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Der ausgesperrte Tod und das eingesperrte Leben

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„So wird denn in der Folge der Ausgrenzung des Todes aus dem Leben die Ungerechtigkeit

von der Gerechtigkeit abgesondert, die Gesundheit vor der Krankheit geschützt, das Wohlergehen

vom Leid befreit, das Gute vor dem Schlechten bewahrt, die Rationalität gegen die Unvernunft

zu Felde geführt, der Unbildung die Bildung abgerungen, das Schöne gegen das

Häßliche abgegrenzt, Genuß gegen Mühsal, Reales gegen Imaginäres, Vertrautes gegen

Fremdes verteidigt.“ (vgl. GRONEMEYER (Hrsg.), 1985, S.244).

Das Unbehagen gegenüber dem Tod und der ungewollten Seite der Medaille ist ein deutlicher

Hinweis darauf, daß hier auf Kosten der Wahrheit gelebt wird. Es ist Ausdruck davon, daß

das Leben nicht als vollständiger Kreislauf anerkannt wird.

„Das Leben kann nicht nach unserer Logik und Vorstellung gestaltet werden: wenn wir eine

faire Welt hätten würden die großen Fische die kleinen nicht fressen, die Gerechten sollten

nicht vor den Ungerechten sterben und Kinder niemals vor ihren Eltern.“

Der Tod fordert heraus, Polaritäten zu integrieren: Leben und Tod, Gewinn und Verlust,

Glück und Unglück, Freude und Schmerz. Wenn wir das eine suchen und das andere meiden,

werden wir Gefangene von beiden. Beide sind unvermeidliche Komponenten der Vollständigkeit

des Lebens (vgl. SMITH, 2000, S. 31).

Zu einem authentisch gelebten Leben gehört auch, die Möglichkeit eines unerwarteten und

plötzlichen Todes mit einzubeziehen (vgl. BROMMER, 1989, S. 37).

3.2 Auswirkungen der Aussperrung des Todes

„Das menschliche Leben, auf den Kampf gegen den Tod eingestellt, unterliegt der Herrschaft des

Todes, wird Überleben. Dieses Überleben ist von allen Seiten bedroht, und „je mehr das Leben sich

sichert, desto mehr wird es zur bloßen Möglichkeit, zum bloßen Potential, das sich nicht einsetzen

will, weil es zu riskant ist.“ Peter Sloterdijk/ Kritik der zynischen Vernunft

Auf unterschiedliche Weise hungert die vom Tod gereinigte Lebensführung das Leben selbst

aus, hier einige Aspekte:

Sie ist risikofeindlich und sicherheitssüchtig

Sie ist besessen von der Idee des Zeitsparens und –kontrollierens

Sie fürchtet das Alter und preist jugendliche Schönheit

Sie meidet das Abschiednehmen

(vgl. GRONEMEYER (Hrsg.), 1985, S.246).

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