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Baumeister 2/2021

Vor und hinter der Fassade

Vor und hinter der Fassade

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B2<br />

B A U<br />

Februar 21<br />

118. JAHRGANG<br />

Das Architektur-<br />

Magazin<br />

Vor und<br />

hinter der<br />

Fassade<br />

MEISTER


B2<br />

Editorial<br />

COVERFOTO: SEBASTIAN SCHELS/OLAF UNVERZART<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

steht uns beim Thema Fassade ein Paradigmenwechsel<br />

bevor? Im Rahmen des Forschungsprojekts<br />

„Einfach Bauen“ erprobt die<br />

TU München derzeit mit drei Experimentalhäusern<br />

in Bad Aibling radikale Komplexitätsreduktion<br />

(<strong>Baumeister</strong> 12/20). Die Gebäude<br />

wurden jeweils monolithisch aus Massivholz,<br />

Porenbeton und hochwärmedämmendem<br />

Mauerwerk errichtet und sollen<br />

Aufschluss darüber liefern, ob solche stark<br />

vereinfachten Bauweisen eine Alternative<br />

zum hochtechnisierten Haus von heute darstellen<br />

könnten.<br />

Das neue Merkblatt 2032, das der Schweizerische<br />

Ingenieur- und Architektenverein SIA<br />

jetzt zur grauen Energie herausgebracht hat,<br />

untermauert die Hypothese der Münchner<br />

Forscher. Die Publikation liefert Zahlen, die<br />

verdeutlichen: Je technisch komplexer eine<br />

Fassade ist, desto höher ist der Energieverbrauch<br />

bei Produktion, Transport, Montage<br />

und schließlich Entsorgung. So benötigt ein<br />

Fassadensystem als Außenwandverkleidung<br />

das mehr als 40-Fache an Primärenergie<br />

gegenüber einem simplen Verputz. Wer also<br />

nicht nur die direkten, sondern auch die<br />

indirekten Verbräuche in die Energiebilanz<br />

eines Gebäudes einbezieht, wird eventuell zu<br />

völlig anderen architektonischen Entscheidungen<br />

gelangen. Zukünftig wird es nicht<br />

mehr nur darum gehen, eine optimal dämmende<br />

Gebäudehülle zu entwerfen. Denn<br />

andere Faktoren können bei ganzheitlicher<br />

Betrachtung viele gutgemeinte Bemühungen<br />

zunichte machen.<br />

Das mussten die Architekten Haas Cook<br />

Zemmrich erfahren, die mit ihrem Lehmbau<br />

für Alnatura in Darmstadt eigentlich fast<br />

alles richtig gemacht haben (<strong>Baumeister</strong> 6/<br />

20). Dafür verwendeten sie Lehm, der vom<br />

Aushub von Stuttgart 21 stammte. Fraglos erschien<br />

es ihnen einfach sinnvoll und günstig,<br />

den bereits vorhandenen Aushub weiterzuwenden.<br />

Doch der Transportweg, den das<br />

Baumaterial zurücklegen musste, trübt die<br />

Energiebilanz ihres Gebäudes spürbar. Kurze<br />

Wege für Mensch und Material – auch darauf<br />

sollten Architekten immer achten. Lokal<br />

produzierte Baustoffe, Handwerker, die aus<br />

der Nachbarschaft kommen, und Bautechniken,<br />

die nicht das bautechnisch Machbare<br />

ausreizen – wäre es nicht schön, wenn<br />

auf diese Weise wieder regional klar unterscheidbare<br />

Baukulturen entstünden, jenseits<br />

aller Heimattümelei?<br />

Den direkten Gegenentwurf zu solchen Lowtech-Strategien<br />

bilden dagegen die Fassaden,<br />

die Sie in unserer Fotostrecke ab Seite<br />

74 sehen können und von denen auch eine<br />

auf unserem Titel abgebildet ist: Sebastian<br />

