10 Raum 5 /// Frühjahr/Sommer 2020
»DIE ZEIT IST REIF, SICH ZU VERÄNDERN«Das Lichthaus Remagen ist eine Insti tution in Köln. Als Gottfried Remagen es 1845 eröffnete, war die Glühbirnenoch Zukunftsmusik. Nach 175 Jahren schreibt die 6. Generation ein neues Kapitel in der bewegten Firmen- undFamiliengeschichte.>>> Köln an einem warmen Herbsttag im Oktober. Jede Mengelos am Neumarkt: Menschen warten, dass der Straßenverkehreine kurze Pause für sie einlegt. Ungeduldig, geschäftig, sturgeradeaus blickend, vorbei an den Geschäften, die sich hieraneinanderreihen. Das übliche Chaos. Betritt man das Licht-Fachgeschäft der Familie Remagen, taucht man in eine andereWelt ein. Still ist es hier. Wohin man auch schaut — es leuchtetaus allen Ecken. Vorn sehen sich ein paar Besucher*innenneugierig um. Hinten funkeln die Kronleuchter, die einenweiter in den langgestreckten Raum locken.Gut gelaunt nimmt Heinrich Remagen an einem großen Tischneben seinem Sohn Oliver Platz. Zusammen mit seinem BruderPatrick führt Oliver das Unternehmen bereits in sechster Generation.Und wenn das Licht-Fachgeschäft dann auch nochälter ist als die Glühbirne selbst, ist das hier eine ganz beson -dere Geschichte.Vater und Sohn beginnen zu erzählen: Alles fing mit GottfriedRemagen an. Von Haus aus Klempner, hat er ab 1841 mit deröffentlichen Straßenbeleuchtung in Köln zu tun, Gaslaternenseinerzeit. Vier Jahre später gründet er das Geschäft in derKölner Altstadt. Die nachkommenden Generationen macheneiniges mit: das Ende der Petroleumlampe, das kurze Aufglühendes Gaslichts und schließlich den Durchbruch des elektrischenLichts. Von der Lintgasse geht es in die Martinstraße, danach indie Zeppelinstraße. 1945 dann der Totalausfall. Das Geschäftwird komplett zerstört. Artur Remagen, der es mittlerweile invierter Generation führt, baut es wieder auf und verlegt es1964 an den Neumarkt. Doch nun, über 50 Jahre später, sindauch hier die Tage gezählt.Heinrich Remagen breitet seine Arme aus: »Der Handel hatsich verändert. Man muss sich doch nur mal umschauen. Es istDienstagvormittag, und es gibt nur wenige Besucher in diesemRiesenraum. 700 Quadratmeter — was für Partys man hierveranstalten könnte! Für uns geht die Zeit in der Innenstadtdefinitiv zu Ende.« Das heißt bei den Remagens aber nicht,dass die Lichter nun ausgehen. Im Gegenteil: Sie brennen weiter,nur anders. Gemeinsam mit seinem Bruder Patrick hat OliverRemagen ein neues Geschäftskonzept entwickelt. »Mit demLaden in seiner alten Form ist Schluss bei uns«, erklärt er.»Unsere kostenlosen Beratungen dauern oft ein, zwei Stunden.Läuft es schlecht, fotografieren Kunden Kataloge ab und kaufenonline. Damit können und wollen wir nicht konkurrieren.«Heinrich Remagen nickt zustimmend.Er ist nicht der Typ Seniorchef, der das Alte bewahrenmuss, nur weil er damit einst Erfolge feierte: »Wir haben niegewartet, bis die Welt zusammenbricht. Jede Generation hatsich mit der aktuellen Situation beschäftigt. Die Zeit ist reif,sich zu verändern.«Ende 2020, im Jahr des 175. Firmenjubiläums, schließen siedas Ladenlokal am Neumarkt. Anfang 2021 geht es in neuenRäumen weiter. Das Unternehmen wird sich dann als ersteAdresse für Licht- und Raumplanungen präsentieren. Gemeinsammit Spezialist*innen für Inneneinrichtung, zum Beispiel fürRaum akustik und Küchenausstattungen, wollen die Remagensein ganzheitliches Einkaufserlebnis bieten. Ein kluger Schachzugin Zeiten, wo überbordende Online-Angebote eher Stressauslösen und Streifzüge durch zig Geschäfte an den Nervenzehren. Im neuen Geschäft hat man (fast) alles in einem.Vor allem: Dort kann man erkennen, wie die Deckenleuchtetatsächlich über dem Esstisch wirkt.Der größte Fehler, den man beim Leuchtenkauf machenkann? »Sich nicht ans Fachpersonal wenden«, ist Oliver Remagenüberzeugt. Die Nachttischlampe vom Discounter kann sich ausseiner Sicht schädlich auf Gesundheit und Umwelt auswirken,bis hin zu Schlafstörungen und Energieverlust. Das Thema liegtHeinrich Remagen am Herzen. Regelmäßig hält er Vorträge dazu.»Kunden können sich schnell selbst überschätzen. Spätestensnach dem zweiten Fehlkauf kommen sie zu uns, weil sie esverstanden haben.« Oliver Remagen ergänzt: »Viele billigeLichtquellen sind nicht nachhaltig, sie gehen schnell kaputtund landen im Sondermüll.«Der Zukunftsplan der Remagens klingt schlüssig. Aber was,wenn das Konzept nicht aufgeht? »Dann ist es eben so«, meintOliver Remagen trocken. »Et kütt wie et kütt.« Der stolze Vaterpflichtet ihm bei: »Das Wichtigste ist, keine Angst zu haben.Denn die nimmt dir Lebensqualität, Handlungsfähigkeit, Entscheidungsfreudigkeit,einfach alles. Aber das ist gar nichtimmer einfach. Bei mir hat das viel länger gedauert als beimeinem Sohn.«Die Remagens haben viele Geschichten zu erzählen. DieGeschichte des Lichts, die Geschichte einer Familie, die seit fast175 Jahren zusammenhält. Und es wäre keine Kölner Geschichte,wenn nicht der Spaß an oberster Stelle stehen würde. »VieleMenschen empfinden keine Leidenschaft für ihre Arbeit«, sagtHeinrich Remagen. »Tradition kann aber nur entstehen, wennman immer wieder aufsteht, Krisen bewältigt und dabei seineLebensfreude nicht verliert.« Die Geschichte der Remagens:das nächste Kapitel kann beginnen.Text: Paulina Thillmann | Foto: Tom Zelgerremagenlicht.deRaum 5 /// Frühjahr/Sommer 202011