sich von<br />
einer B-52 ausklinkt und bis<br />
zu Mach-20 erreichen soll.<br />
Flugbahn<br />
konventioneller<br />
ballistischer<br />
Raketen<br />
ca. 100 km<br />
Manövrierbarkeit<br />
des Gleiters<br />
Atmosphäre<br />
Raketenstart<br />
Trennung<br />
von der Rakete<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 4 8 S I C H E R H E I T & W I R T S C H A F T<br />
IM RAMPENLICHT China zeigte bei seiner letzten<br />
großen Militärparade in Peking gleich mehrere Stück<br />
des neuen Hyperschallgleiters DF-17 HGV.<br />
innewohnenden Potenzial müssen<br />
dazu neue Systeme und Verfahren<br />
untersucht und entwickelt werden.<br />
Dies schließt bei entsprechenden<br />
Forschungsprojekten den Einsatz<br />
von Automatisierung und künstlicher<br />
Intelligenz, zum Beispiel zur Berechnung<br />
von Abfangmöglichkeiten<br />
und -zeitpunkten, mit ein.<br />
Zurück zu Wladimir Putin, der sich<br />
in seiner Wahrnehmung des russischen<br />
Entwicklungsstatus wohl vor<br />
allem auf die Systeme Avangard<br />
(Gleiter auf Raketenstufe, Projekt<br />
4202/Yu-74) und 3M22 Tsirkon (seegestützt)<br />
bezog, die angeblich bereits<br />
mehrfach erfolgreich getestet aber<br />
noch nicht öffentlich gezeigt wurden.<br />
Bereits zu sehen war die aus der<br />
ballistischen Boden-Boden-Rakete<br />
SRBM Iskander entwickelte luftgestützte<br />
Kh-47M2 Kinschal, die 2019<br />
unter zwei MiG-31BM über den<br />
Roten Platz geflogen wurde und mittlerweile<br />
in mehreren Militärbezirken<br />
stationiert sein soll. Was Putin außer<br />
Acht ließ: Die Fortschritte, die China<br />
zuletzt auf diesem Gebiet gemacht<br />
hat. Im vergangenen Jahr konnte das<br />
Publikum bei der großen Pekinger<br />
Parade gleich mehrere Stück des neuen<br />
Hyperschallgleiters DF-17 HGV<br />
bestaunen, weitere Systeme sind in<br />
Entwicklung. Viele Experten sehen<br />
China im Hyperschall-Wettlauf mit<br />
Russland mittlerweile gleichauf.<br />
Und die USA? Die scheinen im<br />
Vergleich zu Moskau und Peking<br />
vorerst im Hintertreffen zu sein. Vor<br />
einigen Jahren erreichte das USAF-<br />
Projekt X-51 Waverider nach Ausklinken<br />
von einer B-52 zwar mehrmals<br />
Mach-5, eine einsatzfähige<br />
Waffe wurde aber nicht daraus.<br />
Nun treiben die USA gleich mehrere<br />
Projekte parallel voran, die meisten<br />
in sogenannten „Black Programs“,<br />
von denen kaum etwas nach außen<br />
dringt. In einer Tabelle des Defense<br />
Departments wurden zuletzt sieben<br />
verschiedene Hypersonic-Missiles,<br />
-Weapons und -Glider aufgelistet,<br />
beziffert mit einem Budgetvolumen<br />
von knapp acht Milliarden Euro bis<br />
2024. Im Februar wurde ein erfolgreicher<br />
Test eines Common Hypersonic<br />
Glide Body (C-HGB) von<br />
Kauai/Hawaii vermeldet. Ein anderes<br />
Projekt mit bis zu Mach 20 trägt<br />
die Bezeichnung AGM-183A Advanced<br />
Rapid Response Weapon (Arrow),<br />
Tragetests an B-52 sind fotografisch<br />
festgehalten und wurden von Entwickler<br />
Lockheed Martin umfangreich<br />
illustriert.<br />
Abseits der „großen Drei“ haben auch<br />
Japan (Anti-Schiffs-Hyperschall-<br />
