22.12.2012 Aufrufe

artensuite

artensuite

artensuite

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

12<br />

<strong>artensuite</strong><br />

Ausstellungsansicht,<br />

Migros Museum für<br />

Gegenwartskunst<br />

Zürich, 2008.<br />

Markus<br />

Schinwald<br />

Migros Museum<br />

für Gegenwartskunst<br />

Zürich,<br />

Limmatstrasse<br />

270, 8005 Zürich.<br />

Geöffnet<br />

Dienstag, Mittwoch,<br />

Freitag 12:00-18:00<br />

h, Donnerstag<br />

12:00-20:00 h,<br />

Samstag & Sonntag<br />

11:00-17:00 h. Bis<br />

18. Mai.<br />

Unheimliche Seelenräume<br />

Von Natalie Huser<br />

■ Das Migros Museum für Gegenwartskunst<br />

widmet dem österreichischen<br />

Künstler Markus Schinwald<br />

(*1973) seine bisher grösste Museumseinzelausstellung<br />

und bietet damit<br />

dem Betrachter einen Einblick in dessen<br />

eigenwillige Bildwelten. Markus<br />

Schinwald ist ein Künstler, der einerseits<br />

mit klassischen Gattungen wie<br />

Malerei und Skulptur arbeitet, andererseits<br />

mit dem Medium Film, um seinem<br />

Ideenreichtum Ausdruck zu verleihen.<br />

Eine künstlerische Strategie, die das<br />

spezifische Medium und seine Qualitäten<br />

als Mittel zum Zweck nimmt, um<br />

Gedanken und Gefühle zu versinnbildlichen.<br />

Durch das Zusammenspiel der<br />

unterschiedlichen Gattungen und ihrer<br />

Präsentation wirkt die Ausstellung wie<br />

ein perfekt inszeniertes Gesamtkunstwerk,<br />

dessen Inhalt die Physis und<br />

Psyche des Menschen ist. Damit hat<br />

Schinwald einen Beobachtungspunkt<br />

gewählt, der einen Schwall von Assoziationen<br />

hervorruft. So kreisen seine<br />

und unsere Gedanken unweigerlich um<br />

das Unheimliche und die Unzulänglichkeit<br />

des menschlichen Körpers. Die anfängliche<br />

Irritation der Bildmotive und<br />

das Unbehagen, das sich beim Anblick<br />

der beiden Filme einstellt, schwinden<br />

bei längerem Betrachten. Plötzlich<br />

baut sich ein gegenteiliges Gefühl auf<br />

– nicht zuletzt durch die raffinierte Inszenierung<br />

motiviert –, das die Sinne<br />

regelrecht beflügelt.<br />

Weisse, «cleane» Balken füllen in<br />

einem dreidimensionalen orthogonalen<br />

Raster den Raum, gliedern ihn und<br />

liefern dem Betrachter beim Wandeln<br />

durch die Ausstellung strukturelle Anhaltspunkte.<br />

Was zu Beginn wie eine<br />

vermeintliche Hilfestellung aussieht,<br />

entlarvt sich als Hindernis. Die hölzernen<br />

Elemente versperren den Weg<br />

und verhindern eine ungestörte Sicht<br />

auf die einzelnen Objekte und Bilder in<br />

der Ausstellung. Die auffällige Position<br />

der raumübergreifenden Installation<br />

erinnert unweigerlich an Zensurbalken,<br />

deren Funktion darin liegt, die Wahrnehmung<br />

unangenehmer Themen zu<br />

stören oder gänzlich zu verhindern. Und<br />

so sieht man sich ständig in Bewegung,<br />

befindet sich sozusagen auf der Suche<br />

nach dem idealen Standort, von wo aus<br />

eine ungehinderte Blickachse aufgebaut<br />

werden kann. Dadurch entstehen<br />

immer wieder neue Konstellationen<br />

und Interpretationsansätze zwischen<br />

den einzelnen Kunstwerken, weil sie<br />

plötzlich in einem anderen Bezugsfeld<br />

stehen.<br />

Der White Cube ist zwar Basis für<br />

die Inszenierung, wird jedoch durch<br />

die architektonische Gesamtinszenierung,<br />

die auf der Raumgestaltung des<br />

österreichisch-amerikanischen Architekten,<br />

Bühnenbildners und Künstlers<br />

Friedrich Kiesler (1890-1965) gründet,<br />

miteinbezogen und bekommt dadurch<br />

einen ausgeprägt bühnenhaften Charakter.<br />

Inmitten dieser raffinierten Ausstellungspräsentation<br />

zeigen sich an<br />

den Wänden Bilder im Stile der Porträtmalerei<br />

des 19. Jahrhunderts. Diese<br />

historischen Gemälde hat Schinwald<br />

überarbeitet und sie dadurch ihrer<br />

Harmlosigkeit enthoben, indem er den<br />

Körpern Prothesen aufmalte und somit<br />

«verunstaltete». Denn die eigentliche<br />

Funktion der Prothese, das Defizitäre<br />

eines Körpers auszubessern, wird ins<br />

Gegenteilige verkehrt. Die Porträtierten<br />

werden in eine unbequeme Situation<br />

manövriert, wodurch bei uns<br />

Irritationen und Unbehagen ausgelöst<br />

werden. Gefühlsregungen, die ebenfalls<br />

in den beiden beklemmenden Filmen<br />

vorzufinden sind. Ten in Love (2006)<br />

beispielsweise zeichnet sich durch<br />

ein kaltes und nüchternes Setting aus.<br />

Verschiedene Personen halten sich in<br />

einem Raum auf. Ihre Handlungen sind<br />

jedoch unverständlich, da sie keiner<br />

narrativ begründeten Strategie folgen,<br />

sondern unmotivierte Gefühlsregungen<br />

wie Zuneigung und Einsamkeit zeigen,<br />

die in ihrer Darstellung schematisch<br />

wirken. Verstörende Bildwelten, die in<br />

ihrer Skurrilität Parallelen zu Matthew<br />

Barneys «Cremaster Cycle» aufweisen.<br />

Weiter präsentieren sich Holzskulpturen,<br />

bestehend aus ineinander<br />

verschmolzenen Stuhlbeinen, elegant<br />

auf Sockeln und erinnern durch ihre<br />

individuelle und organisch anmutende<br />

Ausführung an die frühen surrealistischen<br />

Objekte Alberto Giacomettis.<br />

Damals wie heute werden seelische<br />

Befindlichkeiten an die Oberfläche<br />

geholt und in die Kunst transponiert.<br />

Trotz des grossen Abstraktionsgehaltes<br />

hat man das Gefühl, dass Schinwald<br />

seinen Skulpturen Leben einhaucht, so<br />

als würden diese jeden Augenblick aus<br />

ihrer starren Position erwachen, auf uns<br />

zukommen und Seite an Seite mit uns<br />

durch die Ausstellung wandeln.<br />

<strong>artensuite</strong> Mai Nr. 5 | 08

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!