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Dorfleben Westerholt 280820

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18 dorfleben - das Magazin für Herten-<strong>Westerholt</strong><br />

Ein Krößken mit Beethoven?<br />

Der berühmte Komponist und seine Schülerin Anna Maria Wilhelmine von und zu<br />

<strong>Westerholt</strong>-Gysenberg sollen sich 1790/91 näher gekommen sein.<br />

Von Christiane Rautenberg<br />

igentlich keine besondere<br />

Geschichte Ende des 18.<br />

Jahrhunderts: Ein Musiker<br />

bürgerlicher Herkunft verliebt<br />

sich in seine adlige Klavierschülerin.<br />

Sie weist ihn ab, aus<br />

Standesgründen, und heiratet<br />

einen Freiherrn. Zum interessanten<br />

Stoff für (lokale) Chronisten<br />

gerät die Geschichte<br />

aber trotzdem. Denn bei der<br />

Dame handelt es sich um Anna<br />

Maria Wilhelmine von und<br />

zu <strong>Westerholt</strong>-Gysenberg.<br />

Und bei dem Pianisten um<br />

Ludwig van Beethoven, der in<br />

diesem Jahr seinen 250. Geburtstag<br />

gefeiert hätte.<br />

Ob der etwa 20-jährige Bonner<br />

Hofmusiker der 16-jährigen<br />

Grafentochter um<br />

1790/91 mehr als nur die Welt<br />

der Noten erschloss? Ob er ihr<br />

glühende Liebesbriefe<br />

schrieb, wenn er ihr gerade<br />

nicht nahe sein konnte, weil<br />

er für seinen Dienstherrn, den<br />

Bischof von Münster und Erzbischof<br />

von Köln, zu musizieren<br />

hatte? Ob sie seine Zuneigung<br />

erwiderte? Das alles wissen<br />

wir nicht.<br />

Fakt ist: Beethoven (1770-<br />

1827) war von 1784 an bei Hof<br />

angestellt, wo auch Wilhelmines<br />

Vater Ludolf Friedrich<br />

Adolf von Boenen zu Berge ab<br />

1785 als Oberstallmeister und<br />

Geheimer Rat - kurz: Verwaltungsangestellter<br />

– für den Bischof<br />

tätig war. „Bonn war damals<br />

Residenzstadt des Bischofs<br />

und die Grafenfamilie<br />

Teil der Hofgesellschaft. Dort<br />

wird sie Beethoven begegnet<br />

sein“, berichtet Dr. Julia Ronge<br />

vom Beethoven-Haus<br />

Bonn. Sich einen Hofmusiker<br />

als Klavierlehrer ins Haus zu<br />

holen, sei damals völlig normal<br />

gewesen, zumal für eine<br />

musikliebende Familie wie die<br />

von und zu <strong>Westerholt</strong>-Gysenbergs.<br />

Der Graf spielte Fagott,<br />

sein Sohn Friedrich Otto<br />

Mechthild Hetterscheidt ist die Vorsitzende des <strong>Westerholt</strong>er Heimatvereins, der die gerahmte<br />

Kopie eines Schreibens des jungen Beethoven an Anna Maria von <strong>Westerholt</strong><br />