Marschflugkörper), Indien (HSTDV<br />
auf Agni-1) und Großbritannien (SA-<br />
BRE von Reaction Engines) Studien,<br />
Pläne und Forschungen zu Hyperschallwaffen<br />
laufen. Mit Ausnahme<br />
eines ersten Fehlschlags in Indien<br />
wurden in diesen Ländern aber noch<br />
keine realen Objekte außerhalb von<br />
Windkanälen getestet und so liegt der<br />
Fokus der meisten Militärs dort wie<br />
anderswo momentan vor allem auf<br />
Überlegungen zur Abwehr von Hyperschall-Offensivwaffen.<br />
Aufgrund der<br />
erwähnten Eigenschaften und dem<br />
Fazit: Wie aktuell das Thema mittlerweile<br />
ist, zeigte sich Ende 2019 bei<br />
einer Fachtagung am German Institute<br />
for Defence and Strategic Studies<br />
(GIDS) in Hamburg. Das GIDS und<br />
die Fakultät Luftwaffe der Führungsakademie<br />
der Bundeswehr hatten<br />
zum Thema „Auswirkungen und Bedrohungen<br />
durch Hyperschallwaffen<br />
auf die bestehende Luftverteidigungsarchitektur“<br />
geladen und dabei trieb<br />
die versammelten Experten vor allem<br />
eine Frage um: Wird die neue Technologie<br />
zum „Game Changer“? Haben<br />
Hyperschallwaffen also das Potenzial<br />
– wie zuvor das Schießpulver, Panzer<br />
oder Cyber-Technologien –, das strategische<br />
Denken und Handeln von<br />
Militärs auf den Kopf zu stellen?<br />
Müssen damit alle geltenden Spielregeln<br />
neu geschrieben werden? Die<br />
Antwort lautet: Ja. Hält die Technologie,<br />
was sie verspricht, sind die bestehenden<br />
Konzepte der Luft- und<br />
Raketenabwehr von einem Tag auf<br />
den nächsten überholt. Hyperschall-<br />
Flugkörper sind nicht nur schnell,<br />
sondern lassen sich auch steuern –<br />
anders als ballistische Interkontinentalraketen<br />
folgen sie keiner vorhersehbaren<br />
Flugbahn. Dazu kommt: Sie<br />
können deutlich niedriger als ballistische<br />
Systeme fliegen, was sie aufgrund<br />
der Erdkrümmung für Radarsysteme<br />
erst spät erkennbar macht.<br />
Eine Abwehr wird damit für einzelne<br />
Staaten schwierig bis unmöglich.<br />
Erfolg versprechender scheinen<br />
Abwehrlösungen im Verbund oder<br />
innerhalb eines Bündnisses wie der<br />
NATO zu sein, womit Hyperschallwaffen<br />
die internationale Sicherheitsarchitektur<br />
nachhaltig beeinflussen<br />
dürften.<br />
FOTO : C H I N A M I L<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
F R A U E N I M K R I E G<br />
VON DER<br />
FRIEDENS-BERTHA<br />
FLINTEN-USCHI<br />
BIS ZUR<br />
Das Buch Frauen.Medien.Krieg. blickt auf die weiblichen Seiten des Krieges<br />
und spannt den Bogen von Kriegskrankenschwestern über Soldatinnen bis zur<br />
Anwendung sexueller Gewalt als Teil der Kriegsführung etwa von Boko Haram<br />
und dem Islamischen Staat.<br />
Text: MORITZ KOLAR<br />
FOTO S : M AU R I T I U S I M AG E S , B E I G E ST E L LT<br />
as „starke Geschlecht“<br />
D<br />
im Fokus: Wird über<br />
Kriege berichtet, dann<br />
geht es in den Texten<br />
und Reportagen<br />
meist um Männer.<br />
Um Männer, die zur Waffe greifen.<br />
Männer, die in Schützengräben hocken.<br />
Männer, die unter Feuer auf feindliche<br />
