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Peer_to_Peer_Magzin#1

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Jonas Feller<br />

Anstiftung zu und Gestaltung von Gesprächen über Kunst<br />

2. VERTRAUEN IN DAS PUBLIKUM<br />

Das Publikum hat beim Besuch der Aufführung eine Aufführungserfahrung gemacht und hat ein Interesse,<br />

sich darüber auszutauschen. Aufgabe eines Gesprächsformats ist es, den Raum zu geben das Erlebte<br />

nachwirken zu lassen und Gesprächsanlässe zu bieten, um das Erlebte miteinander zu teilen, zu diskutieren<br />

und zu reflektieren und dabei vor allem die Hemmungen abzubauen über inhaltliche und ästhetische<br />

Fragen zu sprechen bzw. überhaupt selbst sprechen zu wollen. Es gilt die Prozessualität des Denkens<br />

und Sprechens zu fokussieren und eine Atmosphäre zu schaffen, in der es kein richtig oder falsch<br />

gibt, sondern alle als Expert*innen ihrer eigenen, subjektiven Aufführungserfahrung sprechen können.<br />

Für beide Seiten bedeutet dies, gewohnte Haltungen und vermutlich auch die eigene Komfortzone zu<br />

verlassen: Für das Publikum, sich deutlich aktiver einzubringen und selbst Stellung zu beziehen; Für die<br />

Künstler*innen, sich zurückzunehmen mit Erklärungsversuchen und sich der Kritik auszusetzen. Dass dies<br />

keine unangenehme, sondern eine bereichernde und lustvolle Erfahrung sein kann, beginnt damit, das<br />

eben Geschriebene positiv umzudeuten: Das Publikum wird in seiner eigenen Erfahrung ernst genommen<br />

und seine Meinungen, Sichtweisen und Fragen als relevant eingestuft; die Künstler*innen gewinnen einen<br />

detaillierten Einblick, was ihre Kunst transportiert und damit ein wertvolles Feedback.<br />

Für die Gestaltung von Gesprächen jeglicher Art, die unterschiedliche Gruppen – die in sich wiederum<br />

heterogen sind – miteinander ins Gespräch zu bringen, alle Beteiligten zu aktivieren und zur Mitsprache<br />

zu ermächtigen bietet sich ein doppelter 3-Schritt an:<br />

1. Erinnern & Beschreiben 1. Einzeln / Paar<br />

2. Fragen & Thesen ableiten / sammeln 2. Kleingruppe<br />

3. Diskussion / Bewertung 3. Großgruppe<br />

Beide Teile beziehen sich auf den zeitlichen Verlauf eines Gesprächs, sind also als Reihenfolge zu verstehen.<br />

In einem Gesprächsformat müssen sie nicht zwangsläufig parallel laufen noch müssen immer alle<br />

drei Schritte vorkommen. Alle hier vorgestellten Formate basieren auf diesem doppelten 3-Schritt.<br />

FORMAT: Das unbeschriebene Blatt<br />

Wie funktioniert‘s? Die Teilnehmenden bilden Paare und erhalten pro Person ein weißes Blatt Din A4<br />

Papier. Sie sind aufgefordert aus dem Blatt jeweils einzeln eine Skulptur zu formen, die den Nachklang<br />

der eigenen Aufführungserfahrungen einfängt. Es gibt keine weiteren Materialien aber mit dem Blatt ist<br />

alles erlaubt (reißen, falten, knüllen, etc.). Nach ca. 5 Minuten werden die TN aufgefordert ihre Skulptur<br />

mit der ihres*r Partners*in zu tauschen. Im Modus eines*r Kunstkritikers*in ist es nun ihre*seine Aufgabe<br />

die Skulptur des Gegenübers zu interpretieren. Dabei trägt die Skulptur den Titel der gemeinsam erlebten<br />

Aufführung. Nach wenigen Minuten kann eigenständig gewechselt werden und die zweite Person ist<br />

an der Reihe die Skulptur der anderen zu interpretieren. Die TN werden anschließend aufgefordert ihre<br />

Skulpturen zu einem Objekt zusammenzufügen oder zueinander zu arrangieren und an einem beliebigen<br />

