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Das Jahr im Rückblick - Kreissparkasse Heilbronn

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Architektonische Zeugnisse des 19. und frühen 20. <strong>Jahr</strong>hunderts<br />

Vom Klassizismus zum Jugendstil<br />

Prof. Dr. Christhard Schrenk<br />

Romanik – Gotik – Renaissance –<br />

Barock: die großen Stilrichtungen<br />

der Kunst breiteten sich nacheinander<br />

in Europa aus und sie setzten<br />

sich weiträumig durch. Natürlich<br />

exi stierten auch regional unterschiedliche<br />

Ausprägungen, aber<br />

trotzdem war die jeweilige Grund -<br />

rich tung weitgehend durchgängig<br />

zu erkennen.<br />

Im 19. <strong>Jahr</strong>hundert änderte sich die<br />

Situation. Die Französische Revolu<br />

tion (1789) setzte dem spätbarocken<br />

Absolutismus ein Ende und<br />

damit ging auch das höfische Roko -<br />

ko unter. Der Wiener Kongress<br />

(1814/15) ordnete die europäische<br />

Staatenwelt neu. In der ersten Hälfte<br />

des 19. <strong>Jahr</strong>hunderts entstand in<br />

allen europäischen Völkern ein bürgerliches<br />

Nationalbewusstsein. <strong>Das</strong><br />

blieb nicht ohne Auswirkungen auf<br />

die Kunst: es bildete sich regional<br />

und zeitlich eine zunehmende Stilund<br />

Richtungsvielfalt aus. Und<br />

trotz dem etablierten sich auch <strong>im</strong><br />

19. <strong>Jahr</strong>hundert Stile, die eine enorme<br />

Verbreitung erlangten.<br />

Im Rokoko waren Form und Bewe -<br />

gung in einer nicht mehr überbietbaren<br />

Weise gesteigert worden.<br />

Nach dem Untergang dieser Stilrich -<br />

tung suchte das anbrechende bürgerliche<br />

Zeitalter einen Neuanfang.<br />

Zunächst gab es Exper<strong>im</strong>ente, welche<br />

– gemäß des Zeitgeistes – die<br />

reine Vernunft in den Mittelpunkt<br />

stellten. Gebäude sollten streng<br />

mathematisch als Kubus, Pyramide<br />

oder Kugel konstruiert werden. Da<br />

diese Idee jedoch auf keine große<br />

Akzeptanz stieß, besann man sich<br />

auf die klassischen Ursprünge der<br />

europäischen Kunst und orientierte<br />

sich an den antiken griechischen<br />

Tempeln, deren leicht erkennbares<br />

Stil-Element vor allem die klassischen<br />

Säulen waren. So entstand<br />

der Klassizismus, der sich durch<br />

möglichst klare und einfache For -<br />

men auszeichnete und sich auf die -<br />

se Weise ganz deutlich von der ba -<br />

rocken Üppigkeit abgrenzte. Ein be -<br />

deutender Vertreter des deutschen<br />

Klassizismus war Karl Fried rich<br />

Schin kel (1781 – 1841). Einige seiner<br />

Bauten sind noch heute be -<br />

kannt, z. B. das Alte Museum und<br />

das Konzerthaus in Berlin oder die<br />

Nikolaikirche in Potsdam. An diesen<br />

Bauwerken wird die klare Formen -<br />

sprache des Klassizismus erkennbar,<br />

die sich in einer ruhigen Ord -<br />

nung und einer straffen Gliederung<br />

ausdrückt.<br />

In der Mitte des 19. <strong>Jahr</strong>hunderts<br />

ging man dazu über, sich nicht mehr<br />

nur an den antiken Vorbildern zu<br />

orientieren. Man fing an, auch die<br />

großen europäischen Baustile von<br />

der Gotik bis zum Barock nachzuahmen.<br />

Dies war die Zeit des Historis -<br />

mus. Es begann mit der Neo-Gotik,<br />

der folgten die Neo-Renaissance,<br />

der Neo-Barock und ein Neo-<br />

Rokoko. Schließlich kam sogar ein<br />

Neo-Klas si zismus auf. Bald wurden<br />

Stilele men te der verschiedensten<br />

Rich tun gen auch miteinander<br />

gemischt (Ek lektizismus).<br />

Gegen Ende des 19. <strong>Jahr</strong>hunderts<br />

waren alle Stilvarianten und -kombinationen<br />

durchexerziert und damit<br />

auch verbraucht, so dass nach ganz<br />

neuen Wegen gesucht werden muss -<br />

te. Es war insbesondere die damalige<br />

Jugend – genauer gesagt die um<br />

1860/70 geborene Generation – die<br />

in ganz Europa einen großen Ge -<br />

dan ken verfolgte: Sie wollte die<br />

»Einheit von Kunst und Leben« wiederherstellen,<br />

die mit dem Unter -<br />

gang des Barock verloren gegangen<br />

war. Der Name »Jugendstil«, den<br />

diese Richtung bekam, geht auf den<br />

Titel der 1896 gegründeten Zeit -<br />

schrift »Die Jugend« zurück. Die<br />

äußeren Kennzeichen des Jugend -<br />

stils waren florale Elemente und ge -<br />

schwungene Linien; oft wurde auf<br />

Symmetrien verzichtet. Die Bezeich -<br />

nungen und auch die Ausprägungen<br />

dessen, was wir in Deutschland<br />

»Jugendstil« nennen, waren in Eu -<br />

ro pa durchaus unterschiedlich. So<br />

spricht man in Österreich von »Se -<br />

zes sion«, in Italien von »Stile floreale«<br />

und in England von »Modern<br />

Style« oder von »Arts and Crafts«.<br />

Allen Richtungen gemeinsam ist die<br />

radikale Abkehr vom Historismus<br />

und der Versuch einer ganzen Gene -<br />

ration, sich von den Vorgängern<br />

abzugrenzen und alle Lebensäuße -<br />

run gen neu zu formen. Allerdings<br />

setzte der Erste Weltkrieg dieser<br />

Epoche ein rasches Ende. Trotzdem<br />

überwand der Jugendstil die Tradi -<br />

tion des 19. <strong>Jahr</strong>hunderts und<br />

schlug eine Brücke zum künstlerischen<br />

Aufbruch des 20. <strong>Jahr</strong>hun -<br />

derts.<br />

Wenn man die Architektur des 19.<br />

<strong>Jahr</strong>hunderts betrachtet, so darf das<br />

technische Bauwerk nicht vergessen<br />

werden. Denn nicht nur die politischen,<br />

sondern auch die gesellschaftlichen,<br />

die ökonomischen und<br />

die wirtschaftlichen Wandlungen<br />

wirkten sich auf die Architektur aus.<br />

Da ist zunächst an die Industrielle<br />

Revolution zu erinnern, die Europa<br />

<strong>im</strong> 19. <strong>Jahr</strong>hundert grundlegend<br />

veränderte. Die Industrie hatte<br />

einen Bedarf an funktionsgerechten<br />

Bauten wie z. B. Fabrikhallen. Außer -<br />

dem mussten Massentransporte or -<br />

ganisiert werden: Eisenbahnen,<br />

Bahnhöfe, Brücken und Tunnels wa -<br />

ren zu errichten. Die Kehrseite dieser<br />

Medaille war die soziale Proble -<br />

matik, die aus der Industria lisierung<br />

resultierte. Die Arbeiter frage und<br />

insbesondere die Landflucht stell-<br />

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