Stellungen zustürmen, Kriegsverbrechen<br />
begehen und die auf großen<br />
Landkarten Divisionen verschieben.<br />
Frauen sind der vorherrschenden<br />
Kriegsliteratur hingegen kaum eine<br />
Zeile wert und während unzählige<br />
Kriegerdenkmäler an gefallene Soldaten<br />
erinnern, sucht man Gedenksteine<br />
für Frauen, die an der oder durch die<br />
Front ihr Leben ließen, meist vergebens.<br />
Zu Unrecht, sagt Bettina Biron: „Es<br />
wird größtenteils ausgeblendet, dass<br />
auch Frauen aktiv und passiv an<br />
Kampfhandlungen teilnehmen und<br />
in Kriegen ebenso Opfer bringen<br />
wie Männer. Beispiele wie die österreichische<br />
Soldatin Viktoria Savs<br />
zeigen, dass Frauen sogar schon im<br />
Ersten Weltkrieg an der Front<br />
kämpften. Sie spielten dann auch im<br />
Zweiten Weltkrieg etwa als Kriegskrankenschwestern<br />
oder Wiederstandskämpferinnen<br />
unter Einsatz<br />
ihres Lebens wichtige Rollen. Die<br />
später als Unternehmerin erfolgreiche<br />
Deutsche Beate Uhse überführte<br />
beispielsweise im Range eines Hauptmanns<br />
für die Luftwaffe Flugzeuge<br />
an die Front. In der Berichterstattung<br />
ist das trotzdem nur ein Randthema<br />
– wenn überhaupt.“ Um das<br />
zu ändern hat die Konfliktforscherin<br />
gemeinsam mit Kommunikationswissenschaftler<br />
Wolfgang Duchkowitsch<br />
sowie dem ehemaligen<br />
SOLDATINNEN In vielen Armeen versehen Frauen heute ganz selbstverständlich Dienst. In der Berichterstattung<br />
über Kämpfe und Kriege übernehmen aber immer noch beinahe ausschließlich Männer die Rolle der Helden.<br />
Kriegsberichterstatter Wolfgang<br />
Lamprecht das Buch Frauen.Medien.<br />
Krieg. (<strong>2020</strong>, LIT Verlag) herausgegeben.<br />
Forscher unterschiedlicher<br />
Disziplinen (unter anderen Heinz<br />
Gärtner und Christa Hämmerle)<br />
lenken darin den Blick auf aktive<br />
und passive weibliche Protagonisstinnen<br />
von Kriegen der vergangenen<br />
rund hundert Jahre. Auf Opfer<br />
und Täterinnen, von der „Friedens-<br />
Bertha“ bis zur „Flinten-Uschi“, von<br />
der Kriegskrankenschwester bis zur<br />
systematischen Anwendung sexueller<br />
Gewalt als Teil der Kriegsführung<br />
von Terrorgruppen wie Boko Haram<br />
und dem Islamischen Staat.<br />
„Uns war natürlich bewusst, dass wir<br />
bei den Recherchen auf jede Menge<br />
Klischees von der Frau als leidendes<br />
Opfer und dem Mann als Held oder<br />
Täter stoßen werden. Wie stark diese<br />
Klischees ausgeprägt und präsent<br />
sind, hat uns dann aber doch überrascht“,<br />
sagt Bettina Biron. „Überraschend<br />
war zudem, dass sich daran<br />
über die vergangenen Jahre trotz der<br />
erhöhten Präsenz von Frauen in vielen<br />
Streitkräften – der Frauenanteil<br />
in der US-Armee liegt beispielsweise<br />
mittlerweile bei rund 15 Prozent –<br />
wenig geändert hat. In Medien, Filmen,<br />
der Kriegspropaganda und der<br />
öffentlichen Wahrnehmung spielen<br />
fast immer ausschließlich Männer<br />
die Rolle des Helden. Frauen sind<br />
meist weiterhin bestenfalls Statisten.“<br />
NEUERSCHEINUNG<br />
Frauen.Medien.Krieg<br />