Schels und Olaf Unverzart haben ihre Plattenkameras<br />

in die französischen Alpen mitgenommen<br />

und dort menschenleere Skiresorts<br />

im Sommer dokumentiert – futuristische<br />

Retortenstädte für den boomenden<br />

Winterurlaub aus den Sechziger- und Siebzigerjahren,<br />

in Euphorie geplante Touristenburgen<br />

im abgelegenen Hochgebirge, gewappnet<br />

für den Massenansturm. Die inzwischen<br />

teils verwitterten Fassaden, meist aus<br />

Holz und Sichtbeton, erzählen von diesem<br />

euphorischen Traum von Skiferien in den<br />

Alpen, der für möglichst viele Gäste wahr<br />

werden sollte.<br />

Diese Euphorie ist lange verflogen. Längst<br />

wissen wir, welchen Schaden die Übertechnisierung<br />

unserer Umwelt zufügt – in den<br />

Alpen und anderswo. Zeit also, auch bei den<br />

Fassaden unserer Häuser Materialien und<br />

Konstruktionen auf den Prüfstand zu stellen!<br />

Fabian Peters<br />

f.peters@georg-media.de<br />

@der_baumeister<br />

@baumeister_architekturmagazin


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B2 Köpfe Ideen<br />

Viel passiert<br />

vor<br />

und hinter<br />

der Fassade<br />

bei<br />

den Projekten,<br />

die<br />

wir Ihnen<br />

10<br />

Eine Libanesin in Paris: Lina Ghotmeh<br />

in diesem<br />

Heft vorstellen.<br />

10<br />

Lina Ghotmeh<br />

Es geht um 16<br />

„Dickhäuter“,<br />

„Dünn-<br />

Moritz<br />

Mungenast<br />

häuter“<br />

und die<br />

Frage, was<br />

die Gebäudehülle<br />

können<br />

soll.<br />

baumeister.de<br />

Auf Seite 18 ist die 3D-Druck-<br />

Fassade am Deutschen<br />

Museum in München noch<br />

als Rendering zu sehen –<br />

das fertige Projekt stellen<br />

wir auf unserer Website vor.<br />

22<br />

Lichtes Ziegelkleid: Theater in Deinze<br />

22<br />

Leietheater in<br />

Deinze<br />

36<br />

Gymnasium in<br />

Neustadt an<br />

der Waldnaab<br />

50<br />

Mediathek<br />

in Pélissanne<br />

64<br />

Stadtbibliothek<br />

in Dornbirn<br />

FOTOS VON LINKS: HANNAH ASSOULINE; STIJN BOLLAERT; SCHELS/UNVERZART; GIRA; ILLUSTRATIONEN: CLEMENS HABICHT


Fragen<br />

Lösungen<br />

5<br />

73<br />

Urlaubsplanstadt Puy-Saint-Vincent<br />

73<br />

Was fasziniert<br />

uns so an den<br />

französischen<br />

Skiressorts<br />

der Sechzigerund<br />

Siebzigerjahre?<br />

93<br />

Wachsam: Bewegungsmelder<br />

86<br />

Modulbau<br />

92<br />

Dach<br />

100<br />

Brandschutz<br />

und Sicherheit<br />

Gast-Arbeiter<br />

Auch wenn der Braunschweiger<br />

Professor, bei<br />

dem Katharina Matzig 1996<br />

diplomierte, ihr das sein<br />

Leben lang übel nahm,<br />

zieht sie den Satzbau dem<br />

Hochbau vor, erst in Berlin<br />

und seit über zwanzig<br />

Jahren von München aus,<br />

als Buchautorin und Fachjournalistin.<br />

Als Referentin<br />

kümmert sie sich zudem<br />

seit 1998 um die Architekturvermittlung<br />

bei der Bayerischen<br />

Architektenkammer.<br />

RUBRIKEN<br />

6<br />

EIN BILD<br />

34<br />

KLEINE WERKE<br />

48<br />

SONDERFÜHRUNG<br />

62<br />

UNTERWEGS<br />

82<br />

NXT A<br />

83<br />

NEW MONDAY<br />

98<br />

REFERENZ<br />

105<br />

IMPRESSUM + VORSCHAU<br />

106<br />

KOLUMNE<br />

Von Paris aus schreibt<br />

