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Gewohnheitsrecht als rechtliche Grundlage für Unrecht? - CCFW

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14<br />

verhaltens in den abgelegenen und sonst gesetzlosen Gegenden Nordalbaniens 20 . Als<br />

mittelalterlicher Fürst, <strong>als</strong> Widerstandskämpfer gegen die vordringenden Osmanen und <strong>als</strong><br />

Begründer eben dieses <strong>Gewohnheitsrecht</strong>s ist Lek Dukagjini vor allem im Norden<br />

Albaniens bekannt, historisch lässt sich seine Figur nur schwierig fassen 21 . Lek Dukagjini<br />

war ein Weggefährte von Gjergji Kastrioti Skanderbeg, er lebte von 1410 bis 1481, starb<br />

<strong>als</strong>o etwas später <strong>als</strong> Skanderbeg. Umstritten ist, ob Lek Dukagjini der Urheber des Kanun<br />

ist oder ob er ihm lediglich den Namen gab. Heute wird auch die Theorie vertreten, dass<br />

keine bestimmte Person Autor dieses Kanun gewesen sein soll, sondern dass er aus der<br />

logischen Konsequenz bestimmter Lebensbedingungen entstanden sei 22 . So kann es denn<br />

sein, dass Lek Dukagjini eine Erinnerungsfigur des kulturellen Gedächtnisses und nicht der<br />

Autor des <strong>Gewohnheitsrecht</strong>s ist. Und trotzdem sagen die Menschen in Nordalbanien si tha<br />

Leka, ashtu mbet (wie Lek sagte, so bleibt es) 23 .<br />

Das immer nur mündlich überlieferte Gesetzeswerk wurde erstm<strong>als</strong> vom Franziskanerpater<br />

Shtjefën Konstantin Gjeçovi (1874-1929) am Ende des 19. Jahrhunderts in eben der<br />

Version des Kanuni i Lekë Dukagjinit gesammelt und in der Folge in Teilen publiziert 24 .<br />

Die erste vollständige Publikation erschien 1933 in Shkodra (albanisch auch Shkodër,<br />

wichtigste Stadt Nordalbaniens und Hauptort der gleichnamigen Präfektur und des<br />

gleichnamigen Verwaltungskreises). Die Publikation erfolgte durch andere Franziskanerpater,<br />

da Shtjefën Gjeçovi 1929 von serbischen Nationalisten ermordet worden war. Die<br />

teils von Gjeçovi, teils von seinen Erben geleistete Systematisierung teilt den KLD in<br />

zwölf Bücher mit verschiedenen Kapiteln und 1263 einzelnen Paragraphen ein. Buch 1<br />

regelt die Stellung der Kirche in zivil- und straf<strong>rechtliche</strong>r Beziehung, die Bücher 2 bis 9<br />

decken das Zivilrecht im weitesten Sinn ab (Familie, Heirat (Ehe), Hochzeit (Fest),<br />

Erbschaft, Haus (Haus, Vieh und Landgut), Handel, Ehre, Schäden), Buch 10 behandelt<br />

das Strafrecht, Buch 11 das öffentliche Recht (der Altenrat) und Buch 12 legt <strong>rechtliche</strong><br />

Privilegien und Diskriminierungen sowie Bräuche bei Todesfällen fest 25 . Gelesen wurde<br />

das Werk Gjeçovis wohl erst 20 Jahre nach seiner Publikation, da die nordalbanische<br />

Gesellschaft bis ca. 1950 eine weitgehend schriftlose Gesellschaft war 26 .<br />

Noch heute bestimmt der mündlich tradierte Kanun viele Bereiche des sozialen Lebens der<br />

Nordalbaner, er wurde sozusagen nach dem Sozialismus wieder entdeckt 27 . Die<br />

Kommunisten hatten den Kanun mit allen Mitteln bekämpft (1944/45 bis 1991). Doch<br />

auch dem kommunistischen Diktator Enver Hoxha war es nicht gelungen, den Geist des<br />

Kanun <strong>für</strong> immer zu vertreiben 28 . Nach dem Zerfall des sozialistischen Einparteienstaats in<br />

Albanien im Jahre 1991 etablierten sich demokratische Prinzipien nur zögerlich im Land.<br />

Eine aktualisierte Form des KLD trat besonders im Norden an die Stelle fehlender<br />

staatlicher Strukturen. In den nachfolgenden Kapiteln dieser Arbeit ist stets vom Kanun<br />

des Lek Dukagjini die Rede.<br />

20<br />

Elsie, Vorwort S. iii<br />

21<br />

Pichler, S. 70; Kaser&Baxhaku, S. 230<br />

22<br />

Voell, S. 58f.<br />

23<br />

Voell, S. 54<br />

24<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Kanun<br />

25<br />

Elsie, S. 3ff.; Godin (1953, 1954, 1956)<br />

26<br />

Pichler, S. 70<br />

27<br />

Voell, S. 24<br />

28<br />

NZZ vom 18.11.1995, S. 7

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