von Bettina Biron,<br />
Wolfgang Duchkowitsch<br />
und Wolfgang Lamprecht,<br />
erschienen <strong>2020</strong> im<br />
LIT Verlag.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 5 1 P A N O R A M A<br />
GRIPEN: KOSTENEFFIZIENT<br />
Das Mehrzweck- und Überschall-Kampfflugzeug Gripen<br />
von Saab erfüllt sämtliche Anforderungen<br />
der österreichischen Luftwaffe zum besten<br />
Preis-Leistungs-Verhältnis.<br />
Kostengünstige Trainings, wetterunabhängige<br />
Verfügbarkeit rund um die<br />
Uhr bei gleichzeitig geringem Wartungs-<br />
und Logistikaufwand am Boden.<br />
Gripen ist die richtige strategische<br />
Komponente für eine in<br />
te, kostengünstige und gleich<br />
moderne Luftraumüberwach<br />
Österreich. Mit einer<br />
1-Flotten-Strategie, regelmäß<br />
MODERNE LUFTWAFFE<br />
Regelmäßige Upgrades und Weiterentwicklungen auf Gripen<br />
stellen eine moderne Luftwaffe in Österreich sicher.<br />
ÜBERLEBENSFÄHIGKEIT<br />
Das Electronic Warfare System<br />
(EW) umfasst einen Radarwarnempfänger<br />
(RWR), interne Störsender<br />
zur Unterstützung der<br />
aktiven elektronischen Gegenmaßnahmen<br />
sowie Chaff- und<br />
Flare Dispenser. Das Gripen-System<br />
ermöglicht eine eigenhändige<br />
Programmierung des<br />
EW-Systems, einschließlich der<br />
souveränen Kontrolle über die<br />
Bedrohungs- und Gegenmaßnahmenbibliotheken.<br />
Weitere<br />
Upgrades im Bereich von Digital<br />
Radio Frequency Memory<br />
(DRFM) der nächsten Generation:<br />
erhöhte Sensitivität und Selektivität<br />
sowie Signal- und<br />
Datenverarbeitungstechniken.<br />
24/7 EINSATZBEREITSCHAFT<br />
Mit Gripen werden Training und<br />
Einsatz rund um die Uhr bei allen<br />
Wetterbedingungen geflogen.<br />
Die hohe Verfügbarkeit und kurze<br />
Bodenzeiten von rund<br />
10 Minuten zwecks Betankung<br />
und Bewaffnung ermöglichen das<br />
geforderte 24/7 QRA. Das moderne<br />
BIT-System überprüft laufend<br />
alle flugkritischen Systeme<br />
und unterstützt mittels<br />
fortgeschrittenem MGSS<br />
(Maintenance Ground Support<br />
System) das Bodenpersonal bei<br />
allfälliger Fehlerlokalisierung. Gripen<br />
zeichnet sich durch<br />
einen minimalen logistischen Fußabdruck<br />
aus und kann in<br />
Friedens- und Konfliktzeiten<br />
mit einem Bodenpersonal<br />
von lediglich drei bis fünf<br />
Soldaten operiert werden.<br />
AIR-TO-AIR<br />
Für große Reichweiten verfügt Gripen über integrierte<br />
Luft/Luft-Waffen (Meteor, AMRAAM). Für Einsätze innerhalb<br />
des Sichtbereichs kommen IRIS-T, A-DARTER<br />
und Sidewinder zum Einsatz – integriert<br />
im HMD (Helmet Mounted Display). Mittels<br />
Radar-Upgrades in den Bereichen Datenverbindung,<br />
Reichweite und AESA-Technologie wird das volle Potenzial<br />
neuer Waffenversionen ausgeschöpft. Ein verbessertes HMD<br />
mit Nachtsichtfähigkeit ist ebenfalls Teil der Weiterentwicklung.<br />
AIR-TO-GROUND<br />
Gripen verfügt über alle Anforderungen im Bereich Close Air Support (CAS). Auch die<br />
CAS-Kommunikation zwischen Forward Air Controller (FAC) und Gripen wird unter<br />