Jean-Philippe Hugron für<br />

verschiedene Architekturzeitschriften.<br />

2010 war er<br />

Gründer der ersten Online-<br />

Architekturzeitschrift<br />

Frankreichs, „Le Courrier<br />

de l’Architecte“. Für seine<br />

kritische Arbeit wurde er<br />

von der Académie d’Architecture<br />

mit der Medaille<br />

für Publikationen 2020 ausgezeichnet.


Moritz Mungenast erforscht<br />

Gebäudehüllen<br />

aus dem 3D-Drucker.<br />

FOTO: ANDREAS HEDDERGOTT/TU MÜNCHEN


Köpfe 2<br />

17<br />

Druckerzeugnis<br />

Fassaden aus dem 3D-Drucker, Gebäudehüllen<br />

aus nur einem Material – das sind die Visionen<br />

von Moritz Mungenast, Architekt und Forscher<br />

am Lehrstuhl Entwerfen und Gebäudehülle der<br />

TU München. Jetzt hat er Gelegenheit für einen<br />

Großversuch am Deutschen Museum in München.<br />

Text:<br />

Thomas Edelmann<br />

Läuft alles wie erwartet – das ist bei Redaktionsschluss<br />

noch unklar –, betritt man das Deutsche<br />

Museum in München durch einen neuen temporären<br />

Eingang an der Nordwestseite. Dessen bereits<br />

von Weitem sichtbare Besonderheit ist eine komplett<br />

3D-gedruckte Fassade, konzipiert und realisiert<br />

von „3F Studio“, einem Unternehmen, das,<br />

eng mit der Forschung verknüpft, neuartige Fassaden<br />

konzipiert und realisiert. Mitbegründer ist<br />

der Architekt Moritz Mungenast, Jahrgang 1974,<br />

der 2019 über Möglichkeiten der 3D-gedruckten<br />

Fassade promovierte.<br />

Wenn in Praxis und Forschung der Architektur neue<br />

Wege beschritten werden, ist Moritz Mungenast<br />

nicht fern. Er studierte Architektur in Kaiserslautern,<br />

München, Lausanne, Barcelona und machte<br />

2003 an der TU München bei Thomas Herzog sein<br />

Diplom. Mungenasts Vision, die er während seiner<br />

Forschungstätigkeit bereits exemplarisch erprobte,<br />

ist eine Gebäudehülle aus nur einem Material,<br />

die in einem Produktionsvorgang entsteht. Zudem<br />

erfüllt sie zugleich mehrere anspruchsvolle funktionale<br />

Aufgaben: Sie ist gestalterisch an einen spezifischen<br />

Standort adaptierbar, sie übernimmt den<br />

Sonnenschutz und ermöglicht eine visuelle Verbindung<br />

zwischen Innen- und Außenraum. Sie<br />

bietet akustische Abschirmung, Wärmedämmung<br />

und Belüftung und ist zugleich strukturoptimiert:<br />

Ähnlich wie vom Knochenaufbau bekannt, wird<br />

Materie während des Fertigungsprozesses nur dort<br />

eingesetzt, wo sie konstruktiv nötig ist.<br />

Seine erste berufliche Station als Architekt führte<br />

Mungenast 2003 zu Auer + Weber + Assoziierte,<br />

wo er an der Entwurfsplanung für Umbau und Erweiterung<br />

der Olympiahalle München (und später<br />

auch an der Ausführungsplanung) mitwirkte. An<br />

ausgezeichneten Wettbewerbsentwürfen des Büros,<br />

etwa für den Neubau des Empfangsgebäudes<br />

für den Münchner Hauptbahnhof, der den ersten<br />

Preis erhielt, war er beteiligt.<br />

Materialforschung<br />

SWA Urban Design in Sydney, ein Büro, das an der<br />

Schnittstelle von Städtebau und Landschaftsgestaltung<br />

arbeitet, war eine nächste Station für<br />

WEITER


Neue Fensterelemente und textiler Sonnenschutz anstelle von Lamellen-Jalousien sorgen für eine verbesserte<br />

