BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks - 1
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Gleisanlagen, auf denen noch ganze Züge mit Fallschirmseide und Butter<br />
für die Ostfront standen. Die Bevölkerung hat nachts natürlich immer<br />
versucht, dorthin zu gelangen und etwas zu stibitzen. Wenn wir dann<br />
morgens zum Spielen nach draußen gingen, konnte es ohne weiteres sein,<br />
dass da Leichen herumlagen. <strong>Das</strong> waren Menschen, die dabei von den<br />
Wachmannschaften erschossen worden sind. Wenn man heute darüber<br />
spricht, könnte man denken, dass das doch eine ziemlich schreckliche und<br />
grausame Kindheit gewesen sein muss. Seltsamerweise ist das aber nicht<br />
so: Man behält zwar solche Bilder im Kopf, aber das sind für einen selbst<br />
keine grausamen oder bedrückenden Bilder.<br />
Schmid: Später haben Sie dann sogar in einem Wasserschloß gelebt, das Ihr Vater<br />
gekauft hatte.<br />
Heine: Mein Vater war wirklich ein verrückter Hund, so ein Falstaff-Typ: 240 Pfund<br />
Lebendgewicht und Hände groß wie Bratpfannen. Er hatte immer wieder<br />
neue Ideen: Er war zwar kein Künstler, denn er hat diese Ideen nie<br />
verwirklicht, er hat nie geschrieben, aber er hat Künstler angezogen: Von<br />
Bernhard Minetti angefangen war bei uns die gesamte deutsche<br />
Schauspielszene zu Gast. Diese alte Wasserburg lag in der Nähe von<br />
Düsseldorf: im Dorf Düssel, also dort, wo die Düssel entspringt. Er hatte<br />
diese uralte Wasserburg aufgekauft und sie dann in ein Hotelrestaurant<br />
umgebaut. Dort wohnten dann eben all diese Schauspieler. Weil das<br />
natürlich auch so ein entwurzeltes Völkchen ist, feierten sie z. B. immer mit<br />
uns zusammen Weihnachten. Wir saßen da alle gemeinsam unter dem<br />
Weihnachtsbaum und sie sangen mit und erzählten uns tolle Geschichten.<br />
Vielleicht kommt auch daher meine Liebe zum Theater.<br />
Schmid: Eines Ihrer bekanntesten Bücher heißt "Freunde": Man kann darin in einem<br />
wunderschönen Bild sehen, wie die Maus, das Schwein und das Huhn<br />
einträchtig beieinander sitzen. Was bedeutet Freundschaft für Sie? Sie<br />
sagten ja, Sie brauchen Freunde.<br />
Heine: Nach der Liebe ist die Freundschaft eines der stärksten Gefühle, das wir<br />
kennen. Eine Liebe kann einem zufliegen: Plötzlich trifft einen Amors Pfeil,<br />
wie man ja so schön sagt. Freundschaft hingegen fliegt einem nicht zu. Für<br />
Freundschaft muss man etwas tun: Freundschaft muss man z. B. pflegen.<br />
Gewiss, es müssen dafür schon auch Leute zusammentreffen, die sich<br />
zumin<strong>des</strong>t grundsätzlich verstehen, aber man muss eben trotzdem auch<br />
etwas dafür tun. Man bekommt aber auch sehr viel zurück dabei. Ich muss<br />
sagen, je älter ich werde, umso mehr schätze ich das Wort "Freundschaft"<br />
und die Freunde.<br />
Schmid: Zum Thema "Freunde" gibt es nun auch ein Musiktheater, mit dem Sie auf<br />
Tournee gehen. Was erwartet einen denn da? Macht es Spaß, auch mal<br />
etwas anderes zu machen, als Bücher zu schreiben?<br />
Heine: Wenn man malt oder schreibt, dann ist das eine sehr einsame Tätigkeit:<br />
Man ist alleine mit diesem weißen Stück Papier. Und vor diesem Stück<br />
Papier sitzt man dann: einen Monat, zwei Monate, drei Monate, wenn man<br />
einen Roman schreibt vielleicht sogar mehr als ein Jahr. Wenn man aber so<br />
ein Theaterstück geschrieben hat – ich habe das in relativ kurzer Zeit<br />
geschrieben, nämlich in nur zwei, drei Monaten – und es inszenieren will,<br />
dann tritt man plötzlich einem Team gegenüber und es entsteht etwas<br />
dabei. Da kommen dann ganz schnell auch die Reaktionen darauf. Da gibt<br />
es kein Lektorat, in dem ganz abstrakt besprochen wird, was man sich<br />
dabei erhofft, was der Markt vielleicht gut oder auch nicht so gut aufnimmt.<br />
Statt<strong>des</strong>sen gibt es dort ein Team von Leuten: Maskenbildner,<br />
Choreograph, Komponist usw. Mit diesem Team muss man sich<br />
auseinandersetzen. Da ich die Regie gemacht habe, war ich natürlich auch<br />
der Verantwortliche. Man erwartete von mir, dass ich sage, wie es gemacht<br />
werden soll. Ich wurde gefragt, wie ich mir das vorstelle. Die Choreographin