Berücksichtigung minimalster Investitionen ins Funknetz künftig möglich sein.<br />
LÄNGE 14,9 Meter<br />
FOTO S : SA A B<br />
INTEROPERABILITÄT<br />
Das IFF-System (Freund/Feind-Identifzierzung) umfasst Fähigkeiten zur Unterstützung<br />
des zivilen, nationalen und NATO-Modus. Gripen wird in naher Zukunft mit neuen<br />
Krypto-Lösungen und Mode-Standards interoperabel sein.<br />
MODERNES DATENVERBINDUNGSSYSTEM<br />
Gripen ist mit dem einzigartigen taktischen Fighter-zu-Fighter-<br />
Datenverbindungssystem (TIDLS) ausgerüstet. TIDLS empfängt von allen Beteiligten<br />
einer taktischen Lufteinheit relevante Flugzeugstatus-Informationen zu Treibstoff,<br />
Radar- und anderen Sensordaten sowie Missionsinformationen von der Einsatzleitung<br />
und tauscht diese in Echtzeit zwischen den Flugzeugen aus. TIDLS schafft entscheidende<br />
Informationsüberlegenheit für den Piloten.<br />
MULTIROLE<br />
Gripen ist ein kosteneffizientes Mehrzweck-<br />
Kampfflugzeug und verfügt über ein hochmoder<br />
Überschallgeschwindigkeit für den Luftpolizeidie<br />
allwettertaugliche Waffensysteme mit integrierte<br />
Boden-Kapazitäten, Nachtsichtfähigkeit sowie üb<br />
flugzeug wurde Gripen unter NATO-Kommando i<br />
Luftaufklärung eingesetzt. Über 650 Einsätze und<br />
die insgesamt acht Gripen während sieben Mona<br />
Aufrechterhaltung des QRA werden im Rahmen v<br />
ungarischen Luftwaffe eingesetzt. Zusammen ab<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
I N F O G R A F I K<br />
tegrier-<br />
zeitig<br />
ung für<br />
igen<br />
UND LEISTUNGSSTARK<br />
System-Upgrades und Weiterentwicklungen<br />
kann Gripen heute und auch in Zukunft<br />
effizient und effektiv operiert werden.<br />
Hohe Agilität, Schnelligkeit und die<br />
Leistungsfähigkeit der Sensoren ermögli-<br />
chen einen umfassenden Luftpolizeidienst,<br />
die taktische Luftaufklärung sowie<br />
die Erdkampffähigkeit zur Unterstützung<br />
eigener Bodentruppen. Gripen verfügt<br />
über modernste allwettertaugliche Waf-<br />
fensysteme, wie die BVR-Langstrecken-<br />
Lenkwaffe Meteor und stellt auch in Zukunft<br />
mit zunehmender<br />
Datenflut die Interoperabilität mittels<br />
High Speed Datalink sicher.<br />
Entgeltliche Einschaltung<br />
1-FLOTTEN-STRATEGIE<br />
Eine 1-Flotten-Strategie erfüllt alle betrieblichen<br />
Anforderungen mit einer geringeren Anzahl von<br />
Flugzeugen und ist deshalb maximal kosteneffizient. Aufgrund<br />
besserer und vielseitiger<br />
Einsatzmöglichkeiten aller Piloten können mit<br />
Gripen sämtliche jährlich erforderten Flugstunden<br />
(Simulator inklusive) produziert werden.<br />
Eine 1-Flotten-Strategie optimiert zugleich die<br />
Ressourcen im Bereich des Bodenpersonals.<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
Gripen<br />
Hersteller Saab<br />
Maximales Startgewicht 14 Tonnen<br />
Triebwerk (Schub) 80,5 kN<br />
Maximalgeschwindigkeit Mach 2+<br />
Interne Treibstoffkapazität 2,4 Tonnen<br />
Reichweite 3.000 Kilometer<br />
Startstrecke 400 Meter<br />
Landestrecke 500 Meter<br />
g-Limits –3 / +9<br />
RESSOURCEN UND INFRASTRUKTUR<br />
Die Einführung und der Betrieb von<br />