Energieeffizienz. Die neuen Alustreifen in den Betonrillen hellen die Fassade auf.


Ideen 2<br />

37<br />

Reflexionen über den Bestand<br />

Die Beton-brut-Schule hat sich schon über vier<br />

Jahrzehnte bewährt und ist mehrfach für ihre<br />

soziale Kompetenz ausgezeichnet worden. Nun<br />

soll sie in drei Bauabschnitten bei laufendem<br />

Betrieb lichter, übersichtlicher und noch kommunikativer<br />

werden. Am ersten fertigen Bauabschnitt<br />

lässt sich das schon gut überprüfen.<br />

Architekten:<br />

Brückner & Brückner<br />

Kritik:<br />

Ira Mazzoni<br />

Fotos:<br />

mju-fotografie


Der nun fast herrschaftliche Treppenaufgang zum Plateau und der direkte<br />

Weg zum Haupteingang


Die verspiegelte Gebäudeecke löst die Konturen fast auf. Blick auf den<br />

zurückliegenden Seitenflügel


Der Charme der neuen Erweiterung besteht in seiner direkten Beziehung zum öffentlichen Park. Mit großen Glasflächen<br />

orientiert sich der Bereich für die Kinder zum Grün.


Ideen 3<br />

51<br />

Barocker Schwung<br />

In der südfranzösischen Kleinstadt Pélissanne bildet<br />

die Mediathek Pierre Bottero mit ihrem alten<br />

Park eine neue Stadtmitte. Sie besteht aus einem<br />

sanierten historischen Stadtpalais und einer respektvoll<br />

angeschlossenen, zweigeschossigen<br />

Erweiterung. Ihr Architekt, Dominique Coulon aus<br />

Straßburg, erzählt, was ihn am Bestand fasziniert<br />

und inspiriert hat.<br />

Architekten:<br />

Dominique Coulon<br />

& Associés<br />

Interview:<br />

Leonardo Lella<br />

Fotos:<br />

Eugeni Pons


Zeichenhafte Gebäudehülle: Keramikstäbe umspielen wie Bücher in Regalen die Glasfassaden<br />

der neuen Stadtbibliothek in Dornbirn.


Ideen 4<br />

65<br />

Keramik-Buchhülle<br />

Der luftige Glaspavillon der neuen Stadtbücherei<br />

in Dornbirn ist ein offener, einladender Ort für alle<br />

Generationen – konzipiert als öffentliches Wohnzimmer.<br />

Wie ein großes „Buchregal“ umhüllt eine<br />

leicht wirkende, ornamentale Gitterstruktur die<br />

Fassade: Wie locker eingestellte Bücher erscheinen<br />

die vertikalen und schrägen Keramikstäbe,<br />

die sowohl als Sonnenschutz als auch Lichtfilter<br />

dienen.<br />

Architekten:<br />

Dietrich Untertrifaller Architekten<br />

mit Christian Schmoelz<br />

Kritik:<br />

Claudia Fuchs<br />

Fotos:<br />

Aldo Amoretti /<br />

Albrecht Imanuel Schnabel


Ideen 4<br />

67<br />

Ein Gartenpavillon an der Schnittstelle zwischen Innenstadt und Stadtpark. Die Bibliothek lädt als öffentliches<br />

Wohnzimmer zum Lesen, Kommunizieren und zu Veranstaltungen ein.

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