Schaufenster 2020-11-20
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Die Kapazität des Airports in seiner modernen Form, KLARE ANSAGE.<br />
1974 für jährlich 2,5 Millionen Personen in Betrieb Meinhardvon<br />
genommen, wurde mehrfach erweitert, am Ende war Gerkan und<br />
sie bei fast 24 Millionen Passagieren angelangt. TXL Damir Perišić<br />
entwarfen das<br />
erwies sich als wundersamer Flughafen, als Walfischmaul,<br />
das Menschenmassen schluckte. Seine Aufnahme-<br />
Interieur.<br />
kraft war enorm, doch ab einem gewissen Sättigungsgrad<br />
bildeten sich an den Nadelöhren regelmäßig Staus<br />
und Schlangen. Die gesteigerten Sicherheitserfordernisse<br />
mit der chronischen Überbelastung machten TXL<br />
zunehmend eng. Die Passagierlast der Hauptstadt trug<br />
er gemeinsam mit Berlin-Schönefeld (SXF), der zweite<br />
internationale Verkehrsflughafen, nach der Schließung<br />
und Umwidmung von Berlin-Tempelhof (THF, letzte<br />
reguläre Flugbewegung <strong>20</strong>08, sieht man von einer Notlandung<br />
<strong>20</strong>10 ab) in ein Freizeitfeld.<br />
Schönefeld, einst Zentralflughafen der DDR, 13Millionen<br />
Fluggäste pro Jahr abfertigend, jenseits der Stadtgrenzen<br />
in Brandenburg, zog vor allem Billigfluglinien<br />
an. Dieser SXF hatte einen Nachteil –die dezentrale<br />
Lage. Erfahrene Berlin-Flieger atmeten immer erleichtert<br />
durch, wenn auf ihrer Buchung TXL und nicht SXF<br />
stand. Ironie der Geschichte: Die Abfertigungshalle<br />
von Schönefeld wurde als Terminal<br />
5 in den neuen, skandalgeschüttelten<br />
BER integriert.<br />
Gerkan und Marg. TXL begann unauffällig.<br />
1948, kurz nach Beginn der sowjetischen<br />
Blockade Westberlins, errichteten die Franzosen<br />
als Behelf für die Alliierte Berliner<br />
Luftbrücke innerhalb von 90Tagen im<br />
Stadtteil Tegel ein Flugfeld mit der zu jener<br />
54 <strong>Schaufenster</strong><br />
TXL erwies sich<br />
als wundersam:<br />
Als Walfischmaul,<br />
das Menschenmassen<br />
schluckte.<br />
Zeit längsten Landebahn Europas, knappe 2,5 Kilometer.<br />
Am 2. Jänner 1960 hob die erste Passagiermaschine,<br />
eine Lockheed Super Constellation der Air France, von<br />
TXL nach Paris ab. Der Mauerbau 1961 verlieh dem<br />
Fenster zur westlichen Welt –der einzigen Möglichkeit,<br />
Westberlin zu verlassen, ohne die DDR zu betreten –<br />
zusätzliche Geltung.<br />
Bald benötigte Berlin ein modernes Konzept. Dafür trat<br />
ein junges Architekturbüro namens „Gerkan, Marg und<br />
Partner“ auf den Plan. Die Protagonisten hießen Volkwin<br />
Marg (1936 geboren), später berühmt als Stadionerrichter<br />
(Kapstadt, Warschau), und Meinhard von Gerkan<br />
(1935), oft als bekanntester deutscher Architekt bezeichnet.<br />
Neben Tegel baute er auch die Flughäfen von Stuttgart<br />
und Hamburg, das Chinesische Nationalmuseum<br />
und nicht zuletzt den Berliner Hauptbahnhof. Das Konzept<br />
von Gerkan, Marg und Klaus Nickels, für das ihnen<br />
weitgehend freie Hand gelassen wurde, sollte nicht<br />
weniger als die Revolution des Flughafenbaus darstellen,<br />
der deutsche „Tagesspiegel“ sprach von einem<br />
„Geniestreich aus Beton, Stahl und Glas“. Das berühmteste<br />
Hexagon der Welt, geteilt insechs Dreiecke, startete<br />
den Betrieb am 1. November 1974, die Festgäste<br />
erhielten bei der Vernissage sechseckige Brillen.<br />
Architekt Gerkan blickte jüngst in der Deutschen Welle<br />
zurück: „Für uns stand an erster Stelle, einen Flughafen<br />
mit guter Übersichtlichkeit [...], mit einer schnellen<br />
Anbindung an die Stadt Berlin [...] zu bauen. Der Fluggast<br />
war der Maßstab für die gute Funktion des Flughafens.<br />
Heutzutage ist fast jeder neue Flughafen ein Shoppingcenter<br />
mit T-Shirts, Cocktails und Schnapsflaschen.<br />
Irgendwo sind auch noch die Flugzeuge.“ Einräumend,<br />
dass dieses Konzept heutzutage nicht mehr gewollt sei,<br />
merkte eran: „Ein Einkaufszentrum mit Flugzeuganschlüssen<br />
ist inerster Linie für die Fluggäste unerfreulich.“<br />
<strong>20</strong>16, als an das Hauptgebäude längst die unbeliebte<br />
Kiste „Terminal C“ dazugeklotzt war, sollte der<br />
zweckdienliche, asymmetrische und dennoch harmonische<br />
Ursprungsbau die vom Bund Deutscher Architekten<br />
verliehene renommierte „Klassik-Nike“ erhalten.<br />
Kerosin, Marktforschung und Anrainer. Seine Tücken<br />
offenbarte TXL, seit 1988 offiziell „Otto-Lilienthal-Flughafen“<br />
(so nannte ihn nie jemand), erst im Zuge der Vervielfachung<br />
des Passagieraufkommens. Je mehr Reisende<br />
das pummelige Wunderwerk aufnehmen musste,<br />
desto härtere Kritik hagelte es. Die Wirtschaft, verärgert<br />
über den begrenzten Raum für Gastronomie und Shopping,<br />
publizierte regelmäßig Kundenbewertungsrankings<br />
europäischer Flughäfen, in denen TXL –gemeinsam<br />
mit SXF –die letzten Plätze belegte. Natürlich hatten<br />
solche Befragungen und Mikrostudien ihre Auftraggeber,<br />
bauwillige Haie der Zentralisierung,<br />
die, vermeintlich im Kundensinne, selbst postulierte<br />
Qualitätsansprüche in den Vordergrund<br />
stellen, was manipulative Fragen voraussetzte.<br />
Fehlte denn im veralteten TXL<br />
nicht auch der Platz für geräumige Businesslounges,<br />
indenen sich Auftraggeber solcher<br />
Marktforschungen so gern aufhalten?<br />
Zunehmend schmerzte jedoch tatsächlich die<br />
fehlende Anbindung von TXL an das S-Bahn-<br />
Netz und somit die Abhängigkeit von Bus-<br />
→<br />
Fotos:Modularen Sitzmöbel mit kugelförmigen Kandelabern in der grossen Wartehalle, Entwurf: Meinhard von Gerkan und Damir Periši© gmp Archiv