hütet.<br />

—FOTO: INGO OTTO<br />

Flöte und Tochter Wilhelmine<br />

(etwa 1773-1852) eben Klavier.<br />

Fakt ist auch: Beethoven<br />

komponierte ein Trio in G-<br />

Dur sowie eine „Romance<br />

cantabile“ und bereitete Wilhelmine<br />

offenbar auf Benefizkonzerte<br />

in Bonn und Münster<br />

vor. „Auch das ist nicht ungewöhnlich<br />

für eine höhere<br />

Tochter“, so Dr. Ronge.<br />

Eine Klaviersonate als<br />

Zeichen der Zuneigung<br />

Dass sich Lehrer und Schülerin<br />

beim gemeinsamen Musizieren<br />

näher gekommen seien,<br />

als es die Standesetikette<br />

erlaubte; dass er ihr als Zeichen<br />

seiner Zuneigung eine<br />

Bilder von Beethoven und seiner Schülerin.<br />

—FOTOS: THOMAS SCHMIDTKE/FFS<br />

(nicht erhaltene) Klaviersonate<br />

gewidmet habe; dass die<br />

Grafentochter ihn letztlich<br />

abgewiesen habe mit den<br />

Worten „Ich bin nun einmal<br />

die Tochter meiner Eltern“:<br />

All das findet sich in der Sekundärliteratur,<br />

„ist aber Spekulation<br />

und zum größten<br />

Teil extrem unwahrscheinlich“,<br />

betont die Beethoven-<br />

Kennerin.<br />

„Es mag sein, dass der junge<br />

Komponist für Wilhelmine<br />

geschwärmt hat. Er war in seinem<br />

Leben ja vielen Frauen<br />

zugetan“, räumt sie auch vor<br />

dem Hintergrund ein, dass<br />

Beethovens eigentlich glaubhafter<br />

Jugendfreund Franz<br />

Gerhard Wegeler von einer<br />

„liebevollsten Zuneigung“ des<br />

Musikers zu einem „schönen<br />

und artigen Fräulein v. W.“,<br />

gar von einer „Werther-Liebe“<br />

sprach – also von Einseitigkeit<br />

geprägt. Ob das „Fräulein v.<br />

W.“ die Comtesse aus dem<br />

Westfälischen war, sei zwar<br />

„nicht völlig aus der Luft gegriffen,<br />

aber auch nicht überprüfbar.“<br />

Die Grafentochter hätte<br />

Status und Erbe verloren<br />

„Die Zwei werden allerdings<br />

kaum allein gewesen sein, das<br />

hätte nicht den gesellschaftlichen<br />

Konventionen entsprochen.<br />

Nicht zuletzt wäre ein<br />

echtes Verhältnis für beide sozial<br />

tödlich gewesen“, so Dr.<br />

Trio für die Familie von <strong>Westerholt</strong> von Ludwig van Beethoven<br />

Julia Ronge. Die Grafentochter<br />

hätte ihren Status, jede<br />

standesrechtliche Versorgung<br />

und auch ihr Erbe verloren.<br />

„Das wäre ein harter gesellschaftlicher<br />

Abstieg auf den<br />

Stand einer niederen Dienstmagd<br />

gewesen, das ist undenkbar.“<br />

Für Beethoven hätte zu viel<br />

auf dem Spiel gestanden. „Er<br />

war materiell und sozial völlig<br />

von der Anstellung bei Hofe<br />

abhängig. Das zu riskieren,<br />

hätte nicht nur für ihn den<br />

Ruin bedeutet, sondern auch<br />

für seine drei Geschwister, die<br />

er mitzuversorgen hatte.“<br />

Sein Vater war nach dem Tod<br />

der Ehefrau 1787 der Alkoholsucht<br />

verfallen und vom<br />

Dienst suspendiert, der 17-<br />

Jährige also faktisch das Familienoberhaupt.<br />

Trotzdem: Das <strong>Westerholt</strong>er<br />

Heimatmuseum hütet die gerahmte<br />

Kopie eines Schreibens,<br />

mit dem der junge Komponist<br />

der Adligen (wohl vor<br />

1790) ins Stammbuch schrieb:<br />

„(…) für dich, meine sehr liebe<br />

Freundin! Niemals wird mein<br />

Herz sich verändern und immer<br />

wird es dich lieben.“ Also<br />

doch mehr als Freundschaft?<br />

Der Komponist gilt<br />

als Frauenheld<br />

„Dazu dient das Zitat nicht<br />

als Beweis. Denn ein Stammbuch<br />

war so etwas wie ein Poesiealbum.<br />

Beethoven wird den<br />

Spruch irgendwo abgeschrieben<br />

haben“, stellt Dr. Ronge<br />

klar.<br />

Kurz: Belege für eine nähere<br />

Beziehung, gar eine Affäre<br />

gibt’s nicht. Genügend Raum<br />

also für Spekulationen, wie<br />

Beethoven auf Wilhelmine<br />

gewirkt haben mag. Gilt der<br />

Komponist doch als Frauenheld,<br />

der „immer in Liebesverhältnissen“<br />

gewesen sei und<br />

„ständige Eroberungen“ gemacht<br />

habe, wie sein Jugendfreund<br />

Wegeler behauptet.<br />

Wie das zusammenpasst<br />

mit dem Bild des kleinen, eher<br />

finster dreinblickenden und<br />

ungepflegten Mannes? „Das<br />

mag Beethoven im Alter gewesen<br />

sein, als seine Taubheit<br />

ihm aufs Gemüt schlug. Aber<br />

Bilder aus jungen Jahren porträtieren<br />

ihn als gut aussehenden,<br />

sehr sorgfältig gekleideten<br />

und frisierten Mann. Wir<br />

wissen, dass er damals ein geselliger,<br />

lustiger Typ war, der<br />

sich bei Hofe zu bewegen<br />

wusste.“ Ob sich die Grafentochter<br />

diesem Charme entziehen<br />

konnte?<br />

1792 jedenfalls heiratete sie<br />

den Freiherrn Friedrich Clemens<br />

von Elverfeldt zu Dahlhausen<br />

und Steinhausen und<br />

bekam mit ihm vier Söhne<br />

und eine Tochter. Sie überlebte<br />

Beethoven um 25 Jahre.

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