Gripen erfordert minimale Investitionen zur<br />
Anpassung bestehender Infrastruktur<br />
auf den Stützpunkten Zeltweg und<br />
Hörsching. Der Übergang und die<br />
Umrüstung der österreichischen<br />
Piloten auf Gripen gestaltet sich<br />
einfach und erfolgt innerhalb<br />
kurzer Zeit. Eine kurz- und<br />
langfristige Ausbildungslösung<br />
stellt die volle Einsatzfähigkeit<br />
der österreichischen Luftwaffe<br />
innerhalb von rund zwei Jahren<br />
nach Vertragsunterzeichnung sicher.<br />
SPANNWEITE<br />
8,4 Meter<br />
nes Radar,<br />
enst, beste Manövrierfähigkeit,<br />
n Kurzstrecken-Langstrecken-Luft- und Luftber<br />
ein umfassendes Selbstschutzsystem. Als Multirole-Kampfim<br />
Rahmen der internationalen Militäroperation über Libyen im Jahr 2011 zwecks<br />
d mehr als 2.000 Flugstunden mit einer Verfügbarkeit von über 92 Prozent absolvierten<br />
aten vom Luftwaffenstützpunkt Sigonella in Sizilien aus. Im Luftpolizeidienst sowie zwecks<br />
von „Baltic Air Policing“ unter NATO-Kommando vier Gripen der tschechischen und<br />
solvieren die Gripen während der jeweils viermonatigen Missionen 400 Flugstunden.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 5 0 s c h l u s s p u n k t<br />
china + ruSSland<br />
= StrategiSche allianz?<br />
Russland liefert Öl und Gas und nun sogar modernste Waffensysteme nach China,<br />
Peking wiederum forciert die Zusammenarbeit beim Megaprojekt Neue Seidenstraße und unterstützt<br />
Moskau beim Aufbau seiner Technologie-Infrastruktur. Was ist von dieser immer intensiver<br />
werdenden Zusammenarbeit zu halten? Beobachten wir gerade das Entstehen einer neuen<br />
strategischen Allianz? Eine Analyse von Sicherheitspolitik-Experte Brigadier a. D. Walter Feichtinger.<br />
schon 1996 beschlossen Moskau und<br />
peking eine strategische partnerschaft<br />
und 2001 unterzeichneten die<br />
beiden länder einen neuen Freundschaftsvertrag.<br />
die Absichtserklärungen blieben<br />
aber meist formal und gewinnen erst seit<br />
einigen Jahren zunehmend an substanz –<br />
und das vor allem in den Bereichen Geopolitik,<br />
in den handelsbeziehungen sowie<br />
der sicherheits- und Verteidigungspolitik.<br />
dabei eint Moskau und peking ein gemeinsames,<br />
übergordnetes Ziel: den einfluss<br />
– aus ihrer sicht dominanz – des Westens<br />
zu reduzieren. russland und china<br />
sind strikte Verfechter von nationaler souveränität,<br />
lehnen eine einmischung in innere<br />
Angelegenheiten kategorisch ab und<br />
vertreten die idee einer mulitpolaren Weltordnung<br />
mit unterschiedlichen Wertesystemen.<br />
Mit den Absichten der usA ist das<br />
nur schwer unter einen hut zu bringen,<br />
weshalb der einfluss Washingtons in<br />
europa, in Zentralasien und im Westpazifik<br />
weiter zurückgedrängt werden soll. und<br />
auch bei der erschließung der Arktis wollen<br />
Moskau und peking ein Gegengewicht<br />
zum Westen bilden.<br />
einen enormen schub für die bilateralen<br />
Beziehungen bedeuteten vor allem die<br />
Annexion der krim durch russland 2014<br />
und die folgenden sanktionen des Westens.<br />
