Wege zu Stille Nacht
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14 den Fiori musicali festhalten, darauf <strong>zu</strong> achten, den Zelebranten „nicht warten<br />
<strong>zu</strong> lassen“. Das ist auch der Hintergrund etwa der Textverschachtelung<br />
Joseph Haydns in der Kleinen Orgelmesse (Missa brevis Sti. Joannis de Deo,<br />
Hob. XXII:7), in der die Texte des Gloria und des Credo auf die vier Stimmen<br />
aufgeteilt simultan persolviert werden, was die Länge des Satzes auf ein<br />
Viertel reduziert. Für die Liturgie war eben nur die Rezitation des Priesters<br />
wichtig. Dass dies aber so nicht sein sollte, zeigt bereits Michael Haydns korrigierte<br />
Version der Messe seines Bruders. 6 Wer sich heute in dieser Frage auf<br />
den ‚Urtext‘ berufen will, versteht nicht, dass dieser einer Zeit entstammt, in<br />
der – vom formalen Liturgieverständnis her – die Musik für die „Gültigkeit<br />
der Liturgie“ bedeutungslos war.<br />
So war es in der Messe und im Officium. Ein Teil des letzteren, insbesondere<br />
die Vesper, wurde an Sonn- und Feiertagen in Kathedralkirchen, Klosterkirchen,<br />
auch in größeren Pfarreien gesungen (z.B. Mozarts Vespern), ebenso<br />
die Litaneien oder die Marianischen Antiphonen. Das Volk hatte in der Mitwirkung<br />
keine Funktion, wie sie etwa im Lutherischen Gottesdienst durch<br />
den Gemeindechoral gegeben war. Die Lieder, wie sie aus den katholischen<br />
Gesangbüchern der Gegenreformation bekannt sind, hatten, wenn man von<br />
einigen spätmittelalterlichen Einschüben (z.B. in der Ostersequenz) absieht,<br />
in den außerliturgischen Andachten, bei Prozessionen, Wallfahrten, Hausandachten,<br />
Predigt, Christenlehren, Litaneien, Eucharistischen Andachten,<br />
Kreuzweg- und Maiandachten, Flurprozessionen, Begräbnissen, Totenandachten,<br />
im Rosenkranzgebet oder später bei der sogenannten ‚<strong>Stille</strong>n<br />
Messe‘ ihren Platz. Bei dieser feierte der Priester still rezitierend die Messe,<br />
bekanntlich mit Blick <strong>zu</strong>m Retabel, mit dem Rücken <strong>zu</strong>r Gemeinde. Diese<br />
war schweigend, während der Organist und einige Sänger und Sängerinnen<br />
(meist waren es Frauen), bei der Schulmesse der Kinderchor deutsche Lieder<br />
sangen, die kaum in einer Beziehung <strong>zu</strong>r Messe und deren liturgischen Teilen<br />
standen. Nur während der so genannten Wandlung und dem Emporheben der<br />
Gaben <strong>zu</strong>r Anbetung trat <strong>Stille</strong> ein. Eine andere Weise der Mitfeier war der<br />
gemeinsam gebetete Rosenkranz während der ‚<strong>Stille</strong>n Messe‘. So war es noch<br />
vor etwas mehr als fünfzig Jahren an Wochentagen üblich.<br />
Die Volksfrömmigkeit und damit auch der Volksgesang hatten ihren Platz<br />
also in den Andachten, die gemeinsam mit Priestern oder unter der Leitung<br />
von Vorbetern in den Kirchen und Kapellen, bei Bildstöcken und <strong>zu</strong> Hause<br />
gehalten wurden. Auch im privaten persönlichen Gebet waren Andachten an<br />
6 Siehe Joseph Haydn, Missa brevis Sti. Joannis de Deo, Hob. XXII:7; Michael Haydn erweiterte<br />
die 31 Takte umfassende ‚Originalfassung‘ des Gloria auf 118 Takte, siehe ebenda.