Ort im Raum zu platzieren. Gemeinsam geben sie der so entstandenen Skulptur einen neuen Titel - sie<br />

erhalten dafür ein weiteres Papier und einen Stift. Alle werden eingeladen sich in einem offenen Rundgang<br />

frei im Raum zu bewegen und die Skulpturen der anderen TN zu entdecken und miteinander unmoderiert<br />

und informell ins Gespräch zu kommen. Es gibt keinen gesetzten Endpunkt.<br />

Wofür? Das Format bietet eine vorerst non-verbale Ausdrucks- und Reflexionsmöglichkeit. Es unterstützt<br />

die Freude an und den Mut zur persönlichen Interpretation von Aufführungserlebnissen. Es entsteht ein<br />

schöpferisch-aktiver Austausch. Das Format eignet sich unter anderem dafür, in einem belebten Raum<br />

wie beispielsweise einem Foyer stattzufinden, parallel zu generell dort stattfindende Aktivitäten.<br />

FORMAT: Telefonierspaziergang mit Skizze<br />

Wie funktioniert‘s? Die Teilnehmenden schicken eine SMS an eine zentrale Telefonnummer. Sie bekommen<br />

per SMS eine Telefonnummer zugelost und werden aufgefordert, sich allein auf einen Spaziergang<br />

zu begeben und nach ca. 5 Minuten die zugeloste Nummer anzurufen. Die Teilnehmenden spazieren für<br />

20-30 Minuten mit einer fremden Person am Hörer umher und tauschen sich über die Aufführung aus.<br />

Es bietet sich an, den TN mit der ersten SMS zusätzlich 2-3 Impulsfragen mitzugeben, um das Gespräch<br />

in Gang zu bringen. Im Anschluss an den Spaziergang werden die TN per SMS aufgefordert eine Skizze<br />

des eigenen Wegs anzufertigen und diese mit Fragen, Gedanken und Assoziationen des Gesprächs zu<br />

versehen.<br />

Die Zulosung kann je nach Gruppengröße recht aufwendig sein. Eine Möglichkeit ist, dass die Gruppe<br />

zweigeteilt wird, die eine Hälfte ihre Telefonnummer auf Zettel schreibt und diese gemischt an die<br />

andere Hälfte der Gruppe verteilt werden. Die Impulsfragen und Aufforderung Skizzen anzufertigen<br />

müssen dann im Vorfeld passieren, da es keine zentrale Stelle mit allen Telefonnummern gibt.<br />

Wofür? Der Austausch mit einer (noch) fremden Person hat gerade durch die Reduzierung auf die Stimme<br />

eine große Intimität. Zugleich schafft die Distanz des Telefongespräch Sicherheit. Das Format eignet<br />

sich insbesondere für Aufführungen die Themen verhandeln, die schambehaftet, tabuisiert sind oder<br />

potentiell stark persönlichen Bezug zu der Lebensrealität des Publikums haben. Die Skizzen können zurück<br />

zu einem gemeinsamen Ort getragen werden und könnten dort sogar als Grundlage für ein gemeinsames<br />

Großgespräch dienen. Ebenso kann das Format aber auch für den Heimweg konzipiert werden,<br />

die Skizzen können abfo<strong>to</strong>grafiert, oder per Post an die Künstler*innen geschickt werden.<br />

Wie die verschiedenen Gesprächsbezeichnungen zu Beginn dieses Beitrags schon zeigen, gibt es diverse<br />

Parameter, die beeinflussen wie ein Gesprächsformat am sinnvollsten für einen spezifischen Anlass<br />

gestaltet werden kann. Die folgende Checkliste umfasst Fragen, deren Beantwortung bei der Gestaltung<br />

einer Gesprächssituation helfen kann.<br />

FRAGEN AN DIE RAHMENBEDINGUNGEN DES FORMATS<br />

A) Gegenstand<br />

» Welche der folgenden Punkte stehen bereits fest, welche sind noch frei gestaltbar?<br />

» Worüber wird gesprochen?<br />

B) Teilnehmende / Anwesende<br />

» Wer nimmt am Format teil, wer ist darüber hinaus mit im Raum?<br />

» Welches Alter haben die Teilnehmenden/Anwesenden?<br />

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