china vermied eine Verurteilung<br />
Moskaus und stieg dadurch im kreml<br />
nolens volens über nacht zum „partner<br />
erster Wahl“ auf. in der Folge stieg das<br />
bilaterale handelsvolumen Jahr für Jahr,<br />
zuletzt 2018 um 25 prozent – erstmals<br />
konnte damit die Grenze von 100 Milliarden<br />
us-dollar (rund 89 Milliarden euro)<br />
überschritten werden. die Zahlen für 2019<br />
sind zwar noch nicht veröffentlicht, alles<br />
andere als ein weiterer deutlicher Antstieg<br />
wäre aber eine Überraschung. russlands<br />
exportschlager sind Öl und Gas. im Gegenzug<br />
ersetzt china vielfach europäische<br />
„trotz allem bestehen<br />
zweifel an der<br />
tragfähigkeit der<br />
strategischen<br />
Partnerschaft.“<br />
technologielieferanten, huawei baut in<br />
russland beispielsweise gerade das 5Gnetz<br />
auf. Vor allem aber gibt es kredite<br />
und darlehen für Moskau, peking investiert<br />
zudem massiv in Flüssiggasprojekte in<br />
der Arktis. russland wiederum will china<br />
beim Aufbau eines Frühwarnsystems zur<br />
raketenabwehr unterstützen und liefert<br />
seit 2018 modernste Militärtechologie wie<br />
das S-400-luftabwehrsystem oder den<br />
kampfjet Su35 an die chinesische Volksarmee.<br />
Mittlerweile gibt es sogar gemeinsame<br />
Militärmanöver zu land, zur see und<br />
in der luft. noch <strong>2020</strong> möchte man ein<br />
rechtliches rahmenwerk für sämtliche<br />
Militärkooperationen verabschieden.<br />
sicherheitspolitisch gab und gibt es zwar<br />
von beiden seiten Bedenken vor einer<br />
noch engeren Zusammenarbeit, doch die<br />
krim-krise hat auch hier für entspannung<br />
gesorgt. Man kooperiert in regionalen<br />
Foren wie der shanghaier organisation für<br />
Zusammenarbeit, stimmt die positionen<br />
gegenüber nordkoreas Atomwaffenprogramm<br />
ab und arrangiert sich beim seidenstraßenprojekt<br />
und in un-Gremien.<br />
trotz allem bestehen aber Zweifel an der<br />
tragfähigkeit der strategischen partnerschaft.<br />
denn russland ist de facto nur<br />
Juniorpartner, während chinas einfluss<br />
zunimmt. Mittel- und langfristig könnten<br />
auch die politische konkurrenz in Zentralasien<br />
oder der wirtschaftliche Wettkampf<br />
auf dem rüstungsmarkt für spannungen<br />
sorgen. chinesische Beobachter zweifeln<br />
außerdem an der Zuverlässigkeit Moskaus<br />
– in krisen könnte es sich für europa und<br />
den Westen entscheiden. solange daher<br />
die Auseinandersetzung mit dem „gemeinsamen<br />
Feind usA“ das politische Geschehen<br />
in peking und Moskau bestimmt,<br />
werden china und russland ihre kooperation<br />
zwar ausbauen, aber keine dauerhafte<br />
Allianz bilden. das würde ihren strategischen<br />
Freiraum zu sehr einschränken.<br />
Brigadier a. D. Walter Feichtinger ist<br />
Präsident des Center for Strategic<br />
Analysis (CSA). Davor war er Leiter<br />
des Instituts für Friedenssicherung<br />
und Konfliktmanagement (IFK) an<br />
der Landesverteidigungsakademie.<br />
Foto s : p i c t u r e d e s k , B u n d e s h e e r / M i n i c h<br />
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