Krakau –– Warschau nach Allenstein - Stadtgemeinschaft Tilsit eV ...
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frisch, rosig, jung sie aussah, wie unbeschwert,<br />
wie glücklich!<br />
Jetzt würden wir gleich zusammen<br />
sein. Ich zitterte. Durfte ich sie umarmen?<br />
Da wich sie leise und leicht, als<br />
wollte sie jede Berührung vermeiden.<br />
Die Grenze zwischen uns gestattet<br />
kein Übertreten, begriff ich sofort. Ich<br />
nahm alle Kräfte zusammen.<br />
Mit unsagbar liebevollem Blick – diesen<br />
Ausdruck werde ich wohl nie vergessen<br />
– nickte sie mir lächelnd zu,<br />
als wollte sie mir Recht geben, mich<br />
belohnen, mich trösten – und ging<br />
dann weiter, ohne zu verweilen. Ich<br />
war ratlos, hilflos. Vorbei! Und nichts<br />
gesagt, nicht einmal meine Hand berührt!<br />
Wie angewurzelt stand ich da<br />
und schaute ihr <strong>nach</strong>. Sie sah sich<br />
noch einmal um, nickte wieder freundlich,<br />
ermutigend voll Güte – dann war<br />
der Traum vorbei!<br />
Erschöpft überließ ich mich meinem<br />
Glücksgefühl. Ich muss ihn festhalten,<br />
diesen seltsamen Traum, festhalten,<br />
dachte ich. Doch es war ja kein<br />
Traum, alles war erlebt! Sie war gekommen,<br />
wie sie es mir einst versprochen<br />
hatte. Als die Zeit erfüllt war.<br />
Hätte sie mir behutsamer, rücksichtsvoller<br />
begegnen können als in ihrer<br />
vertrauten Gestalt auf dem Weg zur<br />
Kirche? „Kind, ich werde euch doch<br />
nicht erschrecken!“<br />
Ich erzählte meinem Vater, meinen<br />
Geschwistern von diesem Traum. Sie<br />
zeigten sich angetan, ergriffen. Und<br />
doch legte sich ein Hauch des Zweifels<br />
über mein kostbares Medaillon:<br />
Hatte sich im Unterbewusstsein ein<br />
Traumgebilde aus Erinnerung, Heimweh<br />
und Liebe zusammengefügt?<br />
War es mir erlaubt, dieses Geschenk<br />
als Erfüllung ihres Versprechens aus<br />
früher Kinderzeit zu werten?<br />
Dann kam mein 52. Geburtstag; an<br />
ihm schloss sich dieses für mich so<br />
wichtige Gedächtnisjahr. In froher<br />
Stimmung deckte ich den Kaffeetisch<br />
mit selbstgebackenen, duftenden Kuchensorten,<br />
um dann meinen Mann<br />
zu rufen. Wider meine Gewohnheit,<br />
schon morgens Musik zu hören, zog<br />
es mich heute zum Radio hin. Würde<br />
es wohl eine schöne Melodie zur Feier<br />
des Tages bringen? Und schon hörte<br />
ich die anmutigen Klänge meines<br />
liebsten Straußschen Walzers, den<br />
Mutter so oft gespielt und zu dem wir<br />
so beschwingt getanzt hatten.<br />
Ich fuhr zusammen, wie von einem<br />
elektrischen Schlag getroffen. Weder<br />
vorher noch auch <strong>nach</strong>her habe ich<br />
diesen Walzer im Radio oder sonst<br />
wo gehört, ich kannte ihn nur von ihr.<br />
Mir traten Tränen in die Augen; sofort<br />
wusste ich felsenfest, dass es wieder<br />
Mutter war, die in ihrer Liebe zu mir<br />
kam, die sich auf diese Weise eingefunden<br />
hatte, um mich in ihre Arme zu<br />
schließen.<br />
„Was ist denn los?“, fragte mein Mann<br />
erschreckt, als er mich weinen sah.<br />
Ich fand keine andere Antwort, was<br />
kümmerte mich, wie er darüber denken<br />
würde: „Muttchen ist eben bei mir<br />
gewesen und hat mich mit ihrem<br />
schönen Walzer erfreut!“ Auch für ihn<br />
war es ein seltsames Erlebnis.<br />
Für mich aber war es der beste Beweis,<br />
dass ich meinen Traum richtig<br />
aufgefasst hatte. Ich wusste nun, wozu<br />
Liebe noch über das Grab hinaus<br />
fähig ist; für mich gab es keinen Zweifel<br />
mehr.<br />
Dankbar legte ich dieses neue Geschenk<br />
zu dem ersten in mein goldenes<br />
Medaillon: Zum Traum die Melodie!<br />
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